Lichtenstein/Dritter Teil/VIII
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„Auch aus entwölkter Höhe
Kann der zündende Donner schlagen,
Darum in deinen glücklichen Tagen
Fürchte des Unglückes tückische Nähe.“
Schiller.[1]
Der Weg, den die berühmtesten Novellisten unserer Tage bei ihren Erzählungen aus alter oder neuer Zeit einschlagen, ist ohne Wegsäule zu finden und hat ein unverrücktes, bestimmtes Ziel. Es ist die Reise des Helden zur Hochzeit. Mag sein Weg sich noch so oft krümmen, wagt er es sogar, Abstecher zu machen und in Wirtshäusern und Burgen ungebührlich lange zu verweilen, er eilt nachher um so rascheren Schrittes seinem Ziele zu, und wenn er endlich nach so vielen Leiden mit gehöriger Würde in die Brautkammer geschoben ist, pflegt der Autor dem
[382] Leser die Thüre vor der Nase zuzuwerfen und das Buch zu schließen. Auch wir hätten mit den herrlichen Reigen im Schlosse zu Stuttgart schließen oder den Leser mit dem Fackelzug des Bräutigams aus dem Buche hinausbegleiten können, aber die höhere Pflicht der Wahrheit und jenes Interesse, das wir an einigen Personen dieser Historie nehmen, nötigt uns, den geneigten Leser aufzufordern, uns noch einige wenige Schritte zu begleiten und den Wendepunkt eines Schicksals zu betrachten, das in seinem Anfang unglücklich, in seinem Fortgang günstiger, durch seine eigene Notwendigkeit sich wieder in die Nacht des Elends verhüllen mußte.
Das Motto, womit wir diesen Abschnitt bezeichneten, ist eine Geisterstimme, die warnend durch die Weltgeschichte tönt, die von vielen vernommen, von den meisten überhört, von wenigen befolgt wurde; zu allen Zeiten ging ein finsterer Geist durch das Haus der Erde, man vernahm oft sein Rauschen, man suchte es durch die Töne der Freude zu übertäuben. Ulerich von Württemberg hatte jene Stimme in mancher Nacht vernommen, die er sorgenvoll auf seinem Lager durchwachte. Er glaubte das Geräusch vieler Gewappneter und die dröhnenden Tritte eines Heeres zu vernehmen, er glaubte sie näher und näher um ihn sich lagern zu hören, und wenn er sich auch überzeugte, daß es nur die Nachtluft war, die um die Türme seines Schlosses brauste, so blieb doch eine finstere Ahnung in ihm zurück, daß sein Schicksal noch einmal sich wenden könnte. Jene Warnung des alten Ritters von Lichtenstein tönte oft in seiner Seele wider, und vergeblich strengte er sich an, die künstlichen Folgerungen seines Kanzlers sich zu wiederholen, um ein Verfahren bei sich zu entschuldigen, das ihm jetzt zum wenigsten nicht genug überdacht schien. Denn seine alten Feinde rüsteten sich mit Macht. Der Bund hatte ein neues Heer geworben und drang herab ins Land, näher und näher an das Herz von Württemberg. Die Reichsstadt Eßlingen bot für diese Unternehmungen einen nur zu günstigen Stützpunkt. Sie liegt nur wenige Stunden von der Hauptstadt, beinahe mitten im Lande, und war, sobald das Heer des Bundes die Kommunikation mit ihr hergestellt hatte, eine furchtbare [383] Schanze, um Ausfälle nach Württemberg zu begünstigen und zu decken. Das Landvolk nahm an vielen Orten den Bund günstig auf, denn der Herzog hatte sie durch die neue Art, wie er sich huldigen ließ, ängstlich gemacht. Der Württemberger liebt von jeher das Alte und Hergebrachte. Altes Recht, alte Ordnung, sind ihm goldene Worte, wenn er auch oft nicht weiß, was sie bedeuten, und ob das Neue nicht besser ist. Seine Ruhe, die er bei anderen Zufällen des Lebens zeigt, verläßt ihn, wenn man von Neuerungen spricht, und ein Eigensinn, der sogar Trotz wird, läßt ihn das Alte mit einer Glut, mit einer natürlichen Begeisterung umfassen, die ihm sonst fremd ist und gänzlich außer seinem Wesen, der ruhigen, biederen Geschäftigkeit, liegt.
Diese Liebe zum Alten hatte der Herzog an seinem Volk erfahren, als er einige Jahre zuvor seinen Räten folgte und zur Verbesserung seiner Finanzen ein neues Maß und Gewicht einführte. Der „arme Konrad“, ein förmlicher Aufstand armer Leute, hatten ihn nachdenklich gemacht und den Tübinger Vertrag eingeleitet. Diese Liebe zum Alten hatte sich auf eine rührende Weise an ihm gezeigt, als der Bund ins Land fiel und das Haupt des alten Fürstenstammes verjagen wollte. Ihre Väter und Großväter hatten unter den Herzogen und Grafen von Württemberg gelebt, darum war ihnen jeder verhaßt, der diese verdrängen wollte; wie wenig sie das Neue lieben, hatten sie dem Bunde und seinen Statthaltern oft genug bewiesen.
Der alte angestammte Herzog, ein Württemberger, kam wieder ins Land; sie zogen ihm freudig zu; sie glaubten, jetzt werde es wieder hergehen wie „vor alters“; sie hätten recht gerne Steuern bezahlt, Zehnten gegeben, Gülden aller Art entrichtet und Fronen geleistet; sie hätten über Schwereres nicht gemurrt, wenn es nur nach hergebrachter Art geschehen wäre. So gut ward es ihnen aber nicht; die alten Formeln waren aus dem Huldigungseid verschwunden, die Steuern wurden nicht mehr nach hergebrachter Sitte eingezogen, es war alles anders als früher, kein Wunder, wenn sie den Herzog als einen neuen Herren ansahen und murrend nach dem alten Recht verlangten. Sie hatten zu Ulerich kein Zutrauen mehr, nicht weil seine Hand schwerer auf ihnen ruhte [384] als vorher, nicht weil er bedeutend mehr von ihnen wollte als früher, sondern weil sie die neuen Formen mit argwöhnischen Augen ansahen.
Ein Herzog, besonders wenn er einem Ambrosius Volland sein Ohr leiht, erfährt selten genau, wie man über ihn denkt, und ob die Maßregeln klug berechnet waren, die ihm seine Räte an die Hand geben. Und dennoch entging Ulerichs hellem Auge die Unzufriedenheit seines Volkes nicht ganz. Er merkte, daß er im schlimmen Falle sich nicht auf sie werde verlassen können, so wenig als auf die Ritterschaft des Landes, die, seit er wieder im Land war, sich sehr neutral verhalten hatte.[Hauff 1]
Seine Unruhe über diese Bemerkungen suchte er jedem Auge zu verbergen. Er beschwor die wildesten Töne der Freude herauf, und oft gelang es ihm sogar, selbst zu vergessen, vor welchem Abgrund er stehe. Er versuchte, um seinem Volk und dem Heer, das er in und um Stuttgart versammelt hatte, Vertrauen und Mut einzuflößen, einige Einfälle, welche die Bündischen von Eßlingen aus in sein Land gemacht hatten, verdoppelt heimzugeben. Er schlug sie zwar und verwüstete ihr Gebiet, aber er verhehlte sich nicht, wenn er nach einem solchen Siege in seine Stellungen zurückging, daß das Kriegsglück ihn vielleicht verlassen könnte, wenn der Bund einmal mit dem großen Heere im Feld erscheinen werde.
Und er erschien frühe genug für Ulerichs zweifelhaftes Geschick. Noch wußte man in Stuttgart wenig oder nichts von dem Aufgebot des Bundes, noch lebte man am Hof und in der Stadt in Ruhe und in Freude, als auf einmal am 12. Oktober die Landsknechte, welche der Herzog ein Lager bei Kannstatt hatte beziehen lassen, flüchtig nach Stuttgart kamen und von einem großen bündischen Heer erzählten, das sie zurückgeworfen habe. Jetzt merkten die Bewohner Stuttgarts, daß eine wichtige Entscheidung nahe, jetzt sahen sie ein, daß der Herzog längst um diesen drohenden Einfall gewußt haben müsse, denn er ließ an diesem Tage die Ämter aufbieten, ließ die Truppen sich versammeln, die auf das Land umher verlegt gewesen waren, und hielt noch am Abend dieses Tages eine Musterung über zehntausend Mann.[Hauff 2]
[385] Noch in der Nacht zog er mit einem großen Teil der Mannschaft aus, um die Stellungen, die ein Teil der Landsknechte zwischen Kannstatt und Eßlingen genommen hatte, zu verstärken.
In jener Nacht wurde in Stuttgart manche Thräne von schönen Augen geweint, denn Männer und Jünglinge, was die Waffen führen konnte, zog mit dem Herzog in die Schlacht. Doch das Rauschen des abziehenden Heeres übertönte die Klagen der Mädchen und Frauen, sie verhallten wie das Wimmern eines Kindes im Kampf der Elemente. Mariens Schmerz war stumm, aber groß, als sie den Gatten unter die Thüre herabgeleitete, wo die Knechte mit den Rossen für ihn und den Vater hielten. Sie hatten still und einsam, nur mit ihrem Glück beschäftigt, die ersten Tage ihrer Ehe verlebt. Sie dachten wenig an die Zukunft, sie glaubten im Hafen zu sein, und indem sie nur sich selbst lebten, überhörten sie das Flüstern, die geheimnisvolle Unruhe, die einem nahenden Sturm vorangeht. Sie waren gewöhnt, den Vater ernst und düster zu sehen, es fiel ihnen nicht auf, wie sein Auge immer trüber, seine Stirne finsterer, seine Mienen beinahe traurig wurden. Er sah ihr süßes Glück, er fühlte mit ihnen, er verbarg, um sie nicht zu frühe aufzustören, was ihm eine bange Ahnung oft genug sagte. Aber endlich nahte der entscheidende Schlag. Der Herzog von Bayern war bis in die Mitte des Landes vorgedrungen, und der Ruf zu den Waffen schreckte Georg aus den Armen seines geliebten Weibes.
Die Natur hatte ihr eine starke Seele und jene entschiedene Erhabenheit über jedes irdische Verhängnis gegeben, die nur in einer reinen Seele und in der mutigen Zuversicht auf einen höhern Beistand bestehen kann. Sie wußte, was Georg der Ehre seines Namens und seinem Verhältnis zum Herzog schuldig sei, darum erstickte sie jeden lauten Jammer und brachte ihrer schwächeren Natur nur jenes Opfer schmerzlicher Thränen, die dem Auge, das den Geliebten tausend Gefahren preisgegeben sieht, unwillkürlich entströmen.
„Siehe, ich kann nicht glauben, daß du auf immer von mir gehst“, sagte sie, indem sie ihre schönen Züge zu einem Lächeln zwang; „wir haben jetzt erst zu leben begonnen, der Himmel kann [386] nicht wollen, daß wir schon aufhören sollen. Drum kann ich dich ruhig ziehen lassen, ich weiß ja zuversichtlich, daß du mir wiederkehrst.“
Georg küßte die schönen, weinenden Augen, die ihn so mild und voll Trost anblickten. Er dachte in diesem Augenblick nicht an die Gefahr, der er entgegengehe, nicht an die Möglichkeit, daß vielleicht schon das nächste Morgenrot seine Leiche bescheinen werde; er dachte nur daran, wie groß für das teure Wesen, das er in den Armen hielt, der Schmerz sein müßte, wenn er nicht mehr zurückkehrte: wie sie dann ein langes Leben einsam, nur in der Erinnerung an die wenigen Tage des Glückes, fortleben könnte. Er preßte sie heftiger in die Arme, als wolle er dadurch diese schwarzen Gedanken verscheuchen, seine Blicke tauchten tiefer in ihre Augen herab, um dort Vergessenheit zu suchen, und es gelang ihm, wenigstens trug er ein schönes Bild der Hoffnung und der Zuversicht mit sich hinweg.
Die Ritter stießen vor dem Thor gegen Kannstatt zu dem Herzog. Es war dunkle Nacht, das erste Viertel des Mondes und das Heer der Sterne warfen einen matten Schein herab; Georg glaubte zu bemerken, daß der Herzog finster und in sich gekehrt sei; denn seine Augen waren niedergeschlagen, seine Stirne kraus, und er ritt stumm seinen Weg weiter, nachdem er sie flüchtig mit der Hand gegrüßt hatte.
Ein nächtlicher Marsch hat immer etwas Geheimnisvolles, Bedeutendes an sich. Die Sonne, heitere Gegenden, der Anblick vieler Kameraden, der Wechsel der Aussichten locken bei Tag den Soldaten zum Gespräch, wohl auch zum Gesang. Weil die Eindrücke von außen stärker sind, denkt man weniger nach über das Ziel des Marsches, über das Ungewisse des Krieges, über die Zukunft, die niemand dunkler verhängt ist, als dem Kriegsmann im Felde. Ganz anders auf dem Marsch in der Nacht. Man hört nur das Gedröhn des Zuges, den taktartigen Hufschlag der Rosse, ihr Schnauben, das Klirren der Waffen; und die Seele, die durch das Auge keine Bilder mehr empfängt, wird durch dieses eintönige Gemurmel ernster; Scherz und Gelächter sind verstummt, das laute Gespräch sinkt zum Geflüster herab, und auch dieses gilt [387] nicht mehr gleichgültigen Gegenständen, sondern der Entscheidung, welcher man entgegenzieht.
So war auch der Zug in jener Nacht, ernst und von keinem Laut der Freude unterbrochen. Georg ritt neben dem alten Herrn von Lichtenstein und warf hie und da ängstliche Blicke auf diesen, denn er hing wie von Kummer gebückt im Sattel und schien ernster als je zu sein. Er hätte beinahe ohne Leben geschienen, wenn nicht hin und wieder ein Seufzer aus seiner Brust heraufgestiegen wäre, und seine glänzenden Augen nach den Wölkchen schauten, die um die bleiche Sichel des Mondes zogen.
„Glaubt Ihr, es werde morgen zum Gefecht kommen, Vater?“ flüsterte Georg nach einer Weile.
„Zum Gefecht? zur Schlacht.“
„Wie? Ihr glaubt also, das Bundesheer sei so stark, daß es uns jetzt schon werde die Spitze bieten können? Es ist nicht möglich. Herzog Wilhelm müßte Flügel haben, wenn er seine Bayern herabgeführt hätte, und Frondsberg ist in seinen Entschlüssen bedächtig. Ich glaube nicht, daß sie viel über sechstausend stark sind.“
„Zwanzigtausend“, antwortete der Alte mit dumpfer Stimme.
„Bei Gott, das hab’ ich nicht gedacht“, entgegnete der junge Mann mit Staunen. „Freilich, da werden sie uns hart zusetzen. Doch wir haben geübtes Volk, und des Herzogs Augen sind schärfer als irgend eines im Bundesheere, selbst als Frondsbergs. Glaubt Ihr nicht auch, daß wir sie schlagen werden?“
„Nein.“
„Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ein großer Vorteil für uns liegt schon darin, daß wir für das Land fechten, die Bündischen aber dagegen; das macht unseren Truppen Mut; die Württemberger kämpfen für ihr Vaterland.“
„Gerade darauf traue ich nicht“, sprach Lichtenstein; „ja, wenn der Herzog sich anders hätte huldigen lassen, so aber – hat er das Landvolk nicht für sich; sie streiten, weil sie müssen, und ich fürchte, sie halten nicht lange aus.“
„Das wäre freilich schlimm“, erwiderte Georg, „doch die Schwaben sind ein biederes, ehrliches Volk, sie werden den Herzog [388] nicht in der Not verlassen! Wo glaubt Ihr, daß wir dem Feind begegnen? Wo werden wir uns stellen?“
„Zwischen Eßlingen und Kannstatt, bei Untertürkheim haben die Landsknechte einige Schanzen aufgeworfen und stehen dort zu dritthalbtausend Mann; wir werden uns noch in dieser Nacht an sie anschließen.“
Der Alte schwieg, und sie ritten wieder eine geraume Zeit stille nebeneinander hin. „Höre Georg!“ hub er nach einer Weile an, „ich habe schon oft dem Tod Aug’ in Auge gesehen und bin alt genug, mich nicht vor ihm zu fürchten; es kann jedem etwas Menschliches begegnen – tröste dann mein liebes Kind, Marie.“
„Vater!“ rief Georg und reichte ihm die Hand hinüber, „denket nicht solches! Ihr werdet noch lange und glücklich mit uns leben.“
„Vielleicht“, entgegnete der alte Mann mit fester Stimme, „vielleicht auch nicht. Es wäre thöricht von mir, dich aufzufordern, du sollst dich im Gefecht schonen. Du würdest es doch nicht thun. Doch bitte ich, denk’ an dein junges Weib und begib dich nicht blindlings und unüberlegt in Gefahr. Versprich mir dies.“
„Gut, hier habt Ihr meine Hand; was ich thun muß, werde ich nicht ablehnen; leichtsinnig will ich mich nicht aussetzen; aber auch Ihr, Vater, könntet dies geloben.“
„Schon gut, laß das jetzt; wenn ich etwa morgen totgeschossen werden sollte, so gilt mein letzter Wille, den ich beim Herzog niedergelegt habe; Lichtenstein geht auf dich über, du wirst damit belehnt werden. Mein Name stirbt hierzuland mit mir, möge der deinige desto länger tönen.“
Der junge Mann war von diesen Reden schmerzlich bewegt; er wollte antworten, als eine bekannte Stimme seinen Namen rief. Es war der Herzog, der nach ihm verlangte. Er drückte Mariens Vater die Hand und ritt dann schnell zu Ulerich von Württemberg.
„Guten Morgen, Sturmfeder!“ sprach dieser, indem seine Stirne sich etwas aufheiterte; „ich sag’ guten Morgen, denn die Hähne krähen dort unten in dem Dorf. Was macht dein Weib? Hat sie gejammert, als du wegrittst?“
[389] „Sie hat geweint“, antwortete Georg, „aber sie hat nicht mit einem Wort geklagt.“
„Das sieht ihr gleich; bei Sankt Hubertus, Wir haben selten eine mutigere Frau gesehen. Wenn nur die Nacht nicht so finster wäre, daß ich recht in deine Augen sehen könnte, ob du zum Kampf gestimmt bist und Lust hast, mit den Bündlern anzubinden?“
„Sprecht, wohin ich reiten soll; mitten drauf los soll es gehen im Galopp. Glauben Euer Durchlaucht, ich habe in meinem kurzen Ehestand so ganz vergessen, was ich von Euch erlernte, daß man in Glück und Unglück den Mut nicht sinken lassen dürfe?“
„Hast recht; impavidum ferient ruinae; Wir haben es auch gar nicht anders von unserem getreuen Bannerträger erwartet. Heute trägt meine Fahne ein anderer, denn dich habe ich zu etwas Wichtigerem bestimmt. Du nimmst diese hundertundsechzig Reiter, die hier zunächst ziehen, läßt dir von einem den Weg zeigen und reitest Trab gerade auf Untertürkheim zu. Es ist möglich, daß der Weg nicht ganz frei ist, daß vielleicht die von Eßlingen schon herabgezogen sind, uns den Paß zu versperren; was willst du thun, wenn es sich so verhält?“
„Nun, ich werfe mich in Gottes Namen mit meinen hundertundsechzig Pferden auf sie und hau’ mich durch, wenn es kein Heer ist. Sind sie zu stark, so decke ich den Weg, bis Ihr mit dem Zug heran seid.“
„Recht gut gesagt, gesprochen wie ein tapferer Degen, und haust du so gut auf sie wie auf mich bei Lichtenstein, so schlägst du dich durch sechshundert Bündler durch. Die Leute, die ich dir gebe, sind gut. Es sind die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart und den anderen Städten. Ich kenne sie aus manchem Kampf, sie sind wacker und hauen einen Schädel bis aufs Brustbein durch. Das Schwert in der Faust, reiten sie dir in die Hölle, wenn sie dir einmal zugethan sind, und wen sie einmal ans Hirn getroffen haben, der braucht keinen Arzt mehr auf dieser Welt. Das sind die echten Schwabenstreiche.“
„Und bei Untertürkheim soll ich mich aufstellen?“
„Dort triffst du auf einer Anhöhe die Landsknechte unter Georg von Hewen und Schweinsberg. Die Losung ist ‚Ulericus [390] für immer‘. Den beiden Herren sagst du, sie sollen sich halten bis fünf Uhr, ehe der Tag aufgeht, sei ich mit sechstausend Mann bei ihnen, und dann wollen wir den Bund erwarten. Gehab’ dich wohl, Georg.“
Der junge Mann erwiderte den Gruß, indem er sich ehrerbietig neigte; er ritt an der Spitze der tapfern Reiter und trabte mit ihnen das Thal hinauf. Es waren kräftige Gestalten mit breiten Schultern und starken Armen; unter den Sturmhauben hervor blickten ihn mutige Augen und breite, ehrliche Gesichter freundlich an; er fühlte sich ehrenvoll ausgezeichnet, eine solche Schar zu führen. Bald ging jetzt der Weg bergan, man näherte sich dem Fuß des Roten Berges, auf dessen Gipfel das Stammschloß von Württemberg weit über das schöne Neckarthal hinsah. Es war vom Sternenschimmer matt erhellt, und Georg konnte seine Formen nicht deutlich unterscheiden, aber dennoch blickte er immer wieder nach diesen Türmen und Mauern hinauf; er erinnerte sich jener Nacht, wo Ulerich in der Höhle mit Wehmut von der Burg seiner Väter sprach, von welcher er sonst auf ein schönes Land voll Obst, Wein und Frucht hinabgeschaut, und dies alles sein genannt hatte. Er versank in Gedanken über das unglückliche Schicksal dieses Fürsten, das ihm aufs neue den Besitz des schönen Landes streitig zu machen schien; er dachte nach über die sonderbare Mischung seines Charakters, wie hier wahrhafte Größe oft durch Zorn, Trotz und unbeugsamen Stolz entweiht sei.
„Was Ihr dort unten unterscheiden könnet zwischen den beiden Bäumen“, unterbrach ihn der Reiter, welcher ihm den Weg zeigte, „ist die Turmspitze von Untertürkheim. Es geht jetzt wieder etwas ebener, und wenn wir Trab reiten, können wir bald dort sein.“
Der junge Mann trieb sein Pferd an, der ganze Zug folgte seinem Beispiel, und bald waren sie im Angesicht dieses Dorfes. Hier war eine doppelte Linie von Landsknechten aufgestellt, welche ihnen drohend die Hellebarden entgegenstreckten. An vielen Punkten sah man den rötlichen Schimmer glühender Lunten, die wie Scheinwürmchen durch die Nacht funkelten.
[391] „Halt, werda?“ rief eine tiefe Stimme aus ihren Reihen. „Gebt die Losung!“
„Ulericus für immer“, rief Georg von Sturmfeder. „Wer seid Ihr?“
„Gut Freund!“ rief Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er aus den Reihen der Landsknechte heraus und auf den jungen Mann zu ritt. „Guten Morgen, Georg; Ihr habt lange auf Euch warten lassen, schon die ganze Nacht sind wir auf den Beinen und harren sehnlich auf Verstärkung, denn dort drüben im Wald sieht es nicht geheuer aus, und wenn Frondsberg den Vorteil verstanden hätte, wären wir schon längst übermannt.“
„Der Herzog zieht mit sechstausend Mann heran“, erwiderte Sturmfeder. „Längstens in zwei Stunden muß er da sein.“
„Sechstausend, sagst du? Bei Sankt Nepomuk, das ist nicht genug; wir sind zu dritthalbtausend, das macht zusammen gegen neuntausend; weißt du, daß sie über zwanzigtausend stark sind, die Bündischen? Wieviel Geschütz bringt er mit?“
„Ich weiß nicht; es wurde erst nachgeführt, als wir ausritten.“
„Komm, laß die Reiter absitzen und ruhen“, sagte Marx Stumpf; „sie werden heute Arbeit genug bekommen.“
Die Reiten saßen ab und lagerten sich; auch die Landsknechte lösten ihre Reihen auf und stellten nur starke Posten auf den Anhöhen und am Neckar auf. Marx Stumpf besichtigte alle Anstalten, und Georg legte sich in seinen Mantel gehüllt nieder, um noch einige Stunden zu ruhen. Die Stille der Nacht, nur durch den eintönigen Ruf der Wachen unterbrochen, senkte ihn bald in einen Schlummer, der seine Seele weit hinweg über Krieg und Schlachten, in die Arme seines Weibes entführte.
- ↑ Worte des Chorführers Cajetan aus der „Braut von Messina“.
Anmerkungen (Hauff)
- ↑ [434] Über dieses neutrale Verhalten des Adels ist zu vergleichen Sattler II, § 19.
- ↑ [434] „Der Herzog zog sich mit ungefähr 6000 Landvolk nach Stuttgart, und die angeworbenen Knechte legte er nach Kannstadt.“ Sattler, § 21. „Der Herzog, als er erfuhr, daß der Feind so nahe sei, rief die Seinigen schnell aus Städten und Dörfern herbei, die auch sogleich erschienen.“ Thetingeri Commentarius etc. lib. III.
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