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Titel: Leben Adams und Evas
Untertitel:
aus: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel S. 668–681, S. 1311–1312
Herausgeber: Paul Rießler
Auflage:
Entstehungsdatum: 1. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Dr. B. Filser
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Erscheinungsort: Augsburg
Übersetzer: Paul Rießler
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
Kurzbeschreibung:
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[668]
38. Leben Adams und Evas


Es beginnt das Leben Adams und Evas.

1
Nachdem sie aus dem Paradies vertrieben waren,

erbauten sie sich eine Hütte,
und sie verbrachten sieben Tage trauernd,
in großer Trübsal klagend.
Und sie bekamen Hunger nach den sieben Tagen
und suchten Speise, sie zu essen, fanden aber keine.

2
Und Eva sprach zu Adam:

Mein Herr, mich hungert.
Geh, such doch etwas uns zum Essen!
Vielleicht sieht Gott, der Herr, uns gnädig an,
beruft uns voll Erbarmen wieder an den Ort,
woselbst wir früher waren.
Und Adam ging durch jenes ganze Land in sieben Tagen,
fand aber keine Speis, wie sie im Paradiese hatten.

3
Und Eva sprach zu Adam:

Mein Herr, willst du, so töte mich!
Vielleicht führt dich dann Gott, der Herr, ins Paradies zurück,
ist Gott, der Herr, doch meinethalben über dich in Zorn geraten.
Willst du denn nicht mich töten, daß ich sterbe?
Vielleicht führt dich dann Gott, der Herr, ins Paradies;
du wurdest doch von dort nur meinetwegen ausgetrieben.
Und Adam sprach:
Red nicht so, Eva,
auf daß nicht Gott, der Herr, uns abermals verfluche!
Wie könnt ich meine Hand gegen mein eigen Fleisch erheben?
Wir wollen vielmehr uns erheben
und für uns etwas suchen,
wovon wir leben können,
daß wir nicht schwinden.

4
So gingen sie und suchten gar neun Tage lang;

doch fanden sie nichts der Art,
wie sie im Paradies gehabt,
nur einzig Nahrung für die Tiere.
Und Adam sprach zu Eva:
Das gab der Herr den Tieren und dem Vieh zur Speise;
wir aber hatten Engelsspeise.
Doch recht ist es und billig,

[669]

daß wir vorm Angesichte Gottes, unsres Schöpfers, trauern.
So laßt uns große Buße tun!
Vielleicht vergibt uns Gott, der Herr,
erbarmt sich unser
und weist uns etwas an, wovon wir leben können.

5
Und Eva sprach zu Adam:

Sag mir, mein Herr!
Was ist denn Buße?
Wie soll ich Buße tun?
Daß wir doch keine Anstrengung uns auferlegen,
die wir nicht tragen können,
und daß der Herr dann unsere Bitten nicht erhört,
vielmehr sein Antlitz von uns wendet,
dieweil wir das Versprechen nicht erfüllt!
Mein Herr, wieviel an Buße willst du leisten?
Hab ich dir Mühe doch und Not bereitet!

6
Und Adam sprach zu Eva:

Du kannst nicht so viel tun wie ich.
Doch tu so viel, als sich mit deiner Gesundheit verträgt!
Ich selbst will vierzig Tage fasten.
Du aber mach dich auf und geh zum Tigris!
Nimm einen Stein und stell dich drauf ins Wasser,
bis an den Hals da, wo der Fluß am tiefsten ist!
Und keine Rede geh aus deinem Mund hervor!
Wir sind unwert, den Herrn zu bitten;
vom unerlaubten und verbotenen Baum
sind unsere Lippen unrein.
Und bleib im Wasser 37 Tage stehen!
Ich aber bleibe in des Jordans Wasser 40 Tage.
Vielleicht erbarmt sich unser alsdann Gott, der Herr.

7
Und Eva ging zum Tigris

und tat, wie Adam ihr gesagt.
Auch Adam ging zum Jordan
und stellte sich auf einen Stein bis an den Hals ins Wasser

8
Und Adam sprach:

„Ich sag dir, Jordanwasser:
Betrübe dich mit mir!
Versammle um mich alles schwimmende Getier in dir,
auf daß sie mich umgeben und mit mir so trauern!
Nicht sollen sie sich schlagen, sondern mich!
Sie taten keine Sünde, sondern ich.“
Da kamen alsbald alle Tiere und umringten ihn;
das Wasser in dem Jordan blieb von Stund an stehen
und floß nicht weiter.

9
Und so vergingen achtzehn Tage.

Da wurde Satan zornig
und wandelte sich in der Engel Lichtgestalt;
er kam zu Eva an den Tigris

[670]

und fand sie weinend.
Und auch der Teufel fing zu weinen an,
als wäre er zugleich mit ihr betrübt,
und sprach zu ihr:
Steig aus dem Fluß und wein nicht länger!
Laß ab von Klagen und von Trauern!
Warum bist du in Kümmernis
gleich Adam, deinem Mann?
Es hörte eure Klage Gott, der Herr,
nahm eure Buße an.
Wir Engel alle baten flehentlich den Herrn für euch;
er sandte mich, euch aus dem Fluß zu holen
und euch die Nahrung zu gewähren,
die ihr im Paradiese hattet,
um die ihr trauert.
Steig also aus dem Wasser!
Ich führe euch an einen Ort,
wo Nahrung euer wartet.

10
Und Eva glaubte, was sie hörte,

ging aus des Flusses Wasser;
doch zitterte ihr Körper von des Wassers Kälte gleichwie Gras.
Als sie herauskam, fiel sie auf den Boden;
der Teufel aber richtete sie auf
und führte sie zu Adam.
Als aber Adam sie erblickte samt dem Teufel,
da rief er weinend also aus:
Wo bleibt dein Bußwerk, Eva, Eva?
Wie konntest du dich abermals
von unserm Widersacher so verführen lassen?
Durch diesen ward uns ja das Paradies
und geistliche Freude genommen.

11
Als Eva dies vernahm,

erkannte sie, daß es der Teufel war,
der ihr geraten, aus dem Fluß zu steigen.
Da fiel sie auf ihr Angesicht zur Erde,
und es verdoppelte sich ihre Klage, ihre Trauer und ihr Schmerz.
So rief sie also:
Weh, Teufel, dir!
Warum bekämpfst du uns ganz ohne Grund?
Was hast du nur mit uns?
Was haben wir dir denn getan,
daß du so listig uns verfolgst?
Weswegen richtet deine Bosheit sich nur gegen uns?
Entzogen wir dir etwa deine Herrlichkeit
und nahmen deine Ehre?
Warum verfolgst du, Feind,
uns bis zum Tod in Haß und Neid?

12
Aufseufzend sprach der Teufel:
[671]

Ach, Adam, meine ganze Feindschaft,
mein Neid und Schmerz geht wider dich,
weil ich um deinetwillen ward vertrieben,
entfremdet meiner Herrlichkeit,
die bei den Engeln ich im Himmel hatte,
und weil ich deinetwegen auf die Erde ward hinabgestoßen.
Und Adam sprach:
Was tat ich dir?
Was ist denn meine Schuld an dir?

13
Warum verfolgst du uns?

Du bist von uns doch nicht geschädigt noch verletzt?
Der Teufel gab zur Antwort:
Was sagst du, Adam, da zu mir?
Um deinetwillen ward ich ja von dort verstoßen
und aus der Engel Schar verbannt.
Als Gott den Lebensodem in dich blies
und dein Gesicht und Gleichnis ward nach Gottes Bild geschaffen,
da führte Michael mich her,
und er gebot, dich zu verehren vor dem Angesichte Gottes.
Es sagte Gott, der Herr:
„Ich schuf nach meinem Bild und Gleichnis, Adam, dich fürwahr.“

14
Und Michael kam dann herauf

und rief den Engeln allen zu:
Verehret Gottes Ebenbild, wie Gott, der Herr, befiehlt!
Und Michael verehrte ihn zuerst.
Dann rief er mich und sprach:
Verehre Gottes Ebenbild!
Ich sprach: Ich brauch nicht Adam zu verehren.
Als Michael mich zum Verehren drängte, sagte ich zu ihm:
Weswegen drängst du mich?
Ich werde den doch nicht verehren,
der jünger und geringer ist als ich.
Ich wurde ja vor ihm geschaffen.
Eh er geschaffen ward, ward ich geschaffen.
Er sollte mich verehren.

15
Als dies die andern Engel, die mir unterstanden, hörten,

da wollten sie ihn nicht verehren.
Da sagte Michael: Verehre Gottes Ebenbild!
Tust du es aber nicht,
alsdann wird Gott, der Herr, in Zorn geraten deinetwegen.
Ich sprach:
Gerät er über mich in Zorn,
dann stell ich meinen Thron über des Himmels Sterne
und bin dem Höchsten gleich.

16
Und Gott, der Herr, ward über mich gar zornig,

und er verbannte mich von unserer Herrlichkeit,
samt meinen Engeln,
und also wurden wir aus unsern Wohnungen in diese Welt vertrieben

[672]

und auf die Erde hier verstoßen deinetwegen.
Und alsbald wurden wir betrübt,
weil wir so großer Herrlichkeit entkleidet waren.
Und dich in solcher Freud und Wonne sehen zu müssen,
betrübte uns.
Mit List umgarnte ich dein Weib
und brachte es dahin,
daß du aus deiner Freud und Wonne ihretwegen warst vertrieben,
wie ich aus meiner Herrlichkeit vertrieben ward.

17
Als Adam dies den Teufel sagen hörte,

da rief er unter lautem Weinen aus:
Ach Herr, mein Gott!
In deinen Händen liegt mein Leben.
Entferne diesen Feind von mir,
der meine Seele zu verderben sucht,
und gib mir seine Herrlichkeit, die er verloren hat!
Alsbald verschwand vor ihm der Teufel.
Und Adam hielt in seiner Buße aus;
er stand im Jordanwasser vierzig Tage lang.

18
Und Eva sprach zu Adam:

Mein Herr, bleib du am Leben!
Du darfst auch leben bleiben;
denn du begingest nicht die erste
und nicht die zweite Übertretung;
ich aber übertrat und ward verführt;
ich hielt ja nicht das göttliche Gebot.
Entfern mich jetzt vom Lichte dieses Lebens!
Gen Westen will ich gehen
und dort verweilen, bis ich sterbe.
So zog sie nach dem Westen und begann zu trauern
und unter lautem Seufzen bitterlich zu weinen.
Dort baute sie sich eine Wohnung,
weil sie mit einer Leibesfrucht von dreien Monden ging.

19
So kam die Zeit, wo sie gebären sollte;

da wurde sie von Schmerzen heimgesucht.
Und also rief sie zu dem Herrn:
Erbarm dich meiner, Herr,
und hilf mir!
Sie aber wurde nicht erhört,
und das Erbarmen Gottes ward ihr nicht zuteil.
Sie sprach bei sich:
Wer wird es Adam, meinem Herrn, verkünden?
Euch, Himmelsleuchten, bitte ich:
Kehrt ihr zum Osten hin,
dann sagt es Adam, meinem Herrn!

20
Zu jener Stunde aber sagte Adam:

Zu mir drang Evas Klage;
vielleicht hat abermals die Schlange gegen sie gekämpft.

[673]

Und als er hinging, fand er sie in tiefer Traurigkeit.
Und Eva sprach:
Als ich dich sah, ward meine schmerzbewegte Seele erquickt.
Jetzt bitte Gott, den Herrn, für mich,
daß er dich anhör und mich ansehe
und mich von meinen argen Schmerzen frei mache!
Und Adam bat den Herrn für Eva.

21
Da stellten sich zur Rechten und zur Linken Evas

zwölf Engel und zwei Kräfte.
Und Michael, der auf der Rechten stand,
berührte sie vom Antlitz bis zur Brust
und sprach zu Eva:
Gesegnet seist du, Eva, Adams wegen!
Weil seine Bitten und Gebete dringend sind,
ward ich zu dir gesandt,
daß unsere Hilfe du erfahrest.
Auf jetzt! Bereit dich zum Gebären vor!
Und da gebar sie einen Sohn, der lichtvoll war.
Und alsbald stand der Knabe auf,
lief weg
und brachte einen Halm in seiner Hand
und gab ihn seiner Mutter.

22
Und er erhielt den Namen Kain.

Und Adam nahm die Eva und den Knaben
und führte sie gen Osten.
Da sandte Gott, der Herr, durch Michael verschiedene Samen,
gab sie dem Adam
und zeigte ihm,
wie er die Erde bearbeiten
und anbauen soll,
damit sie Früchte hätten,
wovon sie samt den Nachkommen zu zehren hätten.
Dann wurde Eva guter Hoffnung
und sie gebar noch einen Sohn, mit Namen Abel.
Und Kain und Abel blieben beieinander.
Und Eva sprach zu Adam:
Mein Herr! Ich sah im Schlaf in Kains Hand
das Blut des Abel, unseres Sohnes,
und er verschlang es mit dem Mund;
deswegen bin ich sehr betrübt.

23
Und Adam sprach:

Weh, daß nicht etwa Kain den Abel totschlüge!
So wollen wir sie voneinander trennen
und jedem einen Aufenthalt für sich verschaffen.
So machten sie den Kain zum Ackerbauer,
zum Hirten Abel,
daß sie geschieden voneinander wären.
Doch Kain erschlug hernach den Abel.

[674]

Damals war Adam 130 Jahre alt
und Abel ward erschlagen, 122 Jahre alt.

24
Dann wohnte Adam seinem Weibe bei,

erzeugte einen Sohn und hieß ihn Seth.
Und Adam sprach zu Eva:
Ich zeugte einen Sohn an Abels Statt, den Kain erschlug,
Als Adam Seth erzeugte, lebte er noch 800 Jahre
und zeugte dreißig Söhne sowie dreißig Töchter, 63 insgesamt.
Und sie verbreiteten sich auf der Erde hin in ihren Völkern.

25
Und Adam sprach zu Seth:

Vernimm mein Sohn!
Ich will dir künden, was ich sah und hörte.
Nachdem wir aus dem Paradies vertrieben waren,
ich mitsamt deiner Mutter,
da kam zu mir, als wir beim Beten waren,
Erzengel Michael, von Gott gesandt.
Da sah ich gleich dem Winde einen Wagen,
und seine Räder waren feurig;
da wurde ich zum Paradiese der Gerechtigkeit entrückt.
Ich sah den Herrn da sitzen;
sein Anblick war ein unerträglich brennend Feuer
und viele tausend Engel rechts und links vom Wagen.

26
Als ich das sah,

ward ich bestürzt und Furcht kam über mich;
ich fiel vor Gott anbetend auf den Boden nieder.
Da sagte Gott zu mir:
Fürwahr, du wirst jetzt sterben.
Dem göttlichen Gebote hast du nicht gehorcht;
du hörtest mehr auf deines Weibes Stimme,
trotzdem ich deiner Hand sie überwies,
daß du dir sie zu Willen hieltest.
Jedoch auf sie hast du gehört
und meinen Worten nicht gehorcht.

27
Als ich die Gottesworte hörte,

fiel ich zu Boden
anbetend vor dem Herrn und sprach:
Mein Herr, allmächtiger, barmherziger,
getreuer, heiliger Gott!
Laß doch nicht untergehen, der deiner Majestät gedenkt!
Bekehre vielmehr meine Seele!
Ich muß ja sterben,
und meinen Mund verläßt der Odem wieder.
Verwirf mich nicht vor deinem Angesicht,
mich, den aus Erdenkot du bildetest!
Entzieh mir, den du großgezogen, deine Gnade nicht!
Ein Gotteswort kam über mich;
es sprach der Herr zu mir:
Weil du nach mir vernunftbegabt geschaffen bist,

[675]

soll es in Ewigkeit von deinem Stamme nicht genommen werden,
daß er mir dient.

28
Auf diese Worte hin warf ich mich auf die Erde

und betete zu Gott, dem Herrn:
Du bist der ewige Gott, der Höchste;
es bringen alle Kreaturen Preis und Lob dir dar.
Du bist das wahre Licht, das alle Leuchten überstrahlt,
bist das lebendig Leben,
die unbegreiflich große Kraft.
Die Geisterkräfte bringen Lob und Preis dir dar.
Du wirkst am menschlichen Geschlecht die Wunder deiner Milde.
Nachdem ich so zum Herrn gebetet,
nahm Gottes Erzengel, Michael mich alsbald bei der Hand,
und trieb mich aus dem Paradies zur Strafe,
nach göttlichem Befehl.
Dann rührte Michael mit einem Stab die Wasser,
die jenes Paradies umflossen,
und sie gefroren.

29
Ich ging hinüber, Michael mit mir:

er brachte wieder mich an jenen Ort,
von dem er mich entrückt.
Nun höre, Seth, mein Sohn, noch andre künftige Geheimnisse,
die man mir offenbarte,
mir, der ich dies erkannte und begriff,
was noch in dieser Zeit geschehen wird,
da ich vom Wissensbaum gegessen hatte!

30
Als Adam nun 930 Jahre alt geworden, sprach er,

dieweil er wußte, seine Tage gingen zu Ende:
All meine Söhne sollen sich bei mir versammeln,
daß ich sie segne und mit ihnen rede,
bevor ich sterbe!
Und sie versammelten vor ihm sich in drei Teilen an dem Bethaus,
allwo sie Gott, den Herren, anzubeten pflegten.
Sie fragten ihn:
Was ist dir, Vater, daß du uns versammelst?
Warum liegst du zu Bett?
Und Adam sprach:
Vor Schmerzen ist mir übel, meine Söhne.
Und alle seine Söhne fragten ihn:
Was ist das, Vater,
wenn’s einem übel wird vor Schmerzen?

31
Da sagte Seth, sein Sohn:

Vielleicht verlangt es, Herr, dich nach der Paradiesfrucht,
wovon du aßest,
und liegst du deshalb so betrübt allhier?
Sag’s mir!
Dann geh ich nahe zu des Paradieses Pforte hin
und streue Staub aufs Haupt

[676]

und werf mich vor den Paradiesespforten nieder
und brech in laute Wehklage aus
und flehe zu dem Herrn.
Vielleicht erhört er mich und sendet seinen Engel,
auf daß er von der Frucht mir bringt,
wonach du so verlangst.
Und Adam sprach: Ach nein, mein Sohn!
Danach verlangt’s mich nicht;
vielmehr empfinde ich an meinem Leib
gar großen Schmerz und große Schwäche.
Darauf frag Seth:
Herr Vater, was ist Schmerz?
Ich weiß es nicht.
Verhehl es uns doch nicht!
Ach, sag es uns!

32
Und Adam sprach:

So hört mich an, ihr, meine Söhne!
Als Gott uns, mich und eure Mutter, schuf,
versetzte er uns in das Paradies
und gab uns alle Fruchtbäume zum Essen;
nur das verbot er uns:
Vom Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen,
der mitten in dem Paradiese steht,
von diesem dürft ihr niemals essen!
Gott gab vom Paradies mir einen Teil,
den andern eurer Mutter.
Die Bäume in dem Osten und dem Norden gab er mir,
den Süden und den Westen gab er eurer Mutter,

33
Zwei Engel gab uns Gott, der Herr,

die uns bewachen sollten,
Da kam die Stunde, wo die Engel sich hinaufbegaben,
vor Gottes Antlitz anzutreten.
Da nützt der Teufel, unser Widerpart, der Stunde Gunst,
als jene Engel fort gewesen.
Und es verführt der Teufel eure Mutter,
daß sie vom unerlaubten und verbotenen Baume aß.
Als sie gegessen, gab sie mir davon.

34
Und Gott ward alsbald zornig über uns.

So sprach der Herr zu mir:
Weil du von meinem Gebote abgewichen
und nicht mein Wort, das ich dir so bekräftigte, gehalten,
so bring ich über deinen Körper siebzig Plagen
mit manchen Schmerzen.
Vom Kopf, den Augen und den Ohren an,
bis zu den Fußnägeln,
an allen Gliedern sollt ihr Qual verspüren.
All das hat Gott mir zugeschickt
und allen unseren Nachkommen.

[677]
35
Als Adam dieses allen seinen Söhnen sagte,

rief er, von großem Schmerz gepackt, laut aus:
Was soll ich, Unglücklicher, nur tun?
Als Eva seine Tränen sah,
begann auch sie zu weinen
und sprach:
Ach übertrage, Herr, mein Gott,
auf mich doch seinen Schmerz!
Ich war’s ja, die gesündigt hat.
Zu Adam aber sagte Eva:
Mein Herr!
Gib mir doch einen Teil von deinen Schmerzen!
Durch mich ja zogst du diese Schuld dir zu.

36
Und Adam sprach zu Eva:

Auf! Geh mit meinem Sohne Seth zum Paradies!
Streut Staub auf euer Haupt,
werft euch zur Erde nieder
und klagt im Angesichte Gottes!
Vielleicht erbarmt er sich alsdann
und sendet seinen Engel
zum Baume seiner Erbarmung,
woraus des Lebens Öl entquillt,
und gibt euch dann davon,
daß ihr mich salbet
und daß ich Ruhe vor den Schmerzen habe,
die mich verzehren.

37
Da gingen Seth und seine Mutter zu den Paradiesestoren.

Doch plötzlich kam ein Tier, die Schlange, auf dem Weg dahin,
und diese überfiel den Seth
und biß ihn.
Als Eva dieses sah,
da weinte sie und sprach:
Ach, weh mir Armen!
Ich bin verflucht;
ich hab des Herrn Gebote nicht gehalten.
Und Eva sprach mit lauter Stimme zu der Schlange:
Verfluchtes Tier!
Weswegen fürchtest du dich nicht,
auf Gottes Abbild dich zu werfen?
Wie wagtest du’s, dagegen anzukämpfen?
Warum erstarkten deine Zähne?

38
In Menschensprache gab das Tier zur Antwort:

Ach, Eva, richtet sich nicht unsere Bosheit gegen euch?
Und kehrt sich gegen euch nicht unsere Wut?
Sag, Eva, mir!
Warum hat sich dein Mund geöffnet
zum Essen von der Frucht,
die Gott, der Herr, zu essen dir verbot?

[678]

Und jetzt hältst du nicht stand,
wenn ich dich des beschuldige?

39
Da sprach zum Tiere Seth:

Dich schelte Gott der Herr!
Schweig und verstumm,
halt deinen Mund, verfluchter Feind der Wahrheit,
verderblicher Verwirrer!
Laß ab von Gottes Ebenbilde bis zum Tag,
wo Gott, der Herr, dich zur Verantwortung beizieht!
Da sprach das Tier zu Seth:
Ich lasse, wie du sagst, vom Ebenbilde Gottes ab.
Und alsbald ließ es ab von Seth,
dem es mit seinen Zähnen eine Wunde beigebracht.

40
Seth aber ging mit seiner Mutter in des Paradieses Nähe,

des Öles der Erbarmung wegen,
damit den kranken Adam einzusalben.
Als sie nun zu des Paradieses Toren kamen,
da nahmen sie vom Boden Staub
und streuten diesen auf ihr Haupt
und warfen sich zur Erde auf das Angesicht
und hoben laut zu klagen an
und Gott, den Herrn, zu bitten,
daß er sich gnädig gegen Adam in den Schmerzen zeige
und seinen Engel sende,
das Öl vom Baume seiner Erbarmung ihnen zu gewähren.

41
Als sie gar viele Stunden lang gebetet und gebeten hatten,

da kam zu ihnen Michael, der Erzengel, und sprach:
Ich bin zu euch vom Herrn gesandt.
Ich bin vom Herrn dem Menschenkörper vorgesetzt.
Dir, Seth, Mann Gottes, sage ich:
Wein doch nicht länger unter Beten
und unter Bitten um das Öl vom Baume der Erbarmung
zur Salbung deines Vaters Adam gegen seines Körpers Schmerzen!

42
Ich sage dir:

Du wirst auf keinen Fall davon erhalten,
es sei denn, in den letzten Zeiten, –
     dann, wann 5500 Jahre um sind.
     Auf Erden kommt dann der liebreiche König, Christus,
     Gottes Sohn und Adams Leib;
     er wird mit ihm der Toten Leiber auferwecken.
     Und Gottes Sohn wird, wenn er kommt, im Jordan selbst getauft;
     wenn er dann aus dem Jordan steigt,
     salbt er mit der Erbarmung Öle alle,
     die an ihn glauben.
     Von Ewigkeit zu Ewigkeit wird der Erbarmung Öl zuteile denen,
     die aus dem Wasser und dem heiligen Geist
     ins ewige Leben wiederum geboren werden müssen.
     Alsdann fährt Christus, der liebreiche Gottessohn, hinab auf Erden

[679]

     und führt deinen Vater Adam in das Paradies
     zum Baume der Erbarmung. –

43
Du, Seth, geh jetzt zu deinem Vater Adam!

Denn seine Lebenszeit ist voll.
Sechs Tage noch
und dann verläßt die Seele seinen Leib.
Wenn dies geschehen,
erblickst du große Wunder an dem Himmel
und an der Erde, an den Himmelsleuchten.
Nachdem er dies gesagt,
ging Michael sofort von Seth hinweg.
Da kehrten Seth und Eva um.
Sie brachten Wohlgerüche mit:
Safran, Kalmus, Zimt und Narde.

44
So kam zu Adam Seth und seine Mutter

und sie erzählten ihm,
ein Tier, die Schlange, habe Seth gebissen.
Und Adam sprach zu Eva:
Was hast du nur getan?
Du brachtest große Plage über uns,
Vergehen und Sünde über unser ganz Geschlecht.
Was du getan,
bericht nach meinem Tode meinen Söhnen!
Denn, die von uns erstehen,
sie werden von der Arbeit nicht befriedigt;
sie werden vielmehr matt
und sagen, uns verfluchend:
All Übel haben unsere Eltern über uns gebracht,
sie, die von Anbeginne waren.
Als Eva dies vernahm,
hob sie zu weinen und zu seufzen an.

45
So, wie es Michael, der Erzengel, vorausgesagt,

kam sechs Tag später Adams Tod.
Als Adam merkte, seine Todesstunde nahe,
sprach er zu allen seinen Söhnen:
Ich bin 930 Jahre alt.
Wenn ich gestorben bin,
begrabt mich gegen Osten in der Nähe jener Wohnung!
Und es geschah,
daß er nach diesen Reden seinen Geist aufgab.

46
Und Sonne, Mond und Sterne

verfinsterten sich sieben Tage lang.
Und Seth hielt seines Vaters Leib,
von oben her umschlungen, unter Klagen,
und Eva mit den Händen überm Kopfe schaute auf den Boden,
und ihre Söhne all vergossen bittere Tränen.
Darauf erschien der Engel Michael
und stellte sich zu Häupten Adams

[680]

und sprach zu Seth:
Erhebe dich von deines Vaters Leichnam!
Komm her zu mir
und sieh, was Gott, der Herr, hat über ihn verordnet!
Er ist ja sein Gebilde;
deshalb erbarmte er sich seiner.

47
Da bliesen alle Engel die Trompeten

und sprachen:
Gepriesen seist du, Herr,
weil du dich deiner Kreatur erbarmtest!
Da schaute Seth,
wie Gott den Adam in den ausgestreckten Händen hielt
und Michael ihn übergab und sprach:
In deiner Hand sei er
bis zum Gerichtstage,
in Strafe bis zur letzten Zeit,
wo ich sein Leid in Freude wandle!
Dann soll er sitzen auf dem Throne dessen,
der ihn zu Fall gebracht!

48
Und nochmals sprach der Herr zu Michael und Uriel, den Engeln:

Bringt mir drei Byssuslinnen her
und breitet diese über Adam aus
und andere Linnen über Abel, seinen Sohn!
Begrabt mit seinem Sohn den Adam!
Da zogen alle Engelkräfte vor dem Adam her.
So ward der Toten Ruhestatt geweiht.
Die Engel Michael und Uriel begruben Adam
sowie den Abel im Bereich des Paradieses.
Dies sah nur Seth und seine Mutter, niemand sonst.
Da sprachen Michael und Uriel:
Wie ihr’s gesehen, so bestattet eure Toten!

49
Sechs Tage nach dem Tode Adams merkte Eva,

sie müsse sterben,
und sie versammelte all ihre Söhne samt den Töchtern,
den Seth mit seinen dreißig Brüdern und den dreißig Schwestern
und sprach zu allen:
Ihr Kinder, hört mich an!
Ich will euch künden:
Als ich und euer Vater Gottes Gebot mißachtet,
sprach Michael, der Erzengel, zu uns:
Es bringt noch unser Herr
um eurer Sünden willen über eure Nachkommen sein Zorngericht,
zuerst mit Wasser, dann zum zweiten Mal mit Feuer.
Mit diesen beiden richtet Gott das ganze menschliche Geschlecht.

50
Doch hört mich an, ihr Kinder!

Macht Tafeln euch von Stein und andere aus Lehm
und schreibt darauf mein ganzes Leben und das eures Vaters,
wie ihr’s von uns gesehen und gehört!

[681]

Wenn Er nun unsere Nachkommen mit Wasser richtet,
so schwinden zwar die Lehmtafeln;
dagegen bleiben die von Stein.
Und wenn Er unsere Nachkommen mit Feuer richtet,
dann schwinden die von Stein;
dagegen werden die von Lehm gebrannt.
Als Eva alles dieses ihren Kindern ausgerichtet,
da breitet sie die Hände zum Gebet gen Himmel aus
und beugt die Kniee zur Erde
und gibt den Geist auf,
den Herrn anbetend und ihm dankend.
Darauf begraben sie all ihre Söhne unter lautem Weinen.

51
Als sie vier Tag getrauert hatten,

kam Michael, der Erzengel, zu ihnen.
und sprach zu Seth: Mann Gottes!
Nicht länger als sechs Tage sollest du um deine Toten trauern!
Die Ruhe an dem siebten Tag ist’s Zeichen für die Auferstehung
im künftigen Zeitalter;
am siebten Tage ruhte auch der Herr von allen seinen Werken.
Und Seth verfertigte hierauf die Tafeln.


Erläuterungen

[1311]
38. Zum Leben Adams und Evas

Diese Schrift liegt in lateinischer Sprache vor. Sie geht auf eine griechische Vorlage zurück und diese auf ein ursprünglich hebräisch geschriebenes Werk jüdischen Ursprungs. Später wurde es christlich überarbeitet. Das Buch beginnt mit der Zeit unmittelbar nach der Vertreibung aus dem Paradies. Es berichtet von Adams und Evas Buße, ihrer Täuschung durch Satan, der Geburt ihrer drei Söhne. Daran schließt sich ein Bericht Adams über seine Himmelreise. Hierauf folgt die Erzählung der Todeskrankheit Adams, verbunden mit einem Bericht über den Sündenfall, dann die der erfolglosen Reise Evas und Seths zum Paradiese, um Lebensöl für Adam zu holen. Den Schluß macht der Bericht über der Stammeltern Tod und Begräbnis. (E. Kautzsch. Pseudep. z. A. T. II 1900, 506 ff, R. H. Charles, Apokrypha and Pseudep. I 1913, 23 ff.)

  • 4 „Engelsspeise“ s. Ps 78, 25. 6 „Jordan“ vielleicht christliche Änderung statt urspr. Sichon, einer der Paradiesesflüsse. 15 s. Is 14, 12–15. 19 Die Nichterhörung Evas ist jüdischen Ursprungs. 21 „Lichtvoll“ = Kain, vielleicht so genannt wegen der haggadischen Anschauung, wonach Kain ein Sohn Luzifers „des Lichtträgers“ war. „Halm“ hebr. kaneh, daher der Name Kain. 23 Nach Jub 4, 3 war Abel 22 Jahre alt. 24 Nach Jub 4, 10 waren es neun. 25 Das himmlische Paradies wie in Henoch 32, 3. 28 Ein See rings um das Paradies (Apok 4, 6 Test. Levi 3, 2). 29 Am Schluß ein christlicher Einschub in [1312] verschiedenen Handschriften. 32 Diese Trennung hat essenische Färbung. 42 Christl. Einschub aus dem Evangelium des Nikodemus XIX. 48 Nach der Schatzhöhle in Jerusalem, nach andern in Hebron. 51 Der Sabbat ein Zeichen der Auferstehung, echt jüdisch, anders Hebr 4, 9.