Textdaten
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Legende
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1798, S. 156
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1797 (Balladenjahr)
Erscheinungsdatum: 1798
Verlag: J. G. Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite



[144]
Legende.

Als noch, verkannt und sehr gering,
Unser Herr auf der Erde ging,
Und viele Jünger sich zu ihm fanden,
Die sehr selten sein Wort verstanden,

5
Liebt er sich gar über die Masen

Seinen Hof zu halten auf der Straßen,
Weil unter des Himmels Angesicht
Man immer besser und freyer spricht;
Er ließ sie da die höchsten Lehren

10
Aus seinem heilgen Munde hören;

Besonders durch Gleichniß und Exempel
Macht er einen jeden Markt zum Tempel.

     So schlendert’ er, in Geistes Ruh,
Mit ihnen einst einem Städtchen zu,

15
Sah etwas blinken auf der Straß,

Das ein zerbrochen Hufeisen was.

[145]

Er sagte zu St. Peter drauf:
Heb doch einmal das Eisen auf!
Sanct Peter war nicht aufgeräumt,

20
Er hatte so eben im Gehen geträumt,

So was vom Regiment der Welt,
Was einem jeden wohlgefällt,
Denn im Kopf hat das keine Schranken,
Das waren seine liebsten Gedanken.

25
Nun war der Fund ihm viel zu klein,

Hätte müssen Kron und Zepter seyn,
Aber wie sollt er seinen Rücken
Nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt

30
Und thut als hätt’ ers nicht gehört.


     Der Herr, nach seiner Langmuth, drauf
Hebt selber das Hufeisen auf
Und thut auch weiter nicht dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen,

35
Geht er vor eines Schmiedes Thür,
[146]

Nimmt von dem Mann drey Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen
Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,
Kauft ihrer, so wenig oder so viel,

40
Als man für einen Dreyer geben will,

Die er sodann nach seiner Art,
Ruhig im Ermel aufbewahrt.

     Nun gings zum andern Thor hinaus,
Durch Wies’ und Felder ohne Haus,

45
Auch war der Weg von Bäumen blos,

Die Sonne schien, die Hitz war groß,
So daß man viel an solcher Stätt’,
Für einen Trunk Wasser gegeben hätt’.
Der Herr geht immer voraus vor allen,

50
Läßt unversehens eine Kirsche fallen.

Sanct Peter war gleich dahinter her,
Als wenn es ein goldner Apfel wär,
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum.
Der Herr, nach einem kleinen Raum,

[147]
55
Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,

Wornach Sanct Peter schnell sich bückt,
So läßt der Herr ihn seinen Rücken
Gar vielmal nach den Kirschen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.

60
Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:

Thätst du zur rechten Zeit dich regen,
So hättst du’s bequemer haben mögen.
Wer geringe Ding wenig acht’t
Sich um geringere Mühe macht.

GOETHE.