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Titel: Lenau’s sämmtliche Werke
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 584
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[584] Lenau’s sämmtliche Werke. Mit Biographie, Einleitungen und erläuternden Anmerkungen (Leipzig, Bibliographisches Institut). Tiefer, als man im Allgemeinen anzunehmen geneigt ist, wurzeln die dichterischen Erzeugnisse Nicolaus Lenau’s noch heute im Bewußtsein des deutschen Volks; seine Lieder werden nach wie vor vielfach gesungen, seine Balladen in den Schulen declamirt – das begreift sich leicht: der volksthümliche Geist, welcher der Poesie des unglücklichen Sängers der Pußta innewohnt, die vielfach geradezu hinreißenden Naturlaute, welche sie anschlägt, und der wunderbar melancholische Zauber eines tiefen Gemüthslebens, der aus ihr spricht – all dies legt die Dichtungen Lenau’s dem Herzen des Volkes für alle Zeiten nahe. Neue Aufklärungen über Leben und Werke unseres Dichters, welche sein literargeschichtliches Bild und seine menschliche Persönlichkeit in ein neues Licht rücken, dürfen daher in den weitesten Kreisen stets auf ein allgemein entgegenkommendes Interesse rechnen. Im Spiegel der neuen Ausgabe seiner Gesammtwerke, welche das Bibliographische Institut in Leipzig soeben in die Welt sendet, tritt nun Lenau’s halb imposante, halb rührende Gestalt vielfach in ein solches interessevolles neues Licht, und es sind namentlich zwei Wege, welche diese Ausgabe zur Erreichung ihres Zweckes einschlägt: zunächst leitet sie Lenau’s Werke durch eine vortreffliche Biographie des Dichters ein, welche, zugleich unter Benutzung der bisherigen Quellen, ein reiches, seither zum Theil noch unbenutzt gebliebenes Material zu einem eindrucksvollen Ganzen zusammenträgt; dann aber fügt sie dem Texte der lyrischen Gedichte und der größeren Dichtungen kürzere oder eingehendere Anmerkungen bei, welche nicht nur über die Abfassungszeit dieser einzelnen Dichtwerke, sondern auch über die tieferen biographischen und psychologischen Beziehungen derselben zum Leben unseres Dichters in dankenswerther Weise orientiren.

Außerdem sind den größeren Werken, wie „Faust“, „Savonarola“ und „Die Albigenser“, ausführliche Einleitungen vorangeschickt, welche dem Leser das Verständniß derselben erleichtern, das Interesse für dieselben erhöhen. Endlich aber liefert diese Ausgabe noch einen höchst werthvollen weiteren Beitrag zur Würdigung Lenau’s, indem sie uns in einem Anhange eine stattliche Reihe interessanter und oft geistreicher Bemerkungen darbietet, welche den Briefen und Gesprächen des Dichters entnommen sind und ihn uns oft von einer überraschend neuen Seite zeigen.

Wie aus dem Gesagten erhellt, zeichnet sich die neueste Lenau-Ausgabe vor den früheren Sammlungen der Werke dieses eigenartigen Dichtergenius in manchen Punkten vortheilhaft aus; zu weiterem Beweise dessen wollen wir schließlich nur noch auf ein schon äußerlich stark in’s Auge springendes Merkmal dieser Ausgabe hinweisen: in ihr weicht die Anordnung der Gedichte insofern von dem bisher üblichen Arrangement ab, als die Poesien, welche sich auf die drei hervorstechendsten Liebesverhältnisse Lenau’s beziehen – auf seine Verhältnisse zu Bertha, der schönen Wienerin, zu Lotte Gmelin in Stuttgart und zu Sophie Löwenthal, der Gattin des Wiener Hofconcipisten – hier der besseren Uebersicht wegen unmittelbar neben einander gestellt wurden, eine Anordnung, welche, weil sie innerlich Zusammengehöriges auch äußerlich zusammenfügt, eines besonderen Reizes nicht entbehrt.

Wir geben dem neuen „Lenau“ den Wunsch mit auf den Weg: er möge in allen Kreisen der deutschen Gesellschaft Eingang finden; denn

„Sich selber ehrt das Volk,
Das seine Dichter ehrt.“