Textdaten
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Autor: Paul d’Abrest
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Titel: Land und Leute in Holland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 360–363
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Land und Leute in Holland.

Eine Plauderei von Paul d’Abrest.

Der Holländer, der es sonst nicht versteht, die Vorzüge seiner Heimath in ein helles Licht zu stellen, geräth dem Fremden gegenüber in Eifer, wenn er von den erworbenen und Jahrhunderte hindurch aufrecht erhaltenen. Freiheiten seines Landes spricht.

Der Geist des holländischen Volkes ist republikanisch geblieben; man denkt sich dort zu Lande keine andere regierende Instanz als die Generalstaaten, das Parlament nebst den in dem strengsten Sinne des Wortes verantwortlichen Ministern – und man thut es mit Recht; denn der König ist thatsächlich nicht der Beherrscher, dafür aber die lebendige Flagge der Nation; wie diese, wird er hoch in Ehren gehalten, und man versäumt keine Gelegenheit ihm besondere Achtung zu erweisen. Er lebt nicht in einer olympischen Wolke, sondern ist für seine Unterthanen höchst zugänglich; es ist nicht selten, daß er bei patriotischen oder bürgerlichen Festlichkeiten erscheint und beim Nachtisch oratorische Lorbeeren erntet. Dieses Verhältniß des Königs zu seinem Volke erklärt sich aus den besondern Zuständen Hollands. Die Dynastie hat ihre besondere Aufgabe, und der Name der herrschenden Familie ist die stets vor Augen tretende Erinnerung an die glorreiche Vorzeit, an all die gewaltigen geschichtlichen Begebenheiten, mit welchen der Name Oranien innig verbunden ist. Die Oranien auf dem Thron sind das erprobteste Mittel, den periodischen Unruhen auszuweichen, welche früher die Wahl des Staatshauptes verursachte, und von diesem Standpunkte aus allein werden die Vortheile der Monarchie betrachtet. Ein holländischer Monarch, der die Grenzen der ihm zugestandenen Befugnisse überschreiten wollte, würde den gewaltigsten Conflict herauf beschwören.

Der gegenwärtige König bereitet, in dieser Hinsicht seinen Unterthanen keine Aufregungen; denn er hielt sich während seiner langen Regierungsperiode (Thronbesteigung 1849) genau innerhalb der enggezogenen verfassungsmäßigen Schranken. Er überläßt die Regierungsgeschäfte seinen Ministern und kümmert sich viel eingehender um andere Beschäftigungen. So liegt z. B. die Pflege und Förderung der Tonkunst dem Monarchen besonders am Herzen, und es ist bekannt, daß er aus eigenen Mitteln in der Nähe seines Schlosses Loo eine Art von Conservatorium errichtete; außerdem liebt er es, zu reisen; bringt er doch Monate lang jeden Sommer im reizenden Waadtlande zu. Das Publicum kümmert sich in der Regel sehr wenig um die Privatangelegenheiten des Königs – vielleicht deshalb, weil man das Gefühl hat, daß die Steuern streng nach Vorschrift bewilligt werden und daß darüber genaue Controlle geführt wird. Thatsache ist es, daß man in Holland wenig über diese Steuern klagen hörst, und doch sind sie horrend; man würde sie als ungeheuer drückend betrachten müssen, wenn der Wohlstand des Landes sie nicht sehr leicht ertragen, ließe. Der Holländer zahlt große Steuern für die Wohnung, die er inne hat, mag das Haus ihm gehören oder nicht, für seine Möbel, die deshalb abgeschätzt werden, für seinen Wagen. und für seine Pferde, für seine Diener (ungefähr zwanzig Mark pro Kopf); er zahlt an Communalsteuer so viel, daß das [361] Nationalgetränk, der Genievre, jährlich fünfundzwanzig Millionen Gulden für den Fiscus abwirft, und außerdem erfreut er sich auch der anderswo coursirenden Stempel-, Grund- und etc. Steuer. Die fremden Weine zahlen fast dreißig, vierzig, fünfzig Procent vom Werth, und nun beabsichtigte man während meiner Anwesenheit in Holland noch die Erbschaftssteuer mit dem lästigen Inquisitionssystem einzuführen.

Als Postscriptum sei noch angeführt, daß auf allen Chausseen stattliche Mauthhäuser dem Fahrenden in dem Wege stehen und dieser ganz gehörige Gebühren zu erlegen hat. Und alle diese Lasten geben keine Veranlassung zu den anderswo üblichen Klagen. Allerdings hat der holländische Staatsbürger die Beruhigung, daß


Die St. Antonienswaag in Amsterdam.


die aus seinem Säckel so reichlich fließenden Abgaben zweckmäßige und Nutzen bringende Verwendung finden. Um diese Beruhigung zu haben, braucht er nur an die allerdings sehr kostspieligen Wasserbauten Hollands zu denken. Wie wäre das dem Sturm und dem Wasser so sehr ausgesetzte Land vor Ueberschwemmungen gesichert, wenn nicht eine eigene Abtheilung für Wasserangelegenheiten durch die Augen und Hände wachsamer und wohlgeschulter Ingenieure für die beständige Instandhaltung der Dämme Sorge trüge? Der Holländer zahlt gern seine Steuern. Dafür weiß er aber auch, daß Holland viel weniger von Ueberschwemmungen heimgesucht wird, als manche andere Länder. Neben den Wasserangelegenheiten ist es das Schulwesen, welches in Holland großes Geld kostet – dafür sind aber auch die Lehrer äußerst anständig besoldet. Statt über die unerschwinglichen Steuern zu lamentiren, besieht sich der Holländer von Zeit zu Zeit seine Dämme und die hübschen geputzten von Sauberkeit glänzenden Schulhäuser, wie solche auch das bescheidenste Dorf besitzt. Ja, die holländische Sauberkeit ist keine Mythe, und die bekannten Schilderungen von der dort üblichen Reinlichkeit erzählen eher zu wenig als zu viel von diesem Scheuerungsfanatismus, welcher Hausfrauen und Mägde beseelt.

Will man sich davon überzeugen, so ist namentlich ein Spaziergang am Samstag Abend rathsam; mag das Wetter noch so klar und hell sein, man wird vorsichtig handeln, doppelsohlige Stiefeln zu tragen und sich mit einem Regenschirm auszurüsten; denn vor jedem Hause bilden die nach einander auf das Trottoir geleerten Kübel große Pfützen, und das Wasser rieselt von den Fensterscheiben der ganzen Häuserfacade auf den nichts Arges ahnenden Cylinder des Vorübergehenden. In der strengsten Kälte sieht man die Mägde in leichten Katunkleidern, die Aermel hoch hinaufgeschürzt, auf den Dielen knieen und reiben, als wollten sie das Gestein wegschaben; Andere machen sich von außen und von innen an den Fenstern zu schaffen, indem sie, um an die höher gelegenen Scheiben hinanzureichen, mit nassen Fetzen, die am Ende einer großen länglichen Stange befestigt sind, tapfer hin und her manipuliren. Dem Gemäuer wird auch nichts geschenkt es wird durch beharrliches Begießen aus ungeheuren Kübeln förmlich in Wasser eingeweicht. Desto schlimmer für den Passanten der von ungefähr mit einem solchen nassen Strahl bedacht wird! Kleider und Personen dürfen beschmutzt werden wenn nur Dielen und Fenster blank sind.

Das Innere der Häuser entspricht dem Aeußeren. Der Boden des Gemachs ist ein wahrer Spiegel; und die weißen Gardinen [362] blenden das Auge. Auf den Möbeln ist fast kein Atom Staub zu entdecken. In jedem halbwegs behäbigen Hause findet man Blumen, und dieser Cultus wächst mit den Vermögensverhältnissen der Hausbewohner; bei den Reichen sind die Salons förmliche Treibhäuser, mit den theuersten und seltensten tropischen Pflanzen verschwenderisch ausgestattet. Und – wohl gemerkt! – man findet diesen Luxus nicht nur in großen Städten, auch auf dem Lande, in den Dörfern, welche sich sehr vorteilhaft durch den behäbigen Anblick und die schon erwähnte Sauberkeit auszeichnen. Im Haag jedoch erreicht die sich in aussteigender Scala wiederholende Verbindung seltener Pflanzen mit kostbaren Teppichen und Bildern ihren Höhepunkt.

Der Haag ist die Stadt des aristokratischen, ruhigen Lebensgenusses. Die breiten Straßen, die Avenuen, wo lange Strecken weit kein einziger Laden zu finden ist und die aus Villen und Palazzinos bestehen, die herrlichen, zu langen Spaziergängen und glänzenden Casinos einladenden Anlagen, welche die Stadt mit einem grünen Gürtel umgeben, der gemessene, selbstbewußte Ton, der hier vorherrscht – alles läßt mit Recht darauf schließen daß der Haag nur für höhere Staatsbeamte oder für steinreiche Rentiers geschaffen ist, die sich drüben in Indien Millionen erworben deren Zinsen sie hier ohne Saus und Braus, ohne Aufsehen verzehren. Die Hoffestlichkeiten und die Bankets, welche die Handelspatricier bei jedem Anlaß veranstalten, nehmen die feine Gesellschaft der holländischen Hauptstadt sehr in Anspruch. Es vergeht kein Winter, wo nicht ein ganzes Dutzend sogenannter „indischer Feste“ die Elite dieser Gesellschaft von Begüterten bald bei diesem bald bei jenem Geldfürsten vereinigen. Es wird da eine wahrhaft orientalische Pracht an Beleuchtung, Costümen und Diamanten entfaltet – dagegen sind Küche und Keller eminent europäisch-civilisirt.

Daß in den Niederlanden die Tafelfreuden überhaupt von jeher hoch in Ehren standen, erzählen bereits zahlreiche Reisende aus dem fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert, wie der Florentiner Guicciardini. Dieser gastronomische Zug wird auch von den großen Malern der niederländischen Schule bestätigt. Man zeige mir auch nur ein einziges holländisches Bild, ein Portrait, ein Familienbild, eine Gruppe, eine Scene aus dem häuslichen Leben, auf dem nicht wenigstens der gefüllte Becher, wenn nicht der stattlich belegte Tisch neben den dargestellten Personen erscheint! Die van der Helst, die Snyders, die Teniers sind verschwunden aber der nationale Zug ist geblieben – wenigstens im Haag, wo es nicht an Muße zu langen Bankets fehlt. Die Hochzeiten namentlich bieten eine höchst ausgiebige Gelegenheit zum Schmausen. Die Periode zwischen der förmlichen Verlobung (einem gesetzlichen Acte) und der Eheschließung, eine Spanne von vierzehn Tagen oder drei Wochen, verleben Braut und Bräutigam wie im Schlaraffenlande. Sämmtliche Verwandte und Freunde überbieten sich in Aufwartungen; es ist eine fortwährende Wanderung vom Diner des Tages zum Souper in der Nacht etc. Bei diesen bräutlichen Festen herrscht eine eigenthümliche, sehr hübsche Gewohnheit. Die Thür, durch welche das geladene Paar das gastliche Haus betritt, ist mit Epheu umrahmt; die für dasselbe bestimmten Teller und Gläser sind mit Blumen verziert, ja sogar um die Bestandtheile des Bestecks, Gabel, Messer und Löffel winden sich niedliche Kränze. Man will dem Brautpaar immer auf’s Neue in der lieblichen Sprache der Blumen den Wunsch aussprechen daß es auf mit Rosen und Veilchen bestreueten Pfaden den gemeinsamen Weg des Lebens wandern möge.

Ob neben den vielen Hochzeitsschmäusen auch die Begräbnißtafeleien im eleganten Haag üblich sind wie auf dem Lande, weiß ich nicht zu berichten, aber jedenfalls hat der Tod hier auch seine Eigenheiten. Ist jemand gestorben, so begnügt sich die Familie nicht, durch die Post den Trauerfall den Bekannten mitzuteilen; schwarzgekleidete Ansager, in einen weiten Trauermantel gehüllt, den umflorten Dreispitz auf dem Kopfe, den Stock in der Hand, wandern von Straße zu Straße, von Haus zu Haus und erstatten allen Bekannten des Verblichenen von dem Vorkommniß Meldung. Beim Begräbniß schreiten hinter der Bahre in dem nämlichen Trauercostüm die Angestellten der Bestattungsgesellschaft, während die Leidtragenden erst später in Wagen, die mit schwarzen Draperien behangen sind, folgen. Die Ceremonie ist kurz und ohne jedes Gepränge, und selbst bei allerhöchsten Persönlichkeiten wird keine Ausnahme gemacht. Die Beisetzung des Prinzen Heinrich, Statthalters von Luxemburg, zu welcher eigens etliche fürstliche Persönlichkeiten aus Deutschland gekommen waren, dauerte keine Viertelstunde.

Doch ein heiteres Bild! Die allgemeine, sozusagen öffentliche Zerstreuung im Haag während des Winters ist das Schlittschuhlaufen, dem Groß und Klein mit wahrer Leidenschaft huldigt. Der Byver, ein mitten in der Stadt gelegener Teich, auf dem sonst majestätische Schwäne und buntbefiederte Enten plätschern, wird, sobald es zu frieren anfängt und der Wasserspiegel mit einer Eiskruste bedeckt ist, am Nachmittag das Stelldichein der gesammten vornehmen Welt. Herren und Damen vom Hofe, Kinder unter den Augen ihrer Hofmeister und Gouvernanten, simple Schulknaben und Soldaten in ihren langen dunkelblauen Kapuzen laufen um die Wette. Die Damen zeigen wohl am meisten Lust für diese gesunde und erfrischende Uebung. Hinter dieser Unermüdlichkeit vermuthe ich ein Stück weiblicher Politik; denn wie züchtig, wie zurückhaltend die blonde Hausfrau des Niederländers auch dreinschaut, sie ist doch Dame genug, um zu wissen, wo sie am vortheilhaftesten zur Geltung kommt. Man verliebt sich in die Französin, wenn man sie im Salon mit dem Fächer in der Hand spielen sieht, in die Engländerin, wenn sie als Amazone durch die herrschaftlichen Park-Alleen auf dem Vollbluthengste jagt, in die Deutsche, wenn sie dingt und eigenhändig gebackene Kuchen herumreicht – die fahlblonde Holländerin mag, wenn sie auf dem Eise Zickzacks beschreibt, glühende Verehrer finden. Sie führt die schwierigstem Bewegungen mit bezaubernder Grazie aus – es ist das Dahinsäuseln eines Sylphidenfußes auf krystallenem Boden Dies gilt nicht nur von der aristokratischen Dame im Haag, sondern ebenso gut von der ländlichen Schlittschuhvirtuosin. Die Jungen und Mägde eines Dorfes statten sich am Sonntage gegenseitige Besuche ab, und der Weg wird auf den gefrorenen schmalen Canälen, den wahren Heerstraßen dieses merkwürdigen Landes, zurückgelegt. Die Schlittschuhläufer beider Geschlechter reichen sich, vier bis sechs, je nach der Breite des Canals, die Hände und bewegen sich so, oft unter graziösen Neigungen und Schwenkungen ihrem Ziele zu. Ist die Bande am Orte der Bestimmung angelangt, so werden die sehr breiten Schlittschuhe abgeschnallt und die Männer tragen dieselben an ihren Riemen um den Hals – die eigenen und jene ihrer Begleiterinnen, ohne daß die Bürde sie im Geringsten zu geniren schiene. Die Pflege dieser Unterhaltung ist offenbar Gegenstand der Fürsorge, als handelte es sich um eine gemeinnützige Sache; es werden Wettrennen auf dem Eise veranstaltet – bedeutende Prämien für die Gewinner ausgesetzt, und in letzter Zeit hat sogar das Kriegsministerium Waffenübungen auf dem Eise für einige Truppenkörper angeordnet.

Vom Haag, der politischen, nach Amsterdam, der tatsächlichen Hauptstadt der Niederlande, fährt der Schnellzug in etwa vier Stunden. Dem Auge des Reisenden bietet diese Strecke nur wenig Interessantes und für das Land Charakteristisches; jede der beiden Städte hat ihren speciellen Stempel, ihre abgesonderte Bevölkerung.

In Amsterdam auf dem Bahnhofe angekommen, wird man von einem fast beständig wehenden eisigen Nordwinde empfangen der über die Dünen herüber bläst. Hinter dem Eisenbahndamme und den gelben Sandbergen ragen zehn, zwanzig, fünfzig, ja hundert Mastbäume aus dem Eise empor. Schräg unter den Fenstern ankert ein Dutzend kleinere Dampfboote, ebenfalls im Eise gleichsam conservirt Hat man diesen Anblick gehörig gewürdigt, so geht es hinunter nach dem Herzen der Stadt, dem Börsenplatze und der Kalverstraat. Diese Hauptader Amsterdams ist bei Weitem nicht so breit, wie die Promenadenstraßen der europäischen Hauptstädte, aber sie ist von ungeheurer Ausdehnung. Das Leben, welches hier herrscht, ist ein sehr reges, das heißt: die ganze Straße ist von Spaziergängern erfüllt, aber doch ein ziemlich phlegmatisches; denn Alles spaziert und besieht sich die Läden unter Beobachtung des tiefsten Schweigens. Es wird vorwärts geschritten und dann wieder zurückgekehrt mit methodischen, wohlabgemessenen Schritten. Es ist das Sonntagnachmittags-Vergnügen, und man geht diesem nach mit dem Ernste, der einer Pflichterfüllung geziemt.

Es ist, wenn man einen Sonntag-Nachmittag in der Kalverstraat lustwandelt, nicht nötig, bis nach Leuwarden hinauf zu rutschen, um den berühmten Silber- und Goldhelm der friesischen Landfräuleins zu bewundern. Diese eigenthümliche und schwere Kopfbedeckung blinzelt überall unter dem Spitzenbesatz der Hauben [363] hervor, und wie mir versichert wurde, sind diese Helme nicht etwa Talmi-Waare, sondern echtes Silber, echtes Gold. Es ist das erste Geschenk des Bräutigams an die Braut, und diese trägt es beständig; die Haare werden grau, sie werden weiß; die lustige Maid von ehemals wird ein gebücktes Mütterlein, aber der goldene Helm, wie schwer er auch sein mag, dient noch immer dem Haupte als Zierde. Durch die Spaziergänger von Stadt und Land bahnt man sich mit Mühe den Weg bis zum Rembrandt-Plein, einem breiten Platz, wo mitten auf einem Square das Standbild des berühmten Malers zu sehen ist. Bei dem besten Willen entdeckt man an dieser Statue weder etwas Imposantes noch Gewinnendes sie ist groß und massiv - der wahre Rembrandt leuchtet uns im Trippenhuis entgegen, dort, wo gegenüber dem Van Helft’schen „Festmahl der Schützengilde“ der Lichteffect der „Nachtrunde“ spielt. Das Trippenhuis, der Sitz des Reichsmuseums, ist mit kostbarsten Gemälden förmlich vollgepfropft; es giebt deren von der im Erdgeschosse befindlichen Vestibül bis hoch hinauf unter dem Dachgiebel, und der Werth dieser Kleinode ist nicht zu schätzen.

Und doch ist dieses Trippenhuis ein höchst einfaches, unansehnliches Gebäude. Der Fremde, der weiß, welche Schätze seiner dort warten, zögert sogar, ehe er sich über die Schwelle wagt – er glaubt sich getäuscht zu haben. Der Bilderschatz dieses Treppenhauses wird sich übrigens bald in einem würdigeren Rahmen präsentiren. Zur Zeit meines Aufenthalts in dem schönen Amsterdam waren die Pläne zu einem beinahe monumentalen Museum bereits ausgearbeitet, und der Prachtbau stand wenigstens auf dem Papiere fertig da.

Amsterdam besitzt übrigens der Prachtbauten genug. Interessant sind die geschichtlichen Häuser, zu denen auch die St. Antonienswaag (vergl. Abbildung S. 361) gehört. Dieses mittelalterliche, mit fünf Thürmen verzierte Gebäude war einst Stadtthor und ist später Stadtwaage geworden. Außerdem hat die Stadt einen kolossalen Krystallpalast, in welchem vor Jahren eine Ausstellung stattfand und dessen Halle heute Concert- und Theatersaal ist. Zehntausend Personen können dort bequem Platz nehmen und den Kunstleistungen eines sehr starken Orchesters zuhören, oder sich an den Productionen irgend eines Blondin’s ergötzen. Alles hört und sieht hier schweigend zu. Immer die Ruhe, das beinahe obligatorische Silentium, das sich der Holländer so gern auferlegt.

Die Pflege der dramatischen Kunst ist in Holland eine sehr ausgiebige. In Amsterdam wird an demselben Abend holländisch, deutsch, französisch und sogar italienisch gespielt; mitunter geben zwei direct gegen einander concurrirende Directoren das nämliche Stück in derselben Stadt und finden Jeder sein Publicum. Die Uebertragungen aus dem Französischen sind äußerst beliebt; ich erwähne hier besonders der Conversationsstücke, die in dem Pariser Genretheater Glück machen. Aber der holländische Schauspieler ist in der Regel ein wenig derb - zu derb, um all die Finessen der Dumas', Sardou's und Augier's wiederzugeben. Weit erfolgreicher, weil ihren natürlichen Anlagen angemessen, erweist sich den niederländischen Darstellern das heroische und das Schauerdrama.

Der Holländer liest nicht nur sehr viel, sondern er hebt sich auch gern die Bücher auf; denn die Lesecabinetwirthschaft, zum großen Schaden der Autoren und Buchhändler, ist hier noch nicht eingerissen. Die französischen und englischen Bücher werden meist im Original gelesen, die deutschen dagegen in der Uebersetzung, weil der Preis der Originalausgabe zu hoch ist. Außerdem ist die Kenntniß der deutschen Sprache viel weniger verbreitet, als jene der französischen und englischen, und wenn der Holländer deutsch gelernt hat, so radebrecht er es in der schauderhaftesten Weise, so daß man nicht daraus klug wird. Das Französische wird nur in der vornehmsten Gesellschaft correct und ohne Accent gesprochen; Viele, welche im Stande sind, die schwierigsten französischen Bücher zu lesen und fehlerfrei französische Briefe zu schreiben, würden mit der Aussprache unter Franzosen nicht weit kommen. In den Kreisen, mit welchen der Reisende in Holland notwendigerweise in Berührung kommt, in den Hôtels, Magazins, Gasthäusern etc., renommiren die Leute oft mit Sprachkenntnissen, die sie nicht haben.

Der Packträger, der mich im Haag nach dem Hôtel begleitete, fragte mich zuerst auf französisch. „Parlez-vous français?“ Als ich anfing in dieser Sprache zu reden, lenkte er ein und sagte in gebrochenem Deutsch. „Ich rede auch deutsch.“ Gut, ich wiederhole die gestellte Frage in meiner Muttersprache. „Do you speak english?“ klang es jetzt, und schließlich verständigte ich mich mit ihm, so gut es ging, auf holländisch. Die drei Sätze waren sein ganzes Capital in den drei Sprachen, die er zu kennen vorgab. Dieser Zug, den ich öfters wiederfand, ist ein um so eigentümlicherer, als sonst dem holländischen Nationalcharakter nichts so ferne liegt als Renommisterei.

Erwähnenswerth ist auch das Judenviertel Amsterdams. Ich hatte über dasselbe höchst pathetische Schilderungen gelesen – allein ich fand dort außer der alten berühmten portugiesischen Synagoge kaum etwas Interessantes; sie ist aus grauem Ziegelwerk erbaut – ein plumper Bau, anzusehen wie eine Caserne. Obwohl die Juden in Holland sich stets der Toleranz erfreuten, scheint doch das vor zweieinhalb Jahrhunderten aufgebaute Gotteshaus darauf berechnet worden zu sein, eine Belagerung auszuhalten. Die Außenthore sind vom derbsten Holze und mit Eisen beschlagen, und das Mauerwerk wies früher sicher Schießscharten auf. Praktischerweise befinden sich die Wohnungen des Castellans und einiger Beamten in der Synagoge selbst. Im Tempel macht sich ein ungefähr wie die französischen Abbés im achtzehnten Jahrhundert gekleidetes Männchen mit dem Inhalt der Bundeslade zu schaffen; es untersucht methodisch, ob alles in Ordnung ist. Die strenge Architektur und die reiche Ausschmückung der Estrade in der Mitte machen einen imponirenden Eindruck, und es war mir, als ob der Geist des jüngst heimgegangenen Dichters des „Uriel Acosta“ den Raum belebte, als ob bei den Klängen des Sulzer’schen Psalms, der sich so mächtig dem Schwunge des Poeten anschmiegt, Uriel Acosta vor den Richtern der Synagoge knieete; die Stimme der Verdammenden glaubte ich zu hören, und noch als ich die Ringmauern der Synagoge hinter mir hatte, war ich ganz erfüllt von dem Gedanken an den verfolgten Religionsphilosophen, dem die Gutzkow’sche Dichtung ein unsterbliches Denkmal gesetzt hat – eine Dichtung, deren bedeutsamste Scenen eben in der Synagoge zu Amsterdam sich abspielen.

Wenige Stunden später rollten wir wieder über den Moerdyk. Einer meiner Reisegefährten, ein Holländer, der, wie er behauptete, viel in der Welt herumgekommen war, verließ den Waggon an der Grenze, nachdem er aus einem Gespräch über die Zustände des Landes das Facit gezogen hatte. „Wir sind das zufriedenste Volk, welches es heute in Europa giebt.“ Ich fand während meines kurzen Aufenthaltes in den Niederlanden nichts, das diese Ansicht Lügen gestraft hätte.