Landgericht München I - Rudolf Steiner

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Titel: Landgericht München I - Rudolf Steiner
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Erscheinungsdatum: 2007
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Quelle: ZUM-RD 2007, S. 212-215 (E-Text)
Kurzbeschreibung: Entscheidung zum Schutz von Werken von Rudolf Steiner nach den §§ 70, 71 UrhG
Urteilsabdruck als PDF = Commons. Die Berufung wurde zurückgenommen OLG-Beschluss, das Urteil ist rechtskräftig
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[212] Verwertung von im Jahre 1924 von Rudolf Steiner gehaltenen Vorträgen

Urteil des Landgerichts München I vom 16. Dezember 2005 – 21 O 17324/05

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verwertungsrechte an den von Rudolf Steiner im Jahr 1924 gehaltenen Vorträgen mit dem Titel »Esoterische Unterweisungen für die erste Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum«.

Von den ersten neunzehn – hier streitgegenständlichen – Stunden, die Rudolf Steiner der ersten Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft gehalten hat, wurden [213] stenographische Mitschriften gefertigt, die anschließend in Langschrift übertragen wurden. Nach dem Tod Rudolf Steiners wurden die Texte durch sogenannte Lektoren an der »Freien Hochschule für Geisteswissenschaft« vorgelesen. Im Laufe der Jahre wurden die Vorträge auf diese Weise mehreren hundert bis tausend Zuhörern zu Gehör gebracht. Im Jahre 1949 wurden die Stenogramme erneut vollständig in Langschrift übertragen. Diese Textfassung wurde zwischen 1974 und 1977 noch einmal überprüft und 1977 in einem Manuskript zusammengefasst. Von diesem Manuskript wurden 500 Exemplare gedruckt. Teile der Klassenstunden wurden bereits 1965 in den sog. »Rosa Blättern« durch den R.-Verlag veröffentlicht.

Die Verfügungsklägerin geht davon aus, dass die streitgegenständlichen Texte des 1925 verstorbenen Rudolf Steiner seit 31.12.1975 gemeinfrei sind. Die Verfügungsbeklagte hat sich »diesen Vortrag zu eigen gemacht, ohne ihn zuzugestehen«.

In den Jahren 1987 und 1988 hat der niederländische C.-Verlag die Klassenstunden auf deutsch veröffentlicht.

Ende der 70er Jahre ließ die Verfügungsklägerin das Manuskript anhand von Stenogrammen und Klartextübertragungen von Frau K. in mehrjähriger Arbeit abgleichen und überarbeiten. Die so entstandene Fassung der streitgegenständlichen Texte fand Eingang in die Gesamtausgabe der Verfügungsklägerin (Bände I und II), die im Jahre 1992 veröffentlicht wurde. Die digitalisierte Gesamtausgabe wurde im Jahre 2004 auf einer externen Festplatte (HDD) veröffentlicht.

Der Verfügungsbeklagte hat die streitgegenständlichen Texte im Internet unter www.a…de und www.s.f…de zum kostenlosen Download angeboten.

Die Verfügungsklägerin hat den Verfügungsbeklagten mit Schriftsatz vom 12.8.2005 abgemahnt, nachdem ihr der Sachverhalt in der zweiten Augustwoche 2005 bekannt geworden war. Die geforderte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung wurde bis zum 1.9.2005 nicht abgegeben.

Auf Antrag der Verfügungsklägerin vom 1.9.2005 erließ die erkennende Kammer am 2.9.2005 eine einstweilige Verfügung, in der es dem Verfügungsbeklagten … verboten wurde, die Texte der 19 Klassenstunden, die Rudolf Steiner vom 15.2.1924 bis 2.8.1924 gehalten hat (sog. Klassentexte), öffentlich zugänglich zu machen, insbesondere durch das Angebot zum kostenlosen Herunterladen von den Internetadressen www.a…de und www.s.-f…de. Adressat der Verfügung war der A.-Verlag e.K., vertreten durch den Geschäftsführer S.

Der Verfügungsbeklagte ist der Verfügung mit Widerspruch vom 5.10.2005 entgegengetreten. Mit Schriftsatz vom 28.11.2005 hat er sich gegenüber der Verfügungsbeklagten strafbewehrt verpflichtet, es zu unterlassen, die Texte der 19 Klassenstunden, die Rudolf Steiner vom 15.2.1924 bis 2.8.1924 gehalten hat (sog. Klassentexte) öffentlich zugänglich zu machen, sofern die Texte aus der Gesamtausgabe der Verfügungsklägerin von 1992 bzw. deren zweiter Auflage 1999 oder der Ausgabe HDD 2004 entnommen sind, insbesondere durch das Angebot zum kostenlosen Herunterladen von den Internetadressen www.a…de und www.s.-f…de.

Der Verfügungsbeklagte begründet seinen Widerspruch damit, dass die einstweilige Verfügung nicht ordnungsgemäß vollzogen worden sei. Die Verfügung sei gegen Herrn S. gerichtet gewesen und auch an diesen zugestellt worden. Herr S. sei aber nicht Geschäftsführer des Verfügungsbeklagten. Inhaberin des beklagten Einzelkaufmanns sei Frau G. Die Verfügung sei auch unvollständig – nämlich ohne Anlagen – zugestellt worden.

Der Verfügungsbeklagte trägt weiter vor, der Zuhörerkreis Rudolf Steiners bei den streitgegenständlichen Vorträgen sei inhomogen gewesen. Es seien keine Mitglieder ausgewählt worden, sondern es habe sich ein Kreis Interessierter eingefunden. Aufgrund der Zahl der Zuhörer sei von einer Öffentlichkeit auszugehen.

Der Manuskriptdruck von 1977 sei unkontrolliert weitergegeben worden. Deshalb habe die Verfügungsklägerin den Manuskriptdruck unter zwei ISBN-Nummern in den bibliographischen Nachweis von 1984 aufgenommen; dies zeige, dass die Manuskripte in den Handel gelangt seien. Es habe zumindest eine schleichende Veröffentlichung stattgefunden.

Der niederländische C.-Verlag habe die Klassenstunden bereits 1970 auf deutsch veröffentlicht. Weil Teile der Klassenstunden 1965 in den Rosa Blättern durch den R.-Verlag veröffentlicht wurden und 1970 der niederländische C.-Verlag die Klassenstunden auf deutsch veröffentlichte, stelle die Ausgabe der Verfügungsklägerin keine schutzbegründende Erstausgabe dar.

Die Verfügungsbeklagte habe aus den ihr zur Verfügung stehenden Quellen in wissenschaftlicher Arbeit eine eigene Fassung entwickelt.

Der Verfügungsbeklagte beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts aufzuheben und den auf ihren Erlaß gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin beantragt, den Widerspruch zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin trägt vor, sie habe die Mitschriften der Vorträge Rudolf Steiners in jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit und mit erheblichem finanziellen Aufwand aus verschiedenen Quellen und redaktionellen Querbezügen zu anderen Texten des Autors aufgearbeitet. Die Manuskripte aus dem Jahre 1977 seien ausschließlich an ausgewählte Mitglieder leihweise weitergegeben worden. Erstmals 1992 seien die streitgegenständlichen Texte veröffentlicht worden und zwar im Rahmen der Gesamtausgabe der Verfügungsklägerin. Die Verfügungsbeklagte habe die Klassentexte in der 1992 von der Verfügungsklägerin veröffentlichten Fassung vollständig übernommen, wobei sie lediglich Anpassungen gemäß der neuen Rechtschreibung vorgenommen habe. Die Übernahme von der Verfügungsklägerin zeige sich insbesondere an den auch in den von der Verfügungsbeklagten wiedergegebenen Texten zu findenden Druckfehlern und Interpunktionsbesonderheiten.

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, die streitgegenständlichen Texte seien für sie gemäß §§ 71 Abs. 1 und 87 a Abs. 1 UrhG geschützt. Weder der Vortrag Rudolf Steiners noch die Lektoren-Lesungen noch die Veröffentlichungen der Verlage R., C. und Z. und auch nicht die Abgabe der 1977 gedruckten Manuskripte an [214] den bestimmt abgegrenzten Personenkreis ausgewählter Mitglieder der Verfügungsklägerin stelle ein vor ihrer Gesamtausgabe liegendes Erscheinen im Sinne des § 6 Abs. 2 UrhG dar. Erstmalig erschienen seien die Klassenstunden im Rahmen der Gesamtausgabe der Verfügungsklägerin im Jahre 1992.

Entscheidungsgründe:

Der zulässige Widerspruch hat Erfolg. Die einstweilige Verfügung war aufzuheben, weil der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht besteht. Soweit ein Unterlassungsanspruch bestand, hat der Verfügungsbeklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

I. Die Verfügung vom 2.9.2005 wurde wirksam zugestellt. Die Verfügung war an den »A. Verlag e.K.« gerichtet. Diesem ist sie auch zugegangen. Entgegengenommen hat sie der im Internetauftritt der Verfügungsbeklagten als Ansprechpartner genannte Mitarbeiter S. Dieser hat die Annahme nicht verweigert. Die Zustellung erfolgte daher gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ordnungsgemäß.

Die Zustellung war auch wirksam, ohne dass dem Beschluss die Antragsschrift nebst Anlagen beigegeben wurde.

II. Die Verfügungsklägerin macht mit ihrem Verfügungsantrag geltend, aufgrund § 71 Abs. 1 UrhG allein zur Verwertung der streitgegenständlichen Texte berechtigt zu sein. Entsprechend hat sie auch ihren Verfügungsantrag formuliert. Der Verfügungsklägerin steht ein solches Recht jedoch nicht zu.

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 UrhG hat das alleinige Verwertungsrecht an einem bisher nicht erschienenen Werk, wer es nach Erlöschen des Urheberrechts erlaubterweise erstmals erscheinen lässt oder öffentlich wiedergibt.

Die Verfügungsklägerin nimmt für sich in Anspruch, mit ihrer Gesamtausgabe des Steiner`schen Werkes 1992 die erste gewesen zu sein, die die streitgegenständlichen Texte nach dem Erlöschen des Urheberrechts erstmals habe erscheinen lassen. Die Kammer sieht diesen Sachvortrag, der der Verfügung vom 2.9.2005 zu Grunde liegt, durch den Vortrag der Verfügungsbeklagten als erschüttert an.

Ein Werk ist erschienen, wenn mit Zustimmung des Berechtigten Vervielfältigungsstücke des Werkes nach ihrer Herstellung in genügender Anzahl der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht worden sind, § 6 Abs. 2 UrhG.

Ob die streitgegenständlichen Texte bereits durch den Vortrag des Autors Rudolf Steiner oder – nach dessen Tod – durch die Lektoren an der »Freien Hochschule für Geisteswissenschaft« erschienen sind, kann hier dahinstehen. Dahinstehen kann auch, ob die streitgegenständlichen Texte – wie die Verfügungsbeklagte vorträgt – bereits 1965 oder 1970 erschienen sind.

Die streitgegenständlichen Texte sind jedenfalls durch die Veröffentlichung im Jahre 1987 durch den C.-Verlag erschienen.

Der Urheber Rudolf Steiner verstarb 1925. Unter dem damals in Deutschland geltenden § 29 LUG betrug die Schutzfrist dreißig Jahre post mortem auctoris. 1934 wurde die Schutzfrist auf fünfzig und 1966 schließlich auf siebzig Jahre verlängert. In der Schweiz als dem Ursprungsland der streitgegenständlichen Werke wurde die im Todeszeitpunkt Rudolf Steiners geltende dreißigjährige Schutzfrist 1955 auf fünfzig Jahre post mortem auctoris verlängert. Das Werk Rudolf Steiners wurde daher bereits am 31.12.1975 gemeinfrei. Die abermalige Schutzfristverlängerung im Jahre 1992 gilt nicht für bis dahin bereits gemeinfrei gewordene Werke. Nach Art. 7 Abs. 8 der RBÜ ist zur Bestimmung der Schutzfrist für die Werke Rudolf Steiners die im Vergleich mit dem Schutzland Deutschland kürzere Schutzfrist des Ursprungslands Schweiz heranzuziehen, sodass das Urheberrecht für die hier streitgegenständlichen Werke am 31.12.1975 erlosch.

Im Zeitpunkt der Veröffentlichung des C.-Verlages im Jahre 1987 war das Urheberrecht Rudolf Steiners und mit ihm das Veröffentlichungsrecht des § 12 UrhG bereits erloschen.

Der Veröffentlichung des C.-Verlages mangelte es daher nicht an der nach § 6 Abs. 2 UrhG erforderlichen Zustimmung eines Berechtigten, da eine urheberrechtliche Berechtigung aufgrund der Gemeinfreiheit des Werkes nicht mehr bestand.

Die Verfügungsklägerin trägt zwar vor, bei der Ausgabe von 1987 handele es sich um eine identische Ausgabe des nicht veröffentlichten Manuskriptdruckes von 1977. Dieser sei somit unberechtigt vervielfältigt und verbreitet worden. Die Veröffentlichung erfolgte allerdings nicht unter Verletzung eines Urheberrechts. Die Verfügungsklägerin hatte keine vom Autor Rudolf Steiner abgeleitete urheberrechtliche Berechtigung, mit der der Veröffentlichung hätte entgegengetreten werden können: Die Schutzfrist – und damit das Veröffentlichungsrecht aus § 12 UrhG – war bereits im Jahre 1975 abgelaufen.

Es sind auch sonst keine abgeleiteten oder originären Rechte der Klägerin vorgetragen oder ersichtlich, die deren Zustimmung zur Veröffentlichung erforderlich gemacht haben könnten. Ein über den Ablauf der Schutzfrist hinaus wirkendes Urheberpersönlichkeitsrecht des Autors, etwa dergestalt, seine Werke grundsätzlich nicht veröffentlicht wissen zu wollen, wird von der Verfügungsklägerin nicht behauptet und kann von ihr – ganz abgesehen von der zeitlichen Reichweite des Urheberpersönlichkeitsrechts – auch nicht eingewandt werden, ohne dass sie sich mit ihrem eigenen Veröffentlichungsverhalten im Jahre 1992 in Widerspruch setzte. Ein eigenes Urheberrecht macht die Verfügungsklägerin nicht geltend. Etwaige leistungsschutzrechtliche Berechtigungen der Klägerin am Manuskript bestehen nach ihrem eigenen Vortrag nicht: Im Falle des Leistungsschutzrechts aus § 70 UrhG hätte bereits vor Herstellung des Manuskripts eine Ausgabe des Werkes bekannt gewesen, also erschienen sein müssen, was nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin gerade nicht der Fall gewesen sein soll; für den Schutz nach § 71 UrhG hätte das Manuskript bis 1987 erschienen sein müssen, was nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin ebenfalls nicht der Fall war. [215] - Das Urheberrechtsgesetz sieht auch nicht vor, dass von der Nutzung eines gemeinfreien Werkes ausgeschlossen ist, wer dieses Werk zur Zeit seiner Schutzfähigkeit in das Urheberrecht verletzender Weise benutzt hat.

III. Die Verfügung konnte auch nicht deshalb aufrechterhalten werden, weil für die Gesamtausgabe der Verfügungsklägerin ein Leistungsschutzrecht nach § 70 UrhG bestünde.

Die Verfügungsklägerin trägt zwar umfangreich zur editionswissenschaftlichen Neubearbeitung des Manuskripts seit 1978 bis zur Veröffentlichung der Gesamtausgabe im Jahre 1992 vor; sie legt aber nicht dar, inwieweit sich die Texte in der Gesamtausgabe tatsächlich wesentlich im Sinne des § 70 UrhG von bisherigen Ausgaben unterscheiden. Dies ist aus Sicht der Verfügungsklägerin insofern folgerichtig, als sie gar nicht von vorbestehenden Ausgaben ausgeht.

Im Ergebnis ist die Frage, ob für die Gesamtausgabe der Verfügungsklägerin ein Leistungsschutzrecht nach § 70 UrhG besteht, hier insofern nicht entscheidungserheblich, da der Verfügungsklägerin auch bei Bestehen eines solchen Rechts kein über den Tenor hinausgehender Unterlassungsanspruch zustünde.

IV. Der Verfügungsklägerin steht allerdings ein Unterlassungsanspruch aus §§ 87 b Abs. 1, 97 Abs. 1 UrhG zu. Dieser erstreckt sich allerdings nicht auf die streitgegenständlichen Texte als solche, sondern nur auf die öffentliche Zugänglichmachung der Texte aus der Gesamtausgabe der Verfügungsklägerin. Insofern hat die Verfügungsbeklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und einer etwaigen Erledigterklärung der Verfügungsklägerin zugestimmt. Die Verfügungsklägerin hat den Rechtsstreit im Umfang der Unterlassungserklärung für erledigt erklärt.

V. Ob die Verfügungsklägerin auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend machen kann, kann dahinstehen. Auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche bestünden allenfalls im Umfang der von der Verfügungsbeklagten abgegebenen Unterlassungserklärung.