Landgericht München I - Zeitungszeugen (Beschlagnahme)

Entscheidungstext
Gericht: Landgericht
Ort: München I
Art der Entscheidung: Beschluss
Datum: 17. April 2009
Aktenzeichen: 2 Qs 10/09, 2 Qs 11/09, 2 Qs 12/09, 2 Qs 13/09, 2 Qs 16/09, 2 Qs 17/09, 2 Qs 20/09
Zitiername:
Verfahrensgang: vorgehend Amtsgericht München (23. Januar 2009, ER I Gs 558/09)
Erstbeteiligte(r): Staatsanwaltschaft München I
Gegner: Peter McGee (= Beschuldigter = Beschwerdeführer)
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle:
Quelle: AfP 2009, Heft 3, S. 279-282
Weitere Fundstellen: technolex-anwaelte.de
Inhalt/Leitsatz: Zur Beschlagnahme der Nachdrucke von NS-Zeitungen
Zitierte Dokumente: BGHSt 25, 30; BGHSt 29, 73
Anmerkungen: Zur zivilrechtlichen Seite des Falles siehe auch das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts München (1. Oktober 2009, 29 U 2462/09)
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Beschluss des Landgerichts München I vom 17. April 2009

Aktenzeichen 2 Qs 10/09, 2 Qs 11/09, 2 Qs 12/09, 2 Qs 13/09, 2 Qs 16/09, 2 Qs 17/09, 2 Qs 20/09 (nicht rechtskräftig)

Leitsatz

Zur Aufhebung bei Beschlagnahme von Nachdrucken von NS-Zeitungen, die Ausgaben einer Reihe „Zeitungszeugen“ beigefügt waren

Gründe

[1] . . . 2. Die zulässigen Beschwerden erweisen sich in der Sache als begründet. Ein Anfangsverdacht für das Vorliegen strafbaren Verhaltens ist aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen bislang nicht gegeben.

[2] a) Verstöße gegen das Urheberrecht liegen bislang nicht vor.

[3] aa) Zutreffend führt das LG München I in seinem Endurteil vom 25.03.2009 (21 O 1425/09 = AfP 2009 S. 179) aus, dass dem Freistaat Bayern keine Urheberrechte an dem „Völkischen Beobachter“ vom 01.03.1933 zustehen. Nach dem damals geltenden Urheberrecht konnten weder Adolf Hitler noch der Eher-Verlag Urheber des Sammelwerks werden (§ 4 Satz 1 des seit 1901 geltenden Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst - LUG). Soweit der Eher-Verlag und dann als Rechtsnachfolger der Freistaat Bayern gem. § 4 Satz 2 LUG ein fiktives Urheberrecht hatten, ist dieses jedenfalls für die verfahrensgegenständliche Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ vom 01.03.1933 nach längstens 70 Jahren ab dem Erscheinen abgelaufen, § 34 LUG (§ 69 UrhG).

[4] Es fehlen derzeit Hinweise darauf, inwiefern der Freistaat Bayern Nutzungsrechte an einzelnen Artikeln (durch entsprechende Verträge mit den Autoren) erhalten haben könnte (solche wären dann spätestens 70 Jahre nach dem Erscheinen bei namentlich nicht genannten Autoren und 70 Jahre nach dem Tod bei namentlich genannten Autoren erloschen). Derzeit fehlen auch tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Nutzungsrechte namentlich genannter Autoren auf den Freistaat Bayern übertragen wurden. Insofern ist auch nicht ersichtlich, inwiefern der Freistaat Bayern Rechtsnachfolger von Joseph Goebbels und Inhaber von dessen Urheberrechten geworden sein könnte, wie die Staatsanwaltschaft München I in ihrer Stellungnahme vom 24.03.2009 nicht verifizierbar behauptet, oder ob dieser das Nutzungsrecht an dem Artikel „Das Fanal!“ auf den Freistaat Bayern übertragen hat. Im Übrigen wird ergänzend auf die Ausführungen im Endurteil vom 25.03.2009 verwiesen, die sich die Kammer in Bezug auf Urheberrechte des Freistaats Bayern zu eigen macht.

[5] bb) Es gibt derzeit keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass andere Personen in ihrem Urheberrecht verletzt sein könnten; Strafanträge wurden nicht gestellt. Großteils sind die Artikel ohne Benennung des Autors abgedruckt, sodass ein Urheberrecht spätestens 70 Jahre nach dem Erscheinen erloschen ist.

[6] Soweit allerdings Autoren angegeben sind, bleibt derzeit unklar, inwiefern sie selbst das ausschließliche Nutzungsrecht behalten haben (das dann 70 Jahre nach dem jeweiligen Tod erlöschen würde oder bereits erloschen ist) oder aber aufgrund zivilrechtlichen Vertrags das Nutzungsrecht auf den Verlag, dessen Rechtsnachfolger der Freistaat Bayern wäre, übertragen haben. Dies gilt namentlich für den Artikel von Joseph Goebbels „Das Fanal!“ auf den S. 1 und 2 des „Völkischen Beobachters“. Unklar ist insofern, wer das Urheberrecht an diesem Artikel nach dem Tod von Joseph Goebbels 1945 erlangt hat und ob diese natürliche oder juristische Person möglicherweise ihr Einverständnis mit der Veröffentlichung durch den Beschuldigten erteilt hat. Inwiefern sich derartige Umstände im laufenden Ermittlungsverfahren noch aufklären lassen, bleibt aufgrund der Zerstörungen von wichtigen Urkunden im Krieg ungewiss. Dieser Umstand darf jedoch nicht zulasten des Beschuldigten gehen.

[7] Selbst wenn aber in Bezug auf einzelne Artikel eine Verletzung des Urheberrechts vorliegen würde (insbesondere der Urheberrechte an dem Artikel „Das Fanal!“), so kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Beschlagnahme der gesamten Zeitung eine besondere Bedeutung zu: Die Beschlagnahme des gesamten Zeitungsnachdrucks jedenfalls hätte unterbleiben müssen. Möglicherweise hätte insofern nur der ausscheidbare Artikel beschlagnahmt werden dürfen (§ 111m Abs. 2 StPO).

[8] Auf die Zitierfreiheit dagegen kann sich der Beschuldigte auch in Bezug auf einzelne Artikel nicht berufen: Der Abdruck des vollständigen Artikels von Joseph Goebbels ist nicht in einen Kontext gesetzt, um noch von einem Zitieren sprechen zu können. Vielmehr fehlt eine ausreichende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Artikel als solchem. In dem Umschlagbogen ist lediglich auf der letzten Seite die Geschichte des „Völkischen Beobachters“ erläutert. Zu der konkret nachgedruckten Ausgabe erschöpfen sich die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in den oben unter 1.d) zitierten Äußerungen; zu dem Artikel von Joseph Goebbels ist nur ein Satz enthalten.

[9] b) Es besteht kein Verdacht, dass Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Hakenkreuze) in strafbewehrter Form verwendet oder verbreitet wurden. Der Beschuldigte kann sich insofern jedenfalls auf die Sozialadäquanzklausel von § 86 Abs. 3 StGB berufen.

[10] aa) Von der Strafbarkeit gem. §§ 86, 86a StGB ausgenommen sind ausgehend vom Schutzzweck dieser Normen (die inhaltliche Werbung für die Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen zu verhindern) die Verwendung oder Verbreitung, wenn das Kennzeichen zum Zweck der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken verwendet oder verbreitet wurde.

[11] Das LG Koblenz führt in einer Beschwerdeentscheidung Folgendes aus (2 Qs 87/08):

[12] „§ 86a Abs. 1 StGB ist jedoch seinem Schutzzweck nach auf solche Handlungen zu begrenzen, welche nach den Umständen des Einzelfalles geeignet sind, bei objektiven Beobachtern den Eindruck einer Identifikation des Handelnden mit den Zielen der verbotenen Organisationen zu erwecken. Denn die Vorschrift soll nach ihrem Sinn und Zweck eine Wiederbelebung von verbotenen Organisationen oder der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen abwehren und den politischen Frieden dadurch wahren, daß jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden wird, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen geduldet würden (BGH, Urteil vom 18.10.1972 - 3 StR 1/71, BGHSt 25 S. 30 [32 f.]; Beschluss vom 10.12.1982 - 2 StR 601/82, NStZ 1983 S. 261 [262]).

[13] Diesem Gesichtspunkt wird bereits in der Norm selbst Ausdruck dadurch verliehen, als nach §§ 86a Abs. 3, 86 Abs. 3 StGB die öffentliche Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dann erlaubt ist, wenn sie der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst, Wissenschaft, Forschung, Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens, der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient, wobei die zuletzt genannten ähnlichen Zwecke in ihrem Gewicht den ausdrücklich genannten gleichkommen sollen (Laufhütte/Kuschel, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. Berlin 2006, Band IV, § 86 Rdn. 39). Eine weiter gehende Auffassung bejaht den Anwendungsbereich dieser sog. Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB hingegen bereits schon dann, wenn es überhaupt um Verhaltensweisen geht, die sich im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit bewegen (Steinmetz, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, 2005, Bd. 2/2, § 86 Rdn. 40).

[14] Über die in § 86 Abs. 3 StGB ausdrücklich genannten Fälle hinaus ist in der höchstrichterlichen Rspr. jedoch anerkannt, dass eine öffentliche Verwendung von verbotenen Kennzeichen aber auch dann nicht strafbar sein soll, wenn sie erkennbar dem genannten Schutzzweck der Norm nicht zuwiderläuft (BGH, Urteil vom 18.10.1972 - 3 StR 1/71, BGHSt 25 S. 30 [32 f.]). Übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen sollen danach nicht strafbar sein (BGH, Urteil vom 10.02.1970 - 3 StR 2/69, BGHSt 23 S. 226 [228]; Urteil vom 25.07.1979 - 3 StR 182/79, BGHSt 29 S. 73 [84]). Dies ist in der Rspr. bislang hauptsächlich in Fällen angenommen worden, in denen die Vewendung nationalsozialistischer Kennzeichen, namentlich Hakenkreuzen, offenkundig gerade zum Zweck einer Kritik der verbotenen Organisation eingesetzt wurde oder der Kontext der Verwendung ergab, daß eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens entsprechenden Richtung ausschied.

[15] Auch nach der in der Literatur herrschenden Auffassung ist es erforderlich, den als abstraktes Gefährdungsdelikt weit ausgestalteten Tatbestand des § 86a Abs. 1 StGB über den Anwendungsbereich der Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB hinaus zu begrenzen und jegliche sozial adäquate Verwendung verbotener Kennzeichen aus der Strafbarkeit herauszunehmen. Nach dieser Auffassung setzt § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB voraus, dass die Verwendung nach den konkreten Umständen als Bekenntnis des Täters zu den inhaltlichen Zielen der Organisation aufgefaßt werden kann (vgl. die Nachweise bei Fischer, a.a.O., Rdn. 18a).“

[16] bb) Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungen gilt im vorliegenden Fall:

[17] (1) Der Beschuldigte als Herausgeber der „Zeitungszeugen“ verfolgt nach den bisherigen Erkenntnissen mit der Publikation das Ziel staatsbürgerlicher Aufklärung, was sich aus der Auswahl der Kommentatoren und der Auswahl der sonstigen Beilagen, zu denen auch „Vorwärts“ gehört, ergibt. Er selbst ist nicht Angehöriger einer verbotenen Vereinigung. Einem interessierten Publikum werden Nachdrucke aus der damaligen Zeit angeboten, auf die man sonst allenfalls in Museen Zugriff hätte und die aufgrund des Nachdrucks auch Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen enthalten.

[18] (2) Der Beschuldigte berichtet auch in nicht strafbewehrter Form über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte. Der Beschuldigte tritt nicht als Sprachrohr der verbotenen Vereinigung auf und stellt sich auch nicht durch einseitige Auswahl von Beiträgen in den Dienst der verbotenen Vereinigung. Der Beschuldigte verfolgt mit seinem Projekt eine Dokumentation der „Presse in der Zeit des Nationalsozialismus“ und verbreitet zu diesem Zweck beispielsweise auch Nachdrucke der Zeitung „Vorwärts“. Dass das nachgedruckte Wahlplakat und der nachgedruckte „Völkische Beobachter“ Hakenkreuze und damit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen enthalten, ergibt sich aus dem Publikationskonzept: Der Beschuldigte will gerade auf diese Weise - durch die Zurverfügungstellung von Nachdrucken - ein authentisches Bild von der Vergangenheit geben und so die „Presse in der Zeit des Nationalsozialismus“ möglichst realistisch darstellen. Die Aufmachung des Umschlagbogens und die Autoren und Unterstützer des Projekts „Zeitungszeugen“ erwecken bei objektiven Beobachtern jedenfalls nicht den Eindruck, dass sich der Beschuldigte mit den Zielen der verbotenen Organisationen identifiziert.

[19] cc) Es mag zutreffen, dass das Projekt auch von der rechten Szene missbräuchlich über den verfolgten Zweck hinaus genutzt werden könnte und wird, um sich in den Besitz von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu bringen. Diese Gefahr, die sich bislang nicht nachweislich verwirklicht hat, berechtigt durchaus zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Projekt. Sie führt jedoch nicht dazu, dass ein solches Projekt strafbewehrt sein müsste. Den kritischen Stimmen ist zuzugeben, dass der realistischen Dokumentation der Presse aus der Zeit des Nationalsozialismus auch ein Durchstreichen des Hakenkreuzes zur deutlichen Distanzierung nicht abträglich gewesen wäre. Das Gesamtkonzept lässt jedoch erwarten, dass der durchschnittlich gebildete und geschichtlich interessierte Bürger sich in der gebotenen Distanz weiterbildet und die Zusammenhänge durch die Publikationen verstehen und es nicht zu einem Missbrauch der abgedruckten Hakenkreuze kommen wird. Die Intention des Beschuldigten jedenfalls ist nicht auf einen derartigen Missbrauch angelegt.

[20] c) Die Beschlagnahmen waren auch aus formellen Gründen aufzuheben, da nicht binnen zwei Monaten die öffentliche Klage erhoben oder die selbstständige Einziehung der Gegenstände beantragt worden ist; eine Verlängerung der Frist wurde nicht begehrt, § 111n Abs. 2 StPO.