Kunst und Kultur in Ahrenshoop 1945 bis 1948
Einführung
BearbeitenDer Artikel Kunst und Kultur in Ahrenshoop 1945 bis 1948 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Kunst und Kultur in Ahrenshoop 1945 bis 1948“ zusammengestellten Tagebuchauszüge. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].
Vorwort von Stefan Isensee zu seiner Auswahl von Tagebuchauszügen zum Thema „Kunst und Kultur in Ahrenshoop 1945 bis 1948“
BearbeitenDie hier vorliegenden Auszüge aus dem Tagebuch des Malers Hans Brass umfassen die Zeit von Ende 1945 bis Anfang 1948. Brass, der während der Nazizeit als „entarteter“ Künstler mit Malverbot belegt war, hatte schon im Juni 1944, als das baldige Ende des Krieges und damit der Naziherrschaft sicher schien, wieder zu malen begonnen. Nun konnte er sich darauf vorbereiten, seine neuen Bilder öffentlich zu zeigen, zunächst im Sommer 1946 in der „Bunten Stube“, dem seit den zwanziger Jahren bekannten Geschäft für Kunstgewerbe, Alltags- und Badebedarf in dem beliebten Künstler- und Badeort Ahrenshoop an der Ostsee, wo er die Kriegszeit verbracht hatte. Über das persönliche Schicksal des Malers Brass hinaus sind hier zeit- und kulturgeschichtlich hochinteressante Entwicklungen im Deutschland der Nachkriegszeit von einem aktiv beteiligten Zeitzeugen festgehalten. Das waren zunächst die Gründung und die ersten tastenden Schritte des „Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ in dem traditionsreichen Malerort, begleitet von den ersten Kunstausstellungen in Ahrenshoop nach dem Krieg in der „Bunten Stube“ sowie im „Kunstkaten“ (Siehe auch Franziska Lietzmann, Vier mal vier Meter für die Kunst. Zu den Ausstellungen in der Bunten Stube Ahrenshoop, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2024/8677, S. 41 ff.). Sodann finden wir eine detaillierte, spannende Beschreibung der Ereignisse um die große Brass-Ausstellung Ende 1946 im Mecklenburgischen Landesmuseum in Schwerin 1946. In dieser Zeit gab es deutschlandweit, in allen Besatzungszonen, Bemühungen großer und kleiner Museen, in den Kunstzentren wie in der Provinz, sozusagen als Wiedergutmachung für die Unterdrückung durch die Nazis Ausstellungen mit Werken der „entarteten Künstler“, vor allem des Expressionismus, zu veranstalten. Diese erfuhren, mit unterschiedlichen Begründungen, in Ost wie in West beträchtlichen Widerstand. Erst in neuerer Zeit hat sich die Kunstgeschichte mit diesem Phänomen befasst (siehe die hervorragende Darstellung in: Maike Steinkamp, Das unerwünschte Erbe, Schriften der Forschungsstelle „Entartete Kunst“, Band II, Akademie-Verlag, Berlin 2008). Die Schweriner Ausstellung erregte über Wochen hinweg eine erbitterte kulturpolitische Debatte in der gesamten Mecklenburg-Vorpommerschen Presse. So namhafte Schriftsteller wie Ehm Welk und Willi Bredel ergriffen mehrfach für und wider Brass und den Expressionismus Partei. Danach geriet das Ereignis jedoch in völlige Vergessenheit, selbst die heutige Museumsleitung ist an diesem Detail ihrer Museumsgeschichte nicht interessiert. Schließlich sind noch die Ereignisse des Sommers 1947 hervorzuheben. Der „Kulturbund“ veranstaltete in Ahrenshoop eine „Sommerakademie“ für junge Funktionäre, die aus ganz Deutschland zusammengekommen waren. Hier wurden entscheidende Grundfragen für einen demokratischen Neuanfang in der deutschen Kulturpolitik sehr kontrovers diskutiert. Maßgeblich beteiligt war kein geringerer als der expressionistische Dichter und spätere Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, Referenten waren u.a. Klaus Gysi, Adolf Behne, Hans-Georg Gadamer (siehe hierzu: Ulrich v. Bülow, Ahrenshooper Sommerakademie 1947, in: Hellmut Seemann u. Ulrich v. Bülow [Hrsg.], Intelligenzbad Ahrenshoop, Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft 12/II, 2018, S. 38 ff). Brass, der mit der Ausstellung seiner neuen Werke in der Bunten Stube natürlich das durchaus widerstreitende Interesse auch der Tagungsteilnehmer erregte, hält mit seinen Beobachtungen interessante Aspekte dieses bedeutsamen Ereignisses fest.
Stefan Isensee
Potsdam, 1. November 2024
Tagebuchauszüge
Bearbeiten1945
Bearbeiten[...] [1101] Heute vormittag habe ich die ersten Schritte unternommen, um wieder zum Malen zu kommen. Ich habe alte Bilder vorgeholt, um die Keilrahmen neu zu verwenden, oder sie von Papenhagen passend zurechtschneiden zu lassen. Martha hat mir ein schönes Stück Leinewand gegeben, das ich für eine etwas größere Landschaft verwenden will. Für die anderen Bilder, die ich vorhabe, will ich die Rückseiten alter Bilder verwenden. Ich habe mir fünf Bilder vorgenommen, alles solche, die ich im vorigen Jahre bereits gemalt habe, die aber meiner Meinung nach noch nicht die letzte Fassung sind. Ich habe alle diese Bilder in diesen letzten Wochen oder gar Monaten im Geiste durchgearbeitet u. hoffe, etwas Gutes zu schaffen. – [...]
[1102][...] [1102] Heute habe ich, bzw. Martha, meine schwarze Hose an den Sergeanten von Monheim verkauft. Er gab 450,– Mark in Alliiertem=Geld, 26 polnische Sloty u. 10 Tscherwonez. Wieviel das zusammen ist, weiß ich nicht. Die Hose war der Rest meines Smoking-Anzuges u. mindestens 20 Jahre alt, aber noch sehr gut, da ich sie sehr selten getragen habe. Der Sergeant versprach außerdem ein Stück Schweinefleisch, das er allerdings erst bringen will. Ich bin neugierig, ob er es tut.
Es ist über Nacht Winter geworden. Es ist seit heute früh 1° Kälte u. diese Temperatur hält sich auch jetzt um 2 Uhr noch auf gleicher Höhe. Es hat über Nacht u. heute Vormittag bei leichtem Ostwind geschneit u. die Kinder haben ihre Schlitten vorgeholt. [...]
[1103][...] [1103] Heute brachte mir Gräff Grundierfarbe. Ich will heute Nachmittag die Bilder grundieren u. Montag anfangen, zu malen. Auch Papenhagen hat mir den fünften Keilrahmen gebracht. [...]
[1103][...] [1103] Gestern habe ich die Leinewände grundiert. Die große Leinewand ist leider nicht ganz glatt geworden, weil darin zweierlei Material verwebt worden ist, daß verschieden aufgetrocknet ist. Ich habe versucht, den Rahmen auszukeilen u. es ist auch besser geworden, aber nicht einwandfrei. Ich hoffe, daß sich die Leinewand während des Malens langsam von selbst glattziehen wird. [...]
[1103][...] [1103] Heute habe ich endlich mit Malen begonnen. Ich habe zuerst das große Bild angefangen: flammend gelber Himmel, Meer – Kobaltblau – violett – gelb, Vordergrund gelb – rot – bis ins Braun. Davor über das ganze Bild hin ein Ast einer Krüppelkiefer. Das Bild ist in seiner Komposition verblüffend einfach u. so durchdacht, daß jeder Pinselstrich sitzt. Die Wochen, in denen ich täglich fast stets von 5 – 9 Uhr im Dunklen gesessen habe u. über dieses u. die anderen Bilder nachgedacht habe, machen sich jetzt [1104] bemerkbar. Jede Form u. jede Farbe ist genau durchdacht u. es gibt nun beim Malen nicht die lästigen Probleme, die sonst erst während der Arbeit gelöst werden müssen u. oft eben nicht gelöst werden. Die Grundierfarbe, die mir Gräff zurechtgemacht hat, ist ausgezeichnet, es malt sich sehr leicht darauf. [...]
[1105][...] [1106] In dieser Woche hatte Martha viele Auseinandersetzungen mit dem sog. Antifaschistischen Ausschuß, der sich bemüßigt fühlt, für die Flüchtlinge zu Weihnachten etwas zu tun. Anstatt sich nun mit Martha in Verbindung zu setzen, die doch nun seit Jahren hier das Weihnachtsfest sozial organisiert, ist dieser Ausschuß unter Führung von Herrn Dr. Ziel u. Herrn v. Achenbach stur. Sie meinen, die BuStu. sei eine Privatsache, ihre Weihnachts=Aktion aber sei amtlich u. offiziell u. dürfe sich nicht mit Privatpersonen verbinden. Es offenbart sich da der ganze, sture, deutsche Amts=Standpunkt, diese dumme Arroganz beamteter Personen, die zu erhaben über die Fach= u. Sachkenntnisse von Privatpersonen sind, als daß sie sich ihrer bedienen würden. Dabei ist dieser sog. Ausschuß überhaupt garkeine amtlicher Organisation, er maßt sich nur amtliche Eigenschaften an. Der Ausschuß veranstaltet nun für sich eine Sammlung von Geld u. Sachen für Flüchtlinge, d.h., er läßt andere spenden, um sich dann mit dieser Spende dicke zu tun. Die gespendeten Gelder u. Sachen sollen die Flüchtlingen dann möglichst sang= u. klanglos zugestellt werden, denn Frau Burgartz, die mehrfach bei Martha war, um darüber zu reden, meinte, sie sei ein prosaischer Mensch u. habe keinen Sinn für Poesie, d.h. für Weihnachten. So kommt es also, daß Martha nun ihre Weihnachts=Aktion privat für sich allein durchführen wird, ebenso wird der Antifasch. Ausschuß seine Aktion durchführen, u. endlich wird Frau Marie Seeberg noch ein Krippenspiel für sich allein veranstalten. Also ganz deutsch: jeder für sich. – [...]
[1107][...] [1107] Am Vormittag war Peter Erichson aus Rostock da. Er ist schon seit einigen Tagen hier, war aber bisher unsichtbar. Er spielt natürlich im Kulturbund zur demokrat. Erneuerung in Rostock eine beachtliche Rolle. Seine Druckerei ist die einzige in Rostock, die von den Russen nicht angefaßt worden ist. Er sagte mir, daß im Hause des Kulturbundes vier Betten bereit stehen für Leute, die von auswärts kommen. Es gibt dazu Frühstück u. Lebensmittel=Karten, daß man Essen gehen kann. Ueberhaupt würde für Künstler das Aeußerste getan, auch Materialbeschaffung sei jetzt in Angriff genommen. Auch sagte er mir, daß jeder Künstler, der zur Sektion bildende Kunst im Kulturbunde gehört, automatisch Anspruch hat für die Schwerarbeiter-Lebensmittelkarte. Das war mir sehr wissenswert. Er sagte weiter, daß er in der nächsten Woche mit dem Geschäftsführer der Sektion hierher kommen würde, der Herr würde mir dann seinen Besuch machen. Es ist ein merkwürdig angenehmes Gefühl, daß ich jetzt plötzlich nicht mehr ganz allein dazustehen scheine, sondern daß es Leute gibt, die Wert darauf legen, daß ich als Künstler zu ihnen gehöre. So mag sich zum Schluß mein Jugendtraum von Künstlertum u. Kameradschaft vielleicht doch noch verwirklichen, nachdem ich daran bereits längst nicht mehr gedacht habe. [...]
[1107][...] [1108] daß die Westmächte keinesfalls gewillt sind, das von ihnen gehütete Geheimnis der Atombombe preiszugeben. Ueber diese wird sehr viel gesprochen. Es scheint, als läge in dieser Erfindung eine ganz unermeßliche Gefahr für die ganze Welt, u. in der Tat: wer dieses Geheimnis besitzt, ist damit der Mächtigste. Es fragt sich nur, wie lange dieses Geheimnis geheim gehalten werden kann. Wenn zwei Gegner beide dieses Geheimnis besitzen, dann ist der der Mächtigste, welcher in der Lage ist, den anderen unversehens zu überfallen, in der Art, wie Japan es bei Pearl Harbur machte. Die Anwendung dieser Bombe aber bedeutet radikale Vernichtung. Die Atombombe in der Hand der Bolschewisten [1109] dürfte dann in der Tat den Untergang der ganzen civilisierten Welt bedeuten, – aber wohl auch Rußlands selbst. Es sind das grauenvolle Perspektiven u. man denkt dabei nicht bloß an den Untergang des Abendlandes, sondern der ganzen Welt in ihrer jetzigen Gestalt. Es ist kein Wunder, daß die Staatsmänner der Westmächte mit höchster Sorge vor diesen Problemen stehen, aber eigenartig ist es, zu sehen, wie nur einige wenige Menschen wissend genug sind, um sich diese Sorgen überhaupt zu machen, die Masse der Menschen der ganzen Welt lebt sorglos dahin, obgleich die ganze Welt auf einem riesigen Pulverfaß sitzt. [...]
[1109][1109] Heute wurde das Bild fertig. Ich bin sehr zufrieden. Grade eine Woche lang habe ich daran gemalt, doch muß man dazu rechnen, daß ich das Bild ja schon in kleinem Format u. unzureichend im vorigen Herbst gemalt habe u. außerdem in den täglichen langen Dunkelstunden reiflich durchdacht habe.
Frau v. Achenbach war bei Martha u. hat nun endlich erklärt, warum ihr Mann sich so eigenartig benimmt. Als nämlich im Frühjahr die Anordnung herauskam, daß alle Menschen, die nicht nach Ahrenshoop gehören, den Ort verlassen müßten, habe ich natürlich auch Frau v. A. eine Aufforderung zugehen lassen, Ahrenshoop zu verlassen. Als sie dieser Aufforderung nicht nachkam, habe ich das mit Stillschweigen übergangen u. so getan, als hätte ich es nicht bemerkt. Herr v. A., anstatt diese meine freundliche Haltung anzuerkennen, ist vielmehr tödlich beleidigt, daß ich damals seine Frau, – er selbst war noch nicht hier –, überhaupt aufgefordert habe, Ahrenshoop zu verlassen. Ich glaube, daß dieser Herr damit vollauf gekennzeichnet ist. [...]
[1110][...] [1110] Auf dem Tisch stand eine kleine Vase mit einigen weißen Winterastern u. einigen kleinen Tannenzweigen, die in der matten Akku-Beleuchtung ganz entzückend aussahen. Ich holte einen Zeichenblock u. Kreide u. machte ein Skizze davon, die gleich die Natur so weit übertrug, daß ich glaube, danach ohne weiteres ein Bild malen zu können. [...]
[1110] Martha brachte sogar eine veritable Bescherung zustande, indem sie aus Beständen der BuStu eine Papierschere mir Falzmesser, die ich so notwendig brauche, ferner eine Taschenuhr noch gefunden hatte, eine von den billigen Uhren, die wir früher einmal für die Sommergäste verkauften, um die eigenen Uhren zu schonen, die am Strande versanden. Diese Uhren gehen aber vorzüglich. Nachdem drei Uhren von mir, die Borchers zur Reparatur gehabt hatte, von den Russen gestohlen worden waren u. alles, was ich nun noch an Uhren [1111] besaß, unzuverlässig oder ganz kaputt war, ist dies ein sehr willkommenes Geschenk. Ferner hatte M. auch noch einen kleinen Reisewecker gefunden, dazu noch zwei Paar wollene Socken, ein Stück Seife, und – das Erfreulichste: eine Kiste Zigarren, keine sehr hervorragende Qualität, aber schön groß von Format, wie ich sie so liebe. Diese Zigarren waren bei Fritz im Zimmer gewesen u. trugen den Vermerk: Für Oha von Fritz zu Weihnachten 1942. Sie waren damals vergessen worden u. nun wieder aufgetaucht u. nun eine ganz große Freude. – Mir selbst war es nur gelungen, ein Stück Speck im Tausch gegen Tabak für Martha aufzutreiben. [...]
[1111] Nachher machte ich eine Kreideskizze von unserer Krippe, die ebenfalls so fertig ist, daß ich glaube, ohne weiteres daraus ein Bild machen zu können. Es scheint tatsächlich bei mir etwas ganz Neues eingetreten zu sein: die künstlerische Produktion verläuft mühelos u. ohne mühseliges Ringen mit Problemen. Es wäre ja wunderbar, wenn ich nun wirklich dahin kommen sollte, mit Vergnügen zu malen. Die maßlose Anstrengung, die mir das Malen früher bereitet hat u. die bis zur völligen körperlichen Erschöpfung ging, scheint einer bisher nie gekannten Leichtigkeit gewichen zu sein. [...]
[1111] Vom Kulturbund, Sektion für bildende Kunst, erhielt ich Nachricht auf meine Anfrage betr. Lebensmittel Karten. [1112] Danach steht den bildenden Künstlern nur die Arbeiterkarte zu, nicht die Schwerarbeiterkarte. Hoffentlich wird das den Gemeinden nicht amtlich mitgeteilt, denn dann gehe ich meiner Schwerarbeiterkarte wieder verlustig. Ferner teilt mir die Sektion mit, daß ich nun doch Arbeiten oder Reproduktionen von solchen der Sektion einreichen müsse zwecks Aufnahme in die Sektion. Ich ersehe daraus, daß ich bisher lediglich in den„Kulturbund“ aufgenommen bin, nicht aber in die „Sektion für bildende Künste“, was natürlich allein von Wichtigheit ist für mich. Ich weiß nicht recht, was ich machen soll, denn es ist ja unmöglich, hier Bilder photographieren zu lassen. Ich könnte nur Reproduktionen von den Bildern 1918 – 1921 einsenden. Im übrigen finde ich es ziemlich seltsam, daß die Rostocker ein solches Verlangen an einen Künstler stellen, der schon vor 27 Jahren im Vorstande der Novembergruppe u. dort selbst in der Jury war. Wer sind denn die Leute in Rostock, die da die Jury ausüben? Es sind das doch Künstler, die selbst völlig unbekannt sind! [...]
1946
BearbeitenJanuar 1946
Bearbeiten[1201] Gott sei gedankt! – das Jahr 1945 ist aus u. zu Ende. Das Neue Jahr wird uns noch durch sehr tiefe Abgründe führen, aber endlich wird es uns doch zum neuen Anstieg führen. Es ist voll Hoffnung.
Das Jahr schloß mit zwei guten Ereignissen. Am Nachmittag kam Koch-Gotha mit seiner Frau. Er trägt jetzt einen kurz gehaltenen Vollbart. Er sah sich interessiert das auf der Staffelei stehende Bild an u. bat mich, ihm mehr zu zeigen. Er war so verständnisvoll, daß ich ihm immer neue Bilder heranholte, sodaß schließlich sämtliche Bilder vor ihm standen, die ich für einigermaßen einwandfrei halte. Er war voller Zustimmung, besonders in Bezug auf meine Behandlung des Lichtproblems, die er bewunderte u. für völlig gelöst erklärte. Es hat mir große Freude gemacht. Wir saßen noch ziemlich lange beim Kaffee zusammen, der ihm auch behagte, da etwas Bohnenkaffee darin war. Er will an die Sektion für bildende Kunst im Kulturbunde schreiben, daß ich von der dummen Jurierung befreit werde. [...]
[1202][1202] Heute ist das Bild fertig geworden, das ich „Apokalyptischer Einbruch“ nennen will. Es ist sehr gut geworden.
Heute hat es neue Lebensmittelkarten gegeben. Gemäß den neuen, sehr verschärften Bestimmungen haben Martha u. ich die Karte für Angestellte bekommen, das ist die vorletzte Stufe. – [...]
[1202][...] [1202] Neuerdings fährt nun wieder ein Post-Autobus von Wustrow nach Ribnitz einmal täglich hin u. zurück. Das ist ein wesentlicher Fortschritt.
Die Russen aus dem Monheim'schen Hause sind gestern abgerückt u. es sieht so aus als ob keine neuen Russen mehr hierher kämen. Sie haben sich vorher bei den Frauen Daschewski verabschiedet, wo sie viel ein u. aus gegangen waren. Sie sind voll Freude gewesen, weil die Moskauer Außenminister-Konferenz so gut verlaufen ist u. es nun, wie sie sagten „keinen Krieg“ gäbe. – Die Ausgeh-Beschränkungen sind nun auch aufgehoben worden, man darf auch in der Nacht auf die Straße gehen. Hoffentlich bewirkt das nicht, daß nun des Nachts eingebrochen wird. – [...]
[1202] Ich habe das neue Bild mit den beiden Erlenbäumen, begonnen. Auch hatte ich das Glück, unter den alten Keilrahmen passende Stücke zu finden, die es mir möglich machen, sowohl das kleine Blumenstück zu malen, zu dem ich am Nachmittag des hl. Abends eine Studie machte, wie auch das Bild mit der Weihnachtskrippe.
Gretl Neumann war gestern bei Martha u. erzählte, daß sie mit ihrer Mutter das Kurhaus wieder einigermaßen in Ordnung bringt, weil sie die Absicht haben, das Haus in diesem Sommer wieder aufzumachen. Ich finde diesen Mut erstaunlich u. er gibt mir selbst neuen Antrieb. Ich kann mir zwar noch nicht denken, woher die Gäste kommen sollen, aber allein die Tatsache, daß jemand diesen Mut hat, ist überaus erfreulich. Wenn Neumanns Gäste hierher bringen können, dann wäre das ja auch für die BuStu. sehr erfreulich. Ich habe eben den Jahresabschluß gemacht. Seit Oktober haben wir einige Tausend Mark zugesetzt, da viel Löhne gezahlt worden sind, aber verkauft ist so gut wie nichts. [...]
[1202][...] [1202] Die Landschaft mit den zwei Erlenbäumen wurde gestern fertig. Es ist ein sehr schönes Bild geworden, das [...]
[1203] Heute habe ich das neue Bild angefangen, die Fortführung des „Melchisedeks“, aber diesmal ganz als Vision.
Von Landrat in Rostock erhielt ich vor einigen Tagen endlich Die Bestätigung, daß ich von den Geschäften des Bürgermeisters frei sei.
Im Monheim'schen Hause sind nun doch wieder neue Russen. Diese Plage hört nicht auf, aber in Wahrheit merkt man wenig von ihnen. [...]
[1203][...] [1203] In der Nacht hatte ich schwer unter Angstzuständen zu leiden wegen des neuen Bildes. Ich habe den Kopf sehr dunkel gemalt, während er in der Untermalung ursprünglich hell war. Aber es hatte mir eben ein dunkler Kopf vorgeschwebt. Schon den Melchisedech wollte ich dunkel malen, doch ist er dann hell geworden. Nun fiel mir in der Nacht ein, daß ich, wenn der Kopf dunkel ist, [1204] das Kopftuch nicht weiß lassen konnte, wenn es nicht ein Negerkopf werden sollte. Also mußte ich das Kopftuch dunkel machen. Aber wie? Grau wäre zu eintönig gewesen u. ich dachte an Rot; aber das wäre eine Farbe gewesen, die von den Malern des 19. Jahrh. für solche Zwecke schon totgehetzt worden ist. Gelb u. Braun wären zu langweilig gewesen, da der Kopf schon stark gelb u. braun ist. Blau wäre zu hintergründig. Es blieb mir Grün, vielleicht Violett, letzteres ebenfalls zu hintergründig. Also Grün? Das erforderte einen ganz anderen Hintergrund. Ich grübelte u. bekam Angst, daß ich dieses Bild nicht malen könnte. Schließlich nahm ich meine Zuflucht zu einem inbrünstigen Gebet, das wohl eine Stunde dauerte. Während dieses Gebetes wurde mir alles klar: Kopftuch grün u. Hintergrund blaugrau, aber links ein fahles Gelb das sich schmal über das Kopftuch hinzieht u. rechts, ebenfalls am Rande des Kopftuches, in ein brandiges Rot ausläuft. – Ich habe heute alles so gemalt u. denke, daß es gut wird. Ich bin erst um 4 Uhr früh zum Schlafen gekommen.
Wir haben dauernd mildes Wetter. Heute u. gestern heizte ich erst um 3 Uhr Nachmittags u. komme so mit einer einzigen Kanne Koks aus für den ganzen Tag.
Da Martha u. ich jetzt nur noch die Lebensmittelkarte für Angestellte haben, kommen wir nicht mit dem Brot aus. Der Kulturbund hat mir mitgeteilt, daß ich Anspruch auf die Arbeiter-Lebensmittelkarte hätte. [...]
[1204][...] [1204] Mein Bild macht sehr langsam Fortschritte. Es ist sehr schwierig, jedoch nicht so, daß ich mich festarbeite, wie das früher in solchen Fällen die Regel war. Ich hoffe, daß ich das Gesicht morgen wenigstens prinzipiell fertig machen kann. [...]
[1204][...] [1204] Vormittags gemalt. Der Kopf ist überaus schwierig, aber es geht langsam vorwärts, ohne daß besondere Probleme der Komposition auftauchen. [...]
[1205][...] [1205] Mein Bild habe ich heute ziemlich fertig gemacht, ich denke, daß ich morgen die letzten Pinselstriche machen werde. Es ist gut geworden, ein alttestamentlicher Prophetenkopf. Das Bild hat mich sechs Tage in Anspruch genommen, weniger, als ich dachte.
Inzwischen habe ich eine allererste, rohe Skizze zu einem Bilde gemacht, das vielleicht eine große Sache werden kann: Christ=König als Richter, Brustbild, aber überlebensgroß. Ich wurde dazu angeregt durch eine Fotopostkarte, die Ruth mir zu Weihnachten schickte. Sie ist das Abbild eines Alabaster-Reliefs aus dem 14. Jahrh., wahrscheinlich englischen Ursprungs, in der Kirche St. Maria zur Wiese in Soest u. stellt die hl. Dreifaltigkeit dar. Gott=Vater, sitzend, hält zwischen den Knieen das Kruzifix mit dem Gekreuzigten, über dem die Taube schwebt. Der Kopf Gott-Vaters mit einer Krone u. geschlossenen Augen u. zum Schwur erhobener rechter Hand während die Linke auf dem Kruzifix ruht, ist von wunderbarer Ruhe u. Majestät.
[1205][1205] Letzte Hand an den Prophetenkopf gelegt. Keilrahmen für drei neue Bilder mit Leinewand bespannt. [...]
[1206][1206] Die Zeichnung zum Christus-Bilde hat mir heute sehr schwere Arbeit gemacht. In größerer Fassung ergab sich, daß die ganze Komposition geändert werden mußte. Ich arbeitete den ganzen Vormittag daran, ohne zu einem Resultat zu kommen u. war schon fast verzweifelt, als dann Mittags endlich die Lösung sich ergab. Um 2 Uhr war ich im Prinzip fertig. Es sind noch Kleinigkeiten zu verbessern, aber im großen Ganzen kann es nun so bleiben. Diese Zeichnung kann nun erst eine ganze Weile stehen bleiben, damit ich sehe, ob sie wirklich stichhaltig ist.
Die kleine Leinewand für das Blumenstück, das ich am hl. Abend, bzw. Nachmittag, gezeichnet habe, habe ich heute grundiert. Ich hatte dafür eben noch Grundierfarbe. Morgen muß ich zu Gräff gehen u. ihn neue Grundierfarbe machen lassen. Hoffentlich hat er noch Tafelleim, sonst bin ich aufgeschmissen. Ich werde an Kausels schreiben, die vielleicht noch Tafelleim haben, aber bis ich ihn bekomme, vergehen 3 – 4 Wochen. [...]
[1207][1207] Vom Kulturbunde bekam ich die Nachricht, daß ich nun endlich in die Sektion für bildende Kunst aufgenommen worden bin, ohne mich vorher der Jury zu unterwerfen. [...]
[1208][...] [1208] Deutschmann war bei mir u. bat mich um Bestätigung, daß er mir persönlich, wie auch der BuStu. wiederholt gegen die Nazis geholfen hat. Ich werde ihm diese Bestätigung sehr gern geben. [...]
[1209][1209] Vormittags war Koch-Gotha da. Das kleine Blumenstück war eben grade fertig bis auf einige letzte Pinselstriche. Koch-Gotha war überrascht u. sehr entzückt von diesem kleinen Bilde, das tatsächlich sehr schön geworden ist, vor allem sitzt es räumlich ausgezeichnet. – Ich zeigte ihm die anderen neuen Bilder: den „Apokalyptischen Einbruch“, die „Erlenlandschaft“ u. den „Propheten“. Besonders die Erlenlandschaft gefiel ihm wegen der Luft, die in diesem Bilde ist, aber auch der Prophet fand seinen Beifall, worüber ich überrascht war. Ich glaubte, daß er dieses Bild ablehnen würde. Ich zeigte ihm dann auch die Bleistiftskizze für den Christkönig. Das Bild machte auf ihn einen sehr starken Eindruck, er meinte, daß dies ein sehr großes Bild werden könnte. Ich hatte große Freude über die Anerkennung dieses Naturalisten, der ja über eine große Urteilsfähigkeit verfügt. Er erzählte mir übrigens, daß er vor 20 Jahren einmal eines meiner völlig abstrakten Bilder gesehen habe, welches einen so starken Eindruck bei ihm hinterlassen hätte, daß er dieses Bild heute noch deutlich vor sich sähe, obwohl er es, wie er zugab, nicht verstanden hätte. [...]
[1210][1210] Ich glaube, daß dies der beste 29. Januar gewesen ist, den Martha u. ich in diesen 25 Jahren, seitdem wir uns nun kennen, gefeiert haben.
Gleich zum Frühstück trug uns unsere Trude ein Frühstück auf mit Bohnenkaffee, Butter u. für jeden ein Ei. Wir frühstückten im Atelier in der warmen Ecke bei der Heizung. Draußen war Tauwetter eingetreten u. es war warm im Haus. Nach dem Frühstück rauchte ich eine von den Weihnachts-Zigarren von Fritz. Obwohl Martha eine schlechte Nacht gehabt hatte, wurde sie während des Frühstücks zusehends besser. [...]
[1210] Mittags setzte uns Trude wieder ein fabelhaftes Essen hin mit Hirschfleisch, welches wir von Margot Seeberg für Schnaps bekommen hatten u. das Margot S. von den Russen erhalten hatte. [1211] Dazu gab es grüne Erbsen aus einer Büchse u. nachher einen großartigen Flammerie mit Kirschsaft. Am Nachmittag tranken wir mit Trude u. Frl. v. Tigerström Kaffee mit Kuchen, den ebenfalls wieder Trude gebacken hatte. Abends aßen wir dann nur noch einige belegte Brote, die Trude uns zurechtgemacht hatte u. hinterher aßen wir den Rest des Kaffeekuchens auf u. tranken dazu eine Flasche Pommery. Wir ließen die Vergangenheit an uns vorbeiziehen, gedachten der Kinder u. waren voll Dankbarkeit gegen Gott. Morgen um 11 Uhr kommt P. Drost u. liest bei uns eine hl. Messe. – Schöner konnte es nicht sein. –
Nachmittags gegen 4 Uhr gab es eine gewaltige Explosion, bei der das Haus schwankte. In der Gegend des Hohen Ufers stiegen riesige Rauchwolken auf, Frau Dr. Meyer, deren Mann hier grade gegen Typhus impfte, war bei Martha u. erzählte, daß zwei russ. Soldaten mit irgend welchen Sprengkörpern, die sie am Hohen Ufer gefunden hatten, gespielt hätten. Das Ding ist krepiert. Den einen Soldaten hat man als Leiche gefunden, der andere scheint mit in die Luft gegangen zu sein. – [...]
Februar 1946
Bearbeiten[...] [1302] Vom Kulturbund erhielt ich heute unaufgefordert eine Bescheinigung, daß ich ein anerkannter Künster sei u. mir die Lebensmittelkarte für Arbeiter zustehe. Nun sind aber heute hier bereits die Lebensmittelkarten ausgegeben worden u. ich habe wieder bloß die Angestelltenkarte bekommen. Hoffentlich läßt sich dieselbe morgen noch umtauschen. Es wäre das um so erwünschter, da uns heute ein neues Brot aus der Brottrommel in der Küche gestohlen worden ist, unmittelbar nachdem Trude das Brot vom Bäcker geholt hatte. [...]
[1302] Ferner schrieb mir der Geschäftsführer der Sektion für bild. Kunst, daß er hoffe, Mitte Februar mit Erichson zusammen auf das Fischland zu kommen, um die Kollegen hier kennen zu lernen u. ihnen einen Bericht über die bisherigen Arbeiten u. Pläne der Sektion zu geben. Er wird den „Kunsthändler der Sektion, Herrn Weiß“, mitbringen. Er bittet mich, hierfür die Vorbereitungen zu treffen, wie auch dafür, daß einer der Kollegen den Schriftverkehr mit der Sektion u. die laufende Unterrichtung der Kollegen übernimmt. Der Mann denkt sich das sehr einfach, aber die räumliche Ausdehnung von Wustrow bis hierher ist beträchtlich. [...]
[1302][...] [1302] Nachmittags kamen Marthas Mitarbeiterinnen, u. wollten etwas über moderne Malerei hören. Ich zeigte ihnen einige Bilder u. hielt ihnen einen Vortrag, der anscheinend gut aufgenommen worden ist, obgleich ich nicht recht wußte, was ich sagen sollte u. mich schrecklich quälte. Alle versicherten, daß sie verstanden hätten. Ob es wahr ist, weiß ich nicht. – [...]
[1303][1303] Nachmittags bei Koch-Gotha. Ueberaus morastiger Weg, der besonders auf dem Rückwege schlimm war, da es inzwischen dunkel geworden war u. zu regnen angefangen hatte.
Das Haus liegt am Bodden unmittelbar hinter dem Deich, von dem es nur durch einen schmalen Weg getrennt ist. Koch-Gothas Arbeitszimmer liegt rechts vom Hauseingang u. hat ein Fenster nach Osten zum Deich, der den Blick auf den Bodden versperrt, u. zwei Fenster nach Süden. Das Zimmer ist nur klein, aber wohl das größte in dem kleinen ehemaligen Fischerkaten, der so tief liegt, daß er eben noch mit knapper Not über dem Spiegel der jetzt überschwemmten Wiesen liegt. Außerdem ist das Zimmer sehr voll. Eine sehr große Zeichenplatte nimmt den Hauptplatz ein. Sodann steht ein sehr hübsch bemalter, alter Bauernschrank dort, sowie Regale, kleinere Behälter, Stühle u. eine Staffelei. Es bleibt nicht viel Raum, um sich zu bewegen.
Koch-Gotha zeigte bereitwilligst seine zahlreichen Zeichnungen, die den Rest eines großen Reichtums bilden, der in Berlin verbrannt ist. Er hat dort sehr viel verloren, denn er besaß dort ein großes Bilderarchiv, das er für seine Illustrationen sehr brauchte. Er zeigte einige frühe Zeichnungen aus dem Jahre 1896, dem Jahre, als ich ins Kadettencorps kam u. ich 10 Jahre alt war. Schon damals waren es Zeichnungen von Soldaten im Manöver, noch ungeschickt, aber doch schon seine spätere Art erkennen lassend. Er zeigte alles, was er hatte, wobei sehr schöne Sachen waren, vor allem eine Scene aus einem Berliner Karneval. Die Zeichnung zeigt die Brüstung einer Loge, in der ganz am Rande rechts u. links ein Herr u. eine Dame sitzen, bereits reichlich betrunken, albern kostümiert, blöde u. bösartig, entsetzlich gelangweilt. Auf dem Tisch zwischen den beiden steht eine Batterie von Sektflaschen, zwei oder drei Luftballons schweben darüber u. dahinter im Hintergrunde zwei betrunkene ältere Herren, wohl die Väter, die eifrig über das Geschäft sprechen. Dieses Blatt ist von sehr großer Schönheit.
Ferner gefielen mir Blätter aus Paris, französische Kürassiere in ihren weißen Mänteln, die aus der nächtlichen Dunkelheit herangeritten kommen an ein nicht sichtbares Lagerfeuer, u. wieder im Dunklen verschwinden. Solche nächtliche Bilder waren mehrere da, überaus eindrucksvoll. Daneben auch Landschaften hier aus der Gegend, auch aus Polen vom 1. Weltkriege her, u. einzelne überaus zarte u. feine Pflanzen-Zeichnungen, in Aquarellfarben. Es war recht interessant. Sehr hat mir imponiert, wie all diese Zeichnungen in tadellosen Passepartouts waren, sehr sauber mit schwarzen Strichen eingerahmt, zuweilen auch mit schmalen Streifen von Gold-oder Silberpapier. Ich müßte das gelegentlich mit meinen Zeichnungen auch so machen.
Koch-Gotha erzählte, daß in diesen Tagen der Kommandant von Ribnitz im Auto bei Prof. Marks vorgefahren sei u. ihm ein Atelier in Ribnitz angeboten habe. Marks habe gesagt, er wolle lieber in Althagen wohnen bleiben, da sonst sein Haus beschlagnahmt werden würde für Flüchtlinge. Darauf habe der Kommandant gesagt, Marks könne doch seine Schwester aus Lübeck kommen lassen u. in das Haus setzen. Der Kommandant [1304] habe Marks dann noch eine große Wurst u. a. Lebensmittel geschenkt. – Wie kommt der Kommandant dazu? u. woher weiß er, daß Marks eine Schwester in Lübeck hat? Es handelt sich offensichtlich darum, daß Marks einen Ruf nach Hamburg erhalten hat u. die Russen wollen nun verhindern, daß er dorthin geht, teils, weil sie nicht wollen, daß ein namhafter Künstler aus ihrer Zone fortgeht zu den Engländern. Sie sind sehr eitel u. fürchten, daß sie in den Ruf der Kulturlosigkeit kommen, wenn namhafte Künstler abwandern, aber bis dahin haben sie sich um Marks nicht gekümmert u. garnichts von ihm gewußt. [...]
[1304] Von der Gemeinde habe ich nun doch noch eine Arbeiter-Lebensmittelkarte bekommen. [...]
[1305][...] [1305] Heute wurde mir erzählt, daß Herr v. Achenbach sich auf einer Versammlung der 3 oder 4 Kommunisten, oder vielmehr: Kommunistinnen, in Ahrenshoop u. Althagen über mich geäußert hat: ich hätte in meiner Bürgermeisterzeit die Nationalsozialisten begünstigt. Nach u. nach erkenne ich mehr u. mehr, wes Geistes Kind dieser Herr ist, von dem mir der kranke Herr Glaeser, den ich heute besuchte, sagte, daß er ihm 26,– Rm. für erteilten russischen Unterricht schulde. Er ist jetzt in Rostock Geschäftsführer des Kulturbundes geworden u. hat sich nach dort begeben, jedoch ist seine Familie nach wie vor hier. [...]
[1306][1306] Gestern Abend fand die übliche Winter-Einladung zu Neumanns statt. Es gab gebackene Leber mit Kartoffelsalat, nachher eine vorzügliche Apfelspeise, alles in den gewohnten Massen. Neumanns sind eifrig beim Herrichten dessen, was noch übrig geblieben ist vom Kurhause u. hoffen auf den sommerlichen Besuch von einigen ihrer treuesten Gäste. Falls sich die Verhältnisse bis dahin etwas ändern, mag diese Hoffnung sich erfüllen, aber so lange die Russen hier sind, kann ich es mir nicht vorstellen. [...]
[1307][1307] Heute den Christus-König angelegt, sehr monumental. Nachmittags Unterweisung an Herrn Schwertfeger, Frl. v. Tigerström, Frl. Müller u. die Tochter Stricker, die alle sich in künstlerischer Produktion versuchen wollen. Herr Schwertfeger hat mit dem Taschenmesser einen Holzschnitt gemacht, der zweifellos Begabung zeigt. Die Tochter Stricker hat ein sehr hübsches Märchen geschrieben „Die Darssmuhme“ u. Frl. v. T. hat nette Zeichnungen dazu gemacht. Frl. Müller macht recht beachtliche Puppen.
Ich habe mir mein Buch „Wehe uns Gottlosen“ wieder vorgenommen, um Korrekturen vorzunehmen. Man kann nun ja daran denken, dieses Buch herauszugeben. [...]
[1308][1308] Dora Oberländer war in Rostock beim Kulturbund. Herr Kreuzberg, der Geschäftsführer der Sektion für bild. Kunst, läßt mich bitten, hier den Verbindungsmann für das Fischland zu machen. [...]
[1308][1308] Das Christkönigsbild begonnen, es scheint sich sehr leicht zu malen, da es im Entwurf sehr durchgearbeitet u. in seinen Formen überaus einfach ist.
Nachmittags habe ich angefangen, für meine alten Zeichnungen Passepartouts anzufertigen. Ich sah das neulich bei Koch-Gotha, der alle seine Zeichnungen, auch gewöhnliche, flüchtige Skizzen, sauber in Passepartouts geheftet hat. Durch diese Aufmachung sieht solch eine Zeichnung gleich ganz anders aus. Meine Landschafts-Zeichnungen, Porträts u. auch Bildentwürfe werde ich alle so aufziehen, sie werden dadurch verkäuflich u. sehen sehr kostbar aus, außerdem hat man dann immer etwas, um Gelegenheits-Ausstellungen zu beschicken. Leider habe ich nicht genug Kartons u. überhaupt keine Pappen für die Rückwände.
Heute hatten wir den ganzen Tag über Licht.
An Kreuzberg geschrieben, daß ich die Vermittlung zwischen der Sektion für bild. Kunst u. den hiesigen Kollegen übernehmen will.
Dr. Krappmann bittet mich um eine Bescheinigung, daß er in der Zeit von 1939 – 1945 kein Nazi war. Er hat Aussicht, in Schweinfurt eine Anstellung als Studienrat zu erhalten.
[1309][...] [1309] Später kam Koch-Gotha dazu, der mit großem Interesse das neue Krippenbild betrachtete u. dem ich dann auch das Christusbild zeigte, das einen starken Eindruck auf ihn machte. Martha kam dann u. zeigte ihm auch das Märchenbuch u. das Fischlandspiel, das die Damen in der BuStu. zur Zt. machen. Er kaufte gleich von beiden je ein Exemplar. [...]
[1309][...] [1309] Wir bekamen zwei Zentner Steinkohlen gegen Wolle u. hatten heute ein schön warmes Haus. Schütz hat uns seit langem Koks versprochen u. hat dafür von uns zwei Paar Schuhe bekommen, aber den Koks hat er immer noch nicht geliefert. [...]
[1310][...] [1311] Es ist noch einmal Winter geworden. Es liegt Schnee u. wir haben jetzt am Nachmittag 4° Kälte. Es ist kälter, als es heute früh war.
Man hört von verschiedenen Seiten, daß beschlossen worden sei, Ahrenshoop auch in Zukunft nicht mit Flüchtlingen zu belegen, sondern vielmehr möglichst bald wieder für den Badebetrieb frei zu machen u. vor allem als Künstlerort zu bevorzugen. Wenn sich das bewahrheiten sollte, wäre das freilich ein bedeutender Hoffnungsschimmer. Wenn auch nur wenig Sommergäste kommen werden, würde das doch für uns von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein. Ich würde dann meine Bilder in der BuStu. ausstellen. [...]
[1312][1312] Bei dem gestrigen Unwetter, das auch heute morgen noch einigermaßen anhielt, ist ein Dampfer, der von Wilhelmshaven nach Warnemünde unterwegs war, gescheitert. Die elf Mann starke Besatzung gelangte mit einem Rettungsboot an unseren Strand, total durchnäßt u. durchgefroren, u. wurden gleich von den Russen in Verwahrung genommen. Im Dorfe wurde eine Sammlung von warmer Unterwäsche gemacht. Seit Mittag hat sich der Sturm gelegt, aber es ist sehr kalt. Das Licht, das gestern nicht funktionierte, ist heute wieder in Ordnung, nur der Kraftstrom funktioniert nicht. [...]
[1313][...] [1313] Es erschienen dann drei fremde Herren, d.h. den einen von ihnen kannte ich, es war der Maler Schmidt-Detloff aus Rostock. Die beiden anderen entpuppten sich als der Geschäftsführer der Sektion f. bild. Kunst im Kulturbunde, Herr Kreuzberg u. als der sog. Kunsthändler des Sektion, Herr Weiß. Letzterer könnte ebensogut ein Geschäft für Büromöbel oder sonst etwas haben, man sieht ihm an, daß er von Kunst nicht viel versteht, aber er macht den Eindruck eines gutmütigen u. anständigen Kerls. Herr Kreuzberg dagegen sieht vorzüglich aus. Er ist ein feiner, bescheidener u. intelligenter Mensch mit guten Manieren, er mag etwas über 30 Jahre alt sein, ungemein sympatisch.
Die Herren sahen sich also meine Bilder an. Herr Weiß war sprachlos u. verstand nichts, um so entzückter waren die beiden anderen Herren. Herr Weiß gab sich rührend Mühe, irgendetwas zu verstehen u. bat mich um Hilfe, die ich ihm gab so gut ich konnte. Allmählich wurde er immer lebendiger, was sich dann noch erheblich steigerte, als ich meine Zeichnungen zeigte, die in ihren Passepartouts wirklich einen sehr guten Eindruck machen. Schließlich war Herr Weiß so begeistert, daß er am liebsten gleich sämtliche Bilder mitgenommen hätte. Er bot mir an, in der ständigen Kunstausstellung der Sektion ein besonderes Zimmer für mich einzurichten u. dort nur ausschließlich meine Bilder zu zeigen. Ich sagte ihm, daß ich daran kein Interesse hätte, ich wollte meine Bilder zurückhalten, bis ich einmal Gelegenheit haben würde, in einer geschlossenen Sonderausstellung groß herauszukommen. Da er aber nicht aufhörte zu bitten, gab ich nach u. versprach, ihm drei bis vier Bilder zu überlassen. Es ist ja möglich, daß sich auf diese Art die von mir erstrebte Sonderausstellung einmal verwirklichen läßt. Vorerst gab ich ihm zehn Zeichnungen mit, die er zunächst
März 1946
Bearbeiten[...] [1401] Gestern sandte uns Schütz endlich 5 Centner Koks. [...]
[1402][1402] Gestern am Abend kam Margot Seeberg mit ihrem Sohn Ando, der jetzt in Göttingen Medizin studiert. Frau S. war in Bln. gewesen u. hatte mit Jesuiten u. a. kathol. Geistlichen gesprochen, die alle dasselbe gesagt haben, was sich auch mir mehr u. mehr aufdrängt, nämlich daß wir hier östlich der Elbe uns allmählich auf Rußland einstellen müssen, wenn wir überhaupt weiter leben wollen. Ando berichtete aus Göttingen, wo an der Universität voller Betrieb ist. Göttingen liegt in der englischen Zone. – Frau S. erzählte, die Berliner Geistlichen hätten gesagt, daß eine Annäherung an Rußland sehr schwer sei, erstens, weil wir Deutschen alle kein Russisch können u. eine private Aussprache deshalb nicht möglich ist, u. zweitens, weil die Russen von den Engländern u. Amerikanern geschnitten werden. Man kann sie nicht zusammen einladen, wo Russen sind, gehen die Engländer u. Amerikaner nicht hin. Aber sie meinte, daß es in Berlin unter den Russen doch viele gebildete [1403] Leute gäbe. Wir hier laufen Gefahr, alle Russen nach dem Niveau unserer drittklassigen Infanteristen zu beurteilen, die unsere Besatzung hier sind. [...]
[1404][...] [1404] In der Zeitung große Erregung über eine Rede Churchills, die dieser in Fulton USA. gehalten hat u. die eine heftige Abneigung gegen Rußland nicht verbirgt. Unsere russische Tägl. Rundschau speit Gift u. Galle, der Tagesspiegel bespricht sie sachlich u. bringt auch positive Pressestimmen. Die Rede beweist, daß ich Recht habe, wenn ich meine, daß ein Krieg über kurz oder lang unvermeidlich ist. Diese Rede hat das russische Mißtrauen überaus vertieft. [...]
[1405][...] [1406] Justus Schmitt schreibt in dem Brf. v. 19.3., den ich vorgestern erhielt, über die Lage im Kunstmarkt. Er schreibt, die Preise seien rückläufig, weil das Geld langsam knapp wird. Das wäre ja sehr begrüßenswert. Die Ausländer interessieren sich nur für alte Kunst internationaler Geltung. Der Markt ist überschwemmt von modernen Durchschnittsbildern u. die schwer verkäuflich sind. Aber auch wirklich fortschrittliche Künstler werden von der Presse bekämpft, sie finden höchstens Anklang bei einigen Engländern u. Amerikanern. Nur die Galerie Rosen fördert moderne Künstler, aber wohl ohne Erfolg, u. der Tagesspiegel gibt sich Mühe, den fortschrittlichen Künstlern die Wege zu ebenen. Die Künstler selbst, schreibt Schmitt, sind sehr vorsichtig u. unentschlossen. Es ist wohl nur der Kreis um die Galerie Rosen, der etwas riskiert. Carl Hofer gilt zwar als Name viel, aber selbst er scheint nicht viel zu erreichen. Es scheint, daß eben das Publikum selbst sehr böswillig ist, es hat anscheinend nicht die Absicht, sich von der nationalsoz. Erbschaft des Banausentums zu trennen, so wie es ja auch am Antisemitismus festhält. Es ist also die Situation auf dem Kunstmarkt z. Zt. überaus schlecht. Schmitt möchte gern Fotos meiner Bilder haben, weil er hofft, damit Vorarbeit leisten zu können, für eine spätere Ausstellung, – aber ich sehe das wenig hoffnungsvoll. Dazu muß man wohl noch warten, die Zeit ist noch nicht reif. [...]
April 1946
Bearbeiten[1501] Gestern war Frau v. Achenbach bei Martha in der Absicht, mich zu überreden, daß ich hier im Ort eine Ortsgruppe des Kulturbundes gründen möchte. Es soll sich darum handeln, daß Ahrenshoop als Erholungsort für bildende Künstler ausersehen sein soll u. dazu sei notwendig, daß hier eine Ortsgruppe des Kulturbundes besteht. Frau v. A. hat gesagt, daß ihr Mann heute hierher käme u. mit mir die Angelegenheit besprechen wolle. Martha hat aber sehr abgewinkt mit dem Hinweis auf meine Erkrankung. Außerdem hat sie bezweifelt, daß Herr v. A. zu mir kommen würde, doch soll Frau v. A. dem heftig widersprochen haben. Tatsächlich soll ja heute im Kurhause auch eine Werbe-Veranstaltung des Kulturbundes stattfinden. Herr v. A. ist aber heute Vormittag zweimal mit seiner Frau an meinem Hause vorbeigekommen, ohne hereingekommen zu sein. Ich hätte ihn auch unter keinen Umständen empfangen. Ich weiß nicht, was dieser Mensch will. Er boykottiert mich in beleidigender Weise, – u. nun soll ich ihm helfen. Ich denke garnicht daran. – [...]
[1501] Ueber die sog. Werbe-Veranstaltung des Kulturbundes im Kurhause ist übrigens nirgends etwas zu erfahren, auch am Schwarzen Brett ist nichts angeschlagen. Die ganze Geschichte scheint eine Schaumschlägerei zu sein. [...]
[1502][...] [1502] Herr v. Achenbach ist gestern nicht gekommen. Ich habe auch sonst nicht gehört, was aus dieser Kulturbund-Angelegenheit geworden ist. Es ist wohl alles nur Geschwätz u. Wichtigtuerei. [...]
[1503][...] [1503] [...]
[1504][...] [1505] Es geht ein Gerücht von Frau Partikel aus, daß der Rostocker Kulturbund eine Ausstellung in Berlin plant. Ich bekam heute die übliche monatliche Bescheinigung von dort über die Gruppe der mir zustehenden Lebensmittel=Karte u. stellte zu meiner Freude fest, daß man mich als „besonders namhaften Künstler“ in die höhere Gruppe eingewiesen hat, sodaß ich nun die Karte für Schwerarbeiter erhalte. Es ist das besonders nett, weil ich selbst nichts dazu getan habe, es zeigt, daß man mich in Rostock jetzt schätzt. [...]
[1506][...] [1506] Leider mußte ich feststellen, daß die Einstufung in die höhere Lebensmittelkarten-Stufe durchaus nicht, wie mir meine Eitelkeit vormachen wollte, eine Anerkenntnis meiner Leistung seitens des Kulturbundes ist, denn Frau Oberländer u. Frau Dross sind ebenfalls in eine höhere Stufe gekommen. Es handelt sich also um eine generelle Regelung, wobei es einigermaßen beschämend ist, daß diese Frau Dross als „besonders namhaft“ gleich mir, amtlich bestätigt ist, – [...]
[1506] Gestern Abend waren noch die beiden Schwestern Frau Masurek u. Frau Ranke da u. besahen meine Bilder, von denen sie sehr entzückt waren. Ich glaube, daß es überhaupt am besten ist, wenn ich meine Bilder nur hier solchen Leuten zeige, die sie sehen wollen u. auf jede Ausstellung verzichte. Ich lese ja fast täglich in Zeitungen u. Zeitschriften, wie sich diese alle erdenkliche Mühe geben, dem Publikum moderne Kunst näher zu bringen, aber das von den Nazis in 12 Jahren hochgezüchtete Banausentum ist so groß, daß ein Kampf dagegen einstweilen hoffnungslos erscheint. [...]
[1506][...] [1506] Am Sonnabend erhielt ich ein Telegramm vom Kulturbund in Rostock, ich möchte veranlassen, daß für eine graphische Wanderausstellung, die am 19. Mai beginnen soll, Arbeiten in Nordens Hotel in Wustrow bereit gestellt werden sollen zur Abholung nach Rostock. Ich habe Frl. v. Tigerström, die am Sonntag so wie so nach Wustrow ging, mit dieser Sache beauftragt. Hier in Ahrenshoop kommt nur Frau Dora Oberländer u. die unmögliche Frau Dross in Betracht, aber beide wollen nicht mitmachen. Koch-Gotha u. Marks in Althagen machen gleichfalls nicht mit. In Wustrow will sich Frau Woermann beteiligen u. vielleicht Herr Holst u. seine Frau Sommer. Das Ergebnis ist also sehr dürftig u. es wird sich kaum lohnen. Ich [...] [1507] habe Herrn Schwertfeger, der heute nach Rostock zum Studium zurückkehrt, nachdem die Osterferien vorbei sind, einen Brief für den Kulturbund mitgegeben u. habe anheim gestellt, von meinen Zeichnungen, die in der sogenannten Kunsthandlung Krüger u. Weiß sind, geeignete Blätter für diese Ausstellung auszuwählen. Im übrigen habe ich darum gebeten, die restlichen Zeichnungen nun endlich an mich zurück zu senden. Die Verhältnisse dort im Kulturbund scheinen sehr fragwürdig zu sein. Herr Schwertfeger erzählt mir, daß Herr Weiß sehr unfreundlich gewesen sei, als Herr Sch. das letzte Mal dort war u. sich geäußert haben soll, daß er kein Interesse an meinen Bildern hätte. Es scheint, daß es besser ist, sich an den Dingen des Kulturbundes nicht mehr zu beteiligen, offenbar fehlt da der Zusammenhalt. Besonders dieser sogenannte Kunsthändler, Herr Weiß, ist offensichtlich ein robuster Geschäftemacher, mit dem man besser nichts zu tun hat. Diejenigen Rostocker Künstler wie Schmidt-Detloff, die etwas auf sich halten, sind mit Herrn Weiß bereits zusammengeraten wegen seiner raffigen Geschäftemacherei u. auch der sympatische Herr Kreuzberg unterschreibt keine Briefe mehr, sodaß ich annehme, daß er sich ebenfalls zurückgezogen hat. –
Am Sonnabend kam der junge Fritz Oehmke, um sich von mir eine Bescheinigung geben zu lassen, daß er zwar PG. gewesen sei, sich aber nicht aktiv beteiligt hat. Ich gab sie ihm, obgleich ich Bedenken hatte, denn ich habe doch früher gehört, daß er sich zum Leidwesen seines Vaters als ziemlich eifriger Nazi aufgeführt hat. Aber jetzt beteuern alle diese Leute, daß sie nie Nazi gewesen sind. Trotzdem halte ich es für praktischer, diese Leute zu „Entnazifizieren“, wie der Fachausdruck lautet, damit sie nicht ausgeschaltet werden, sondern mitarbeiten. Wir können es uns nicht leisten, all diese vielen Menschen aus der Arbeit auszuschalten mit Ausnahme natürlich derer, die in führenden Stellungen sind u. da Unfug anrichten können. Es ist übrigens typisch, daß der junge Oehmke in die CDU. eintreten will. Wieder einer, der vom Christentum nicht mehr als den Namen kennt. [...]
Mai 1946
Bearbeiten[...] [1602] Es waren heute mehrere Herren vom Kulturbund aus Rostock hier mit zwei Autos, natürlich Herr v. Achenbach u. ein evang. Pastor Kleinschmidt mit seiner Frau, der sich im Kulturbund oft aufspielt u. sich den Anschein gibt, Kommunist zu sein. Ich kenne ihn persönlich nicht. Frau Dross ist zu Herrn v. A. gegangen, als sie hörte, daß er hier wäre, um sich zu beklagen, daß ein Bild von ihr auf dem Transport vom Kulturbunde nach hier verloren gegangen sei. Frau v. A. hat versucht, der Frau Dross den Eintritt zu verwehren, da die Herren angeblich eine sehr wichtige Konferenz hätten, aber impertinent wie Frau D. ist, hat sie sich nicht abspeisen lassen u. hat wenigstens festgestellt, daß alle Herren zu einem üppigen Mahle versammelt waren, dessen Duft ohnedies das ganze Haus erfüllte, daß es Alkohol u. Cigarren gab u. daß alle sehr fröhlich waren. Ich glaube es schon. Diese Herren leben allesamt einen sehr guten Tag u. essen auf, was anderen entzogen wird. Kommunismus! – Aber ich denke, daß diesen Herrn v. A. sein Schicksal wohl bald erreichen wird, denn er hat wegen seiner eitlen Arroganz [1603] jetzt schon viele Feinde in Rostock. Gegen 6 Uhr sah ich den Herren abfahren in zwei Autos, einer großen Limousine für 6 Personen u. einem kleinen Wagen für 2 Personen, in dem eine Dame saß. Es wird wohl das Auto des Herrn Pastor Kleinschmidt, des Kommunisten, gewesen sein. Alle diese Leute leben von den Steuern der Mitbürger u. den Mitgliedsbeiträgen des Kulturbundes einen guten Tag, indessen das Volk hungert. Ich werde mich hüten, mit diesen Leuten etwas zu tun zu haben.
Abends war noch Ilse Schuster da u. sah meine Bilder an. Sie war der Meinung, daß meine Bilder das größte Interesse der Kunstkreise in Magdeburg finden würden u. sie will dort entsprechend berichten. Aber was werden in Magdeburg schon für Kunstkreise sein? Vielleicht fünf oder sechs anständige Maler, – wenn es hoch kommt! – Ich sagte ihr, daß ich vorerst kein sehr großes Interesse an einer Ausstellung hätte. Dieser ganze Betrieb ist nicht sehr einladend. – Immerhin scheint der Kulturbund nach dem, was Ilse Schuster berichtet, in Magdeburg nicht so korrupt zu sein wie in Rostock, wo die Korruption unter der Leitung des Herrn v. Achenbach sehr bald beträchtliche Ausmaße annehmen dürfte. [...]
[1603][...] [1603] Gegen Abend kam Herr Kreuzberg, der allein hier ist u. bei Achenbach wohnt. Er will zwei Tage hier aquarellieren. Er ist doch noch Geschäftsführer der Sektion; aber die Situation ist schwierig u. mit viel Aerger verbunden. Er ist ein sehr zurückhaltender Mensch u. erzählt nicht viel, sodaß man die Dinge mehr erraten muß. Vielleicht wird er morgen nach dem Abendessen noch einmal kommen u. dann vielleicht etwas mehr auftauen
[1603][...] [1604] Gestern Abend war Herr Kreuzberg bei uns. Er berichtete, daß die Idee, Ahrenshoop zum Kurort der Kulturbundes zu machen, von der Reichsleitung des Kulturbundes in Berlin ausgeht. Es wird heute im Dorfe erzählt, daß in den nächsten Tagen der Präsident der Landesverwaltung Högner u. a. hohe Regierungsleute höchstpersönlich herkommen sollen, um Ahrenshoop zu besichtigen. – Sonst ist Herr K. ein sehr vorsichtiger Mann, der nur das beantwortet, was man ihn fragt, was nicht grade sehr unterhaltsam ist. Etwas Neues wußte er nicht mitzuteilen. [...]
[1604][1604] Am Freitag fuhr Martha mit dem Lastauto von Litzau nach Rostock, um im Wirtschaftsamt vorzusprechen u. sich sonst zu orientieren. Sie kam erst abends gegen 8 Uhr zurück. Herr Kreuzberg fuhr mit demselben Auto zurück. Martha hatte denselben Eindruck wie ich, daß Herr Kreuzberg umgefallen ist. Als er das erste Mal hier war, äußerte er sich sehr kritisch über Herrn v. Achenbach, aber jetzt wohnte er in dessen Hause u. es schien mir so, als nähme er für ihn Partei. Auch politisch scheint er sehr für die Russen zu sein, möglicherweise ist er gar Kommunist, mindestens aber in der neuen Einheitspartei. Es scheint mir, als wäre da Vorsicht am Platze. [...]
[1604] Von Frau Knecht bekam ich einen blühenden Zweig geschenkt, sie hatte einen ganzen Arm davon voll. Es ist eine satt-rosa Blüte, ich vermute, daß es eine Art Zierpflaume ist. Bei Reinmöller gibt es davon viele Büsche. Ich machte gleich eine Zeichnung davon. Diese ist völlig abstrakt. Es scheint, als wenn meine Malerei, wenn es sich um Blumen handelt, ganz von [1605] immer entschiedener sich zum Abstrakten hinwendet. Anders ist auch die Fortführung der natürlichen Wirklichkeit zur reinen Idee der Dinge nicht zu erreichen. Ich bin mir klar darüber, daß ich mir auf diese Weise den Weg zum Verständnis in breiteren Schichten völlig verbaue, aber ich kann mich deshalb nicht abhalten lassen. Ich sehe, daß es keinen anderen Weg gibt, um das auszudrücken, was ich meine, u. daß dieser Weg richtig ist. Das Bild, das ich auf diese Weise mache, ist zwar bestimmt kein Bild dessen, was Gott eigentlich gedacht hat, als er das Ding schuf u. zu dem das Ding hinstrebt; aber mein Bild liegt doch bestimmt auf dieser Linie insofern, als es die rohe Malerei überwindet u. von der Vielheit der Formen zur Einheit strebt. Mögen die Menschen das nun verstehen oder nicht, es soll mir gleich sein.
[1605] Man hört heute, daß gestern im Kurhause die maßgebenden Leute versammelt waren, die die Vorbereitungen zu treffen haben, um Ahrenshoop zum Erholungsort für geistig Schaffende zu machen. Es soll auch der Herr „Oberregierungsrat“ Venzmer aus Schwerin dagewesen sein. Diese Sache gewinnt also offenbar Gestalt. [1605] Heute wurde mein Bild der Himmelskönigin fertig, – eigentlich ganz überraschend.
[1606][...] [1607] Das Narzissenbild ist nicht leicht. Es geht nur langsam damit voran. Gestern u. heute habe ich nur an dem Tisch gemalt, auf dem die Vase steht u. an der Vase selbst, aber ich bin noch nicht zufrieden.
Gestern zeigte ich Fritz sämtliche Bilder, die ich seit 1944 gemalt habe u. von denen er ja noch keines gesehen hatte. Sie machten starken Eindruck auf ihn. Es war natürlich zu viel u. zu neu, als daß er eine richtige Stellung dazu finden konnte, – das muß erst nach u. nach kommen. Ich möchte, daß er einige der Bilder photographiert, damit ich damit etwas machen kann. Ich denke daran, Redslob zu interessieren u. dazu brauche ich Fotos. [...]
[1608][1608] Gestern das kleine Bild mit den gelben Narzissen fertig gemalt. Es ist sehr abstrakt, jedoch hat man doch noch den Eindruck eines Tisches, auf dem eine Vase mit gelben Blumengebilden steht, nur daß es Narzissen sind, erkennt man nicht mehr. Es ist aber sehr durchgearbeitet, der Hintergrund geht ganz in der Komposition auf. Auch farbig ist es sehr warm in gelben u. rotbraunen Tönen.
Ich versehe meine Zeichnungen, die nun alle in Passepartouts sind, mit farbigen, schmalen Leisten als Rähmchen an der Innenkante der Passepartouts, wie ich es bei Koch-Gotha gesehen habe, wodurch die Zeichnungen ein sehr schönes Ansehen bekommen. Ich werde diese Zeichnungen im Sommer in der BuStu. ausstellen, nachdem nun wirklich feststeht, daß Ahrenshoop Kurort für Künstler u. andere Kulturschaffende werden soll. Es heißt, daß die ersten Gäste ab 1. Juni erwartet werden sollen, u. zwar auch aus den westlichen Zonen. Die Sache wird anscheinend groß aufgezogen. Es ist sogar ein Kurdirektor eingesetzt worden in Person des Herrn Michelsen aus Ribnitz, eines sehr sympatischen Mannes, der bereits hier ist u. im Kurhause wohnt. Das Kurhaus ist ganz gerüstet, Gretl Neumann hat alles sehr geschickt u. energisch betrieben, sie hat sogar eine Kuh angeschafft. Ich habe mit Fritz die Möglichkeiten besprochen, in der BuStu. geeignete Wandflächen zu schaffen, um Zeichnungen aufhängen zu können. Bilder will ich dann nur im Atelier zeigen nach vorheriger Anmeldung solchen Leuten, die sich besonders interessieren. Ich verspreche mir davon sehr viel in ideeller Beziehung, da ich annehme, daß auch viele Schriftsteller u. Kunstverständige Kritiker herkommen werden. Ich entgehe auf diese Art dem sonst üblichen Ausstellungsbetrieb u. dem dummen [1609] Geschwätz des Banausentums. Ob dabei auch ein materieller Erfolg erzielt werden kann, steht dahin u. es ist mir das auch ziemlich gleichgültig. Es kommt mir nur darauf an, einen kleinen Kreis von Leuten zu finden, die sich interessieren u. dann weiter arbeiten. Ich selbst werde ja kaum noch viel tun. Es ist möglich, daß ich noch einige hübsche Bilder malen werde, aber wohl kaum noch etwas Neues. Ich habe das Gefühl, daß ich mit dem Christkönig u. der Himmelskönigin alles gesagt habe, was ich zu sagen hatte. Auch sonst erübrigt sich nun meine weitere Mitarbeit in den Belangen des irdischen Lebens, seitdem Fritz wieder da ist u. in eifriger u. sehr verständiger Weise die Interessen des Geschäftes wahrnimmt u. für Martha sorgt. [...]
[1609][1609] Gestern Nachmittag war der Maler Holst aus Wustrow u. seine Frau, die ebenfalls Malerin ist u. unter ihrem Mädchennamen Sommer als Künstlerin einen gewissen Ruf genießt, bei mir, um meine Bilder zu sehen. Koch-Gotha hatte sie wieder neugierig gemacht. Der Christkönig machte den weitaus stärksten Eindruck auf sie. Frau Holst=Sommer ist eine sehr energische, zielbewußte Frau, – als Frau nicht grade sehr fraulich, aber als Künstlerin doch recht beachtlich. Das Einzige, was ich ihr vorzuwerfen habe, ist, daß sie sich mit diesem eitlen Dummkopf von Mann eingelassen u. ihn geheiratet hat. Er hat, solange wir vorher Kaffee tranken, pausenlos von sich erzählt, von seinen Krankheiten u. Gebrechen, von seiner Tüchtigkeit u. Arbeit usw. Die Frau gab mir später einen guten Tipp zur Beschaffung von Bilderrahmen.
Ich zeichnete gestern den ganzen Tag ein einem blühenden Zweig wilder Kirsche, ohne jedoch zu einem recht befriedigenden Resultat zu kommen.
[1609][...] [1610] Heute sollen bereits zehn Gäste im Kurhause eintreffen. Es heißt, daß viele sehr prominente Künstler herkommen sollen. Fritz bemüht sich außerordentlich, das Geschäft auf einen ordentlichen Stand zu bringen. [...]
[1610] Die Russen entwickeln mehr u. mehr eine Politik des Ausgleiches in der östlichen Zone, man sagt, sie wollten ihre Besatzung noch weiter vermindern, sodaß hier bei uns nur noch Rostock u. Schwerin besetzt sein sollen. Da nun in der westlichen Zone der Hunger immer größer wird, während man bei uns zur Not leben kann, gewinnen die Russen mehr u. mehr Sympathie. Sonst aber schweigt man. Es verlautet kein Wort davon, daß der Osten sich selbständig machen wird, aber ich erwarte es mit immer größerer Gewißheit.
Wir beginnen, uns auf einen kohlenlosen Winter einzurichten. Wir werden die Zentralheizung still legen müssen u. versuchen, Kachelöfen zu bekommen. [...]
[1610][...] [1611] Die zu erwartenden Sommergäste sollen erst am kommenden Sonnabend eintreffen. Die Ahrenshooper sind sehr in Erwartung. – Heute brachte Frau Burgartz die neuen Lebensmittelkarten-Bescheinigungen. Man hat mich diesmal wieder um eine Stufe herabgesetzt. Frau B. sagte mir, daß die Russen wieder schärfere Bestimmungen erlassen hätten. Dafür kosten diese Bescheinigungen jetzt neuerdings 1,– Rm. Gebühren an den Kulturbund, der damit seine schmale Kasse auffüllt. [...]
[1612][...] [1612] Fritz ist in der BuStu. sehr eifrig tätig. Ich sah es mir gestern an. Es ist erstaunlich, was er gemacht hat. Der Turm, der in den letzten Kriegsjahren verschlossen war u. als Vorratsraum diente, ist wieder eingerichtet u. wirkt mit wenigen, sehr mäßigen Ausstellungsgegenständen doch sehr anständig. Er hat seine großen Fotos aufgehängt u. auf den Tischen Radierungen von Schultze-Jasmer unter Glas. Er ist jetzt dabei, Wände zu spannen, an denen meine Zeichnungen hängen werden, die ich nun nach u. nach fast alle mit gezeichneten Rähmchen versehen habe. Den Rest mache ich heute u. morgen fertig. Am Pfingstsonnabend soll alles fertig sein, denn dann kommen die ersten Gäste. [...]
[1613] Nachmittags war der junge Stechow aus Althagen da mit einem Herrn Meier, der wohl Flüchtling ist u. Werkmeister irgend einer Fabrik, ein sehr intelligenter, sympatischer Mensch. Beide zusammen haben sechs Schaukelpferde gemacht, von denen aber erst drei fertig sind. Wir haben sie sofort gekauft u. die noch zu machenden drei Stück ebenfalls. Die Stücke sind ganz ausgezeichnet, sehr solide u. stabil gearbeitet, nur daß der fertige Anstrich mangelhaft ist, weil sie keinen Firnis haben. Wir werden nun noch Sattelzeug u. Zaumzeug dazu machen u. haben damit wirklich ganz große Zugstücke im Laden. Man wird heutzutage dergleichen kaum in den Großstädten finden. Diese Pferde u. unsere wirklich bemerkenswert guten Puppen, die wir von den Damen machen lassen, die wir beschäftigen, sind wirklich sehenswert. Wir beschäftigen vier Damen zur Herstellung von allerhand Dingen wie Gürtel, Haarnetze, Einkaufsnetze usw. u. können uns mit dieser Produktion sehen lassen. Dazu haben wir noch eine ältere Dame als Verkäuferin, Frau Handschuch, sie war einmal die Frau eines Geschäftsinhabers für Eisenwaren u. Haushaltungsartikel in irgend einer Stadt im Osten u. hat alles verloren, sie ist sehr gewissenhaft u. reell. Auch die anderen Damen sind alle Flüchtlinge bis auf die Tochter des Briefträgers Fiek, der verschollen ist, ebenso wie ihr Mann.
Vorläufig geht das noch alles, aber die Zeit wird kommen, wo kein Mensch mehr Geld hat. Deutschland geht immer mehr dem völligen Ruin entgegen. Trotzdem arbeiten wir weiter, als ob nichts geschehen wäre. So habe ich den beiden Herren Stechow u. Meier heute die Maße meiner sämtlichen Bilder gegeben u. lasse Rahmen machen. [...]
[1613][1613] Seit manchem Jahr konnte in diesem Jahre der Himmelfahrtstag wieder als richtiger Festtag begangen werden. Die Geschäfte waren geschlossen u. die Arbeit ruhte.
Nach dem Essen besichtigte ich die BuStu, wo Fritz Wände gespannt hatte, um meine Zeichnungen aufhängen zu können. Er hat das sehr sorgfältig mit Rupfen gemacht u. es sieht sehr gut aus. Morgen will ich daran gehen u. die Zeichnungen aufhängen, ich kann gut u. bequem 12 – 15 Zeichnungen hängen.
Von Ruth ein sehr netter Brief.
[1613][1613] Heute Nachmittag habe ich meine Zeichnungen in der BuStu. aufgehängt. Es sind insgesamt 16 Zeichnungen, die der BuStu. nun erst ein richtiges Gesicht geben, obgleich sie für sich isoliert hängen. Der ganze Laden bekommt dadurch das Ansehen einer Kunstausstellung, während der Verkauf der anderen Sachen mehr Nebensache bleibt. Aber auch sonst macht der Laden jetzt wirklich einen bemerkenswert guten Eindruck.
Morgen sollen 90 Gäste vom Kulturbunde eintreffen.
Vormittags am Kirschblüten-Bilde gemalt.
Juni 1946
Bearbeiten[...] [1701] Die neuen Sommergäste waren teilweise in der BuStu. Die Sache klappt natürlich nicht. Von den 90 Gästen, die erwartet wurden, sind nur 17 gekommen, aber man hofft, daß die übrigen nachkommen. Ein Maler aus [1702] Schwerin sah meine ausgestellten Zeichnungen u. erkannte sofort, daß er andere Zeichnungen von mir auf der gegenwärtigen Wanderausstellung gesehen hatte, woraus zu schließen ist, daß jene Zeichnungen Eindruck gemacht haben müssen in der Masse der übrigen ausgestellten Sachen, sonst hätte er keinesfalls meine Handschrift wiedererkannt. Auch sonst scheinen meine Zeichnungen zu interessieren.
[1702][...] [1702] Später war Dr. Burgartz da u. teilte mit, daß in Ahr. eine sog. Ortsgruppe des Kulturbundes gegründet sei, für die er den Vorsitz übernommen habe. Er bat mich, in den Vorstand mit einzutreten, was ich zusagte. Er erzählte eine Unmenge von Dingen die ich nicht behalten habe. Jedenfalls soll am Pfingstmontag die erste Veranstaltung des Kulturbundes stattfinden, auf der B. sprechen wird. Ich habe ihm aber gleich gesagt, daß ich keine persönlichen Verpflichtungen übernehmen könne, da ich krank sei. Es ist zum Sommer, wenn, wie Dr.B. sagt, die wirklich Prominenten hier sein werden, eine Kunstausstellung geplant, auf der ich dann allerdings sehr stark herauskommen könnte. – Abwarten! – [...]
[1703][...] [1703] Abends besuchte uns Inge, Gretes Tochter. Sie hat furchtbar viel durchgemacht u. ist auch heute nur durch äußerste Anstrengung in der Lage, sich u. ihre Töchter durchzubringen. Sie ist für eine Woche hier aus Berlin. Es ist ja überaus bedauerlich, wie es ihr ergangen ist u. immer noch ergeht; aber als sie das letzte Mal hier war im Jahre 1944, da waren wir noch die armen Irren, die in aussichtsloser Verkalkung nicht in der Lage waren, die herrlichen Vorzüge des Nationalsozialismus zu begreifen u. den geliebten Führer zu würdigen. Inzwischen haben sich die Dinge eben geändert. [...]
[1704][1704] Von dem Kulturbund-Abend, der gestern im Baltischen Hof stattfand, habe ich mich gedrückt. Fritz war da u. erzählt, das Dr. Burgartz sich bei seiner Ansprache ziemlich blamiert hat. Er ist kein Redner u. hat sich total verwirren lassen.
Heute Vormittag am Interieur gemalt. [...]
[1705][...] [1705] Dr. Burgartz sagte mir neulich, daß er damit rechne, daß ich im Sommer, wenn die wirklich prominenten [1706] Kulturbundleute hier sein würden, einen Vortrag über Kunst halten würde. Ich habe diese Tage dazu benützt, einen solchen Vortrag auszuarbeiten.
[1707][...] [1707] In der Zeitung steht, daß am 15. September in Mecklenburg-Vorpommern Gemeindewahlen stattfinden sollen. Ich bin noch mißtrauisch u. kann kaum glauben, daß die neue Einheits-Partei sich so ohne weiteres einer Wahl stellen wird. Wahrscheinlich wird dann auch an mich die Frage herantreten, ob ich mich in die Gemeindevertretung wählen lassen soll. Ich denke, daß ich es tun werde, um [1708] auf diesem Wege in die Verwaltung etwas mehr Schwung zu bringen, denn mein Nachfolger, Herr Schöter, schläft allmählich auf seinem Bürgermeisterstuhl ein. Er ist sonst durchaus einwandfrei, aber leider ohne jede Initiative. Infolge dessen herrscht im Ort eine Kartoffelnot, die fast zur Katastrophe wird. Jeder versucht, auf eigene Faust zu Kartoffeln zu kommen, wodurch die Schiebergeschäfte einen fabelhaften Auftrieb bekommen. Man hat Glück, wenn man alte, vorjährige Kartoffeln für 50,– Rm. pro Centner bekommen kann. Auch wir sind am Ende damit. Es wäre Pflicht des Bürgermeisters, die Sache in die Hand zu nehmen, wie ich es vor einem Jahr ja auch getan habe. Wie stolz war ich damals wenn es mir gelungen war, mit dem Lastwagen 60 Centner heranzuschleppen, – u. damals war es schon ein Kunststück, den Lastwagen überhaupt zu bekommen, weil der widerliche Kosaken-Hauptmann in Wustrow den Wagen dauernd für sich beanspruchte. – Wenn man daran zurückdenkt, dann sieht man doch, daß heute alles schon viel besser u. leichter ist.
Infolge meiner besseren Gesundheit habe ich heute auch mein Bild sehr fördern können. Ich habe den ganzen Hintergrund durchgearbeitet u. die im Sofa sitzende Figur ebenfalls. Ich glaube, daß ich morgen die linke Seite mit dem zweiten Fenster fertig malen werde.
[1708][...] [1708] Nach Tisch mit Martha Spaziergang zum Hohen Ufer, – seit sehr langer Zeit das erste Mal. [...]
[1709] Wir gingen dann weiter zur Batterie, wo riesige Trümmern von Eisenbeton herumliegen, Reste von Geschützen. Scheinwerfern u. sonstigem Kriegsgerät. Diese Trümmer werden niemals beseitigt werden, weil es einfach unmöglich ist, sie werden noch späteren Generationen erzählen von den einstigen Befestigungsanlagen, die hier waren. Auch die übrigen dahinterliegenden Häuser sind völlig ausgeplündert, darunter auch das nie fertig gewordene Haus des üblen Malers Fischer-Uwe, der sich mit Hilfe des Gauleiters von Mecklenburg Hildebrandt im Kriege dort ein Haus bauen ließ. Die riesigen Betonbrocken der gesprengten Befestigungsanlagen sind weit in den Aeckern zerstreut. Das ehemalige Batteriegelände aber ist bereits sehr ordentlich als Acker bestellt.
Wir gingen dann nach Althagen hinab. Die Baracken der Batterie sind größtenteils ebenfalls völlig zerstört, einige sind schon zusammengefallen. Der große Platz innerhalb des Lagers ist ebenfalls gärtnerisch bestellt, Flüchtlinge haben dort Garten-Parzellen erhalten. Die Baracken hätte man vorzüglich zur Unterbringung von Flüchtlingen verwenden können. [...]
[1710][1710] Vormittags Rabarber mit Jauchewasser begossen u. sonst ein wenig im Garten getan. Es ist endlich wieder schönes Wetter. Nachmittags waren wieder einige Leute zur Besichtigung von Bildern da: ein älterer Herr mit weißem, kurzen Kinnbart, der von Beruf ursprünglich Forstmann war u. sich jetzt Bildhauer nennt, sodann eine Dame, die vielleicht seine Frau war. Ferner eine andere, sehr große, schlanke ältere Dame, die, wenn ich nicht irre, Weberin ist. Später kam noch der Maler u. Graphiker Heiling dazu u. schließlich noch Dr. Burgartz. [...]
[1710] Die übrigen waren sehr verständig u. gingen gut auf die Bilder ein, sodaß ich in der Lage war, dazu etwas zu sagen.
Die große, schlanke, ältere Dame war eine Frau Dodell u. ist die Enkelin des Malers Kallmorgen. Sie scheint ja ganz ungewöhnlich von meinen Bildern beeindruckt gewesen zu sein. Martha erzählt mir, daß sie nach dem Besuch bei mir noch bis zum Geschäftsschluß in der BuStu. gewesen sei u. immerfort nur begeistert von meinen Bildern gesprochen habe.
Der Herr mit dem Kinnbart, dessen Namen niemand weiß, hat darum gebeten, mit mir einmal allein sich unterhalten zu dürfen.
Dr. Burgartz, der ja von je her sehr für meine Bilder eingenommen ist, sprach davon, daß er im Herbst nach Berlin fahren wolle u. daß er bei dieser Gelegenheit gern versuchen wolle, mir die Möglichkeit einer geschlossenen Kollektiv-Ausstellung zu vermitteln. Es ist das sehr gut von ihm gemeint u. es würde durchaus meinen Wünschen entsprechen; aber Herr Dr. B. ist nicht der Mann dazu, der dergleichen fertig bringt.
[1710][...] [1710] Später war Frau Masurek aus Berlin da u. schenkte [1711] mir eine Cigarette, wofür ich ihr als Gegenleistung meine letzten drei Bilder zeigte. Sie erzählte vom Leben in Berlin, woraus wieder einmal hervorgeht, daß es immer noch weiter abwärts geht. Die Leute verkaufen das, was sie an Werten noch besitzen u. gerettet haben, für teures Geld an Engländer u. Amerikaner, um sich auf dem Schwarzen Markt für noch teureres Geld Lebensmittel kaufen zu können. Frau M. selbst hatte früher ein Geschäft für Herren-Konfektion u. macht heute sogen. neue Sachen aus alten. Wenn dann diese neuen Sachen wieder alt geworden sein werden, wird es nichts mehr geben, ebenso wenn das Geld für die Werte auf dem Schwarzen Markt ausgegeben u. die Nahrungsmittel aufgezehrt sein werden. – Es sind das schreckliche Perspektiven.
So nimmt es nicht Wunder, daß einige Kluge unter unseren Kulturbund-Gästen mit Plänen umgehen, sich hier bei uns anzusiedeln, weil sie das Beispiel von uns sehen, indem wir von einigen Leuten allerhand Gegenstände herstellen lassen: Schaukelpferde, Segelboote u. a. Spielsachen, Haarnetze, Hüte, Gürtel usw. Wir produzieren doch wenigstens u. das Geschäft sorgt für den Absatz. Es kann daraus durchaus etwas werden. Jedenfalls leben wir noch nicht vom Kapital, sondern geben noch anderen Verdienst. –
[1711][...] [1711] Nachmittags kam Robert Schneider mit seiner Mutter, um meine Bilder zu sehen. Er brachte eine Flasche original Luxemburger Sekt mit, dazu eine kleine Schachtel mit zerschnittenen Cigarrenstummeln, die sich aus der Peife noch sehr gut rauchen lassen. Das Zeigen der Bilder ist ja immer eine etwas schwierige Sache, denn letzten Endes ist auch Robert Schneider ein Banause, aber gutmütig. Vor dem Christkönigs=Bilde verstummte er völlig. Es macht dieses Bild doch auf alle immer einen tiefen Eindruck. Sekt, Pfeife u. Bilder gaben dann doch einen guten Zusammenklang u. es war schließlich doch eine Freude. [...]
[1801] Es regnet wieder, aber es ist wenigstens warm.
Den Vortrag, um den mich Dr. Burgartz gebeten hat, habe ich nun ebenfalls im Konzept fertig. Ich habe ihn ziemlich gründlich u. sorgfältig verfaßt u. ich könnte ihn nun jederzeit halten. Ob es wirklich dazu kommt, daß ich ihn halten werde, ist ja noch ungewiß, aber es war doch gut, mich einmal prinzipiell dazu zu stellen.Abends kam Frau Kuhrt u. berichtete von ihrer Berliner Reise. Sie hat sich dort ohne mein Wissen nach Ausstellungsmöglichkeiten für mich umgesehen. Der Veranstalter der Kunstausstellungen im Schöneberger Rathaus will sieben Bilder von mir dort ausstellen u. auch die Kunstausstellungen im Zeughaus stehen mir offen; aber beides interessiert mich nicht sehr. Dagegen war sie in der Kunsthandlung Rosen am Kurfürstendamm. Herr Rosen will prinzipiell gern eine Kollektiv-Ausstellung von mir machen, möchte aber vorher Fotos sehen, was natürlich sehr verständlich ist. Fritz wird nun demnächst einige Bilder photographieren. Diese Sache interessiert mich, ich denke, daß sie bis zum Herbst reif sein wird. [...]
Juli 1946
Bearbeiten[...] [1801] Es regnet wieder, aber es ist wenigstens warm.
Den Vortrag, um den mich Dr. Burgartz gebeten hat, habe ich nun ebenfalls im Konzept fertig. Ich habe ihn ziemlich gründlich u. sorgfältig verfaßt u. ich könnte ihn nun jederzeit halten. Ob es wirklich dazu kommt, daß ich ihn halten werde, ist ja noch ungewiß, aber es war doch gut, mich einmal prinzipiell dazu zu stellen.Abends kam Frau Kuhrt u. berichtete von ihrer Berliner Reise. Sie hat sich dort ohne mein Wissen nach Ausstellungsmöglichkeiten für mich umgesehen. Der Veranstalter der Kunstausstellungen im Schöneberger Rathaus will sieben Bilder von mir dort ausstellen u. auch die Kunstausstellungen im Zeughaus stehen mir offen; aber beides interessiert mich nicht sehr. Dagegen war sie in der Kunsthandlung Rosen am Kurfürstendamm. Herr Rosen will prinzipiell gern eine Kollektiv-Ausstellung von mir machen, möchte aber vorher Fotos sehen, was natürlich sehr verständlich ist. Fritz wird nun demnächst einige Bilder photographieren. Diese Sache interessiert mich, ich denke, daß sie bis zum Herbst reif sein wird. [...]
[1802][...] [1803] Am 30. Juni um 23.30 Uhr deutsche Zeit hat der mit großer Spannung erwartete Atombomben-Abwurf in der Südsee stattgefunden. Einige Gelehrte hielten für möglich, daß durch diese Explosion der Anfang einer Kette unkontrollierbarer Atom=Explosionen entstehen könnte. Man hat bis jetzt nichts dergleichen gehört, aber es könnten sehr gut Explosionen auf politischem Gebiet stattfinden, die vielleicht noch folgenschwerer sein könnten. [...]
[1804][...] [1804] Abends war der Maler Heiling nochmals da, um allerhand Dinge zu besprechen [...]
[1804] Auch über den Pastor Kleinschmidt, welcher im Kulturbund eine so große Rolle spielt u. Ministerialdirektor im Propagandaministerium in Schwerin u. nebenher auch Pastor ist, wußte er mir aufklärende Daten zu geben. Dieser Mann war evang. Pastor in Thüringen, als die Nazis an die Macht kamen. Da er Mitglied der SPD. war, mußte er natürlich verschwinden u. wurde Konferencier in einem Berliner Kabarett. Für einen Pastor immerhin ungewöhnlich. [...]
[1805][...] [1806] Martha erzählt von allerhand Leuten, die sich in der BuStu. sehr für meine Bilder interessieren, darunter der Stadtrat Matern aus Rostock, der Vorsitzender des Kulturbundes in R. ist. Es werden also in dieser Woche wohl allerhand Leute kommen, die meine Bilder sehen wollen. [...]
[1806][...] [1806] Nachmittags Bilder=Besichtigung: ein Kapellmeister-Ehepaar oder etwas ähnliches, die Frau viel redend, ferner ein junger Maler, schwer kriegsverletzt, Fallschirmjäger, sowie ein ihm befreundetes, sehr belangloses Ehepaar. Auch der kriegsverletzte Maler ist, abgesehen davon, daß er ein netter Kerl zu sein scheint, sonst ganz belanglos. Diese jungen Leute wissen von keinen Problemen, sie machen einfach, was ihnen beigebracht worden ist u. machen sich sonst keine Gedanken. [...]
[1807][...] [1807] Ab 1. August hat der Dichter Johannes R. Becher im Hause Strohschnitter gemietet. [...]
[1807][...] [1807] Der Ort scheint jetzt voll belegt zu sein. Es sind gestern wieder viele Gäste gekommen u. es sollen noch sehr viele Anmeldungen für August vorliegen. [...]
[1808][...] [1808] Seit mehreren Tagen ist kein, „Tagesspiegel“ mehr eingetroffen. Es heißt, daß die Russen der Post verboten haben, diese Zeitung zu befördern. Es ist das eine empörende Maßnahme, u. dieser Staat redet von Demokratie. – [...]
[1808][...] [1808] Gegen Abend kam der Stadtrat Matern, der der Hauptmacher des Kulturbundes in Rostock ist, mit Herrn v. Achenbach, der sich doch früher stark gemacht hatte, mein Haus nicht zu betreten. Herr Matern ist aber im Kulturbund sein Chef u. so mußte er schon. Herr M., den ich bisher nicht kannte, stellte sich vor u. bat, meine Bilder sehen zu dürfen. Ich führte beide Herren rauf ins Atelier u. führte die Bilder vor. Herr M. fragte, warum ich nie in Rostock ausgestellt hätte. Ich sagte ihm, daß ich kein Interesse daran hätte, einzelne Bilder auszustellen, daß ich alle Bilder ausstellen wollte, oder garnicht. Er ging sofort darauf ein u. stellte mir den Raum dazu im Rostocker Museum zur Verfügung. Er sagte, daß in den nächsten Tagen der Museums-Direktor kommen u. alles mit mir besprechen würde, sodaß die Ausstellung um den 15. Sept. eröffnet werden könnte. – Herr M. beurteilte meine Bilder so, wie ein Fachmann Pferde oder Hunde beurteilt. Er sah, daß mit meinen Bildern etwas los ist, daß sie beim großen Publikum keinen Anklang finden würden, aber desto mehr bei Kunstverständigen u. das ist es, was er will. Er ist überhaupt ein sehr zielbewußter u. energischer Mann, obgleich er klein u. schmächtig ist. Er sagte, daß die Leitung des Kulturbundes in Schwerin leider versagt [1809] hätte bei der Organisation des Kurbetriebes in Ahrenshoop. Man hatte in Schwerin Sorge gehabt, daß Ahr. nicht voll werden würde u. hat deshalb Kreti u. Pleti hierher geschickt. Nun, wo die wirklich beachtlichen Leute aus Berlin u. dem Westen herkommen wollen, ist alles besetzt mit minderwertigen Leuten. – [...]
[1809] Vom Verlag des „Tagesspiegel“ bekamen wir heute Nachricht, daß die Zeitung nicht mehr in den russ. Sektor geliefert werden darf. – [...]
[1809][...] [1809] Heute Abend ist eine Sitzung der sog. Ortsgruppe des Kulturbundes. Herr Dr. Burgartz hat mich extra bitten lassen, zu kommen. [...]
[19][1809] Gestern Abend die Versammlung des Ku-Bu, doch versammelten sich von den etwa 35 Mitgliedern nur fünfzehn, unter ihnen der alte Triebsch, der rechts neben mir saß, der Bürgermeister Schröter, Frau Koch-Gotha, ihre Tochter u. ihr Schwiegersohn, den ich bei dieser Gelegenheit kennen lernte, Frau Eggert, Frau Marie Seeberg, Käthe Miethe, Frau Richter u. a. – Es ging zunächst um die Wahl eines stellvertr. Vorsitzenden der Ortsgruppe, die [1810] dringend war, weil Dr. Burgartz geheimnisvolle Andeutungen machte, daß er künftig meistens abwesend sein würde. Ich bin nicht dahinter gekommen, was ihn eigentlich von hier fortführen wird, es scheint, als ob Herr Matern ihm irgend ein Angebot gemacht hat. Herr Matern scheint überhaupt sehr aktiv zu sein u. sich von Herrn v. Achenbach u. von Erichson distanziert zu haben. Ich glaube, den Andeutungen des Dr. B. entnehmen zu können, daß dieser auch zur sog. „Beratenden Versammlung“ beim Landratsamt gehört. Diese Beratenden Versammlungen sind bei den Gemeindeämtern, den Landratsämtern u. bei der Landes-Regierung seit neuester Zeit von den Russen eingerichtet worden u. sollen so etwas wie eine parlamentarische Vertretung bei diesen Aemtern sein, sind aber nicht aus Wahlen hervorgegangen, sondern werden berufen, natürlich kommen nur Mitglieder der SEP. dafür in Frage.
Für den stellvertr. Vorsitz in der Ortsgruppe schlug Dr. B. mich vor, doch lehnte ich entschieden ab mit der Begründung, daß ich nicht in der SEP. bin u. auch nicht die Absicht habe, einzutreten. Meine Ablehnung rief Verlegenheit hervor, denn es war kaum jemand da, der sonst noch in Frage kam. Man bot dieses Amt an wie saures Bier, aber niemand wollte es nehmen. Schließlich gelang es, Frau Richter dazu zu überreden, obgleich sie wirklich nicht sehr geeignet ist.
Anschließend gab es dann ziemlich unordentliche Unterhaltungen über allerhand andere Fragen: Veranstaltungen von Konzerten durch die hier anwesenden Gäste, die alle bei dieser Gelegenheit Geld verdienen wollen, ferner ist Herr Dr. B. sehr scharf darauf, unter den Einheimischen Theaterspiele zu veranstalten. Käthe Miethe redete dagegen u. meinte, man sollte die Einheimischen das selber machen lassen u. sich nicht hineinmischen. Was sie sagte, war nicht sehr überzeugend. Endlich wurde eine Kunstausstellung beredet, die Dr. B. gern nicht nur von den hier lebenden Künstlern, sondern auch von den Verstorbenen veranstalten will. Der Koch-Gotha'sche Schwiegersohn u. ich wurden aufgefordert, die Sache zu machen. Wir sagten zu, aber es sind da besonders die Raumschwierigkeiten sehr groß. Herr Klünder, wie der Schwiegersohn von K-G. meines Wissens heißt, wird am Montag zu mir kommen u. wir werden dann gemeinsam versuchen, ein Haus für diesen Zweck zu finden. Vielleicht ist das „Haus am Meer“ dazu geeignet, vielleicht auch Haus Schorn oder Haus Dohna, das ja früher diesen Zwecken diente, doch werden wir auf die verstorbenen Künstler verzichten müssen, denn dazu ist ja garkein Platz. – [...]
[1811][...] [1811] Vormittags am Rosenbild gemalt, das sehr schön zu werden verspricht. Nachmittags wartete ich vergeblich auch Koch-Gothas Schwiegersohn, der mit mir zusammen das Haus am Meer im Hinblick auf die geplante Kunstausstellung besichtigen wollte. [...]
[1811][1811] Täglich am Rosenbilde gearbeitet, daß farblich wie auch kompositionell sehr schön wird. – Gestern gegen Abend machte Dr. Lindner mit seiner Frau u. dem sehr niedlichen kleinen Jungen einen kurzen Besuch. Die Frau ist eine Riesendame. – [1812] Nachdem der Tagesspiegel nicht mehr zu uns gelangt, bin ich allein auf die „Landes-Zeitung“ angewiesen, die nun eine heftige Propaganda für die Wahlen im Herbst entfaltet. Die SED. verbucht sich jetzt nun einfach alle Erfolge, die die Landesverwaltung im letzten Jahre erzielt hat. Diese Erfolge sind tatsächlich beachtlich. Im August 1945 wurden in ganz Mecklenburg=Vorpommern 77754 Arbeitspferde gezählt, am 1. Juni waren es 109192 Arbeitspferde. Zu denselben Terminen gab es 183100 Milchkühe gegen jetzt 240784 u. 247354 Schweine gegen jetzt 255897 Schweine. Angesichts dieser Steigerungen u. einer erheblichen Steigerung der Anbauflächen um 28% glaubt Vicepräsident Möller sagen zu dürfen, daß wir über den Berg sind, daß die Ernährung ansteigen wird u. daß wir mit einem allgemeinen Anstieg der wirtschaftlichen Lage rechnen dürfen. – Auch in der Industrie – anscheinend aber mit Ausnahme der so wichtigen Lebensmittelindustrie –, wird eine Steigerung um 20% behauptet. Interessant ist, daß in Rostock eine Werkuhren=Fabrik geplant ist u. in Laage eine Milchzucker-Produktion. Fast noch interessanter ist, daß in Schwerin eine Zigarettenfabrik im Bau ist, die bereits in 2 Monaten täglich 1,2 – 1,4 Millionen Zigaretten produzieren soll. Diese Fabrik soll „Unitas“ heißen. – Solche Nachrichten sind natürlich sehr erfreulich. Diese „Unitas-Zigaretten“ werden zwar ein greuliches Kraut sein, aber eine schlechte Zigarette ist besser, als garkeine. Das Nichtrauchen ist wirklich eine harte Nuß. – Nun kann ja niemand sagen, daß diese Fortschritte allein auf das Konto der SED. zu setzen sein müssen, dennoch ist kein Zweifel, daß solch eine Einheitspartei eine starke Stoßkraft besitzt, genau so, wie die NSDAP eine solche Stoßkraft besaß u. damit viel erreichte. Gegenwärtig sind Pieck u. Grotewohl im Westen u. halten dort starke Propagandareden in Köln, Essen usw. Die Russen würden das im umgekehrten Fall einfach nicht erlauben, der demokratische Westen muß es erlauben. Ich bin überzeugt, daß diese Propaganda sehr großen Erfolg haben wird. Und man weiß nicht, was man denken u. sagen soll. Hat sie nämlich keinen Erfolg, dann ist der Auseinanderbruch Deutschlands an der Elbe unvermeidlich, hat sie Erfolg, dann ist das ein Sieg der Russen u. eine Niederlage der Westmächte. Die Westmächte haben dann tatsächlich den ganzen Krieg verloren. Sie sind in den Krieg gezogen, um das totalitäre Deutschland zu vernichten u. stehen nun vor einem neuen totalitären Deutschland, das nun aber im Bunde mit Rußland u. a. totalitären Staaten ist. Immer stärker wird in mir der Zweifel, ob die westlichen Demokratien überhaupt noch eine Zukunft haben u. ob es nicht besser ist, sich bedingungslos dem neuen Rußland anzuschließen, so sehr auch alles Gefühl dagegen spricht. –
[1812][...] [1813] Von Herrn Dr. Gräbke, dem Museumsleiter in Rostock, bekam ich gestern Nachricht, nach der er sich freut, meine Bilder in geschlossener Uebersicht zu zeigen. Er wird in den ersten Augusttagen herkommen.
Sehr erfreulich ist, daß Martha eine große Tube Weiß in Berlin ergattern konnte. [...]
[1813][...] [1814] Nachmittags waren sehr viele Menschen da, um Bilder zu sehen, darunter das Ehepaar Lindner, ferner Frau Koch-Gotha mit Tochter u. Schwiegersohn, so dann Frau Richter-Langner u. Uschi Gräfin Dohna mit Frau Oberländer. Außerdem noch Leute, die ich nicht kannte, es waren zu viele.
Uschi Dohna sagte mir, daß sie bereit sei, ihr Haus für die geplante Kunstausstellung zur Verfügung zu stellen. Wir gingen gleich hin, um es zu besichtigen. Das Haus ist sehr verwahrlost, aber U. Dohna ist bereit, daß Haus langfristig dem Kulturbunde für künstlerische Zwecke anzubieten. Der Kulturbund könnte das Haus baulich wieder in seinen früheren Zustand versetzen, den es früher als Kunstkaten gehabt hat u. es würde sich vorzüglich für Ausstellungen u. a. künstlerische Veranstaltungen eignen. Damit wäre für Ahrenshoop ein ganz großer Vorteil gewonnen. Ich sagte ihr, sie möchte gleich mit Dr. Burgartz darüber sprechen u. möglichst selbst nach Schwerin fahren, um dort die führenden Leute für die Sache zu interessieren.
[1814][...] [1814] Mit meiner künstlerischen Arbeit befinde ich mich in einer Krisis. Blumen habe ich nun reichlich genug gemalt, Landschaften interessieren mich zur Zeit nicht sehr, religiöse Motive sind zunächst auch erschöpft. Ueberhaupt habe ich das Gefühl, mich ziemlich festgearbeitet zu haben, es bieten sich mir keine neuen Probleme mehr. Das Gespensterbild ist ein Versuch, aus diesem Geleise herauszukommen. Der Versuch beschränkt sich aber rein auf das Motivische. Ich versuche jetzt aus einem anderen Marionetten-Kopf etwas zu machen, eine Zigeuner-Dirne. Eine Zeichnung habe ich gemacht: Kopf einer Dirne, die sich nach rechts bewegt, den Kopf aber nach rückwärts wendet, mit den Augen aber in die Richtung der Bewegung schielt. Ich glaube, daß damit etwas anzufangen ist.
Es ist kalt, regnerisch u. stürmisch.
Der Stadtrat Matern aus Rostock fragte mich, als er neulich meine Bilder ansah, nach solchen Bildern, die sich mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzen. Ich sagte, daß ich davon nichts hätte u. zu abseits stände. Seitdem geht mir aber diese Frage im Kopfe herum, jedoch fällt mir nichts ein, was ich da malen könnte, ohne in Plattheiten zu geraten. Eine solche Auseinandersetzung wäre ja auch wieder nur etwas Motivisches. [...]
August 1946
Bearbeiten[1901] Vormittags das neue Bild angelegt. [...]
[1901] Ich lese zur Zeit eine Druckschrift „Einheit“, die von der SEP. herausgegeben wird u. die das Programm der Partei behandelt. Ich werde mir diese Schrift, die monatlich erscheint, kommen lassen, der Inhalt gibt doch sehr zu denken. Wenn ich auch nicht dieser Partei angehören will wegen ihrer Gegnerschaft gegen die Kirche, – obgleich sie alles vermeidet, was diese Gegnerschaft erkennen läßt –, so sind diese sozialistischen Gedanken dennoch sehr einleuchtend. – [...]
[1902][1902] Vormittags an dem neuen Bilde gearbeitet.
Am Nachmittag kam Pastor Kleinschmidt aus Schwerin, der im Kulturbunde eine beachtliche Rolle spielt. Der Maler Heiling erzählte mir von ihm, daß Kleinschmidt vor 1933 Pastor in Thüringen u. Mitglied der SPD. gewesen ist. Er mußte dann den Nazis weichen u. wurde Conferenzier an einem Berliner Kabarett. Jetzt ist er wieder Pastor in Schwerin. Heiling sagte mir, daß er eine beachtliche Persönlichkeit sei u. ich war ziemlich neugierig auf ihn.
Er entpuppte sich nun als ein sehr gut u. gepflegt aussehender Mann von etwa 40 Jahren, der eine breite, ganz frische u. lange Wunde an der rechten Stirnseite hatte, die mit einer roten Salbe dick verschmiert war u. die von einem kürzlich gehabten Autounfall herrührte. In seiner Begleitung war eine sympatische junge blonde Dame. Er begrüßte mich sehr unbefangen u. bat, meine Bilder sehen zu dürfen. – Er war sehr beeindruckt u. wunderte sich, daß er bisher nie etwas von mir gehört hätte, nachdem er doch schon während des Frühjahrs alle Augenblicke in Ahrenshoop gewesen war. Er war stets in Gesellschaft von Herrn v. Achenbach u. Herrn Erichson gewesen, aber beide hatten nie meinen Namen genannt. – Nun wollte er natürlich meine Bilder nach Schwerin haben. Er hatte gehört, daß dieselben in Rostock ausgestellt werden sollten u. er wollte nun den Rostockern diese Ausstellung abjagen. Ich sagte ihm, daß der Stadtrat Matern mir sehr entgegengekommen wäre u. ich infolge dessen auf keinen Fall die Rostocker enttäuschen wolle, ich versprach ihm aber, die Bilder nach Rostock auch in Schwerin zu zeigen. Jedenfalls war zwischen mir u. ihm rasch ein guter Kontakt vorhanden, der Mann ist wirklich irgendwie bemerkenswert, ohne daß ich ihn bis jetzt näher beurteilen kann. Der Kampf um meine Bilder scheint jedenfalls auf der ganzen Linie entbrannt zu sein. [...]
[1903][1903] Unter den Kurgästen scheinen jetzt meine Bilder Gesprächsstoff zu sein, sodaß sich das Interesse immer mehr regt. Morgen will ein Maler Prof. Nagel kommen, der behauptet, mich aus der Novembergruppe zu kennen, ferner der Rektor der Rostocker Universität, ich glaube Prof. Rienäcker oder so ähnlich. [...]
[1904][1904] Das Dirnen-Bild fertig gemacht. Interessant, Gegensatz zum Propheten, die nebeneinander hängen könnten.
Herr Dr. Graepke war vormittags da. Wir besprachen das Notwendigste. Am 8. September, Mariä Geburtsfest, soll die Ausstellung in Rostock eröffnet werden. Am 3. Sept. wird Herr Dr. G. einen Lastwagen schicken, mit dem ich dann die Bilder selbst nach Rostock bringen werde. Ich werde in Rostock bleiben u. am Eröffnungstage einen einführenden Vortrag halten. Herr G. wollte gern frühere Arbeiten von mir auch noch zeigen; aber da ist ja nichts mehr da. Es kommen höchstens noch einige der kleinen Landschaften in Frage, die ich damals 1932 nach dem Autounfall auf Holz malte, sowie Zeichnungen u. Aquarelle. Ich muß da alles zusammenkratzen, was ich habe u. denke, daß es schon irgendwie gehen wird. – Ich erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß der Rostocker Kulturbund Zeichnungen von mir nach Dresden gesandt hat, ohne daß ich davon etwas weiß. – Ich muß nun sehen, wie alles klappt u. werde viel Arbeit haben. Grade heute morgen habe ich eine Liste zusammengestellt von den Gemälden, die ich senden will, es sind 31 Stück vielleicht auch 32, wenn ich das alte Malvenbild mitschicke.
Nachmittags war die Direktorin der Museums in Schwerin da, deren Namen ich nicht weiß, eine Frau von etwa 45 Jahren, Kunsthistorikerin, aber bis dahin nie im Museumsdienst tätig gewesen. Nicht unsympatisch, klug u. anscheinend nicht ungeschickt. Sie will die [1905] Bilder im Oktober ausstellen, so weit sie Platz hat. Dieser Platz ist beschränkt, da die für solche Ausstellungen notwendigen Umbauten noch nicht fertig sind. Sie wird kaum mehr wie 15–20 Bilder hängen können. Die Weihnachtskrippe möchte sie gern als Leihgabe haben zu Weihnachten. – Sie erzählte allerhand von den kleinlichen Kämpfen, die sie gegen den „Oberregierungsrat“ Venzmer in Schwerin zu führen hat, der in der Sektion für Bild. Kunst den Vorsitz hat u. auch sonst in Schwerin eine Rolle spielt, aber in jeder Weise eine Null ist. Die Ausstellung meiner Bilder würde dann mit dem Kulturbund selbst nichts zu tun haben.
Für Rostock habe ich einige kleinere Zeichnungen mit Passepartouts versehen. Ich werde ganz gut 45–50 Zeichnungen u. Aquarelle früherer Zeit zusammen bekommen, sodaß ich die Rostocker Säle gut füllen kann.
Ich zeigte heute zum ersten Male die beiden neuen Bilder „Gespenst“ u. „Dirne“ u. fand, daß sie sich ganz gut einfügen.
Heute abend soll eine Sitzung des Kulturbundes sein. Herr Dr. Burgartz wird ungehalten sein, weil die geplante Kunstausstellung hier bisher nicht zustande gekommen ist, jedoch fehlt es an Räumlichkeiten.
Abends: Die Sitzung war diesmal recht anregend, nachdem ganz unerwartet Herr Pastor Kleinschmidt erschien u. die Museums-Direktorin aus Schwerin mitbrachte, sowie einen anderen Pastor u. dessen Frau. Pastor Kleinschmidt setzte sich sehr für die Kunstausstellung ein u. brachte es fertig, daß beschlossen wurde, die Wand im alten Kunstkaten herauszureißen u. am nächsten Sonntag die Ausstellung zu eröffnen. Ich weiß zwar nicht, ob das durchführbar ist, aber der Elan ist ja groß u. es mag gelingen. –
[1906][1906] Liste der auszustellenden Bilder aufgestellt, nach Motiven geordnet, Blumenbilder, Landschaften usw., insgesamt 32 Stück. Entsprechend dieser Liste Etiketten geschrieben u. auf Rückseiten geklebt.
Mittags mit Pastor Kleinschmidt im Dohna'schen Hause, auch Dr. Burgartz, Gräfin Dohna u. a. waren da, auch Malermstr. Graeff. Wir besprachen das Rausreißen der Wand u. der sonstigen Arbeiten. Bis abends 7 Uhr war die Wand wirklich spurlos verschwunden. Gräfin Dohna überläßt mir die frei gewordenen Bretter der Deckenschalung, sodaß ich davon Bilderkisten für die Ausstellung machen lassen kann. [...]
[1907] Ueberhaupt scheint es in diesem ganzen Kulturbund wieder einmal zu kriseln. Vormittags war Dr. Burgartz bei mir u. brachte mir die Einladungen zu unserer Kunstausstellung. Er sagte mir, daß Stadtrat Matern u. Herr v. Achenbach sehr innigst befreundet seien u. daß beide gegen Pastor Kleinschmidt stünden. Achenbach habe aber Aussicht, demnächst nach Berlin zu gehen, u. er würde dann sicher Matern dorthin nachziehen. Immerhin sei aber auch Pastor Kleinschmidt angreifbar, sodaß in den letzten Tagen der Oberregierungsrat Venzmer aus Schwerin hier gewesen sei, um da einiges in Ordnung zu bringen. Kleinschmidt selbst deutete ja gestern Abend an, daß da in der Presse einige unangenehme Notizen erschienen seien über die Angelegenheiten des Kulturbundes in Ahrenshoop, – gewiss nur reines Zeitungsgeschwätz –, aber solche Sachen sind immer unangenehm. Der Erfolg davon ist aber, daß Herr Kleinschmidt sich große Mühe gibt, hier einen guten Eindruck zu machen. Er spricht von Fehlern, die gemacht worden seien u. die in Zukunft vermieden werden müßten. – Die Stellung des Dr. Burgartz hat sich dagegen sehr gehoben. Er soll ja wohl die Leitung der in Rostock neu zu gründenden Hochschule für Musik inne haben u. ist gleichzeitig Feuilleton-Redakteur des jetzt neu eingerichteten Rostocker Teiles der Landes-Zeitung, die selbst in Schwerin erscheint. Dr. B. hat einen sehr modernen Komponisten für die Hochschule verpflichtet u. hat sich dadurch in die Nesseln gesetzt bei den reaktionären Kreisen Rostocks. Es wird auch da Kampf geben. Auch für meine Ausstellung sagte er den Kampf dieser Kreise gegen meine Bilder voraus, doch versicherte er mir, daß er mich als Leiter des Feuilletons verteidigen u. schützen werde. – So scheint also da überall ein neues Leben zu erblühen. Teils ist dieses heimliche [1908] Intrigentum dieser provinziellen Ehrgeizlinge untereinander überaus widerlich, teils zeugt aber der dadurch hervorgerufene Kampf von Lebendigkeit. Ich selbst bleibe bei all dem draußen u. freue mich, daß ich zwar als politisch Parteiloser bei all diesen Leuten im Verdacht der Reaktion stehe, daß aber meine Arbeit entschieden auf der Seite des Fortschrittes steht. Es mag das alles ganz interessant werden in diesem Winter. Die Meinungen werden dann ja aufeinanderplatzen. [...]
[1909][...] [1909] Nachmittags brachte Herr Meyer die Rahmen für die letzten Bilder, die ich gleich farbig tönte. Während dieser Arbeit kam Koch-Gotha u. brachte vier Zeichnungen für die Ausstellung. Er will morgen Vormittag wiederkommen, um Bilder anzusehen. Er hat sich seinen Bart wieder abgenommen u. hat nur eine weiße Krause stehen lassen. Er sieht so besser aus als mit Bart. Er brachte eine Zeichnung einer Althäger Winterlandschaft mit einem Schneemann, ferner eine weite Sicht auf Wustrow, eine Radierung vom alten Knecht u. eine Rötelzeichnung von Gerhard Marks.
Der Ausstellungssaal im Kunstkaten ist jetzt so weit fertig, nur die Türen müssen noch gemacht werden u. vor allem muß sauber gemacht werden. Diese Verputzung der Wände mit Lehm hat den Fußboden in einen Morast verwandelt. Die Glasscheiben des Oberlichtes sind noch nicht erneuert u. auch das Dach ist noch nicht ausgebessert. Es hat heute Nachmittag geregnet u. innen ist das Regenwasser durch die Decke über die frisch gestrichenen Wände gelaufen.
[1909][1909] Vormittags waren wieder mehrere Leute nacheinander da, um Bilder anzusehen, darunter auch Peter Jaeger mit Tochter u. noch zwei anderen Damen, natürlich wie immer in aller Eile auf der Durchfahrt. – Am Nachmittag fotographierte Fritz die drei Bilder „Dirne“ „Gespenst“ u. „Dr. Tetzlaff“. – Der Bildhauer Loeber brachte für die Ausstellung Bilder seiner Frau, von denen ich drei Stück auswählte, ein bezauberndes, kleines Oelbild u. zwei Aquarelle (Selbstportait u. Kinderbild) Ich wußte garnicht, daß diese Frau eine so begabte Malerin sei. Ihre Sachen sind aber genau so liederlich u. schusselig gemacht u. hergerichtet, wie sie [1910] selbst ist. Auch er hat offenbar nicht die Gabe, etwas mehr Ordnung u. Disziplin in die Produktion seiner Frau zu bringen. Er hat übrigens Aussicht, irgendwo in Thüringen Leiter einer Holzbildhauer-Schule zu werden. Damit würde dann die Fischländer Kolonie gleich um zwei Köpfe verringert werden. Nachdem Partikel vor Jahresfrist spurlos verschwunden ist u. Prof. Gerhard Marks nach Hamburg gegangen ist, wird das Fischland immer magerer.
[1910][...] [1910] Abends trafen sich die Aussteller der Kunstausstellung im Baltischen Hof. Da dort aber ein Varieté stattfand u. sämtliche Stühle im Saal gebraucht wurden, gingen wir ins Seezeichen, wo ich erstmalig den neuen Pächter, Herrn Möller, kennenlernte, ein endlich mal etwas kultivierterer Gastwirt, der aus dem Osten gekommen ist, wo er ein ziemlich großes Hotel gehabt haben soll. Es waren Triebsch, Koch-Gotha, das Ehepaar Holtz-Sommer, Frau Woermann, Dora Oberländer u. Frau Droßt da. Wir besprachen die Ausstellungsangelegenheiten, Fritz, der mit dabei war, übernahm die geschäftlichen Angelegenheiten. Es wird gut sein, wenn Fritz das auch weiterhin macht. Wir beschlossen, alle vier Wochen jeden ersten Freitag des Monats, nachmittags 5 Uhr im selben Lokal zusammen zu kommen u. außerdem überhaupt jeden Freitag einen Stammtisch dort aufzumachen. Besonders Triebsch war von diesem Vorschlag sehr entzückt. [...]
[1911][1911] Heute den ganzen Tag über im Kunstkaten Bilder gehängt. Koch-Gotha war ebenfalls da, Frau Holtz=Sommer war nur vormittags zur Jurierung da. Die Ausstellung ist nun fertig, alle Bilder hängen, wobei Herr Klünder, Koch-Gothas Schwiegersohn, sehr gute Dienste geleistet hat u. man muß sagen, daß die Ausstellung wenigstens ein recht gutes Gesicht hat. Meine Bilder: Lupinen – Prophet – Blauer Engel –, hängen an der Hauptwand zusammen mit zwei Bildnissen u. einem Blumenstück von Frau Holst-Sommer. An der Querwand daneben hängt Triebsch mit seinen konventionellen Bildern, die ganz im Stile des Vereins Berliner Künstler sind, langweilig u. brav. Zweifellos sind meine drei Bilder die besten, die anderen kommen nicht an sie heran.
[1911][1911] Nun ist die Ausstellungs-Eröffnung gewesen. Als Veranstaltung war sie ein sehr großer Erfolg. Sie begann Nachm. 1/2 4 Uhr im Kurhause mit einer kurzen Ansprache von Dr. Burgartz als Vorsitzendem unserer Ortsgruppe. Es war ungeheuer voll, die Menschen fanden nicht alle Platz. Es folgte ein ganz hervorragender Violin-Vortrag einer Virtuosin aus Schwerin. Dann sprach der Rektor der Rostocker Universität, Prof. Rienäcker sehr gut über Kunst. Ihm folgte ein kurzer Vortrag des Landesleiters Pastor Kleinschmidt, der überaus liebenswürdig war. Er brachte zum Ausdruck, daß ursprünglich die Idee gewesen sei, daß die Kulturschaffenden sich hier in Ahrenshoop erholen u. als Entgelt dafür der Bevölkerung Kulturgüter vermitteln sollten. In Wahrheit sei aus dieser Gegengabe nichts geworden, dagegen hätten nun die Fischländer Künstler ihrerseits den Kurgästen eine künstlerische Gabe geboten. – Nach ihm sprach Ringeling über die historische Entwicklung der Seeschiffahrt des Fischlandes sehr ausführlich, für uns recht interessant, doch für die Fremden vielleicht langweilig. – Sodann setzte sich alles in Bewegung zum Kunstkaten, wo ein ganz fürchterliches Gedränge herrschte. Ich stellte mich in eine Ecke, wo man mir ein kleines Tischchen hingestellt hatte, hinter dem ich wenigstens ein wenig räumliche Distanz fand. Koch-Gotha hatte im letzten Moment auf diesen Tisch eine ganz prachtvolle Bronzebüste von Gerh. Marks aufgestellt, die Alfred Partikel darstellte. Von dort aus hielt ich meine Eröffnungsrede, die trotz dieser räumlichen Unzulänglichkeit nach den Urteilen, die ich gehört habe, sehr gut ausgefallen ist. Dr. Burgartz behauptete sogar, es sei die beste der gehaltenen Reden gewesen. – Schließlich ist das kein Wunder, denn ich sprach von Dingen, die ich kenne. Die Rede des Prof. Reinäcker wird diesem besonders schwer gewesen sein, er ist hier nicht nur fremd, sondern er sprach noch dazu in Vertretung des Präsidenter Joh. R. Becher, der die Rede halten sollte, sich aber gedrückt hat. Rinäcker sowohl wie Kleinschmidt sprachen beide, ohne meinen [1912] Namen zu nennen, für mich u. meine Bilder. – Ich habe mich besonders gefreut, daß gleich heute am ersten Tage ein kleines Kinderbildnis von Frau Loeber verkauft wurde. Der Käufer ist Justus Schmitt. Loebers können das Geld sicher brauchen, es ist nur schade, daß das Bildchen mit 150, – Rm. viel zu billig war. Schmitt hätte sicher auch das Doppelte gezahlt. Als Veranstaltung war diese Sache ein großer Erfolg. Der Kurdirektor Michelsen war ganz glücklich, es war der weitaus stärkste Tag der Saison, wie er sagte. Wir Maler haben also bedeutend an Wert gewonnen. Es wird sich nun zeigen müssen, ob die Ausstellung auch sonst noch guten Besuch haben wird. Es waren auch einige Einheimische da wie Herr + Frau Gräff, Bernh. Saatmann, Frau Bertsch. Herr Venzmer, der „Oberregierungsrat“ aus Schwerin, war auch da u. machte ein bittersüßes Gesicht zu der ganzen Sache. Ueberhaupt war viel Prominenz da, z.B. auch der Rektor der Universität Leipzig. Herr von Achenbach glänzte durch Abwesenheit, ebenso Herr Erichson, der, wie man mir sagt, in Ahrenshoop ist.
[1913][1913] In der Deutschen Rundschau, Heft 3 ds. Jahres steht ein Artikel: „Ein Dichter sieht die Nazis“. Dieser Dichter ist ein Amerikaner Louis Bromfield u. es wird von ihm gesagt, daß er die Deutschen nicht liebe u. daß er grade darum den Aufstieg Hitlers richtig gesehen habe. Er erklärt ihn mit dem Minderwertigkeits-Komplex der Deutschen, permutiert in den Willen zur Macht. Ueber marschierende S.A. in München sagt er sehr treffend: „Eine erschreckende Sache: das völlige Aufgehen des Individuums in eine Maschine, aus dem Verlangen dieses Individuums entsprungen, sich vollkommen aufsaugen zu lassen, die eigene Identität restlos an die Maschine zu verlieren, der Wille nur ein Rädchen im Räderwerk zu sein.“ Das ist überaus richtig. Vor Jahren sah ich in Berlin eine Abteilung Hitlerjugend durch die Straßen marschieren u. der letzte Junge trug um den Ellbogen des linken Armes ein Schlußzeichen wie ein Auto. – Der Amerikaner sagt: „Es ist da etwas im deutschen Wesen, das eine ekstatische Steigerung im Selbstmord findet“.
Vormittags besah ich mir Alfred Rethels Totentanz aus dem Jahre 1848. Auf dem dritten Blatt, wo der Tot eine Tabakpfeife gegen eine Krone abwiegt, findet sich eine alte Frau, die mit ihrem Enkelkinde die Scene verläßt. Diese Figur fiel mir stark auf u. ich versuchte, daraus ein Bild zu machen. Ich glaube, es kann etwas werden; damit hätte ich dann wohl einen neuen Weg gefunden. [...]
[1913][...] [1914] Gestern Nachmittag besuchte mich Schmidt-Detloff, von dem ich mich über die künstlerischen Verhältnisse in Rostock informieren ließ. Es sieht da ziemlich unerfreulich aus.
In der Landeszeitung vom Dienstag, die ich heute bekam, steht eine Besprechung der Ausstellungs-Eröffnung hier am Sonntag. Sie ist von Dr. Burgartz, – sehr dürftig. [...]
[1914][...] [1915] Abends gestaltete sich das Gespräch mit Dr. Petersen sehr interessant. Dieser Mann, eben 82 Jahre alt, ist ein Picasso=Baby, d.h. ein Kind mit dem Gesicht eines Mannes – noch dazu ein Flaschenkind. Sehr intelligent! Natürlich neigt dieser sehr kultivierte, durch u. durch bürgerliche Mensch sehr zur CDU, – vielleicht ist er sogar Mitglied. Er verabscheut die Russen ebenso wie die SED. u. sein Wünschen ist nach dem Westen, nach München, gerichtet. Ich widersprach dem u. gab damit zum ersten Male der Ansicht Ausdruck, die sich bei mir in den letzten Wochen mehr u. mehr gebildet hat. Ich sagte, daß diese Neigung nach dem Westen, die ich ja ebenso habe, eine Neigung zur Reaktion sei, die man überwinden müsse. Es ist die Neigung zur Seite des geringsten Widerstandes. Sie ist bedingt durch unsere bürgerliche Erziehung u. Tradition u. versucht, Rettung zu finden in einer sozialen Geisteshaltung, die zwar zur Zeit im Westen noch besteht, aber im Sterben liegt. Sich zu ihr bekennen, heißt nur, einer Entscheidung aus dem Wege gehen, die eines Tages doch kommen wird. Es ist ähnlich wie 1918, als das Bürgertum sich in der Weimarer Republik zu retten suchte u. doch unterging. Diese Entscheidung wiederholt sich heute. Wäre sie damals schon erfolgt, wäre uns Hitler u. der Krieg u. all unser Elend erspart geblieben. – Ich bin der Ueberzeugung, daß der Osten siegen wird. Je rascher u. widerstandsloser dieser Sieg herbeigeführt wird, um so besser. Die gegenwärtige Korruption, die Dr. P. als Argument ins Feld führt, ist zwar nicht zu leugnen, aber sie ist eben eine Folge des gegenwärtigen Kampfes zwischen Ost u. West. Es mag uns Intellektuellen diese neue Form sehr unsympatisch sein, was ich zugebe, aber das ist kein Grund, sich ihr zu verschließen. Der Westen erscheint mir wie eine in Blüte stehende Wiese, der Osten wie eine Steppe; aber die Sensen blinken schon, die diese Wiese abmähen werden, während in der Steppe ein neuer Anfang winkt. [...]
[...] [1916] Der deutsche Kommunismus ist noch ein Säugling u. ein solcher macht eben zunächst die Windeln voll u. es muß jemand da sein, der sie wieder auswäscht. – Die ganze Debatte mit Dr. P. hat diese Ansicht in mir bedeutend gefestigt, besonders, da daraus hervorging, daß meine Ansicht über die CDU. richtig ist. Jakob Kaiser, der Führer der CDU., ist sicher ein kluger u. sauberer Mann, der klare Erkenntnisse hat u. die Situation übersieht; aber die Masse der CDU-Mitglieder ist nichts als reaktionär u. ist dazu noch zu feige, das offen zu sagen. Sie tarnen sich unter einem „Christentum“, mit dem sie garnicht ernst machen u. zerren das Christentum in einen Kampf, der diesem sehr schaden wird.
In der Landeszeitung steht ein Aufruf des Kulturbundes zur Wahl, natürlich im Sinne der SED. Er ist von den Prominenten des Kulturbundes für Mecklenbg.-Vorpommern unterschrieben. An der Spitze Dr. h.c. Willi Bredel, der im Sommer hier war, ohne daß ich ihn kennen lernte. Er wohnte bei Erichson u. ist Landesleiter. Ferner der Rektor der Rostocker Universität Prof. Rienäcker, Lucie Höflich, Ehm Welk, Karl Kleinschmidt, Heinr. Tessenow, Erichson u. vielen anderen, die ich nicht kenne. [...]
[1916] Vormittags besuchte mich ein Herr Manfred Pahl=Rugenstein aus Berlin u. sah meine Bilder. Nachmittags ebenso der Maler Albrecht u. seine Frau, der mir einen guten Ueberblick über das Kunstleben in Berlin gab. [...]
[1916][1916] Martha erzählt mir, daß gestern der Rektor der Universität Leipzig in der BuStu. war u. davon gesprochen hätte, daß ich ein Meisteratelier an der Leipziger Kunstschule erhalten müßte. Damit kommt eine neue Perspektive auf. Ich würde einen solchen Ruf allerdings sehr gern annehmen. Der Rektor heißt: Prof. Dr. Gadamar.
[1916][...] [1917] Eine Dame soll hier sein, welche von mir kurze Angaben für den Schweriner Rundfunk anläßlich meiner Ausstellung in Rostock haben will. Ich habe etwas zusammengestellt, doch habe ich es nicht auf den zugebilligten engen Raum von 50 Worten gebracht, es sind 107 Worte geworden. Bis jetzt ist die Dame aber noch nicht bei mir gewesen.
[1917][...] [1917] Vormittags war Frau Haeffner bei mir, die angekündigte Dame vom Landessender Schwerin. Sie brachte noch eine andere Dame mit u. beide besahen sich Bilder. Frau Haeffner wünschte von mir ein Referat von etwa 80 Zeilen Umfang, welches am 8. Septemter zur Eröffnung meiner Ausstellung im Rundfunk verlesen werden soll. Wir sprachen die Sache durch u. ich las ihr zu diesem Zweck meine Rede vor, die ich in Rostock zu halten gedenke. Frau Haeffner gab mir einige gute Hinweise für den Fall, daß Russen bei meiner Rede zugegen sein sollten, was für mich überaus nützlich war. Ich arbeitete dann gleich das Referat aus, ließ es von Eva Küntzel mit der Maschine schreiben u. schickte ihr das Manuskript heute Abend. Frau H. ist eine sehr beachtenswerte Frau.
Konow aus Althagen hat heute angefangen, die Bilderkisten zu machen, leider regnet es heute pausenlos bei Nordwind. Es ist recht kalt. [...]
[1918][...] [1918] Ich las abends eine politische Rede Dr. Schumachers vom 17. März 1946 in Nürnberg, die in einer Zeitschrift abgedruckt war („Die Gefährten“ 1946/1.) Gott sei Dank, daß mir dieses Blatt in die Hände kam, diese Rede gab mir wieder Mut u. Zuversicht. [...]
[2001] Man muß also nach wie vor weiterkämpfen u. den Kommunismuß genau so ablehnen wie den Nationalsozialism. u. wenn man nicht aktiv kämpfen kann, dann muß man es wenigstens passiv tun u. seine Mitarbeit verweigern vor dem eignen Gewissen.
Ich denke, daß ich auch künstlerisch mich entscheiden werde. Ein Bild eines Kosaken-Offiziers wird man zwar niemals ausstellen können, aber man kann es doch wenigstens malen u. damit zeigen, wie diese Leute aussehen.
September 1946
Bearbeiten[...] [2002] Abends erhielt ich ein Telegramm vom Landessender Schwerin, der mich einläd, am kommenden Mittwoch dort meine Einführungsworte zur Rostocker Ausstellung selbst zu sprechen. Ich müßte dann, wenn Dr. Gräbke mich am Dienstag hier mit den Bildern abholt, am Mittwoch früh nach Schwerin rüber fahren u. am Donnerstag wieder nach Rostock zurückkommen. Ulkig komme ich mir vor als ein Mensch, um den man sich bemüht. – [...]
[2003] Seite:HansBrassTagebuch 1946-09-02 002.jpg [...]
[2003][2003] Seite:HansBrassTagebuch 1946-09-02 002.jpg [2004] Seite:HansBrassTagebuch 1946-09-03 002.jpg
[2004][2004] Seite:HansBrassTagebuch 1946-09-03 002.jpg [...]
[2004][...] [2005] Aus Rostock ist von der Museumsleitung Antwort eingetroffen, daß die Ausstellung „voraussichtlich“ im November stattfinden soll. Bis dahin könnte ich noch viel malen. [...]
[2005][2005] Martha fuhr heute morgen mit Herrn Sorg, der momentan mit seinem Auto hier ist, nach Daskow auf Hamsterfahrt. Sie hat allerhand bekommen, vor allem Kartoffeln u. Mohrüben u. Roggen. Das Problem ist jetzt bloß, die Sachen hierher zu bekommen. Sie kam erst gegen 4 Uhr zurück.
Nachmittags unser Künstler-Stammtisch, zu dem aber nur Koch-Gotha erschien. Er kam mit zu mir, um meine letzten Bilder zu sehen, die er noch nicht kannte. [...]
[2006] Herr Heyde brachte mir 8 – 9 Blätter Tabak für 20,– Rm. Ich habe einige zerschnitten u. zu rauchen versucht, doch ist der Tabak noch zu feucht. Ich habe ihn bei mir auf den Tisch zum trocknen gelegt.
Abends kam mit der Post ein eingeschriebenes Päckchen, Absender: Clemens, Chefredakteur, Hamburg 36. Karl Muckplatz 9. b. A. Wagner. – Ich kenne einen solchen Mann nicht. Das Päckchen enthielt einige Butterkekse, 10 engl. Zigaretten u. ein Tütchen mit Bohnenkaffee. Ich werde abwarten, vielleicht wird sich der Absender melden.
Vormittags gemalt. Der Anfang ist immer schwer, sodaß ich immer Angst habe, ich könnte das Bild nicht malen. [...]
[2006][2007] Der Bürgermeister Dillwitz in Althagen ist ein Mann von Charakter. Man hat ihm jetzt gesagt, er könne Bürgermeister bleiben, wenn er aus der CDU. austreten u. der SED. beitreten werde. So ist es mit zahlreichen anderen Bürgermeistern auch geschehen u. sie sind meist umgefallen. Ihr Umfall wird dann stets in der Landes-Zeitung groß gefeiert. Aber Dillwitz ist fest geblieben, ein braver Kerl. [...]
[2007][...] [2008] Abends Bilder von Picasso angesehen. Ein Maler, über den ich immer wieder staune. [...]
[2009][2009] In der BuStu. lernte ich heute Nachmittag eine Frau Kersten (oder ähnlich) kennen, die aus Schwerin ist u. dem Kulturbunde angehört. Ich sprach mit ihr über meine ev. Ausstellung in Schwerin u. über die Rivalität zwischen Venzmer u. Frau Dr. Riemschneider. Währenddem kam Ehm Welk mit seiner Frau in die BuStu. u. Frau Kersten machte mich bekannt. Ehm Welk meinte, gehört zu haben, daß ich im Oktober in Schwerin ausstellen würde. Wir verabredeten, daß er morgen zu mir kommen würde, die Bilder anzusehen. Ich werde vielleicht ihn veranlassen können, die Sache zu betreiben, da er übermorgen nach Schwerin fahren will. Man müßte mir aber schon einen Lastwagen schicken. – Ehm Welk selbst ist ein sympatischer Mann.
Von Frau Ursula Haeffner vom Landessender Schwerin bekam ich einen Brief, wonach mein „interessantes Manuskript“ immer noch ungesendet [2010] beim Landessender liegt. Sie bittet mich um Mitteilung, wann der Termin für die Schweriner Ausstellung genau feststeht, damit mein Referat dann von mir selbst gehalten werden kann. Ich will also versuchen, die Ausstellung noch im Oktober veranstalten zu lassen.
Nachmittags mit Martha im Kunstkaten, um die Portaitbüste zu besichtigen, die Loeber von Venzmer gemacht hat. Sie ist nicht schlecht, wenn auch nicht zu vergleichen mit dem Kopf von Partikel, den G. Marks gemacht hat. Dieser Kopf ist wirklich sehr eindringlich. Loeber möchte nämlich gern von mir eine Büste machen, aber ich habe keine Lust, 1000,– Rm. dafür auszugeben, wie Venzmer es getan hat, der sich dergleichen heute leisten kann.
Am „Aufbruch“ bin ich jetzt beim Hintergrunde angelangt, der recht schwierig ist. Es soll ein Aufruhr von Farbe sein, aus dem heraus sich die Figur der alten Frau entwickelt
[2010][2010] Nachmittags waren Ehm Welk u. seine Frau u. Frau Kersten da. Die Bilder machten einen sehr starken Eindruck. Frau Kersten, deren Sohn im Kriege gefallen ist u. die eine sehr gefühlsweiche Frau zu sein scheint, brach beim Anblick des Christkönigs in Tränen aus.
Ehm Welk ist der Vorsitzende der Ortsgruppe des Kulturbundes in Schwerin u. ist also eine maßgebende Persönlichkeit. Außerdem ist er ein prächtiger Kerl. Es will nun auf jeden Fall die Ausstellung in Schwerin machen u. glaubt, mir einen Lastwagen zum Transport der Bilder schicken zu können. Er fährt morgen nach Schwerin zurück.
[2010][...] [2010] Herr Welk wird mir also baldigst Nachricht geben, wann meine Ausstellung sein kann. Seine Frau bleibt noch hier u. er wird sie abholen. Es scheint also, als ob die Sache nun in Schwung käme. Ich habe gleich an Frau Haeffner vom Landessender geschrieben u. ihr die Sachlage mitgeteilt. Ich habe ihr vorgeschlagen, daß ich am Tage vor der Ausstellungs-Eröffnung das Referat selbst im Rundfunk sprechen werde. Herr Welk war sehr einverstanden mit meinem Vorschlag, die Ausstellung mit geladenen Gästen zu eröffnen, wozu ich dann eine Rede halten werde nach einigen einleitenden Worten, die Ehm Welk selbst sprechen wird. Auf diese Art kann diese Sache für Schwerin ein künstlerisches Ereignis werden.
Heute Vormittag wurde das Bild „Aufbruch“ fertig. Es ist ausgezeichnet geworden. Ich werde sofort einen Rahmen u. eine Kiste machen lassen, [...] [2011] damit dieses Bild noch mit zur Ausstellung gelangen kann. Es wird diese sehr bereichern u. man kann mir nicht vorwerfen, daß ich nur Blumen u. religiöse Motive male u. mich an den Gegenwartsereignissen vorbeidrücke. [...]
[2011] Heute haben wir zwei junge Hühner bekommen. Hanschatz hat uns schon vor längerer Zeit einen Stall hinter der Waschküche eingerichtet. Ich hoffe, daß wir noch mehr Hühner bekommen werden. Futter haben wir auch. Da wir im Sommer schon einige Kaninchen bekommen haben, werden wir unseren Speisezettel in Zukunft sehr verbessern können. Gestern u. heute hat Hanschatz uns auch Holz angefahren. Auch Preßkohlen haben wir im Sommer bekommen u. werden vielleicht noch mehr bekommen für die Werkstatt der BuStu. Dennoch werden wir sehr sparen müssen u. die Zentralheizung nur an ganz kalten Frosttagen heizen können. Ich werde in meinem Schlafzimmer einen Ofen stellen lassen u. wir werden dann alle dort sitzen. Wir haben auch Kartoffeln zu enormen Preisen gekauft u. werden hoffentlich im Winter etwas mehr zu essen haben wie im vorigen Jahre. [...]
[2011][2011] Vormittags die endgültige Zeichnung zum nächsten Bilde begonnen: „Mann im Kerker“. Der Entwurf war schwierig, ich habe sechs Versuche machen müssen bis ich zur jetzigen Lösung kam.
Mittags Brief von Frau Dr. Riemschneider-Schwerin, vom 16.9. Sie teilt mir mit, daß der Programm=Ausschuß [2012] des Kulturbundes beschlossen habe, meine Bilder dort auszustellen u. zwar im Oktober. Sie schreibt, daß es jetzt eine eigene „Sektion für Ausstellungswesen für kulturpolitische Ausstellungen“ gäbe, wodurch der Instanzenstreit zwischen ihr u. Venzmer beseitigt worden sei, da diese Sektion nun die höhere Instanz sei. Sie möchte nun, daß ich die Bilder umgehend schicke. Außerdem war sie in Rostock, um sich dort über die Hintergründe des Versagens in meiner Ausstellung zu informieren. Sie behauptet, daß Venzmer dahinter stecke; aber ich glaube das nicht. – Nach diesem Brief traf ein Telegramm ein, in dem Frau R. mich um meine Einwilligung zur Ausstellung bittet. Ich habe gleich telegraphiert u. zugleich einen Brief geschrieben. Die Sache scheint also vorwärts zu gehen. [...]
[2012][...] [2012] Herr Venzmer war da u. erkundigte sich nach meiner Ausstellung. Er hatte in Schwerin nur kurz mit Ehm Welk gesprochen. Er ist ein Umstandskrämer u. voller Bedenken u. Vorbehalte, wenn es nach ihm ginge, würde die Ausstellung nie zustande kommen. Er beklagte sich wieder heftig über Frau Dr. Riemschneider. Nun, ich hoffe, daß an diesen Differenzen die Ausstellung nicht scheitert. [...]
[2013][2013] Die neue Gemeindevertretung hat mich heute in den Gemeinderat gewählt, zusammen mit Herrn Degner. So sind beide Gemeinderäte Katholiken. Ich traute mich nicht, mich der Wahl zu entziehen u. nahm die Wahl an. Fritz, der Mittags zufällig im Gemeindeamt war, wo die Vertretung zu ihrer ersten Sitzung zusammengekommen war, brachte mir diese Nachricht, da man ihn beauftragt hatte, mir dies mitzuteilen u. mich zu fragen, ob ich die Wahl annehme. Man hatte ihm gesagt, daß man im Falle meiner Ablehnung ihn wählen würde. Fritz wird aber viel besser den Vorsitz im Kulturbunde übernehmen, wenn Dr. Burgartz einmal weggeht, womit zu rechnen ist. [...]
[2013][2013] Nachmittags 3 Uhr traf ein Auto ein mit einem Brief von Frau Dr. Riemschneider. Sie teilt mit, daß sie grade durch einen glücklichen Zufall einen Wagen bekommen habe u. sie ihn schicke, um die Bilder abzuholen. Abgesehen davon, daß die Bilder ja erst wieder verpackt werden müssen, ist der Wagen auch zu klein. Es ist ein alter Postwagen zum Paket-Transport, allseitig geschlossen, es ist ausgeschlossen, daß die beiden großen Kisten hineingehen. Zum Glück war Konow heute früh gekommen, um die Kiste für das Neue Bild „Aufbruch“ anzufertigen. Es blieb nichts anders übrig, als den Fahrer über Nacht im Dorf unterzubringen, denn es war unmöglich, die Kisten so rasch fertig zu machen. Ich habe mit Konow den ganzen Nachmittag gepackt, erst abends um 8 Uhr waren wir endlich fertig. Für das Bild „Aufbruch“ war der Rahmen noch garnicht fertig, ich mußte zu Meier nach Althagen schicken u. bekam den Rahmen, konnte ihn aber nicht mehr streichen. Das muß Frau R. in Schwerin machen lassen. Fritz fotographierte das Bild noch rasch. Ich habe [2014] ein ganz wehes Gefühl, daß ich mich schon von diesem Bilde trennen muß, noch ehe ich es selbst recht angesehen habe. [...]
[2014] In Rostock wird, wie ich höre, eine Ausstellung der beiden Verstorbenen: Partikel u. Oberländer, vorbereitet, – also trotz der Krankheit des Herrn Dr. Gräpke! Irgendwas scheint da also nicht zu stimmen. – [...]
[2015][2015] Gestern Brief geschrieben an Chefredakteur Clemens in Hamburg, von dem ich kürzlich das Päckchen mit Cigaretten u. Kaffee erhielt. Ferner eine Entgegnung geschrieben gegen eine flegelhafte Kritik, die in der Landeszeitung über moderne Kunst erschienen ist. Ich will das Manuskript an die „Demokratische Erneuerung“ in Schwerin schicken, wahrscheinlich wird man es ablehnen.
Ehm Welk ist gekommen. Ich sprach ihn eben in der BuStu. Mit der Eröffnung meiner Ausstellung will man den Wahlrummel der Landtagswahl abwarten. Diese ist am 20. Oktober, sodaß die Eröffnung dann am 27. Oktober sein wird. [2101] Es ist also wiederum ein neuer Aufschub. Da die Ausstellung 4 – 6 Wochen dauern soll, würden die Bilder erst im Dezember für Rostock frei sein u. erst 1947 für Berlin. [...]
[2101] An Pastor Kleinschmidt – Schwerin geschrieben über die Mängel dieser Saison u. Vorschläge zur Abstellung derselben gemacht.
[2101][...] [2101] Nachmittags kamen zwei Telegramme. Das eine ist von Frau Dr. Riemschneider, wonach meine Ausstellung bereits am 6. Oktober 11 Uhr in Schwerin eröffnet werden soll, u. zwar mit meiner Ansprache. Das andere ist von Frau Karsten desselben Inhalts, jedoch schränkt sie den Termin durch das Wort „voraussichtlich“ wieder etwas ein. Es widerspricht also durchaus dem, was Ehm Welk sagte, der außerdem der Ansicht war, es sei besser, wenn er selber spräche, weil das geehrte Publikum sonst der Meinung sein könnte, daß ich für meine Bilder Propaganda machen wollte. – Nun, ich werde jedenfalls am Sonnabend früh nach Schwerin fahren. [...]
Oktober 1946
Bearbeiten[...] [2102] Heute Abend hörten wir die Urteile im Nürnberger Prozeß. Schacht, Papen u. Fritsche sind freigesprochen, doch halte ich es für möglich daß man sie nun noch vor ein deutsches Gericht stellt. Sieben Todesurteile durch den Strang! – Man hatte es erwartet u. für Göring mindestens auch gewünscht; – aber nun schauert es einen doch, wenn man dieses Urteil liest. [...]
[2102][2102] Heute morgen erhielt ich einen Brief von Frau M. Riemschneider, den diese am 25. September geschrieben hat, also unmittelbar nach Eintreffen meiner Bilder in Schwerin. Sie teilt mit, daß das Auto dort gut angekommen sei u. daß sie das Bild „Aufbruch“ noch erwartet. Es wird hoffentlich inzwischen angekommen sein. Sie schreibt, daß meine Ausstellung nun also endgültig „im großen Vlamensaal“ stattfinden soll, den sie zu diesem Zweck ausgeräumt hat. Die Ausstellung soll auf jeden Fall dem 6. Okt. eröffnet werden mit einer kleinen Feier vor geladenen Gästen mit meiner Ansprache. – Sie betont, daß weder Venzmer noch Ehm Welk mit der Sache etwas zu tun hätten, daß die Ausstellung ausschließlich Museumsangelegenheit sei. Wegen der Wichtigkeit der Sache habe sie dieselbe aber dem Programmausschuß des Kulturbundes angeboten als kulturpolitische Ausstellung u. dieser habe sie auch so akzeptiert. Inzwischen sei, wie sie schreibt, neben diesem Programmausschuß noch eine zweite Dachorganisation des Kulturbundes entstanden, nämlich der Ausstellungsausschuß, der für ganz Mecklenburg zuständig sei u. ohne den von nun an überhaupt keine Ausstellung mehr in Mecklenburg gemacht werden könnte. Dieser Ausstellungsausschuß kann der Sektion Bildende Kunst die Veranstaltung einer Ausstellung übertragen, wie er auch das Museum oder sonst eine Stelle damit beauftragen kann. In meinem Falle hat er also das Museum beauftragt. – Daraus erklärt sich mir nun auch die etwas eigenartige Haltung von Ehm Welk, der mir am Sonntag etwas abgekühlt zu sein schien.
Ueber Venzmer schreibt Frau R., daß dieser sich in einer wenig freundlichen u. zustimmenden Weise über meine Bilder geäußert hätte. Auf sei Betreiben hin sei auch meine Rundfunkansprache, „abgesagt“ worden. Nun, das stimmt nicht ganz. Ich habe selbst darauf verzichtet, nachdem die Ausstellung in Rostock nichts wurde, Frau Haeffner vom Rundfunk dagegen hat von sich aus bei mir angefragt, wann ich das Referat halten wolle. Ich habe ihr gestern sicherheitshalber telegraphisch mitgeteilt, daß es am Sonnabend stattfinden könne. Frau R. behauptet, daß Venzmer die Absage bewirkt hätte mit der Begründung, daß meine Bilder „zu fromm“ seien. Frau R. hat darum die Sektion garnicht erst bemüht u. die Ausstellung bleibt deshalb eine Ausstellung des Museums.
Es scheint also doch so, als hätte Herr Venzmer seine Hände da im Spiel – u. vielleicht war das auch in Rostock schon der Fall, wie Frau R. behauptet. Es ist ja sehr auffällig, daß in Rostock jetzt eine Ausstellung von [2103] Partikel u. Oberländer gemacht wird, obwohl Herr Dr. Gräbke doch immer noch krank sein soll. –
Ueber den Ausstellungsraum schreibt Frau R., daß der Ausstellungsausschuß ihr die Wahl des Raumes übertragen hätte. Sie schreibt, daß der Ausstellungsraum, von dem Venzmer gesprochen hat u. der nach dessen Aussage, zu ebener Erde liege, in Wirklichkeit im Kellergeschoß gelegen sei u. noch dazu völlig abgelegen. Der Raum sei in keiner Weise für Gemäldeausstellungen zurechtgemacht, die Wände hätten in Blickhöhe farbig wechselnde Streifen. Der große Vlamensaal dagegen, den sie nun in Aussicht genommen habe, sei der eigentliche Empfangs= u. Festsaal des Museums. Sie will ihn für mich ausräumen. So scheint nun also die Raumfrage bestens gelöst zu sein. – Zum Schluß läd sie mich nochmals ein, bei ihr zu wohnen u. zwar mit Martha, die dann ja nach Berlin weiterfahren will. Ich selbst gedenke, am Montag wieder hierher zurück zu fahren.
[2104][2104] Es waren sehr ereignisreiche u. eindrucksvolle Tage.
Am Sonnabend früh, noch in tiefer Dunkelheit, fuhren Martha u. ich auf dem offenen Wagen von Brandt mit dem Kutscher Hanschak los gen Wustrow. Es war der Last-Plattenwagen mit Gummirädern, auf den wir drei Stühle gesetzt hatten, denn Dr. Burgartz hatte sich uns angeschlossen. Unterwegs sammelten wir noch drei junge Mädchen auf, die ebenfalls zum Autobus wollten. – Anfangs ging alles gut, aber unterwegs fing es an zu regnen, sodaß wir ziemlich durchnäßt in Wustrow um 7 Uhr ankamen (Sommerzeit). Im Autobus trafen wir den Maler Holtz, der nach Rostock zur Kulturbund-Sitzung wollte, welche am Sonnabend tagte. – Der Autobus war sehr voll, doch kamen wir mit u. hatten sogar Sitzplätze. – In Ribnitz trafen wir noch Frau Dr. Ummus mit ihrem Sohn, Medizin-Student. Beide wollten nach Rostock. Wir warteten gemeinsam im Wartesaal auf den Zug, der etwa eine Stunde später kam. Der junge Ummus bemächtigte sich unseres Gepäcks u. ergatterte mit großem Geschick für uns alle Sitzplätze in dem sonst sehr vollen Zug im letzten Waggon. Mutter u. Sohn Ummus stiegen in Rostock aus. Martha u. ich fuhren ohne Zwischenfall weiter durch bis Schwerin. Nur zum Schluß gab es eine kleine Rempelei mit einem jungen Mitreisenden infolge einer etwas unbedachten politischen Aeußerung meinerseits. Ich sah daraus, wie weltfremd man wird, wenn man jahraus u. jahrein hier [2105] auf dem Dorfe wohnt. Ich hatte nämlich geglaubt, man dürfe, seitdem es keine Nazis mehr gibt, seine politische Meinung äußern. Der junge Mann, der sich als SED=Mann entpuppte, belehrte mich, daß das ein Irrtum ist; man darf auch heute nichts sagen sondern muß das Maul halten.
In Schwerin erwartete uns Frau Dr. Riemschneider an der Sperre. Ihr Söhnchen Kaspar hatte einen kleinen Handwagen, auf den das Gepäck verladen wurde. Ich sah Schwerin zum ersten Male. Der große See, der, wie ich glaube, der Faule See heißt u. der uns gleich empfing, erinnerte lebhaft an das Alsterbassin in Hamburg, nur ist alles viel kleinstädtischer u. gemütlicher, also in gewissem Sinne besser wie Hamburg.
Schwerin ist durch Flüchtlinge u. eine sehr große russische Garnison u. viele hohe Stäbe überaus volkreich u. belebt. Es wimmelt von Autos. So ist der Eindruck sehr lebendig u. durchaus großstädtisch. Wir hatten bis zur Wohnung von Frau R. etwa 20 Minuten zu gehen u. auf diesem Wege empfing ich einen sehr angenehmen Eindruck. Frau R. wohnt in einer Dienstwohnung, die der Direktorin des Landesmuseums gebührt, die sie jedoch nicht voll ausnutzt, da sie auch andere Leute noch dort aufgenommen hat wie Frau Maaß u. deren Tochter. Frau M. versieht dafür den Haushalt offenbar sehr gut. Ich selbst schlief in einem Bett, welches jeden Abend aus dem Schlafzimmer in das große Büro der Museums=Verwaltung geschoben wurde u. das sonst Kaspar sein eigen nennt, während Martha nebenan im Eßzimmer auf einer Kautsch schlief. Zur Familie gehört noch die 13 jährige Barbara. Kaspar ist wohl 10 Jahre alt.
Nach dem Mittagessen machte sich Martha gleich auf den Weg, um allerhand zu erledigen, u. a. auch, um die Kirche zu erkunden die etwa 10 Minuten vom Hause entfernt liegt. Sie hat den Pfarrer gesprochen, der bereit war, uns am Sonntag Nachmittag 4 Uhr zu empfangen. Ich selbst besichtigte mit Frau R. das Museum u. meine Ausstellung.
Frau R. hat sich eine erstaunliche Mühe gegeben. Sie hat den repräsentativsten Saal, der sonst große Gemälde von Rubens u. a. Flamen enthält, für mich ausgeräumt u. hat dort meine Bilder in einer überraschend geschickten Weise gehängt. Wenn man eintritt, sieht man sich sofort dem Christkönig gegenüber u. dieses Bild wirkt schlechthin ungeheuerlich. Rechts u. links davon hängen die Engelbilder u. die Verkündigung. Diese alle hängen rechts neben dem breiten Eingang zu einem Halbrundraum, der in sich abgeschlossen ist u. in dem, in einzelne Kojen aufgeteilt, die gut unter Glas gerahmten Zeichnungen hängen, sowie die frühen Oelbilder. Auf der anderen Seite dieses Einganges hängt die Himmelskönigin, Melchisedek, der Prophet und –, vielleicht doch nicht ganz befriedigend, auch die Treppe, die da keine rechte Beziehung findet. An der links anschließenden Querwand hängen dann [2106] Dr. Tetzlaff u. die Wohnstube. Eine Tür führt dann zum Nachbarsaal, der aber abgesperrt war. Jenseits der Tür hängen ganz vorzüglich die Weidenkätzchen, die unerhört leuchten, sowie die „Blüten u. Dornen“. An der großen Eingangswand schließen sich dann die Landschaften an, unter denen die Ostseeküste mit ihren gelben Farben fabelhafte Leuchtkraft hat. Auf der anderen Seite des Einganges sind die Blumenbilder, auch noch an der anschließenden Wand, die wiederum eine zum Nachbarsaal abgeschlossene Tür hat. Hier an der Tür, zusammen mit den Blumen, hängt vorzüglich das Gnadenbild, das starken Eindruck macht. Jenseits der Tür hängt zwischen Dirne u. Gespenst der große „Aufbruch“; ebenfalls sehr stark wirkend. Daran schließt sich dann die Wand mit dem Christkönig. – Der ganze Eindruck ist ungeheuer stark u. ich war einfach erschlagen, als ich das sah. – Der Pfarrer von Ars hängt ganz für sich an der dunklen Holzwand, welche den dahinter liegenden Halbrundraum abschließt.
Am Sonntag um 11 Uhr war dann die feierliche Eröffnung. Am Abend vorher las ich zum Glück die Rede vor, die ich zu halten gedachte u. die Frau R. einfach unmöglich fand. Wieder zeigte sich, dass ich hier in der Abgeschiedenheit ganz das Gefühl für Menschen verloren habe, von denen ich gar zu leicht annehme, daß sie mir u. meiner Malerei feindlich sind. Ich entschloß mich darum, das Manuskript zuhause zu lassen u. eine Rede aus dem Stegreif zu halten. –
Es waren wohl 150 – 200 Menschen da. Herr Verlagsbuchhändler Bahn, Vorsitzender des Ausstellungsausschusses des Kulturbundes, sprach einige einleitende Worte u. erteilte mir dann das Wort. Ich sprach frei u. ungezwungen u. hatte sehr rasch einen lebendigen Kontakt hergestellt zwischen mir u. dem Publikum u. erntete zum Schluß lebhaften Beifall durch Händeklatschen.
Die Leute hatten moderne Bilder größtenteils noch nie gesehen, jedenfalls hat es in Schwerin dergleichen bisher nie gegeben, aber sie gingen bereitwillig auf alles ein u. zeigten größtes Interesse, – zunächst natürlich ohne eigentliches Verständnis. Ich wurde von vielen angesprochen u. um Erklärungen gebeten. Ich notierte mir den Landessuperintendenten Werner, einen Herrn Ziegler, der gern den Pfarrer von Ars gekauft hätte, ferner die beiden Schweriner Maler Gahlbeck u. Maltner, Herrn Altrock, welcher Geschäftsführer des Ausstellungsausschusses ist usw. Mehrere Leute wollten Bilder kaufen, was ich aber ablehnte, da die Kollektion ja vielleicht weiter gehen soll. Ich vertröstete die Leute auf später. Herr Venzmer war nicht erschienen, da er angeblich krank war, dafür aber war seine Frau als Beobachterin da u. machte bissige Bemerkungen über Frau Riemschneider. – So verlief also diese ganze Sache überraschend gut, wie ich es niemals [2107] gedacht hatte.
Am Morgen waren Martha u. ich natürlich zur hl. Messe gewesen. Abends waren Herr Heiling u. seine Frau bei uns. Frau H. entschuldigte sich, daß sie, als sie in Ahr. war, meine Bilder nie angesehen hätte. Sie gestand, daß sie in der BuStu. nur meine Zeichnungen gesehen u. diese nicht bejaht hätte; aber nun sei sie von dem Gesamteindruck völlig besiegt.
Nachmittags um 4 Uhr waren wir beim Pfarrer Dr. Schräder, der sehr liebenswürdig u. ein aufgeschlossener Mann ist, mit dem ich rasch Kontakt fand. Wir verabredeten, daß ich ihm am Montag Nachmittag die Ausstellung zeigen wollte. So entschloß ich mich also einen Tag zu zugeben, denn eigentlich wollte ich am Montag früh schon wieder zurück fahren. Ich mußte ja auch noch zu Frau Haeffner im Landessender, was ich am Montag Vormittag ausführte. Da mein Referat aber nicht vor dem Mittwoch gesendet werden konnte, kamen wir überein, daß es von jemand anders für mich gelesen werden sollte, denn bis Mittwoch konnte ich mit Rücksicht auf Fritz nicht bleiben, der am Donnerstag verreisen will.
Von Herrn u. Frau Ehm Welk, die ebenfalls bei der Eröffnung zugegen waren, hatte ich erfahren, daß die Herren Kollegen in Rostock eine große Attacke gegen mich in Szene gesetzt haben. Sie haben gegen die Ausstellung meiner Bilder im Rostocker Museum protestiert, mit der Begründung, daß noch niemals ein Rostocker Künstlerkollektiv im Rostocker Museum ausgestellt worden wäre. Es hat wohl Krach gegeben u. Ehm Welk hat den Herren seine Meinung gesagt. Er erzählte mir, daß sowohl der Stadtrat Matern wie auch Herr v. Achenbach sich mit Ehm Welk's Ansicht solidarisch erklärt hätten. In diesem Zusammenhang war es mir sehr interessant, von Frau Haeffner zu hören, daß auch bei ihr der Schweriner Maler Stapel, der ein Freund des Herrn Venzmer ist, erschienen sei u. den Versuch unternommen habe, die Rundfunksendung über mich zu verhindern. Daß Venzmer selbst gegen meine Rostocker Ausstellung intrigiert hat, steht wohl fest. Der Erfolg davon ist, daß er nun diese Ausstellung in Schwerin selbst hat u. zwar mit einer Wirkung, wie er es sich wohl nie hat träumen lassen. Frau Riemschneider hat einen umfangreichen Artikel über meine Ausstellung in die Tägliche Rundschau gebracht u. es wird dazu sogar eine Reproduktion eines Bildes erscheinen. Frau Ehm Welk, die unter dem Namen Langner schreibt, bringt einen langen Artikel in der Landeszeitung u. in der Zeitschrift des Kulturbundes „Demokratische Erneuerung“ erscheint ebenfalls ein Artikel von Frau Riemschneider.
Am Montag abend waren wir durch Vermittlung der Schauspielerin Gruel Gäste im Staatstheater u. sahen aus der Intendantenloge das Tendenzstück „Professor Mamlock“, von dem so viel her gemacht wird. Die Schauspieler taten ihr Bestes, um dieses Stück zur Aufführung zu bringen, aber es ist ein großer [2108] Schmarren mit billigen Effekten.
Heute früh fuhr Martha nach Berlin weiter u. ich fuhr hierher zurück. In Ribnitz fand ich nur ein Schiff nach Wustrow u. dort regnete es in Strömen. Fritz holte mich zum Glück ab. Ich kam völlig durchnäßt zuhause an, von den Knien abwärts bis auf die Haut naß, sodaß ich mich total umziehen u. Kleider u. Mantel zum trocknen aufhängen mußte.
Ich vergaß zu berichten, daß Pfr. Dr. Schräder am Montag Nachmittag mit aller größtem Interesse meine Ausstellung besichtigte u. daß wir uns dabei sehr anregend unterhielten. Natürlich waren Martha u. ich auch am Montag Morgen in der Messe gewesen, wie auch am Sonntag ein zweites Mal gleich nach unserem Besuch beim Pfarrer. Er ist ein sehr angenehmer Mann, mit dem man gut befreundet sein könnte, wenn ich in Schwerin wäre. – Und mir scheint daß ich gern dort wäre, falls ich dort eine gute u. bequeme Winterwohnung finden würde, woran aber bei der derzeitigen Uebervölkerung nicht zu denken ist.
Hier zuhause zeigte mir Fritz, daß die Landes-Zeitung meine Entgegnung „Kritik der Kritik“, die ich vor 14 Tagen Ehm Welk für die „Demokrat. Erneuerung“ gegeben hatte, gebracht hat, u. zwar nur in der Rostocker Ausgabe, sodaß ich sie in Schwerin nicht gelesen habe. Fritz ist ärgerlich, daß die Landeszeitung diesen Artikel sehr gekürzt hat, aber man kann der Zeitung nicht übel nehmen, wenn sie die Stellen weggelassen hat, die sich gegen die Zeitung selbst richten. Ich finde es sehr anerkennenswert, daß die Zeitung diesen Artikel gebracht hat u. habe mich darüber gefreut. Ferner ist in derselben Zeitung eine größere Notiz erschienen über eine geplante Ausstellung „Ahrenshooper Künstler“, jedoch ist der einzige Ahrenshooper, der da genannt wird, der vor 30 Jahren vestorbene Schorn. Dafür aber wird Herr Venzmer um so hervorragender genannt, obgleich er garkein Ahrenshooper Künstler ist. Man scheint also meine Ausstellung in Rostock endgültig zu den Akten gelegt zu haben u. Herr Venzmer hat sich dafür in den Vordergrund geschoben. Nun gut! – Ich habe mich zu keiner Ausstellung gedrängt u. werde das auch in Zukunft nicht tun.
Am Montag, als ich dem Pfarrer die Bilder zeigte, war auch Frau Karsten zu gegen mit ihrer Tochter u. dem soeben verlobten Schwiegersohn, der sich wohl auch Mühe geben will, über mich in der demokrat. Presse zu schreiben. Außerdem war da ein schwer kriegsbeschädigter, einbeiniger junger Mann namens Brandt, von dem ich nicht weiß, woher er kam u. der voll großer Bewunderung war.
[2108][2108] Heute abend bekam ich die Landeszeitung vom gestrigen Tage mit der Besprechung meiner Schweriner Ausstellung von Agathe Lindner = Frau Ehm Welk. Die Zeitung hat die Besprechung ungekürzt gebracht, obgleich sie gut 3 volle Spalten lang ist u. einen enormen Platz beanspruchte. Die Sache wirkt natürlich ganz außerordentlich u. ich denke mir, daß die Rostocker recht dumme Gesichter machen werden. In dieser Woche ist mein Name so reichlich in dieser [2109] Zeitung gedruckt gewesen, daß ich zufrieden sein kann. Wenn nun noch der Artikel von Frau Riemschneider in der Täglichen Rundschau erscheinen wird, dann ist wirklich sehr viel getan. [...]
[2109][2109] Vormittags legte ich das neue Bild „Mann im Kerker“ an. Mittags kam P. Beckmann per Rad von Ribnitz. Er berichtete, daß Herr Dr. Rudolf am Sonntag bei uns am Nachmittag das hl. Meßopfer darbringen will. Dr. R. ist der Pfarrer u. Religionslehrer, der mit den Flüchtlingen aus dem Sudetenlande hierher gekommen ist Es scheint das ein ausgezeichneter Mann zu sein. P. Beckmann aß mit mir zusammen zu Mittag u. fuhr dann nach Ribnitz zurück. Es ist wirklich ein prachtvoller junger Jesuit. Er fragte gleich nach dem Erfolg meiner Bitte beim Kardinal um Unterstützung in der Beschaffung von Farben. Ich erzählte ihm, daß ich zur Antwort bekommen hätte, daß jetzt Nahrung und. Kleidung wichtiger wären. Er meinte dasselbe, was ich meinte, daß daran garnicht zu zweifeln sei, aber mit meiner Bitte nichts zu tun hätte.
Später brachte mir der Maler Klünder, der Schwiegersohn von Koch-Gotha, eine Postkarte von der Landesleitung des Kulturbundes, Sektion Bild. Kunst, in Schwerin folgenden Inhalts:
Aus besonderen Gründen, auf die ich hier nicht eingehen kann, wird die Sonderausstellung Ihrer Arbeiten durch einen sogen. Ausstellungsausschuß des Kulturbundes durchgeführt, die Sektion Bildende Kunst in der Landesleitung des Kulturbundes zeichnet für diese Ausstellung nicht verantwortlich.
Schwerin, den 4.10.46
Ich habe lange gebraucht, um hinter den Sinn dieser törichten Auslassung zu kommen u. meine Haltung zu bestimmen. Ich habe dann schließlich einen Brief verfaßt, den ich abschriftlich Frau Dr. Riemschneider senden werde. In meiner Antwort habe ich an Hand meiner Tagebuch-Aufzeichnungen klargelegt, daß:
1) die Initiative zu dieser Ausstellung nicht von mir u. auch nicht von Frau Dr. Riemschneider [2110] ausgegangen ist, sondern von der Landesleitung des Kulturbundes, Herrn Pastor Kleinschmidt, u.
2) daß die Sektion für Bild. Kunst von keiner Seite aufgefordert worden ist, für diese Ausstellung verantwortlich zu zeichnen u. daher ihre Mitteilung völlig unverständlich ist.
Die ganze Sache ist eine dumme Unverschämtheit dieses Venzmer, der in seinem Haß gegen Frau. Dr. Riemschneider jede Haltung verloren zu haben scheint. – Ich werde morgen Frau Dr. R. Abschriften zugehen lassen.
[2110][2110] Da das gestern untermalte Bild nicht trocken, ist benutzte ich den Vormittag um Frau Dr. Riemschneider das Vorgefallene mitzuteilen. Abschrift meines Briefes an die Sektion habe ich hier behalten. Es ist seit gestern prächtiges Wetter, das Barometer steht sehr hoch, aber einen Schnupfen habe ich weg.
[2110][2110] Nach der Landeszeitung ist nun auch das Organ der CDU. in Schwerin „Der Demokrat“ mit einer Besprechung herausgekommen, u. zwar gleich in doppelter Aufmachung. Der erste Teil unter dem Titel: „Hans Brass der Expressionist – Bilder sprechen zu uns“ ist von einem Herrn Hans-Günter Mayer gezeichnet, der zweite Teil von einem Götz-Gunter Keil. Beide Kritiker geben sich wohl Mühe, besitzen aber kein Verständnis. Immerhin spricht der erste von einer „unerklärlichen Feinsinnigkeit“ des Christkönigsbildes u. meint, daß man durch das Bild hindurchsehen könne. Er bemerkt, daß zwar nicht jeder leicht den Weg zu meinem Schaffen finden könne u. daß Wille u. Beschäftigung mit den Bildern dazu gehöre, um sie zu erkennen u. er erkennt an, daß in meinen Bildern Tiefe u. hohes künstlerisches Verantwortungsgefühl vorhanden sei. – Der zweite stellt fest, daß es nur wenige Menschen geben wird, die meine Sprache verstehen. Er erklärt, daß die Bilder auf inneren Widerstand stoßen u. teilweise sogar „ängstigen in ihrem Realismus“ Dieser Herr Götz-Gunter Keil hat also offenbar überhaupt nichts abbekommen, denn er schließt mit einem Hinweis auf die Bilder des 17. u. 18. Jahrhunderts, die man durch die offenen Türen in den Nachbarsälen sieht. Von diesen sagt er, daß ihre Klarheit u. Schönheit seine Sprache seien u. seine Welt. Der arme Mann hat das Wesen des 20. Jahrhunderts immer noch nicht begriffen u. ich verstehe nicht, wie solch ein Mensch überhaupt leben kann.
Vormittags gemalt.
[2110][2110] Gestern Artikel geschrieben: „Dank an Schwerin“, für die Demokratische Erneuerung. Ich fürchte nur, daß er viel zu lang ist. [...]
[2111][2111] Ein Herr Ernst Laukant aus Boizenburg schickte mir Zeichnungen seiner 18-jährigen Tochter. Er hat über mich in der Landeszeitung gelesen u. bittet mich, die Arbeiten seiner Tochter zu begutachten. Etwas überaus besonderes ist es nicht, aber ganz talentiert. [...]
[2112][2112] Nachmittags entdeckte ich in der Landeszeitung einen neuen Artikel über meine Schweriner Ausstellung. Verfasser ist ein Schriftsteller Adam Scharrer aus Schwerin, derselbe, welcher bereits vor Eröffnung meiner Ausstellung u. ehe er überhaupt je ein Bild von mir gesehen hatte, am Landessender den Versuch unternommen hatte, die Sendung über mich zu inhibieren. Dieser Herr ist, wie ich von Frau Dr. Riemschneider hörte, ein Freund von Venzmer, welcher ihn immer vorschickt, wenn er selbst im Hintergrunde bleiben will. Natürlich nimmt Herr Sch. entschieden gegen mich Stellung, hauptsächlich deshalb, weil meine Bilder keine Waisenkinder oder sonstige Menschen der Zeit, Flüchtlinge, Kriegskrüppel, Heimkehrer oder Arbeiter zeigen, dann [2113] aber auch wegen meiner Malweise, die er einen „Hexensabbat von Farben u. Masken u. Fratzen“ nennt. Es nennt meine Malerei eine Gefahr (!) –, weil dadurch junge Malschüler irritiert werden könnten. Man spürt dahinter den geheimen Wunsch eines Verbotes wie zu Hitlers Zeiten, nun aber auf Geheiß von Wilhelm Pieck. – Die Landes Zeitung selbst fordert in einer Bemerkung zu weiterer Debatte auf. Das kann ja gut werden. –
[2113][2113] Fritz brachte mir noch Zeitungsausschnitte mit, von denen eine Notiz im „Demokrat“ für mich neu war. Es wird auf die stattgefundene Diskussion vor meinen Bildern hingewiesen in sehr wohlwollender Weise. Fritz sagt, es seien etwa 400 Menschen zugegen gewesen. Der Kritiker des Demokrat: Götz-Günther Keil, stellt fest, daß die rege Beteiligung beweise, daß die Schweriner Bevölkerung sich ernsthaft mit meinen Bildern beschäftige. Das Publikum erkenne widerspruchslos das ernste Ringen an, das in meiner Arbeit zum Ausdruck komme, wenn auch die Meisten die Bilder ablehnten. – Diese Kritik ist also sehr anständig. –
Außerdem ist im „Demokrat“ noch eine weitere Kritik von Ursula Karsten erschienen unter dem Titel: „Zeitnahe Kunst, ein drittes Wort zur Ausstellung Hans Brass.“ Diese Kritik ist sehr positiv u. ausführlich. – Es geschieht also in Schwerin wirklich sehr viel. –
Fritz brachte mir ferner einen ausführlichen Brief von Frau Dr. Riemschneider mit. Er ist am vorigen Sonntag gleich nach der Diskussion geschrieben u. sie versucht, mir dieses Ereignis zu beschreiben, obgleich sie, wie sie schreibt, noch keinen rechten Abstand dazu habe. Sie schreibt, daß die Diskussion würdig u. wohlgelungen verlaufen sei u. manch einer dadurch doch noch ein positives Verhältnis zu meinen Bildern gefunden habe. Von Pfr. Dr. Schräder schreibt sie, daß er der Sache „lächelnd u. schweigend beigewohnt“ habe.
Die Diskussion wurde von Ehm Welk eröffnet. Es sei dann gleich der Maler Gahlbeck aufgetreten, wohlpräpariert mit vielen Notizzetteln bewaffnet, der die Ansicht vertreten habe, daß meine Malerei eine Sackgasse sei. Daraus habe sich eine fruchtbare Diskussion zwischen G. u. Frau Dr. R. ergeben, die aber leider durch „Kulturbundquerulanten“ Adam Scharrer wieder gestört wurde. Dieser selbe Mann hat ja auch in der Landeszeitung versucht, mich runter zu reißen. Herr Sch. meinte, daß diese Diskussion ein leeres Fachgespräch sei, das nicht interessiere, meine Kunst [2114] sei nicht „zeitnahe“. Er hat also zum Ausdruck gebracht, was er nachher in der Landeszeitung geschrieben hat. Frau Dr. R. meint, daß seine Behauptung, die Bilder seien nicht zeitnahe, auf allseitigen heftigen Protest gestoßen sei unter Hinweis auf den „Aufbruch“.
Danach habe Frau Karsten sehr schöne Erklärungen der Bilder „Aufbruch“ u. „Wohnstube“ gegeben u. habe damit allseitige Zustimmung geerntet. Diese Erklärungen gibt sie ja auch in ihrer Kritik im „Demokrat“, nur daß ihr leider das Mißgeschick begegnet, daß sie die Alte auf dem Bilde „Aufbruch“ als Mann u. Vater deutet, was mir einigermaßen unverständlich ist. Herr Scharrer aber habe nach seinem vollbrachten Protest den Saal verlassen, ohne sich noch weitere Erklärungen anzuhören. –
Irgend ein aufgeregter, alter Mann mit „kriegerischen Allüren“, aus denen nicht recht ersichtlich geworden sei, ob für oder wider, erklärte das Bild „Weidenkätzchen“ für ein sehr schönes Bild, u. die Tatsache, daß man darüber überhaupt diskutiere, sei ein Frevel. –
Ehm Welk schloß darauf die Diskussion mit einem kurzen Schlußwort. Hinterher habe sich dann ergeben, daß das anwesende Publikum sich in zwei Lager spaltete. Um Frau Dr. R. habe sich die ganze Jugend geschart während die Opposition sich um Gahlbeck sammelte. –
Frau Dr. R. schreibt, sie sei vom Verlauf sehr befriedigt gewesen. Bis zum Sonntag Mittag seien 700 Eintrittskarten verkauft worden, die geladenen Gäste nicht gerechnet. Fritz meint, daß sich der Verkauf jetzt auf 1100 Karten beliefe. Das ist enorm. Frau Dr. R. schließt ihren Brief mit den Worten: „Wenn die gesamten Mecklenburger nicht entfernt so zögen wie der eine, dem das Rostocker Museum seine Pforten nicht öffnen soll, so wäre das doch eine vergnügliche Perspektive.“ –
Auf jeden Fall ist bewiesen, daß in ganz Mecklenburg noch nie eine Bilderausstellung so weite Kreise in Erregung gebracht hat, wie diese, – u. das allein ist ein ganz großer Erfolg, selbst wenn die Opposition die Mehrheit hat.
Die Landeszeitung von gestern, die heute gekommen ist, bringt bereits wiederum eine ziemlich ausführliche Notiz über die Diskussion, überschrieben: „Respekt vor den Werken der bildenden Kunst“. Unterschrieben ist die Notiz: „Y.H.“ – Wer das ist, weiß ich nicht. [...]
[2115][2115] Nachmittags Briefe geschrieben an Dr. Hertwig in Bln-Zehlendorf, an Herrn Manfred Pahl-Rugenstein, ebenfalls Zehlendorf. Vielleicht läßt sich eine Ausstellung im Haus am Waldsee machen. Rechtsanw. Hoffmann ist ja in derselben Richtung tätig. Ferner habe ich an Dr. Graepke – Rostock geschrieben. Ich habe ganz dumm getan u. ihm mitgeteilt, daß die Bilder nun zu der geplanten Ausstellung bereit sind. Endlich schrieb ich an Fr. Dr. Riemschneider u. fragte an, was sie mit dem kleinen Asternbild vorhatte, das sie zurückgehalten hat, – ob sie erwartet, daß ich dem Museum das Bild zum Geschenk mache. Ich wäre dazu bereit. Ferner habe ich die Frage aufgeworfen, ob man die Ausstellung um 14 Tage verlängern soll, das würde ja gut wirken. Die Diskussion über die Ausstellung reißt immer noch nicht ab, heute findet sich in der Landeszeitung wieder ein Artikel als Antwort auf den Angriff von Herrn Adam Scharrer. Der Einsender ist nicht genannt. Da er Herrn Scharrer „Genosse“ nennt, glaube ich fast, daß Dr. Burgartz der Schreiber ist. [...]
[2116][2116] Gestern schrieb ich Briefe an Dr. Hertwig – Bln-Zehlendorf u. an Manfred Pahl-Rugenstein, ebenfalls Zehlendorf, um beide für eine Ausstellung meiner Bilder in Zehlendorf im „Haus am Waldsee“ zu interessieren. Heute schrieb ich an Prof. Resch vom Kulturbund Berlin wegen der s. Zt. von ihm geplanten Ausstellung u. ferner an Ilse Langner, um durch sie vielleicht die Berliner Presse für meine Schweriner Ausstellung zu interessieren. Auch Prof. Resch soll Dr. Adolf Behne dafür interessieren. [...]
[2117] Herr v. Achenbach soll das Gerücht verbreiten, daß einer dieser KPD=Pastoren, Herr v. Jüchen, in der kommenden Woche an der Rostocker Universität einen Vortrag gegen den Expressionismus halten wird. Ich halte das für unglaubhaft. Pastor v. Jüchen ist ein Freund von Pastor Kleinschmidt, der bestimmt kein Gegner expressionistischer Kunst ist, u. außerdem hieße es, Eulen nach Athen zu tragen, wenn man hierzulande gegen den Expressionismus sprechen wollte. Wenn überhaupt, dann kann man hier nur für ihn sprechen. Aber man sieht, daß auf allen Gebieten die Luft hier immer dicker wird u. keiner mehr dem anderen traut. Das Leben, – ohnedies nicht leicht –, wird dadurch immer weniger angenehm u. es ist wirklich des Ueberlegens wert, ob man dem nicht entfliehen soll, diesmal nach Berlin, wo es doch anscheinend noch einen Kreis von Menschen gibt, der sich von diesen Dingen frei hält. Martha behauptet jedenfalls, daß der Rechtsanw. Hoffmann in solchem Kreise verkehrt. Aber wie soll man dort eine Wohnung finden? [...]
[2118][2118] Telegramm von Marg. Riemschneider, daß sie mit Barbara am Freitag abend hier eintreffen wird. –
Die neue Nummer 7 der „Demokrat. Erneuerung“ ist erschienen mit einem Aufsatz von Marg. Riemschneider „Zur Ausstellung Hans Brass“. In der Bildbeilage ist eine Reproduktion des „Gnadenbild“, das leider zur Reproduktion recht ungeeignet ist. [...]
[2201][2201] In der Landeszeitung verbreitet sich ein Herr Harald Oberg aus Wismar unter dem Titel „Abwege der Kunst“ über meine Schweriner Ausstellung in einer höchst arroganten Weise. Dieser Herr, der Schulmeister in Wismar zu sein scheint, erklärt ganz einfach, daß ich „überhaupt nicht mehr zur Diskussion stehen sollte“. – [...]
November 1946
Bearbeiten[...] [2201] Am Freitag-Nachmittag hatten die Fischländer bildenden Künstler eine Versammlung bei Möller-Knecht. [2202] Dr. Burgartz hat den Vorsitz der Ortsgruppe Ahrenshoop des Kulturbundes niedergelegt. Wir Künstler beschlossen daher, diese Ortsgruppe machen zu lassen, was sie will, uns selbst aber als selbständige Sektion Fischland zusammenzuschließen. Wir wählten den Maler Holtz – Wustr. zum Vorsitzenden, der das nicht anders erwartet hatte u. dementsprechend bereits allerhand Schriftstücke zur Besprechung mitgebracht hatte, die er von seinem Freunde Venzmer bekommen hatte. Unter anderem war da auch ein Brief des Herrn Venzmer an die einzelnen Sektionen, in welchem er einen Passus aus einer Rede mitteilte, die Herr Dr. Willi Bredel kürzlich irgendwo gehalten hat u. in der er feststellt, daß die Künstler immer noch nicht „zeitnahe“ arbeiten. Herr V. bittet die einzelnen Sektionen um Stellungnahme dazu. – Es wurde mit erfreulicher Einmütigkeit zum Ausdruck gebracht, daß wir uns solche Einmischung in unsere Arbeit verbitten u. daß die künstlerische Freiheit des Schaffens unbedingt gewahrt werden muß. [...]
[2202] Gestern bekam ich wiederum einen Angriff in der Landeszeitung unter dem Titel: „Es brasselt“, unterzeichnet von einem J. Wermann, Künstlerkollektiv Techentin. Diese Auslassungen sind höchst geschmacklos u. dumm. Der Herr J. W. regt sich besonders auf, daß ich bei dem „Gnadenbild“ weder der Jungfr. Maria noch dem Jesuskinde die Gesichter gemalt habe. Von meinen Bildern meint er, „die Farben aber sind scheußlich“. Er lobt dagegen meine Zeichnungen u. von dem Holzschnitt „Rufender Johannes“ ginge ein starker Eindruck aus. – Auch Frau Dr. R. weiß nicht, wo Techentin auf der Landkarte zu suchen ist u. woraus dieses „Künstlerkollektiv“ besteht. Dieses Wort ist z. Zt. sehr modern, es wird bei uns nach russischem Muster alles kollektiviert.
Heute findet, sich in der Landeszeitung eine Notiz, daß meine Schweriner Ausstellung um 14 Tage verlängert ist bis zum 17. November. Das Künstlerkollektiv Techentin u. was dazu gehört wird sich also noch 14 Tage länger über meine Bilder, ärgern können.
[2203][...] [2203] Heute bekamen wir durch Vermittlung von Schönherr 30 Centner Kartoffeln aus Daskow. Es war sehr schwierig, da Daskow im Kreise Franzburg-Barth liegt u. keine Lebensmittel den Kreis verlassen dürfen. Polizeiposten halten in Damgarten jeden Transport auf. Infolgedessen mußten die Kartoffeln im Motorboot gebracht werden, um den Polizeiposten zu umgehen. Das Boot hatte 110 Centner geladen, viele Wustrower waren daran beteiligt. Es kam erst kurz vor 6 Uhr in Wustrow an, wo Fritz mit den Wagen von Holzerland u. Spangenberg wartete. Da diese beiden schon von 4 Uhr ab gewartet hatten u. nur mit viel Schnaps gehalten werden konnten, waren sie inzwischen schwer betrunken, besonders Spangenberg. Aber schließlich waren die Kartoffeln doch gegen 8 Uhr hier. Morgen früh werden sie eingemietet. Dann sind wir eine große Wintersorge los.
Von der Museumsleitung Rostock heute Antwort auf meine Anfrage wegen meiner Ausstellung. Es bestätigt sich, daß Dr. Graebke Rostock verlassen hat u. in eine Westzone ausgerissen ist. Sein Nachfolger Dr. Fiesel (?) teilt mit, daß aus der Ausstellung wegen vieler fadenscheiniger Grunde nichts würde, auch habe sich die Sektion für Bild. Kunst in Rostock dagegen gestellt. Es ist also wirklich so, wie Frau Dr. R. u. früher schon Ehm Welk sagten. Man war aber zu feige, mir das mitzuteilen. –
An Gert H. Theunissen, den berliner Kritiker, einen Brief geschrieben u. versucht, ihn für Schwerin zu interessieren.
[2203][2203] Johannes R. Becher, der als Präsident des Kulturbundes im Sommer hier im Hause Strohschnitter gewohnt hat, ist heute wieder hier, um das Haus von Prof. Niemöller für sich in Besitz zu nehmen. Mit ihm sind Stadtrat Matern u. Herr v. Achenbach hier. – Wie ich höre, müssen die im Hause untergebrachten Flüchtlinge sofort räumen. Herr Becher wird also Ahrenshoop als [2204] Dichtersitz erwählen, wie Gerhard Hauptmann etwa auf Hiddensee gelebt hat. Hoffentlich wird er hier auch so gut dichten wie jener dort. – [...]
[2204] Heute Abend wurde das Licht nicht abgeschaltet, sodaß wir ununterbrochen Strom hatten. Leider war man nicht darauf vorbereitet u. konnte die gute Sache zu wenig ausnutzen. [...]
[2204][...] [2204] Auch heute wurde das Licht nicht ausgeschaltet, u. zwar ist der Grund dafür die russische Revolutionsfeier, die, wie man sagt, drei Tage dauern soll, so daß wir auch morgen noch Aussicht auf Licht haben. [...]
[2204] Unsere Kartoffeln sind immer noch nicht in der Miete, da sich ergeben hat, daß sehr viele schlecht sind u. aussortiert werden müssen, was im Eßzimmer auf dem Fußboden geschieht. [...]
[2204][2204] In der Landeszeitung erschien abermals ein Artikel von Frau Dr. Riemschneider über meine Ausstellung, in welchem sie mit großem Vergnügen meinen Gegnern eins auswischt. Sie stellt fest, daß durch meine Ausstellung Leben u. Bewegung entstanden sei u. daß die Besuchsziffer alles hinter sich lasse, was bisher auf Kunstausstellungen im Landesmuseum erzielt worden sei. Sie meint ferner, daß Jugendliche u. Arbeiter sich durchweg für meine Bilder ausgesprochen hätten, während die Intelligenz [2205] sich kopfschüttelnd verhielte, – nur bei meinen Herren Kollegen u. ihrer Begleitung gäbe es verstohlenes Gekicher u. Gemäcker. –
Am Nachmittag hatten wir wieder wie im vorigen Jahre eine Versammlung der Mitarbeiterinnen in der BuStu. Ich hielt ihnen vor meinem Bilde „Mann im Kerker“ einen Vortrag über das, was für mich der Gegenstand meiner künstler. Arbeit ist. Alle waren sehr dankbar.
Der „Mann im Kerker ist heute endlich fertig geworden, doch mag es sein, daß ich am Montag noch einige abrundende Pinselstriche machen werde.
Die russische Revolutionsfeier ist leider vorbei, das Licht wurde heute wieder um 6 Uhr abgeschaltet. [...]
[2205][...] [2206] Ich schrieb dann einen Artikel für die „Demokrat. Erneuerung“, den ich gestern entworfen habe, las dann in einem Buch „In jungen Jahren“ von Adam Scharrer, demselben, der mich in der Landeszeitung so runter gemacht hat. Es ist eine Biographie u. nett geschrieben, wennschon nicht überragend. [...]
[2207][...] [2207] In Berlin hat die Schauspielerin Käte Dorsch dem 23 jährigen Lauselümmel u. sog. Kunstkritiker Wolfgang Harig eine wohlgezielte Ohrfeige gelangt für eine Kritik, die er in der Tägl. Rundschau geschrieben hat. Das ist im höchsten Grade erfreulich. [...]
[2208][...] [2208] Mein Tabak ist wieder alle, es beginnt wieder die Zeit des qualvollen Kampfes gegen den Wunsch, zu rauchen, der zuletzt doch immer mit einer Niederlage endet u. dann peinigende Erschöpfungszustände verursacht. Aber es ist nicht mehr zu verantworten, Tabak zu kaufen. Ich habe einmal von Heyde für 200,– Rm. gekauft u. dann nochmals für 300,– Rm. Wo soll das hinführen.
Heute Morgen erhielt ich einen Brief eines Herrn Edgar Zieger aus Sellin auf Rügen. Dieser Herr hatte mich in Schwerin am Eröffnungstage in der Ausstellung angesprochen u. gefragt, ob ich ihm den „Hl. Pfarrer von Ars“ verkaufen könne. Ich bedauerte u. sagte ihm, daß die Bilder nach Berlin weitergehen müßten, er möge später wieder mal anfragen. Ich glaubte, daß er die Sache dann vergessen würde. Aber nun wiederholt er seine Bitte, fragt nach dem Preis –, oder nein, das tut er überhaupt nicht –, u. möchte das Bild zu Weihnachten haben. Ich werde ihm schreiben, daß er das Bild für 1000,– Rm. haben kann, vielleicht holt er es sich selbst aus Schwerin ab. – Das Bild ist klein u. wird insofern keine große Lücke hinterlassen, aber als Bild wäre es doch sehr wertvoll auch für Berlin, obgleich ich heute schon nicht mehr ganz mit dem Bilde einverstanden bin. Der Preis für ein so kleines Bild kommt mir zwar fantastisch vor, aber ich kann für das Geld grade 3 Pfund Butter kaufen. Und die habe ich sehr nötig Oder so viel Tabak, daß ich ein halbes Jahr rauchen kann. [...]