Leben und Thaten des ehrwürdigen Paters Simpertus

Textdaten
Autor: Johann Gottfried Pahl
unter dem Pseudonym
Bruder Thomas
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Titel: Leben und Thaten des ehrwürdigen Paters Simpertus
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Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: nicht angegeben, aber Claß in Heilbronn
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Erscheinungsort: Madrit [i.e. Heilbronn]
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Quelle: HAAB Weimar und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Satire zu den antiaufklärerischen Bestrebungen an der Universität Dillingen an der Donau
Text auch als E-Book (EPUB, MobiPocket) erhältlich
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[1]
Leben und Thaten
des ehrwürdigen Paters
Simpertus;
oder
Geschichte der Verfinsterung des Fürstenthums Strahlenberg.
Zur Lehre und Warnung für Obskuranten und Aufklärer geschrieben,
Von
dem Bruder Thomas,
Pförtner an dem Jesuiter-Collegium zu Strahlenberg.


Madrit,
gedruckt auf Kosten der heil. Inquisition.
1799.


[3]


Sr. Hochwürden und Gnaden dem Herrn Coadjutor von Dallberg,

Sr. Excellenz dem kurtrierischen Herrn Staatsminister von Dominique,

Dem Herrn Rath und Bibliothekar Reichard in Gotha;

wie auch

Dem Herrn Hofstätter und Hofmann in Wien, dem Herrn Etatsrath von Schirach in Altona, und dem Herrn Geheimen Justiz-Rath Girtanner in Göttingen;

ingleichem

Dem Herrn von Donderer, Zeitungsschreiber in Neuwied, und Herrn Brandmüller, Zeitungsschreiber in Augsburg;

[4]
und endlich

Den PP. ex Societate Jesu in allen Provinzen,

als

den treueifrigsten Beförderern des heilsamen Obskurations-Werks in Teutschland

widmet diese Schrift

zur Lehre, zur Ermahnung, zur Warnung und zum Troste

respective unterthänigst, gehorsamst und freundwilligst

Deroselben
treuer Collega in tenebris
Bruder Thomas,
Pförtner am Jesuiter-Collegio zu Strahlenberg.


[5] Verwundern Sie sich nicht, meine gnädigen, hochwürdigen und vielgeehrten Herren! daß ich, ein so kleines und bescheiden flimmerndes Lichtlein an dem Himmel der heiligen katholischen Kirche mich unterstehe, dieses opusculum leve zu Ihren Füßen und in Ihre Hände niederzulegen, und mich noch obendrein auf der Stirne desselben Ihren Collegen zu nennen. Ich bin freylich nur ein geistlicher Handlanger, und derselbe fatale Fehltritt, vor dem sich nicht nur der fromme König David, sondern sogar auch der hochgelehrte Pabst Aeneas Silvius nicht verwahren konnte, schloß mir unglüklicherweise die Pforte zu dem heiligen Priesterthum in dem Augenblike vor der Nase zu, als ich die lezten Weihen erhalten sollte. Um deßwillen bin ich aber nicht weniger eifrig, für die gute Sache [6] des Glaubens, der Klerisey, des Adels und der gekrönten Häupter, und habe wohl schon mehr für sie durch Worte und Thaten gewirkt, als mancher Domherr, oder gar als mancher Bischof. Doch will ich mich lieber meiner Schwäche als meiner Stärke rühmen. Das Büchlein, das ich Ihnen überreiche, mag mein Attestat oder mein Passeport in Ihren ehrwürdigen Zirkel seyn, und Ihnen beweisen, daß ich mit weit größerem Rechte Ihr Collega in tenebris heiße, als der römische Kaiser, König zu Jerusalem.

Freylich ward durch mein Sorgen und Bemühen, und durch meine lustigen Streiche das segensvolle Werk der Verfinsterung nur auf einen kleinen Fleke unsers lieben teutschen Vaterlandes betrieben; denn das Fürstenthums Strahlenberg umfaßt, wie Ihnen Büsching und Fabri sagen, höchstens einen Flächenraum von 50 Quadrat-Meilen. Aber thäte jeder [7] in seinem Kreise, was der Pater Simpert, in Verbindung mit mir in dem seinigen gethan hat, o! dann flöhe das Licht überall, wie die Sonne vor den Schatten der Nacht, der Unfug der Illuminaten und Philosophen nähme ein plötzliches Ende mit Schrecken, und die schöne, wünschenswerthe Zeit käme wieder, wo niemand frey war, als der Adel, und niemand lesen und schreiben konnte, als die Pfaffen.

Sie, meine vortrefflichen Herren! haben bisher alles gethan, was in Ihren Kräften stand, um diese goldene Zeit herbey zu führen. Werden Sie nicht müde in ihrer preiswürdigen Thätigkeit! Hören Sie nicht auf zu schreiben, zu denuncieren, zu inquiriren, zu verhetzen, zu verfolgen, zu erdichten und zu verläumden. Tandem bona causa triumphat! Und sie muß triumphiren, sobald Sie einmal unsere hohen Häupter dahin gebracht haben, daß sie die gewaltigen Obskurations-Unternehmungen [8] auf den teutschen Boden verpflanzen, mit welchen der consequenteste und muthvollste aller Obskuranten, der anbetungswürdige Kaiser von Rußland, so große Wunder thut.

Würdigen Sie mein Büchlein eines holden Blicks. Vielleicht stossen Sie darinn doch auf manches Wort der Wahrheit, daß Sie auf ihrer rühmlichen Laufbahn wiederholen können. Zwar bin ich keiner von den Weisen dieser Welt; – aber Sie werden finden, daß ich, traun, kein Dummkopf bin, und daß mein Feuereifer für Gottes Ehre und für die Erhaltung der Kirche und des Staates, in unsern traurigen Zeiten, nicht auf jedem Boden wächst.

Ihr Beyfall ist mein höchster Lohn; und ach! möchten Sie mir ihn dadurch zuerkennen geben, daß Sie mir das Patent zur Mitgliedschaft des löblichen Ordens zuschikten, dessen Häupter Sie sind – des Ordens der Verfinsterer!

[9]
Erstes Kapitel.
Portraite in geschabter, getuschter und gehämmerter Manier.

Der Fürst Adolph von Strahlenberg spielt in der Geschichte, die ich hier meinen Lesern zum Besten gebe, keine der unbedeutensten Rollen. Nicht zwar, als ob er sie freywillig übernommen hätte, sondern – wie es bei Fürsten gemeiniglich der Fall ist – weil sie ihm bald von dieser, bald von jener Parthey aufgetragen war. Man rechne mich nun dieses geraden, dreisten Notabenes willen nicht unter die Thronenstürmer unserer Zeit. Man sehe hier sogleich in dem Introitus dieser Erzählung einen Beweis meiner Unpartheylichkeit und meiner Wahrheitsliebe, die ich auch in dem weitern Verfolge derselben nie verläugnen werde. Vernünftige Leute finden auch in dem besagten fürstlichen Charakter-Zuge nichts Entehrendes, nichts Herabwürdigendes, [10] nichts, das einen Einwurf gegen das Apostolische „seyd unterthan aller menschlichen Ordnung!“ abgeben könnte. Denn die großen Herren, die immer nur das thun, was sie selbst wollen, ohne sich je in das Gängelband ihrer Hofleute zu schmiegen, sind nicht der größte Segen für ihre Unterthanen. Sie rennen mit ihrem Eigensinne tausendmal gegen die Wand, daß sie einstürzt, und die Leute unter ihre Trümmer begräbt. Auch geht bey ihnen alles Gute verlohren, was gewöhnlich durch den Einfluß des Adels, der Geistlichkeit und der Sanftmuth der Weiber in den Ländern gestiftet wird.

Der Fürst Adolph war lenksam, und bis auf einen außerordentlichen Grad gutmüthig. Er nahm sich nie die Mühe, die Dinge, die ihm vorgetragen wurden, zu untersuchen und zu kritisieren. Das Gutachten, oder die Miene, oder der Ton des Proponenten bestimmte in allen Fällen seine Entscheidung; und wer einmal in dem Besitze seines Zutrauens war, hatte nur eine kleine Dosis von Klugheit nöthig, um dasselbe zu erhalten. Ich habe auch diese Weise nie an dem lieben Herrn getadelt. [11] Denn was sind Thronen und Kronen werth, wenn der Fürst sich über alle Dinge selbst den Kopf zerbrechen, das pro und das contra jeder Sache ventilieren, ewig über den Akten brüten, und alle Rechnungen seiner Finanz-Bedienten unter die Probe nehmen soll? Ein Fürst, der alle Ansprüche erfüllen wollte, die die neuern Philosophen an ihn machen, wäre, bey Gott! das beschäftigste und geschlagenste Geschöpf unter der Sonne, und niemand genöße weniger, als er, das höchste Erdenglük, das man doch nirgends findet, als in einer Lage, in der man über alle anstrengenden Arbeiten erhaben ist. Tausendmal lieber will ich die Thüre vor dem Jesuiter-Collegio zu Strahlenberg hüten, als auf dem glänzenden Throne der Erde sitzen, und selbst regieren, wie z. B. der Kaiser Joseph, dessen arme Seele Gott gnädig seyn wolle.

Um deßwillen ist man doch kein gekrönter Tagdieb; und das war auch Adolph der Vielgeliebte nicht. Die Tafel nahm täglich allein 5 Stunden hinweg. Rechnet man dann die Zeit des Anziehens, der Messe, des Spiels und der Visitationen in dem Marstalle, so wird [12] man finden, daß Sr Durchlaucht nur noch wenige Viertelstunden zur Jagd übrig blieben, was doch von Jugend auf Höchstdero Favorit-Vergnügen war. Denn die rauschenden Freuden dieser Welt liebte der Fürst nicht. Weiber, Wein und Gesang, die bekanntlich Hauptbedingungen in der Lebensweisheit des Erz-Illuminaten Martin Luthers ausmachten, waren nicht die Dinge, an die er sein Herz hieng. Es geschah immer nur durch eine Art von plötzlicher Ueberraschung der bösen Lust, wenn das holde Lächeln eines schönen Gesichts ihn bethörte. Nur wurde diese böse Lust öfter, als es recht war, durch seinen getreuen Kammerdiener Jean Baptist angefacht, indem ihm derselbe mit seiner ganzen französischen Gnade bewies, es sey gemein und unfürstlich, sich über den Punct von ehrlicher Treue und Untreue Grillen zu machen. Solche Gesetze, meynte der Schelm, seyen nur dem Pöbel gegeben.

Jedoch war der Fürst ein frommer Sohn der Kirche. Er hörte jeden Morgen seine Messe, gewann von Zeit zu Zeit Ablaß, ließ von einem besoldeten Priester täglich 200 Rosenkränze [13] in seinem Namen beten, und glaubte alles treu und fest, was dem katholischen Christen zu glauben geboten ist. Er hatte die Religion aller großen Herren; das heißt, er bediente sich der Verheißungen und der Gnadenschätze der Kirche, um die Protektion Gottes in Gefahren, Ruhe für sein Gewissen, und Hoffnung für den leidigen Fall des Todes zu erlangen. Das Uebrige kümmerte ihn nicht viel. Und so ist es auch recht und löblich. Denn wenn die Großen der Erde selbst über die Religion spekulieren, so werden sie entweder Atheisten, wie Friedrich von Preussen, oder Kirchenräuber, wie Joseph von Oesterreich, oder gar Reformatoren, wie so mancher teutsche Fürst des 16ten Jahrhunderts. Legen sie aber den Geboten der Moralität einen Werth bey, dann verliert die Geistlichkeit ihre Achtung und ihre politische Kraft, die fürstlichen Reichthümer sind für die Kirche unnütz, und die leztere ruht allein auf ihrem eigenen Schwerpunkte, ohne durch das brachium seculare gehalten zu werden. Aber da steht es wohl und gut, und das geistliche und weltliche Regiment, wo das Haupt des Staats [14] die Religion[1] als eine Arzney betrachtet, durch die alle aus unsern Thorheiten und Lastern entstandenen Makeln und Kankheiten der Seele ausgemerzt und geheilt, und bey dem lustigsten Genusse des zeitlichen Lebens, doch auch der Genuß des ewigen erlangt werden kann, – wo die Religion für die Seele eben das ist, was antivenerische Präservative für den Körper sind. Da steht die Kirche sammt dem Staate in ihrer schönsten Blüthe, und da sind die Pfaffen Herren.

Wäre der gute Fürst von Strahlenberg nicht unter dem verderblichen und vielschädlichen Einflusse seiner Gemahlinn gestanden, so hätte auch an unserm Hofe der böse Feind sein Spiel nie so hoch getrieben. Aber so verdunkelte ein Weib die Grundsätze der ächten Staatshoheit, und brachte die gute Sache und die Verfechter derselben in so große Gefahren, daß ihr Triumph erst sehr spat, und nur nach schweren Kämpfen gefeyert werden konnte.

Die Fürstinn kam mit dem Entschlusse in das Land, die Rolle der Weisen und der Erleuchteten zu spielen. Man konnte ihr nicht [15] begreiflich machen, daß das den Weibern überall nicht ziemt, – den Weibern, die in allem dem Männergeschlechte subordiniert bleiben, und es nie vergessen sollen, daß sie die Natur blos zu Instrumenten für den Willen, die Launen und die Lüste der Männer geschaffen hat. Will aber das Instrument die Persönlichkeit usurpieren, und seinen eigenen Willen haben, – wehe dann dem, der es führt!

Die Fürstinn brachte an dem Strahlenbergischen Hofe Dinge in Schwang, die man eher an demselben nie gesehen hatte. Statt daß man sich zuvor nach ritterlicher Weise die Zeit vertrieb, glänzende Jagden anstellte, und dem Publikum zuweilen eine Thierhetze zum Besten gab, amusirte man sich nun mit Concerten und Schauspielen, sprach über der Tafel von Philosophie und Literatur, besoldete Mahler, Kupferstecher und ein Heer von Spielleuten, und baute in den Schloßgarten chinesiche Häuser und Eremitagen. Die Fürstinn hatte ihre eigene Bibliothek, ihr Naturalien-Kabinet, und ihre Kunstsammlung. Aus ihrem Nachttische sah man aller Welt Journale, und die so genannten reisenden Gelehrten, die [16] man eher unter der Firma der Bettelstudenten gekannt hat, kamen scharenweise herbey, und machten ihr den Hof. Sie correspondierte mit der Frau von la Roche, mit Marianne Ehrmann und mit der Herzoginn von Giovanni, und hielt sich in Leipzig ihren eigenen literarischen Agenten. Statt der ehemaligen Hoffeste, bey denen man so herrlich und in Freuden schlampamte, veranstaltete sie romanhafte Aufzüge, Schäfertänze, Kinderspiele und ärgerliche Mummereyen; und statt der lateinischen Chronodistichen und Akrostichen, die sonst bey solchen Gelegenheiten das Jesuiter-Collegium lieferte, beschrieb man nun teutsche Gedichte von dem lüderlichen Versifex[2] Schubart in Stuttgardt. Der gute Fürst sah zwar wohl, daß das alles alberne Possen und tolles Zeug war, und fand es herzlich abgeschmackt und langweilig. Aber er besaß doch nicht Stärke genug, seine Gemahlinn durch eine determinirte Erklärung vernünftig zu machen; und dann war es auch für seine Eitelkeit nicht wenig kitzelnd, wenn ihn die Schmeichler versicherten: sein Weib sey so weise, als Theophrastus Paracelsus, und so gelehrt, als Rhoswitha.

[17] Die Fürstinn war die eigentliche Regentinn des Landes. Alle Geschäfte giengen durch ihre Hand. Der Fürst hatte blos die untergeordnete Angelegenheit, die von ihr und ihrem Günstlinge, dem geheimen Rathe von Frankenstein gefaßten Resolutionen zu unterschreiben. Sie hatte diese Regentschaft durch keine Ränke erworben, und durch keine Kunststücke der Klugheit behauptet. Sie war das Werk der Ueberlegenheit, die ein starker Geist über einen schwachen hat. Der Fürst fühlte einen förmlichen Widerwillen gegen alle Regierungssorgen in sich, und war auch durch seine Liebhabereyen schon zu sehr beschäftigt, als daß er sich noch mit andern Dingen hätte beladen können. Er wünschte sich Glück dazu, ein Weib gefunden zu haben, die nach seiner vollen Ueberzeugung so ganz dazu taugte, seine Stellvertreterinn zu seyn. Doch war er sehr eifersüchtig darauf, den Namen des Landesregenten zu behaupten. Er gestattete es deshalb seiner Gemahlinn nicht, irgend etwas zu unterzeichnen; und da sich bey seiner Arbeitsscheu die expedienda oft zu großen Stößen anhäuften, so ließ er lieber seinen in Kupfer [18] gestochenen Namen unter die Resolutionen drucken. Dieß ist ein excellentes Erleichterungsmittel für große Herren, die nicht gerne mir der Feder umspringen. Auch der kürzlich verstorbene Herzog Ludwig von Wirtemberg hat sich desselben, nach dem Beyspiele des guten Adolph’s fleißig bedient.

Der besagte Geheime Rath von Frankenstein war die Axe der Regierungsgeschäfte, und besaß das ganze Zutrauen der beyden fürstlichen Personen. Er galt für einen gewichtigen und furchtbaren Mann. Seine Protektion war beinahe so viel werth, als die Protektion der Fürstinn. Denn selten stießen sie gegen einander an, und es kamen Fälle vor, wo sie ihm, mit dem Widerspruche ihrer Ueberzeugung, aus dem Wege trat. „So viele Gelehrtsamkeit, und so viele erprobte Tugend, versicherte sie einst öffentlich, erfordern manchmal blinden Gehorsam.“ Was sie aber Gelehrsamkeit nannte, war dasselbe Ding, das wir Illuminatismus und Aufklärung nennen; und die erprobte Tugend war eine heidnische Werkheiligkeit, ohne Glauben und ohne Religionsgefühl, so wie z. B. die Tugend des Aristides, des Sokrates und des Kato.

[19] Noch war ein drittes Glied in dieser Kette, – der Abbe, Lucius, Beichtvater der Fürstinn. Weiß der Himmel, wo sie ihn aufgegabelt hat, diesen entarteten Zweig des priesterlichen Stammes! Sie brachte ihn mit ins Land, als sie als Braut bey uns einzog, und mit ihm alles Gift, das die Zeit-Philosophie und die Aufklärung in ihrer lieblichen Schale verbergen. Diesen Mann, empfehlend durch ein hohes Maaß von Beredsamkeit, äußerer Eleganz und feiner Sitten, und in seinem Betragen eher einem geübten Tanzmeister als einem bescheidenen, sanftmüthigen Priester ähnlich, tönte in Meinungen, Grundlagen und Gesinnungen ganz mit der Fürstinn ein. Statt des Breviers las er Wieland’s Agathon, statt des Bellarmin’s, Doderlein’s Dogmatik, und statt der orthodox-katholischen Philosophien von Stattler und Zallinger, Bayle’s Wörterbuch und Kant’s Kritik der reinen Vernunft. Seine Predigten waren Centonen aus Cramer, Spalding und Zollikofer, und wenn er die Messe las, so hieng er mit seinen Gedanken an der travestierten Aeneide. Seine Bibliothek bestand aus lauter Haiden, [20] Protestanten und Naturalisten, und vor seinem Schreibtische hieng Klopfstok’s Portrait, der die Leidensgeschichte des Erlösers in eine homerische Epopoe verwandelt hat. Er war Mitarbeiter an der allgemeinen teutschen Bibliothek und an der oberteutschen Litteratur-Zeitung, und ein Genosse des in Baiern so weise und glücklich zernichteten Illuminaten-Ordens. Jeden Posttag erhielt er Briefe von Sailern in Dillingen, von dem zum hohen Troste aller glaubigen Seelen guillottinierten Schneider in Bonn, und von Ruef in Freyburg; und mit jedem Posttage schrieb er Briefe an Weishaupt in Gotha, an Westenriedern in München, an Pater Beda in Donauwerth, und an Werkmeistern in Stuttgardt In hoher Luft flatterte er mit dem Irrwische der Aufklärung umher, und hatte es keinen Hehl, daß er weder die Untrüglichkeit des Pabstes, noch die immaculata conceptio, noch Gaßner’s Wunderkuren glaube. Dabey aber wandelte er in der Gestalt der Engel einher, spielte die Rolle des Frommen und des Menschenfreundes, und entlehnte die Larve der Tugend, um durch sie seiner Lehre Eingang zu [21] verschaffen. Genau so hatte es der gefährlichste aller Gottesläugner, Benedikt Spinoza, auch gemacht.

Meine Leser werden staunen, wenn ich ihnen erzähle, was dieser Mensch, in Verbindung mit der Fürstinn, und unterstützt von seinem Spießgesellen Frankenstein, für Unfug und Spektakel unter der armen strahlenbergischen Heerde angerichtet hat.


Zweites Kapitel.
Der Held der Geschichte.

Mit tiefem Kummer sah der ehrwürdige fromme Pater Simpert, der Beichtvater des regierenden Fürsten, dem Unwesen zu, das sein Kollege, unter dem Schilde einer so mächtigen Protektion, an dem Hofe trieb. Dieser falsche Prophet war mit seiner wohlgerathenen Zöglinginn kaum ins Land gekommen, als der erstere sogleich die ganze Pfütze von Bosheit und Ketzerey bis auf ihren Grund durchschaute, die derselbe in seinem Herzen verbarg. „Lieber Thomas, sprach der bedrückte Pater damals oft zu mir, wenn er Abends vom Hofe [22] zurücke kam, und ich ihm die Treppe hinauf leuchtete, es stehen uns böse arge Zeiten bevor. Ach! der gute Herr hat einen gewaltigen Mißgriff gethan. Mein Einfluß ist dahin. Der Glaube und die Frömmigkeit werden unterliegen. Der fremde Pfaffe ist ein Irrlehrer und ein Schismatiker, und er hat das Herz der Fürstinn!“ –

„Dieß aber unter uns!“ – setzte er jedesmal hinzu. Denn Simpertus war ein feiner Kopf, ein gewandter Weltmann, und ein Ex-Jesuit, wie ihr sehen werdet, der zu temparisieren, und einen künstlichen Plan anzulegen, und – mochte auch die Galle noch so sehr in ihm kochen – denselben Jahre lang, mit festem Gleichmuthe durchzuführen verstand.

Unter der vorigen Regierung und auch bey dem itzigen Fürsten war er, ehe der neue Planet aufgieng, der erste Mann des Hofes und des Staates. Er hatte alle Stellen vergeben, alle Justiz- und Gnadensachen entschieden, und alle Angelegenheiten des Hauses ins Reine gebracht. Er war der Trost der Armen, der Schreken der Unterdrücker, der Stolz der Priester, und das Idol[3] des Landesherrn. Alles drang sich ihm zu, alles buhlte um seine Gunst, [23] alles huldigte ihm, wie einer – Mätresse. Nie hat aber ein Geistlicher seine politische Macht mit mehr Klugheit behauptet, als er. Alles, was er that, hatte den Anstrich, als geschehe es allein zur Ehre Gottes, (wie er denn auch in der That ein sehr frommer Mann war) und wenn er ausschließend für das Interesse der Kirche und der Priesterschaft handelte, so wußte er es immer so sein mit andern Interessen zu verweben, daß es das geübteste Auge nicht entdeckte. Man nannte deßhalb bey den Ordenskapiteln und bey der bischöflichen Kurie seinen Namen nicht anders, als mit der größten Achtung. Und als der Pabst, auf seiner Rückreise von Wien, nach Augsburg kam, so ließ er ihm zum Fußkusse, lobte seinen Eifer für die Kirche, und gab ihm seinen oberpriesterlichen Segen.

Diesen Eifer hatte er auch öffentlich durch mehrere Schriften erprobt. Er war regelmäßiger Mitarbeiter von der Kritik über Kritiker, die in Augsburg heraus kommt, Sein Marianischer Liebesgarten ist noch itzt eines der beliebtesten Erbauungsbücher, und ganz im Geiste des salbungsvollen Paters Kochem geschrieben. In einer Reihe sieben gedrukter [24] Predigten, hat er mit mathematischer Evidenz dargethan, daß niemand außer den Katholiken selig werden könne. Diese Predigten wurden ins Spanische übersetzt, und über tausend Exemplare davon giengen allein nach Baiern. Dann schrieb er mehrere große Werke gegen Frebronius, Sterzinger, Eybel und die Salzburger Recensenten, in denen die ganze polemische Energie des seligen Weislinger’s herrscht. Alle Schriften des Herrn Kanonikus Weissenbach giengen vor ihrer Erscheinung durch seine Korrectur, und dem Buchhändler Wolf in Augsburg diente er bey den ihm angebotenen Verlagsartikeln als kritischer Rathgeber. Hiebey verfertigte er auch alle Jahre die Komödien, welche von den hiesigen Jesuiter-Schülern aufgeführt wurden, und worinn meine Wenigkeit gewöhnlich eine Rolle erhielt. Was das für mein glaubiges Herz für ein Labsal war, wenn ich die Person des Beelzebubs spielte, und so meinen Jocus mit dem vertrakten Martin Luther treiben durfte, und mit seiner schändlichen Buhldirne, Katharina von Born!

Aber das ganze Gewicht dieses so verdienstvollen Mannes wurde in dem Augenblicke federleicht, [25] als die neue Fürstinn an dem Hofe erschien, und gerade er war es, der das am frühsten bemerkte, und zuerst die Trauer-Cantate anstimmte: die Krone unsers Hauptes ist abgefallen!

Freylich hatte Fürst Adolph zu viel Redlichkeit und Offenheit in seinem Charakter, als daß er dem frommen Pater die veränderte Constellation durch ein gefärbtes Glas hätte zeigen sollen. Indessen traute Simpert seiner Würde, seiner Tugend, und seinen Verdiensten noch lange den alten Einfluß zu. Aber mit jedem Anbringen kam er zu spat, oder erhielt einen faden Hofbescheid, oder wurde gar abgewiesen. Endlich erklärte er dem Fürsten rund und frey sein Befremden, ließ dabey ein Paar wehemüthiger Thränen fallen, und griff dem guten Herrn derbe an das Herz.

„Er hat nicht ganz unrecht, erwiederte derselbe, aber sieht er, Pater Simpert! es sind nun auch die vorigen Zeiten nicht mehr. Ich habe ein Weib genommen, und also bin ich nicht weiter ein Junggeselle. Und mein Weib – sie hat bey Gott Verstand, und behandelt alle Regierungssachen comme il faut. Ich habe [26] ihr zu meiner Erleichterung einen Theil davon überlassen, und da brauch ich ihn schon weniger. Ich kann auch immer nur einen von euch beyden folgen. Denn – ich weiß nicht, wie es kommt, wenn die Fürstinn links zieht, so zieht er rechts. Natürlich muß ich mich dann auch links halten, um des lieben Hausfriedens willen. Laß er sich aber das nicht kränken. Wir bleiben doch gute Freunde. Auch ist es ihm unbenommen, mir mit seinem Rathe an die Hand zu gehen; nur akkordiere ich mir dabey die Freyheit, zu thun, was ich will. Denn ein Rath ist kein Befehl. Versteht er Pater Simpert?“

Das war das Todesurtheil für die politische Wichtigkeit des frommen Mannes. Schwer seufzend wankte er nach Hause, klagte den Mauern seiner Zelle seine Leiden, und flehte manche bange Nacht hindurch zur Himmelsköniginn, daß sie, die die Rathschläge des Allmächtigen lenkt, ihm das Herz des Fürsten wieder gewinnen möchte. Noch immer kamen[4] Bedrängte zu ihm, und baten ihn um sein kräftiges Vorwort. Aber das schlug ihm jedesmal eine neue Wunde. Er mochte es den Leuten nicht geradezu [27] eröffnen, auf welch’ tiefen Grad das Barometer der Hofgunst für ihn gefallen sey. Er gab ihnen leere Versprechungen. Er tröstete sie mit seinem guten Willen. Aber in seinem Innern rief die Stimme des Bewußtseyns laut und schröcklich, ich vermag nichts mehr, gar nichts mehr!

Bald trug die Fama, die bekanntlich auf den Flügeln[5] des Windes geht, die Kunde in der Stadt und in dem Lande umher, der Pater Simpert sey in Ungnad gefallen. Er hatte mir den Auftrag gegeben, im Stillen die Stimmung des Publikums zu sondieren. Ich schlich in alle Winkel, lauschte an allen Thüren, und griff Leuten vom ersten Range auf den Puls. Aber ich durfte dem unglücklichen Mann meine Bemerkungen nicht mittheilen, ohne sie erst, wie die Pillen, in eine Oblatte eingewikelt zu haben. Denn die Hofleute und der Pöbel sind dem Wetterhahne auf dem Dache gleich. Sie drehen sich nach dem Winde. Jene hatten den Gefallenen bisher beneidet, nun freuten sie sich seines Falls. Dieser aber bedurfte seiner nicht mehr; also war er ihm gleichgültig. Selbst Simpert’s Kreaturen lohnten ihn beynahe sammt und sonders mit Undank. Sie zogen sich scheu von ihm zurücke, [28] als kennten sie ihn nicht, um sein Loos nicht mit ihm zu theilen. Das ist der Lauf der Welt. Man schätzt und ehrt den andern nur in dem Verhältnisse, in dem man Vortheil oder Schaden von ihm erwartet.

Jedoch blieben Simperten noch einige Freunde, die treu und männlich bey ihm ausharrten. Das waren die Ex-Jesuiten in der Stadt und auf dem Lande, und wenige redliche Männer aus dem Weltpriesterstande, die in ihm bisher nicht dem einflußreichen Hofmanne, sondern der starken, unerschütterlichen Säule der Kirche gehuldigt hatten. Diese pflegten freundlich seiner Wunden, brachten ihm Trost und Ermunterung, und stärkten seinen Muth, indem sie in allen ihren Gesprächen und Briefen den Zuruf wiederholten „Man muß nicht feige unterliegen. Gott übt die Geduld seiner Glaubigen, um sie desto mehr vor der Welt zu verherrlichen. Wandle unermüdet auf deinem Pfade fort. Selten verliert man ein Gut, das man durch Schlangenklugheit und festen Muth nicht wieder fände.“

[29]
Drittes Kapitel.
Vorbothen des neuen Heidenthums. Das dicke Buch.

Simpert war ein feiner, durchtriebener Kopf, und unter den Ränken und Planen des Hoflebens grau geworden. Da er wohl sah, daß er auf dem geraden Wege seinen vorigen Einfluß nie wieder erlangen konnte, so schlug er einen Umweg ein, der, wie er glaubte, durch die Fürstinn in das Herz ihres Gemahls führte. Er entfernte alle äußere Zeichen von Unmuth und Mißvergnügen, legte die Schminke der Heiterkeit und der Freude auf seine bewälkte Stirne, näherte sich der Gebieterinn des Landes mit Ehrfurcht und Schmeicheleyen, und gab ihr oft genug zu erkennen, wie viel ihm ein Blick der Gnade aus ihrem schönen Auge werth sey. So viele Erfahrungen hatten ihn schon gelehrt, daß der Klugheit, welche die arge Welt den Pfaffentrug nennt, nichts unmöglich sey, und daß durch sie manche Festung bezwungen werde, die jeder feindseligen Unternehmung, und dem heftigsten Sturme trotzte, Und so glaubte [30] er, dürfte er in majorem Dei gloriam den Mantel schon ein wenig nach dem Winde hängen. Aber leider! klagte er mir nur allzubald: die Festung, o Thomas, scheint unüberwindlich!

Es fehlte dem frommen Simpert das Instrument, daß zu dem Tone stimmte, den die Fürstinn angab. Da sprach man nur von neuer Litteratur und Philosophie, von schönen Wissenschaften und Journalen, von Wieland und Göthe, von Lessing und Klopstock, von Garve und Kant, – und das waren alles Dinge, die der Pater entweder von ganzem Herzen haßte, oder nicht kannte, oder unter einer Todtsünde nicht kennen lernen wollte. Da saß er dann, indem sich der extrakluge Lucius mit seiner neumodischen Lektüre neben ihm professormäßig brüstete, in dem Zirkel der Fürstinn, ohne ein Wort in die Gespräche desselben mischen zu können, und vermochte es nicht, das in ihm entstehende Gefühl zu unterdrucken, daß er aus der Mode gekommen sey, wie ein alter Huth. Es war doch eine Art von Demüthigung, wenn er auf die Frage der Fürstinn, ob er dieses oder jenes Buch gelesen habe? mit einem trockenen nein, antworten mußte, und es hieß seinem gerechten geistlichen Stolze an [31] die Kehle gegriffen, wenn die anwesenden Herren und Damen manche seiner Behauptungen, die freylich nicht zu ihrem Tone klangen, mit einem wilden Lachen erwiederten, das ihn unverkennbar für einen armseligen Pinsel erklärte. Unter diesen Umständen war nichts zu hoffen. Der arme Simpert mußte schweigen und dulden, und besserer Zeiten harren.

Das Unwesen der Aufklärung wurde mittlerweile Hofton, und steckte an, wie der Schnupfen oder die Pest. Nur der Fürst nahm keine Notiz davon. Er blieb für seine Person bey der alten Weise. Die Fürstinn, der geheime Rath, und der Abbe bildeten das Kleeblatt der Weisen. Niemand blähte sich aber, in dem Gefühle seiner Erleuchtung, übermüthiger auf, als der letztere. Er betrachtete sich, als das Orakel des Hofes, und – was das traurigste war – jedermann hielt ihn auch dafür. Alles wollte nun aufgeklärt und erleuchtet seyn. Die Kavaliers und die Dames spazierten mit Almanachen in der Hand auf der Promenade umher. Die Kammerjungfern studierten Romane und Schauspiele, und die Livree-Bedienten sprachen von dem philosophischen Jahrhunderte. Der Hofjude hieng Mendelsohn’s [32] Portrait in seiner Bude auf, die Stallknechte ließen sich, während des Sttiegelns der Pferde, das Noth- und Hilfsbüchlein vorlesen, und auf der Schloßwache zirkulierte ein Exemplar von Bekers teutscher Zeitung. Bey Tafel unterhielt man sich über die Produkte der lezten Messe, und spottete auf die leichtfertigste Art über die heiligsten Dinge. Ein Büchertrödler in der Stadt legte ein Lese-Kabinett an. Wer jährlich nur einen Thaler vom Hofe bezog, drang sich in die Predigten des hochweisen Abbes, und da die Kirche immer dicht voll war, so stiegen Herren und Frauen auf Leitern an Fenstern hinauf, welche dem Fürstenstuhle gegen über angebracht waren.

Simpert, entschlossen seiner Gegenparthey, und besonders ihrem Chef, gegen die nun List und Ranke vergeblich schienen, offene Fehde zu bieten, setzte sich in einer Stunde der Entrüstung, entwarf den Plan zu einem polemischen Buche voll zentnerschweren Gehalts, dem er den imposanten Titel gab: die itzige Aufklärung, ein Werk des Teufels, und ließ nicht ab, bis er dasselbe ganz vollendet hatte. Es betrug einen dicken Band in groß octavo. Er bewies darinn aus der Schrift, aus den [33] Kirchenvätern, aus den päbstlichen Canonibus und aus den Verordnungen der ökumenischen Concilien, daß der Mensch nicht zur Kultur der Vernunft geschaffen sey. Diese müsse als ein Stück der Erbsünde betrachtet werden, und eben deßhalb habe Gott seine Kirche gestiftet, und mit einem untrüglichen Haupte begabt, daß niemand die Wahrheit durch eigenes Forschen suche, sondern sich in allem mit den Aussprüchen des entscheidenden Richters beruhige. Der Teufel, fuhr er fort, habe den Menschen, besonders in der itzigen Zeit einen Geist des Vorwitzes eingeblasen, so daß nun jedermann philosophieren, spekulieren, weise und erleuchtet seyn, und die von der Kirche bestimmten Schranken des Vernunftgebrauchs überspringen wolle. Dieß Verderben äußere sich besonders durch die überhandnehmende Lesewuth, die sich sogar auf solche Menschenklassen erstrecke, die sonst einen natürlichen Abscheu vor allem gedruckten gehabt haben, was besonders durch das Beyspiel des höhern und niedern Adels erläutert ward. Zwar werde damit die Lektüre der Erbauungsbücher, der Predigten, der Legenden und Martyrologien nicht verworfen; aber heut zu Tage lese man [34] nichts, als Romane, Gedichte, Schauspiele, Journale und verführerische philosophische Werke, und kümmere sich nicht, ob sie von Heiden, oder Juden, oder gar Protestanten geschrieben worden. Dadurch werde die heilige katholische Religion untergraben, der Unglaube ausgebreitet, die verderbliche Toleranz befördert, und der Keim des Lasters, der Ausschweifungen und des Empörungsgeistes in die Herzen gelegt. In dem glücklichen Mittelalter habe der Teufel sein Werk durch Hexen und Zauberer getrieben, in der itzigen Periode treibe er es durch Schriftsteller und Philosophen. Die Landesobrigkeiten sollten dießhalb auf ihrer Hut seyn, und die Gesetze, weiche man ehemals gegen die erstern exerciert, nun auf die letztern anwenden, und durch alle Mittel, die ihnen zu Gebote stehen, durch Kassation, Landesverweisung, Festungsstrafe, Galgen, Rad und Scheiterhaufen ihrem Unfuge steuern.

Um die Kraft seines Angriffes zu verstärken, theilte Simpert das Manuscript vor dem Abdrucke mehreren großen Männern seiner Parthey, die sich schon eher viel Uebung in den Kämpfen gegen die Novaturienten erworben hatten, mit. Der Pater Zeiler in [35] Augsburg vermehrte es mit 2 neuen Kapiteln,[6] der Pater Frank in München begleitete es cum notis perpetuis, und die theologische Facultät in Ingolstadt schrieb eine Vorrede dazu. Der Buchhändler Wolf nahm das Werk in Verlag, und ließ es, sogleich nach seiner Erscheinung, in der Kritik über Kritiker, als das non plus ultra obskurantischer Polemik ankündigen. Selbst in dem protestantischen Journal, das damals der Professor Müller zu Büzow heraus gab, erhielt es die größten Lobsprüche. Es fand reissenden Abgang. Seine kurfürliche Durchlaucht von Trier abonnirten allein auf 200 Exemplare. Der König von Preußen gab Befehl, daß es bey allen katholischen Pfarrern seiner Staaten angeschafft werden mußte, und die beyden Fürsten von Hohenlohe von der Waldenburgischen Linie, ließen es auf eigene Rechnung vor den Kirchenthüren ihres Landes verkaufen.

Weniger Sensation machte das Werk an dem Hofe zu Strahlenberg, weil bekanntlich ein Prophet überall mehr gilt, als in seinem Vaterlande, und unter seinen Freunden. Simpertus überreichte ein Exemplar, im prächtigen Marmorband gebunden, dem Fürsten. [36] Dieser nahm dasselbe sehr freundlich auf, betrachtete es, ohne es zu öffnen, von allen Seiten, und nickte dem wartenden Autor gnädig zu.

„Bravo, mon ami! ein schönes Stück von Buchbinderey.“

Ich hoffe, daß der Inhalt Euer Durchlaucht nicht weniger gefallen soll.

„Er weiß, daß mich das nicht viel kümmert. – Ein Gebethbuch? – Hm!“

Es ist eine Schrift gegen die Aufklärung.

„Ach! da ist er von meinem System. Das ist ein langweiliges Ding um die Aufklärung, und ich begreife nicht, was die Leute für eine Freude an den grünen, und blauen, und scheckigten Aufklärungs-Brochüren haben. – Doch chaqun à son goût!“

Euer Durchlaucht sind auf dem geraden Wege zur Wahrheit.

„Aber darum möcht’ ich doch sein Buch gegen die Aufklärung nicht geschrieben haben. Weiß er, daß das die Fürstinn disgustieren wird?“

[37] Die Wahrheit scheut keinen Menschen, und in jedem Fall baue ich auf die Protektion meines gnädigsten Herrn.

„Ja – in billigen Sachen. Aber man muß den Leuten ihre Freude nicht verderben. Die Aufklärung ist freylich ein sehr abgeschmacktes und ennuyantes Ding, aber doch etwas Unschuldiges. –“

Nicht so unschuldig, als Euer Durchlaucht glauben. Möchten Sie die Gnade haben, mein Buch aufmerksam durchzulesen, ich bin es gewiß, Sie werden ganz anders urtheilen.

„Wie? – dieß Buch, dieß dicke Buch meynt er soll ich durchlesen, vom Titelblatt bis zum Register? Gott im Himmel, was das für eine Marter wäre? Da wollt’ ich lieber auf der elendesten Mähre von Neapel bis Petersburg reiten. – He, Jean Baptist – le chevaux au carosse! – Adieu, Pater! Er kann sein dickes Buch wieder mitnehmen.“

Tief beschämt und ganz vernichtiget stand der gute Simpert, seufzte laut auf, nahm das opus gravissimum unter seinen Mantel, gieng nach Hause und weinte bitterlich.

[38] Aber das war noch nicht die größte Demüthigung. Der fromme Priester sollte durch jede Anfechtungsprobe gehen, damit am Ende sein Sieg desto herrlicher glänze. Mit heiterer Stirne, als ob nichts geschehen wäre, erschien er am folgenden Tage bey der Tafel. Die Illuminaten hatten bereits Nächte durch über seiner Schrift gebrütet, und eine allgemeine Bestürzung verbreitete sich über ihre ganze Rotte, als sie sich hier in einem Gewebe von Gründen verstrickt sahen, aus dem überall kein Ausweg offen stand. Der Abbe hatte sich zwar anerboten, eine Art von Widerlegung in die Welt ausfliegen zu lassen, um wenigstens zu beweisen, daß man sich nicht auf discretion ergeben habe. Die Fürstinn hielt es aber für unschicklich, daß die Hofpriester in Federkriegen mit einander liegen sollten, und untersagte ihm seinen unzeitigen apperitus scribendi mit Ernst und Nachdruck. Ja unterrichtete Leute behaupteten sogar, die belobte Schrift habe eine Art von Spaltung unter den Aufklärern erregt, die Schwachen erschüttert, und die Starken in Faktionen zertheilt. Das war Simperten alles durch seine Kundschafter treulich berichtet. Um so zuversichtlicher konnte [39] er unter seinen Feinden auftreten, und um so entschlossener war er, jedes neckende Wort zu erwiedern, das der Unwille, oder der gährende Gram aus ihnen hervor stoßen konnte. Die Herren schwiegen jedoch weislich stille, und keiner berührte auch nur von weitem den Stein des Anstosses, den der Pater in ihre Mitte geworfen hatte.

Aber eben dieß Stillschweigen erregte in ihm schon einiges Mißbehagen. Denn selbst Einwürfe und Tadel sind dem Schriftsteller weniger kränkend, als ein gänzliches Stummseyn über sein Produkt; und ich erinnere mich noch sehr deutlich, daß mich einst der hochgelehrte Hr. Hofrath von Ekkartshausen in München versichert hat, er wölle lieber in der allgemeinen teutschen Bibliothek oder in der lutherischen Litteratur-Zeitung bis auf das Blut gestriegelt, als übergegangen seyn. Es hat in dem letztern Falle das Ansehen, als wäre der Mann und seiner Hände Werk so unbedeutende Objekte, daß es sich gar der Mühe nicht verlohne, nur ein Wort über sie zu verlieren. Das fühlte der Pater wohl, und es kam ihm schwer an, sich zu überreden, seine [40] Feinde seyen nur stumm ans Furcht und Aerger. Unglücklicher Weise unterbrach der Fürst ihr Stillschweigen auf eine – salva venia – höchst tolle Art.

A propos, ma chere! sprach er zur Fürstinn, was mir gestern mein Simpertus da für eine Zumuthung macht.“ (Alle Ohren waren gespannt, und auf dem Gesichte des biedern Alten sah man konvulsivische Bewegungen.) „Da bringt er mir ein ungeheures dickes Buch, so dick bey Gott! als die stärkste Thürschwelle, und verlangt, ich soll das Buch von Anfang bis zu Ende durchlesen. Bin ich denn, sagte ich, ein Vatermörder, oder ein Blutschänder, daß er mir eine solche Buße auflegt? Wenn er aber darauf beharrt, so werde ich Sie, ma chere! zu meiner Stellvertretterinn aufstellen. Nur ist das Buch gegen die Aufklärung gerichtet, und so entsetzlich dick, daß mir, bey meiner Ehre! die Haut schautert, so oft ich daran gedenke.“

Ein schallendes Gelächter erfüllte den ganzen Saal, die Illuminaten machten witzige Anmerkungen über die dicken Bücher gegen die [41] Aufklärung, und die Fürstinn sagte dem Abbe in einem fürchterlich schneidenden Tone, daß sie diese Buße ihm übertragen werde. – Als Simpert an diesem Tage von der Tafel zurück kam, war er so tief niedergebeugt, wie eine Ehebrecherinn vor dem Beichtstuhle, und so düster, wie ein junger Priester, den der Wollustteufel, einem empfänglichen Mädchen, vis a vis überlistet hat. „Ach, Thomas! sprach er, ich habe nicht nur die Hofgunst verlohren, sondern ich werde auch bald die Märtyrerskrone empfangen“.


Viertes Kapitel.
Das neue Heidenthum in optima forma. Theologisches Stiergefechte.

Um diese Zeit wurden durch das Ansehen der Fürstinn nach und nach mehrere Anstalten und Verordnungen durchgesetzt, um die Aufklärung, die sich bisher nur auf den Hof und seine [42] Söldner beschränkt hatte, über das ganze Land zu verbreiten, und so das fromme glaubige Strahlenbergische Völklein zu einem scheußlichen Gesindel von Protestanten und Naturalisten umzuarbeiten. Man suchte diesen saubern Plan besonders durch eine veränderte Einrichtung der öffentlichen Erziehung zu bewirken, und machte den Anfang mit dem Lyceum in der Residenz, welches bisher eine der blühendsten teutschen Jesuiterschule gewesen war. Die drey ältesten Lehrer desselben, würdige, fromme Söhne des heiligen Ignatius, und brennende Eiferer für das System ihres so grausam aufgehobenen aber um deßwillen doch nicht zernichteten Ordens, erhielten, so sehr sie auch gegen diese Gnade protestierten, Kanonikate an der Stiftskirche, und statt derselben spedierte der schleichende Sailer von Dillingen 5 Zöglinge aus seiner Kraft- und Lichtschule hieher, welche sogleich anfiengen, die verkehrte Welt zu spielen, und das ganze so trefflich eingerichtete Schulwesen chaotisch zu verwirren. Man sah, was in diesem Lande unerhört war, einen Lehrer der schönen Wissenschaften auftreten, der, statt seinen Zuhörern die Rhetorik nach der alten Weise vorzutragen, und ihnen die Tropen [43] und Figuren zu erläutern, Vorlesungen über Horaz und Wieland hielt, und sie, statt der zuvor gewöhnlichen Chrieen in lateinischer Sprache, teutsche Briefe, Reden und Gedichte verfertigen ließ. Dabey begieng er noch die Thorheit, und traktierte ihnen Adelung’s Grammatik, gleich als ob unsere junge Leute ihre Muttersprache nicht schon in dem gemeinen Leben lernten.

Die bisherigen Lehrbücher wurden verdrängt, und man trug die Philosophie nach Feder, und die Universal-Historie nach Schröckh vor, so daß wir von nun an eine lutherische Philosophie und eine lutherische Geschichte hatten. Eben so lehrte man in den untern Schulen ein lutherisches Latein, nach Schellern und Stroth und oben drein trug man alle Wissenschaften in teutscher Sprache vor. Die bisherigen Schul-Comödien wurden abgeschafft. In den Landschulen wurde die berüchtigste Normal-Methode eingeführt, und ein Normal-Direktor von Salzburg verschrieben, der eine Menge neuer Schulbücher mitbrachte. Die jungen Priester giengen auf landesherrliche Kosten nach Dillingen, um daselbst unter Sailern [44] Webern und Zimmern in die Geheimnisse der neuen Weisheit eingeweiht zu werden. Die Lese-Bibliothek kam unter öffentliche Aufsicht. Man versande die Bücher in das ganze Land, und jedermann ließ sich in die Liste der Theilnehmer aufzeichnen, weil man nun durch die Aufklärung bey Hofe sein Glück machen konnte. Die bischöflichen Bücherverbote wurden verhöhnt, und den sämmtlichen Druckereyen die Censur-Freyheit eingeräumt. Man stellte sogar auswärtige Protestanten in fürstliche Dienste an, und um auch vollends dem Allmächtigen geradezu Trotz zu biethen, setzte man auf die öffentliche Gebäute – Blitzableiter.

Die Hauptperson, die alle diese ärgerlichen Anordnungen leitete, war der Abbe. Er hatte der Fürstinn schon eher einen vollständigen Plan über die allmähliche Landesaufklärung übergeben, und nachdem derselbe von dem Baron von Frankenstein revidiert, gefegt und geputz worden war, mißbrauchte man den Namen des Fürsten, um ihn Punkt für Punkt auszuführen. Die sämmtlichen Predigten des Abbe waren ganz auf die Absicht angelegt, die Leute zu illuminiren. Jeden Sonntag kam er mit einem [45] neuen Vorurtheil zu Markte, um es zu widerlegen, und dann auf seiner Siegesbühne zu triumphieren. Und diese Vorurtheile waren z. B. die Sätze: man könne nur in der katholischen Kirche selig werden, man dürfe in Glaubenssachen die Vernunft nicht gebrauchen, man sey gegen andere Glaubensgenossen nicht zu Liebeswerken verpflichtet, u. s. w. Im Anfange hatte mich Simpert zu seinem Spion in der Hofkapelle gemacht, und es entgieng meiner gespannten Aufmerksamkeit keine einzige Ketzerey, die der Abbe aussprach. Diese Maaßregel ward aber bald überflüssig. Denn der letztere[7] ließ, wie er vorgab, auf fürstlichen Befehl, nach dem Beyspiele mehrerer protestantischen Prädikanten jeden Samstag die Einwürfe seiner Predigten drucken, und in der Stadt und auf dem Lande weit und breit vertheilen. Das war ein künstliches Manoeuver, um die Wirkung seines Giftes in Extensione zu vermehren, und zugleich den übrigen Geistlichen des Fürstenthums Muster und Beyspiel eines aufgeklärten Vortrags in die Hände zu liefern. Die besagten Entwürfe wurden den letztern unentgeldlich mit der Post, wie die Zeitungen, zugeschickt.

[46] Die meisten von ihnen nahmen sie, aus verächtlicher Politik, an. Viele ahmten sie nach, indem sie, aus Streben nach Menschengunst, die Entscheidungen der Kirche mit der aufgekommenen Hof-Theologie vertauschten. Einige hatten den Muth, sich dem Stolze, womit sich ihnen der Abbe zum Originale aufdrang, zu widersetzen, und schickten sie unerbrochen zurück. Einige tapezierten die Wände ihrer heimlichen Gemächer damit.

Es wurde aber doch bald genug bemerkbar, daß die gemachten Anstalten ihr Ziel bey weitem nicht ganz verfehlen. Da sich das Böse der verdorbenen Menschen-Natur überall leichter insinuiert, als das Gute, so sah Lucius Leute in allen Ständen, die seiner Weisheit huldigten, und die Fürstinn Sklaven, die ihre Absichten eifrig beförderten. Zwar haßten neun Zehntheile der Klerisey das neue Licht von ganzem Herzen; aber nur wenige waren entschlossen genug, ihm mit der Putscheere, oder mit dem Feuereimer nahe zu kommen, und andere, die entweder wirklich schon angesteckt waren, oder dem allmächtigen Weibe hofieren wollten, machten sich das ehrlose Geschäfte, selbst Oel herbeyzubringen, [47] und in die Lampe zu gießen. Und was stand nicht alles von den jungen Leuten zu befürchten, die von den anologischen Professoren an dem Lyceum erzogen, und dann auf die Universitäten nach Salzburg, Dillingen und Wirzburg geschickt wurden? Die Aufklärung war ihr Losungswort, ihr Gruß, ihr Morgen- und ihr Abendsegen, und ihr Traum. Mit stolzer Verachtung warfen sie die alten Schätze der Scholastik und Dialektik hinweg, und lasen dafür Journale, Romane, Almanachs, Reisebeschreibungen und neumodische Broschüren. Ihre bisherigen Lehrer betrachteten sie als armselige Wichte, und besuchten ihre Stunden nur noch, um sich über sie lustig zu machen. Ich war selbst mehr, als einmal Zeuge, wie sie über den Pabst, den Celibat, die Klostergelübde und die Jesuitische Methode spotteten, und auf die Gesundheit ketzerischer Schriftsteller tranken. Der Abbe war ihr Idol[8], und die Fürstinn ihre Madonna. Welch’ traurige Aspekten boten sich hier einem dar. Der Blick in die Zukunft war grauenvoll. Die benachbarten Protestanten trugen sich schon, in Bierhäusern und auf Jahrmärkten mit der Neuigkeit: in ganz Strahlenberg werde nächstens alles lutherisch.

[48] So stand denn der gute, ehrliche, wohlmeynende Pater Simpertus, einsam und verlassen, mitten in den Ruinen der Kirche da, und schwamm hülflos in den Wogen des verdorbenen Hofes umher, wie die durstige Mücke in einem Bierglase. Zwar blieb der Fürst, in seinen Gesinnungen gegen ihn, immer derselbe. Er hatte alles Zutrauen zu ihm, in den Angelegenheiten seines Gewissens. Er nannte ihn noch immer seinen lieben Simplex. Er klopfte ihm noch eben so oft, als zuvor, auf die Achsel, oder kneipte ihn in die Wange. Auch trieb er noch ab und zu seinen gnädigen Spaß mit ihm, indem er ihm, nach seiner Gewohnheit, beym Spiele das Eichelaß auf den Mantel heftete, oder ihm statt des Schnuptabacks Sägemehl in die Dose prakticierte. Aber in weltlichen Dingen hatte er allen Kredit verlohren. Er ward perhorresciert, wie ein verdächtiger Assessor eines Kollegiums. Und die Saite von der Aufklärung durfte er schon gar nicht berühren. Denn da hieß es immer: „Das ist die Liebhaberey meiner Frau. Bringe er mir den Eheteufel nicht ins Haus. Lucius protegiert das Ding gewaltig, und der ist doch auch nicht auf den Kopf gefallen. Versteht er, Pater Simpert!“

[49] Das konnte aber alles den Muth des frommen Eiferers nicht niederschlagen. Er donnerte fürchterlich gegen die neuen Propheten auf seiner Kanzel. Der Pater Neumeister in Augsburg, seligen Andenkens, hat keinen Geisselhieb auf den Rücken der Lutheraner geschlagen, den Simpert nicht noch weit derber dem Rücken der erstern appliciert hätte. Wie Lucius für die neue Lehre zeugte, so eiferte, stürmte und tobte der Weislingerus redivivus für die alte. Und zwar bestand, wie man leicht begreift, dieser in seiner Art unendlich besser, als jener. Der erstere persuadierte durch die schlauen Künste der Eloquens; der leztere überzeugte durch geometrische Demonstrationen. Jener tauchte seinen Vortrag in das Lavendelwasser der schönen Wissenschaften ein; dieser sprach rauh, fest, derb, kernteutsch. Jener floß ruhig hin, wie ein stiller Bach, der desto tiefer gründet, oder wie eine Schlange, die dem Raube nachschleicht; dieser rauschte im Sturm einher, wie ein reissender Waldstrohm. Jener sprach wie ein Gelehrter auf dem Katheter; dieser wie ein Kapuziner, daß das Volk ihn faßte, und verstand. Jener neckte die Andersdenkenden durch Anzäpfungen und feine Sticheleyen; [50] dieser schlug sie mit dem Eselskinnbacken der Polemik auf die Köpfe, oder schoß mit den Kartetschen des Glaubenseifers unter sie, daß ihnen Hören und Sehen vergieng.

Die beyden Hofkappellen glichen um diese Zeit einem Fechtboden, oder einer Rennbahn. Denn jede Predigt von Simperten war eine förmliche Widerlegung der lezten, die Lucius gehalten hatte. War z. B. dieser gegen das dogma zu Felde gezogen, daß außer der Kirche kein Heil zu finden sey, so nahm jener das erstemal die gedruckte Disposition mit auf die Kanzel, gieng sie Punkt für Punkt durch, refutierte sie mit Kraft u. Klarheit, und brachte alles unter ordentliche Rubriken, z. B. dieser Satz ist atheistisch, der zweite lutherisch, der dritte kalvinisch, der vierte arianisch, und zeigte dann, wie der eine der Schrift, der andere der Tradition, der dritte dem concilium tridentino, &c. zuwieder laufe. Um die Schranken seines Wirkungskreises so weit als möglich hinauszurücken, ließ auch er die Skelete seiner Predigten drucken, und durch Büchelkrämer auf den Jahrmärkten und Kirchweihen verkaufen.

[51] Die Parthey der Aufklärer beobachtete bey diesem Beginnen ihres Antagonisten ein tiefes Stillschweigen, und Lucius selbst gieng gleichen Schrittes auf seinem bisherigen Wege fort, ohne es nur von Ferne merken zu lassen, daß er sich um den tapfern Streiter kümmere, der ihm auf der Seite stand, und unaufhörlich seine Pfeile auf ihn abdrückte. Freylich bewies diese Gleichgültigkeit zugleich, daß diese Pfeile ihn nicht tödlich verwundeten. Sein Ansehen bey Hofe, sein Beyfall bey dem Volke, und der Absatz seiner Predigtentwürfe wurden um nichts vermindert. Doch hatte Simpert den Trost, daß er das von seinem Kollegen in so starken Dosen vertheilte Gift durch sein Gegengift ziemlich schwäche. Denn der Zulauf war bey ihm eben so groß, als bey jenem, und auch von seinen Dispositionen wurden im Anfange sehr viele Exemplare verkauft. Aber, leyder! ließ beydes nur allzubald nach. Das Publikum fand sich durch die Kanzelkämpfe der beyden geistlichen Herren eine Weile amusiert, nannte den Pater den theologischen Goliath, und den Abbe den theologischen David, und betrachteten die Sache als eine Art von Spectakel, wie z. B. die Wiener den Kasperl [52] oder die Thierhetze. Ein jeder Spaß - was sich alle Spaßmacher wohl zu merken haben - verliert aber immer mehr, je länger er fortdauert. Das bewiesen die Herren und Damen von Strahlenberg. Mit jedem Sonntage war bey Simperten die Zahl der leeren Stühle größer. Endlich erschien sogar niemand mehr, als einige alte Weiber aus dem Spitale, und aus den Vorstädten, einige Kapuziner und Ex-Jesuiten und meine Wenigkeit, und der Verleger der Skelete erklärte: er könne sich weiter nicht mit denselben befassen; Se. Hochwürden hätten ihn bereits beynahe banqueraut gepredigt.


Fünftes Kapitel.
Die Jesus-Brüderschaft.

Der Pater Simpert hatte bisher seine Plane so oft scheitern sehen, daß er sich allein, ohne die Mithülfe anderer, nicht mehr Stärk genug zutrauen konnte, den Riß auszufüllen, [53] den die Philosophie in die Strahlenbergische Kirche gemacht hatte, und die fürchterliche Flamme der Aufklärung zu löschen, die in ihr empor loderte. Er und die gute Sache hatten aber noch Freunde und Verfechter im Lande, und die Kreaturen und Schmeichler der Fürstinn abgerechnet, waren die meisten Priester seines Glaubens, und ein großer Theil derselben war aus der Gesellschaft Jesu. Sie hatten bisher sein Schicksal aufrichtig bedauert. Sie waren ihm mit Rath und Trost brüderlich beygesprungen. Sie hatten mit betrübtem Herzen die Sündfluth der neuen Ideen gesehen, die über das Land herein ströhmte. Ein jeder von ihnen hatte in seinem Theile redlich gearbeitet, seine Heerde vor der Verführung zu bewahren, und ihr das Kleinod des allein selig machenden Glaubens unbefleckt zu erhalten. Aber jeder wirkte nur für sich. Es fehlte ihren Bemühungen an Einheit und Zusammenhang. Keiner hatte den Muth rasche und durchwirkende Schritte zu thun, weil jeder isoliert stand. Sich in ein Ganzes zu vereinigen, nach einem festen Plan zu handeln, und in dem Geiste einer starken und respectablen Partey zu wirken, das war der glückliche Gedanke, den [54] Simpert einst in einer schlaflosen Mitternachtsstunde erzeugte und gebahr. Sogleich legte er Hand an das Werk, und man wird sehen, mit welchem Segen der Himmel ihn belegt hat.

Er versammelte die sämmtlichen Ex-Jesuiten des Landes um sich her. Einige alte Landdechanten, von deren Eifer und Rechtglaubigkeit man überzeugt seyn konnte, so wie auch der Pater Beda, Guardian bey den Kapuzinern, erschienen sogleich in dem geheimen Zirkel. Der leztere war ein sehr brauchbarer Mann, voll glühenden Hasses gegen die Aufklärung, voll Muths, wenn es die Vertheidigung der Rechte und der Unabhängigkeit des Priesterstandes galt, und ein großer Meister in der Kunst, das Volk durch Verheißungen, Weissagungen und Mirakel zu lenken. Die Einladungsbriefe waren von meiner Wenigkeit verfertigt. Denn ich hatte immer die Ehre in geheimen Angelegenheiten Sr. Hochwürden als Amanuensis zu dienen, weil dieselben, vermöge des alten Sprichworts, docti male pingunt, eine sehr unleserliche Hand schrieben.

[55] Wie die Apostel bey der Ausgießung des heiligen Geistes, so saßen diese frommen Väter einmüthiglich auf Simpert’s Zelle beysammen, beseufzten den Verfall und die Gefahren des Strahlenbergischen Zions, und berathschlagten sich ein langes und breites über die Fragen: wie Simperten sein alter Einfluß wieder verschafft, die Fürstinn und der Abbe gestürzt, die neuen ärgerlichen Anstalten zerstöhrt, und der Kakodämon der Aufklärung aus allen Köpfen und Herzen vertrieben werden könnte? – Das Resultat ihrer Deliberationen war eine enge brüderliche Verbindung aller ächten Katholiken des ganzen Landes, und ein gemeinsames Zusammenwirken derselben auf den einen Zweck der Verfinsterung. Die sämmtlichen Anwesenden ernannten sich zu den Häuptern der neuen Brüderschaft, jeder übernahm die Verbindlichkeit in seinem Wirkungskraise für sie zu werben, und alle kamen mit einander überein, daß ihre Arbeit in tiefester Stille betrieben, jede Spur von Haß gegen die Fürstinn und ihre ersten Anhänger verdeckt, und der Krieg nicht durch Schlachten, sondern durch Manoeuvers geführt werden sollte. Denn dadurch wurde der Gegentheil sicher, und indem er seinen Feind nirgends bemerkte, [56] mußte es ihm um so schwerer seyn, demselben auszuweichen.

Man setzte eine Art von Glaubensbekenntniß und Eydesformel auf, welche die Grundsätze und Gesinnungen dieser heiligen Societät darstellte, und welche alle diejenigen unterschreiben sollten, die in dieselbe aufgenommen wurden. Dieses Aktenstück ist in der Geschichte, die ich erzähle, sowohl zur Kenntniß unsers eigentlichen Planes, als auch zur Belehrung derjenigen, die anderswo für die Wiederbringung und Befestigung der Finsterniß arbeiten, so wichtig, daß ich auf den Dank aller meiner Leser rechne, wenn ich es hier in extenso einrücke. Auch mag es den Philosophen aus der neuen Schule zum Schrecken und zum Entsetzen dienen, wenn sie sehen, mit welcher Entschlossenheit ihre Gegner zur Fehde ausziehen, und welche Mittel sie anwenden, um der Kirche den Sieg zu erringen.

[57] In Nomine ✝ Dei Patris, ✝ Filii, & ✝ Spiritus Sancti. Amen!

Da ich Endesunterschriebener fest von der Wahrheit des heiligen katholischen Glaubens überzeugt bin, und, so lieb mir das Heil meiner Seele ist, nie von den in demselben liegenden Sätzen abgehen werde:

1) Daß der Pabst das Haupt der Kirche und der untrügliche Richter in Glaubenssachen sey;

2) Daß man alle seine Aussprüche mit blindem Gehorsam annehmen müsse, wenn sie auch gleich den Aussprüchen Jesu selbst zuwider laufen;

3) Das die neuere Philosophie, indem sie das Ansehen der Vernunft empor hebt ketzerisch und verdammlich sey;

4) Das die Lektüre ketzerischer Bücher als eine Todtsünde betrachtet werden müsse

5) Daß im Kollisions-Falle der Gebote der Geistlichkeit der Vorzug vor den Befehlen der weltlichen Herren gebühre;

[58] 6) Daß jeder, der einen dieser Sätze nicht glaubt, oder bezweifelt, ewig verdammt und verloren werde; dagegen aber

7) das Bestreben sie zu vertheidigen, gegen die Andersdenkenden in Schutz zu nehmen, und so weit als möglich auszubreiten, vor Gott und vor der heiligen Kirche für das verdienstlichste gute Werk gelte;

so trette ich in die Gesellschaft der redlichen Beförderer des alten Glaubens, und gelobe darbey

1) Alles, was in meinen Kräften steht, sowohl in meinem öffentlichen als Privat-Leben, für mich allein und in Verbindung mit meinen Brüdern, für den Zweck der Gesellschaft zu arbeiten, diese Arbeit für meinen ersten und heiligsten Beruf anzusehen, und demselben alle meine andern Pflichten unterzuordnen.

2) Meinen Obern in den Angelegenheiten der Gesellschaft unbedingten Gehorsam zu leisten, sie mögen von mir fordern, was sie wollen, sey es auch sogar Mord und [59] Verrätherey, oder widerspreche es meinem Gewissen noch so laut, eingedenk, daß das größte Verbrechen ein gutes Werk ist, sobald es zur Ehre Gottes, der Kirche und des heiligen Priesterstandes verrichtet wird;

3) Keine Gelegenheit ungenützt vorbey zu lassen, wo ich das Ansehen der Aufgeklärten untergraben, ihren Einfluß bey Hofe schwächen, ihren guten Namen tödten, und ihr[9] irrdisches Glück zerstöhren kann;

4) Dagegen aber unermüdet daran zu arbeiten, daß der Einfluß unserer Parthie bey Hofe restituirt, die Glieder derselben bereichert und zu den ersten Aemtern befördert, die gute Meynung von ihrer Rechtschaffenheit und Frömmigkeit erhalten, und besonders das Volk für uns gewonnen werde; und endlich

5) Jedes Geheimniß der Gesellschaft, das mir anvertraut wird, selbst auf der Folter nicht zu gestehen, sondern mit mir in das Grab zu nehmen.

[60] Und daß ich dieses alles getreulich halten werde, darauf nehme ich das heilige Abendmahl, und schwöre und gelobe es, so wahr mir Gott helfe und seine lieben Heiligen!

N. N.


Die Genossen des neuen Bundes breiteten sich ungesäumt an allen Orten und Enden des Fürstenthums Strahlenberg aus, warben unter allen Ständen und Klassen der Innwohner und brachten bald den Selekt aus der Heerde der Gläubigen unter ihre Fahne. Es waren nicht nur Leute von Gelehrsamkeit und Rang, die sich für die Sache des wankenden Zions interessierten, sondern auch solche, die nur durch das Anwehen des guten Geistes zu einem thätigen Eifer für die Kirche angespornt werden konnten, als nämlich Landschulmeister, Pfaffenköchinnen, Pächter, Gastwirthe, Sailtänzer, Abdecker und Schergen, und über das noch viel vermögende Frauenspersonen, Aebbtissinnen, Kammerjungfern, Trödlerinnen, Maitressen und Hebammen. Die meisten waren so voll von katholischem Enthusiasmus, daß man ihnen den ganzen Plan und die Verpflichtungen [61] der Brüderschaft en detail vorlegen konnte. Jean Baptist, der fürstliche Kammerdiener, der seit dem Entstehen des verhaßten Weiberregiments auch eine blose Niete geworden war, wurde eines der eifrigsten Mitglieder. Eine in Flamme stehende Kapelle, bey der sich viele Leute beschäftigten zu löschen, war das Emblem der Brüderschaft. Die Männer trugen es an der Uhrkette, und die Frauenzimmer um den Hals. Simpert trat mit mächtig verstärktem Muthe auf, da er sich an der Spitze einer so respectablen Parthey sah, die ganz von seinem Winke abhieng.

[62]
Sechstes Kapitel.
Schreckliche Rache eines Weltmenschen an einem Jesus-Bruder.

Einen sehr wichtigen Erwerb, welcher der guten Sache nachher außerordentlich zu statten kam, machte die Gesellschaft bald nach ihrer glücklichen Entstehung, an dem teutschen Ordensritter Baron von Steinbock. Dieser junge liebenswürdige Mann, voll Talent, Weltthon und Gelehrsamkeit, hatte seit Jahr und Tagen seinen fixen Sitz am Hofe genommen, und unter dem Titel eines Hof-Kavaliers eine Rolle von Bedeutung gespielt. Als ein unvergleichlicher Schütze erwarb er sich die Gunst des Fürsten, und als ein sehr angenehmer Gesellschafter war er auch bey der Fürstinn wohl gelitten; so daß er durch den erstern einigen Einfluß auf die Regierung erhielt, und durch seine Wendungen manchmal sogar der letztern den Rang ablief. Diese schien sich wenig darum zu kümmern; desto mehr aber ihr Schürteufel und Ohrenbläser, der Hr. geheime Rath von Frankenstein. Es erwuchs[10] zwischen [63] diesem und dem Chevalier eine heftige Eifersucht. Jeder suchte dem andern ein Bein zu unterschlagen, wo er konnte. Leyder bot sich dem erstern eine neue nur allzu schöne Gelegenheit dar, um den letztern dem öffentlichen Gelächter loszustellen.

Der Chevalier hatte trotz seines geistlichen Charakters und des Gelübdes der Ehelosigkeit Fleisch und Blut, wie alle andere Adamssöhne, und bey seiner Jugend mußte sich der Kitzel der bösen Lust noch in seiner ganzen Heftigkeit in ihm regen, wie er sich in diesem Alter in uns allen regt. Da giebt es denn freylich mit unter unglückliche Augenblicke, wo das Fleisch den Geist niederdrückt und besiegt, und wo sogar Mönche und Nonnen, mitten unter ihren täglichen Exercitien der Andacht, von Versuchungen und wirklichen Fehltritten übereilt werden. Da wir alle in diesem Punkte in gleicher Verdammniß sind, – und auch ich Bruder Thomas bin nicht so stolz, mich von dieser allgemeinen Regel auszuschließen – so müssen wir einander fein hübsch durch die Finger sehen, und unsere Thorheiten gegenseitig mit dem Mantel der Liebe zudecken, und dasselbe beneficium [64] juris auch dem Chevalier zu gut kommen lassen. Ihm gebührt es um so mehr, da er sonst ein frommer, andächtiger und gottesfürchtiger junger Mann war, und die Aufklärung haßte, wie Gift und Pestilenz.

Die Frau von Frankenstein hatte ein Kammermädchen, das für die erste Schönheit der Stadt passierte. Ich habe es aus eigener Erfahrung, daß weder Laie noch Priester ihr begegnen konnte, ohne gegen das Gesetz Christi zu sündigen: „Wer ein Weib ansiehet, ihr zu begehren!“ Alle jungen und alte Herren des Hofes und der Dikasterien, Präsidenten, Kämmerer, Räthe, Excellenzen, Gnaden und Hochwürden buhlten um die Gunst des schönen Kindes. Aber mit unbarmherziger Sprödigkeit wies sie alle ab. Sie liebte mit reiner, keuscher Liebe einen Sekretair bey der Kammer, einen jungen, aufgeklärten Laffen, der durch sie sein Glück zu machen hoffte. Denn sie war in dem Frankensteinischen Hause sehr wohl gelitten. Die gnädige Frau lebte mit ihr auf einen freundschaftlichen Fuß, und selbst die Fürstinn war eine Bewundererinn ihrer Schönheit, und – wie sie einfältig genug hinzusetzte – [65] ihrer Tugend. Denn was war es, daß sie das Heer der Anbeter abwies, da sie doch den Sekretair begünstigte? –

Steinbock war zum Wahnsinn in die schöne Amalie verliebt. Er hatte alles versucht, Schmeicheleyen, Bestechungen, Drohungen, Thränen, Verse – und er konnte ihr nicht einmal einen freundlichen Blick abgewinnen. Der lumpichte Schreiber hatte ihr Herz für die ganze Welt verriegelt. Noch nie war der Ritter anders, als siegreich von dem Kampfe der Liebe abgezogen. Wie demüthigend für seine Ritterehre, wenn er, der Fürstinnen, Aebtissinnen und Klosterfrauen besiegt hatte, vor einer armseligen Kammerjungfer Chamade schlagen sollte. Er beschloß einen Sturm. Dieser mußte gelingen, meynte er; denn er hatte noch nirgends fehlgeschlagen.

Sein Kammerdiener erhielt den Auftrag, die Hausmagd durch Geld und gute Worte zu gewinnen, daß sie ihm nächtlicher Weile die Thüre zu dem Schlafzimmer des süßen Mädchens offen halten sollte. Die Dirne machte große Schwierigkeiten. Aber das Geld bethört aller [66] Menschen Herz. Man kam über ein Honorar von 6 Neuen Ludwigen überein, welche, wie es in dergleichen Angelegenheiten gewöhnlich ist, praenumerando bezahlt wurden. Zeit und Stunde war bestimmt, und mit klopfendem Herzen zog der Ritter zum Strausse aus.

Er fand das Thor des Hauses geöffnet. Eine kärgliche Lampe flimmerte in dem Vorsaale. Leise schlich er die Treppe hinauf. Die Thüre zu dem Zimmer des Mädchens war nur angelehnt. Er trat hinein. Da lag der Engel in seinem Bette. Die Strahlen des Mondes spiegelten sich in seinem weißen Busen. Der Ritter athmete schwer, bey diesem Anblicke voll Wollust. Er ergriff zitternd die Hand des Mädchens. Er sank unwillkürlich auf das Bette nieder. Er ergriff die Decke, und – au weh! plötzlich stürzten zween fürchterliche himmellange Kerls zum Zimmer herein, und packten ihn nach Bären Weise. Er war außer sich. Der eine riß ihn zu Boden, und hielt ihn feste, während der andere mit kannibalischer Grausamkeit alle Haare von seinem Kopfe schor. So zerrten sie ihn zur Thüre, und warfen ihn gar unsanft die Treppe hinein. Von Schmerz, [67] Aerger und Schaam gemartert, floh er nach Hause, und verfluchte den teuflischen Streich, der ihm gespielt worden war. „Ach nicht ein Härchen haben sie mir gelassen, klagte er seinem treuen Gehilfen in Liebeshändeln, indem er auf seinem Scheitel herum krabbelte, – und auch das Kreuz haben sie mir gestohlen, die Räuber!“

An dem folgenden Tage ward das Geburtsfest des Fürsten gefeyert. Wie fürchterlich war die Verlegenheit des armen Ritters? Sich krank zu stellen, bis die Haare wieder gewachsen waren, schien unter diesen traurigen Umständen das einzige Auskunftsmittel: aber es war nicht anwendbar; denn erstlich hätte es den Unglücklichen zu einer allzu langen Gefangenschaft verdammt; und dann würde er vor den Besuchen, die doch unmöglich alle abzuweisen waren, den Kapuzinerkopf doch nicht haben, verbergen können. Er kam also in die Nothwendigkeit, sich in Gottes Namen eine Perücke beyzulegen, und in diesem neuen Putze erschien er bey Hofe. Der ganze Saal bewegte sich, als er eintrat, von dem unterdrückten Lachen der Versammlung. Er trug dem Fürsten laut und feyerlich [68] seinen Glückwunsch vor. Plötzlich unterbrach aber dieser seine Harangue mit dem schrecklichen Worten: „Was, Teufel! Chevalier, wo nimmt er denn die verfluchte Hatzel her? Ist er etwa gestern Nachts in die Hände einer Delila gefallen? – Armer Simson!“ – Der arme Simson fühlte das ganze Gewicht dieser Worte. Sie drückten ihn zur Erde nieder. Er bedurfte aller seiner Hofmannskünste, um keinen dummen Streich zu machen. Mark und Bein durchschneidende Anmerkungen machten ihm das Fest zu einem Martertage. Er konnte nicht zweifeln, daß sein verunglücktes Abentheuer dem ganzen Hofe bekannt sey.

Mehrere Umstände überzeugten den Chevalier, daß ihm diese Schande nicht, wie es das Ansehen hatte, von dem Sekretair, sondern von dem geheime Rathe bereitet worden. Es kann auch nur in einer in diesem Grade aufgeklärten Seele der Gedanke erwachen, an einem wahrhaft religiösen Manne nie so fürchterliche Rache zu nehmen. Der Chevalier schwur ihm Vergeltung. Aber er war Weltmann, und in seinen Entwürfen fest, kühn und ausharrend. Deßhalb bot er ihm nicht öffentlich Fehde. Denn man kann die Menschen unter der Larve [69] der Freundschaft oder der Gleichgültigkeit weit tiefer stürzen, und weit sicherer zu Grunde richten und zernichten, als wenn man ihnen geradezu den Krieg ankündigt.

Dieses neue Verhältniß der beyden Höflinge entgieng dem überall spähenden und beobachtenden Auge der Jesus-Brüder nicht. Simpert benützte die Zeit des ersten Zorns, und machte in einer einsamen Stunde dem Ritter einen Besuch. Er leitete das Gespräche auf das neue Heidenthum, und auf den Sieg der Philosophie. Er sprach viel von dem Eifer, womit er sich zum Streite gegen die Aufgeklärten rüste, berechnete die Stärke, das Gewicht, und den Muth seiner Parthey, und deutete bestimmt genug darauf hin, daß Frankenstein an der Spitze der Gegenfaktion stehe, und daß ihre Maschinen besonders darauf gerichtet seyen, ihn zu stürzen. Hier thaute der Chewalier auf, deklamierte heftig gegen die Aufklärung, legte alle Schuld des Verderbens auf den Geheimen Rath, und ertheilte den Entwürfen der Jesus-Brüder große Lobsprüche. Ein Wort gab das andere. Steinbock ward in forma in die Gesellschaft aufgenommen, und erhielt sogleich Sitz und Stimme [70] in dem Geheimen Ausschusse. Von seinem aufrichtigen Religions-Eifer, und von seinem wüthenden Hasse gegen Frankenstein stand alles zu erwarten. Sein Beytritt ward von den Bundsverwandten festlich gefeyert.


Siebentes Kapitel.
Der Bischof und seine Beyschläferinn.

Von dem Ansehen und den Verbindungen des neuen Mitgliedes konnte sogleich in einer Unternehmung Gebrauch gemacht werden, welche damals schon gegen die Aufgeklärten eingeleitet war, und von der man sich viel Erfolg versprach. Der Pater Simpert hatte nämlich eine Deputation seiner Getreuen in die Residenz des Bischofs von Heiligenthal abgesandt, mit dem Auftrage, den dortigen Ex-Jesuiten den Zustand der Dinge in Strahlenberg zu schildern, durch sie den geistlichen Oberhirten zur Ausübung seiner Pflicht zu ermahnen, und entweder eine bischöfliche Visitation, [71] oder doch ein nachdrückliches Schreiben an Sr. Durchlaucht zu bewirken. Die Gesandten kamen mit gehängten Köpfen zurück. „Ihre Ordensbrüder, versicherten sie, haben, bey aller Indignation[11], über die Gefahren der guten Sache ihr Unvermögen erklärt, etwas ersprießliches zu Stande zu bringen. Sie selbst haben allen Einfluß verlohren. Der Hochwürdigste Bischof sey unaufhörlich von rohen Weltleuten umlagert, und so sehr in den Vergnügungen des Lebens ersoffen, daß er sich wenig um das Wohl und das Wehe seiner Heerde bekümmere. Er neige sich sogar selbst auf die Seite der Aufgeklärten, und ziehe sie bey jeder Gelegenheit hervor. In dem geistlichen Kollegio herrsche Laulichkeit und Trägheit. Die Klage, habe es hier geheißen, sey nicht in forma angebracht, und man könne auf eine geheime Angabe hin, keine Visitationen erkennen. Das fürstliche Haus Strahlenberg müsse mit Delikatesse behandelt werden. Wollte man etwas bewirken, fuhren die Gesandten fort, so habe man sich an der Frau von Ludenhofen zu wenden, die den Bischof beherrsche, wie keine Pfaffenköchinn in der ganzen katholischen Welt ihren Herrn Pfarrer.“

[72] Hier war der Chevalier der Mann, von dem Rath zu erwarten stand. Er kannte die besagte vielvermögende Dame dann nicht nur vom Ansehen. Denn da sich der Bischof ihrer bey dem Froste seines Alters eben so bediente, wie der betagte König David der rüstigen Abisag von Sunem, so machte sie manchmal einen Seitensprung, sog die aus ihr verdünstete Wärme an der Seite saftvollerer junger Herren wieder ein, und so erhielt auch der minder frostige Ritter von Steinbock eine der ersten Stelle in der Reihe ihrer Günstlinge. – Er flog mit Extra-Post nach Heiligenthal; und so wenig vortheilhaft auch der Eindruck seyn mochte, den die nagelneue Peruque auf die Beyschläferinn Sr. Hochfürstlichen Gnaden machte, so konnte doch, da alte Liebe nicht rostet, die Bitte eines ehemaligen Liebhabers, die nicht das Fleischliche, sondern das Geistliche betraf, unmöglich vergeblich seyn. Der Bischof gab nicht nur den Befehl zur Ausfertigung des erbetenen Abmahnungsschreiben, sondern er ließ es auch geschehen, daß Steinbock selbst, als der den verdorbenen Zustand des Strahlenbergischen Schul- und Kirchenwesens am besten kenne, dasselbe entwarf. Ehe er noch nach Strahlenberg zurück kam, war es schon [73] bey seiner hohen Behörde eingelaufen. Es lautete also:

Titl.

Euer, kennen den Eifer und die Treue zu gut, womit ich schon seit 30 Jahren die mir von dem großen Hirten der Schafe anvertraute Heerde weide, als daß ich für den Inhalt des gegenwärtigen väterlichen Schreibens eine Entschuldigung bedürfte. Vielmehr bin ich überzeugt, daß Euer etc. in demselben einen neuen Beweis meiner Wachsamkeit für die armen Seelen finden werden, für die ich einst an dem großen Gerichtstage werde Rede und Antwort[12] geben müssen.

Es ist von mehreren wohlunterrichteten gläubigen u. frommen Personen bey meiner bischöfl. Kurie die Anzeige gemacht worden, die auch der allgemeine laute Ruf leyder! bestättigt, daß in den Landen Euer, neuerlich mehrere Schritte geschehen sind, die auf den gänzlichen Umsturz des allein seligmachenden katholischen Glaubens hinführen. Es sind in dem dortigen Lyceum die alten orthodoxen Lehrer abgeschafft, und an ihre Stelle verdächtige Neulinge gesetzt worden, welche [74] die Wissenschaften nach protestantischen Autoren lehren, und die zarten Herzen der Jugend durch das Gift der sogenannten Aufklärung anstecken. Man hat aus dem Auslande junge Priester herbey gerufen, welche auf solchen Universitäten studiert haben, die längst in dem Geruche der Ketzerey stehen. Man hat eine Lese-Bibliothek angelegt, die aus lauter atheistischen, naturalistischen und lutherischen Büchern zusammen gesetzt ist. Man hat die in ältern Zeiten weislich angeordneten Censur-Gesetze aufgehoben, und eine unbeschränkte Preß- Denk- und Redfreyheit eingeführt. Und überall wird die Parthey der Aufgeklärten, zum Nachtheile der Rechtglaubigen gelehrt, und beschützt, während die letztern in einem Zustande von Unterdrückung leben, so daß man die meinem väterlichen Herzen so nahe liegende Strahlenbergische Kirche bereits schon in manchem Betrachte eine ecclesia pressa nennen kann.

Zwar bin ich weit entfernt, den Euer etc. zukommenden landesherrlichen juribus circa sacra, circa personas ecclesiasticas & circa politicam ecclesiasticam, durch deren Mißbrauch der bemerkte leydige Uebelstand zum Theil begründet worden ist, Eintrag zu thun. Ich kann in diesem [75] Betrachte mich nur der Pflicht der Ermahnung unterziehen, und Euer etc. demüthigst und alles Ernstes bitten und beschwören, jene Rechte nicht weiter zum Nachtheile der Kirche auszudehnen, in Entsetzung der Stellen auf geprüfte, unverdächtige und rechtglaubige Subjekte zu sehen, und die verdächtigen dagegen zu removiren, die sämmtlichen im Lande cirkulirenden protestantischen Bücher zu konfiscieren, das Lese-Institut, als eine wahre apotheca diaboli aufzuheben, und die Vorzüge, die bisher den Verfälschern der Wahrheit eingeraumt worden sind, den reinen Predigern und Bekennern derselben wieder beyzulegen. Ach! daß meine Bitten und meine Thränen nicht vergeblich wären! daß Sie das Wohl so vieler tausend Seelen bedächten, die ihrem Verderben entgegen geführt werden! daß die Beyspiele Ihrer andächtigen fürstlichen Vorfahren Ihnen immer vorschwebten! daß Sie sich als einen Helden zeigten, der die Kirche kräftiglich gegen ihre Widerwärtigen beschütze!

Da aber das Böse in den öffentlichen Kanzelvorträgen, in den Christenlehren, in dem Beichtstuhle, und in dem Schulunterrichte, von vielen der neu angestellten Irrlehrer so öffentlich [76] getrieben und geübt wird, daß ich als ein Miethling, vor dem guten Hirten bestehen würde, wenn ich länger schweige: so habe ich bereits die nöthigen Instruktionen an die Dechanten des ganzen Fürstenthums erlassen, und ihnen dringend eingeschärft, auf die Lehre und den Wandel der ihnen untergeordneten Priester ein scharfes Auge zu haben, mir bey dem mindesten Schein von Neuerungssucht, Aufklärung und Philosophie Bericht zu erstatten, und dann gegenwärtig zu seyn, daß bey den Ungehorsamen sogleich Kommissionen einrücken, und die genausten Untersuchungen anstellen werden.

In eine solche Untersuchung wäre von Rechtswegen der Priester Lucius, Beichtvater der Durchlauchtigsten Frau Fürstinn, durch seine höchst anstößigen gedruckten und ungedruckten Predigten, und durch die von ihm so thätig betriebene Ausbreitung irriger und gefährlicher Grundsätze, längst verfallen. Aber aus Achtung für das hohe Haus, dem er so unwürdig dient, und um den guten Ruf der Rechtglaubigkeit und des Gehorsams, in dem der Strahlenbergische Klerus bisher gestanden, zu schonen, habe ich einstweilen blos eine zwar im [77] Geiste der Liebe, aber doch mit allem Nachdrucke und Ernst abgefaßte Dehortation an ihn abgehen lassen, in der Hoffnung, er werde dadurch zur Erkenntniß seiner Thorheit gelangen, und sich wieder, durch redliche Besserung, mit der Kirche versöhnen. Ueberhaupt ist dieser Mensch, in Verbindung mit dem Geheimen Rathe von Frankenstein, das Werkzeug gewesen, dessen sich Satans bedient hat, die Herzen zu verführen, das Lichtlein des Glaubens auszulöschen, und die alles verzehrende Flamme der Aufklärung anzuschüren. Möchten Euer etc. auf Ihrer Huth seyn, diese Verführer fliehen, und sich nicht länger der großen unerläßlichen Sünden theilhaftig machen, die sie so frevelhaft anhäufen. Halten Sie sich an Ihren alten ehrwürdigen Beichtvater, der nicht von dem Geiste dieser jammervollen Zeit bezaubert ist, und den Glauben in seiner Reinigkeit erhalten hat. Folgen Sie den Ermahnungen dieses redlichen Greises, und Sie werden nie mehr in die Gefahr gerathen, das schreckliche Werk der Hölle zu unterstützen.

Ich schließe mit der Ertheilung meines bischöflichen Segens, und bin etc. etc. etc.

[78] Dieses Schreiben wirkte mit magischer Kraft auf den Fürsten, d. h. es machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er sich für den darinn enthaltenen Gegenstand, wenigstens auf einige Augenblicke interessierte. Das war das Aufklimmen des Funken von Religiosität, den Simpert in seiner frühsten Jugend in seinem Herzen angezündet hatte, und der auch nie in demselben erlosch. Als der fromme Pater, seiner Gewohnheit nach, des Morgens seine Aufwartung machte, überreichten ihm seine Durchlaucht das quästionierte Schreiben mit einer sehr ernsthaften Miene, die aber zugleich den höchsten Grad von Wohlwollen ausdrückte, und baten ihn dasselbe vorzulesen. Er begann mit lauter Stimme. Aber noch war das erste Drittel des Ganzen nicht geendigt, als ihn Höchdieselben unterbrachen.

„Das Ding ist mir zu lange. Ich liebe die langen Briefe nicht. Kurz und gut! das ist mein Symbolum. Auch habe ich mir schon das nöthigste referieren lassen. Was ist denn seine Meynung in causa, Pater Simpert?“

[79] Meine Meinung kennen Euer Durchlaucht. Ich habe längst gegen die Aufklärung protestiert. Ich bitte Sie fußfällig und mit Thränen, verschmähen Sie die Warnungen des Bischofs nicht.

„Der Bischof mag es gut meynen. Aber ich bin über das vertrakte Ding, das ihr Aufklärung heißt, noch nicht ganz im Klaren. Aufklären, sehe er, das heißt hell machen; und hell machen ist doch, beym Teufel besser, als Verfinstern?“

Euer Durchlaucht lassen sich hier durch das Wort verführen. O! die Aufklärung ist ein böses, schlimmes Ding. Die aufgeklärten Leute glauben keinen Gott und keine Ewigkeit, und sagen, man dürfe leben, wie man wolle, nach dem Tode sey alles aus.

„Pah pah, pah! Was er mir nicht für Sachen weiß macht. Lucius hält ganz excellente Predigten vom Himmel und der Hölle, und eifert gegen das Laster, daß einem das Herz klopft.“

[80] Das ist alles nur Verstellung, gnädigster Herr! Die Aufklärer sind pfiffig genug, daß sie nicht gleich mit ihrem ganzen Systeme heraus platzen. Vor der Hand übergehen sie nur die Hauptlehren des katholischen Glaubens mit Stillschweigen, und setzen eine natürliche Philosophie an ihre Stelle. Je stärker ihre Parthey wird, desto dreister kommen sie mit ihren Irrthümern zum Vorschein, und am Ende werfen sie sogar alle Religionen zum Hause hinaus. Erst machen sie die Leute zu Lutheranern, dann zu Naturalisten, und endlich zu Atheisten.

„Zu Lutheranern lassen sich meine Bauern gewiß nicht machen, und dann wird auch aus dem Uebrigen nichts.“

Sie tragen es aber doch darauf an. Euer Durchlaucht werden in allen Predigten des Abbes noch kein Wort von dem Pabste, oder vom Fegfeuer, oder von dem heiligen Meßopfer, oder von der immaculata conceptio gehört haben?

„Das mag seyn. Wer wird auch so genau auf eure Predigten merken, um das alles zu [81] wissen? Aber das soll er – er soll mir katholisch predigen. Ich will keine Lutheraner zu Unterthanen haben. Doch eins empfiehlt mir die aufgeklärten Priester sehr. Sie sind alle ganz charmante Leute, haben Ton und Savoir vivre,[13] und führen sich vollkommen unanstößig auf. Die Pfaffen vom alten Schlage sind Bauernkerls[14] in schwarzen Röcken, fressen, saufen, spielen und halten sich Köchinnen. Aber die andern sitzen hübsch über den Büchern, gehen nicht in die Wirthshäuser, und halten sich in allen Stücken brav, recht brav, comme il faut.“

Um so schlimmer. Sie verlarven sich mit der Maske der Tugend, um die Leute desto gewisser zu gewinnen.

„Diese Maske gefällt mir. Sie sollen sie behalten. Aber katholisch sollen sie mir lehren und predigen, und nichts, gar nichts lutherisch einfließen lassen. Das werde ich auch dem Bischofe schreiben. – Jean Baptist, die Doppelflinte! –“

Die Verwendung des Bischofs war nicht ohne Nutzten. In dem Herzen des Fürsten [82] war doch einmal eine Art von Mißtrauen gegen die Parthie der Neuerer erweckt, daß man immermehr anfachen und verstärken konnte. Zwar stand zu erwarten, daß das geheime Kabinet, um des oberpriesterlichen Dehortatoriums willen, keinen seiner Schritte zurück thun werde. Doch mußte dasselbe den Muth der Verführer ein wenig niederschlagen, und ihre Raschheit mildern. Auch versicherte Jean Baptiste, in der nächsten Sitzung des Geheimen Ausschusses der Jesus-Brüder, daß der Fürst dem Baron von Frankenstein, mit einem, an seiner höchsten Person ganz ungewöhnlichen Ernst, gesagt habe: „Die Pfaffen sollen mir das lutherische Wesen aufgeben, und katholisch bleiben, und dem Bischof soll man zurückschreiben, es werde alles geschehen, was er billiger massen verlange.“ Freylich schrieb man um deßwillen dem Bischof nichts weniger als das, und that auch dem lutherischen Wesen keinen Einhalt. Man durfte aber auch nichts mehr thun, was dem Willen des Fürsten gerade zu entgegen lief.

Lucius verbiß natürlich den Aerger leicht, den das Schreiben des Konsistoriums in ihm [83] erregt haben mochte, und wandelte auf seinem gewohnten Geleise fort. Denn die erleuchteten Helden unserer Zeit lassen kein Gericht über ihre Ueberzeugungen gelten, und machen sich auch wenig daraus, wenn man ihnen um derselben willen auf die Finger klopft; weil bey ihrer Parthey die Märtyrerkrone eben so ruhmvoll und verdienstlich ist, als bey der unsrigen. Desto mehr Wirkung hatten die Briefe an die Dechanten. Diese hochwürdigen Herrn waren sammt und sonders Jesus-Brüder. Wem konnte der Auftrag, die neumodischen Ketzer zu verfolgen, willkommner seyn, als ihnen?

Sie eröffneten ihren Diocösanen die Willensmeynungen des Bischofs im Triumph-Tone, und aus heiligem Eifer, noch mit kleinen Addidamenten, „der Unfug der Neuerer, hieß es, werde nicht länger geduldet werden. Niemand soll sich bey hoher Ahndung, selbst bey dem Verluste seiner priesterlichen Würde und ewiger Einkerkerung unterstehen, philosophische Sätze auf die Kanzel zu bringen, protestantische Bücher zu lesen, und das verführerische lutherische Teutsch zu sprechen. Man werde ein genaues Augenmerk auf die Lehrvorträge, [84] die Lektüre und die Korrespondenz der Priester richten, und sie durch geheime Spionen beobachten lassen. Wer seinen Kollegen auf einer Spur von Ketzerey ertappe, und ihn nicht denunciere, werde mit ihm in gleiche Verdammniß fallen. Es werden auch von Zeit zu Zeit bischöfliche Visitationen einrücken, und strenge Strafen über die Uebertretter verhängen. Das alte Sprichtwort treffe weiter nicht mehr ein: „Was heißt visitare? Es bleibt wie es ware. –“ Diese derben Erinnerungen machten die Wohlmeynenden kühn und stolz; die Häretiker aber geriethen in Schrecken, und wurden furchtsam. Es zeigten sich die schönsten Aspekten für die Männer der Finsterniß.


Achtes Kapitel.
Der Abbe wird moralisch todt geschlagen. Es geschehen Wunder.

Der Punkt, den der Fürst in seinem Gespräche mit Simperten berührt hatte, von [85] dem untadelhaften Wandel der meisten aufgeklärten Priester, beschäftigte die Häupter des Jesus-Bundes oft und viel, und er war auch in der That sehr erheblich, denn es steckt dem Menschen einmal in der Natur, daß er in der Austheilung seiner Achtung mehr auf die Werke als auf den Glauben siehet, und jedermann schätzt den Samariter, der in der Wüste Quarantania den Erschlagenen auf sein Thier lud, höher, als den vielleicht sehr orthodoxen Priester, der bey ihm vorüber gieng. Auch ist von dem Einflusse und von der Wirksamkeit der Menschen, die in dem Geruche der Heiligkeit und der Rechtschaffenheit stehen, weit mehr zu hoffen und zu fürchten, als von erklärten Libertinern. Denn man betrachtete alle ihre Handlungen mit einem sehr günstigen Vorurtheile, man entschuldigt das Zweydeutige und das Verdächtige, sobald nur sie es ausüben, und man glaubt im unbedingten Vertrauen auf ihre Redlichkeit, immer gut zu fahren, wenn man sich ihnen zuversichtlich hingiebt, und in allen Dingen ihrer Stimme folgt.

Wir machten beynahe täglich die Erfahrung, wie schwer es ist, den Glauben an eine Tugend [86] zu erschüttern, die den Wahn für erprobt hält. Es ertönten zwar in allen Klöstern, auf allen Kanzeln, auf allen Theatern, in allen Wirthshäusern, in allen Wachtstuben, in allen Kaffee-Schenken und in allen Bordellen – denn um allen alles zu werden, wirkten wir unter allen – die Beschuldigungen wieder: „Die Illuminaten glauben keinen Gott und keinen Teufel, – sie halten die Jungfrau Maria für ein Freudenmädchen, sie heißen Christum, Mosen und Mahomed die drey großen Betrüger, sie erklären die Bibel für ein abgeschmacktes Buch voller Fabeln, – sie billigen den Königsmord, – sie haben ihre Weiber unter sich gemein – sie halten die Hurerey für erlaubt, – und sie beten die Vernunft unter dem Bilde eines Affen an.“ Die Leute hörten diese Beschuldigungen, und die Haare standen ihnen zu Berge; aber sie hielten in diesem Augenblicke die Aufgeklärten, die sie kannten, nicht mehr für solche, weil sie ihnen diese schreckliche Greuel nicht zutrauen konnten. Deßhalb ward in dem geheimen Ausschusse beschlossen, die Sache nicht mehr in diesem Grade zu übertreiben, und der Gränze des Möglichen und Glaublichen näher zu bleiben. Aber damit richtete [87] man wieder nicht viel aus. Man sagte, es muß wohl ins Angesicht, daß die Priester nach der neuen Mode fleißig studieren, und das Volk mit einem Eifer unterrichten, den man früher nirgends gesehen habe. Keiner brausche sich, keiner spiele das Zwickspiel, keiner halte eine Mätresse, alle zeugen mit Kraft und Nachdruck gegen das Laster. Hingegen die Pfaffen vom alten Lichte seyen Dummköpfe, Wollüstlinge, Säufer, Geizhälse und Miethlinge. Freylich war diese Beschuldigung nicht ganz leer. Aber sie war desto alberner. Denn nicht die Tugend die das weltlichste Ding von der Welt ist, sonst hätten Sokrates und Kato nicht so sehr in ihr excelliert, sondern der Glaube ist die conditio essentialis der priesterlichen Würde.

Ich erwarb mir das Verdienst, der moralischen Reputation den Illuminaten einen gewaltigen Stoß zu versetzen; und mein Angriff war gerade auf ihren Antesignanus gerichtet. Daß ich die Sache listig eingeleitet habe, daran wird keiner meiner Leser zweifeln; nur erlaubte ich mir einige Mittel, die vor dem strengen Tribunal der Sittenlehre kaum die Probe halten werden. Aber ich müßte kein Zögling der [88] Jesuiten seyn, wenn mir das nur die mindeste Bedenklichkeit hätte erregen können. Denn pro primo ist den Reinen alles rein; zweytens heiliget der Zweck das Mittel; und zum dritten ist alles recht und sittlich gut, was aus Gehorsam gegen priesterliche Befehle geschiehet.

Die Fürstinn hatte eine Kammerfrau, die eben so aufgeklärt, so belesen und so kultiviert war, als ihre hohe Gebieterinn, oder vielleicht noch etwas mehr. Sie galt in der Stadt und am Hofe für die Tongeberinn bey der illuminierten Weiberwelt. Sie machte Verse, sprach französisch, englisch und italienisch, schrieb mehrere Stücke für das Liebhaber-Theater, und war Mitarbeiterinn an der Einsiedlerinn aus den Alpen, an der Flora, und an andern lutherischen Frauenzimmer-Journalen: Lucius lebte auf den vertrautesten Fuß mir ihr. Er nannte sie, zum großen Skandale der Glaubigen, öffentlich seine Freundinn; saß Stunden lang bey ihr in der Garderobe, und las ihr Gedichte und Liebes-Historietten vor. Wahrscheinlicher Weise war das Verhältniß dieser beyden Personen ganz unschuldig. Denn die aufgeklärten Leute haben so engelreine Seele, [89] und so ätherische Körper, daß beyderley Geschlechter Freunde seyn können, ohne Regung der bösen Lust, und ohne das Gefühl, daß man sich gegenseitig noch zu etwas mehr nütze sey. Ich, der ich gottlob! nicht aufgeklärt bin, und in meiner Seele manchen Fleck, und in meinem Körper nur gar zu viel irdischen Stoff wahrnehme, hätte es freylich nicht vermocht, mit diesem Mädchen auf einen solchen Fuß zu leben. Salus cum sala mit ihr zusammen zu seyn, würde mich, bey Gott! jedesmal eine Todsünde gekostet haben. Denn sie war ein allerliebstes Geschöpf – ein Auge wie die Seidenhasen, eine Nase wie der Habicht, ein Mund, ein Wuchs, ein Busen – ach! doch absint obscoena!

Die Fürstinn hatte dieses Mädchen an den Hofrath Löwe verkuppelt, der ein junger arbeitsamer, geschickter Geschäftsmann war, und auch mit den Aufgeklärten lief, jedoch mehr um der Mode willen, und aus Politik, als aus Ueberzeugung. Lucius setzte seinen Umgang fort. Er kam täglich in das Haus der neuen Ehefrau, und brachte viele Stunden bey ihr zu, während der Hr. Gemahl bis um die Ohren in den Akten vergraben, auf der Regierung [90] arbeitete. Freylich stand die Tugend des Abbes in der ganzen Stadt in einem so großen Ansehen, daß ihme vielleicht jeder Ehemann zum Kammerdiener seines Weibes gemacht haben würde. Aber um so tiefer mußte dieses Ansehen sinken, wenn es erschüttert ward. Und da der Hr. Hofrath seine Gattinn mit dem höchsten Feuer romanhafter Liebe liebte, so konnte es auch nicht schwer seyn, ihn eifersüchtig zu machen. Auf diesen Umstand baute ich meinen Plan. Ich theilte ihn zuvor dem Pater Beda im Beichtstuhle[15] mit. „Wenn die Ehre Gottes dein Zweck ist, sprach der fromme Mann, so handle!“ Auf das begann ich das Werk mit Freuden.

Ich verfertigte einen Brief, als hätte Lucius ihn an die Hofräthinn geschrieben, wie ihn nur ein erhörter Liebhaber an seine Buhlerinn schreiben kann. Ich hatte aus zehn Romanen die Floskeln dazu zusammen gesucht. Er führte den Hofrath auf Entdeckungen, die ihn in Verzweiflung stürzen mußten. Zugleich ward der letztere als ein armer Teufel dargestellt, den man weidlich zum beßten habe. Diesen Brief ließ ich von einem Juden in der Stadt [91] kopieren, der die feine Kunst verstand, alle Handschriften vollkommen nachzuahmen. Ein Predigt-Concept von Lucius, das ihm Jean Baptist hinweg prakticiert hatte, war das Muster seiner Schriftzüge. Der schlaue Hebräer wollte im Anfange nicht daran. Er kannte das Gewicht des Abbe. Sobald er aber Gold sah, hatte ich ihn gefangen. – Ich bewunderte dabey die Wege Gottes. Ein beschnittener mußte das Werkzeug werden, um den Triumph seiner Kirche vorzubereiten.

Als ich den Brief hatte, setzte ich mich, und verfaßte ein anonymes Schreiben an den Hofrath, des Inhalts: „Die ganze Stadt spreche von dem höchst ärgerlichen Wandel des Abbes und seiner Frau. Ich sein Freund und sein Verehrer habe ihn längst im Stillen bedauert, und eben so lange ringe ich mit dem Entschlusse, ihm die Schande aufzudecken, die sein unwürdiges Weib ihm bereite. Ich habe aber bisher von seiner Liebe zu ihr gefürchtet, daß die Wahrheit für ihn unsuchtbar seyn möchte. Die Beylage werde ihm den Staar stechen. Sie sey durch einen glücklich Zufall in meine Hände gerathen. Seiner Klugheit und seinem [92] Ehrgefühle bleibe der Gebrauch überlassen, den er davon machen wolle.“ Ich legte dieses Schreiben zu dem von dem Juden verfertigten Liebesbriefe, zog ein Kouvert darüber, und siegelte es zu. Abends in der Dämmerung gieng ich als Livree-Bedienter verkleidet, in die Straße, in der mein Mann gewöhnlich um diese Zeit aus dem Archive zurück kam. Was seyn soll schickt sich wohl. Er eilte die Straße herauf, um in den Armen seines schönen Weibes den Lohn für die Arbeit des Tages zu suchen. Ich übergab ihm den Brief und verschwand. Ohne etwas Arges zu vermuthen, schlenderte[16] er fort. Ich folgte ihm von weitem nach. Ich hatte absichtlich die Zeit gewählt, wo sich der Abbe gewöhnlich in seinem Hause befand.

Ich stand der Thüre gegenüber, wo ich alles deutlich sehen konnte, was in dem helle beleuchteten Zimmer vorgieng. Die Straße war voll Menschen. Es kostete mich aber Mühe, die Gewissensbisse, die mich in diesem Augenblicke anwandelten, niederzuschlagen. Das Herz pochte mir, wie einem Missethäter, der zum Tode geführt wird. Ich empfand das ganze Unglück der beyden Eheleute, die durch [93] meinen Betrug so erbärmlich zu Grunde gerichtet werden sollten. Man glaubt es nicht, welch’ harten Kampf man erstehen muß, wenn man zum Beßten der Gemeine Gottes etwas sehr Böses thun soll. Es ward mir äußerst schwer, durch die Vergegenwärtigung der richtigen Grundsätze, die ich aus dem Systeme der Jesuiten aufgefaßt hatte, die trügerischen Vorspieglungen der natürlichen Vernunft zurückzuweisen.

Indem ich so mit mir selbst beschäftigt war, fuhr der Hofrath gleich einem Wüthenden zur Thüre herein, und stieß dem Abbe das Papier, das er in der Hand hatte, unter die Nase. „Sieh, Schurke – Verräther – Hurer, brüllte er, sieh’ das Zeugniß deiner Schuld.“ Er wandte sich zu dem betäubten Weibe. Er ergiff sie am Kragen, und warf sie zu Boden. Der Lermen wurde schrecklich. Man vernahm nichts mehr, als Schimpfworte. Der Pöbel auf der Straße blieb gaffend stehen. Die Hausleute drangen herein, und brachten die Unschuldige in Sicherheit. Von dem schimpfenden Ehemanne verfolgt, erschien der Abbe unter der Thür, und schlich beschämt durch den Haufen hinweg. Jedermann war überzeugt, [94] der Hofrath habe ihn mit seiner Frau im Ehebruche ergriffen. Die Sache wurde in der Nacht noch in der ganzen Stadt bekannt. Mein Zweck war vollkommen erreicht. Meine Herren patres in dem Kollegium tanzten und jauchzten vor Freude, als ich Ihnen bey meiner Zurückkunft erzählte, was ich zur Befestigung des Reiches Gottes gethan, gesehen und gehört hatte.

Es gelang zwar dem Abbe, sich bey der Fürstinn zu rechtfertigen, und auch sogar den Hofrath zu überzeugen, daß ihn ein loser Vogel an den Zaun geführt habe. Denn der Brief war so wenig in dem Tone seines vorgeblichen Verfassers geschrieben, daß ihn niemand darinn erkennen wollte. Auch befand sich – ein Umstand, den ich übersehen hatte – der Abbe gerade an dem Tage, von dem der Brief datiert war, nicht in Strahlenberg, sondern 20 Meilen davon, bey einem seiner Freunde. Der eifersüchtige Ehemann ward so ganz beruhigt, daß seine[17] Verhältnisse zu dem Abbe nach wenigen Tagen wieder in integrum restituirt waren; und zur öffentlichen Ehrenrettung des letztern wurde, von der Regierung, in den Zeitungen ein Preis von 100 Ducaten [95] für denjenigen ausgesetzt, der den Verfasser jenes lügenhaften Briefes angeben würde, dennoch war der gute Ruf des Abbe und der allgemein herrschende Glaube an die Unbescholtenheit seines Wandels bey der Mehrheit zernichtet. Das Publikum, das in einem so menschlichen Fehltritte um so weniger Wahrscheinlichkeit[18] fand, je häufiger er begangen wird, und das denselben niemand leichter zutraut, als den jungen Herren, die in einem erzwungenen Cölibate leben, hielt die öffentliche Rechtfertigung des Verbrechens für ein eitles Blendwerk, und die scheinbare Beruhigung des beleidigten Ehemannes für ein Werk des Eigennutzes, der die Macht der Fürstinn fürchtete. Wir, die Genoßen des Obskuranten-Klubbs säumten dabey nicht, die Leute in diesem Glauben zu befestigen, und allerley Anekdoten auszustreuen, die zu diesem Zwecke dienlich waren. Der Fürst selbst war der Sache ganz gewiß. Er hatte Simperten in einem leichtsinnigen Tone gesagt: „So macht ihr’s, ihr lüsterne Pfaffen! keine Jungfer und kein Weib ist vor euch sicher.“ Das ergötzte den Alten nicht wenig, und seine Freude würde vollkommen gewesen seyn, wenn[19] er nur mit dem Beweise Eingang gefunden hätte, daß [96] diese saubere Geschichte eigentlich den Charakter der Aufgeklärten mahle. Aber Sr. Durchlaucht beharrten auf Ihrem Worte. „Aufgeklärt oder unaufgeklärt, meynten Sie, sey meme chose; alle Pfaffen nähren sich in fremdem Gehege!“ –

Während sich die eine Hälfte der Stadt und des Landes über die Geschichte des Abbes und seiner Grazie unterhielt, schrie die andere, daß es weit und breit erklang: Mirakel: Mirakel! und wanderte in großen Haufen zu der Mutter Gottes auf der Thalwiese, um bey derselben anzubeten, und Wunder und Zeichen zu sehen, auch das war unser Werk!

Der große Haufen – und ich verstehe hier unter demselben alle diejenigen Menschen, die über die Angelegenheiten der Religion, wie es recht ist, nie vernünftig nachdenken, folglich nicht nur Bauern, Taglöhner, Handwerker und Soldaten, sondern auch sehr viele Perücken, Ordensbänder und Köeffüren al’ Aspasie – ist nicht sehr leicht von dem Gifte der Aufklärung anzustecken. Er befindet sich viel zu wohl dabey, wenn er das glaubt, was die Kirche glaubt, als daß [97] er sich erst noch die Mühe nehmen sollte, zu raisonnieren, zu meditieren, zu spekulieren und zu dubitieren. Er nimmt aber auch in diesem Zustande der Trägheit und Gleichgültigkeit selten Parthie gegen die Aufklärung. Er betrachtet das pro und das contra derselben als eitles Pfaffengezänke, und geht ruhig seinem Gange fort, ohne sich darum zu kümmern, ob das Licht oder die Finsterniß einen größern Raum erfülle. Dieser Kaltsinn war gar nicht nach unsern Wünschen. Wir wollten den Pöbel in Harnisch bringen, daß er sich seinen illuminirten Lehrern widersetze, daß er Klagen gegen sie erhebe, daß er ihnen nicht mehr beichte, daß er ihnen die Fenster einwerfe. Dieß konnte dann für den besten Beleg zu der von uns so oft wiederholten Behauptung gelten: Die Aufklärung bringe Verwirrung in die Kirche und in den Staat, und stifte Unruhe und Empörungen[20].

Wir hatten zwar bisher das Volk fleißig bearbeitet. Man predigte unaufhörlich von der neuen Ketzerey, man warnte in den Beichtstühlen ausdrücklich und namentlich vor den Verdächtigen, man bewies, daß ihre priesterlichen [98] Handlungen keine Kraft haben, man machte ihre anmaßliche Tugend zu Schanden, man theilte eine Menge anti-illuminatischer Flugschriften aus, man ermahnte mit Bitten und Flehen zur Standhaftigkeit im alten Glauben. Damit konnte nun freylich unsere Absicht nicht überall verfehlt werden. Die jungen Herren, die mit der Fackel in der Hand umher wandelten, erlangten nur wenig Kredit, und in einigen Orten fanden die Bauern das neue Licht so blendend, daß sie ohne Umstände hinzutraten, und es dem Lichtträger aus der Hand schlugen. Das war uns aber noch nicht genug. Das Volk sollte förmlich gegen seine Verführer aufstehen, und sich allgemein und laut zu unserm Schutzpatronen erklären. Man kann alles mit demselben ausrichten, sobald es Wunder sieht. Es wurden also in dem geheimen Ausschusse der Jesus-Brüderschaft Wunder beschlossen, und die Mutter Gottes auf der Thalwiese dazu erkießt. Dieses Bild steht in einer ganz isoliert-liegenden Kapelle, neben welcher ein Beneficiat wohnte, der klug und rechtgläubig genug war, daß wir ganz auf ihn rechnen durften. Ein Bild in einer Stadt- oder Dorfkirche war, aus bekannten Ursachen, für unsern Zweck nicht tauglich.

[99] Eine alte Bäuerinn hatte sich aus Geiz und Habsucht dem Teufel gelobt, und den Kontrakt auf 25 Jahre abgeschlossen. Die Sache war so ziemlich bekannt. Denn die Hexe hatte, ohne daß man begreifen konnte, wie? einen großen Reichthum zusammen gescharrt, und war so schlimm und bösartig, daß niemand in ihrer Nähe wohnen konnte. Beleidigte sie jemand, so gaben die Kühe auf der Stelle rothe Milch, und die Hühner legten taube Eyer. Auch behauptete der Nachbar Michel, er sehe sie oft um Mitternacht auf der Ofengabel durch den Kamin hinaus fahren, und über den Häusern hinweg lavieren. Ihre Stunde war unterdessen gekommen. Sie begab sich bange und zitternd auf die in dem Kontrakte bezeichnete Stelle. Der böse Feind erschien, machte viele lustige Bocksprünge um sie her, stieß sie mit seinen Hörnern bald auf den Rücken, bald vor die Brust, und trieb so ein langes und ein breites ärgerlichen Unfug und Spektakel. Der Saiger auf der Dorfkirche schlug. Er ergriff sie am Korset, und fuhr mit ihr in die Höhe. In diesem Augenblicke aber rief sie jämmerlich: Heilige Mutter Gottes von der Thalwiese bitte für mich! Das entwaffnete den [100] alten Sünder. Die reumüthige fiel wieder auf die Erde. Dem Teufel blieb das Korset in den Krallen. Im Zorn über das Mißlingen seines Raubes zerriß er dasselbe in Stücke, warf die Fragmente auf die Gerettete herunter, verschwand, und hinterließ einen pestilenzialischen Gestank, der die ganze Gegend auf mehrere Meilen weit erfüllte. Das Weib erschien vor dem Bilde, das für sie so hülfreich gewesen war, und erhielt die Absolution. Die Trümmer des Korsets aber wurden in perpetuam rei memoriam an der Wand der Kapelle aufgehängt.

Sobald das große Wunder bekannt geworden war, womit Gott sein Volk heimgesucht hatte, ergriff ein Geist des frommen Eifers die ganze obscurantische Klerisey, um dem glaubigen Volke die Mutter Gottes auf der Thalwiese anzupreisen. Bald ströhmten Angefochtene aller Art herbey, um sie in ihren Nöthen um Hilfe zu bitten, und siehe! die Blinden sahen, die Tauben hörten, die Lahmen giengen, die Todten standen auf, und allenthalben ward das Evangelium der Finsterniß gepredigt. Manchen Tag sahe man tausende von Pilgrimmen[21] vor dem gnadenreichen [101] Bilde anbeten. Sein Ruf erscholl in ganz Strahlenberg und in allen umliegenden Ländern. Es kamen Leuten 25 bis 30 Meilen weit hergegangen, geritten, gefahren und getragen. Der Marketender, der von dem Cistercienser Kloster, auf dessen Markung die Kapelle lag, die Verpflegung gepachtet hatte, verschloß jede Woche 10 Eymer Bier, einen Eymer Brantewein, 600 Pfund Fleisch und 600 Paar Bratwürste. Sogar die Töchter der Freude verließen die Residenz, und schlugen ihre Buden auf der Thalwiese auf, wo ihre Waare weit besser bezahlt wurde, als in der Stadt. Das heilige Blut zu Waldthürn, die Madonne zu Ettal, und die Maria zum guten Troste auf dem Plainberge bey Salzburg verlohren ihre einträglichsten Kunden.

Auch meine Weinigkeit sollte ein Werkzeug zur Verherrlichung des neuen Wunderbildes werden. Ich wurde plötzlich von dem bösen Geiste besessen. Ich bitte meine Leser, daß sie mich um deßwillen für keinen schlechten Menschen halten. Es verhielt sich bey mir, wie bey dem Blindgebohrnen im Evangelio. Es hatten weder meine Aeltern noch ich gesündigt, sondern es geschah [102] alles, damit die Ehre Gottes offenbar würde. Der Anfall war schrecklich. Ich lief wie ein Rasender in der Stadt umher, streckte die Zunge Ellen lang aus dem Halse, wälzte mich in den Mistpfützen, warf das Brod auf den Bäckerläden auf die Erde, trieb Schaum zum Munde und zur Nase heraus, und brüllte, daß die Fenster in den Straßen zitterten. Dabey war der Geist, der in mich gefahren war, ein Wahrsager-Geist. Ich prophezeyte Feuer, Hagel, Viehsterben, Pestilenz, Aufruhr und überhaupt alles Böse, um dessen gnädige Abwendung wir in der Litaney bitten, wenn nicht der Unfug der Aufklärer abgestellt, und die alte Weise in Kirchen und Schulen restituiert würde. Man band mich in Ketten an Händen und Füßen. Leibliche und geistliche Aerzte versuchten ihre Kunst an mir. Alle wurden zu Schanden. Endlich brachte der Kapuziner-Guardian die Mutter Gottes auf der Thalwiese im Vorschlag. Ich willigte ein. Unter einer ansehnlichen Begleitung von Mönchen, Weltpriestern und Laien reiste ich ab.

Eine große Menge Zuschauer aus allen Ständen hatten sich auf der Thalwiese versammelt. [103] Denn es war bekannt geworden, daß mein prophetischer Geist selbst diesen Ort zu seiner Erlösung gewählt habe. Bey dem Anblicke der wunderthätigen Maria gerieth ich in den fürchterlichsten Paroxismus. Vielen Leuten wurde bey meinem Gebrülle unmächtig. Der Pater Beda nahm das Bild herunter, und berührte, indem er den bösen Geist beschwuhr, mit demselben meine Stirne. Es begann ein grauses Geprassel. Das Chorgewölbe der Kapelle stürzte ein. Man sah den freyen Himmel durch das Staubgewölke. Der Teufel war oben zum Loche hinaus gefahren. Viele von den Zuschauern hatten ihn leibhaft gesehen. Munter und gesund verließ ich das Wunderbild.

Diese Geschichte gab dem Kredite desselben seine volle Bestätigung. Der Zulauf wurde von nun an zehnmal großer, als er eher gewesen war. Sechs Kapuziner waren unaufhörlich beschäftigt, Beichte zu sitzen. Es fielen reiche Opfer. Schnell wuchs zu die Summe so sehr an, daß man den Entwurf, zur Erbauung einer stattlichen Kirche und eines Hospitiums, machen konnte. Die Geistlichen von unserer Parthie allegierten diese neuen Thaten Gottes, als den [104] stärksten Beweis gegen die Trügereyen der Aufklärer. Bey dem Anblicke solcher Zeichen und Wunder fand kein Zweifel weiter statt. Der Pöbel ward allgemein gewonnen. Ein nasenweiser Jägerspursche, der frech genug gewesen war, in einer gerade sehr volkreichen Dorfschenke, die ganze Sache für Pfaffenstreiche zu erklären, wurde von den anwesenden Bauern auf der Stelle todt geschlagen. Sie tanzten jubelnd auf dem Leichname des Ketzers umher, und tranken auf die Gesundheit der Mutter Gottes auf der Thalwiese.

Die Philosophen des Landes schwiegen arglistig stille, und wagten es nicht, dem Volksgeiste, der sich mit jedem Tage drohender gegen sie erhub, in die Augen zu greifen. Um deßwillen legten sie die Hände nicht in den Schoß. Sie breiteten einen der schändlichsten Frevel aus, den je Menschenhände verübt haben. Der Küster erschien eines Morgens in der Kapelle, und – siehe! Die Mutter Gottes war gestohlen, und auf dem Altare lag ein Zettel des Innhalts: man werde sich nur unnütze Mühe geben, sie zu suchen; der Dieb habe sie sogleich zu Asche verbrannt. Die Aufklärer glaubten durch die Zerstöhrung dessen, was sie [105] ein Zeichen des Aberglaubens nannten, ihre Sache recht gut gemacht zu haben. Aber nie hatten sie sich dieselbe mehr verdorben. Das ganze Land gerieth in Aufruhr, alle Kanzeln hallten von der Beschuldigung wieder, das sey das Werk der Neuerer. An vielen Orten durften sich die Verdächtigen kaum auf der Straße sehen lassen. Auf der Lese-Bibliothek wurden in einer Nacht alle Fenster eingeworfen.


Neuntes Kapitel.
Kant und eine Geistererscheinung.

Leyder gehen solche Aufzuckungen des gerechten Religionseifers bey dem Volke schnell vorüber. Bey seinem steten Sorgen für die Reichthümer und Wollüste dieses Lebens hängt sein Herz nie unzertrennlich an dem, was das Heil des künftigen Lebens betrifft. Die Mutter Gottes auf der Thalwiese ward vergessen, wie ein Traum, und die Kapelle, in der ehemals so viele Menschen zusammen ströhmten, stand einsam, wie ein umgestürzter Leichenstein. [106] Der Hauptstreich, den wir der Rotte der Verführer zugedacht hatten, war mißlungen. Unbekümmert wandelten sie, unter dem Schirme des Hofes, auf ihrem Wege fort. Die Glorie von Tugend, die sie umgab, erhielt das Volk in Achtung. Ihre Religionsvorträge hatten die alte Farbe; höchstens hüllten sie das Gift nur in eine schönere Envellope, wodurch es aber doppelt gefährlich ward. In dem Lyceum, in den gebildeten Zirkeln, in der Hofkapelle und in gedruckten Schriften herrschte der naturalistische Ton, wie zuvor; ja er erhub sich mit jedem Tage dreister.

Um diese Zeit wurden die ersten Vorboten der berühmten kantischen Pilosophie auch in Strahlenberg sichtbar, und sie verbreitet sich schnell, wie ein Brand, in den der Sturm weht, über die ganze Clique der Illuminaten. Der unwürdige geistliche Rath des Bischofs von Freysingen, Sebastian Mutschelle, hatte einige Exemplare seines verführerischen Buchs, über das Sittlichgute, an seinen treuen Kumpan Lucius spediert. Dieser fand es so trefflich, so göttlich und so einzig, daß er [107] es in seinen Cirkelbriefen, als das Buch aller Bücher empfahl, und versicherte, es enthalte eine vollkommenere Moral als die Bibel und als Pattuzzi theologia morum. Sogleich fand man es in den Händen der Damen und der Kavaliere. Die Professoren an dem Lyceum und die jungen Priester auf den Dörfern verwandelten es in Saft und Blut, und wurden so lüstern nach der ersten Quelle der Weisheit, daß sie nichts anders mehr studierten, als Kant und Reinhold. Die Logik wurde nach dem völlig Kantischen Compendium des Wirzburgischen Mutschelle, Maternus Reuß gelesen, und es verbreitete sich sogar das Gerücht, daß der Professor Zimmer von Dillingen als Lehrer der Philosophie angestellt werden sollte, der in einer kleinen lateinischen Schrift geradezu behauptete, alle Beweise für das Daseyn Gottes seyen Saifenblasen. Am Hofe und in den Hörsalen der Schule schwatzte man nun unaufhörlich von der Tafel der Kategorien, von den Analogien der Erfahrung, von den Postulaten des empirischen Denkens, von Phönomenen und Noumenen; die Dorfpriester predigten von den Formen [108] der Sinnlichkeit, von dem reinen Vernunftglauben, von dem ersten Grundsatze der Moral, und von dem Gesetze in uns; und wenn das Moden-Journal einen neuen Schnitt ankündigte, so stellten die Damen genaue Untersuchungen an, ob derselbe auch den Grundsätzen der transcendenten Aesthetik gemäß sey?

Die Jesus-Brüder blieben bey der Erscheinung dieses neuen Gespenstes nicht unthätig. Vor der Hand beschloßen sie, 100 Exemplare von Stattler’s Anti-Kant und eben so viele von seinem Innbegriffe der unaustehlichen Ungereimtheiten in der Kantischen Philosophie zu beschreiben, und im Lande zu verbreiten. Diese Maaßregel konnte wenigstens zur Glaubensbefestigung derjenigen nützlich seyn, die noch nicht zur Fahne der Aufklärer geschoren hatten. Denn es ist wahr, was Stattler selbst behauptet, daß er die Kannten nicht nur zum abschreckenden Beyspiel auf den Pranger gestellt, sondern seine Philosophie also in den Staub getretten habe, daß er nicht mehr, wie es von dem Hebräer Mendelsohn geschehen, [109] der alles zermalende sonder der zermalmte Kant genannt werden müsse. Eben so streng und sonnenklar, als der Pater Wiest in Ingolstadt die Uebereinstimmung der katholischen und der Vernunftreligion erwiesen hat, beweist Stattler: Kant’s Schriften seyen voll Irrthümer, sie enthalten dem gesunden Verstande widersprechende und widersinnige Behauptungen, und die ärgerlichsten auf den Umsturz aller Religion und guten Sitten abzielende Lehrsätze. Kant sey ein Stümper, ein unmetaphysischer Kopf, und seine Freunde bilden einen gegen die Religion und den Staat verschwohrnen Klubb, voll Ränke und unverschämter Bosheit. – Es ist unbegreiflich, wie man diese herrlichen Schriften lesen, und dabey doch ein Kantianer bleiben kann. Aber freylich der natürliche Mensch vernimmt nichts von dem, was des Geistes Gottes ist, und wir haben schon so lange Bellarmin’s goldenes Buch, de controversiis christianae fidei, und doch giebt es an allen Orten und Enden der Welt noch so viele Lutheraner und Kalvinisten.

[110] Man durfte es aber bey der Ausstreuung dieser Schriften allein nicht bewenden lassen. Der todte Buchstabe ist kein hinreichendes Wehr gegen einen solchen Feind. Denn keine Art von Aufklärung ist, wie man sehen wird, so gefährlich, als die Kantische. Es war schon ärgerlich genug, daß ein lutherischer Professor auf einer erzlutherischen Universität, ein Sektenhaupt für Katholiken, und ein autor classicus für katholische Schulen seyn sollte, als ob nicht auch wir unsere Männer, unsere Philosophen und unsere viros classicos hätten. Nehme man dann erst den Gehalt dieser neuen Philosophie dazu, so konnte kein Zweifel übrig bleiben, daß der oftgenannte Immanuel von Königsberg der Anti-Christ sey, von dem der Apostel Paulus und Johannes in der Apokalypse geweissagt haben. Denn er behauptet, man könne weder das Daseyn Gottes, noch die Unsterblichkeit der Seele probieren, und tastet alle für diese dogmata bisher geführten Beweise frevelhaft an. Die Seele und Gott, sagte er weiter, seyen blose Ideen, also keine für sich existierende Dinge. Die Körper und die Materie, fährt er fort, seyen weiter nichts, als Erscheinungen, und werden erst durch unsere [111] Vorstellungen möglich. Er predigt eine Moral ohne Gott, und lehrt ausdrücklich, die erstre bedürfe der Religion durchaus nicht. Folglich ist Kant ein Idealist, Fatalist und Atheist, und ein jeder konsequenter Kopf, der seine Lehre annimmt, ist für die Religion und für den Staat eben so gefährlich, als die Spinozisten, und die Monarchomachi. Dabey kleidet er seine böse Weisheit in eine so schwere, kauderwelsche und unverständliche Sprache ein, daß mich meine Herren Patres oft versichern, sie wollten lieber die sämmtlichen Romanen des langweilen Jean Paul’s lesen, und keinen Blick mehr in die sehr unterhaltenden Gedichte im Geschmacke des Grecourts thun, und keinem Mädchen mehr Beichte sitzen, als nur einen Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft bis zum Fassen und Begreifen durchstudieren.

Die Jesus-Brüder setzten alle ihre Kräfte in Bewegung, um der neuen philosophischen Epidemie zu steuern. Die meisten Predigten Simpert’s kämpften nun gegen das Thier aus Norden, und ihr findet in Stark’s Apologie kein derbes Schimpfwort, und in den [112] Xenien von Göthe u. Schiller keine Bitterkeit und keine Lästerung, die man damals nicht auch aus dem Munde des zürnenden Eiferers gehört hätte. Die Land-Dechanten erhielten den Befehl, die ihnen untergeordneten Priester genau zu beobachten. Man lernte die kräftigsten Stellen aus Stattler auswendig, um sie bey Gelegenheit an den Mann zu bringen. Man fand eines Morgens die Kritik der reinen Vernunft an den Pranger genagelt; und ein loser Vogel mahlte an die Thüre des Jesuiter-Kollegiums einen Galgen, an dem ein Priester hieng, mit der Ueberschrift Sebastian Mutschelle.

Simpert machte eine neue Probe bey Sr. Durchlaucht. Er hatte noch nie so gewaltig vor Höchstderselben deklamiert. Er bewies, was am Ende mit der neuen Philosophie heraus kommen werde. Er stellte Ihnen Himmel und Hölle vor. Aber der Fürst saß da, wie Sulzer, Lavater u. Füßli, als ihnen Obereit, in dem Gasthofe zu Lindau seine Gedichte vorlas. Da war kein Interesse für die gute Sache, keine Selbstständigkeit, kein Muth zu handeln. „Ich werde der Sache ein Ende machen, hieß es zwar; solche philosophische [113] Schnurrpfeiffereyen werden in meinem Land nicht passiert. Nur muß ich erst mit meiner Frau daraus sprechen.

Es war nöthig, den unlenksamen, eigensinnigen, verstockten Herrn einmal derbe zu packen, und gegen seinen unüberwindlichen Trotz einen Hauptstreich zu versuchen. Wir wissen, was Menschen, und menschliche Vorstellungen nicht vermögen, das ist den Geistern des Himmels und der Unterwelt leicht. Zwar kann man in den itzigen unglaubigen Zeiten wenig mehr durch Geistererscheinungen bewirken, Aber der Fürst war, zum Glücke, noch nicht in dem Pfuhle des Unglaubens ersoffen, der unser ganzes Jahrhundert überschwemmt. Bey ihm stand auf diesem Wege sehr viel zu erwarten.

Die Gelegenheit bot sich wieder sehr leicht dar. Serenissimus begaben sich auf das Jagdschloß Dirnau. Es befand sich niemand in seinem Gefolge, als Steinbock, Simpert, Jean Baptist und ein Paar Jäger. Ich, dem man bey solchen Versuchen, das Reich Gottes durch Harlekinaden[22] zu gründen, immer die Hauptrolle übertrug, war auch in der Gesellschaft, [114] unter dem Prädikate des beichtväterlichen Pedells.

Lustig und guter Dinge war der Fürst vom Sauper aufgestanden, und hatte sich zur gewohnten Stunde schlafen gelegt. In demselben Zimmer schlief Steinbock, und neben bey Jean Baptist, welche beyde von der Farçe unterrichtet waren, die gespielt werden sollte. Es hatte ein Uhr geschlagen, als ich in einer wunderseltsamen Gestalt in das Kabinet Sr. Durchlaucht tratt. Ich hatte einen langen Talar an, eine Krone auf dem Haupte, und einen Scepter in der Hand. Meine Gestalt leuchtete, wie ein glühender Körper, und eine Glorie umgab mein Haupt.

„Erwache, mein Sohn!“ rief ich mit lauter Stimme, indem ich vor das Bett des Fürsten trat. Seiner Pistole hatte ich mich zuvor versichert; denn es war ihm, bey der ritterlichen Laune, die ihm manchmal anwandelte, nicht immer zu trauen. Er fuhr auf, und that einen fürchterlichen Schrey: „Himmel, was ist das?“

[115] „Ich bin dein Vater,“ fuhr ich fort.

Hu! – Mein Vater! –

„Höre mich, mein Sohn! und fürchte dir nicht. Die Ketzerey deiner Pfaffen hat meine Gebeine beunruhigt. Höre auf, der Beschützer der Ketzer zu seyn. Rotte sie aus, vertilge sie, säubere dein Land. Wohl mir und dir, so du das thust. Wehe mir und dir, so du es unterläßt. Verschweige meine Erscheinung; aber erfülle meinen Willen. Wirst du dieß Gebot deines Vaters verachten, so wird zur Stunde der Engel des Todes dich abmähen.“

Mein Vater! zürne mir nicht!

„Mein Sohn stöhre meine Ruhe nicht weiter!“ Mit diesen Worten verschwand ich. Der Kammerdiener und der teutsche Ritter hatten mich belauscht. Beyde versicherten, ich spiele Gespensterrollen, als Meister.

Sobald ich mich zurück gezogen hatte, rief der Fürst dem Kammerdiener. Zitternd und todtesbleich saß er auf seinem Bette. Er klagte [116] über Uebelseyn und Schrecken. Die beyden andern Herren kamen auch herbey. Er erkundigte sich, ob sie ruhig geschlafen haben. Sie bejahten die Frage. Sogleich eilte ein Jäger in die Stadt, um den Leibarzt zu holen. Dieser kam gegen Tag an. Jean Baptist hatte dem Patienten zuvor eine Ader geöffnet. Der Fürst war schwermüthig und sprach wenig. Er gieng sogleich in die Stadt zurück. Treulich befolgte er den Befehl des Gespenstes: Verschweige meine Erscheinung!

Ein Paar Tage später fragte er Simperten, wie es mit der Aufklärung im Lande stehe, und wie denn eigentlich von seiner Seite den neuen Ketzereyen der Garaus gemacht werden könnte? – Nun bot der Alte alle Kraft auf, die in ihm lag, um recht nachdrücklich zu perorieren, und dem erschütterten Sünder die Hölle recht heiß zu machen. „Gott, sprach er, sey gepriesen, daß Sie, gnädigste Herr! endlich zur Erkenntniß gekommen sind. Gewiß hat der Allmächtige ein Wunder gethan, um Ihren starren Sinn zu beugen. (Hier ließ der Fürst einige Thränen fallen.) Der Unfug hat lange genug gedauert. Lassen [117] Sie endlich die letzte Stunde der Atheisten und Illuminaten schlagen. Man muß sie kassieren, aus dem Lande verweisen, orthodoxe Lehrer anstellen, eine scharfe Censur einführen, die Lese-Bibliothek verbrennen, kein fremdes Buch mehr über die Gränze lassen, die Aemter an Kirchen und Schulen mit Ex-Jesuiten besetzen, und bey der Verweisung der Widerwärtigen mit dem Abbe und mit dem Baron von Frankenstein den Anfang machen.“

Unglücklicher Weise hatte der heilige Eifer den guten Simpert zu weit fortgerissen. Er hatte das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und durch die Zusammenhäufung aller seiner Forderungen den Fürsten scheu gemacht, daß er an sich selbst verzweifelte. In einem solchen Falle muß man auf den Mann sehen, den man vor sich hat, und ihn erst mit Milch und Zucker auf die starke Speise vorbereiten. Man kommt damit zwar langsamer, aber desto sicherer zu seinem Ziele. Im umgekehrten Falle aber überladet man den Magen, und er kann denn auch die leichtesten Brühen nicht mehr ertragen. Da hatte der gute Greis, wahrlich! weder den Jesuiten, noch den Hofmann gemacht.

[118] Als der Fürst von der Entfernung des Abbes und des Geheimen Rathes hörte, bebte er zurücke. „Das ist unmöglich, sprach er. Der Abbe steht in dem Brod der Fürstinn, und Frankenstein kann ich durchaus nicht entbehren. Ja – da könnte ich bey meiner Frau nicht mehr wohnen. Der Handel ist schlimm, Simpert! Hätte der Teufel die Aufklärung geholt, ehe der lumpichte Metze einen Schritt über meine Gränze machte.“

Auch der in den Künsten des Hofes sonst so gewandte Baron von Steinbock verbesserte den von dem Beichtvater gemachten Fehler nicht. Er glaubte, die Gespenstererscheinung sey hinreichend, dem Fürsten Muth zu einer kraftvollen Handlung zu geben; und bey seinem Hasse gegen den Geheimen Rath konnte er die Stunde der Rache nicht erwarten. Als ihn deßhalb der Fürst um seine Meynung befragte, so platzte er sogleich mit dem heraus, was eigentlich das Letzte hätten seyn sollen, und damit ward auch das Erste in seinem Werden erstickt. „Das ist mir zu viel, sprachen Serenissimus. Das vermag ich nicht. Ich will alles probieren. Ich will die [119] Aufklärung bey höchster Strafe verbieten. Ich will die Sapperments-Illuminaten sammt und sonders auf die Hauptwache setzen lassen. Aber dem Abbe habe ich nichts zu befehlen, und Frankenstein ist mir unentbehrlich. Könnte er denn nicht Geheimer Rath bleiben, und doch das verfluchte Aufklärungswesen aufgeben? –“

Nach den Berichten, die von Jean Baptist erstattet wurden, tratt der Fürst zu verschiedenen malen mit ziemlich heftigen Erklärungen in dem Kabinete auf, und es kam sogar zwischen ihm und dem Geheimen Rathe zu einem Wortwechsel, wo auf beyden Seiten bittere Reden fielen. Aber das war auch alles. Die Fürstinn beruhigte sein Gewissen durch die Vorstellung, daß die Anstalten zur Aufklärung ihr Werk seyen, und daß sie deßhalb alle Verantwortung auf sich nehme. Sie erregte seinen Ehrgeitz, indem sie ihm versicherte, daß ganz Teutschland seinen Namen neben dem Namen Kaiser des Joseph, des Erzbischofs von Salzburg und des Churfürsten von Maynz nenne. Sie schwuhr ihm, daß noch nichts gegen, wohl aber schon sehr viel für die Religion [120] geschehen sey. Dabey war der Fürst leichtsinnig und gedankenlos. Seine Vorstellungen hafteten auf keinem ernsthaften Gegenstand lange, und sollte auch eine Stimme vom Himmel ihn dazu ermahnt haben. Man sah nicht einen Schritt des Kabinets, der als Wirkung der nächtlichen Erscheinung zu Dirnau hätte betrachtet werden können. Es war nichts gewonnen, als daß die Abneigung Sr. Durchlaucht vor der Aufklärung, und sein Mißtrauen gegen sie, auf einem höheren Grade stand. Jedoch schon dieser Gewinn war nicht zu verachten.


Zehntes Kapitel.
In Frankreich gehts drunter und drüber. Eine Gesandtschaft.

Indem in dem Fürstenthume Strahlenberg die Aufklärung so ungehindert ihren Weg fortschritt, und die Bemühungen der Rechtglaubigen, [121] ihr Prügel in die Füße zu werfen, so fruchtlos waren, stürzte sie in dem Westen von Europa, den uralten Thron des aller christlichsten Königs um, und verwandelte das liebe, theure Land, in dem eher der fromme Religionseifer so viel Ketzerblut vergossen hatte, in eine Mördergrube. Diese schreckliche und einzige Staats- und Kirchenumwälzung hatte auf das Obskurations-Werk der teutschen Glaubenshelden den gesegnetesten Einfluß. Denn sie öffnete den Großen der Erde die Augen, daß sie die Gefahren sahen, welche der Kakodämon des Lichts nicht nur der Religion, sondern eben sowohl auch den Thronen bereitete, und sie vereinigte die Geistlichkeit und den Adel in einen Bund, weil beyde gegen einen gemeinschaftlichen Feind zu Felde ziehen mußten, wenn sie ihre Rechte, ihre Reichthümer und sogar ihre Existenz behaupten wollten.

Daß die französische Revolution blos das Werk der modernen Philosophie gewesen sey, bedarf nach den klaren Beweisen, die Burke, Girtanner, Reichard, Schirach und der heilige Vater selbst in mehreren Bullen geführt hat, keiner weitern Erörterung mehr. [122] Denn alle die Ideen von Menschenrechten, Volks-Souvrainität, Freyheit, Gleichheit, Demokratie u. s. w. auf welche die französische Verfassung erbaut wurde, sind aus jener Philosophie herüber geholt. Sobald dieselbe einmal den biblischen Kraft- und Trostspruch: „es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott!“ umgestoßen, und die gottlose Lehre von dem bürgerlichen Vertrage etablirt hatte, – so standen die Thronen auf Sand, und man gehorchte blos mehr, weil man mußte; und weil den Verkehrten noch das Gleichgewicht durch die Besserdenkenden gehalten wurden, die darauf lebten und starben, der Fürst könne ohne Verantwortung mit seinen Unterthanen schalten und walten, wie z. B. ich mit den wenigen Groschen in meinem Beutel.

Zwar behaupten die Jakobiner und Demokraten auf der linken und rechten Seite des Rheinstrohms, daß bloß die Bedrückungen, der Despotismus, die Aussaugungen und die übertriebene Volkshudeley der französischen Könige, Minister, Pfaffen und Edelleute den jüngsten Tag über ihr Vaterland gebracht haben. Das Sklavenjoch sey den Leuten unerträglich gewesen; [123] und so hätten sie dasselbe abgeworfen, und sich dann schrecklich an ihren Peinigern gerächt. Aber gerade dieser von den Verfechtern der Revolution angeführte Grund, ist der Verräther der Philosophie. Denn hätte das französische Volk die ewigen Wahrheiten steif und fest geglaubt:

der große Haufe sey seinem Regenten gegenüber eine blose Sache,

er dürfe bey allen Forderungen des Regenten keinen eigenen Willen haben,

all’ sein Eigenthum und seine Kräften müssen dem Regenten zu Gebote stehen, und

nie dürfe der Unterthan über die Handlungen des Herrn raisonnieren;

so hätte es die ihm beschiedene Last geduldig getragen, und das ihm auferlegte Joch entweder als eine Wohlthat, oder wenigstens als ein malum necessarium betrachtet. Aber da stand der philosophische Beelzebub in seinem Rücken, und blies ihm unaufhörlich die aus Voltair, Roussau und Raynal aufgesammelten Trostsprüche ein: alle Menschen sind frey und gleich, – der König ist der erste Diener des Staats, – [124] das Volk hat, bey übermäßigem Drucke, das Recht sich zu empören. Das gefiel der stolzen, eigennützigen, unruhigen Menschennatur. Wollen wir selbst Herren seyn, hieß es, und nicht weiter mit gebücktem Rücken einher gehen, – und so loderte die Flamme der Empörung von einem Ende Galliens bis zum andern auf.

Jedoch man darf nur den Gang der französischen Revolution mit den Grundsätzen der neuern Philosophie vergleichen, und es bedarf keines Zeugnisses weiter, daß die letztere die leibliche Mutter der erstern sey, so wie z. B. Luther’s Reformation die Mutter des teutschen Bauernkrieges im 16. Jahrhundert, und der wiedertäuferische Spektakel zu Münster war. Schlaget die Schriften eines Rousseau, Voltair, Kant, Weishaupt, die allgemeine teutsche Bibliothek, die oberteutsche Literatur-Zeitung, Ruefs Beyträge u. s. w. nach, und unterrichtet euch über den wahren, geheimen Sinn derselben, den die Kritik über Kritiker, März, Stattler, Weissenbach, Eccartshausen, u. a. gegeben haben, so werdet ihr finden, daß die neue Philosophie [125] hauptsächlich auf die zwey Principien als ihre Grundsteine gebaut ist, alle Religion ist Wahn und Aberglauben, und alle Menschen sind frey und gleich. Die Franzosen aber bewiesen mit alle ihrem Thun und Wesen, daß sie blos darauf ausgiengen, diese Principien zu realisieren. Deßhalb haben sie den frommen Ludwig erst zu einem Kartenkönig gemacht, und dann, sammt seiner keuschen Antoniette, mörderisch guillotiniert, den hohen Adel seiner Rechte beraubt, die ganze Nation in lauter Canaille verwandelt, dem heiligen Vater den Gehorsam aufgekündigt, die eben so heilige Priesterschaft verbannt und profaniert, der Kirche ihre Schätze genommen, statt der alten moralischen Verfassung eine demokratische etablirt, allen gekrönten Häuptern den Krieg angekündigt, und ganz Europa mit Mord, Brand, Jammer und Noth erfüllt.

Da giengen endlich den teutschen Fürsten, unter denen es gleichsam Mode geworden war, die Philosophie zu beschützen, die Augen auf. Man hatte bisher überall mit Unwillen von den Verfolgungen gesprochen, welche der Churfürst von Bayern über die Illuminaten ergehen [126] ließ. Aber nun ward die Weisheit des Paters Frank und des Barons v. Kreitmeier allgemein anerkannt und bewundert, und unsre Fürsten bedauerten es, daß ihnen der liebe Gott eher nicht auch solche Rathgeber geschickt hatte. Sie fiengen zwar an, der Ueberschwemmung Dämme entgegenzusetzen; aber leyder! war es itzt beynahe überall zu spät. Jedoch war der Widerstand besser und lobenswürdiger, als träge Unterwerfung unter eine scheinbare Nothwendigkeit, und es verdient deßhalb eine ruhmvolle Erwähnung, daß der Churfürst von Trier die sämmtlichen Lesebibliotheken in seinen Staaten aufhub, und die stolzen Geister zu Dillingen demüthigte, daß der Kaiser eine allgemeine Büchersperre anlegte, daß der König von Preußen die allgemeine teutsche Bibliothek verbot, daß der Landgraf von Hessen-Kassel alle verdächtigen Briefe auf seinen Posten eröffnen ließ, daß das Ministerium zu Hannover die geschärftesten Befehle gegen die Aufklärung überhaupt bekannt machte, und daß der Magistrat der Reichsstadt Schw. Hall seinen Bürgern das Denken unter hohen Bedrohungen untersagte. Zeichen und Wunder hatten [127] die regierenden Klassen überzeugt, daß der Monarchismus und die Aufklärung schlechterdings nicht kotexistieren können, und daß eines von beyden fallen müsse, wenn das andere bestehen sollte. Natürlich arbeiteten sie an dem Falle der letztern, weil ihnen an der Erhaltung der erstern weit mehr gelegen war.

Da aber die meisten Fürsten ein gewisser Geist der Indolenz beherrscht, vermöge dessen sie sich um alle Dinge in der Welt mehr kümmern, als um Staats- und Regierungsangelegenheiten; so würden sie auch bey den großen Lectionen, die die franzosische Revolution ihnen gab, die Hände in den Schooß gelegt, und über ihren Festen, Jagden, Mädchen und andern fürstlichen Plaisirs die Gefahren ihrer Thronen übersehen haben, wenn nicht die Legionen der französischen Emigranten über den Rhein herüber gekommen wären, und sie gelehrt hätten, was zu ihrem Frieden dient. Mit Ehrfurcht und Bewunderung spreche ich den Namen dieser edlen und frommen Fremdlinge aus. Denn war es nicht edel und fromm, Vaterland, Aeltern, Freunde, Kinder, Gattinnen, Maetressen, Hab [128] und Gut zu erlassen, um die wohl erworbenen Rechte des Adels zu behaupten, und um nicht einwilligen zu dürfen, in den Rath der Verbrecher, die an dem Untergange des Staates und der Kirche arbeiteten? O ich gerieth in eine Art von Entzückung, als ich die zween ersten Emigranten sah, davon der eine ein Domherr von uraltem Hause, der andere ein Kapuziner war? Seyd mir willkommen, rief ich ihnen zu, ihr Märtyrer für euern König, und für die heilige katholische Kirche! Laßt mich den Saum eurer Kleider küssen, ihr frommen Söhne des heiligen Ludwigs! Wohl euch, daß ihr nicht in dem Rathe der Sünder sitzen, daß ihr nicht auf dem Wege der Spötter wandeln wolltet! Geduld! euer Sieg ist nahe. Babel wird zerstöhrt werden, und auf ihren Trümmern werdet ihr Triumph-Lieder und heilige Hymnen singen!

Der leidige Eigennutz hatte den Ausgewanderten in vielen teutschen Staaten eine kalte Aufnahme bereitet. Das war besonders der Fall unter den Protestanten, weil diese, wegen ihres höhern Maaßes von Aufklärung, fast ohne Ausnahme Demokraten sind, und nothwendig [129] die treuen Märtyrer der katholischen Kirche hassen mußten. Würdiger benahmen sich die geistlichen Fürsten am Rhein, und besonders die beyden Chur-Fürsten von Maynz und Trier. Wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel versammelt, so versammelten diese die Ausgewanderten unter ihre Infuln. In dem Bewußtseyn, daß die Unglücklichen, denen sie ihren Schooß geöffnet hatten, Gottes Sache führen, verachteten sie die Drohungen der Sansculotten zu Paris, thaten ihnen ihre Schätze auf, fütterten sie an ihren Tafeln, und gaben ihnen Raum und Mittel sich zur Rache gegen die Verbrecher zu rüsten. Der Name dieser beyden Fürsten wird in den Annalen der Monarchieen und der Kirche unauslöschlich seyn. Ohne sie hätte, wahrlich! Europa dem Umsturze seines ältesten Königsthrones ruhig zugesehen, und den Großen der Erde wäre die Schande geblieben, die noch auf allen denjenigen haftet, welche an dem Kriege keinen Antheil nahmen. Freylich war das Ende dieses Krieges nicht besonders tröstlich. Aber das geschah durch die Schuld der kurzsichtigen Politiker, welche Preußen und Hessen in einen [130] Bund zur Wiederherstellung der katholischen Kirche zogen. Diese verriethen die gemeine Sache, schoben den Karren in den Sumpf, und als er bis über die Aexte steckte, so klopften sie auf die Hosen, und giengen nach Hause.

Bekanntlich hatten die beyden Fürsten von Hohenlohe-Bartenstein u. Schillingsfürst, trotz des Widerspruches, den ihnen die protestantischen Stände des fränkischen Kraises, und der sehr unkatholische Bischof Franz Ludwig von Wirzburg und Bamberg entgegen setzte, sich auch öffentlich für die Ausgewanderten erklärt, der mirabeauischen Legion in ihren Staaten Quartiere eingeräumt, und ein Regiment geworben, das, mit Konde’s Heer, die Eroberung von Frankreich vollenden sollte. Dieser Entschluß war zweyer Fürstenhäuser würdig, welche von jeher so viel zur Gründung der katholischen Religion unter den Ketzern, zur Unterdrückung der Protestanten, und zur Wiederbringung so vieler verirrten Schafe durch Proselitenmacherey und durch Verfolgungen, beygetragen haben. Zugleich hatten diese illustern Häuser, weil ihre Einkünfte zur Bestreitung des ihnen gebührenden fürstlichen [131] Staates nicht zureichten, ihre Finanzen, eben so wie der König von Frankreich, in eine ziemliche Zerrüttung gebracht; die aber durch die besagte ehrenvolle Alliance leicht gehoben werden konnte. Der Eifer für den Aristokratismus und die Religion, und das Interesse führten also hier einem Ziele entgegen, und die Tugend gewährte den Lohn, daß man den Plackereyen. unverschämter Gläubiger, die in ihrem pöbelhaften Sinne keinen Respekt für die reichsfürstliche Würde haben, leicht los werden konnte.

Auf diese patriotischen Anstalten der Hohenlohischen Fürsten bauten die Jesus-Brüder einen neuen Entwurf Es waren zwar schon mehrere Emigranten an dem Strahlenbergischen Hofe erschienen. Aber man hatte sie steif und hölzern aufgenommen. Die Parthie der Illuminaten fürchtete diese Herren, und brachte die Besorgniß in Umlauf, daß man sich, nicht ohne künftige Gefahr, viel mit ihnen befassen dürfe, Zwar widerlegte Simpert diese Behauptung oft und nachdrücklich, und bewies Sr. Durchlaucht, es sey die Pflicht aller großen Herren die Edelleute und Priester zu unterstützen, die aus Anhänglichkeit an ihren [132] König und an die Religion ihr Vaterland verlassen hätten, und sobald ihre Kräfte einmal zu der erforderlichen Stärke und Konsistenz gediehen wären, so bedürfe es nur eines Spazierganges nach Paris, um die Idole[23] der neuen politischen und religiösen Aufklärer umzustürzen. Zwar bebte der Fürst zurücke, so oft er den Namen der Aufklärer oder der Aufklärung nennen hörte, weil ihm das immer eine durchbohrende Erinnerung an den Geist seines Vaters gab. Aber unmöglich war es, einen Eindruck auf das gute Herz dieses Herrn zu machen, dem seine Gemahlinn, und durch sie Frankenstein und der Abbe, nicht das Gleichgewicht gehalten hätten.

Steinbok und Simpert machten eine Probe, ob man Se. Durchlaucht nicht in den Gegenrevolutions-Bund ziehen könnte, indem die beyden Fürsten von dem Waldenburgischen Hause eine so hervor stehende Figur machten. Dadurch würden viele Emigranten den Zutritt bey Hofe erhalten haben, und durch sie, trotz alles Widerstandes der Aufklärung, der Herzstoß ertheilt worden seyn. Simpert war ein alter vertrauter Freund des Hofrathes [133] Herwig in Schillingsfürst. Meine Leser werden den Namen und die Schicksale dieses allen katholischen Seelen so ehrwürdigen[24] Mannes kennen. Er war eher ein protestantischer Prediger gewesen, kam aber durch Simpert’s veritas fidei catholicae methodo mathematica demonstrata, zur Erkenntniß der Wahrheit, opferte eine fette Pfarre seiner Ueberzeugung auf, treibt nun das Obskurations- und Konversions-Werk mit vielem Erfolge, und erwartet, bey einer sehr kärglichen Besoldung, für das alles den Lohn in dem Himmel. Diesem seinem Busenfreunde beschrieb Simpert, in einem langen Briefe, die ganze Lage der Dinge in Strahlenberg, und ermahnte ihn, es einzuleiten, daß der Fürst von Schillingsfürst, zu dessen Weisheit die Strahlenbergische Durchlaucht sehr viel Vertrauen hatte, die letztere zu dem unüberwindlichen Bunde einladen, und zur Aufstellung eines kleinen Subsidien-Corps für die ausgewanderten Prinzen disponieren möchte. Der Vorschlag ward mit allen nur möglichen moralischen Gründen unterstützt, und, im Falle, daß er durchgienge, die Perspektive auf eine schöne Rolle Dukaten geöffnet; – ein Umstand, der bey [134] einem Hohenlohe-Waldenburgischen Hofrathe sehr in Konsideration kommt.

Es verfloßen wenige Wochen, und siehe! der hochberühmte und hochgelehrte Herr Ex-Pastor und Ex-Protestant Johann Justus Herwig erschien, mit dem Charakter und Patente eines Hohenlohischen Gesandten, an unserm Hofe. Zwar hielt er nur in sehr dürftiger Gestalt, an einem Stabe einher wandernd, und seine omnia mea mecum porto in ein weißes Schnupftuch gepackt, seinen Einzug in die Residenz. Dieß irrte aber die Genossen der Obskurations-Gesellschaft nicht. Vielmehr fanden sie eine so einfache und anspruchlose Manier ganz eines Gesandten würdig, der zu einem Kriege für die Altäre werben sollte. Er ward unter großem Freudengeschrey in den geheimen Ausschuß der Getreuen eingeführt, in den bey seinem Geschäfte zu beobachtenden Klugheitsregeln unterrichtet, und als der Held gepriesen, der dem Volke Gottes in Strahlenberg Heil bereiten sollte. Solche Elogien waren dem redlichen Revertiten etwas Neues. Er vergaß über denselben alle Geisselhiebe und Nasenstieber, die er eher so unsanft von den Recensenten seiner Schriften erhalten hatte.

[135] An dem folgenden Tage ward er seiner Durchlaucht vorgeführt. Er übergab sein Werbungsschreiben, und begleitete es mit einer langen Rede. „Die Ausgewanderten, versicherte er, seyen das Salz der Erde. Sie waffnen sich, um in ihrem Vaterlande den umgestürzten Königsthron wieder aufzurichten, die entweihten Altäre zu reinigen, die Philosophen zu bestrafen, dem Janhagel Zaum und Gebiß in den Mund zu legen, die Protestanten in Frankreich mit Stumpf und Stiel auszurotten, und die goldene Zeit des vierzehnten Ludwig’s wieder zu bringen. Sie eröffnen dabey für die Fürsten Teutschlands das Feld der Ehre und des Verdienstes; und jeder der zu ihren Fahnen schwöhre, werde in der künftigen Geschichte des resuscitierten Despotismus, unter den Wiederherstellern der Monarchie und der Religion, und den Unterdrückern der Aufklärung glänzen, und sich und seinem Hause die schönste Aussichten eröffnen.“ – „Auf, gnädigster Herr, fuhr er fort; ziehen Sie Ihr Schwerdt, schicken Sie die Söhne ihres Landes, in den schönen Kampf, der nun begonnen wird, und flechten Sie in ihre Krone den Kranz der Unsterblichkeit!“

[136] Diese Rede war, wie meine Leser sehen, sehr wohl ausstudiert, sehr wohl stilisiert, und sehr wohl proponiert. Aber leyder! fiel der Samen wieder auf ein dürres Land. Der Redner sprach zu lange. Serenissimus gähnten, während er sprach, spielten mit Höchstdero Möpschen, und verfolgten sogar, mit der Fliegenklappe in der Hand, eine Wespe, die sich in den Saal verirrt hatte. Frankenstein, der neben bey stand, schnitt hämische Gesichter, fletschte die Zähne, und schüttelte den Kopf.

Herwig, voll aristokratischen Eifers, kümmerte sich um das alles nicht. Er fuhr mir derselben Wärme fort, mit der er begonnen hatte: „Zu tausenden ströhmten einst die Fürsten und Ritter Teutschlands in den Orient, um den Unglaubigen die heilige Stadt zu entreissen. Mit Ehrfurcht nennen wir ihre Namen. Die Zeit der Kreuzzüge ist wieder gekommen. Aber der Zug ist nicht so ferne, und der Sieg gewisser. Nicht in Asien, mitten in Europa thront der Unglaube. Nicht Saracenen sind unsere Feinde, sondern Philosophen und Pöbel!“

[137] Bey diesem Worte sprang das Eichhörnchen, das der Fürst zu seinem Vergnügen hielt, in den Saal herein, machte allerhand drolligte Kapriolen zu den Füßen des Redners, hüpfte an ihm hinauf, nahm Poseß von seinem Scheitel, und fieng an, das Haar von seiner Perüke gar ungebührlich zu zerzausen. – Der Anblick war nicht auszuhalten. Die Umstehenden lachten laut. Der Cicero von Schillingsfürst verstummte. Einige Hof-Komplimente waren alles, was ihm zu Theil wurde. Die Sendung war ganz ohne Nutzen.


Eilftes Kapitel.
Günstigere Prospekte für die Dunkelmänner.

Der Mißmuth, der sich durch dieses unerwarteten Fehlschlagen einer so viel versprechenden Anstalt in die Herzen aller der gesenkt hatte, die von derselben unterrichtet waren, [138] wurde bald wieder durch neue günstige Aussichten geheilt. Je weiter die Rebellen in Frankreich auf dem Pfade der Revolution fortschritten, je mehr vergrößerte sich die Anzahl der Lichtfeinde. Man sahe es täglich deutlicher, daß die Vorsehung ein Volk der Erde dem Satan der Aufklärung Preis gegeben, um dadurch die andern desto nachdrücklicher zu warnen, daß sie sich vor seinen Tücken bewahren. So macht es diese Vorsehung. Sie schickt ein kleines Uebel, um ein größeres dadurch zu hindern. Im fünfzehnten Jahrhundert, bey der unglücklichen Restauration der Wissenschaften, als der Doktor Faust die höllische Kunst der Buchdruckerey erfand, und die Bessarian, Gaza, Medices, Valla, Politian, Reuchlin – das Aufklärungswesen trieben, war der ganze Occident auf dem geraden Wege zum Heydenthum. Aber da ließ der Himmel dem Teufel freyes Spiel, daß er durch Luthern die Reformation anzettelte, damit die Glaubigen sehen sollten, was auf dem halben Wege schon für Jammer und Elend sey, und also das himmlische Kleinod des Katholicismus in seiner Reinigkeit bewahrten.

[139] Die Franzosen machten es immer ärger. Der König und die Königinn wurden, sammt ihren Kindern, wie eine Jaunersfamilie bewacht, und von Fischweibern, Schuhputzern und Kaminfegern ins Angesicht geschimpft. Der Adel ward nicht nur der Canaille gleich gemacht, sondern er war sogar ein Zeichen von Schande. Man schalt alle kleinen und großen Herren der Welt Tyrannen, Blutsauger und Volkspeiniger. Man erklärte alle Unterschiede unter den Ständen, alle Privilegien, alle Wappen, alle Orden – für Nullitäten. Man rief das Volk außer Frankreich durch Emissairs und fliegende Blätter zur Empörung auf, und – dem Volke gefiel dieß Wesen überall. Denn ihr werdet nirgends einen Bettler finden, der nicht gern ein Ritter, nirgends einen Sklaven, der nicht gern ein König, nirgends einen Waldbruder, der nicht gern Reichsprälat seyn möchte.

Diese leidigen, ärgerlichen Auftritte deckten vor den Augen der Großen und Edeln, die Scham der verführerischen Göttinn auf, der sie bisher aus Verkehrtheit des Herzens und Modesucht nachgebuhlt hatten. Die Spuhren der allmählich entstehenden richtigern Erkenntniß zeigten sich nun auch an unserm Hofe. Die [140] Fürstinn, die Kavaliers und die Dames machten vor den Franzosen so gut das Kreuz, als unser einer; und Simpert sprach auf seiner Kanzel kein Anathema über sie aus, das nicht der ganze Hof, ohne Ausnahme, von Herzen nachgesprochen hätte. Denn so sehr man auch der Aufklärung ergeben war, so hielt man sie doch nicht für so viel werth, daß man um ihrer willen die Ehre des Standes und der Ahnen aufgeopfert, und das Trödelweib am Markte zur Frau Schwester, oder den mannfesten Kaviller zum Herrn Bruder gemacht hätte.

Deßhalb entstand unter unsern Lichthelden eine Art von Spaltung, die sie in zwo Partheyen zerschnitt, welche sich gegen einander eben so verhielten, wie die Arianer und Semiarianer des vierten Jahrhunderts. Die eine Parthey [25] ehrte und schätzte zwar die Aufklärung wie zuvor; nur schloß sie ihr, sobald sie sich dem Tempel der Staatsverwaltung näherte, die Thüre vor der Nase zu. Denn, sagte sie, in diesem Tempel gilt blos das Herkommen; lassen wir die Vernunft mit der Fakel hinein, so steckt sie ihn in Brand, er stürzt ein, und wir werden unter seine Trümmer begraben. An der [141] Spitze dieser Parthey stand die Fürstinn, und auf ihrem Geleise wandelte der ganze Hof. Auch Lucius hielt es mit ihr, ingleichem Frankenstein. Denn diese Herren begriffen wohl, daß man, wenn die Fürsten zu blosen Privat-Leuten gemacht werden, keiner Hofprediger und keiner Geheimen Räthe mehr bedürfe. Auch hatten sie so ansehnliche Besoldungen, daß es sich wohl der Mühe belohnte, ihre philosophischen Systeme nach denselben zu modificieren.

Die andere Parthey[26] war konsequenter, als die erstere. Sie unterwarf, nach der Vorschrift der neuen Weltverbesserer, alle Dinge dem Urtheile der Vernunft, wollte die Staatsverfassung und Gesetzgebung eben sowohl aufgeklärt wissen, als die Religion, hielt die Revolution in Frankreich für den größten Sieg, den die Philosophie, seit die Welt steht, erfochten haben soll, und fanden es unbegreiflich, daß die erstern in dem Hamburger politischen Journal und in der Neuwieder Zeitung eine Erbauung suchen konnten, die nach ihrer Meynung, doch nur in dem Moniteur und in dem Straßburger Weltboten zu finden stand. Aber auch diese hielten [142] mit ihren politischen Meynungen sehr zurücke, und tauschten sie nur dann gegen einander um, wenn sie sich von keinem Profanen belauscht sahen.

Simpert ärgerte sich weit mehr über die Zweydeutigkeit der erstern, als über die Entschiedenheit der letztern Parthey, weil ihm jene, in ihrer Entfernung von den politischen Neuerern, das Mittel gefunden zu haben schien, die Aufklärung gegen ihre Feinde zu retten. Er sattelte deßhalb seinen homiletischen Pegasus wieder, und bewies in einer langen Predigt, die er, zu Nutze und Frommen des Publikums, auch dem Drucke überließ, „daß niemand aufgeklärt seyn könne, ohne es mit den Franzosen zu halten.“ Aufklärung schloß er, ist Vernunftgebrauch in allen Dingen. Der Vernunftgebrauch aber hat in Frankreich den König und den Adel zu nichte gemacht. Folglich muß das ein jeder billigen, der den Vernunftgebrauch für zulässig hält. Will man aber, fuhr er fort, einen Unterschied machen, und religiös aufgeklärt, politisch aber finster seyn, so geht man auf eine Unmöglichkeit aus, wie wenn man z. B. die Existenz des Teufels läugnen, und doch das [143] Daseyn Gottes annehmen, oder für einen ächten Katholiken gelten, und doch irgend einen Lutheraner selig preisen wollte.“ Diese Predigt war übrigens ein tief gedachtes und fein angelegtes Stück Arbeit, und machte dem Lucius und seinen Spießgesellen viel zu schaffen. Nur erwiesen sie dem Prediger den Gefallen nicht, konsequent zu seyn.

So sehr man sich indessen im Anfange gesträubt hatte, die französischen Emigranten zu beherbergen, so fiengen sie nun doch an, sich allmählig einzunisten. Das landesherrliche Verbot, keine ausgewanderten Priester aufzunehmen, wurde zuerst unkräftig. Den meisten Landgeistlichen von unserer Parthie wollte es nicht in den Kopf, wie ihnen der Fürst verwehren könnte, Werke der Liebe, besonders gegen so würdige Mitbrüder, auszuüben, und theilten ohne Anfrage Dach und Tisch mit ihnen. Die grausamen Lichtritter wurden von einigen Regungen der Menschlichkeit angewandelt, und sahen durch die Finger. Wohlhabende Layen ahmten das Beyspiel ihrer Seelsorger nach. Bald thaten sich ihnen auch die Pforten der Klöster auf, und so sahe man allmählich eine [144] Menge Tonsuren vor den Strahlenbergischen Altären, die eher an der Loire, an der Seine und an der Rhone das heilige Meßopfer verrichtet hatten. Alle diese Leute waren heftige Obskuranten. Schade, daß die wenigsten teutsch verstanden; wir hätten Wunder durch sie gethan. Sie stärkten die schwachen Brüder, erbauten das Volk durch ihre Frömmigkeit, pflanzten den Franzosenhaß durch den Anblick ihrer Armseligkeit und ihrer Lumpen, und verstanden doch bald so viel von unserer Muttersprache, daß sie den Bauern zurufen konnten: ütet euk vor die verflugte Aufgelärunk!

Am Hofe vermochte es Lucius auch nicht mehr, die Herren und Damen von der noblesse emigrèe so hinwegzubeißen, wie er es in den beyden ersten Jahren der Revolution gethan hatte. Die Fürstinn hatte pro primo ein natürlich gutes Herz, und es war unmöglich, sie so ganz zur Philosophinn zu machen, daß sie nicht Mitleiden gegen Grafen, Markise und Baronen hätte fühlen sollen, die eher Millionen und Hunderttausende jährlicher Einkünfte zogen, und nun auf der Diligençe im Lande [145] umher fuhren. Zum andern war der Adelsgeist auch neben der Philosophie noch sehr mächtig geblieben, und das Schicksal eines Edelmannes erregte die Sympathie weit stärker, als das Schicksal eines simpeln Menschen. Drittens war es doch auch für die fürstliche Eitelkeit ein bischen kitzelnd, Leute an dem Hofe von Strahlenberg zu sehen, welche eher die Ehre gehabt hatten, an dem Hofe von Versailles bey dem Lever du roi zu erscheinen. Endlich viertens waren die Ausgewanderten stolz genug, auf den Charakter eines französischen Edelmannes, und eines Märtyrers pour le roi et le roialisme, daß sie auch eine kalte Aufnahme nicht achteten, und so lange glaubten, daß ihre Gegenwart einem teutschen Fürsten Ehre mache, bis man ihnen geradezu den Abschied gab. Sie kamen deßhalb zu Roß und zu Fuß in die Stadt, quartierten sich auf Kosten des Hofes ein, erschienen täglich bey der Tafel, und blieben lange oder kurz, je nachdem es der Gang der Sachen in Koblenz, dem Mittelpunkt des von Schirach sogenannten auswärtigen Frankreichs, erheischte.

[146] Diese Leute wirkten nicht wenig für den Zweck der Jesus-Brüder. So oft die Rede auf ihr Schicksal und auf das Schicksal[27] ihres Vaterlandes kam, und das geschah täglich und stündlich und überall, drehten sie sich unaufhörlich um die Sätze herum, und stellten sie von allen nur möglichen Seiten dar: daß nicht Volksdruck, nicht Minister-Despotismus, nicht Landjunkers-Kurzweil die französische Nation in Aufruhr gebracht habe, – daß dieser Aufruhr einzig das Werk der Philosophen sey, – daß der Krieg, zu dem sie sich rüsten, gegen diese Philosophen und ihre Systeme geführt werden müsse, – und daß es bald allen teutschen Fürsten und Rittern eben so, wie ihnen ergehen werde, wenn sie in ihren Landen nicht der Philosophie den Garaus machen. So hatte man an der Tafel von Strahlenberg lange nicht gesprochen. Die Macht der Wahrheit machte ihre Feinde stumm. Lucius war im Anfange so dreiste, den Herren Einwendungen zu machen. Aber sie tratten ihn in den Staub. Die Fürstinn selbst erklärte sich gegen die falsche Aufklärung und gegen die Philosophie de la canaille. Simpert saß voll hohen Freundengefühls in ihrer Mitte, [147] und schoß, unter ihrem Schilde, giftige Pfeilen auf seine Widersacher ab. Der Fürst fluchte und schimpfte mit den Ausgewanderten in die Wette, und so oft von den Patrioten die Rede war, rief er laut aus: Hohle sie der Kukuk und sein Küster!

Die gefälligere Aufnahme der edlen Fremdlinge, hatten sie größten Theils dem Markis d’Ossan zu verdanken, der seine Zuflucht zu dem Fürsten genommen hatte, und als ein Verwandter des Hauses eben so angesehen und behandelt wurde, als wenn er zu der Familie gehörte. Dieser Mann, der sich, wie die Folge zeigen wird, sehr große Verdienste um das heilsame Obskurations-Werk in Strahlenberg erwarb, besaß vor der Revolution sehr große Güter in Lothringen. Ueberzeugt, daß man dem Volke nie die Flügel zu lange wachsen lassen müsse, und daß der Bauer nie besser zu behandeln sey, als wenn er weint, hatte er seine Unterthanen mit einer gewissen Strenge regiert. Seinen Grundsätzen getreu, entzog er ihnen nach und nach alles direkte Eigenthum, und verwandelte sie in blose Pächter, so daß er nach Belieben über sie schalten [148] konnte. Das hatte seine gute Folgen. Die Leute waren mit Wasser, Brod und Holzschuhen zufrieden, nahmen keinen Antheil an dem alles verderblichen Luxe, gewöhnten sich an den strikten Gehorsam, und waren, durch die Sehnsucht nach einem bessern Leben in jener Welt, sehr religiös und fromm. Er durfte zur Ergötzung seiner Freunde ihre Weiber und Töchter holen lassen, oder einen ungeschickten Treiber auf der Jagd vor den Kopf schießen, und – man hörte keinen Mucks. So sollte es auch überall seyn, wo die Alleinherrschaft in ihrer ganzen Stärke blühet, und alle ihre Rechte geldent macht. Lange gieng es auf diesen Fuß fort. Endlich brach die Revolution aus. Auch die Unterthanen des weisen Markis wurden wild. Sie steckten seine Schlösser in den Brand, verheerten seine Saaten und Gärten, kreuzigten seine Jagdhunde, und schlugen seine beyden Söhne todt. Nur er errettete sich noch mit Frau und Tochter, zur Hinterthüre hinaus, und kam, in dürftiger Bettlersgestalt, mit den Seinen bey dem Herrn Vetter in Strahlenberg an.

[149] Des weisen Markis – ? Dieses Prädikat verdiente er mehr, als irgend einer an unserm Hofe. Richtige Grundsätze in Absicht auf Volksregierung, Muth, um diese Grundsätze anzuwenden, List und Klugheit, um seine Entwürfe jeder äussern Form anzupassen, brennender Haß gegen Aufklärung und Philosophie, treue Anhänglichkeit an die katholische Religion, Ehrfurcht für ihre würdigen Priester, und Entschlossenheit, alles zu thun und aufzuopfern, und die menschlichsten Empfindungen zu verläugnen, wenn es die Pflanzung des Reichs Gottes, oder die Ausrottung politischer und religiöser Ketzereyen galt, – ist das nicht ein weiser, und ein großer und ein guter Mann, in dessen Charakter alle diese Züge vereinigt sind? – Und sie waren es in dem Charakter unsers Markis. Dabey besaß er viel Anstand und Beredsamkeit. Bald war er der erste Liebling des Fürsten. Er herrschte durch seine Ueberlegenheit am ganzen Hofe. Selbst die Fürstinn schätzte ihn. Er hatte tausend verschiedene Gestalten in Bereitschaft, und jedesmal erschien er in derjenigen, die den Menschen behagte, an deren Beyfall ihm etwas gelegen war.

[150] Es versteht sich, daß Simpert nicht im mindesten eifersüchtig auf den Franzosen wurde. Er suchte ja nicht seine, sondern Gottes Ehre, und für diese konnte niemand nachdrücklicher arbeiten, als d’Ossan. Dem geübten Auge dieses Weltmannes entgieng das an dem Hofe herrschende Schisma nicht. Seine Ueberzeugung wies ihn auf die Parthie der Dunkelmänner hin, und er ergriff sie um so fester, da ihm seine Schicksale die Aufklärung so widrig gemacht hatten, als Rhebarbar und Assafoetida. Er wurde förmlich in die Gesellschaft der Jesus-Brüder aufgenommen. Steinbock und Simpert waren bald seine Herzensfreunde. Diese 3 bildeten nun einen engern Ausschuß, wo große und tiefe Plane entworfen und verabredet wurden. In diesen geheimen Unterhandlungen war nicht mehr von Licht und Finsterniß die Rede. Auch wurde keine Mine mehr gegen Lucius und seine Affiliirten angelegt. Das ganze Gebäude, meynte der Markis, müsse umgestürzt werden, und dann habe man die Mühe nicht mehr, die Bewohner desselben zu erschlagen. Dieser Mann griff den Faden endlich bey dem rechten Ende. Der Himmel hatte ihn geschickt.

[151] Seine Gemahlinn gehörte unter die Menschen von der subalternen Klasse. Sie konnte es den Lotharingischen Bauern nicht vergeben, daß sie ihre Hühner und Enten erwürgt hatten, und gerieth in gichterische Verzuckungen, als ihr ein Emigrè meldete, die Mädchen ihres Dorfes schmücken nun die Haare und Hälse mit ihren Juwelen. Sie hielt das für die größte Ungebühr, die in dem ganzen Laufe der französischen Revolution geschehen, daß ein Geschmeide, das seit mehr als hundert Jahren nur adeliche Körper verherrlichte, itzt in dieser verkehrten Welt schlechte Bürgersdirnen zieren soll. Eine bedeutende Person war ihre Tochter, das Fräulein – Babet. Wenn ich alle herrlichen Floskeln aus allen teutschen Romanen, von Zieglers Banise an bis auf das neueste Produkt der Cramerischen n. Spießischen Muse zusammen läse, und ein Ganzes daraus machte, ihr hättet doch noch keinen vollständigen Begriff von ihren Reizen. Das Geistige und das Sinnliche, das Schöne und das Wollüstige, das Graziöse und das Einladende – hat die Natur noch in keinem weiblichen Körper in dieser Vollkommenheit vereinigt, als in dem [152] ihrigen. Der Pater Simpert gestand mir selbst, daß ihn einst, als sie ihm beichtete, eine Art von Fieberfrost angewandelt habe; und ich, so oft ich sie sah, – ach, ich armer Sünder!

Man versicherte der Fürst sey nicht gleichgültig gegen sie. Jean Baptist bestätigte das Gerücht. Se. Durchlaucht hatten ihm selbst zu erkennen gegeben, Babet sey einzig; auch mache sie viele Hoffnung, wenn es aber auf den Hauptpunkt ankomme, so leiste sie nichts. Darüber lachte der Kammerdiener, und versicherte, das habe nichts zu bedeuten. Die Französinnen seyen nur spröde aus Ziererey, und die teutschen seyen es oft aus Blödsinn, der erstere Feind mache aber den Sieg viel leichter, als der letztere. – Ueberhaupt war Jean Baptist in diesem Fache klassisch.

[153]
Zwölftes Kapitel.
Emigranten und Zeitungsschreiber.

Das waren aber alles nichts weiter, als Aussichten in eine bessere Zeit. Mochte der Himmel wissen, wenn diese Zeit selbst kommen durfte! Ihr Gang war langsam und lahm, und wenn wir glaubten, sie schicke sich einmal zu schnellern Schritten an, so eilten unsere Feinde gleich herbey, und warfen ihr Steine in den Weg, daß sie stille stehen, oder gar wieder umwenden mußte. Eine Beleg hiezu ist ein sehr ärgerlicher Auftritt, der in diese Periode fällt.

Der Verfasser der fürstlichen Hofzeitung war uns lange ein Dorn in den Augen gewesen. Der Abbe hatte ihn gleich bey dem Anfange seiner Geistestyranney Serenissimo als einen sehr aufgeklärten und eruditen Mann empfohlen. Daß er das erstre war, leidet gar keinen Zweifel. Wie hätte er auch sonst von dem Abbe empfohlen werden können? Dazu war er von Geburt ein Protestant, ob er wohl im Grunde gar keine Religion [154] gehabt haben mochte, und aus den Staaten des Königs von Preußen vertrieben, weil er ein sehr giftiges und majestätsschänderisches Buch gegen das bekannte Religions-Edikt geschrieben hatte. Simpert protestierte gegen seine Anstellung. Aber er wurde abgewiesen, und so war die katholische Zeitung eines katholischen Hofes zu einem Vehikel der verdammlichsten Grundsätze gemacht.

Diese Zeitung hatte ein sehr großes Publikum. Um so gefährlicher waren die Wirkungen, die daran zu erwarten standen, und sie waren dreyfach gefährlich, in der damaligen Zeit, wo die Ausspendung des Lichts und der Finsterniß, durch die Begebenheit jenseits des Rheins, hauptsächlich in die Hände der Zeitungsschreiber, gekommen war. Ein solches Blatt wird nicht nur von geübten Leuten gelesen, die Arsenik und Zucker unterscheiden können; es cirkuliert auch auf Kaffee-Häusern, in den Werkstuben der Professionisten, und in den Dorfschenken; und da schlürft denn der verdachtlose gemeine Mann den ganzen Plunder ein, und seine Denkungsart ist am Ende keine andere, als die seines [155] Zeitungsschreibers. Wohl ihm, wenn dieser ein Mann, wie Brandmüller in Augsburg, oder Tonderer in Neuwied ist. Dann leidet seine Seele keinen Schaden. Aber liest er Journale wie Schubart’s Chronik, oder Elben’s Merkur, oder Posselt’s Weltkunde, oder Lange’s Staatszeitung – wehe ihm dann! Er wird von der Aufklärung und von dem Demokraten-Sinne angesteckt, wie von der Krätze.

Ein feiner Kamerad der letzt genannten Herren war auch unser Magister Langhans, wohlbestellter Zeitungsschreiber zu Strahlenberg. Nicht nur, daß er das Zeichen des Segens I. H. S. das sonst auf jedem Blatte stand, hinweg ließ, und den Titel katholische Zeitung in Hofzeitung verwandelte; sondern er kleidete das Ganze in einen so lutherisch-demokratisch-naturalistischen Ton ein, daß man gar keinen Charakter der Religion mehr bemerkte, übergieng die Erzählungen von gottesdienstlichen Feyerlichkeiten, die sonst eine der ersten Stellen einnahmen, verkündigte die Anstalten zur Beförderung der Aufklärung [156] mit großem Pompe, erhub die protestantischen Höfe auf Kosten der katholischen, ertheilte den Männern der Finsterniß bey jeder Gelegenheit Ohrfeigen und Rippstöße, pries die Tugenden und Verdienste lebender und verstorbener Illuminaten, zog alle großen Herren der Welt vor seinen Richterstuhl, lieferte lange Excerpte aus verdächtigen Schriften, und witzelte so frivol über die ernsthaftesten Gegenstände, als Weckherlin im grauen Ungeheuer oder Bahrdt[28] in seiner Lebensbeschreibung. Dieses Blatt hätte eben sowohl in Hamburg, oder Göttingen, oder Leipzig erscheinen können, als in Strahlenberg. Es hatte auch nicht einen Strich von der Physiognomie einer katholischen Zeitung.

Noch auffallender wurde dieser Unfug nach dem Ausbruche der französischen Revolution. Langhans nahm geradezu die Parthie der Rebellen, und sang in derselben Melodie, welche damals Archenholz, Campe und die Hübnerische Rotte in Salzburg anstimmten. Man kennt diesen Ton, und man kann sich also schon den Geist vergegenwärtigen, der damals in unserer Hofzeitung wehte. Die [157] Franzosen wurden als die großen Weltverbesserer präkanisiert, die das goldene Zeitalter wieder brächten. Necker, Mirabeau, Rabaud und Lafayette erhielten die glänzendsten Lobsprüche; aber Maury war ein seichter Schwätzer und ein Sophist. Lange Stellen aus den Deklamationen, die in der National-Versammlung ertönten, wurden wiederholt, und durch eine Menge eingeklammerter Bravo’s unterbrochen. Die Verbrechen und Ausschweifungen der Rebebellen wurden künstlich entschuldigt. Alles deutete darauf hin, die Revolution sey ein segensvolles, ruhmwürdiges Werk, das in allen Ländern nachgeahmt werden müßte.

Langhans war ein Politiker, und wußte, wenn der Wind ihm entgegen blies, geschickt zu lavieren. Deßhalb stimmte er seinen Ton mehr ins Feine, als die Ausgewanderten bey uns ans Brett kamen, und sich die Hof-Philosophie für sie erklärte. Jedoch guckte der böse Geist noch immer aus seinen Schreibereyen hervor; manchmal erschien er sogar auf Augenblicke in seiner ganzen scheußlichen Gestalt, und nie erlaubte er es dem Manne, den [158] er inspiriert, eigentlich aristokratisch zu sprechen. Noch immer nannte derselbe den Namen der Franzosen, ohne sie zu verfluchen. Noch immer lieferte er Auszüge aus den faden Perorationen ihrer Redner. Noch immer erzählte er die Excesse des Pöbels und die Teufelsstreiche seiner Häupter ohne Unwillen. Noch immer brauchte er die Ausdrücke Despotismus, Menschenrechte, Freyheit. Noch immer haschte er nach Anekdoten, welche die Demokraten verherrlichten. Noch immer citierte er die Bücher und Journale der teutschen Jakobiner, die, wie es verlautete, in dem Solde der französischen standen. Seine Räsonnements kleidete er, um sich den Rücken zu sichern, in dunkle und zweydeutige Formeln und Phrasen ein, und da brachte er oft Galimathias und Unsinn zum Vorschein, wie die Ichsphilosophen zu Jena.

Die Emigranten waren nicht so blöde, daß sie den geheimen Sinn des Zeitungsschreibers hätten übersehen sollen. Auch waren sie durch Simperten von seiner frühern Animasität hinreichend unterrichtet. Sie pflanzten deßhalb keine Rosen auf seinen Weg, und zeugten in der Stadt und am Hofe laut auffordernd gegen [159] ihn. Sie sagten es Serenissimo und Serenissimae ins Angesicht: Es sey unbegreiflich, daß ein teutscher Fürst die Stimmung der öffentlichen Meynung einem solchen Mann überlassen möge. Entweder sey er wahnsinnig, und dann gehöre er in das Tollhaus; oder er sey von dem Jakobinerklubb in Straßburg bezahlt, und dann gehöre er an den Galgen. Eine Zeitung, mit Hochfürstlicher Wappen, mache die Apologie der Rebellen und der Atheisten. Wenn es noch länger so fortdauere, so werde bald, der durch dieses Blatt gepflanzte Empörungsgeist, wild genug ausbrechen, und in Strahlenberg ein trauriges Nachspiel zu der großen Tragödie in Frankreich geben. – Diese Anklagen zogen dem Zeitungsschreiber einige Kabinets-Befehle zu, worinn ihm Vorsicht und teutscher patriotischer Sinn empfohlen ward. Sie thaten aber natürlicher Weise keine große Wirkung, und Langhans vertheidigte sich jedesmal so täuschend, daß ihm ein aufgeklärtes Kollegium, wenn es folgerecht handeln wollte, nicht zu Leibe konnte.

Er kannte die Anstifter jener Kabinets-Befehle, die eben keinen Belobung-Dekreten [160] ähnlich sahen, nur allzu gut. Er war deßhalb kein Freund der Ausgewanderten, und gab ihnen Hiebe und Kniffe, wo er konnte. Endlich vergaß er sich aber so weit, daß er eine sehr beleidigende Geschichte, worinn zween Ludwigsritter, in Breisgau, einem Straßburger Bürger, blos weil er die dreyfarbige Kokarde trug, in Stücken zerhauen haben, in sein Blatt einrückte, und mit der Anmerkung begleitete:

„So was, ihr Teutsche! thun französische Flüchtlinge, die von eurer Gastfreyheit leben, auf teutschen Boden!“

Dieser Artikel goß Gift und Galle in die Herzen aller Emigranten. Zween junge Grafen, die das Blatt auf dem Kaffee-Hause lasen, zerrissen es, und beschlossen in ihrem gerechten Zorn, auf der Stelle Rache an dem Verbrecher zu nehmen. Sie drangen in das Haus des Novellisten, fielen mit ihren fürchterlichen Säbeln über ihn her, und versetzten ihm mehrere Wunden. Zum Glücke verkroch er sich in einen Winkel, und rettete dadurch sein Leben. Dagegen aber zerschlugen die Zürnenden die Fenster und Spiegel des Zimmers, warfen [161] seine besten Bücher in den Kamin, und hausten nicht anders, als die braven Rothmäntel zwey Jahre später im Elsaß.

Der beleidigte Zeitungsschreiber drang mit einer bitterbösen Klagschrift bis in das Kabinet des Fürsten durch, und forderte Genugthuung für diesen mörderischen Angriff, und Rache gegen die Stöhrer der öffentlichen Sicherheit. Die Herren hatten auch in der That die Sache ein bischen zu weit getrieben, und es war zu besorgen, daß durch ihre Hitze der bona causa eine Nase gedreht werden dürfte. Aber d’Ossan stimmte den ganzen Hof zum Vortheile der Verbrecher. Der Novellist erhielt ein Dekret des Inhalts:

Man werde den beyden Emigranten ihr Betragen verweisen. Von der Forderung einer Genugthuung müsse Impertrant aber um so mehr abstehen, als er den Zorn der französischen Officiere absichtlich gereizt zu haben scheine. Auch lebe Serenissimus der Hoffnung, er werde diesen Vorfall als eine Warnung ansehen, und seinen dreisten Ton mäßigen, widrigen [162] Falls man ihm keine Sicherheit gegen ähnliche Ereignisse versprechen könne.

Dieser Richterspruch erregte den Jubel der Ausgewanderten und der Obskuranten, und erfüllte die Aufklärer mit Unwillen und Verdruß. Langhans übergab eine neue Vorstellung. Er beschrieb darinn die ihm erwiesene Mißhandlung mit den lügenhaftesten Uebertreibungen, und legte das Amt eines Zeitungsschreibers Sr. Durchlaucht zu Füßen. „Er könne, sagte er, dasselbe nicht länger in einem Lande begleiten, wo man bey dem offenen Zeugnisse der Wahrheit seines Lebens nicht sicher sey, und der Staat die Mörder in seinen Schutz nehme. Zugleich bat er, Se. Durchlaucht möchten ihm eine protestantische Pfarre, die eben erledigt war, übertragen, damit er auf dem Lande, in einer geräuschlosen Thätigkeit, die Ruhe finde, die ihm in seinem bisherigen Berufe, durch die Anmassungen übermüthiger Fremdlinge, nicht zu Theil geworden sey.“ – Die Abdikation wurde in Gnade angenommen, und durch die Vermittlung des Abbes erhielt sein lieber Getreuer die Pfarre, um die er gebeten hatte.

[163] Bey dieser Gelegenheit werden mir meine Leser eine kurze Parenthese erlauben, um sie auf einen besondern Kniff aufmerksam zu machen, durch den die Illuminaten das Ansehen der lutherischen Religion, auf Kosten der katholischen, in unserm Lande empor zu heben suchten. – Der Fürst war Patron und Episkop über 10. protestantische Pfarren, die in einem seinem Hause als Lehn heimgefallenen Ländchen lagen. Im Anfange dieses Jahrhunderts entwarfen die Jesuiten einen sehr weisen Plan, um die in demselben lebenden verirrten Unterthanen Sr. Durchlaucht wieder in den Schooß der allein seligmachenden Kirche zurückzuführen. Man stellte katholische Beamte auf, setzte viele katholische Innwohner an, errichtete Kapuziener-Hospitien, um das Konversions-Geschäft zu besorgen, verwandelte die Kirchen in Simultanea, verband mit dem Bekenntnisse des Lutherthums viele Nachtheile, und propagirte mit einem Worte den Katholicismus durch alle die Mittel, die man noch in unsern Tagen in der Pfalz, im Herzogthum Sulzbach, im Hildesheimischen, im Hohenlohischen und in andern Ländern so bewährt gefunden [164] hat. Unter diesen Mitteln brachten die Jesuiten auch den Verkauf der protestantischen Pfarren in Vorschlag, und da sich die fürstliche Kammer dabey sehr wohl befand, so wurden von nun an alle diese Stellen versteigert. Es versteht sich, daß Leute von Verdienst und Moralität – dergleichen es unter den protestantischen Geistlichen doch auch giebt – einen solchen Weg, um in das Lehramt der Religion zu gelangen, verabscheuten. Dagegen aber fanden sich desto mehr Taugenichtse, die entweder wegen ihrer Untüchtigkeit, oder wegen ihrer Laster im Vaterlande keine Aussichten hatten, und mit den vollen Beuteln in der Hand ihre Schande verdeckten. Auf diese Art bestand unser lutherischer Klerus bald in einem Selekte gar vortrefflicher Menschen. Wir hatten Ehebrecher, Hurer, falsche Münzer, Betrüger, Trunkenbolde, Spieler, – mit einem Worte, den eigentlichen Auswurf des protestantischen Teutschlands. Bald kamen die Bauern mit der Klage, der eine Pfarrer halte eine Mätresse, der andere sey bigamus, der dritte komme im Rausche auf die Kanzel, der vierte kopuliere Zigeuner, der fünfte braue Branntewein, der sechste stelle der Unschuld der Mädchen im Beichtstuhle nach. [165] Dann bedauerten wir die armen Leute, und sagten ihnen mit vielem Mitleiden, die schlechte Aufführung ihrer Prädikanten beweise die schlechte Beschaffenheit ihrer Religion, sie sehen ja, daß sie sich alle gleich seyen, sie sollten die Unwürdigen verlassen, sie sollten in den Schooß der wahren Kirche zurück kehren, u. s. w. Diese Vorstellungen waren meistens wirksam. Es vergieng kein Monat, wo nicht neue Ankömmlinge in dem Konvertiten-Hause aufgenommen wurden. Das protestantische Kirchenwesen gerieth in den jämmerlichsten Verfall. Die Jesuiten grasten immer weiter um sich, und niemand durfte ihnen in den Weg treten; am wenigsten aber die Geistlichen, weil ihnen samt und sonders durch ihr böses Gewissen die Hände gebunden waren.

So blieben die Sachen bis zum Anfange des illuminatischen Regiments. Der Pfarrenverkauf wurde durch eine feyerliche Proklamation abgeschafft. Man verschrieb einen Superintendenten aus Sachsen, der in einem besondern Geruche der Gelehrsamkeit und Heiligkeit stand. Mehrere unwürdige Prediger wurden mit Pensionen zur Ruhe gesetzt. Junge Leute aus Morus, [166] Griesbachs und Nösselts Schulen, erhielten ihre Stellen. Der fürstlichen Kammer versiegte eine wichtige Revenuen-Quelle, der Protestantismus begann wieder aufzuleben, und so – wurde aus einem Zeitungsschreiber ein Pfarrer.

Aber wer sollte nun Zeitungsschreiber werden? – Es kamen zween Kompetenten zum Vorschein, und jeder kämpfte an der Spitze einer mächtigen Faktion gegen seinen Nebenbuhler. Der Kampf wurde heftig, und erregte allgemeines Aufsehen. Man sprach bis zum Frieden in der Residenz und in dem ganzen Lande, von nichts, als von der Rivalität dieser beyden.

Der Abbe nahm einen gewissen Abentheurer in seinen Schutz, der eher in Wien Schauspieler und Sechskreuzer-Schriftsteller gewesen, und nach einem Berichte des Herrn Hofmanns, wegen seiner verdächtigen Grundsätze, mit dem Schub außer Landes transportiert worden war. Als ein Unterthan des Fürsten, nahm er seine Zuflucht nach Strahlenberg, und als ein Illuminat ward er von Lucius mit [167] den Fittichen seiner Protektion bedeckt. Die Jesus-Brüder aber verwandten sich für den Pater Kastor, einen Kapuziner, und beschloßen alles aufzubieten, um mit ihrem Günstling durchzudringen.

Kaum war die Resignation des Magisters bekannt geworden, als Simpert sogleich zu Steinbock und d’Ossan eilte, und sie um Gottes, und um der fünf Wunden, und um der sieben Schmerzen Mariä willen bat; aller Kunst und allem Ansehen aufzubieten, damit die Zeitung dem Kapuziner zu Theil werde. Die beyden Herren begriffen so gut, als der Pater, wie viel daran liege, daß dieses Vehikel der Volksstimmung den Aufklärern entzogen, und in die Hände der Obskuranten gespielt werde. Auch wußten sie, daß der vorgeschlagene Kapuziner der rechte Mann dazu war. Es graute ihm vor dem religiösen und politischen Lichte so gut, als irgend einem, und die schriftstellerischen Versuche, die er zuvor schon gemacht hatte, wurden in Innsprugg, Eichstädt, Freysingen und Chur mit allgemeinem Beyfalle aufgenommen. D’Ossan nahm es über sich, die Sache einzuleiten, und [168] ihr werdet sehen, durch welchen Meisterstreich sie ihm, wenigstens zur Hälfte gelang.

Ich habe meinen Lesern schon gesagt, daß Fräulein Babet unserm gnädigen Herrn tief im Herzen saß. Das war unterdessen noch viel ärger geworden. Denn es verhält sich mit der Liebe, wie mit dem Wahnsinn; entweder hört er gar auf, oder er nimmt zu. Aber der gute Herr war – ein Reuter ohne Pferd, ein Schreyer ohne Echo, ein Schriftsteller ohne Verleger. Das spröde Fräulein wich ihm aus, wie der keusche Joseph der geilen Hälfte Sr. Excellenz des Egyptischen Herrn Staatsministers Baron von Potiphar, und es war schon viel gewonnen, wenn er nur ein holdes, freundliches Gesicht gewann. Damit ist aber einem fürstlichen Liebhaber wenig gedient, Einst erhaschte er sie im Garten, in einer abgesonderten Laube, ganz allein. Die lose Hexe hatte es darauf angelegt.

„Nur einen Kuß!“ winselten Se. Durchlaucht.

Unter einer Bedingung.

[169] „Sey es welche sie wolle.“

Wenn Sie unter dieses Papier ihren Namen schreiben.

„Und wenn es auch mein Todesurtheil wäre.“

Es war das Dekret für den Pater Kastor auf die Zeitung. Der Fürst schrieb. Der Kuß ward gegeben und – schalkhaft erwiedert. Jubelnd zog das Mädchen nach Hause.

Sogleich verfügte sich der Kapuziner, stolz auf die Unterschrift des Fürsten, in die Regierung, um sich die Ausfertigung eines förmlichen Bestallungsbriefes zu erbitten. Aber wie staunten wir alle, als er mit der unerwarteten Nachricht in den Jesus-Klubb zurücke kam, Frankenstein habe ihn versichert, er komme zu spät, die Stelle sey bereits an den Abentheurer aus Wien vergeben, das geheime Kabinet habe die Sache beendigt; die fürstliche Unterschrift nütze ihm nichts mehr. Die Sache verhielt sich auch wirklich so. Lucius, der Geheime Rath und die Fürstinn hatten ihre Maaßregeln auf der Stelle genommen, und ihrem Günstling ein Dekret ausgefertigt, ehe noch die Abdankung des Magisters allgemein [170] bekannt war. Das Dekret erhielt, der Gewohnheit nach, seine Sanktion durch die vermittelst der Kupferplatte hervorgebrachten Namenszüge Sr. Durchlaucht.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Neuigkeit durch die Stadt und das Land, daß man nun statt eines Zeitungsschreibers zween erhalten habe. Jeder von ihnen war entschlossen, sein Recht auf das äußerste zu behaupten. Jeder hatte seine Parthie. Die Aufgeklärten beriefen sich auf den frühern und ganz legalen Besitzstand des Schauspielers; die Obskuranten und Ausgewanderten auf das von dem Fürsten unterzeichnete Dekret des Kapuziners. Die Gleichgültigen behaupteten, der Streit müßte durch das Loos entschieden werden, und die Spötter machten Satyren. Ein Glück für uns, daß die letztern den Kanal nicht wußten, auf welchem dem Kapuziner sein Dekret zugeschwommen war!

Es wurden mehrere Schriften in der Sache gewechselt. Die Aufgeklärten und die Dunkelmänner waren gleich unerschütterlich. Die Fürstinn fühlte ihre Verlegenheit, und der arme Fürst wollte bald verzweifeln, bald dem Schauspieler [171] eine Kugel durch den Kopf jagen. Alle Räthe und Advokaten wurden um ihr Gutachten requirirt. Mehrere Sessionen hindurch beschäftigte sich die Regierung mit der causa quaestionis. Nachdem das neugierige Publikum und die noch neugierigern Partheyen lange genug geharrt hatten, so erfolgte endlich das Urtheil:

„Daß der Schauspieler und der Kapuziner die Zeitung gemeinschaftlich verfassen, der erstre das Dienstags- und der andere das Freytags-Blatt schreiben, und beyde sich in die Besoldung theilen sollten.“

Diesem Urtheile unterwarfen sich die litigirenden Herren, und so hatten wir in Stralenberg eine Zeitung, die halb aufgeklärt, halb finster, halb demokratisch halb aristokratisch, halb lutherisch und halb katholisch war.

[172]
Dreyzehntes Kapitel.
Se. Durchlaucht gehen gar in den Krieg.

In dem Kusse, den das Fräulein Babet dem Fürsten gegeben hatte, lag eine magische Kraft. Zuvor waren Se. Durchlaucht verliebt, aber seit dem in der Gartenlaube gespielten tète a tète war Höchstdenenselben der Kopf gänzlich verrückt. Sie unterhielten sich Stunden lang mit dem getreuen Jean Baptist von den himmlischen Reizen des geliebten Mägdleins. Sie erwogen, mit einer ganz ungewöhnlichen Anstrengung ihres Scharfsinns, alle Mittel, wodurch ihr spröder Sinn gebeugt werden könnte. Sie kommen des Tags hundertmal auf die d' Ossanischen Zimmer, und lachten, seufzten, weinten, schnitten Gesichter, je nachdem das Thermometer der Gegengunst stand. Sie überschickten dem Fräulein reiche Geschenke, und begleitete dieselbe mit Liebesbriefchen. Sie vergaßen über dieser einen alle ihre sonstige Liebhabereyen, und traumten von ihr bey der Nacht. Was Lotte für Werthern und Marianne für den armen Sigwart war, das war Babet für Se. Durchlaucht von Strahlenberg. [173] Aber dieser so heißen Liebe lächelte kein Genuß entgegen; - und was noch das ärgste war, d' Ossan rüstete sich mit den Seinen zur Abreise. Schon waren die großen Herren des Kaisers und des Königs von Preußen in Bewegung, und flutheten, Tod und Zerstöhrung drohend, gegen den Rhein heran, um die Sachen der Thronen, der Ordensbänder, der Infuln, und der Ahnentafeln an den französischen Rebellen zu rächen. Der Markis war entschlossen, der Armee nachzufolgen, auf ihrem Rücken seine Güter in Besitz zu nehmen, und an der Spitze einer Kompagnie Seresaner seinen eydbrüchigen Unterthanen den Lohn für ihre Verbrechen zu geben. Der Fürst hatte gegen diesen Entschluß seines Freundes die dringenden Protestationen eingelegt. Aber sie waren vergeblich. Mit Grauen und Entsetzen sah der arme Schäfer dem Tage der Scheidung entgegen. So herzlich feind er allen Franzosen war, und so sehr ihnen zu dem Strafgerichte Glück wünschte, das über sie hereinbrach, so verfluchte er nun doch den Krieg, sammt allen Eroberungsentwürfen der Monarchen. Denn ganz Frankreich war in seiner Meynung nicht so viel werth, als nur ein Kuß von der Göttlichen, die sein Herz bethöret hatte. [174] Unvermuthet tratt aber ein neuer Umstand in die Mitte, der die Stunde der Trennung vor dem Liebenden entfernte. Der Bruder des Fürsten diente als Obrist unter den kaiserlichen Truppen. Auch er wohnte dem Rachezuge gegen die Franken bey. Er beurlaubte sich auf dem Marsche, und gieng nach Frankfurt, um dort die Krönung des Kaisers Franz zu sehen, in einem Schreiben voll brüderlicher Liebe lud er den regierenden Fürsten zu sich. Nichts hätte diesem willkommener seyn können. So konnte er das schöne Kind eine beträchtliche Strecke begleiten.

Man reiste ungesäumt ab. In dem ersten Wragen fuhren Se. Durchlaucht und die Familie d' Ossan, und in dem zweyten Simpert, Steinbock und meine Wenigkeit. Die Illuminaten wünschten uns Glück auf die Reise, und dachten nicht daran, wie viele Stärke unsere Maschinen durch die Entfernung gewinnen müßten. Die Reise war das Produkt eines tief geschöpften Planes, den die beyden uns begleitenden Kavaliere eingeleitet hatten. Sie hatten nämlich zuvor mit dem Prinzen korespondirt, und ihm die ganze Lage der Dinge [175] in Strahlenberg eröffnet, und zwar, wie es sich versteht, in einem solchen Tone, der die herrschende Parthey in keinem vortheilhaften Lichte zeigte. Das Resultat dieser Korespondenz war die Zusammenkunft in Frankfurt.

Ich habe es meinen Lesern noch nicht gesagt, daß die Ehe unsers gnädigsten Herrn kinderlos war. Ich weiß nicht, lag die Schuld an ihm, oder an seiner Gemahlinn. Denn auch die beträchtliche illegitime Succession Sr. Durchlaucht ist kein Beweis für ihre Mannskraft, weil in diesem Stücke manche Münze ein fürstliches Gepräge erhält, ohne daß es ihr gebührte, und die Regel, daß die aufgeklärten Weiber unfruchtbar seyen, ist auch nicht ohne Ausnahme. Der Prinz dagegen hatte eine zahlreiche Familie. Deßhalb spitzte er sich, wenigstens für seinen erstgebohrnen Sohn, gewaltig auf die Thronfolge in Strahlenberg, und begnügte sich nicht, wenn ihm seine Appanage richtig bezahlt wurde, sondern nahm von der ganzen Haushaltung Notiz, die man da führte. Dabey stand er mit der Fürstinn nicht auf dem beßten Fuße. Er mißbilligte ihre Anhänglichkeit an die neumodische [176] Philosophie, ihre Theilnahme an der Administration von ganzem Herzen, und warf einen öffentlichen Haß auf alle diejenigen, die in ihrem Rathe wirkten, besonders aber auf Frankenstein. Er beschuldigte sie, daß sie die Ehre seines Bruders kränkten, indem sie ihn zu einer bloßen Maschine machten. Im Grunde lag ihm aber wenig an dieser Ehre. Er haßte und fürchtete eine Faktion, die sich eine Macht erworben hatte, welche seinen Absichten und seinem Interesse sehr gefährlich werden konnte.

Steinbock und d’Ossan hatten dem Prinzen einen fürchterlichen Vorschlag gemacht. Sie wollten Se. Durchlaucht von ihrer Gemahlinn trennen, und dann höchstdieselben bestimmen, daß sie die Landesregierung ihm abtretten. Dem Prinzen gefiel natürlich dieser Vorschlag, und man hatte ihm die Ausführung desselben so leicht eingebildet, daß er sich schon auf dem Strahlenbergischen Throne, umgeben mit allem Glanze eines teutschen Reichsfürsten, erblickte. Niemand wußte von demselben, als die beyden Ritter, Simpert ich und der Prinz. Aber gerade die Hauptsache wußte der Prinz nicht. Man wollte nämlich das Schauspiel nur bis zur Entfernung [177] der Fürstinn fortführen, und dann plötzlich abbrechen. Denn so thöricht waren wir nicht, daß wir einer Tyranney ein Ende gemacht hätten, um eine andere zu pflanzen. Wir wollten selbst herrschen. Das hätte sich aber unter der Regierung des Prinzen nicht thun lassen. Er war ein Mann von Kraft und Kopf.

Der Fürst genoß in Frankfurt nur den geringsten Theil der Zerstreuungen, die damals diese Stadt gewährte. Man führte ihn zwar in die glänzenden Gesellschaften der Großen Teutschlands; auch wohnte er dem großen Blutrathe bey, der in Maynz über die Franzosen gehalten wurde. Aber das gestatteten ihm seine Führer nur deßhalb, um ihn aus dem Munde gekrönter Häupter die Wahrheit vernehmen zu lassen, daß die Aufklärung die Ursache der französischen Revolution sey, und daß alle Regenten der Welt gegenwärtig keine heiligere Pflicht haben, als sie mit Stumpf und Stil auszurotten. Dagegen unterhielt ihn der Prinz, treulich unterstützt von Steinbock, d’Ossan und Simpert, unaufhörlich von der Lage seines Landes, von der Unehre des [178] Weiberregiments, und von den Spitzbubereyen des Geheimen Rathes von Frankenstein. Man gieng dabey mit vieler Klugheit zu Werke, schritt allmählich von dem Kleinern auf das Größere fort, benützte alle Kunstgriffe, die Erfahrung und Menschenkenntniß darboten, und bearbeitete den guten Herrn so fleißig, daß er hätte ein Steinklotz gewesen seyn müssen, wenn er nicht endlich eines Entschlusses fähig worden wäre.

Jedoch die Kaiserkrönung, der Franzosenkrieg, die Aufklärung, das Weiberregiment und Frankensteins Spitzbubereyen kümmerten den Fürsten, über dem wichtigern Objekte, daß seine Seele einzig beschäftigte, sehr wenig. Das Fräulein, und nichts als das Fräulein war das Ziel seiner Wünsche, seiner Sehnsucht, seiner Bemühungen und seiner Luftschlösser. Seit der Abreise von Strahlenberg goß er keinen Tropfen Mäßigung mehr in das Liebesfeuer, daß in seinem Herzen so wild emporflammte. Babet blieb aber ihrem Systeme getreu. Sie versprach viel, und leistete nichts. Sie that zärtlich, und doch wieder spröde. Sie zog sich zurück, und doch entfloh sie nicht. Sie [179] machte Hoffnungen, und sie erfüllte keine. Sie gab ihre Reize in ihrer ganzen Herrlichkeit zur Schau, und doch verweigerte sie ihren Genuß. – Bey Gott und der heiligen Jungfrau! Lais und Aspasie, Ninan Lenclos und du Barry hätten bey ihr in die Schule gehen dürfen, um zu lernen, wie man die Männer ankörnen, in Ketten legen, und zu Stocknarren machen muß.

Der Fürst war so dicht berauscht von seiner Leidenschaft, daß er sich, was in seinem Falle gewiß niemand gethan haben würde, dem Vater des Mädchens selbst entdeckte. Der Markis war darüber nichts weniger als betretten. Er erklärte sich ganz in dem Geiste, in dem seine Tochter bisher gehandelt hatte. „Es würde, meynte er, dem Fräulein allerdings Ehre machen, die Geliebte eines regierenden teutschen Fürsten zu seyn. Sie habe ihm auch schon gestanden, daß sie gegen Sr. Durchlaucht eben nicht gleichgültig sey. Allein das Mädchen könne sich nicht entschließen, ihr Herz einem Manne zu schenken, der eine rechtmäßige Gemahlinn habe, oder wenigstens mit dieser Gemahlinn [180] lebe. Auch habe ihr das Aufklärungswesen in Strahlenberg einen gewissen Widerwillen gegen alle diejenigen eingeflöst, die dasselbe beschützen. Diese Umstände dürften sich aber in der Folge vielleicht heben lassen. Würden sich Se. Durchlaucht entschließen, sie mit in das Feld zu begleiten, was auch den Wünschen des Prinzen ganz angemessen sey, so könnte die längere Nachbarschaft auch eine engere Freundschaft erzeugen. Er fühle übrigens die Distinktion ganz, die seinem Hause, durch die gnädigste Rücksicht Serenissimi auf seine Tochter, wiederfahre.“

Rasch und fest entschlossen sich Se. Durchlaucht den Vorschlag d’Ossan’s zu realisiren. Der Prinz bezeugte eine außerordentliche Freude darüber, und Simpert und Steinbock bewiesen ihrem gnädigsten Herrn, daß es sehr ruhmvoll und eines Fürsten würdig seyn, einem Heere nachzufolgen, das für die Erhaltung der monarchischen Staatsform kämpfe. Ein Schreiben, von Steinbock abgefaßt, verkündigte den Landes-Kollegien den Entschluß des Fürsten, und sogleich erschallten von allen Kanzeln des Landes die Gebete für die Erhaltung des theuren [181] Hauptes auf seiner Heldenbahn. Das Bettmännische Haus verwandelte einen Wechsel von 100,000 fl. in klingende Münze. Es wurde eine vollständige Feld-Equipage angeschafft. Als die nöthigsten Vorbereitungen vollendet waren, reiste die ganze Gesellschaft nach Koblenz ab.

Hier wimmelte es bunt und kraus durch einander, von Oesterreichern, Preußen, Hessen und Emigranten, welche alle entschlossen waren, den Spaziergang nach Paris mitzumachen, und einen Demokraten-Kopf in dem neuen Babel zu holen. Hier hörte man nichts, als Schimpfen und Fluchen über die Aufklärung und über die Philosophie de la canaille, Plane zur Wiederherbringung der allgemeinen Finsterniß, Ermunterungen zum Widerstande gegen französische und teutsche Jakobiner, und Verschwörungen zur fürchterlichsten Rache an allen denen, welche in ihrem Leben nur einmal vive la nation gerufen hatten. D’Ossan, Steinbock und Simpert waren hier recht in ihrem Elemente, und auch ich stimmte über dem Anblicke der tapfern Männer, die sich hier zum Kreuzzuge gegen [182] die neuen Haiden versammelt hatten, mehr als einmal den Ambrosianischen Lobgesang in meinem Herzen an. Unsere Kavaliere und Simpert kamen bald in große Konexionen. Sie hatten viel Antheil an Braunschweig’s Manifest, worinn Paris in einen Steinhaufen verwandelt, und das Gebäude der französischen Legislatoren umgestürzt wurde, wie ein Kartenhaus. Der Fürst wurde fleißig von uns bearbeitet, und täglich zu der That reifer, womit die Strahlenbergische Reformation eröffnet werden sollte. Babet machte ihm immer größere Hoffnungen, und schraubte dadurch seine Liebe bis auf den höchsten Grad von Verrückung hinauf.

Se. Durchlaucht gaben in Koblenz ein großes Diner. Die französischen Prinzen, die sämmtlichen Generale der aliirten Armee, und die ersten Männer des Trierischen Hofes wurden dazu eingeladen. Die Geschichte des Tags, d. h. die französische Revolution und der Spaziergang nach Paris waren die Gegenstände des Gesprächs, und von diesem war nichts natürlicherer, als der Uebergang auf die Gefahren der Aufklärung. Die Franzosen erzählten [183] schreckliche Anekdoten von dem Muthwillen ihrer Philosophen, von ihren Anschlägen und von ihren Verbrechen. Die Preussen versicherten „ihr Gönig hasse die aufgeklärten Faffen wie die schwere Noth.“ Die Oesterreicher behaupteten, „man sollte halt die Schlangels von Illuminaten alle auf’n Spielberg setzen, und dort verfaulen lassen.“ Die Herren von Koblenz bemerkten, daß der jüngste Tag nächstens über die Bande in Dillingen herein brechen werde. Und der Prinz von Strahlenberg setzte hinzu, man habe, während seiner Anwesenheit in Wien, dem höchstseligen Kaiser Leopold den sehr wohl aufgenommenen Vorschlag gemacht, alle verdächtigen Bücher zu verbrennen, die verdächtigen Schriftsteller zum Schiffziehen nach Ungarn zu schicken, und die Dorf- und Bürgerschulen überall zuzuschließen. Man trank auf die Gesundheit aller braven Obskuranten, und das Epiphonen der Mahlzeit war der Toast: Der Teufel hole die Philosophie, und alle die, die sie beschützen!

Als die Gesellschaft auseinander gegangen, nahmen wir den Fürsten in die Arbeit. Das [184] Eisen war warm, man mußte es schmieden. Der Prinz, unterstützt von den vertrauten seines Plans, haranguirte ihn, wie der Beichtvater einen armen Sünder. „Er sehe, daß die Aufklärung die Pest des Zeitalters sey, und seine Ueberzeugung könne nur nicht mehr zweifelhaft seyn, da die Stimme aller Könige, aller Edelleute und aller Priester sie bestätige. Aber noch immer werde in seinem Lande diese Pest unterhalten. Ob ihm denn seine Fürstenehre so gleichgültig sey, daß er ihr unbekümmert den größten Schandfleck anhängen lassen wolle? Ob er denn nicht an die Flüche denke, die ihm einst die Nachkommen des Hauses geben werden, wenn sie die Aufklärung in landesflüchtige Bettler verwandelt habe? Ob er denn einst vor dem Richterstuhle Gottes werde bestehen können, wenn durch ihn die Rechte seiner Familie untergraben, und die wahre Religion ausgerottet sey?” –

Hier fiel dem guten Herrn der Geist seines Vaters ein. Er zitterte. Er seufzte mit einem Blick gen Himmel. „Sagt mir um des Himmels willen nur, sprach er, wie ich es anfangen soll! Ich will alles thun, und alles unterschreiben, was ihr mir vorlegt!” [185] Hier rückten die Herren mit ihrem Plane heraus. Frankenstein soll entlassen, Steinbock an seine Stelle gesetzt, und der bisherige Einfluß der Fürstinn auf die Regierung gänzlich abgeschnitten werden. Se. Durchlaucht machten große Augen bey diesem Vorschlage. Aber die Herren demonstrirten und remonstrirten die Kreuz und die Quer, daß Höchstdieselben nicht mehr zum Worte kommen konnten. Die schon im Voraus verfertigte Akte lag auf dem Tisch. Babet, gekleidet wie ein griechisches Freudenmädchen, daß uns allen Hören und Sehen vergieng, kam herein, und umfaßte die Knie des Fürsten. Ich schlich mit der eingetauchten Feder herbey. Der Fürst unterschrieb. Simpert faltete die Hände und begann: Herr nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren! Steinbock reiste auf der Stelle ab. Babet belohnte die große That Sr. Durchlaucht in der folgenden Nacht mit dem ersten Genusse ihrer Reize.

[186]
Vierzehntes Kapitel.
Heldenthaten des Fürsten von Strahlenberg.

Nachdem dieser Hauptschlag geschehen war, verließen wir Koblenz, und folgten längst der Mosel hinauf, dem Heere nach. Wir genoßen alle Zerstreuungen und Annehmlichkeiten eines militärischen Marsches, ohne die Beschwerlichkeiten desselben zu empfinden. Wir verweilten überall, so lange es uns gefiel, und blieben hinter der Armee zurück, oder schlossen uns an dieselben an, je nachdem es die Umstände, oder die Launen Sr. Durchlaucht erheischten. Die größte Freude sahen wir aber erst in der Ferne. Denn der Fürst war entschlossen, die Armee bis nach Paris zu begleiten. Was mußte es da für eine christ-katholische Seele für ein wonnevoller Anblick seyn, wenn man die Glieder der National-Versammlung Mann für Mann räderte, die Häupter des Jakobiner-Klubbs a la Damiens viertheilte, die geschwornen Priester auf Leben und Tod durch ungeschworne spießruthete, die verheyratheten Nonnen in puris[29] naturalibus [187] auf die Schandbühne stellte, und mit den sämmtlichen Hugonotten in dem ganzen Königreiche eine zweyte Bluthochzeit spielte!

Der Fürst achtete während des Marsches wenig auf die Begebenheiten und Zeichen der Zeit. Es gab in der ganzen Gottes Welt gar nichts mehr, was ihn angezogen oder beschäftigt hätte, als das schöne Fräulein. Sie war nun seine erklärte Beyschläferinn. Er galt in ihrer Hand für eine Maschine, die sie nach Belieben richtete, – für eine Orgel, die genau so pfiff, wie sie dieselbe anspielte. Das schloß für uns den herrlichsten Prospekt auf, und die alte goldene Zeit, in der Simpert alles in allem war, schien wieder vor der Thüre.

In Trier wurde gerastet bis nach dem Uebergang von Longwy. Die Armee brach auf, und wir zogen ihr auf dem Fuße nach, weil nun die d’Ossanischen Güter täglich in die Gewalt des Eroberers fallen konnten. Wir langten in dem Hauptquartiere an. Die Vorposten streiften dicht vor der ehemahligen Residenz des Markis vorüber. Er konnte vor [188] Ungeduld den Augenblick nicht erwarten, in dem er Rache an seinen Unterthanen nehmen sollte. Er entschloß sich deßhalb, sich zu dem Vortrabe des Heeres zu begeben, und an der Spitze desselben von seinen Gütern wieder Besitz zu nehmen. Jean Baptist und ich, leisteten ihm Gesellschaft. Der Fürst protestierte zwar gegen dieses kühne Wagestück. Aber wir machten ihn durch unsere Bravaden verstummen. Wir setzten uns zu Pferde, und ließen ihn bey seinem alten Beichtvater und den Weibsleuten zurück.

Noch waren wir keine Viertelstunde geritten, als Se. Durchlaucht, begleitet von zween Jägern, im höchsten Galoppe uns nachjagten. „Ihr sollt nicht allein die Tapfern seyn, riefen sie uns nach, unser einer ist auch kein H–t.“ Sie hatten einen gewaltigen Pallasch um ihre Lenden gegürtet, und sich mit vier Pistolen und einem Karabiner bewaffnet. Der Anblick war etwas sonderbar. Doch priesen wir den heroischen Entschluß seiner Durchlaucht, und trabten lustig und guter Dinge den Vorposten zu.

[189] Wir kamen auf einem starken Piket ausgewanderten Husaren an. Ungefähr eine Viertelstunde vor uns lag ein stattlicher Flecken, und bey demselben die weitläufige Ruine eines zerstöhrten Schlosses. Das waren die uralten Stammgüter des edlen Hauses d’Ossan. Die feindlichen Vorposten trieben auf der Höhe hinter dem Flecken ihr Wesen. Wahrscheinlicher Weise war derselbe nicht besetzt. Ein böser Geist flüsterte dem Markis den Gedanken ein, wie rühmlich es wäre, wenn er als der erste unter den Eroberern auf seinem Grunde und Boden erschiene. Der Kommandant des Pikets gab ihm 10 Mann zur Begleitung. Der Fürst, Jean Baptist und meine Wenigkeit wollten mit ihm die Ehre des Abentheurers ernden. In der Mitte der Husaren ritten wir vorwärts, jeder die gespannte Pistole in der Hand.

Ohne den mindesten Widerstand kamen wir bis an das erste Haus des Fleckens. Wir bemerkten nicht die mindeste Unruhe. Es war so stille im Dorfe, als hätte die Pest alle seine Innwohner aufgeräumt. Kein Hund bellte, kein Hahn krähte. Wir deliberirten über die weitere Anordnung unsers Unternehmens. Aber [190] plötzlich gieng es piff! paff! – wie wenn sich die Hölle aufthäte. Die Bauern hatten das besagte vordere Haus besetzt, und uns verrätherisch in diesem Hinterhalte erwartet. Der Markis fiel – und sein lediges Thier sprang mit den unsrigen eines Weges. Wir jagten, als wären wir von Satanas und seinem ganzen Heere verfolgt, unsere Straße zurücke. Se. Durchlaucht verloren Hut, Pistol und Karabiner. Der kalte Schweiß stand ihnen, in großen Tropfen auf der Stirne. Sie flogen unaufhaltsam bey dem Pikete vorüber. Als wäre der Feind immer hinter uns her, gieng es querfeldein, in gleichem Takte, dem Hauptquartiere zu, und bey jedem Rauschen des Laubes, bey jedem Hufschlage in der Ferne riefen die erschrockene Durchlaucht angstvoll aus: „Jesus, Maria und Joseph! sie kommen!“ – arbeiteten gewaltig mit den Spornen, hielten sich an Mähne und Sattelknopf fest, und sahen sich tausendmal verstohlen um, wie ein flüchtiger Dieb. Wir wurden das Gespötte des ganzen Lagers. Denn wir waren kaum noch eine Viertelstunde von dem Hauptquartiere entfernt, als der besorgte Fürst noch immer alle, die uns begegneten, um Gottes [191] und um der Wunden Christi willen bat, sie möchten doch umkehren, die Franzosen kommen in hellem Haufen hinten drein.

Was das für ein Lamento bey unsern Weibsleuten war, als wir den Markis nicht mitbrachten. Se. Durchlaucht waren so betäubt von Schrecken, daß sie ihn erst in dem Augenblicke vermißten, in dem wir mit der traurigen Bothschaft hervorrückten, er sey entweder todt oder gefangen. Die alte raufte sich in der Verzweiflung die Haare aus, und das Fräulein warf sich auf die Erde und machte konvulsivische Bewegungen. Se. Durchlaucht meynten, das nütze nun alles nichts mehr. Mit Schreyen und Heulen mache man die Todten nimmer lebendig. Aber fuhren sie fort, der Krieg sey kein Spaß, und sie halten es für das beßte, wenn sich die ganze Gesellschaft in friedlichere Gegenden zurück ziehe. Es wurde sogleich aufgepackt, und am nächsten Morgen reiste man, in der Richtung gegen Osten, in Gottes Namen ab. Simpert hatte nichts zu thun, als nur zu trösten. Er konnte auch seines Schmerzens leicht Meister werden. Denn schon in der ersten Viertelstunde flüsterte er mir [192] ins Ohr: Der Fall des Franzosen sey eine weise Schickung der Providenz; er habe immer gefürchtet, daß derselbe einst eine Allgewalt erlangen würde, neben der niemand bestehen könnte.

Der Prinz machte den Vorschlag, daß wir sammt und sonders nach Maynz zurück gehen[30] und dort in sicherer Ruhe das weitere Schicksal des Krieges erwarten sollte, er werde dann seinen fürstlichen Bruder von den Winterquartieren aus besuchen. Denn damals begriff man schon daß die Alliirten ihre Winterquartiere nicht mehr in Paris aufschlagen, und mit denselben viel näher an den Rhein, als an die Seine rücken würden. Der Vorschlag ward angenommen, und der Zug gieng nach Maynz.

Die Klagen, das Winseln und das Jammergeheul unserer Weiber machten diese Reise nichts weniger, als lustig. Doch trugen ihre Trauer-Melodien sehr viel dazu bey, den Fürsten immer fester an seine schöne Beyschläferinn zu ketten. Täglich und stündlich leyerte sie ihm die Litaney vor: er sey nun ihr Vater, ihr Trost, ihre Hoffnung, ihr Schirm und ihr [193] Schild. Wenn er ihr sein Herz entziehe, so bleibe ihr nichts anders übrig, als daß sie sich in den Fluthen des Rheins begrabe. Die Fürsten seyen wandelbar in der Liebe. Werde er dasselbe seyn, so bleibe ihr nichts übrig, als ein schrecklicher Tod. Sie habe ihm die Krone ihrer Unschuld geopfert. Er habe nichts in seiner Macht, womit er dieses Opfer vergelten könne, als seine Treu, u. s. w. Dann schwuhren Se. Durchlaucht zu Gott und allen Heiligen ewige Liebe, schwuhren, daß sie sich nie mehr mit ihrer Gemahlinn vereinigen werden, und ertheilten dem guten Kinde diese Schwüre schriftlich, und unterschrieben sie, nach der Weise der Ritter aus der Siegwarts-Periode, mit ihrem Blute.

In Strahlenberg war unterdessen der gesegnete Anfang zu der grossen Revolution gemacht worden, welche während des Kampagne-Lebens unsers gnädigsten Herrn so weislich eingeleitet hatten. Die Illuminaten standen wie vom Blitz getroffen; die Obskuranten jubelten und sangen Tedeums, und die Indiferentisten staunten. Sobald Steinbock angekommen [194] war, versammelte er, vermöge der ihm von Sr. Durchlaucht huldreichst verliehenen Machtvollkommenheit, die sämmtlichen Dikasterianten, und legte ihnen sein Patent als dirigirender Minister vor. Der Name des Fürsten erfüllte diese Herren mit schweigender Ehrfurcht, sie hofirten ihrem neuen Chef mit tiefen Bücklingen, und empfahlen sich Sr. Excellenz zu fürdauernder Gnade. Dem Geheimen Rathe von Frankenstein wurde sein Kassations-Notabene durch einen Sekretair insinuirt. Er nahm es an, verließ nach wenigen Stunden die Stadt und das Land, und erklärte dem Fürsten in einem impertinenten Schreiben, daß er seines Gnadengehalts[31] nicht bedürfe, und daß man einem verdienten Mann, gegen eine ihm erwiesene Ungerechtigkeit, nicht mit Gold entschädigen könne. Das Geheime Kabinet wurde aus[32] dem Schlosse in die Wohnung des neuen Ministers translociert, und eine öffentliche Proklamation unterrichtete das ganze Land, daß von nun an alle Geschäffte, die bey Hofe eingereicht worden, in dem Kancellariat-Gebäude übergeben werden sollten. Damit hatte die Herrschaft der Fürstinn plötzlich ein Ende. Es währte drey Tage, und die [195] neue Ordnung der Dinge war in ihrem Gange.

Die Fürstinn wußte nicht, war das alles gehauen oder gestochen. Denn Steinbock hatte ihr nach seiner Ankunft eine blose Höflichkeits-Visite gemacht, ohne ihre politische Verhältnisse auch nur von weitem zu berühren, und dann dieselben mit einemmale so plötzlich nieder getrümmert, daß sie in der ersten Ueberraschung unmöglich eine Entschließung fassen konnte. Auch Frankenstein war durch seinen Sturz so betäubt, und in der ersten Hitze gegen alles, was fürstlich war, so sehr empört, daß er abreißte, ohne von ihr in Person Abschied zu nehmen. Sie hatte also keinen Vertrauten ihrer Tyranney mehr, als den Abbe. Diese beyde verfaßten einen langen Brief an Se. Durchlaucht, worinn auch das schöne Fräulein nicht vergessen war, deren Anstellung wir absichtlich bey der Behörde bekannt gemacht hatten. Dieser Brief lief zugleich mit einem Schreiben von Steinbock ein, worinn derselbe unterthänigst berichtete, es sey unter Gottes Gnaden alles friedlich und schiedlich von statten gegangen.

[196] Simpert legte dem Fürsten die Erklärung in die Feder, womit er die Herzenserleichterung seiner Gemahlinn erwiederte. Er sagte ihr darinn unter andern: Ihre ganze Aufführung sey eine stete Widerlegung des biblischen Memento gewesen: „Dein Wille soll deinem Manne unterworfen seyn, und er soll dein Herr seyn. Sie habe ihn in den Augen aller Welt herabgewürdigt, Stiefel und Sporn angezogen, und ihm statt des Scepters das Obertheil eines Spinnrocken in die Hand gegeben. Das habe aber nun ein Ende. Die Augen seyen ihm endlich aufgegangen, und er wolle itzt den Anfang machen, selbst zu regieren. Er läugne es nicht, daß er sich das Fräulein d’Ossan beygelegt, eben so wie der fromme König Salomo. Die Siebenhunderte, von denen die Bücher der Chronika sprechen. Daran sey sie selbst schuld. Sie habe mit ihrer Aufklärung und Philosophie und Lektüre einen Kapriolsprung aus der Weiberwelt in die Männerwelt hinüber gemacht, und seine Zärtlichkeitsbezeugungen mit kantisch-kritisch-kasmologisch-metaphysischen Vorlesungen erwiedert. Das sey aber nicht seine Sache. Sie soll sich nichts mehr um die Regierung, und nichts mehr um [197] ihn bekümmern, und übrigens leben und philosophieren, wie sie wolle.“

Der Fürst, der eigentlich seine Gemahlinn nicht haßte, machte einige Schwierigkeiten, als ihm dieser derbe Brief zur Unterschrift vorgelegt wurde. Aber das Fräulein bestürmte ihn mit Bitten, Thränen und Drohungen; Simpert setzte denselben theologische Ermahnungen bey, und der erweichte Fürst unterschrieb. Jubelnd trug ich den Brief auf die Post, und dabey noch ein großes Paket anderer, an unsere Lieben und Getreuen, worinn wir ihnen meldeten, daß der Bruch zwischen dem Fürsten und seiner Gemahlinn nun mehr so viel als geschehen sey.

Unglücklicher Weise wurde uns aber unsere Freude über den Triumph der Finsterniß durch einen gählingen Zwischenschlag unterbrochen, der so gewaltig schmetterte, daß wir Licht und Mitternacht, Aufklärung und Dunkelheit, Aristokratie und Demokratie auf eine Weile vergaßen, und nur für das Heil unserer Haut sorgten. Der berüchtigte Jakobiner-General Küstin rumpelte unversehens, wie der Dieb [198] in der Nacht, mit seiner Räuberhorde von Landau heraus, nahm die tapfern Truppen, die zu Speyer standen, sammt und sonders gefangen, eroberte das dortige Magazin, und marschirte geraden Weges auf die uralte Reichsfestung Maynz los. Kriegsgeschrey und Kriegsgetümmel erfüllte mit einemmale die Stadt und das ganze Land. Wer von gutem Adel war, brachte seine beste Haabe in Sicherheit, und rettete seine Person durch die Flucht. Die Demokraten aber krochen aus ihren Winkeln hervor, schritten auf dem Kothurn umher, und sprachen von dem nahen Heile Israels. Da hatten wir freylich keine bleibende Stätte mehr. Unserm gnädigsten Fürsten sausten die Flintenschüsse der Lotheringischen Bauern noch immer in den Ohren. Sogleich bey dem ersten Lermen hieß er aufpacken. Wir wichen der französischen Kanaille[33] mit Verachtung aus dem Wege. Vor der Hand begaben wir uns nach Frankfurt, ohne zu wissen, wo uns der liebe Himmel weiter eine Freystätte bereitet haben mochte. Denn Küstine bramarbasirte damals in seinen Proklamationen so gewaltig, daß es das Ansehen hatte, daß er nach vier Wochen sein Hauptquartier in der kaiserlichen Burg [199] zu Wien aufschlagen, und durch einen Wink seiner Hand ganz Teutschland in eine demokratische Republik verwandeln durfte.

Während wir, die Landkarte auf dem Tische, uns über die weitere Regulierung unserer retrograden Bewegung mit einander besprachen, kamen Briefe von dem Prinzen an, mit der Nachricht, daß dey der großen Armee alles die Quer gehe, und daß die Aliirten aus Frankreich zurück zögen wie eine Heerde Schaafe, die der Wolf scheucht. Wir sollten nur in der Gegend des Oberrheins verweilen, und dann werde er den Winter über mit uns zusammen leben können. Allein in Frankfurt war unser Aufenthalt nichts weniger, als sicher, Küstine erschien mit einigen Wagen voll Bauernleitern vor Maynz. Die Narren meynten das seyen Sturmleitern, und weil beym Stürmen das Kind in Mutterleibe nicht verschont wird, so übergaben sie ihre Stadt. Kaum war die Kunde von diesem feigen Streiche in Frankfurt erschollen, als der General Neuwinger schon längst dem Mayn herauf kam, um auf den Wällen der Krönungsstadt des teutschen Kaisers, die Fahne [200] der Kaisers- und Konigsfeinde aufzustecken. Wir wischten noch glücklich zum Loche hinaus, und nahmen unsere Zuflucht bis auf das Weitere nach Würzburg. In Maynz wurden nun, wie man weiß, ganz in dem Pariser Stile aufgeklärt, und revolutionirt, und die Forster, Wedekind, Eikenmeier, Böhmer u. s. w. bewiesen durch ihre Handlungen, was alle kleinen und großen Herren der Welt, Priester und Mönche mit eingeschlossen, von dem Illuminaten-Wesen und der Mode-Philosophie am Ende zu erwarten haben.

Doch bald rächte sich der teutsche Muth an dem blinden Glücke der stolzen Franzmänner. Das unüberwundene Heer hatte dem republikanischen Boden verlassen, und den Staub von seinen Füsse geschüttelt. Frankfurt wurde erobert; der Feind in Maynz eingesperrt, die Truppen zogen ruhig in die Winterquartiere, und wir konnten wieder in die Krönungsstadt zurück gehen, unbesorgt uns neuen Gefahren auszusetzen. Mit Ehre und Wunden bedeckt, kam der Prinz bey uns an, und während die teutschen Politiker, in den Kabinetten und in den Wachtstuben, über die Maynzerrevolution, [201] über den Königsmord in Paris, über die Neutralität des Churfürsten von Pfalz-Baiern, und über den Reichskrieg kannegiesserten, deliberirten wir über die Revolution von Strahlenberg, über den Sturz der Aufklärung und über die Abdikation unsers gnädigsten Herrns.

Der Baron von Steinbock hatte unterdessen schon einige sehr rühmliche Schritte zur Vertilgung des neuen Lichtes gemacht. Die Eroberung von Maynz und die philosophischen Proklamationen, die damals Marktschreyer Kustine, oder vielmehr die teutschen Propagandisten an ihre lieben Landesleute ergehen ließen, gaben die Veranlassung, daß den sämmtlichen Strahlenbergischen Geistlichen der Befehl ertheilt wurde, das Volk vor diesen verführerischen Lockungen zu warnen, die Insinuationen der Aufklärer in ihrer Blöse darzustellen, und es steif und fest bey dem alten katholischen Glauben zu erhalten, der jedermann gebietet, der Obrigkeit unterthan zu seyn. Zugleich wurde der aufgeklärte Zeitungsschreiber entlassen, weil er von dem Rückzuge der Aliirten aus Champagne eben so sprach, wie Laukhard in den Briefen eines preußischen Augenzeugen, und von der [202] Maynzer Revolution, wie der Verfasser der dortigen National-Zeitung. Ueberdieß ergiengen Befehle an den Chef der Lese-Bibliothek gewisse Bücher nicht mehr auszulehnen, und mehrere demokratische Schriften wurden bey Zuchthausstrafe verbothen. Da merkten unsere Freyheits-Fanatiker, daß ihre Stunde nahe sey. Sie zogen die Segel ein, und seufzten über böse Zeiten. Den dummsten Streich machte ihnen aber der abgesetzte Zeitungsschreiber. Er verrieth ihren ganzen Plan. Er gieng nach Maynz, wurde ein Klubbist, und schrieb revolutionaire Flugblätter.

Die Fürstinn hatte sich nicht auf den ersten Streich ergeben. Sie erließ noch einige Briefe an ihren Gemahl, worinn sie bald aufforderte und trotzte, bald den Ton der Zärtlichkeit anstimmte. Als aber der Fürst erst mit immer gleicher Entschlossenheit antwortete, und endlich gar schwieg, so ließ sie ihn wissen, sie werde von Stralenberg abreisen, und bei ihren Verwandten in Wien Rath und Schutz gegen die Grausamkeit suchen, wozu ihn die Ränke boshafter Verführer, und die Schmeicheleyen einer verächtlichen Buhldirne verleitet hätten, [203] Simpert schrieb darauf selbst an sie, und versicherte: er für seine Person sey an allem unschuldig, er bedaure sie darüber, daß das französische Fräulein Se. Durchlaucht so ganz in den Netzen der Liebe verstrickt habe, sie soll ihr Schicksal als eine göttliche Prüfung betrachten, und mit Geduld tragen, und sie thue sehr wohl, wenn sie sich entferne, weil der Anblick des Fräuleins ihr doch jeden Tag nur neuen Kummer machen würde. Ich weiß nicht, sah sie den geheimen Sinn dieses Briefes durch, oder legte sie den guten Alten wirklich einen Theil ihres Unglückes zur Last. Sie würdigte ihn keiner Antwort, und reiste ab. Der Abbe, dem die veränderte Witterung durchaus nicht behagen wollte, begleitete sie. Die Nachricht von ihrer Abreise machte in Frankfurt jedermänniglich große Freude.

Während der Fürst den Winter hindurch einzig der schönen Babet lebte, entwarf der Prinz mit Simperten Plan, nach welchem die Landesregierung in Zukunft geführt, und die Haupt-Intrigue, auf die hier alles ankam, angesponnen werden sollte. Steinbock kam auf ein Paar Wochen in unsere Mitte, [204] um diesem Plane seine Vollendung zu geben. Unter Geschäften und Zerstreuungen lief der Winter schnell vorüber. Der Frühling brach an. Der Prinz reiste zu seinem Regimente ab, und wir giengen wieder nach Strahlenberg zurück.


Fünfzehntes Kapitel.
Simpert fängt an mächtig zu obskuriren.

Wir hatten zur Beförderung der guten Sache, dem Prinzen heilig und feyerlich versprochen, einzig darauf zu dichten und zu trachten, daß der Fürst die Regierung niederlege, und sich mit einem kleinen Leibgeding auf ein der Familie gehöriges Rittergut außer Landes zurück ziehe. Es sollte hier alles genau so eingefädelt werden, wie bey der Abdikation des Markgrafen von Anspach, und Babet [205] d’Ossan hatte die Rolle der Lady Craven. Natürlich dachten wir aber nun nicht mehr an unser Versprechen. Wir hatten uns desselben blos als eines frommen Betrugs bedient, um den Prinzen in unser Interesse zu verwickeln. Da wir aber seiner nicht mehr bedurften, gaben wir ihm mir guter Art Abschied. Wir machten die Miene, als arbeiteten wir immer fort an der Abdikation; aber im Grunde arbeiteten wir ihr eifrigst entgegen. Denn bey einem Fürsten, der selbst regiert – und das wäre der Fall bey dem Prinzen gewesen – hat die Herrlichkeit der Pfaffen und der Edelleute ein Ende, wie das Beyspiel des Kaisers Joseph lehrt.

Der Fürst wurde, auf unsere Veranstaltung, von seinen Unterthanen mit großen Freudenbezeugungen empfangen. In den Dörfern wurde mit allen Glocken geläutet; die Bauern stellten sich unter das Gewehr, die Mädchen streuten Blumen auf den Weg, und die Geistlichen präsentirten das Weihwasser. In der Residenz donnerten uns die Kanonen entgegen, die ganze Stadt war beleuchtet, die sämmtlichen Korporationen übergaben Bewillkommnungsgedichte, [206] von den Thüren tönte Trompeten- und Posaunenschall, und die Illuminaten guckten verstohlen, als hätten sie ein böses Gewissen, durch die halb geöffneten Fenster heraus, wie die Aristokraten bey dem Einzuge der Franzosen in den Städten am Rhein. Dem Fürsten gefiel das alles sehr wohl, und wir machten ihm begreiflich, daß dieser allgemeine Jubel des Volks der Ausdruck seiner Zufriedenheit mit der neuen Staats-Reform sey.

Ungesäumt wurde zu dem großen Werke der Wiederverfinsterung geschritten. Die Wahrheit und die Kirche hatten ihre verlohrne Macht wiederum errungen. Man durfte nicht in dem Gebrauche derselben zaudern. Die Menschen sind sterblich und veränderlich, und die Fürstinn befand sich noch immer in Wien. Steinbock hatte das politische Departement in seinem ganzen Umfange, Simpert das geistliche, und Se. Durchlaucht begnügten sich mit dem Departement der Liebe. Es wurde eine besondere Kommission niedergesetzt, welche den Titel der Aufklärungs-Inquisitions-Deputation erhielt. An der Spitze derselben glänzten als Präsident Se. Hochwürden, der Herr Pater Simpertus, und [207] die Glieder bestanden aus dem Kapuziner Beda, und den drey aus dem Lyceum zu dem Kanonikate verwiesenen Ex-Jesuiten. Unter der beträchtlichen Zahl ihrer geheimer Spione hatte meine Wenigkeit die Ehre der Oberstelle. Die Deputation hatte durch ein fürstliches Dekret unbeschränkte Macht erhalten, alles zu thun, zu veranstalten und zu vollziehen, was zur Ausrottung der Aufklärung dienlich war. Es vereinigte sich mit ihr ein bischöflicher Kommissarius, um ihren Befehlen an die Geistlichkeit die erforderliche Sanktion zu ertheilen, die Gegenstände der Untersuchungen wurden immer zuerst in dem Jesus-Klubb ventiliert, und von da kamen sie in das Innere, wo man sie nach den Umständen modificierte, vermehrte und verminderte. Die Deputation existierte und arbeitete etliche Wochen, ohne daß ihr Daseyn öffentlich bekannt war. Man hörte keinen laut gegen die Aufklärung. Das war ein Kniff der theologischen Politik. Man wollte die Illuminaten sicher machen, um sie dann desto gewisser zu erhaschen.

[208] Die erste Handlung der Deputation war eine Handlung der Dankbarkeit. Die Obskuranten erinnerten sich, daß das Gelingen ihres großen Werks, vorzüglich dem Markis d’Ossan zuzuschreiben sey. Der selige Mann hatte den Ausgewanderten an dem Hofe die Thüre geöffnet, er hatte zuerst den Fürsten gegen die neue Lehre gestimmt, er hatte die Zusammenkunft mit dem Prinzen eingeleitet, er hatte seine Tochter zu ihrer Rolle abgerichtet, er hatte die Fürstinn und den Abbe gestürzt. Es wurde um dieser großen Verdienste willen beschlossen, daß ihm in dem ganzen Lande die Exequien eben so, wie einer Person aus dem fürstlichen Hause gehalten, und in der Jesuiter-Kirche ein Monument errichtet werden sollte. Der Beschluß wurde bey Hofe mit allgemeinem Beyfalle aufgenommen, und von dem Fürsten bestätigt. Die Exequien sammt der Hoftrauer begannen, und in dem besagten Tempel wurde ein prächtiges Grabmahl errichtet, welches folge von Simperten verfaßte Innschrift ziert:

[209]
Memoria

Viri Illustrissimi

LUDOVICI D’OSSAN,

Qui

Fidus assecla religionis catholicae

Patria

Atheis & Monarchomachis devastata

Relicta

Principem optimum Strahlenbergensem

Manibus haereticorum eripuit

Veritatem catholicam

contra hujus aetatis incredulos

Restauravit

Philosophiam Illuminatorum Fortirer

Debellavit

Et demum

In Gallia mortem martyris

Pro ecclesia et rege

Obiit.

† † †

[210] „Der Beschluß, sagte ich, sey bei Hofe mit allgemeinen Beyfall aufgenommen worden.“ Meine Leser müßten die Welt, und besonders die Höfe gar nicht kennen, wenn sie diese Bemerkung für verdächtig, oder auch nur für paradox halten könnten. Sobald sich die Fürstinn entfernt hatte, wollte niemand mehr aufgeklärt seyn, und sobald wir aus dem Felde zurück gekommen waren, wollte Jedermann für einen Obskuranten gelten. Man sah nun keine Almanachs und keine Romane mehr in den Händen unserer Damen. Die Kavalliere schlossen sich, wenn sie nur die Zeitung lasen, in das Innerste ihrer Kabinette ein. Man hörte an dem Hofe kein Wort mehr von Literatur und Philosophie. Man sah in den Messen und sogar in der Vesper wieder hohe Frisuren und Ordensbänder. Statt des eingegangenen Liebhaber-Theaters wurde ein Bauer aus Tyrol als Hofnarr engagiert, der dieselbe Charge eher bey dem Chur-Fürsten von Bayern begleitet hatte. Die Sekretairs bey den Kollegien schrieben wieder den alten Kurial-Stil. Man vermied sogar im Umgange sorgfältig die Wendungen und Phrasen des modernen Teutsch. [211] Alles drang sich Simperten zu und huldigte ihm. Das Fräulein war der Abgott der ganzen Strahlenbergischen Welt. – Man nehme aber diese plötzliche Metamorphose des herrschenden Tons unsern Leuten ja nicht übel, ob er wohl bey vielen nur Verstellung war, gerade so wie der, den man in der philosophischen Periode angestimmt hatte, So ist der Mensch überall, nicht nur in Strahlenberg, sondern auch am Rhein, an der Seine, an der Themse, und im Lande Hadeln. Er geigt die Saite, die man am liebsten hört. So ist es von jeher gewesen, und wird immer so bleiben, Wenn nur der wahre Glaube erhalten, und die heilige Kirche und die eben so heilige Priesterschaft geachtet wird, so liegt nichts daran, wenn es auch gleich nicht jedermann ein rechter Ernst damit ist. Wir Jesuiten z. B. sind überzeugt, daß wir uns das größte Verdienst durch die Herüberführung eines Lutheraners erwerben, wenn derselbe auch gleich in seinem Herzen ewig lutherisch bleibt. Wenn nur die Kirche ihre Rechte und ihre Ehre in den Augen der Welt behauptet. Das Innere überlassen wir dem Herzenskündiger.

[212] Es wurde auf die Veranstaltung der Inquisitions-Deputation – und das war ihr erster öffentlicher Schritt – eine Haus-Visitation bey allen verdächtigen Geistlichen des ganzen Landes veranstaltet. Die Söldner und Anhänger der Obskuranten erhielten in tiefester Stille die nöthigen Vollmachten von dem bischöflichen Kommissarius, drangen in die Studierstuben ihrer Kollegen, zeichneten die Titel der ketzerischen Bücher auf, die sie bey ihnen fanden, und nahmen ihre sämtlichen Manuscripte und Briefe in Beschlag. Diese Visitation erstreckte sich auch auf die protestantischen Prädikanten des Landes, und auf die Geheimnisse, die das Zimmer des abwesenden Abbe’s verbarg. Die vorgefundenen Pappiere und die aufgenommenen Bücher-Katalogen wurden an Simperten eingesandt, nachdem die Inquirendi zuvor die letztern durch ihre Namensunterschrift bestätigt hatten.

Durch diese Operation kam man plötzlich in den Besitz aller Dokumente, die man nöthig hatte, um über unsere Philosophen den Stab zu brechen. Zwar schrien sie laut über Raub und Ungerechtigkeit, bewiesen, daß die [213] geistliche Polizey so wenig als die weltliche über die Thürschwelle der Häuser hinein gehen dürfe, und überliefen den Fürsten und den Bischof mit Vorstellungen, um gegen diese Art der Entdeckung ihrer Geheimnisse zu excipiren. Das kümmerte uns aber wenig. Wir schritten entschlossen auf unserm Wege fort. Die Deputation vertheilte die gefundenen Papiere unter die geweihten Brüder, um sie zu untersuchen, und durch die Auszeichnung der verfänglichsten Stellen die Special-Inquisition vorzubereiten. Die lieben Herren vom neuen Lichte waren voll Furcht und Warten der Dinge, die da kommen sollten, schlichen angstvoll in den Winkeln umher, deliberirten in ihren geheimen Konventikeln über die nahe Gefahr, und sahen nichts zu ihrer Beruhigung, als den trostlosen Trost, daß es am Ende einem gehen werde, wie dem andern.

Während die Glieder und Handlanger der Inquisition Tag und Nacht über den vorgefundenen Papieren brüteten, und alle nur mögliche Ketzereyen herauszogen, oder – hinein trugen, erließ die letztere zwey wichtige Befehle. Erstlich sollte die Lese-Bibliothek geschlossen, [214] und zum andern sollten alle in den Privat-Bibliotheken entdeckten verdächtigen Bücher konfiscirt und eingeliefert werden. Der erstere Befehl fand keine Schwierigkeit. Simpert legte eigenhändig das fürstliche Siegel an die Thüre des Büchersals, und nahm die Schlüssel mit nach Hause. Aber gegen die Einsendung der ketzerischen Bücher sperrten sich unsere erleuchteten Herren gewaltig. Kein einziger befolgte das gegebene Gesetz. Sie remonstrirten und raisonnirten, als gälte es ihre Köpfe. „Es könne, hieß es, ein Buch von einem Ketzer geschrieben, um deßwillen doch nicht ketzerisch seyn. Die strengern Wissenschaften haben ja mit den katholischen Religions-Ideen gar keine Verwandtschaft. Kästner’s mathematische Lehrbücher bestreiten keine einzige Lehre der Kirche, und Scheller’s lateinisches Lexikon sey eben so orthodox, als Pomays Wörterbuch. Man finde auch die Schriften, die man ihnen nehmen wolle, in den meisten deutschen Stifts- und Klosterbibliotheken[34], und zum Theil sogar im Vatikan. Der heilige Paul selbst habe gerathen, alles zu prüfen. Sie haben sich ihre Bücher um ihr gutes Geld erkauft, und man könne ihnen [215] dieses wohlerworbene Eigenthum nicht entziehen, ohne sie wenigstens dafür zu entschädigen.“ – Von solchen Gründen, und von Gründen überhaupt nahm aber die Deputation keine Notiz. Sie ließ die Widerspenstigen wissen, daß einmal nach dem Buchstaben der Tridentinischen Synode, ein Katholik kein ketzerisches Buch lesen, vielweniger besitzen dürfe, und daß diejenigen, welche sich noch länger waigerten, diesem Gesetze der Kirche Gehorsam zu leisten, ipso facto kassirt seyn sollten. Diese kräftige Erklärung wirkte. Die bibliothecae haereticae kamen nach und nach bey der Behörde an. Das Lese-Kabinet wurde wieder entsiegelt, und aller Ketzermist des ganzen Landes in demselben niedergelegt. Da hatten wir denn eine feine apotheca Satanae beysammen, und es bedurfte nur eines Winkes von Simperten, um sie mit einemmale zu zernichten.

Zu gleicher Zeit ergieng die Verordnung, daß, bey hoher Strafe, sich niemand unterstehen soll, ein politisch- oder religiös-verdächtiges Buch über die Gränze einzuführen, zu verkaufen, zu kaufen, zu verleihen, oder zu [216] besitzen. Der sehr vollständige und mit äußerster Strenge eingerichtete Bayerische index expurgatorius erhielt gesetzliche Kraft, u. alle in demselben aufgezeichneten Schriften galten von nun an in Strahlenberg als literarische Kontrebande. Den Anzeigern der Uebertretter wurden, mit Verschweigung ihres Namens, große Belohnungen verheißen. Die sämtlichen Buchdruckerpressen kamen unter die specielle Aufsicht der Deputation. Es wurden alle auswärtige Zeitungen verboten. Nur die Moy’sche Zeitung von Augsburg und die Todtengespräche von Neuwied erhielten den Freypaß.

Unterdessen war das Korps der geistlichen Spione äußerst thätig, um den Wiederherstellern der Wahrheit recht viele brauchbare Materialien zu sammeln. Die verdächtigen Priester in der Stadt und auf dem Lande wurden fleißig von uns belauscht. Wir errichteten Verbindungen mit ihren Köchinnen. Wir schlichen unter allerhand Gestalten in ihre Häuser. Wir verschafften uns Kenntniß von ihrem Briefwechsel. Wir zettelten Komplote unter den Gemeinden an. Wir dungen um Geld und Versprechungen falsche Zeugen. Wir [217] kamen hinter die wichtigsten Geheimnisse. Aber das ganze Korps bestand aus lauter gewandten Leuten, die im Stande waren, allen Dingen auf den Grund zu kommen, alle Masken zu entlarven, listig und fein zu betrügen, mit Engelsmienen die größte Lüge vorzutragen, mit kaltem Blute einen falschen Eyd zu schwören, alles – in majorem Dei gloriam.

Stolz und zuversichtlich erhuben die Männer von der alten Parthie ihre Häupter wieder, und schritten fest und imposant durch die Straßen, wie ihre Kollegen nach dem Tode des Kaisers Joseph zu Wien. Die abgeschafften Feyertäge wurden wieder gehalten. Die Wallfahrten wimmelten von Menschen. Reiche Opfer fielen bey den Wunderbildern. Die Brüderschaften blühten wieder auf. Die Nacht begann hereinzubrechen. Schwankend neigte sich die Sonne unter dem Horizont. Nebel schwammen auf den Thälern. Traurig standen die Berge im Dunkel. Die Unken heulten in den Sümpfen. Die Nachtwächter erfüllten die Straßen mit ihrem Geschrey.

[218]
Sechszehntes Kapitel.
Das Ende der Aufklärer.

Unterdessen hatte die Deputation die Untersuchung der bey den Heretikern gefundenen Pappiere geendigt. Unglücklicher Weise aber konnte man gerade dem Hauptumstande, auf den man ausgegangen war, nicht auf die Spur kommen. Simpert hatte nämlich gehofft, eine Art von Ordensverbindung, oder geheimer Gesellschaft unter unsern Lichtphilosophen zu entdecken. Er zweifelte gar nicht daran, daß diese feinen Herren entweder mit den noch bey weitem nicht ganz ausgerotteten Illuminaten in Bayern, oder mit der Union der zwey und zwanziger, oder mit den Freymäurern, oder gar mit der französischen Propaganda zusammen hängen. Hätte sich diese Hoffnung bestätigt, so hätte man sogleich kriminalisch zu Werke gehen, die Verbrecher in Ketten und Banden werfen, und vielleicht mit einigen von ihnen ein erbauliches Scheiderhaufen-Spektakel spielen können. Aber man fand nichts von der Art. Es war, wie es schien, blos ein freundschaftlicher [219] Nexus, entstanden aus der Uebereinstimmung der Meynungen, der diese Leute untereinander verband. Jedoch fand Simpert für nöthig, bey Abfassung des Berichts ad Serenissimum, dem Aktuarius die Bemerkung in die Feder zu diktiren: „daß die Aufgeklärten, obwohl ein Zusammenhang mit jenen Orden und Sekten nicht entdeckt worden, doch als Illuminaten, Freymäurer, Zwey und Zwanziger und Propagandisten anzusehen und NB. zu behandeln seyen, weil sie alle Grundsätze derselben annehmen, und folglich für den Staat und, für die Kirche die nämlichen Gefahren herbey führen.“

Dagegen fand man in ihren Pappieren und Briefen viele Aeußerungen, die man nicht erwartet hatten, und die sehr ungeschickt in unsern Kram taugten, – brüderliche Ermunterungen zur Gottseligkeit, Ehrbarkeit und Amtstreue, schöne Schilderungen von der Würde des geistlichen Standes, Aufforderungen zu einem tugendhaften Beyspiel, Warnungen vor dem übertriebenen Aufklärungseifer, Verteidigungen wichtiger Unterscheidungslehren des katholischen Systems, Ermahnungen zur Achtung des obrigkeitlichen [220] Ansehens, Entschuldigungen der Orthodoxen und Obskuranten, Gewissensprüfungen, Gebete, Tagbücher voll Tugendsinns und Religiosität, und sogar eine sehr scharfsinnige Apologie des Lehrgebäudes unserer Kirche gegen die Protestanten, gebaut auf den bekannten Ausspruchs des frommen Fenelons[35]: Il n’ya pas un raisonnable millieu entre le catholicisme et le deisme. Diese Dinge wurden aber in dem Berichte größten Theils mit Stillschweigen übergangen. Da man sie jedoch nicht ganz übergehen konnte, so ward bemerkt, daß die Aufklärer selbst in ihren geheimsten Schriften ihre Heuchlerslarve nicht ablegen, und viel von der heydnischen Tugend sprechen, die sie statt der theologischen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe einführen wollten. Wenn man auch annehme, daß es ihnen wirklich damit Ernst sey, so werde die Sache nur um so schlimmer. Denn ihr scheinbar guter Wandel, befördere dann selbst bey denen, die es redlich meynen, den Eingang ihrer Lehre, und ihr aus Irrthum ruhiges Gewissen mache sie unüberzeugbar und verstockt. Bey ihnen treffe das Wort Jesu ein: Leichter kommen die Huren und Diebe in das Himmelreich, als die Pharsäer und Schriftgelehrten.

[221] Von ihrer Lehre selbst fanden wir eine Menge handgreiflicher Beweise, daß nie, seit den Nikalaiten und Cerynthinianer, eine Ketzerey in der Kirche im Schwange gieng, die diese verblindeten Leiter nicht vorgetragen und vertheidigt hätten. Zwar erklärten sie sich nirgends ausdrücklich gegen die katholische oder christliche Religion; vielmehr sprachen sie immer so, als ob sie recht gute katholische Christen wären. Aber der Preis und die Bewunderung, womit sie die giftigsten Schriften neuerer Freygeister und Protestanten lobten, die künstlichen moralischen Deutungen, die sie den Lehren und Gebräuchen des Katholicismus gaben, die Vernunftphilosophie, mit deren falscher Wage sie alles wogen, und der Berlinisch-Salzburgische Ton, in dem sie schrieben, schloß dem denkenden Leser die Thüre zu ihrer disciplina arcani weit genug auf. Dabey behaupteten sie noch eine Menge Sätze, die zwar an sich keine Lehre der Kirche widersprechen, die man aber unmöglich annehmen kann, ohne in den Atheismus, Neologismus und Protestantismus zu verfallen. Wir haben mehr als 200 solcher Sätze ex actis konsignirt. Der eine schreib z. B. nach Kantischer Weise, [222] man könne das Daseyn Gottes nicht demonstriren. Daraus folgt aber der Atheismus unvermeidlich. Denn was nicht bewiesen werden kann, das existirt auch nicht, wenigstens nicht in meiner Idee. Ein anderer hatte eine lange Abhandlung über den Gemeinplatz geschrieben: omnis homo mendax. Dieser Gemeinplatz erhielt darinn gar keine Beschränkung, folglich ward die Untrüglichkeit des Pabstes unwidersprechlich aufgehoben, und damit stürzt, wie man weiß, der Eckstein um, auf dem das ganze Gewicht der katholischen Kirche ruht. Ein dritter hatte behauptet: Unverstandsirrthümer seyen keine moralische Verbrechen. Damit wäre aber der Ketzer so gut, als der Orthodox, alle hingerichteten Irrlehrer und Irrglaubigen wären eigentlich ermordet, und der Protestant und der Jude könnte so gut selig werden, als der Katholik. – Es ist unglaublich, was wir auf diese Weise für Ketzereyen aus den aufgefundenen Pappieren hervorbrachten.

Noch mehr war es uns aber um politische[36] als religiöse Ketzereyen zu thun. Denn man konnte denselben einen Anstrich von Empörungsgeist[37] und Hochverrath geben, die Aufgeklärten [223] als teutsche Jakobiner darstellen, und ihnen dasselbe Schicksal bereiten, das damals den Maynzer Klubbisten auf dem Petersberge bey Erfurth zu Theil ward. Wir ergötzten uns besonders an der Hoffnung, eine Korrespondenz mit diesen letztern feinen Herren, oder so etwas aufzufinden, was man für eine Vollmacht eines französischen Emissairs hätte ausgeben können. Leider fand sich aber nichts dergleichen. Im Gegentheile stießen wir auf lebhafte Ausbrüche des Unwillens über die Hinrichtung des Königs von Frankreich, über den Vernunftgottesdienst, und über die Zerstöhrungen der überreinischen Vandalen, auf Freudensbezeugungen über die Wiedereroberung von Maynz, und auf Klagen über den Mangel an Patriotismus in Teutschland. Jedoch war bey ein wenig geschickter Konsequenzenmacherey auch an tauglicherm Stoffe kein Mangel. Mehrere Aeußerungen von Beyfall, die bey dem Ausbruche der Revolution geschehen waren, wurden – ohne Rücksicht auf das Chronologische – extrahirt. Einige rauhe Worte über das schlechte Betragen der österreichischen Freykorps auf ihrem Marsche an den Rhein, und einige spöttische Anmerkungen über das Manifest, worinn der [224] König von Preußen Frankreich erobert, und Paris in einen Aschenhaufen verwandelt hatte, wurden als Majestäts-Lästerung bezeichnet. Einer hatte gesagt, die Franzosen seyen ein Volk von Kraft, und diesen Ausspruch suplirte man mit dem sich selbst ergebenden Zusatze: Die Teutschen seyen ein Volk von Schwäche. Ein anderer hatte die Klubbisten in Maynz bedauert, und da bot sich die Bemerkung ungesucht dar: daß man keinen Verbrecher bedauern könne, ohne zugleich sein Verbrechen zu billigen. Da man bey dem Abbe Briefe von Eulogius Schneider und Dorsch antraf, die blos literarischen Inhalts waren, so konnte man ohne Gewissenskrupel berichten, daß er die von politischem Innhalte auf die Seite geräumt habe. Andere Aeusserungen, z. B. der Fürst sey um des Volks willen da, es beruhe das Verhältniß zwischen dem Fürsten und dem Volke auf einem Vertrage, die Obrigkeiten haben auch Pflichten gegen die Unterthanen, u. s. w. durfte man nur anführen, und die, welche sie ausgesprochen hatten, waren eo ipso überwiesen, daß sie den Aufruhr rechtfertigen, und Freyheits- und Gleichheits-Fanatiker seyen.

[225] Nachdem diese Untersuchungen geendiget waren, so schritt man zur Vollziehung der Entschließungen, die man bereits vor denselben schon gefaßt hatte. Zuerst, sprach Simpert, hauen wir dem Monstrum philosophicum den Kopf ab, und dann werden wir mit dem Rumpfe leichten Weges fertig werden. Es wurde ein Urtheil über den Abbe ausgefertigt mit der fürstlichen Unterschriftmaschine solennisirt, und dem Inkulpaten mit der Post nach Wien zugeschickt. Der Innhalt des Urtheils gieng darauf hinaus: „Die von Serenissimo zu Reinigung der glaubigen Heerde von den eingeschlichenen neumodischen Ketzereyen gnädigst angeordnete Inquisitions-Deputation habe bey der vorgenommenen Untersuchung der Bücher und Pappiere des Herrn Abbe Lucius mißliebigst gefunden, da derselbe nicht nur eine Menge protestantischer Schriften lese und besitze, sondern auch solchen Meynungen anhange, die den Grundsätzen der allein seligmachenden römisch-katholischen Religion schnur stracks entgegen laufen, die guten Sitten verderben, und die wohl hergebrachte bürgerliche Ordnung stöhren. Es werde ihm deßhalb zu erkennen [226] gegeben, daß er künftig nicht mehr Erlaubniß haben soll, in irgend einer Kirche oder Kapelle der Strahlenbergischen Lande Messe zu lesen, zu predigen, Beicht zu sitzen, oder irgend einen actus sacerdotalis zu verrichten. Dabey bliebe es aber Serenissimae unbenommen, ihn in seinem bisherigen Eigenschaft in ihren Diensten zu behalten, jedoch unter der Beschränkung, daß alle seine Amtshandlungen nie öffentlich, sondern immer nur inter parietes geschehen müßten.“ Man begreift, wie ein solches Dekret den stolzen Pfaffen niederschmettern mußte. Er erwiederte kein Wort darauf, sondern schickte blos einen Konto von 3000 fl. ein, die er für die ihm hinweg genommenen Bücher bezahlt haben wollte. Man legte den Konto ad acta, und lachte den geprellten Fuchsen aus.

Die drey Professoren an dem Liceum, welche der Abbe eher, mit Hintansetzung der Landeskinder, aus der Fremde herbey gerufen hatte, um den bösen Samen in unserm Vaterlande auszustreuen, erwarteten den Anfang der Special-Inquisition nicht, sondern forderten in einem von ihnen gemeinschaftlich eingereichten Memoriale [227] ihren Abschied. Wir hatten zwar beschlossen, an diesen 3 Hauptverbrechern ein besonders ausgezeichnetes Rache-Exempel zu statuiren, und wir waren noch unentschieden, ob wir auf Landesverweisung, oder öffentliche Entpriesterung, oder ewige Einsperrung erkennen sollten. Doch zogen wir die Annahme einer freywilligen Resignation vor. Denn durch diese Uebung einer besondern theologischen[38] Milde wurden wir ihrer mit einem Male los, und sie erschienen öffentlich als Leute, die wegen ihres bösen Gewissens der gerichtlichen Untersuchung ihrer Handlungen entgangen waren. Wir ließen sie also laufen, und gaben ihnen aus Mitleiden eine Art von Attestat oder Laufzettel, was eine neue Probe unsers Edelmuths war, indem sie als haereseos suspecti aus dem Lande zogen. Dem Vernehmen nach wurde der eine in der Reichsstadt Bopfingen lutherisch, der andere wurde Buchhalter bey einem Juden in Fürth, und der dritte verdingte sich bey einem wandernden Quacksalber als Hanswurst. So erzählte wenigstens unsere Hofzeitung ihr Schicksal, zum klaren Beweise, was am Ende aus den aufgeklärten Pfaffen werde.

[228] Simpert wandte sich nun an den General-Vikarius Nigg in Augsburg, einen der thätigsten katholischen Zeloten unserer Zeit, um die entstandene Lücke an dem Lyceum mit andern würdigern Subjekten auszufüllen. Dieser schickte ihm 3 wohlgerathene Jesuiten-Zöglinge zu, welche Gelehrsamkeit, Orthodoxie, Muth und Schlauheit genug besaßen, den pädagogischen Augias-Stall zu säubern, und alles wieder auf den alten Fuß herzustellen. Man nahm den Studenten die neuen Lehrbücher hinweg, und richtete alles nach demselben Typus ein, der sich unter so vielen Stürmen und Attentaten der Aufklärer bis diese Stunde in dem Jesuiter-Kollegium zu Augsburg glücklich erhalten hat. Man lehrte wieder lateinisch, vertauschte die römischen Autoren mit den editionibus castratis, verbannte den Unterricht und die Uebungen in der teutschen Sprache, und setzte den Komödiensaal in seinen alten Stand.

Während sich die neuen Professoren mit dieser wohlthätigen Schul-Reformation beschäftigten, wurden die Special-Inquisitionen mit den verdächtigen Priestern eröffnet und eifrig fortgesetzt. Wenn ich hier in das Einzelne gehen, [229] und Mann vor Mann vor meinen Lesern aufführen wollte, so würden sie gewiß sehr viel Lehrreiches über das Fach der inquisitorischen Klugheit daraus ableiten können. Aber eines Theils möchte das denen, die die Abwechslung lieben, zu einförmig und folglich zu langweilig seyn; und zum andern würde die arge Welt, die es nicht begreifen kann, daß überall, besonders da, wo es die Gründung des Reichs Gottes gilt, der Zweck die Mittel heilige, die Deputation der größten Illegalitäten und Ungerechtigkeiten beschuldigen. Freylich wären diese Beschuldigungen leicht zu widerlegen. Denn daß man sich bey dem Verhör verfängliche Fragen und erdichtete Voraussetzungen erlaubte, daß man die Abgeordneten der Gemeinden, die in die Residenz kamen, um für ihre bedrängten Seelsorger zu intercediren, in Ketten und Banden werfen ließ, daß man Zeugen annahm, deren Zeugniß vor weltlichen Gerichten ungültig gewesen wäre, daß man ein simples Zeugniß schon als hinlänglichen Beweis einer Thatsache betrachtete, u. s. w. Das ist alles bey Untersuchungen dieser Art gewöhnlich und erlaubt. Denn bringt man durch diese Mittel die Wahrheit an das Licht, nun so hat man seinen Zweck [230] erreicht; geschieht aber einem Unschuldigen zu viel, so ist ja ein gerechter Gott im Himmel, der ihn für seine Unschuld auf eine andere Art belohnen kann. Es ist auch bey Anklagen und Prozessen, wo es auf einen Verdacht der Ketzerey ankommt, immer besser, wenn zehn Unschuldige zu Grunde gehen, als wenn nur ein Schuldiger durchschlupft. Denn jene zehn verlieren ja nur ihr zeitliches Glück; dieser eine aber kann tausende um ihr ewiges bringen. Bey Ketzerausrottungen muß man kaltblütig und unempfindlich seyn, und fort handeln und fort wirken, so lange nur ein Schatten des Unglaubens sichtbar ist. Es schadet dem guten Samen nichts, wenn er mit dem Unkraute ausgerauft wird. Er kommt zu seiner Zeit doch auch in die Scheure. Als der eifrige Schwerdtapostel Simon von Montfort, auf seinem Kreuzzuge gegen die Albigenser, die Stadt Beziers eroberte, so fragte man ihn, wie er es wegen der vielen in der Stadt befindlichen Katholiken gehalten wissen wollte. „Schlagt alles todt, sprach der fromme Held, der Herr kennet die Seinen.“ Es fielen 60,000 Menschen an diesem Tage, und doch war das ganz [231] in dem ächten Geiste des Katholicismus gesprochen und gehandelt.

Bis zu blutigen Schauspielen trieb man es aber in Strahlenberg nicht, ob es wohl unsere Illuminaten, als Verführer, weit mehr verdient hätten, als die Albigenser, welche größten Theils nur Verführte waren. Einige von den unwürdigen Priestern wurden gänzlich kassirt, andere auf Beneficiate removirt, andere auf eine gewisse Zeit zu den Exercitien in dem geistlichen Zuchthause verdammt, und andere, auf denen nur ein geringerer Grad von Verdacht haftete, mit derben Zurechtweisungen entlassen. In einigen Gemeinden setzte es, bey der Entfernung ihrer Pfarrer, unruhige Bewegungen. Denn diese Leute waren alle sehr beliebt, und der Pöbel schrie laut: „Die frommen Herren, die fleißig studieren, schön predigen, die Schule in Aufnahme bringen, und das Volk durch ihr Exempel erbauen, setzte man ab, und die Säufer, die Spieler und Hurer nehme man in Schutz.“ Wir ließen aber die Narren schwätzen, und wenn sie das Maul zu weit aufrissen, so schickten wir ihnen militairische Exekution.

[232] Mit alle dem war aber die Kirche doch noch nicht gesäubert. Um jeden Schein von Ungerechtigkeit und Hörte zu meiden, hatte man sich bey manchem mit einer blosen Züchtigung begnügt, bey dem doch keine herzliche Buse zu erwarten stand. Es war auch nicht genug, daß die Leute nur äußerliche Rechtglaubigkeit affektirten. Man mußte es so weit, als möglich treiben, um ihrer innern Ueberzeugung gewiß zu seyn. Deshalb ließ die Deputation bey allen Geistlichen des Landes eine Eydesformel herum gehen, welche sie mit ihrer Unterschrift bestätigen sollten. Darinn mußten sie, bey Gott und allen Heiligen, versprechen, kein von einem Ketzer geschriebenes Buch mehr zu lesen, nichts zu denken und zu glauben, als was mit den canonibus concilii tridentini übereinstimme, aller neuen Philosophie und Aufklärung zu entsagen, und jede in ihrem Beobachtungskreise spuckende Ketzerey sogleich anzuzeigen. Die Wirkung dieser Verfügung überstieg selbst unsere höchsten Wünsche. Beynahe alle noch übrigen Illuminaten schickten die Formel zurück, und erklärten, sie wollten lieber Amt und Brod aufopfern, als durch die Unterschrift derselben ihr Gewissen beschweren. Man nahm sie [233] beym Worte. Die Widerspenstigen wurden entlassen, und giengen aus dem Lande. Ihre Stellen erhielten lauter geprüfte Obskuranten und Jesuiten-Zöglinge aus Bayern und Ober-Schwaben. Nie war die Strahlenbergische Kirche reiner, als nun nach dieser großen Reduktion.

Simpert hatte den protestantischen Predigern des Landes eine ähnliche Mahlzeit zugedacht. Denn unter ihnen stack eben so viel Gift, als unter der Clique des Abbe, und fand man Gelegenheit sie zu entlassen, so war auch von dieser Seite das Land gesäubert, und man konnte dann durch den Verkauf ihrer Stellen dem Lutherthum wieder einen gewaltigen Stoß geben, und sich bey dem Fürsten empfehlen. Man hatte bey der allgemeinen Haus-Visitation auch ihre Bibliotheken und Pappiere versiegelt, und als der Befehl erfolgte, daß alle ketzerischen Bücher eingeliefert werden sollten, so nahmen ihnen unsere Kommissairs sogar Luthers Bibel und ihre Libros symbolicos hinweg. Unglücklicher Weise ist aber der König von Preußen der Garant des protestantischen Kirchenwesens in Strahlenberg. [234] Die Bedrängten wandten sich deßhalb an das Ministerium in Berlin. Dieses erließ ein heftiges Schreiben an den Fürsten, und drohte mit Repressalien. Steinbock erklärte der Inquisition, hier müsse man schlechterdings leise tretten, und statt der Gewalt die Jesuiten-Maschine spielen lassen. Man gab deshalb den lutherischen Prädikanten ihre Bücher wieder zurück, und statt auf ihre Kirche Sturm zu laufen, legte man in der Stille Minen an.


Siebenzehntes Kapitel.
Ein mißlungenes Auto da fè.

Die Aufklärer verhielten sich bey diesem ganzen erbaulichen Handel nach dem Axiom ihres Urgroßvaters Epiktet: „Leide und meide.“ Doch das Meiden kam ihnen nicht sehr zu statten [235] wenigstens ihren Häupter nicht, welche samt und sonders in die Pfanne gehauen wurden. Beym Leiden aber stolzirten sie, wie alle ihre Kammeraden in Bayern, Oesterreich und am Rhein, und wie alle verbrannte Ketzer seit Huß, Vanini und Servet, mit dem eingebildeten Troste, sie seyen Märtyrer für die Wahrheit. Wir wollten und konnten ihnen diesen Trost nicht nehmen. Aber wir ließen uns auch dadurch nicht hindern, sie tüchtig durch die Spießruthen zu[39] jagen.

Die gemeine Sache dieser Leute ist die von ihnen so hochgerühmte, und eben sehr mißbrauchte Publicität. Damit pflegen sie immer sogleich bey dem ersten Anlaufe zu drohen, und sobald einem von ihnen nur gelinde auf die Finger geklopft wird, so stoßen sogleich ihre Spießgesellen in Jena, Salzburg, Leipzig, Gotha und Hamburg in die Lermtrompete der Journale, man habe ihnen die ganze Hand abgehackt. Zwar hatten wir uns vor dieser Rache nicht zu fürchten. Denn wenn ich vernünftig und pflichtmäßig handle, so darf es ja die ganze Welt wissen. Doch war es uns nicht lieb, wenn man von unserm Religionseifer [236] viel Aufhebens machte. Die Welt legt so was gern übel aus, und die Verläumdung konnte uns Mittel und Absichten andichten, die der guten Sache eben keine Ehre brachten. Auch sahen wir nicht ein, warum das vielköpfige Publikum der Richter über unsere Handlungen seyn sollte. Wir erkannten keinen Richter über uns, als den Bischof, den Fürsten, und unser zartes Gewissen. Daher trafen wir mit großer Sorgfalt die nöthigen Vorsichtsmaaßregeln, um die öffentliche Bekanntmachung unserer Schritte zu hintertreiben. Unter andern übergaben wir dem Postmeister ein Verzeichniß aller Verdächtigen im Lande, mit dem Auftrage, daß er die sämtlichen von denselben auf die Post gegebenen Briefe vor der Absendung dem Pater Simpert einhändigen sollte. Der Mann machte Schwierigkeiten. Allein manus manum lavat. Wir versprachen, ihm die bischöfliche Dispensation in einer gewissen Liebesangelegenheit auszuwirken, und dagegen kam es ihm auch auf eine kleine Verrätherey nicht an. Die Briefe wurden alle erbrochen. Die Sache blieb das größte Geheimniß.

[237] Bald entdeckten wir auf diesem Wege ein abscheuliches Attentat, die frommen Eiferer für die Kirche und für den Staat vor der Welt und Nachwelt auf den Pranger zu stellen, und uns eben so dem öffentlichen Hohne Preis zu geben, wie es in dem verdammten Obskuranten-Almanach so manchem rechtlichen und verdienten Manne geschehen ist. Der Ehrenpostmeister brachte ein starkes Paket, welches ein junger Weltgeistlicher, Namens Seger, aufgegeben hatte. Dieser Mensch war erst kürzlich von den Studien nach Hause gekommen. Da man seine Denkungsart noch nicht kannte, so ward er von uns, als ein ganz unbedeutendes Subjekt übersehen. Nur weil er in Dillingen zu Sailer’s Füßen gesessen war, hatte Simpert seinen Namen noch hinten an die dem Postmeister übergebene Lista suspectorum angeflickt. Wie staunten wir, als das Paket geöffnet ward?

Da fand sich ein Brief an den alten Sünder, Professor Schlözer in Göttingen, worinn derselbe als Oberpriester und Dalai Lama in den Tempel der Aufklärung und Publicität begrüßt, und gehorsamst und unterthänigst gebeten [238] ward, den beyliegenden Aufsatz in das nächste Heft seiner Staatsanzeigen einzurücken. Dieser Aufsatz enthielt eine ausführliche Geschichte der Strahlenbergischen Obskuration. Galle war die Dinte des losen Pasquillanten, in Mordstrahl sein Griffel, und der Satan sein Spiritus inspirans. Gorani, Laukhard, Rebmann und Cotta sind große Majestätslästerer und Priesterschänder; aber keiner mißt sich mit diesem eher von uns so schnöde verachteten Verbrecher. Er stellte den Fürsten als einen armseligen Pinsel, den Marquis d’Ossan als einen Spitzbuben, das Fräulein Babet als eine feile Dirne, den Baron von Steinbock als den zweyten Struensee, und den ehrwürdigen Pater Simpert als den Malagrida redivivus dar, und ich erhielt den Titel des obskurantischen Sancho Pansa. Das Ganze war ein scheußliches Pasquill, voll Lästerung und Lügen, ein Aufruf zur Empörung, eine Schandsäule für Bischof und Priester, und eine Blasphemie über alles, was heilig ist. Dabey war der gottlose Mensch von allen geheimen Ränken und Schwänken unterrichtet, deren wir uns bedient hatten, den Vulkan der Aufklärung zu verstopfen. Er [239] sprach so zuversichtlich und so richtig davon, als hätte er unsern geheimsten Unterhandlungen beygewohnt. Selbst die tiefste Region unserer Plane, von der ich in diesem Buche kein Wort sprach, weil dieser Punkt nur für keusche Ohren und Herzen gehört, hatte er mit seinem scharfen Auge erreicht, – die resuscitatio societatis Jesu.

Simpert stand da, als er diese Lästerungen las, gleich als wär’ er versteinert, wie Loth’s Weib. In der Eile versammelte er die Deputation, und that ihr seine Entdeckung kund. Die Aeußerungen der Hochwürdigen Herren waren sehr verschieden. Der eine betete gen Himmel, der andere seufzte, der dritte schäumte, und der vierte jubelte über diese schöne Gelegenheit, einmal ein recht abschreckendes Beyspiel von Strafgerechtigkeit geben zu können. Denn darüber waren sie im Voraus schon alle einverstanden, daß der Malefitzkerl von Priester allerwenigstens eingemauert werden müsse. Als sich aber die Gemüther ein wenig abgekühlt hatten, so wurde beschlossen, im Anfange recht säuberlich mit dem Knaben Absalom zu fahren, und ihm gänzliche [240] Befreyung von aller Strafe, und sogar eine fette Pfarre – versteht sich cum reservatione mentali – zu versprechen, wenn er die Mitschuldigen seines Verbrechens und die Wege angeben würde, auf denen er mit den oben besagten geheimen Parthieen unserer Operationen bekannt geworden war. Dadurch konnten wir sehr wichtige Aufschlüsse erhalten, und Mitschuldige mußte er haben, da er erst vor wenigen Wochen von Dillingen zurück gekommen war, und für seine Person unter die Geister der zweyten Klasse gehörte, die man in dem hohen Rathe der Illuminaten nur als Werkzeuge zu gebrauchen pflegt. – Ich erhielt den Auftrag, ihn sogleich abzuholen.

Mit der redlichsten, offensten und freundlichsten Miene, als brächte ich ihm einen Gevatterbrief, trat ich in sein Zimmer, und bat ihn, unter Vermeldung vieler Empfehlungen, daß er die Güte haben, und einen Augenblick zu Sr. Hochwürden kommen möchte.

„Ich? – Zum Pater Simpert?“ sprach er befremdet.

[241] Ich vermuthe, fuhr ich so truglos fort, wie der Versucher in der Wüste, als er zum Weltheilande sprach, lasse diese Steine Brod werden, – ich vermuthe Se. Hochwürden werden sich nach ihren alten Freunden Lumper und Hosemann erkundigen wollen, weil Sie erst von Dillingen zurück gekommen sind.

„Von diesen weiß ich blutwenig, erwiederte der dreiste Knabe lachend; doch ich werde aufwarten.“

Er nahm Hut und Stock, und gieng an meiner Seite unbefangen seines Weges. Ich führte ihn die Treppe in dem Kollegio hinauf, und öffnete die Thüre. Er bebte zurück, als er hier so ganz unerwartet das furchtbare Gericht feyerlich umher sitzen sah. – Nun haben wir dich, dachte ich, drückte die Thüre hinter ihm zu, schlich ins Nebenzimmer, und horchte am Schlüsselloch.

Simpert setzte erst die Redlichkeit des Inquisiten auf die Probe, und trug auf ein freywilliges Geständniß an. Aber derselbe bediente sich aller Rettungsmittel, die nur denen [242] verziehen werden können, die zur Beförderung der Ehre Gottes durch die reine Lehre handeln, – er beugte aus, er floh in das Asyl der Unwissenheit, er leugnete. Er ließ es bis auf das Aeußerste kommen. Endlich wurde ihm der Brief vorgelegt, und er verstummte.

Die Herren drangen mit großer Beredsamkeit, mit theologischer Sanftmuth und mit vielen holdseligen Worten in ihn: „Er sey noch ein junger Mensch, den man so eine Uebereilung vergeben könne. In dem ketzerischen Dillingen müsse auch die beste Seele angesteckt werden. Er soll nur seine Mitschuldigen entdecken, und wenn er dieses thäte, so werde er eo ipso frey seyn. Er soll angeben: wer ihm die quästionirten Thatsachen mitgetheilt, wer ihm zur Abfassung des Pasquills ermuntert, wer ihm dazu geholfen habe? – Würde er länger hartnäckig läugnen, so verschlimmere er sich seine Sache sehr, und die Deputation habe ja Mittel, ihn zur Entdeckung der Wahrheit zu zwingen. Würde er ohne Zwang alles gestehen, so habe er sogar auf Belohnung und Beförderung zu rechnen. Die Kirche sey eine schonende Mutter. Sie nehme ihre verirrten [243] Söhne gerne wieder in ihren Schooß auf. Nur fordere sie rechtschaffene Früchte der Buße. Es sey auch nichts daran gelegen, wenn er seinen Mitschuldigen eydlich Stillschweigen versprochen habe. Ketzern sey man keine Treue zu halten schuldig. U. s. w.“

Bey diesen Vorstellungen schien Seger wankend zu werden. Er erklärte sich, die Sache sey wichtig, und er sey so plötzlich überrascht worden, daß er in diesem Augenblicke keine Entschließung fassen könne. Er bitte um Bedenkzeit bis Morgen. – Dieß wurde ihm sogleich eingeräumt, und sogar Erlaubniß gegeben, wieder nach Hause zu gehen. Denn man wollte ihm recht viele Zuversicht und Hoffnung einprägen, um ihn desto offenherziger zu machen. Jedoch um seiner Person sicher zu seyn, erhielt ich den Auftrag, ihn die Nacht über zu bewachen. Ich postierte mich in einen Winkel, seiner Hausthüre gegen über, und nahm zween mannfeste Holzhacker aus dem Kollegio zu meiner Verstärkung mit. Um keinen Verdacht durch meine Gegenwart zu erregen, hatte ich mich in weltliche Kleider gesteckt.

[244] Unter den Herren von der Deputation erhub sich nach dem Abtritte des Inquisiten ein heißer Zank, indem Beda darauf bestand, man sey zu schonend mit ihm zu Werke gegangen, man hätte ihn als einen überwiesenen Kriminal-Verbrecher sogleich festsetzen, und durch die Tortur die Wahrheit aus ihm heraus pressen sollen. Auch meynte er, habe man ihm, auf den Fall des freywilligen Geständnisses, soviel versprochen, daß man nicht mehr alles zurück nehmen könne. Simpert aber, der als feiner Jesuit weiter sah, als die andern, und ganz Meister seiner Leidenschaften war, sobald ein wichtiger Entwurf es erforderte, schlichtete den Streit, und wies die andern Herren zurechte. „Ich stimme, sprach er, selbst für die Tortur, wenn er nicht freywillig gestehet. Aber es ist besser, wir probieren vor der Hand das letztere. Denn wenn er alsdann nicht alles bekennt, was wir wollen, und nicht jeden in das Spiel bringt, den wir auf dem Korn haben, so können wir ihn noch immer torquiren lassen. Machen wir aber mit der Tortur den Anfang, und er hält sie aus, so ist uns der ganze Spaß verdorben. Ueber die Versprechungen, die wir ihm gegeben haben, dürfen [245] wir uns auch keine graue Haare wachsen lassen. Haereticis non est servanda fides. Wir konnten ihm ja auch blos Befreyung von kirchlichen Strafen verheißen. Diese kann er erlangen, und der weltliche Arm kann ihn deßhalb ungehindert, als einen Majestäts-Lästerer und Pasquillanten köpfen, oder rädern, oder ewig einsperren lassen.“

Unterdessen stand ich in später Dämmerung auf meinem Posten. Seger befand sich auf seinem Zimmer. Ich sah bey dem brennende Lichte, wie er unruhig hin und her lief, bald durch das Fenster schaute, bald sich an den Schreibtisch setzte, bald in den Büchern kramte. Doch war er ausgekleidet, und ich bemerkte nichts, was einer Vorbereitung zur Flucht ähnlich gesehen hätte. Während ich beobachtete, kam aus dem Hause, an dessen Ecke ich stand, ein Dienstmädchen hervor, und setzte sich in die kühle Abendluft auf den Stein. Ich kannte das Mädchen. Sie war ein hübsches, freundliches Ding, und, wie es schien, nicht ohne guten Willen. Es fiel mir ein, daß die Wohnung unsers Philosophen auch eine Hinterthüre haben konnte, und so schickte ich [246] meine beyden Häscher in die hintere Straße, und ich setzte mich zu dem schönen Kinde auf dem Stein. Da hatte ich meinen Mann noch immer im Gesichte, meine Gegenwart erregte weniger Verdacht, und wer wird auch die ganze Nacht in so langweiliger Einsamkeit stehen wollen, wenn er eine so liebe Gesellschaft haben kann?

Es behagte mir sehr wohl, an der Seite des Mägdchens. Sie war nicht wenig geschwätzig und zutraulich, und wir kamen uns mit jedem Augenblicke näher. Seger hatte das Licht ausgelöscht, es war an keine Flucht zu gedenken. Ich drückte meiner Holden die Hand; sie mir wieder. Ich gab ihr einen Kuß; sie mir wieder. Das böse Fleisch fieng an rege zu werden. Und weil ich, wie meine Leser wissen – ein armer Sünder bin, wie sie auch, und weil der Teufel ein Schelm ist, schlich ich mit dem lieben Mägdchen ins Haus, und ließ meine beyden Häscher vor der Hinterthüre Schildwache stehen, bis der Morgen graute.

Kaum hatte ich wieder Besitz von meinem Posten genommen, als einer von den Bedienten [247] des Kollegiums, außer Athem, herbey gelaufen kam, und mir einen großen Zettel darreichte. „Da lies, sprach er, ihr seyd mir schöne Wächter! diesen Zettel fand ich an die Pforte geheftet, als ich sie öffnete.” Ich las, und siehe! es stand geschrieben:

Gute Nacht, ihr Herren! Mich fangt ihr nicht.
Seger.

Ich zitterte an allen Gliedern. Doch man muß entschlossen seyn. Auf einen bösen Markt, gehört ein guter Muth. Ich schickte den Bedienten zurück, schlich noch einmal zu meinem Mädchen, und unterrichtete sie über ihr Betragen, falls die Sache ernsthafte Folgen für mich haben sollte. Ungesäumt begab ich mich zu dem frommen Simpert, und brachte ihm das nichts weniger als tröstliche bon jour: der Pasquillant sey zum Teufel gegangen!

Der alte wüthete. Eiligst versammelte sich die Deputation. Man schickte Steckbriefe nach allen vier Winden aus. Man durchsucht die verdächtigen Häuser. Alle Obskuranten giengen [248] auf die Lauer. Alles war vergeblich. Excessit evasit, erupit! Da habt ihr die saubern Folgen eures unzeitigen Moderantismus! sprach bitter Beda der Kapuziner.

Nun kam die Reihe an die Wächter. Wir lebten und starben darauf, daß wir unsere Schuldigkeit gethan haben. Da die geistlichen Herren alle meine Klugheit, meine Wachsamkeit und meinen Eifer kannten, so drangen sie desto ungestümmer in die beyden Holzhacker. Den armen Männern gieng der Angstschweiß aus. Sie dauerten mich. Ich übernahm ihre Apologie. Ich behauptete, es sey bey der Flucht unsers Mannes nicht mit rechten Dingen zugegangen. Er sey einmal nicht zur Vorderthüre heraus, und eine Hinterthüre habe das Haus nicht, wie ich bey genauerer Erkundigung erfahren. Die Aufklärer seyen mit allen bösen Wassern gewaschen. Hier habe der Teufel sein Spiel. Ich sey demselben schon auf der Spuhr. Man soll das Dienstmädchen des gegen über wohnenden Beckens hören, und man werde der Sache näher auf den Grund sehen.

[249] Das Mägdchen ward gerufen. Sie hatte meinen Unterricht treulich bewahrt. „Sie habe, zeugte sie, Nachts mit dem Schlage 12 Uhr Segern auf einer Ofengabel, unter Donner und Blitzen, durch den Kammin des Hauses hinaus fahren sehen, und sie sey bereit, ihre Aussage zu beschwöhren.“ Damit war ich gerechtfertigt, und in den nachher in der Zeitung eingerückten Rubriken wurde der Pasquillant auch noch als ein angeschuldigter Zauberer gebrandmarkt.

In der That verhielt es sich aber freylich ganz anders. Während ich leichtsinniger Kauz das Spiel der Liebe trieb, verließ der Schelm seine Wohnung, heftete den besagten Zettel an die Pforte des Kollegiums, und schlupfte dann in ein leeres Faß, das neben mehreren andern auf einem reisefertigen Wagen lag. Als er über den Gränzen war, kam der Strahlenbergische Diogenes aus seiner Wohnung hervor, und dankte dem Fuhrmann für seine Mühe, der bis diesen Augenblick nicht gewußt hatte, daß sein Wagen mit einem geweihten Haupte beladen war.

[250]
Achtzehntes Kapitel.
Finis coronat opus.

Den Verdruß mit dem entwischten Vogel abgerechnet, stand Simpert um diese Zeit in der kühnsten und mächtigsten Größe da, die er je erreicht hatte. Das gesegnete Obskurations-Werk konnte nun als geschlossen betrachtet werden. Die Irrlehrer waren verbannt. Ihren Nachbetern war der Kappzaum in den Mund gelegt; das Unwesen der Preß- Lehr- und Denkfreyheit war abgestellt, die Ehre der Kirche und der Pristerschaft war vindicirt, und in Ansehung der Lukas-Zettel, der Amulete, der Skapulire, der Rosenkränze, der Mirakelbilder, der Heiligenleiber, der Wallfahrten und der Kapuzinerkünste alles auf den strikten Status quo gesetzt. So viel hatte Simpert in so kurzer Zeit vermocht. Dafür aber gab ihm der Bischof selbst den Titel eines restauratoris veritatis catholicae, das glaubige Volk neigte sich dreymal, wenn man seinen Namen nannte, und der päbstliche Nuncius machte ihm Hoffnung zur Kanonisation.

[251] Mit alle dem war aber doch die Aufklärung noch nicht völlig ausgerottet. Denn wo diese Pest einmal eingerissen hat, schleicht sie im Finstern fort, so lange wenigstens die angesteckte Generation existirt. Sie ist einer Zauberinn ähnlich, die die Kunst versteht, sich unsichtbar zu machen. Sobald sie einmal zu diesem Mittel schreitet, so sind Kanonen, Bajonete und Scheiterhaufen vergebliche Waffen. Man kann nichts weiter thun, als daß man die Thüren fleißig vor ihr verriegelt, und die Finsterniß so kräftig nährt, daß sie ihr immer überlegen bleibt. Zu diesem Ende wurde die Inquisisitions-Deputation für permanent erklärt, und alle ihre Spione blieben in ihrem Solde. Ihre neue Instruction lautete ausdrücklich dahin, daß sie darüber wachen soll, daß die noch übrigen letztern Spuhren der Freygeisterey nach und nach gänzlich vertilgt, und das Land vollkommen gesäubert werde. Sie erhielt große Vollmachten. Sie durfte Haus-Visitationen, Einkerkerungen und Landesverweisungen erkennen, ohne daß man von ihr apelliren konnte. Dieß machte die Vorwitzigen scheu, und die Pseudo-Zeloten zahm. [252] Das Volk hatte während des Reformations-Werks viel gemurrt, und die Parthie seiner unwürdigen Priester genommen. Doch geschah dieß nur in einigen Orten. Man stopfte auch den Widersprechern das Maul derbe genug, daß die andern schwiegen. Die Mehrheit sah aber überall der Widerherstellung seines alten Glaubens mit Beyfall zu. Derselbe ist auch dem gemeinen Mann weit zuträglicher, als der neue. Die Aufklärer knüpfen das Heil an die Tugend, und diese erfordert Aufopferung und Kämpfe. Wir hingegen knüpfen es an den blosen Glauben, an Ablaß, Messen, Opfer und Büßungen; - und alle diese Dinge sind wenigstens viel leichter, als die Tugend.

In den Dorfschulen wurde die Normal-Methode wieder abgestellt. Die Schulmeister erhielten den Befehl, die Kinder blos den Rosenkranz, den Glauben und die zehn Gebote zu lehren. Das Lesen und Schreiben sollten sie nur so beyläufig treiben. Denn diese Künste sind dem Bauern schädlich, und leiten ihm zum Raisonniren und zum Aufruhr. [253] Die höhern Klassen wurden aus Politik auf einmal eifrig katholisch. Beförderung, Ansehen, Hofgunst, Auszeichnungen, Privilegien – das alles war gegenwärtig nur durch Steinbock und Simpert erreichbar, und die Aufgeklärten waren nicht so dumm, daß sie diese Dinge hätten verschmähen, und ein lächerliches Phantom von eingebildeter Weisheit dafür nehmen sollen.

Der Fürst war ganz in den Händen der besagten beyden Herren. Sie wechselten in dem Besitze der Unterschrifts-Maschine von Woche zu Woche miteinander ab. Denn ob sich wohl Steinbock das weltliche Departement in seinem ganzen Umfange vorbehalten hatte, so theilte sich doch Simpert mit ihm in die Beförderungs- und Gnadensachen. Das Fräulein gieng ihnen nicht in ihr Gehege. Sie begnügte sich mit dem Genusse eines lustigen Lebens, ließ dem Fürsten von Heyduken und Grenadieren eine beträchtliche Quantität Hörner aufsetzen, und sammelte sich per fas et nefas große Reichthümer. Die Fürstinn, die durch ihre Kundschafter von der ganzen Haushaltung unterrichtet war, betrachtete [254] Strahlenberg als ein Land des Fluchs, und lebte mit einer Appange zu Wien. Damit waren wir die Hähne im Korbe.

Die Deputation beschloß, daß die Verbannung der Aufklärer und das so glücklich errichtete Ende der Obskuranten durch ein großes Fest gefeyert werden sollte. Man machte die glänzendsten Anstalten, dem Landvolke, das an diesem Tage in die Stadt kam, und allen denen, die an demselben beichteten, ward ein Ablas auf 180,000 Tage zugesichert. Der Zulauf war außerordentlich. Die Erbauung war allgemein, und nie erschien ein Reformator in einem größern Triumphe, als der bescheidene Simpert an diesem Tage.

Hundert Kanonenschüsse von den Wällen der Stadt verkündigten dem Lande den Anbruch desselben. Das Volk versammelte sich in dem Hofe des Jesuiter Kollegiums. In einer feyerlichen Procession gieng der Zug, angeführt von dem berittenen Corps der Bürgermilitz, unter türkischer Musik, in die Stifts-Kirche. Der Hof, die Dikasterien, die Geistlichkeit, alle Korperationen und Zünfte begleiteten, festlich [255] geputz, die Prozession. Gebethe, Musik und die Salven der bewaffneten Mannschaft wechselten miteinander ab. Auf dem Marktplatze ward Stillstand[40] gemacht. Man brachte eine brennende Fackel, das Sympol der Aufklärung, herbey. Simpert tratt in die Mitte, und stieß sie auf die Erde, bis sie verlöschte. In diesem Augenblicke begannen die Chöre der studierenden Jugend, akkompagnirt von blasenden Instrumenten, den Triumphgesang:

Viktoria! Viktoria!
Die Finsterniß ist angebrochen.
Die dichte Mitternacht ist da,
Und sind sie ritterlich gerochen,
Die Kirche und die Klerisey,
Viktoria! Juchhey! Juchhey!

Nun ist sie fort, die Schlangenbrut,
Herr Lucius und seine Brüder.

[256]

Die Kirche sieget, und voll Muth,
Erhebt der Priestergeist sich wieder.
Voll Glanzes steht er wieder da
Der Dummheit Thron. Viktoria!

Weg, weg mit der Philosophey
Der Kante und der Voltaire!
Wir pflanzen nun, mit Lustgeschrey,
Und unter Jubel die Panniere
Der Dummheit auf. Viktoria!
Die alte Nacht ist wieder da.

Viktoria! das neue Licht
Ist ausgelöscht. O in dem Schatten
Da ruht sich’s sanft. Da brennet nicht
Die Sonne der Illuminaten.
Und herrlich blüht die Tyranney
Der Fürsten und der Klerisey.

[257]

Volk bleibe dumm, und hüte dich
Fein unsern Zaum nie abzulegen.
Er trägt sich leicht. Wir leiten dich
Gelind, wie Eseltreiber pflegen.
Da ist dir wohl. Die Nacht ist da.
Volk bleibe dumm! Viktoria!


Als sich die Menge in dem Tempel versammelt hatte, so bestieg Simpert die Kanzel, und hielt eine geist- und kraftvolle Predigt, über das wichtige Thema, daß die Dummheit besser sey, als der Verstand. Alles war Ohr. Alles fühlte sich gerührt und überzeugt. Ich bedauerte nur, daß die in den Tagen des heiligen Chrysostomus herrschende Mode, den Kanzelrednern eben so, wie den Schauspielern Beyfall zuzuklatschen, unter uns abgekommen war. Diese Predigt selbst aber ist in der Geschichte der Strahlenbergischen Verfinsterung eine so wichtige[41] Urkunde, und überhaupt ein so anziehendes und gründliches Stück [258] Arbeit, daß ich auf den Dank meiner Leser rechnen zu dürfen glaube, wenn ich sie ihnen als Anhang zu diesem Buche in extenso vorlege. Nach der Predigt wurde ein prächtiges Hochamt gehalten, und auf den 10 Neben-Altären des Tempels lasen eben so viele Priester Messe.

Nun gieng der Zug auf ein weites Feld vor der Stadt. Hier waren die sämmtlichen ketzerischen Bücher, die man in dem Lese-Kabinette und in den Privat-Bibliotheken vorgefunden hatte, an der Zahl bey 30,000 Bände, mit untermischten brennbaren Materialien, auf einander geschlichtet, und eine Menge Stroh und dürren Reises um dieselben her gelegt. Das Militär schloß einen Krais. Simpert tratt, mit noch sechs andern Priestern, brennende Wachskerzen in der Hand, hervor. Ein reitender Herold rief:

Die Strafe[42], die den Ketzern gebührt, werde an ihren Werken vollzogen!

Die Priester zündeten den Haufen an. Die Flamme schlug empor. Die Kanonen auf den [259] Wällen krachten. Die Musik erhub sich in einen wilden Dusch. Drommel und Pfeifen wirbelten darein. Die Bücher verbrannten samt und sonders zu Asche.

Nachdem man sich bey dem Diner von den Arbeiten und Zerstreuungen des Vormittags erholt hatte, so ward auf dem Theater des Kollegiums, vor dem ganzen Hofe und einer unermeßlichen Menge Zuschauer, von der studierenden Jugend ein sehr schönes Schauspiel aufgeführt, welches der geschickte Pater Zeitungsschreiber verfaßt hatte. Es war betitelt: Die Philosophen in den Klauen des Teufels. Die berüchtigsten Aufklärer unserer Zeit Weishaupt, Mutschelle, Reus, Hübner, Sailer, Ruef, Milbiller, Westenrieder etc. erschienen in Person. Der Gang des Stücks war sehr künstlich und unterhaltend. Die besagten Herrn schlossen einen Bund mit dem Teufel. Sie versprachen ihm, die Welt durch ärgerliche Lehren und Bücher zu verwirren, die Religion, den Pabst und die Kirche heimlich und öffentlich anzutasten, und Orden, Sekten und Empörungen zu stiften, [260] wenn er ihnen dafür Ehre, Ruhm, Reichthümer und schöne Mägdchen verschaffen würde. Der Kontrakt kam zu Stande. Se. höllische Majestät behielten sich aber bevor, die sämtlichen Kontrahenten, nach einem gewissen Zeitverfluß, in ihr Reich abzuholen. Nachdem sie ihr Wesen lange auf der Erde getrieben hatten, so kam der Terminus pacti endlich herbey. Nun erscheinen sie in corpore auf dem Theater, winselnd und jammernd über ihre Blindheit, sich die Haare ausraufend, sich selbst und ihr Werk verfluchend. Lord Satan kommt mit sieben andern Teufeln herein. Die zitternden Philosophen werden ergriffen. Lange treiben zu ihrer Lust, die Herren mit Hörnern und Bocksfüßen, allen nur möglichen Spektakels mit ihnen. Sie reissen ihnen die Peruken ab, und schlagen sie ihnen ums Maul. Sie umwickeln sie mit ihren Schwänzen, und ziehen sie auf dem Boden umher. Sie packen sie mit ihren Mistgabeln, und lassen sie zappeln. Sie blaßen ihnen pesthaft-stinkenden Rauch in die Nase. Sie besprützen sie mit ihrem Urin. Sie werfen sie auf ein ausgebreitetes Tuch, fassen dasselbe an den Zipfeln, und schleudern [261] sie hoch in die Luft. Endlich öffnet sich ein scheußlicher Feuer- und Schwefelpfuhl, und die Teufel fahren jauchzend mit ihrer Beute zur Hölle.

Als das Schauspiel geendigt war, zerstreute sich das Volk in die Wirthshäuser der Stadt. An dem Hofe ward ein Sauper von 100 Gedecken gegeben. Ueberall erklang Freudengesang und Saitenspiel. An allen Tafeln hörte man die Toasts: Es lebe der Pater Simpert! Es lebe die Dummheit! Der Teufel hole die Philosophie!

[262]
Anhang.
Predigt

an dem Obskurations-Feste in der Stiftskirche zu Strahlenberg gehalten, von P. Simpert, Soc. Jesu.


Textus.
Numer. XXII. 25.

Cumque videns asina angelum Domini comprimenet se ad alteram maceriem, compressit pedem Billiami ad maceriem. Quare denuo percussit eam.


Zu Teutsch.

Und als die Eselinn den Engel des Herrn sah, drängte sie sich in die andere Wand, und klemmte Bileams Fuß an die Wand. Da fieng er wieder an, sie zu peitschen.

[263]
Liebe, christ-katholische Seelen!

In unsern eben vorgelesenen Textesworten erregen insbesondere zwey Personen unsere Aufmerksamkeit, nämlich Bileam und sein Esel, der erstere war ein Philosoph, der sich, wie die Geschichte lehret, mit geheimen Künsten abgab, und das Fach der Magie und der Segensprecherey so gut verstand, als unser selige Pater Gaßner oder als Cagliostro. Der andere aber war ein unvernünftiges Thier, und zwar gerade aus derjenigen Klasse, die wir unter allen andern für die dummste halten. Denn wenn wir einen recht simpelhaften, einfältigen, unwissenden Kerl, einen Kerl, der nicht seine zehn Finger zusammen zählen kann, bezeichnen wollen, wie nennen wir ihn – ihr Fuhrleute, ihr Müllerpursche, ihr Packknechte, ihr Post-Officianten, ihr befederbuschte Herren, wie nennet ihr ihn? – Ihr nennt ihn einen Esel.

Und doch entsteht in causa substrata die Frage: welcher von beyden scharfsichtiger, vollkommener [264] und achtenswerther gewesen sey, der Philosoph oder der Esel? Und es ist kein Zweifel, daß die Gerechtigkeit, nolens volens, für den letztern entscheiden muß. Der Engel Gottes stand auf dem Wege. Der Philosoph war verblindet. Er sah ihn nicht. Aber das langohrigte Thier sah ihn, und stand ehrfurchtsvoll stille. Bileam peischte und spornte aus allen Kräften darauf los, und bot allen Reiterskünsten auf, in deren Besitz je ein Philosoph gewesen seyn mochte, um den Esel vorwärts zu treiben. Aber dieser protestierte. Er drängte sich an die Wand, und klemmte dem arabischen Don Quixotte den Waden ein, daß die Spindeln krachten. Erst als das Thier seinen Mund aufgethan, und ihm mit ein Paar Syllogismen die Erscheinung im Wege demonstrirt hatte, – erst da giengen dem alten Schulfuchsen die Augen auf.

Diese Geschichte lehrt uns, was es um die Philosophie und um den Verstand überhaupt für eine elende, verderbliche und brodlose Sache ist, und daß man mit der Unwissenheit und Dummheit viel weiter siehet und viel weiter reicht, [265] als mit dem höchsten Maaße von Wissenschaft und Kultur, Bileam war, traun! kein Mann von gemeinem Schlage. Nennt mir einen Philosophen unserer Zeit, der eben so wie er für ein Orakel gilt, und an den die Fürsten des Landes ihre ersten Minister und Kammerherren abordnen, um sie über wichtige Staat- und Kriegsangelegenheiten zu konsuliren? Diese Ehre erfuhr aber unserm Manne; und wir sehen aus der Gesandschaft, die der Moabiter König Balak an ihn abordnete, und aus den Verbindungen, in welchen er mit dem Geisterreiche stand, daß er Politik, Jus naturae und Völkerrecht so gut als Burke und Rehberg, und Magie und Arithmetik der Natur so gut, als Eccartshausen studiert habe. Und doch ward er den Engel Gottes nicht gewahr, der ihm im Wege stand, aber der Esel bemerkte ihn, der in seinem Leben kein Philosophisches Compendium gelesen hatte, und von den Hieroglyphen der morgenländischen Zauberer so viel verstand, als der schlechteste Dorffidler vom Kontrapunkt.

[266] Hieraus ergiebt[43] sich klar und ungesucht der große und ewig wahre Grundsatz, den ich euch, meine katholische Christen! an dem heutigen frohen Jubelfeste an das Herz legen, und felsenfest beweisen werde, der Grundsatz nämlich:


Das die Dummheit besser sey, als der Verstand.

Damit aber diese Betrachtung zu unserer allerseitigen Auferbauung gereichen möge, wollen wir zuvor 6 Pater Noster und eben so viele Ave Maria bethen etc. etc.


Liebe Christen!

Als ich mich mit noch einigen andern frommen geistlichen und weltlichen Herren des Strahlenbergischen Landes vereinigte, um den Unrath der Philosophen und der Aufklärer aus dem Schaafstalle unserer Kirche hinauszumisten, da sprachen manche unter euch, oder vielmehr [267] mehr der böse Geist sprach es durch euch: das sey nicht löblich und wohl gethan. Denn fuhret ihr fort, die Männer, von denen jene in den Nasen aller katholischen Seelen so gräßlich stinkenden Exkremente herkamen, seyen nicht nur selbst sehr hochgelehrte und verständige Leute gewesen, sondern sie haben auch durch ihre Predigten und Schuleinrichtungen viel Licht ins Land gebracht, und das dumme Volk verständiger gemacht. Das haben sie – ich läugne es nicht. Aber haben sie damit etwas Gutes gethan? Das, meine Freunde! ist eine andere Frage. Ich habe schon aus Bileams Exempel probirt, daß die Dummheit besser sey, als der Verstand, und ich werde euch dieses primum principium aller wahren Priesterweisheit noch näher demonstriren, und so klar machen, daß ihr es mit Händen greifen sollt. Ich fordere im Voraus schon einen jeden unter euch auf, daß er mir bey dem weitern Verfolge meiner Demonstrationen, ohne Anstand opponire, und ich setze meine priesterliche Würde zum Pfande, daß der Apponent, vor dieser ganzen christlichen Versammlung mit Schimpf und Schande bestehen wird, und daß ich daß letzte Wort behalten werde.

[268] Ich bin, liebe Christen! ein alter grauer Mann, und habe in der Welt schon viel gesehen und erfahren. Deßhalb dürft ihr meinen Worten wie einem Evangelium glauben, wenn ich die vergangene Zeit mit der gegenwärtigen, und den ehemaligen Flor der Kirche und des Landes mit ihrem itzigen jämmerlichen Zustande vergleiche. Als ich jung war, und die Gesellschaft Jesu, der ich angehörte, in ihrer ganzen, herrlichen Größe blühte, da wußte man noch nichts von der Aufklärung. Da hielt sich der Priester an den Glauben der Kirche, und der gemeine.Mann an das Wort seines Priester. Der erstere zerbrach sich den Kopf nicht mit vielem Studieren, und das Brevier und der Pater Kochem machte seine ganze Bibliothek aus. Der letztere aber lernte nur selten lesen und schreiben, und wenn er das Ave Maria und das Credo beten konnte, so hatte sein ganzer cursus scholasticus ein Ende. O was war das für eine goldene Zeit! Die Tempel und Wallfahrten wimmelten von Menschen. Die Opferstöcke[44] wurden täglich voll. Es fehlte an Geistlichen, um alle bestellten Messen zu lesen, Die Wunderbilder wirkten häufige Mirakel. [269] Man wußte von keinen Revolutionen und Empörungen. Alle teutschen Länder wurden von den Beichtvätern regiert. Brod, Wein, Fleisch und Fische waren wohlfeil. Die Priester sahen nirgends die Ehre und den Einfluß streitig gemacht, die ihnen als Dienern Gottes gebühren. Aber seitdem die Aufklärung überhand genommen hat, ist nichts als Elend in der Welt. Nicht nur Gelehrte und Professoren, sondern auch Höckerweiber und Schuhflicker sprechen von der Philosophie. Die frisirten Herren reformiren und deformiren in ihrem Eigendünkel alles, was ihre frevelnde Hand erreicht. Handwerker und Bauern lesen, schreiben, rechnen und studieren, wie die Gelehrten. Der alte Brauch und die alte Sitte besteht nirgends mehr. Das Ey will überall klüger seyn, als die Henne. Ja man greift sogar der göttlichen Vorsehung in ihr Amt. Man impft den Kindern die Blattern ein, und setzt Gewitterableiter auf die Häuser. Was kommt aber damit heraus? Sehet ihr die Strafen Gottes nicht, die so gewaltig herein brechen. Die Theurung in den siebziger Jahren, die Abschaffung des Jesuiterordens, das Erdbeben in Kalabrien, der Tod der Kaiserinn Theresia, die Wasserfluth von 1784, [270] die französische Revolution, der itzige schreckliche Krieg, die drückenden Auflagen, die Viehseuche und das grassierende Faulfieber – das sind alles Folgen der leidigen Aufklärung. Ohne sie hätten wir keine Durchmärsche und keine Extra-Steuern, und – meine Damen! – wir kauften das Pfund Kaffee noch um 24 Kreuzer.

Freylich klingt das Wort Aufklärung sehr schön in den Ohren der Menschen, und bey dem Vorwitz und der Wißbegierde, die uns allen, seit Evens Apfelbiß natürlich ist, werden wir leicht dazu verleitet, vor dieser verführerischen Göttinn anzubeten. Auch ist der Hoffartsteufel mit seinem Blasebalge immer hinter umher, und macht uns Wunderdinge von der Majestät eines aufgeklärten Mannes weis. Da halten wir denn die Aufklärung für ein schönes reines Wachslicht, das alle Winkel erhellt, alle Nebel der Unwissenheit zerstreut, und über alle Parthieen unserer Laufbahn Tag verbreitet. Aber nehmen wir dieses Licht wirklich zur Hand, um mit demselben unsern Pfad zu wandeln, so werden wir bald gewahr, daß es eine elende [271] Strohfackel ist, die erst durch übermäßige Helle unser Auge blindet, uns auf die Irrwege des Unglaubens und der Ketzerey ableitet, und alle in uns liegende Grundsätze von Glaube und Religion zu Moder und Asche verbrennt. O was sind wir dann für erbärmliche Menschen? Dann haben wir keinen Gott und keine Hoffnung der Unsterblichkeit, wie den Kantianer. Tugend und Laster werden uns gleichgültige Dinge, wie den Bahrdtianern. Die Schätze der Kirche sind uns Tand und Wahn, wie den Weishauptianern; und am Ende werden wir des Teufels Beute, wie alle Aner, von den Valentinianern und Arianern an, bis auf die Lutheranern herunter.

Fürchtet nicht, liebe Seelen! daß ich die Gefahr übertreibe, und laßt euch durch die falschen Propheten, die Satanas in die Welt ausgesandt hat, nicht irre machen. Glaubet ihnen nicht, wenn sie euch einbilden wollen, daß wir ächt-katholische Priester das Licht aus Eigennutz hassen, eben so wie die Gastwirthe in den Wallfahrtsorten, die Kreuzlein- und Rosenkränzmacher, weil unser Gewerbe durch die [272] Ausbreitung desselben Schaden leidet. Zwar ist es allerdings an dem, wer für das Evangelium lebt, söll sich auch von dem Evangelium nähren, und diese Nahrung wird in dem Maaße kärglicher, indem der Verstand über die Dummheit triumphirt. Denn der Verstand, zumahl der Weltverstand unserer Zeit, bringt keine Opfer, läßt keine Messen lesen, macht keine frommen Stiftungen, und eröthet nicht, die Güter der Kirche öffentlich zu bestehlen. Man kann es deßhalb der Klerisey nicht übel nehmen, wenn sie ihm, als ihrem Erbfeinde, kräftiglich entgegen manoeuvriren, und die Dummheit in ihrem Wesen und wohl hergebrachten Besitzstande zu erhalten sucht. Denn Leibesnahrung und Nothdurft ist doch das erste, was wir nöthig haben, um zu leben und Gutes zu thun; und wenn der Kaufmann spekuliert, und der Professionist seine Handwerksvortheile exerciert, wer will den einen oder den andern darüber verdammen. – Doch zeitlicher Gewinn und Verlust sind für uns nur Nebensache, wie unsere Freunde und Feind wohl wissen. Wir sprechen, und schreyen, und protestiren und handeln gegen die Herrschaft der [273] Vernunft und gegen die Volksaufklärung, um die armen Seelen vom Untergang zu retten, und diese löbliche und christliche Absicht ist auch unser Hauptmotiv. Wenn aber dabey unser Ansehen, unsere Besoldungen, die Meßstipendien und das kameralische Interesse der Kirche unsern Eifer verstärken, was thun wir da weiter, als was die ganze Welt thut? – Wir sind die dreschenden Ochsen. Verflucht sey der, der ihnen das Maul verbindet!

Schon im Paradiese haben unsere ersten Aeltern inne geworden, was es um die Aufklärung für ein grundböses Ding ist, und wir fühlen noch alle, bis auf diese Stunde, die traurigen Folgen jener Erfahrung. Der arbor cognitionis boni et mali war der Baum der Aufklärung, und von diesem, sprach Gott, sollt ihr nicht essen. Denn der Mensch war in Unschuld erschaffen, und dieser Stand der Unschuld konnte nicht statt finden, ohne ein besonders, extra hohes Maas von Dummheit. Aber das lüsterne Weib übertratt Gottes Befehl, und weil die Weiber der Männer Herzen leiten, wie die Wasserbäche, sie machte sich aber desselben Verbrechens schuldig. Die Uebertretter wurden auf der Stelle sehr verständig [274] und aufgeklärt; denn Moyses sagt, ihre Augen seyen aufgethan worden, und die Frucht des Baums habe sie klug gemacht. Aber was war die Folge davon? Sünde und Tod. So kam demnach durch die Verführung des Teufels die Aufklärung in die Welt, und durch die Aufklärung die Sünde, und durch die Sünde aller Jammer und Noth, um deren Abwendung wir in der Litaney bitten. – Da seht ihr hochweisen und hocherleuchteten Herren, ihr teutsche Bileams! was euer Licht für einen saubern Ursprung hat. Der Teufel zündete es an dem höllischen Feuer an, und brachte es in die Welt, und alle die, die dasselbe in ihre Laternen stecken, werden einst wieder zum Teufel fahren. Ach! daß der alten Schlange ihr loser Streich nicht gelungen wäre! Die Menschen wären dann zwar beträchtlich dummer; aber es gäbe auch keine Ketzer, keine Illuminaten, keine Propagandisten, und keine Lutheraner, und in voller Unschuld liefen Manns- und Frauenspersonen nackend unter einander umher.

Die Ketzereyen sind das eigentliche Grundverderben der Welt. Die kleinste Abweichung von dem Faden der allein seligmachenden Religion ist ein weit größeres Bubenstück als Ehebruch, [275] Hurerey, Diebstahl und Mord. Denn es läßt sich kein Frevel denken, den die Kirche, welche so überschwenglich reich an Ablaß ist, nicht versöhnen könnte. Aber für die Ketzerey ist keine Versöhnung, und das Fegfeuer ist nicht heiß genug, um denjenigen zu reinigen, der sich mit ihr befleckt hat. Alle Ketzereyen sind aus der Aufklärung, oder was das nämliche ist, aus dem Vernunftgebrauch entsprungen. Sie ist die Mutter des Arianismus und des Tritheismus, des Pelagianismus und des Jansenismus, der Atheisterey und des Lutherthums. So lange der Mensch recht dummkatholisch bleibt, fällt er in keine Irrthümer dieser Art. Denn da sein Verstand über nichts nachdenkt, so bleibt er ewig steif und fest an dem, was er gelehrt worden ist. Er gleicht einem Bären, der an der Kette liegt. Seine Stärke und seine Grausamkeit können sich nicht entwickeln. Aber läßt man den Bären des Verstandes los, dann fängt er an, zu meditiren und zu kritisiren, und zerfleischt und zerreißt die heiligen Lehren der Religion eben so, wie die Bären in den Tagen Elisä die muthwilligen Buben zu Bethel. Da kommen denn trostlose ärgerliche und verführerische [276] Meynungen zum Vorschein, und die ärgerliche, thörigte Menschenvernunft erhebt sich über Gottes Wort, und meistert die Aussprüche der Kirche, des Pabstes und der heiligen Väter.

Ich wende mich an euch, ihr Fleischhacker, ihr Hufschmiede, ihr Sackträger, ihr Becker, ihr Bierbrauer, ihr Taglöhner, und an dich, du glaubige Heerde, aus dem ländlichen Schafstalle, – wie glücklich waret ihr bisher in eurer Dummheit? Ihr glichet dem Ochsen, der unter seinem Joche und bey der vollgefüllten Krippe ein recht behagliches Leben führt. Indem ihr unter Arbeit, Essen, Trinken, Begatten und Schlafen eure Zeit eintheilt, gehen eure Tage harmlos und stille dahin, und nur selten trübet ein herber Gram den Horizont eurer Herzen. Dünken euch auch manchmal die Lasten zu schwer, die euch eure christliche Obrigkeit auflegt, oder die Opfer zu groß, die ihr zur Erhaltung der Kirche reichen müßt, so tröstet ihr euch mit dem ewigen Lohne, den euch eure Priester dafür verheißen, und nie fällt es euch ein, an der Erfüllung dieser Verheißung zu zweifeln. Ihr nehmet alles an, was euch wiederfährt, als ob es so seyn müßte, und nie macht euch die Besorgniß bange, daß etwas nicht recht wäre, was eure Vorgesetzten [277] verfügen. So fließt der Strohm eures Lebens immer in einer Melodey dahin, und nie erhebt sich eine Welle, die die auf demselben hin und hersteurende Schiffe umwerfen könnte.

Wie unglücklich sind eure lesenden, räsonirenden und kritisirenden Nachbarn. Ihre Seelen sind ein stürmisches Meer, das beständig von den Orkanen der Zweifel und Spekulationen[45] bewegt wird. Mit ihrem Zustande unzufrieden[46], wollen sie sich immer in die Höhe schwingen[47], und sie kommen doch nie weiter, als der Baron von Lütgendorf, mit seinem Luftballon. Da es ihnen nicht gelingt, die Sonne nach dem Uhrwerke zu richten, das sie in ihrem Kopfe herum tragen, so murren sie unaufhörlich über ihren Gang. Sehen sie einen Reichen oder Vornehmen ohne Verdienst, so schreyen sie über die ungerechte Austheilung der Glücksgüter. Erscheint der Dorfrichter mit der Ankündigung einer Extra-Steuer, so brüllen sie von Raub und Plünderung. Kommt ein neuer Frohndienst, oder eine neue Auflage, so klagen sie über Despoten-Hudeley und Antastung der Menschenrechte. Und tritt der Priester auf, um sie darüber zu beruhigen, so sprechen sie in ihrem Herzen ohne Scheu: alle [278] Religion sey Lari Fari. Was wird dann am Ende aus solchen Menschen? Sie führen ein elendes kümmerliches Leben, fechten mit dem Schatten, quälen sich und andere durch ihre Träumereyen, empören sich gegen die geistliche und weltliche Obrigkeit, kommen als Rebellen dem Henker unter die Hände, und fahren hin in den Pfuhl, wo Heulen und Zähnklappern seyn wird. Darum, liebe Christen! fliehet das trügerische Licht der Aufklärung. Traget eure Lasten mit Geduld. Hütet euch, eure Vernunft zu gebrauchen. Bedenket, daß ihr um eurer Obrigkeit und um eurer Priester willen in der Welt seyd. Bleibet dumm, liebe Christen! Um Gottes willen bleibet dumm!

Wie sehr ihr dadurch für das Wohl eurer Seelen sorgt, das mag euch eure eigene Erfahrung lehren. Erinnert euch an alle die guten katholischen Christen, denen ihr ein besonders hohes Maaß von Glauben, Frömmigkeit und Heiligkeit zuschreibt. Kennet ihr unter ihnen einen einzigen Aufgeklärten? Habt ihr je ein Journal oder einen Almanach in ihren Händen gesehen? Habt ihr sie je politisch kannegießern oder philosophisch raisonniren gehört? Gewiß. Es sind lauter Leute, die sich wenig oder gar nicht mit den Studien beschäftigt haben, die [279] nichts lesen, als den Katechismus und das Gebethbuch, die alle Worte des predigenden Priesters als göttliche Aussprüche betrachten, die sich gar nichts um weltliche Dinge bekümmern, und jeden Zweifel, jedes Aufwallen der bösen Naturvernunft als eine Todsünde fürchten. Das war auch der Sinn aller derjenigen, denen die Kirche die Ehre der Kanonisation eingeräumt hat, und vor deren Bildern sich nun unsere Knie beugen. Aber die Ketzer in allen Zeiten, die Empörer, die Königsmörder, die Kirchenräuber die Nonnenschänder – waren lauter Illuminaten. Mit der Aufklärung ist überall kein Heil verbunden. Aber die Finsterniß ist die Quelle des Lichtes, das in dem ewigen Leben scheint, und der Weg, der zu diesem Leben führet, ist dunkel, wie die unterirrdischen Gänge, in den Bergwerken.

Möchtet ihr, meine Christen! alle auf diesem Wege wandeln. Auf, verlöscht den Irrwisch, der euch in die Sümpfe des Unglaubens und der Verzweiflung führt. Legt die Vernunft in Ketten. Verbrennet die weltlichen Bücher, die sogar nichts taugen. Plaget eure Kinder nicht mit dem vielen Lernen. Sehet eure Priester als diejenigen an, die die Vorsehung aufgestellt hat, daß sie an eurer Stelle denken [280] und studieren. Setzt euer größtes Verdienst darein, daß ihr der Aufklärung nachspührt, und ihr Werk zerstöhrt. Glaube, blinder, stockblinder Glaube an das, was die Kirche und in ihrem Namen jeder Priester lehrt, und Gehorsam, blinder Gehorsam, gegen alles, was die weltliche Obrigkeit von euch fordert – das seyen eure schönsten Tugenden. Wenn ihr dann neben denselben schon manchmal von den fleischlichen Lüsten übereilt werdet, so darf euch das nicht ängsten. Die Kirche wird jene Tugenden so hoch anrechnen, daß euch um derselben willen, eure übrigen Fehltritte keinen Augenblick von den Himmelsfreuden entziehen sollen, denen ihr, auf dem Wege der Dummheit, so sicher entgegen schreitet.

Auf diesem Wege wandelt euer gnädigster Fürst, unser geliebter Landesvater, samt seinem Ministerio und der gesamten Geistlichkeit vor euch voraus. Wir haben das große Werk vollendet, die Strahlenbergischen Bileams verscheucht, das von ihnen aufgesteckte Licht ausgelöscht, und alles wieder auf den alten Fuß hergestellt. Dafür sey Gott gepriesen, und die allerseligste Jungfrau, die uns Kraft dazu verliehen hat. Bleibt nun der Kirche und dem Priesterstand treu. Seyd Hunde in der Treue, Schafe in der Geduld, Hähne in der Wachsamkeit, [281] Esel in der Dummheit. Glaube und Gehorsam seyen euere Haupt- Grund- und Stammtugenden. Je blinder dann euer Glaube, und je stiller euer Gehorsam ist, desto reichlicher wird euch die Kirche mit Ablaß, und der Himmel mit Seligkeit überschütten.

So möge denn der Dummheit Schein
Sich immer reichlicher in Strahlenberg verbreiten,
Philosophie und Ketzerey’n
Samt ihrer Wurzel auszureuten.
Dann bleiben Revolutionen von uns fern,
Und wir, wir Priester, bleiben Herrn. Amen!

[282]
Druckfehler.
Seite 14. Zeile 1. lies statt Religigion Religion.
– 16. – 16. lies statt Versife, Versifex.
– 22. – 25. lies Idol statt Ideal.
– 26. – 22. lies statt kommen, kamen.
– 47. – 21. lies statt Ideal, Idol.
– 62. – 23. lies statt erwusch, erwuchs.
– 71. – 5. l. st. Indiquation, Indignation.
– 81. – 6. lies statt vivne, vivre.
– 100. ließ statt Pilgrinnen, Pilgrimmen.
– 156. Zeile 11. lies statt Bahardt, Bahrdt.
– 199. – 11. l. st. Molf, Wolf.
– 220. – 7. l. st. Fenelaus, Fenelons.
– 222. – 24. l. st. Epörungs Empörungsgeist.
– 258. – 19. l. st. Strase, Strafe.
– 268. – 23. l. st. Oferstöcke, Opferstöcke.

Die übrigen unbedeutende Druckfehler beliebe der geneigte Leser selbst zu verbessern.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Religigion
  2. Vorlage: Versife
  3. Vorlage: Ideal
  4. Vorlage: kommen
  5. Vorlage: Flügelu
  6. Vorlage: Kapipiteln
  7. Vorlage: letzrere
  8. Vorlage: Ideal
  9. Vorlage: lhr
  10. Vorlage: erwusch
  11. Vorlage: Indiquation
  12. Vorlage: Anwort
  13. Vorlage: vivne
  14. Vorlage: Bauernkels
  15. Vorlage: Beichstuhle
  16. Vorlage: schleuderte
  17. Vorlage: seiue
  18. Vorlage: Wahrscheinlichlichkeit
  19. Vorlage: wenu
  20. Vorlage: Epörungen
  21. Vorlage: Pilgrinnen
  22. Vorlage: Halekinaden
  23. Vorlage: Idale
  24. Vorlage: ehrwürwürdigen
  25. Vorlage: Parhey
  26. Vorlage: Parhey
  27. Vorlage: Sicksal
  28. Vorlage: Bahardt
  29. Vorlage: punis
  30. Vorlage: gegehen
  31. Vorlage: Gnadengehals
  32. Vorlage: ans
  33. Vorlage: Knaille
  34. Vorlage:Klosterbliotheken
  35. Vorlage: Fenelaus
  36. Vorlage: polltische
  37. Vorlage: Epörungsgeist
  38. Vorlage: theologischon
  39. Vorlage: zn
  40. Vorlage: Sillstand
  41. Vorlage: wichte
  42. Vorlage: Strase
  43. Vorlage: ergiebt giebt
  44. Vorlage: Oferstöcke
  45. Vorlage: Spekulatiofnen
  46. Vorlage: unzusrieden
  47. Vorlage: chwingen