Gesetzestext
korrigiert
Titel: Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegsstrafverfahrensordnung – KStVO)
Abkürzung:
Art: Verordnung
Geltungsbereich:
Rechtsmaterie: Militärstrafrecht
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1939 Teil I, Nr. 147, Seite 1457–1476
Fassung vom: 17. August 1938
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 26. August 1939
Inkrafttreten: 26. August 1939
Anmerkungen: Datum des Inkrafttretens siehe: Verordnung über das Inkrafttreten der Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz und der Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz, Commons.
siehe auch Nationalsozialistisches Recht
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[1457]

Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz
(Kriegsstrafverfahrensordnung - KStVO)
Vom 17. August 1938

Erster Teil

§ 1 Allgemeine Grundsätze
(1) Zur Sicherung der Wehrmacht und des Kriegszwecks wird ein vereinfachtes Verfahren (das Kriegsverfahren) eingeführt.
(2) Folgende Vorschriften müssen unter allen Umständen beachtet werden:
1. die Hauptverhandlung muß vor drei, im Verfahren vor dem Reichskriegsgericht vor fünf militärischen Richtern stattfinden (§§ 9, 10),
2. der Angeklagte muß in ihr zu der Anklage gehört, insbesondere zum letzten Wort zugelassen werden, soweit er sich nicht selbst der gerichtlichen Untersuchung entzogen hat (§ 59 Abs. 1, § 61),
3. das Urteil muß mit Stimmenmehrheit erzielt, schriftlich abgefaßt und mit Gründen versehen werden (§§ 62, 65, 66),
4. das Urteil muß von einem Befehlshaber bestätigt werden, der im Einzelfall oder allgemein zur Bestätigung zuständig ist (§§ 79, 80).
(3) Wo die Verordnung keine Vorschriften trifft, gestalten Gerichtsherr und Gericht das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen.
(4) Auch Ausländer, die sich strafbarer Handlungen gegen die deutschen oder verbündeten Truppen schuldig gemacht haben, dürfen nicht ohne gerichtliches Verfahren bestraft werden.
(5) Es wird vorbehalten, die Vorschriften dieser Verordnung für das Verfahren gegen Angehörige des Feindes insoweit zu ändern, als dessen Verfahrensvorschriften und ihre Handhabung nicht dieselben Rechtssicherheiten verbürgen. [1458]

Zweiter Teil Das Kriegsverfahren

I. Abschnitt

Umfang der Kriegsgerichtsbarkeit

§ 2 Die allgemeine Geltung
Dem Kriegsverfahren sind unterworfen:
1. die Soldaten und Wehrmachtbeamten wegen aller Straftaten, auch soweit sie diese vor Eintritt des die Kriegsgerichtsbarkeit begründenden Dienstverhältnisses begangen haben;
2. die nicht zum aktiven Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen des Beurlaubtenstandes und die ihnen gleichstehenden Personen:
a) wegen aller strafbaren Handlungen, die sie während der Zeit begehen, in der sie sich in einer militärischen Strafanstalt in Untersuchungshaft oder in Strafhaft (einschl. Disziplinarstrafhaft) befinden;
b) wegen Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen, denen sie nach §§ 6a bis 6c des Militärstrafgesetzbuchs unterworfen sind, sowie den rechtlich mit ihnen zusammentreffenden strafbaren Handlungen gegen die allgemeinen Strafgesetze;
c) wegen Zuwiderhandlungen gegen die allgemeinen Strafgesetze über Zweikampf mit tödlichen Waffen, Herausforderung oder Annahme der Herausforderung zu solchem Zweikampf und Kartelltragen, sowie den rechtlich mit ihnen zusammentreffenden strafbaren Handlungen gegen die allgemeinen Strafgesetze.
3. Personen, die sich bei der Wehrmacht im Operationsgebiet befinden (das Gefolge, zugelassene ausländische Offiziere usw.) und Kriegsgefangene für die Dauer dieses Zustandes wegen aller Straftaten, die sie während dieser Zeit begehen;
4. alle anderen Personen
a) wegen Spionage (§ 2 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung),
b) wegen Freischärlerei (§ 3 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung),
c) wegen Zuwiderhandlung gegen Verordnungen, die ein Befehlshaber in dem von der deutschen Wehrmacht besetzten ausländischen Gebiet zur Sicherung der Wehrmacht oder des Kriegszwecks erlassen hat (§ 4 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung),
d) wegen Zersetzung der Wehrkraft (§ 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung),
e) wegen Hoch- und Landesverrats nach §§ 80 bis 84, 89 bis 92 des Strafgesetzbuchs, wegen Wehrmittelbeschädigung nach § 143a Abs. 4 des Strafgesetzbuchs und wegen Nichtanzeige einer Straftat nach § 139 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs, soweit es sich um das Vorhaben eines Hoch- und Landesverrats oder um das Vorhaben eines besonders schweren Falles der Wehrmittelbeschädigung handelt, wenn der Präsident des Reichskriegsgerichts erklärt, daß besondere militärische Belange die Aburteilung durch das Reichskriegsgericht erfordern; die Ausführungsbestimmungen hierzu erläßt der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.
§ 3 Die besondere Geltung im Operationsgebiet
(1) Dem Kriegsverfahren sind ferner unterworfen Ausländer und Deutsche wegen aller von ihnen im Operationsgebiet begangenen Straftaten.
(2) Die Gerichtsherrn sollen jedoch nur dann Straftaten nach Abs. 1 verfolgen, wenn ein Bedürfnis der Kriegsführung dies gebietet. Sie können die Strafverfolgung an die allgemeinen Gerichte im rückwärtigen Armeegebiet abgeben.
(3) Für das rückwärtige Armeegebiet bestimmen die Oberbefehlshaber der Armeen, in welchem Zeitpunkt und Umfang die Zuständigkeit der Militärgerichte erlischt und auf allgemeine Gerichte übergeht.

II. Abschnitt

Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit

§ 4 Organe der Rechtspflege
(1) Die Kriegsgerichtsbarkeit üben aus:
die Gerichtsherrn mit den ihnen zugewiesenen richterlichen Militärjustizbeamten unter der Bezeichnung „Gericht“ mit Angabe der militärischen Dienststelle;
und als erkennde Gerichte:
die Feldkriegsgerichte,
bei den schwimmenden Verbänden der Kriegsmarine die Bordkriegsgerichte,
das Reichskriegsgericht.
Die Urteile heißen Feld- oder Bordurteile.
(2) Jede Handlung, die ein militärisches Gericht oder ein Untersuchungsführer oder der Vertreter der Anklage wegen der Tat gegen den Täter richtet, unterbricht die Verjährung (§ 68 des Strafgesetzbuchs).
(3) Den Beurkundungsdienst versehen Urkundsbeamte.
(4) Soweit es die Umstände erfordern und nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist (z. B. in §§ 9, 10, 83), können die richterlichen Militärjustizbeamten durch Offiziere, die Urkundsbeamten durch andere geeignete Personen ersetzt oder vertreten werden. [1459]
§ 5 Gerichtsherrn
(1) Oberster Gerichtsherr der Wehrmacht ist der Führer und Reichskanzler.
(2) Gerichtsherrn sind der Präsident des Reichskriegsgerichts und die Befehlshaber und Kommandeure, die der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht oder die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile für ihren Befehlsbereich dazu bestimmen.
(3) Bei Verhinderung des Gerichtsherrn gehen die Befugnisse auf den Stellvertreter im Kommando über. Den Vertreter des Präsidenten des Reichskriegsgerichts bestimmt der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.
§ 6 Anweisungsrecht
(1) Die militärischen Vorgesetzten der Gerichtsherrn sind befugt, diese anzuweisen, eine Untersuchung einzuleiten oder fortzusetzen oder eine Anklageverfügung zu erlassen. Sonst dürfen sie in den Gang des Verfahrens nicht eingreifen.
(2) Soweit der Führer und Reichskanzler nichts anderes bestimmt, übt das ihm zustehende Anweisungsrecht in seinem Auftrage der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht aus.
§ 7 Richterliche Militärjustizbeamte
(1) Die beamtenrechtliche Stellung der auf Lebenszeit ernannten richterlichen Militärjustizbeamten bleibt unberührt. Jedoch können die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile sie ebenso wie die nur auf Zeit einberufenen richterlichen Militärjustizbeamten auch gegen ihren Willen in eine andere militärrichterliche Stelle versetzen.
(2) Die richterlichen Militärjustizbeamten haben die Weisungen ihres Gerichtsherrn zu befolgen, soweit sie nicht als Richter im erkennenden Gericht mitwirken. Seine Entscheidungen außer der Bestätigung und Aufhebung der Feldurteile haben sie mit zu unterzeichnen. Sie übernehmen dadurch die Mitverantwortung für ihre Rechtmäßigkeit.
(3) Hält ein richterlicher Militärjustizbeamter eine Weisung oder Entscheidung nicht für rechtmäßig, so hat er seine Bedenken vorzutragen und sie in den Akten zu vermerken, wenn seine Vorstellung erfolglos bleibt. Der Gerichtsherr trägt dann allein die Verantwortung. Er hat dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht nach Abschluß des Verfahrens die Akten vorzulegen.
(4) Abs. 2 und 3 gelten entsprechend für den Oberreichskriegsanwalt.
§ 8 Gerichtsoffiziere
(1) Der Gerichtsherr bestellt für den Befehlsbereich des Kommandeurs eines Regiments oder eines mit derselben Disziplinarstrafgewalt versehenen Befehlshabers einen oder mehrere Gerichtsoffiziere aus der Rangklasse der Hauptleute (Kapitänleutnante) oder Leutnante und läßt sie vereidigen.
(2) Der Eid des Gerichtsoffiziers lautet:
„Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Gerichtsoffiziers getreulich zu erfüllen. So wahr mit Gott helfe.“
Über die Vereidigung ist eine Niederschrift aufzunehmen.
(3) Aufgabe des Gerichtsoffiziers ist es, Untersuchungshandlungen vorzunehmen. Dabei hat er rechtlich die Stellung des Untersuchungsführers. Insbesondere obliegt ihm die Vernehmung und Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen, die Augenscheinseinnahme sowie die Durchführung von Beschlagnahmen und Durchsuchungen. In der Regel wird er auf Ersuchen des Gerichtsherrn oder des Untersuchungsführers tätig. In Eilfällen oder aus sonstigem wichtigen Grunde hat er die erforderlichen Ermittlungen auch ohne Ersuchen vorzunehmen und alsbald dem Gerichtsherrn darüber zu berichten.
(4) Der Gerichtsherr kann einen Gerichtsoffizier mit der Vertretung der Anklage vor den Feldkriegsgerichten beauftragen.
§ 9 Besetzung des Feldkriegsgerichts
(1) Das Feldkriegsgericht besteht aus drei Richtern: einem richterlichen Militärjustizbeamten als Verhandlungsleiter und zwei Beisitzern.
(2) Bei Mangel an richterlichen Militärjustizbeamten helfen sich die Gerichtsherrn gegenseitig aus. Ist dies nicht möglich, berufen sie zum Verhandlungsleiter einen Offizier, der die Befähigung zum Richteramt hat, notfalls einen anderen Offizier, jedoch mindestens von der Rangklasse der Hauptleute (Kapitänleutnante).
(3) Ein Beisitzer muß Offizier sein; er soll möglichst im Range eines Stabsoffiziers stehen, muß aber einen höheren Dienstgrad als der Angeklagte haben. Der andere Beisitzer ist bei Soldaten und Wehrmachtbeamten möglichst aus der Rangklasse und Laufbahn des Angeklagten, bei Zivilpersonen in Anpassung an ihre Lebensstellung oder sonstigen Verhältnisse zu bestimmen.
(4) Ist der Angeklagte Soldat, so sollen die Beisitzer dem Truppenteil oder dem Verband entnommen werden, dem er angehört, sofern nicht Bedenken entgegenstehen.
§ 10 Besetzung der Senate des Reichskriegsgerichts
(1) Die Senate entscheiden in der Besetzung mit einem Senatspräsidenten, einem Reichskriegsgerichtsrat und drei Offizieren. Die planmäßigen richterlichen Mitglieder können durch Hilfsrichter, die ständig angestellte richterliche Beamte sind, ersetzt oder vertreten werden.
(2) Die Offiziere ernennt der Führer und Reichskanzler auf unbestimmte Zeit.
§ 11 Rechtshilfe
Die militärischen und allgemeinen Gerichte leisten sich gegenseitig Rechtshilfe. [1460]

Gerichsstand

§ 12 Der allgemeine Gerichtsstand
(1) Soweit nicht der besondere Gerichtsstand des Reichskriegsgerichts begründet ist (§ 14), unterstehen militärgerichtlich:
1. die Wehrmachtangehörigen:
a) dem Gerichtsherrn, dessen Befehlsgewalt sie unterstellt sind;
b) mangels einer solchen Unterstellung dem Gerichtsherrn, den der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht oder die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile für ihren Befehlsbereich oder die von ihnen ermächtigten Befehlshaber allgemein bestimmt haben oder im Einzelfall bestimmen;
2. Personen, die sich bei der Wehrmacht im Operationsgebiet befinden, dem Gerichtsherrn, dessen Befehlsgewalt jener Teil der Wehrmacht untersteht;
3. die Kriegsgefangenen dem Gerichtsherrn, dessen Befehlsgewalt sie unterstellt sind;
4. alle übrigen Personen dem Gerichtsherrn, der zuerst von der Tat dienstlich Kenntnis erhält. Dasselbe gilt, wenn mehrere Zuständigkeiten in Frage kommen oder Zweifel über die Zuständigkeit bestehen.
(2) Eine Zuteilung eines Truppenteils begründet keinen Wechsel der gerichtlichen Zuständigkeit, wenn nicht der Befehlshaber, der die Zuteilung anordnet, etwas anderes bestimmt.
(3) Streitfälle zwischen verschiedenen Gerichtsherrn entscheidet der gemeinsame übergeordnete Befehlshaber und, wo dieser fehlt, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.
(4) Die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile werden ermächtigt, den Gerichtsherrn, denen Befehlshaber mit eigener Gerichtsbarkeit unterstellt sind, die Befugnis zu erteilen, die Verfolgung der zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Strafsachen einem Gerichtsherrn ihres Befehlsbereichs zu übertragen.
§ 13 Der Notgerichtsstand
(1) Wird eine der Kriegsgerichtsbarkeit unterworfene Person im Operationsgebiet auf frischer Tat (z. B. bei einer Fahnenflucht) betroffen und ist der allgemein zuständige Gerichtsherr (§ 12) nicht sofort erreichbar, so ist auch der nächst erreichbare Gerichtsherr zuständig. Er soll eingreifen, wenn besondere Gründe eine sofortige Aburteilung gebieten.
(2) Im Verfahren gegen Beschuldigte, die der Spionage, der Freischärlerei, einer Zuwiderhandlung gegen die Verordnung eines Befehlshabers im besetzten ausländischen Gebiet, der Zersetzung der Wehrkraft (§§ 2 bis 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung) oder der Wehrmittelbeschädigung (§ 143a des Strafgesetzbuchs) verdächtig sind, können innerhalb des Gefechtsgebiets die Befugnisse des Gerichtsherrn, wenn er nicht sofort erreichbar ist, auch von dem nächst erreichbaren Kommandeur eines Regiments oder einem mit derselben Disziplinarstrafgewalt versehenen Befehlshaber wahrgenommen werden. Er hat dem Gerichtsherrn alsbald das Veranlaßte zu melden. Der Gerichtsherr kann das Verfahren jederzeit übernehmen.
§ 14 Der besondere Gerichtsstand des Reichskriegsgerichts
(1) Das Reichskriegsgericht ist zuständig in den Fällen:
1. des Hochverrats nach §§ 80 bis 84 des Strafgesetzbuchs,
2. des Landesverrats nach §§ 89 bis 92 des Strafgesetzbuchs,
3. des Kriegsverrats nach §§ 57, 59, 60 des Militärstrafgesetzbuchs,
4. des Angriffs gegen den Führer und Reichskanzler nach § 94 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs,
5. der Verbrechen nach § 5 Abs. 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 83),
6. der Wehrmittelbeschädigung nach § 143a Abs. 4 des Strafgesetzbuchs,
7. der Nichtanzeige einer Straftat nach § 139 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs, soweit es sich um das Vorhaben eines zur Zuständigkeit des Reichskriegsgerichts gehörenden Hoch- und Landesverrats oder um das Vorhaben eines besonders schweren Falls der Wehrmittelbeschädigung handelt,
8. wegen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz gegen Wirtschaftssabotage vom 1. Dezember 1936 (Reichsgesetzbl. I S. 999),
9. Der Zersetzung der Wehrkraft (§ 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung)
Bei minder schweren Fällen der Nrn. 6 und 9 ist die Abgabe an einen anderen Gerichtsherrn statthaft.
(2) Das Reichskriegsgericht ist auch dann zuständig, wenn ein zu seiner Zuständigkeit gehörendes Verbrechen oder Vergehen zugleich den Tatbestand einer anderen strafbaren Handlung erfüllt.
(3) Steht mit einem Verbrechen oder Vergehen, das zur Zuständigkeit des Reichskriegsgerichts gehört, eine andere Straftat in tatsächlichem Zusammenhang, so kann der Präsident des Reichskriegsgerichts das Verfahren wegen der anderen Tat gegen Täter und Teilnehmer durch Verbindung beim Reichskriegsgericht anhängig machen. Er kann die Verbindung bis zur Hauptverhandlung aufheben. Später entscheidet darüber der erkennende Senat.
(4) Die Zuständigkeit des Reichskriegsgerichts nach Abs. 1 bis 3 erstreckt sich nicht auf Personen, die im Zeitpunkt des ersten Einschreitens, insbesondere [1461] der ersten Festnahme oder der Absendung des Tatberichts oder der Anzeige
1. einem Verbande der Wehrmacht angehören oder sich bei ihm befinden, der dem Oberbefehlshaber einer Armee oder dem Oberbefehlshaber des Feldheeres unmittelbar (Heerestruppen) untersteht,
2. sich im Operationsgebiet befinden,
3. einem Fahrzeug oder einem schwimmenden Verband der Kriegsmarine angehören oder sich bei ihm befinden.
Der zuständige Gerichtsherr kann mit Genehmigung des übergeordneten Befehlshabers das Strafverfahren an das Reichskriegsgericht, gegebenenfalls (§ 3) an den Volksgerichtshof abgeben.

III. Abschnitt Das Verfahren

A. Das Ermittlungsverfahren

§ 15 Strafanzeigen und -anträge
(1) Soldaten sollen Strafanzeigen bei ihrem nächsten Disziplinarvorgesetzten, Wehrmachtbeamte und andere Personen bei der vorgesetzten Dienststelle des Beschuldigen anbringen; die Strafanzeige kann auch unmittelbar beim zuständigen Gerichtsherrn eingereicht werden. Dasselbe gilt für Strafanträge.
(2) Jeder Wehrmachtangehörige, der von einer strafbaren Handlung einer Zivilperson gegen die deutsche oder verbündete Wehrmacht erfährt, ist zur sofortigen Meldung an seinen nächsten Disziplinarvorgesetzten verpflichtet. Ist dieser nicht sofort erreichbar, so treten in Eilfällen an seine Stelle der nächst erreichbare Offizier oder Wehrmachtbeamte im Offizierrang. Diese können dann die ihnen obliegende Meldung unmittelbar an den Gerichtsherrn erstatten.
§ 16 Tatbericht
(1) Militärische Dienststellen haben den Gerichtsherrn die zu ihrer Kenntnis gelangten gerichtlich strafbaren Handlungen Untergebener unter Angabe des Sachverhalts und der Beweismittel schleunigst zu melden, eilige und sofort durchführbare Vernehmungen von Beschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen selbst vorzunehmen und die Niederschriften mit der Meldung an den Gerichtsherrn einzureichen. Bei Verdacht der Spionage, der Freischärlerei, der Zuwiderhandlung gegen die Verordnung eines Befehlshabers im besetzten ausländischen Gebiet, der Zersetzung der Wehrkraft (§§ 2 bis 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung) oder der Wehrmittelbeschädigung (§ 143a des Strafgesetzbuchs) leiten sie den Tatbericht, wenn der Gerichtsherr nicht sofort erreichbar ist, an den nächst erreichbaren Kommandeur eines selbständigen Verbandes (§ 13 Abs. 2).
(2) Der Gerichtsoffizier ist von den Vorgängen und Maßnahmen in geeigneter Form zu unterrichten.
(3) Der Beschuldigte kann von einem Disziplinarvorgesetzten oder dem Gerichtsoffizier vorläufig festgenommen werden, wenn militärische Belange oder der Untersuchungszweck es erfordern.
§ 17 Anordnung des Ermittlungsverfahrens
Sobald der Gerichtsherr vom Verdacht einer militärgerichtlich zu verfolgenden strafbaren Handlung Kenntnis erhält, beauftragt er einen richterlichen Militärjustizbeamten (Untersuchungsführer) mit der Erforschung des Sachverhalts, soweit dies noch erforderlich ist. Der Gerichtsherr kann ihn auch allgemein zum Untersuchungsführer bestellen.
§ 18 Überweisung an die allgemeinen Gerichte
(1) Haben sich bei Zuwiderhandlungen gegen die allgemeinen Strafgesetze mehrere Personen, von denen die eine der militärischen, die andere der allgemeinen Gerichtsbarkeit unterstellt ist, als Täter, Teilnehmer, Begünstiger, Hehler oder in anderer Weise beteiligt, oder sind zwischen ihnen wechselseitige Beleidigungen oder Körperverletzungen vorgekommen, so kann die der Kriegsgerichtsbarkeit unterworfene Person dem allgemeinen Gericht zur Untersuchung und Aburteilung des Falles übergeben werden. Dieses ist dann auch für die mit den genannten Zuwiderhandlungen rechtlich zusammentreffenden strafbaren Handlungen gegen die allgemeinen Strafgesetze zuständig.
(2) Die Zuständigkeit der allgemeinen Gerichte entfällt, wenn sich später herausstellt, daß mit den Zuwiderhandlungen eine strafbare Handlung gegen das Militärstrafgesetzbuch oder die Kriegssonderstrafrechtsverordnung rechtlich zusammentrifft. Der Gerichtsherr kann jedoch die Fortführung des Verfahrens genehmigen.
§ 19 Überweisung an einen anderen Gerichtsherrn und Versetzung zu einem Ersatztruppenteil
(1) Der Gerichtsherr kann in besonderen Ausnahmefällen einen Beschuldigten, der sich im Gefechtsgebiet befindet, zur Durchführung des Strafverfahrens
1. einem Gerichtsherrn im rückwärtigen Armeegebiet überweisen,
2. zu einem Ersatztruppenteil versetzen,
wenn die Durchführung des Verfahrens im Gefechtsgebiet zu zeitraubend und nicht aus Gründen der Mannszucht notwendig ist.
(2) Bei den Seestreitkräften tritt an die Stelle der Überweisung oder der Versetzung die Kommandierung von Bord an Land. [1462]
§ 20 Aussetzung des Ermittlungsverfahrens
Der Gerichtsherr kann ferner aus besonderen Gründen ein Strafverfahren bis nach Beendigung des Kriegszustandes aussetzen und seine weitere Durchführung dem ordentlichen Verfahren vorbehalten. Während der Aussetzung ruht die Verjährung.
§ 21 Keine Ausschließung oder Ablehnung des Untersuchungsführers
(1) Der Untersuchungsführer hat Umstände, die zu Zweifeln an seiner Unparteilichkeit Anlaß geben könnten, dem Gerichtsherrn vorzutragen. Der Gerichtsherr entscheidet, ob der Untersuchungsführer seine Tätigkeit einzustellen oder weiterzuführen hat.
(2) Der Untersuchungsführer ist kraft Gesetzes von seinem Amt niemals ausgeschlossen, er kann auch nicht abgelehnt werden.
§ 22 Führung des Ermittlungsverfahrens
(1) Der Untersuchungsführer hat die unbedingt notwendigen Untersuchungshandlungen schleunigst vorzunehmen. Er kann den Beschuldigten vorläufig festnehmen, Beweise jeder Art und in jeder Form erheben sowie Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher nach pflichtgemäßem Ermessen vereidigen. Seine Handlungen sind richterliche Handlungen. Die von ihm schriftlich niedergelegten sowie durch seine Unterschrift bestätigten Beweise sind in der Hauptverhandlung uneingeschränkt verwertbar.
(2) Alle öffentlichen Behörden sind verpflichtet, Ersuchen des Untersuchungsführers um Ausführung einzelner Maßnahmen oder um Vornahme von Ermittlungen zu genügen und ihm Auskunft zu erteilen.
§ 23 Recht der Zeugnisverweigerung
(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt:
1. sachlich unbeschränkt:
a) der Verlobte und der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht,
b) jeder der mit dem Beschuldigten in gerader Linie oder im zweiten Grade der Seitenlinie verwandt oder verschwägert ist, auch wenn die Ehe, die die Schwägerschaft begründete, nicht mehr besteht, oder wer mit ihm durch Annahme an Kindes Statt verbunden ist;
2. sachlich beschränkt:
a) Geistliche über das, was ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut wurde,
b) Verteidiger über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut wurde,
c) Zeugen, soweit sie durch die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage sich oder die in Nr. 1 genannten Personen der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen würden.
(2) Die Personen der Nr. 2a und b dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit befreit worden sind.
§ 24 Vernehmung des Führers und Reichskanzlers
Der Führer und Reichskanzler bestimmt, ob und in welcher Form er sich als Zeuge äußern will.
§ 25 Vernehmung hoher Staatsorgane
(1) Sofern nicht eine dienstliche Anordnung genügt, werden die Reichsminister, die Reichsstatthalter, die Vorsitzenden einer Landesregierung und die im Rang eines Generals der Infanterie, Kavallerie, Artillerie, Flieger oder eines Admirals oder im gleichen oder höheren Rang stehenden Offiziere an ihrem Amtssitz oder Aufenthaltsort vernommen.
(2) Abweichungen genehmigen die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile für Offiziere, die ihnen unterstellt sind, im übrigen der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.
§ 26 Vernehmung von Amtsträgern
(1) Amtsträger, frühere Amtsträger, Personen, die als Angestellte für eine Behörde tätig sind oder gewesen sind, und Personen, denen zur Sicherung der Landesverteidigung von einer Behörde oder im Auftrag einer Behörde eine Verschwiegenheitspflicht auferlegt worden ist, dürfen über Tatsachen, auf die sich ihre Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht, als Zeugen nur mit Genehmigung des Dienstvorgesetzten oder des letzten Dienstvorgesetzten vernommen werden.
(2) Haben sie keinen Dienstvorgesetzten, so erteilt die Genehmigung die Behörde, für die sie tätig sind oder gewesen sind. Für die Reichsminister und Reichsstatthalter bedarf es der Genehmigung des Führers und Reichskanzlers, für die Vorsitzenden und Mitglieder einer Landesregierung der Genehmigung des Reichsstatthalters.
§ 27 Vernehmung von Angehörigen der Wehrmacht
Soldaten, Angehörige des Beurlaubtenstandes, frühere Soldaten und frühere Angehörige des Beurlaubtenstandes dürfen über Tatsachen, auf die sich ihre Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht, als Zeugen nur mit Genehmigung der Militärbehörde vernommen werden, die ihnen vorgesetzt ist oder ihnen zuletzt gewesen ist. [1463]
§ 28 Vernehmung von Angehörigen der Partei
(1) Unterführer der Partei, Angehörige der Parteigerichte und des Sicherheitsdienstes der SS dürfen über Tatsachen, auf die sich ihre Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht, als Zeugen nur mit Genehmigung vernommen werden. Das gilt auch nach dem Ausscheiden aus der Partei, der Gliederung oder dem Amt.
(2) Nähere Vorschriften erläßt der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers, insbesondere darüber, für welche Unterführer der Partei diese Vorschrift gilt und welche Stellen über die Genehmigung entscheiden.
§ 29 Versagen der Genehmigung
Die Aussagegenehmigung darf in den Fällen der §§ 26 bis 28 nur versagt werden, wenn die Aussage dem Wohl des Reichs Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde.
§ 30 Zwangsmaßnahmen gegen Zeugen
(1) Gegen Zeugen, die ihren gesetzlichen Pflichten oder einer sich auf ihre Zeugenpflicht beziehenden richterlichen Anordnung zuwiderhandeln, können geeignete Zwangsmaßnahmen sowie Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten festgesetzt werden.
(2) Außerhalb der Hauptverhandlung entscheidet der Gerichtsherr, in der Hauptverhandlung das erkennende Gericht.
§ 31 Sachverständige
Die Vorschriften über Zeugen gelten sinngemäß auch für Sachverständige.
§ 32 Vereidigung
(1) Zeugen und Sachverständige sind nach ihrer Vernehmung, Dolmetscher vor der Übersetzung zu vereidigen.
(2) Der Eid lautet
1. für den Zeugen:
„Sie schwören bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben;“
2. für den Sachverständigen:
„Sie schwören bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie Ihr Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet haben;“
3. für den Dolmetscher:
„Sie schwören bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie treu und gewissenhaft übertragen werden.“
(3) Der Schwörende hat nach dem Vorsprechen der Eidesformel durch den Untersuchungsführer unter Erheben der rechten Hand nachzusprechen:
„Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.“
(4) Stumme leisten den Eid dadurch, daß sie die Eidesformel (Abs. 2) in der Ichform niederschreiben und sie unterschreiben. Können sie nicht schreiben, so leisten sie den Eid mit Hilfe eines Dolmetschers durch Zeichen.
§ 33 Die Verhandlungsniederschrift
(1) Die Aufnahme einer Verhandlungsniederschrift ist nicht erforderlich. Sind jedoch Beschuldigte, Zeugen oder Sachverständige voraussichtlich am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhindert oder werden Zeugen oder Sachverständige vereidigt, so wird eine Verhandlungsniederschrift aufgenommen. Sie soll Ort und Tag der Vernehmung, die Namen der mitwirkenden oder beteiligten Personen und die Aussage des Vernommenen enthalten, den Beteiligten vorgelesen oder zum Durchlesen vorgelegt und von ihnen unterschrieben werden. Die Verwendung einer gebräuchlichen Kurzschrift ist zulässig.
(2) Die Zuziehung eines Urkundsbeamten unterliegt dem Ermessen des Untersuchungsführers.
§ 34 Befugnisse des Gerichtsherrn
Der Gerichtsherr kann jederzeit vom Stande des Verfahrens Kenntnis nehmen und die ihm zur Aufklärung der Sache geeignet erscheinenden Verfügungen treffen. An den Untersuchungshandlungen darf er nicht teilnehmen.
§ 35 Gestellung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen
(1) Beschuldigte, Zeugen und Sachverständige werden zu ihrer Vernehmung gestellt, und zwar Wehrmachtangehörige durch ihre nächste Dienststelle, andere Personen durch den Truppenteil, bei dem sie sich befinden. Sonst führt die Dienststelle, die darum ersucht wird, die Gestellung durch.
(2) Abs. 1 schließt eine unmittelbare Ladung von Zivilpersonen nicht aus, wenn sie ausreichend erscheint.
§ 36 Haftbefehl
(1) Der Gerichtsherr entscheidet, ob ein Beschuldigter in Untersuchungshaft zu nehmen ist.
(2) Die Untersuchungshaft ist zulässig, wenn dringende Verdachtsgründe gegen den Beschuldigten vorhanden sind und militärische Belange oder der [1464] Untersuchungszweck die Verhaftung erfordern. Sie wird angeordnet durch einen schriftlichen Haftbefehl, der die Gründe der Untersuchungshaft anzugeben hat und dem Beschuldigten zu eröffnen ist. Die zum Vollzug der Untersuchungshaft notwendigen Maßnahmen trifft der Untersuchungsführer.
(3) Die Untersuchungshaft ist aufzuheben, wenn ihre gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr bestehen oder wenn sie sich aus einem anderen Grunde nicht mehr als notwendig erweist.
§ 37 Unterbringungsbefehl
(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß der Beschuldigte eine mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit oder der verminderten Zurechnungsfähigkeit begangen hat und daß seine Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt angeordnet werden wird, so kann der Gerichtsherr durch Unterbringungsbefehl seine einstweilige Unterbringung anordnen, wenn es das militärische Interesse oder die öffentliche Sicherheit erfordern. Der Untersuchungsführer trifft die zum Vollzug des Unterbringungsbefehls notwendigen Maßnahmen.
(2) Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn ein gesetzlicher Grund für die Unterbringung nicht mehr besteht.
§ 38 Steckbriefe
(1) Der Gerichtsherr kann Steckbriefe erlassen, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen und der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält.
(2) Andere Militärbehörden sind zum Erlaß eines Steckbriefs befugt, wenn ein Festgenommener entweicht oder sich sonst der Bewachung entzieht oder wenn der Beschuldigte der Fahnenflucht verdächtig ist.
§ 39 Leichenschau und Leichenöffnung
(1) Ist eine Person, die einem Verband der Wehrmacht angehört oder sich bei ihm befindet, nicht auf natürlichem Wege gestorben, und liegt der Verdacht einer strafbaren Handlung oder des Selbstmordes vor, so hat der Gerichtsherr, in dringenden Fällen jeder militärische Befehlshaber, der von dem Todesfall dienstlich Kenntnis erhält, die Leichenschau durch einen richterlichen Militärjustizbeamten zu veranlassen; diesem bleibt die Zuziehung eines Sanitätsoffiziers überlassen.
(2) Die Umstände, unter denen die Leiche gefunden wurde und der Tod eingetreten ist, sind zu untersuchen und im Protokoll zu verzeichnen. Deuten sie auf Selbstmord hin, so sind die Beweggründe aufzuklären.
(3) Steht die Todesursache nach der Leichenschau nicht einwandfrei fest, so läßt der Untersuchungsführer die Leiche von einem Sanitätsoffizier öffnen. Zuvor wird möglichst die Person des Verstorbenen festgestellt. Einem Beschuldigten wird die Leiche zur Anerkennung vorgezeigt.
§ 40 Beschlagnahme
Sachen, die als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung sein können (Beweisstücke), und Gegenstände, die für verfallen erklärt, eingezogen oder unbrauchbar gemacht werden können (Einziehungsstücke), dürfen beschlagnahmt werden.
§ 41 Vermögensbeschlagnahme
Das Vermögen eines Beschuldigten, gegen den wegen eines Verbrechens des Hoch- oder Landesverrats oder wegen Kriegsverrats, Spionage, Freischärlerei, Zersetzung der Wehrkraft oder Wehrmittelbeschädigung Haftbefehl erlassen oder die Anklage verfügt worden ist, kann auf Anordnung des zuständigen Gerichtsherrn beschlagnahmt werden. Bei Gefahr im Verzug können die Beschlagnahme auch der Untersuchungsführer, ferner jeder Gerichtsherr, jeder höhere Kommandeur oder jeder Kommandeur eines Regiments oder jeder mit derselben Disziplinarstrafgewalt versehene Befehlshaber anordnen. Die Durchführung hat der Anordnende zu regeln.
§ 42 Untersuchung des Körpers und des Geisteszustandes
(1) Der Verdächtige darf zur Feststellung von Tatsachen, die für das Verfahren von Bedeutung sind, körperlich und auf seinen Geisteszustand untersucht werden.
(2) Bei anderen Personen darf dies ohne ihre Einwilligung nur geschehen, wenn die Untersuchung zur Wahrheitsermittlung unerläßlich ist.
§ 43 Körperliche Eingriffe
Körperliche Eingriffe, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, sind ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn sie zur Wahrheitsermittlung unerläßlich sind und keinen Nachteil für die Gesundheit des Betroffenen besorgen lassen.
§ 44 Anstaltsbeobachtung
Der Beschuldigte darf auf die Dauer von höchstens zwei Monaten in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt untergebracht und dort auf seinen Geisteszustand untersucht werden, wenn ein Arzt als Sachverständiger dies für erforderlich hält. [1465]
§ 45 Zuständigkeit für die besonderen Anordnungen
Die nach den §§ 39 bis 43 erforderlichen Anordnungen trifft der Gerichtsherr oder der Untersuchungsführer. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges ist statthaft.
§ 46 Abschluß des Ermittlungsverfahrens
(1) Erachtet der Untersuchungsführer den Sachverhalt für hinreichend geklärt, so berichtet er dem Gerichtsherrn. Dieser entscheidet, ob das Ermittlungsverfahren fortzusetzen oder einzustellen oder die Anklage zu verfügen ist. Strafverfügungen sind unzulässig.
(2) Liegt gegen den Beschuldigten hinreichender Verdacht einer strafbaren und kriegsgerichtlich verfolgbaren Handlung vor, so hat der Gerichtsherr die Anklage zu verfügen.
§ 47 Absehen von der Anklage wegen Geringfügigkeit
(1) Ist die Schuld des Täters gering und sind die Folgen der Tat unbedeutend, so kann der Gerichtsherr von der Klage absehen; unter denselben Voraussetzungen kann er auch das Verfahren bis zu sechs Wochen vorläufig einstellen, um dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, sich durch Mutbeweise einer endgültigen Einstellung würdig zu erweisen. Dies gilt nicht bei Mißbrauch der Dienstgewalt (§§ 114 bis 125 des Militärstrafgesetzbuchs).
(2) Sieht der Gerichtsherr von der Anklage ab oder stellt er endgültig ein, so kann er entweder selbst die Tat disziplinar bestrafen oder die disziplinare Ahndung dem zuständigen Disziplinarvorgesetzten überlassen (§ 8 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung). Die Strafklage wird dadurch nicht verbraucht.
(3) Von der Anklage kann der Gerichtsherr ferner vorläufig absehen, wenn die Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung, zu der der Beschuldigte wegen einer anderen Tat rechtskräftig verurteilt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht ins Gewicht fällt.
§ 48 Die Anklageverfügung
(1) Die Anklageverfügung des Gerichtsherrn hat die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat und das anzuwendende Strafgesetz zu bezeichnen.
(2) Soweit nicht der besondere Gerichtsstand des Reichskriegsgerichts begründet ist, wird ein unzuständiger Gerichtsherr durch Unterzeichnen der Anklageverfügung für das Hauptverfahren zuständig.
(3) Die Art der Bekanntmachung an den Beschuldigten bestimmt der Gerichtsherr. Bekanntmachung durch Vorlesen in der Hauptverhandlung genügt.
(4) Der Gerichtsherr kann in Eilfällen von einer schriftlichen Anklageverfügung absehen und den Vertreter der Anklage beauftragen, sie in der Hauptverhandlung mündlich vorzutragen. Abs. 2 gilt entsprechend.
(5) Der Gerichtsherr kann einen anderen Gerichtsherrn um Aburteilung ersuchen, wenn dies sachdienlich ist.

B. Vorbereitung der Hauptverhandlung

§ 49 Vorbereitung der Hauptverhandlung
(1) Gleichzeitig mit der Anklage verfügt der Gerichtsherr den Zusammentritt des Feldkriegsgerichts (§ 9). Er beauftragt einen zum Richteramt befähigten Offizier oder Beamten, einen Gerichtsoffizier oder einen richterlichen Militärjustizbeamten mit der Vertretung der Anklage, beruft die Richter, bestimmt Ort und Zeit der Hauptverhandlung und bestellt bei strafbaren Handlungen, die mit dem Tode bedroht sind, stets, in anderen Fällen, wenn er es für sachdienlich hält, dem Angeklagten einen Verteidiger. Hat sich der Angeklagte einen Verteidiger gewählt und wird dieser zugelassen, so wird die Bestellung zurückgenommen.
(2) Die Hauptverhandlung soll unverzüglich nach Verfügung der Anklage stattfinden. Die Vorbereitungen trifft der Anklagevertreter, soweit erforderlich unter Anwendung unmittelbaren Zwanges. Der Gerichtsherr kann Verstöße gegen dessen Anordnungen mit Arreststrafen bis zu drei Wochen ahnden.
(3) Für die Gestellung von Angeklagten, Zeugen und Sachverständigen gilt § 35 entsprechend.
(4) Steht dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung ein wichtiger Grund entgegen, so kann der Gerichtsherr dessen Vernehmung durch den Verhandlungsleiter, einen anderen richterlichen Militärjustizbeamten, einen zum Richteramt befähigten Offizier, einen Beamten der Reichskriegsanwaltschaft, einen Gerichtsoffizier oder einen Amtsrichter herbeiführen.
§ 50 Anträge des Angeklagten
(1) Verlangt der Angeklagte vor dem Termin die Gestellung oder Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel zur Hauptverhandlung, so hat er unter Angabe der Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, seine Anträge schriftlich oder zur Niederschrift eines Beamten oder einer Dienststelle an den Gerichtsherrn zu richten.
(2) Den Anträgen ist zu entsprechen, soweit sie begründet sind. Die Verfügung des Gerichtsherrn wird dem Angeklagten bekanntgemacht. [1466]
§ 51 Verteidiger
Als Verteidiger kann vor der Hauptverhandlung der Gerichtsherr oder in der Hauptverhandlung das erkennende Gericht jede Person zulassen oder bestellen, sofern
1. dadurch die Sicherheit des Reichs nicht gefährdet wird und
2. die Person zur Stelle ist oder ohne Verzögerung hinzugezogen werden kann.

C. Die Hauptverhandlung

§ 52 Hauptverhandlung
(1) Über Schuld und Nichtschuld des Angeklagten wird in einer mündlichen Hauptverhandlung durch Urteil entschieden.
(2) Das Gericht richtet nach Recht und Gesetz ohne Ansehen der Person.
§ 53 Teilnahme an der Hauptverhandlung
Die Hauptverhandlung findet in ununterbrochener Gegenwart der Richter, des Vertreters der Anklage und des Urkundsbeamten statt.
§ 54 Ausschließung vom Richteramt
Von der Ausübung des Richteramts ist ausgeschlossen:
1. wer durch die strafbare Handlung verletzt ist,
2. wer Ehemann oder Vormund des Angeklagten oder Ehemann oder Vormund der verletzten Person ist oder gewesen ist,
3. wer mit dem Angeklagten oder mit dem Verletzten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden, in den Seitenlinien bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch die die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht,
4. wer in der Sache als Untersuchungsführer, als Vertreter der Anklage oder als Verteidiger tätig gewesen ist oder als Vorgesetzter den Tatbericht eingereicht hat,
5. wer in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.
§ 55 Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
(1) Der Angeklagte kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Die Ablehnungsgründe sind glaubhaft zu machen und bis zur Verlesung der Anklageverfügung vorzubringen.
(2) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet der Verhandlungsleiter. Ist er selbst abgelehnt, so entscheidet der dienstälteste Beisitzer im Offizierrang. Sind beide abgelehnt, so entscheidet der Gerichtsherr.
(3) Einer Vorlage an den Gerichtsherrn bedarf es nicht, wenn
1. das Gesuch nicht rechtzeitig angebracht ist oder
2. Ablehnungsgründe nicht vorgebracht oder nicht glaubhaft gemacht sind oder
3. das Gesuch offensichtlich der Verschleppung dient.
In diesen Fällen verwirft der Verhandlungsleiter das Gesuch als unzulässig.
§ 56 Vereidigung der Richter
(1) Nach Aufruf der Sache verliest der Verhandlungsleiter die Namen der zur Hauptverhandlung berufenen Richter und vereidigt die Beisitzer. Er richtet an sie die Worte:
„Sie schwören bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Richters getreulich zu erfüllen und Ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben.“
Die Beisitzer leisten den Eid, indem sie unter Erheben der rechten Hand sprechen:
„Ich schwöre es, so wahr mit Gott helfe.“
Ist der Verhandlungsleiter ein Offizier, so vereidigt er sich selbst in sinngemäßer Änderung der Eidesformel.
(2) Stehen mehrere Verhandlungen an, zu denen dieselben Beisitzer berufen sind, so genügt es, daß der Verhandlungsleiter in den späteren Verhandlungen auf den in einer vorhergegangenen Verhandlung geleisteten Eid verweist.
§ 57 Sitzungspolizei
Wer eine Ordnungswidrigkeit begeht oder die Anordnungen des Verhandlungsleiters nicht befolgt, kann durch ihn von der Gerichtsstelle entfernt werden. Außerdem können Wehrmachtangehörige durch den Gerichtsherrn disziplinar mit Arrest, andere Personen durch den Verhandlungsleiter mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft werden.
§ 58 Ausschluß der Öffentlichkeit
(1) Der Verhandlungsleiter kann aus wichtigen Gründen die Öffentlichkeit ausschließen und den Anwesenden die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch das Verfahren zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Der Beschluß ist ins Sitzungsprotokoll aufzunehmen. [1467]
(2) Wer die ihm auferlegte Pflicht verletzt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, Geldstrafe oder Haft bestraft. Gegen Soldaten tritt Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten ein.
§ 59 Anhörung des Angeklagten
(1) Dem Angeklagten ist Gelegenheit zu geben, sich vor dem Feldkriegsgericht gegen die Anklage zu verteidigen. Ist sein Aufenthalt unbekannt oder ist er unentschuldigt ausgeblieben und seine zwangsweise Vorführung nicht sofort durchführbar, so kann auch ohne ihn verhandelt werden, wenn der begründete Verdacht besteht, daß er sich der gerichtlichen Untersuchung zu entziehen beabsichtigt.
(2) Auf seinen Antrag kann ihm der Gerichtsherr von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden.
§ 60 Beweisaufnahme
(1) Das Gericht hat von Amts wegen alles zu tun, was zur Erforschung der Wahrheit notwendig ist.
(2) Über Art, Form und Umfang der Beweisaufnahme sowie über die Vereidigung von Zeugen, Sachverständigen und Dolmetschern entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Soweit es irgend möglich ist, sollen Zeugen mündlich vernommen und Beweise unmittelbar erhoben werden.
(3) Die §§ 23 bis 32 finden entsprechende Anwendung.
§ 61 Schlußvorträge
Nach der Beweisaufnahme erhalten der Vertreter der Anklage, der Verteidiger und der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Dem Angeklagten gebührt stets das letzte Wort. Ist er der deutschen Sprache nicht mächtig oder taub, so sind in ihm aus den Schlußvorträgen mindestens die Anträge des Vertreters der Anklage und des Verteidigers in geeigneter Weise bekanntzugeben.
§ 62 Beratung und Abstimmung
Die Beratung und Abstimmung des Gerichts sind geheim. Nur die Richter dürfen zugegen sein. Sie haben über den Hergang zu schweigen. Der Verhandlungsleiter leitet die Beratung und Abstimmung. Es entscheidet Stimmenmehrheit.
§ 63 Das Urteil
(1) Die Hauptverhandlung schließt, vom Fall des Abs. 5 abgesehen, mit einem Urteil. Es lautet auf Freisprechung, Verurteilung, Anordnung einer Maßregel der Sicherung und Besserung oder Einstellung des Verfahrens.
(2) Das Verfahren wird eingestellt, wenn die Tat nicht verfolgbar ist.
(3) Mit Zustimmung des Vertreters der Anklage kann das Feldkriegsgericht das Verfahren durch Urteil einstellen, wenn die Schuld des Täters gering ist und die Folgen der Tat unbedeutend sind, soweit es sich nicht um Mißbrauch der Dienstgewalt (§§ 114 bis 125 des Militärstrafgesetzbuchs) handelt. Nach der Bestätigung kann der Gerichtsherr entsprechend dem § 47 Abs. 2 verfahren.
(4) Wird der Angeklagte als unschuldig freigesprochen und hat er ohne eigenes Verschulden Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so bestimmt das Gericht gleichzeitig durch besonderen Beschluß, daß ihm aus der Reichskasse eine Entschädigung zu zahlen ist. Ihre Höhe setzt der Oberbefehlshaber des Wehrmachtteils fest, dessen Gericht erkannt hat. Für das Reichskriegsgericht wird sie von dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht bestimmt.
(5) Findet das Gericht, daß der Angeklagte nicht unter der Kriegsgerichtsbarkeit steht, so spricht es durch Beschluß seine Unzuständigkeit aus.
§ 64 Anrechnung
Hat der Angeklagte Untersuchungshaft oder aus Anlaß der Tat eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so kann sie ganz oder teilweise auf die Strafe angerechnet werden. Die Zeitdauer ist dann in der Urteilsformel nach Zeitabschnitten genau zu bestimmen.
§ 65 Urteilsgründe
(1) Ein verurteilendes Erkenntnis muß in seinen Gründen die erwiesenen Tatsachen, aus denen sich die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung ergeben, bestimmt bezeichnen und das angewendete Gesetz angeben. Es ist ferner darzulegen, weshalb die festgestellten Tatsachen als erwiesen erachtet sind.
(2) Nimmt das Gericht Umstände an, die nach dem Gesetz die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen oder verneint es solche Umstände entgegen einer in der Verhandlung aufgestellten Behauptung, so müssen sich die Urteilsgründe darüber aussprechen.
(3) Die Strafbemessungsgründe sind eingehend darzulegen.
(4) Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb eine sichernde Maßregel angeordnet oder entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag nicht angeordnet worden ist. Wird keine sichernde Maßregel angeordnet, obwohl der Angeklagte als schuldunfähig freigesprochen oder als vermindert schuldfähig verurteilt wird, so sind die Gründe hierfür anzugeben. Ein freisprechendes Urteil muß erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen es den Angeklagten freispricht. Hat die Hauptverhandlung ergeben, daß der Angeklagte unschuldig ist, oder daß gegen ihn kein begründeter Verdacht mehr besteht, so ist dies auszusprechen. [1468]
§ 66 Urteilsverkündung
(1) Der Verhandlungsleiter verkündet das Urteil durch Verlesen der Urteilsformel und Eröffnen der Urteilsgründe am Schluß der Verhandlung. Er kann bei wichtigem Grunde dem Verteidiger und Angeklagten gestatten, der Urteilsverkündung fernzubleiben.
(2) Das Urteil ist alsbald mit schriftlichen Gründen zu den Akten zu bringen. Es genügt die Unterschrift durch den Verhandlungsleiter.
(3) Wurde das Urteil in Abwesenheit des Angeklagten verkündet, so ist es ihm nachträglich zu eröffnen.
§ 67 Verhandlungsniederschrift
(1) Über die Hauptverhandlung ist eine Verhandlungsniederschrift aufzunehmen, die der Verhandlungsleiter und der Urkundsbeamte unterschreiben.
(2) Die Verhandlungsniederschrift enthält:
1. den Ort und Tag der Verhandlung,
2. die Namen der Mitglieder des Gerichts, des Vertreters der Anklage, des Urkundsbeamten und des etwa zugezogenen Dolmetschers,
3. die Bezeichnung der strafbaren Handlung entsprechend der Anklage,
4. den Namen des Angeklagten und seines Verteidigers,
5. die Namen der vernommenen Zeugen und Sachverständigen und den Vermerk über etwaige Vereidigungen,
6. die Angabe, ob öffentlich verhandelt oder aus welchem Grunde die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde,
7. die Anträge, die Entscheidungen, insbesondere die Urteilsformel, sowie den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussagen, Gutachten und sonstigen Beweiserhebungen.
§ 68 Sicherungsverfahren
(1) Auf die Unterbringung in eine Heil- und Pflegeanstalt (§ 42b des Strafgesetzbuchs) kann auch in einem selbständigen Verfahren erkannt werden.
(2) Für das Sicherungsverfahren gelten sinngemäß die Vorschriften für das Strafverfahren.

D. Das Verfahren vor dem Reichskriegsgericht

§ 69 Allgemeines
Für das Verfahren vor dem Reichskriegsgericht gelten die Vorschriften des III. Abschnitts entsprechend, soweit nichts anderes ist.
§ 70 Aufgaben und Befugnisse des Oberreichskriegsanwalts
Der Oberreichskriegsanwalt führt das Ermittlungsverfahren und vertritt die Anklage. Im Verfahren hat er die Stellung und die Rechte eines Untersuchungsführers.
§ 71 Abweichungen des Verfahrens
(1) Nicht anwendbar sind
1. § 17 (Anordnung des Ermittlungsverfahrens)
2. § 49 Abs. 1 (Vorbereitung der Hauptverhandlung).
(2) In den Fällen des § 49 Abs. 4 und § 50 (Anträge des Angeklagten) tritt an die Stelle des Gerichtsherrn der Senatspräsident.
(3) Das Reichskriegsgericht darf sich nicht für unzuständig erklären, weil die Sache vor ein Feldkriegsgericht gehöre.
§ 72 Verteidigung
In dem Verfahren vor dem Reichskriegsgericht ist die Verteidigung notwendig. Hat der Angeklagte keinen Verteidiger gewählt, so bestellt ihm vor der Hauptverhandlung der Gerichtsherr, in der Hauptverhandlung der Senatspräsident einen solchen von Amts wegen.

E. Verfahren gegen Kriegsgefangene

(auf Grund des Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929, ratifiziert am 21. Februar 1934 – Reichsgesetzbl. II S. 227)

§ 73 Ermittlungsverfahren
(1) Bei Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen einen Kriegsgefangenen ist sobald wie möglich, jedenfalls aber vor dem für die Hauptverhandlung bestimmten Zeitpunkt, der Vertreter der Schutzmacht zu benachrichtigen.
(2) Diese Mitteilung hat folgende Angaben zu enthalten:
1. den Personenstand und Dienstgrad des Gefangenen,
2. den Ort des Aufenthalts oder der Haft,
3. die Darlegung der Anklagegründe unter Erwähnung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen.
(3) Wenn es nicht möglich ist, in dieser Anzeige das Gericht, das die Tat aburteilen wird, den Zeitpunkt der Eröffnung der Hauptverhandlung und den Verhandlungsort mitzuteilen, so sind diese Angaben späterhin, und zwar möglichst bald, jedenfalls aber mindestens drei Wochen vor der Hauptverhandlung, dem Vertreter der Schutzmacht nachzuliefern. [1469]
§ 74 Verteidigung
(1) Der Kriegsgefangene hat das Recht auf Beistand durch einen geeigneten Verteidiger seiner Wahl und, wenn möglich, auf die Dienste eines zuverlässigen Dolmetschers. Er ist von seinem Recht rechtzeitig vor der Hauptverhandlung zu benachrichtigen.
(2) Wählt der Kriegsgefangene keinen Verteidiger, so kann ihm die Schutzmacht einen solchen bestellen. Ihr ist auf Verlangen eine Liste von Personen zu übermitteln, die für die Übernahme der Verteidigung geeignet sind.
(3) Die Vertreter der Schutzmacht haben das Recht, der Hauptverhandlung beizuwohnen. Von dieser Regel ist nur der Fall ausgenommen, in dem die Hauptverhandlung aus Gründen der Staatssicherheit geheim bleiben muß. Die Schutzmacht ist hiervon im voraus zu benachrichtigen.
§ 75 Urteile
(1) Die gegen Kriegsgefangene gefällten Urteile sind sofort der Schutzmacht mitzuteilen.
(2) Wird gegen einen Kriegsgefangenen die Todessstrafe ausgesprochen, dann ist schnellstens eine Mitteilung, die im einzelnen die Art und die Umstände der Straftat enthält, an den Vertreter der Schutzmacht zur Übermittlung an die Macht, in deren Heer der Gefangene gedient hat, zu richten.
(3) Das Urteil darf nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens drei Monaten nach dieser Mitteilung vollstreckt werden.

F. Das Nachprüfungsverfahren. Aufhebung und Bestätigung

§ 76 Unanfechtbarkeit der Entscheidungen
Die Entscheidungen des Kriegsverfahrens sind mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar.
§ 77 Nachprüfen der Urteile
(1) Die Urteile unterliegen einer Nachprüfung, die zur Bestätigung oder Aufhebung führt.
(2) Die Bestätigung macht die Urteile rechtskräftig und vollstreckbar.
§ 78 Anhören des Angeklagten
Vor der Bestätigung hat der Gerichtsherr den Verurteilten durch einen richterlichen Militärjustizbeamten oder einen Offizier schriftlich darüber vernehmen zu lassen, ob und welche Einwendungen er gegen das Urteil vorzubringen habe. Hat der Angeklagte sich hierzu bereits anderweit hinreichend geäußert, so kann eine schriftliche Vernehmung unterbleiben.
§ 79 Das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht vor dem Feldkriegsgericht
(1) Dem Führer und Reichskanzler ist das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht vorbehalten:
1. wenn Offiziere oder Wehrmachtbeamte im Offizierrang zum Tode verurteilt sind,
2. wenn er einen Vorbehalt allgemein oder im Einzelfall ausspricht.
(2) Im übrigen wird das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht auf die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile übertragen. Diese dürfen es weiterübertragen, und zwar:
das Bestätigungsrecht bis zum Gerichtsherrn,
das Aufhebungsrecht bis zu solchen Befehlshabern, denen Befehlshaber mit eigener Gerichtsbarkeit unterstellt sind, und auf den Generalquartiermeister.
War Gegenstand der Anklageverfügung oder der Aburteilung ein Verbrechen oder Vergehen des Mißbrauchs der Dienstgewalt durch einen Offizier (§§ 114 bis 125 des Militärstrafgesetzbuchs), so darf das Urteil nur von einem Befehlshaber bestätigt werden, dem auch das Aufhebungsrecht zusteht.
(3) Das volle Bestätigungs- und Aufhebungsrecht nach Abs. 1 und 2 kann von den Oberbefehlshabern der Wehrmachtteile übertragen werden:
1. den Kommandeuren größerer Truppenverbände, die sich auf einem entlegenen selbständigen Kriegsschauplatz befinden,
2. den Kommandanten von Festungen oder anderen befestigten Orten oder Gebieten für die Zeit, in der ein geordneter schriftlicher Verkehr mit ihren Vorgesetzten nicht mehr besteht,
3. dem wegen langer Abwesenheit zum Gerichtsherrn bestimmten Kommandanten eines Schiffes oder Befehlshaber eines schwimmenden Verbandes, wenn die unterstellten Kriegs- oder Hilfskriegsschiffe in außerheimischen Gewässern verwandt werden.
(4) Diese Befehlshaber dürfen im Notfall auch ohne Gutachten (§ 83) ihre Entscheidung treffen.
§ 80 Das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht im Verfahren vor dem Reichskriegsgericht
Das Recht der Bestätigung und Aufhebung von Urteilen des Reichskriegsgerichts wird ausgeübt:
1. vom Führer und Reichskanzler,
a) wenn Offiziere oder Wehrmachtbeamte im Offizierrang zum Tode verurteilt sind,
b) wenn gegen Offiziere oder Wehrmachtbeamte im Generals- oder Admiralsrang die Anklage wegen eines Verbrechens oder Vergehens verfügt war,
c) wenn er einen dahin gehenden Vorbehalt allgemein oder im Einzelfall ausspricht,
2. im übrigen vom Präsidenten des Reichskriegsgerichts. [1470]
§ 81 Milderungsrecht
(1) Der bestätigungsberechtigte Befehlshaber kann ein Urteil, dessen sofortige Vollstreckung er anordnen will, zugleich mit der Bestätigung mildern, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen erhebliche Gründe dafür vorhanden sind. Die Gründe sind aktenkundig zu machen.
(2) Für das Milderungsrecht gelten folgende Grundsätze:
Die Todesstrafe und eine Zuchthausstrafe können nicht gemildert werden,
Im übrigen kann bis zu der Strafe gemildert werden, die für den mildesten Fall dieser Art hätte ausgeworfen werden dürfen.
§ 82 Zuständigkeit bei mehreren Angeklagten
Betrifft ein Urteil mehrere Angeklagte, so ist dem Führer und Reichskanzler die Bestätigung und Aufhebung für alle vorbehalten, wenn auch nur einer unter die Vorbehalte nach § 79 Abs. 1 oder § 80 Nr. 1 fällt.
§ 83 Begutachten der Urteile
(1) Die Urteile, deren Bestätigung sich der Führer und Reichskanzler vorbehält, legt ihm der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht mit einem Rechtsgutachten eines richterlichen Militärjustizbeamten vor.
(2) Andere Urteile dürfen nur auf Grund des schriftlichen Rechtsgutachtens eines richterlichen Militärjustizbeamten oder, in Ermangelung eines solchen, eines zum Richteramt befähigten Beamten oder Offiziers bestätigt werden, wenn auf Tod oder Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erkannt ist oder wenn im Feldkriegsgericht ein zum Richteramt befähigter Verhandlungsleiter nicht mitgewirkt hat.
(3) Bei anderen Urteilen ordnet der Befehlshaber eine Begutachtung nur an, wenn ihm die Entscheidung des Feldkriegsgerichts bedenklich erscheint.
(4) Aus dem Rechtsgutachten muß zu ersehen sein, ob die Bestätigung oder die völlige oder teilweise Aufhebung des Urteils vorgeschlagen wird.
(5) Die zum Richteramt befähigten Beamten der Rechtsabteilungen des Oberkommandos der Wehrmacht oder eines Oberbefehlshabers der Wehrmachtteile gelten als richterliche Militärjustizbeamte im Sinne dieser Vorschrift.
§ 84 Verbot der Begutachtung für bestimmte Personen
Ein Beamter oder Offizier, der in der Hauptverhandlung als Richter oder als Vertreter der Anklage oder als Verteidiger mitgewirkt hat, soll das Rechtsgutachten nicht erstatten.
§ 85 Vervollständigung der Untersuchung
Der Befehlshaber, dem die Bestätigung zusteht, kann eine Vervollständigung der Untersuchung anordnen.
§ 86 Verbot der Bestätigung bei Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften
Ist eine der Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 nicht beachtet, so darf das Urteil nicht bestätigt werden.
§ 87 Die Entscheidung über die Bestätigung
(1) Ein Befehlshaber, dem nur das Bestätigungs-, nicht aber das Aufhebungsrecht zusteht, kann das Urteil bei demselben Angeklagten nur im ganzen, bei mehreren Angeklagten auch für einzelne von ihnen bestätigen.
(2) Die Bestätigungsverfügung lautet:
„Ich bestätige das Urteil“;
bei Verurteilung ist hinzuzusetzen:
„Die Vollstreckung wird bis zur Beendigung des Kriegszustandes ausgesetzt“ oder
„Das Urteil ist zu vollstrecken“.
(3) Bei Teilbestätigungen durch einen dazu berechtigten Befehlshaber ist genau anzugeben, in welchem Umfang die Bestätigung verfügt wird, z. B.:
„Ich bestätige das Urteil im Schuldausspruch“.
(4) Macht der Befehlshaber vom Recht der Milderung Gebrauch, so lautet die Bestätigungsverfügung:
„Ich bestätige das Urteil mildernd dahin, daß….“.
§ 88 Vermerk und Bekanntgabe der Bestätigung
Die Bestätigung wird auf dem Urteil vermerkt und dem Angeklagten bekanntgegeben.
§ 89 Die Entscheidung über die Aufhebung
(1) Erhebt das Rechtsgutachten (§ 83) wesentliche Bedenken gegen die Gesetzlichkeit des Urteils oder gegen die tatsächlichen Feststellungen oder gegen die Strafzumessung, so haben:
1. der Befehlshaber, dem nur das Bestätigungsrecht zusteht,
2. der auch zur Aufhebung berechtigte Befehlshaber, wenn er das Urteil seines Gerichts nicht aufheben will,
die Entscheidung des übergeordneten Befehlshaber herbeizuführen. [1471]
(2) Dieser holt das Gutachten seines richterlichen Militärjustizbeamten ein und entscheidet sodann nach seinem Ermessen, ob er das Urteil bestätigt oder aufhebt. Ist eine der Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 nicht beachtet, so muß das Urteil aufgehoben werden.
(3) Ebenso ist zu verfahren, wenn der zur Bestätigung berechtigte Befehlshaber entgegen dem Rechtsgutachten die beantragte Bestätigung nicht erteilt. Die Versagung ist schriftlich zu begründen.
(4) Die zum Aufheben berechtigten Befehlshaber dürfen ein Urteil auch teilweise aufheben, z. B. den Strafausspruch oder die Verurteilung einzelner von mehreren Angeklagten oder die Verurteilung wegen einzelner Straftaten.
(5) Für die Form der Aufhebung gilt § 87 entsprechend.
§ 90 Verfahren bei Aufhebung des Urteils
(1) Wird das Urteil aufgehoben, so beruft der zuständige Gerichtsherr ein neues erkennendes Gericht. Der Befehlshaber, der die Aufhebung verfügt, kann auch einen anderen Gerichtsherrn damit betrauen. Wer bei der früheren Hauptverhandlung mitgewirkt hat, darf nicht als Richter zugezogen werden.
(2) Der aufhebende Befehlshaber kann unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 auch anordnen:
1. daß ein Angeklagter, der sich im Gefechtsgebiet befindet, zur Durchführung des Strafverfahrens
a) einem Gerichtsherrn im rückwärtigen Armeegebiet überwiesen,
b) zu einem Ersatztruppenteil versetzt wird.
Bei den Seestreitkräften tritt an Stelle der Überweisung oder der Versetzung die Kommandierung von Bord an Land;
2. daß das Strafverfahren bis nach Beendigung des Kriegszustandes ausgesetzt und seine Durchführung dem ordentlichen Verfahren vorbehalten wird.

IV. Abschnitt Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahrens

§ 91 Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel
(1) Ein durch Urteil oder Strafverfügung rechtskräftig geschlossenes Verfahren wird wiederaufgenommen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allgemein oder in Verbindung mit den früheren Beweisen geeignet gewesen wären:
1. die Freisprechung eines Verurteilten oder eine wesentlich geringere Bestrafung oder statt der Verurteilung die Einstellung des Verfahrens zu begründen,
2. die Bestrafung eines Freigesprochenen oder eine wesentlich schwerere Bestrafung oder statt der Einstellung des Verfahrens eine Verurteilung des Angeklagten zu begründen,
3. eine wesentlich andere Entscheidung über eine sichernde Maßregel herbeizuführen.
(2) Der Angeklagte kann sich nur auf solche neuen Tatsachen oder Beweismittel berufen, die er in dem früheren Verfahren ohne Verschulden nicht geltend machen konnte.
§ 92 Wiederaufnahme wegen Rechtsverletzung
Das Verfahren wird auch wiederaufgenommen, wenn das Gericht auf eine Strafe oder eine sichernde Maßregel erkannt hat, auf die es nach den angewendeten Strafvorschriften überhaupt nicht erkennen durfte, oder wenn ein Urteil bestätigt worden ist, das nach § 86 nicht hätte bestätigt werden dürfen.
§ 93 Wiederaufnahme wegen Verletzung der Amtspflicht
Das Verfahren wird endlich wiederaufgenommen, wenn ein Richter, der bei dem Urteil mitgewirkt hat, in der Sache seine Amtspflicht in gerichtlich strafbarer Weise verletzt hat.
§ 94 Wiederaufnahme auch nach Strafvollstreckung, Tod, Beendigung der Kriegsgerichtsbarkeit
Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird weder durch die Strafvollstreckung noch durch den Tod des Verurteilten noch durch die Beendigung des die Kriegsgerichtsbarkeit über den Verurteilten begründenden Verhältnisses ausgeschlossen.
§ 95 Strafbare Handlung als Grund der Wiederaufnahme
Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kann auf die Behauptung einer strafbaren Handlung nur gegründet werden, wenn deretwegen eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder wenn ein Strafverfahren aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht eingeleitet oder durchgeführt werden konnte.
§ 96 Zuständigkeit
(1) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist bei dem Gerichtsherrn anzubringen, dessen Gerichtsbarkeit der Verurteilte im Zeitpunkt des Antrags untersteht. Die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile werden ermächtigt, die Entscheidung bestimmten Gerichten zu übertragen. In den zur Zuständigkeit des Reichskriegsgerichts gehörigen Sachen ist der Antrag bei dessen Präsidenten anzubringen. [1472]
(2) Ist der Verurteilte nicht mehr der Militärgerichtsbarkeit unterworfen, so bestimmt der Oberbefehlshaber seines früheren Wehrmachtteils den zuständigen Gerichtsherrn.
§ 97 Berechtigung zur Stellung des Antrags
(1) Berechtigt zur Stellung des Antrags auf Wiederaufnahme sind der Gerichtsherr und der Verurteilte oder in seinem ausdrücklichen Auftrag sein Verteidiger. Ist ein Gerichtsherr nicht mehr vorhanden, so bestimmt der Oberbefehlshaber des Wehrmachtteils den zuständigen Gerichtsherrn.
(2) Ist der Verurteilte verstorben, verschollen oder in Geisteskrankheit verfallen, so sind antragsberechtigt sein Ehegatte, seine Verwandten auf- und absteigender Linie und in deren Ermangelung Verwandte zweiten Grades in der Seitenlinie, bei Verschollenen oder Geisteskranken auch der gesetzliche Vertreter.
(3) Die angefochtene Entscheidung kann stets zugunsten wie zuungunsten des Angeklagten geändert werden.
§ 98 Inhalt und Form des Antrags
(1) Der Antrag kann von dem Verurteilten oder seinen Angehörigen nur gestellt werden durch eine Schrift, die der Verteidiger oder ein Rechtsanwalt unterzeichnet hat, oder durch Erklärung zur Niederschrift eines richterlichen Militärjustizbeamten, eines Beamten der Reichskriegsanwaltschaft, eines Urkundsbeamten oder eines Gerichtsoffiziers.
(2) Der Gerichtsherr stellt den Antrag durch eine Schrift, die von einem richterlichen Militärjustizbeamten mitunterzeichnet ist.
(2) Der Antrag muß den gesetzlichen Grund der Wiederaufnahme des Verfahrens und die Beweismittel angeben.
§ 99 Die Entscheidung des Feldkriegsgerichts
(1) Der Gerichtsherr beruft unverzüglich ein Feldkriegsgericht. Das Gericht entscheidet über die Zulassung des Antrags nach Anhörung des Vertreters der Anklage ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluß ist bei Ablehnung zu begründen.
(2) Wird der Antrag zugelassen, so kann das Feldkriegsgericht, wenn der Angeklagte und, soweit notwendig, ein Verteidiger zur Stelle ist, sofort in die Hauptverhandlung eintreten. Andernfalls ist alsbald ein Feldkriegsgericht erneut zu berufen. In der erneuten Hauptverhandlung ist entweder die frühere Entscheidung aufrechtzuerhalten oder aufzuheben und in diesem Falle anderweit in der Sache zu erkennen.
(3) Gegen einen Verurteilten, der verstorben, verschollen oder in eine unheilbare Geisteskrankheit verfallen ist, findet keine Hauptverhandlung statt. Das Feldkriegsgericht hat vielmehr ohne mündliche Verhandlung die ihm notwendig erscheinenden Beweise in geeigneter Form zu erheben und entweder unter Aufhebung der früheren Entscheidung freizusprechen oder den Antrag auf Wiederaufnahme abzulehnen. War lediglich auf eine Maßregel der Sicherung und Besserung erkannt, so wird an Stelle des Freispruchs nur das frühere Urteil aufgehoben.
§ 100 Die Entscheidung des Reichskriegsgerichts
(1) Das Reichskriegsgericht entscheidet über die Zulassung des Antrags nach Anhörung des Vertreters der Anklage ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluß ist bei Ablehnung zu begründen.
(2) Wird der Antrag zugelassen, so kann der Senat, wenn der Angeklagte und ein Verteidiger sowie die notwendigen Beweismittel zur Stelle sind, sofort in die Hauptverhandlung eintreten. Andernfalls bestimmt der Präsident des Reichskriegsgerichts Ort und Zeit der Hauptverhandlung. In ihr ist das frühere Urteil entweder aufrechtzuerhalten oder aufzuheben und in diesem Falle anderweit in der Sache zu erkennen.
(3) § 99 Abs. 3 gilt entsprechend.

V. Abschnitt Strafvollstreckung

§ 101 Grundlagen der Strafvollstreckung
(1) Die Urteile sind nach dem Inhalt der Bestätigungsverfügung zu vollstrecken. Einer Vollstreckbarkeitsbescheinigung bedarf es nicht.
(2) Zweifel über die Auslegung eines Strafurteils, über die Berechnung der erkannten Strafe, die Zulässigkeit der Strafvollstreckung oder den Strafvollzug entscheidet der vollstreckende Gerichtsherr.
(3) Die Strafe wird nach einer von dem Urkundsbeamten erteilten beglaubigten Abschrift der Urteilsformel und der Bestätigungsverfügung vollzogen.
(4) Wird erkannt, daß ein unzuständiger Gerichtsherr oder Befehlshaber das Urteil bestätigt hat, so ist das Urteil zunächst dem zuständigen Bestätigungsbefehlshaber vorzulegen.
§ 102 Anordnung der Strafvollstreckung
Die Strafvollstreckung ordnet der Gerichtsherr an, dessen Gerichtsbarkeit der Verurteilte zur Zeit untersteht, soweit die Strafvollstreckung nicht bereits nach § 87 Abs. 2 angeordnet ist. Er kann aus wichtigem Grunde auch den Oberstaatsanwalt eines Landgerichts um Übernahme der Strafvollstreckung oder des Strafvollzugs ersuchen. Dies gilt auch für die Vollstreckung von Todesstrafen. Über Einwendungen [1473] gegen die Entscheidungen die Entscheidungen des Oberstaatsanwalts oder gegen seine sonstigen Maßnahmen als Vollstreckungsbehörde entscheidet unbeschadet des § 101 Abs. 2 der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht.
§ 103 Vollzug der Todesstrafe
(1) Die Todesstrafe wird durch Erschießen, bei Frauen grundsätzlich durch Enthaupten vollzogen.
(2) An Geisteskranken oder Schwangeren darf ein Todesurteil nicht vollzogen werden.
(3) Der Gerichtsherr hat eine durch Erschießen zu vollziehende Todesstrafe – vorbehaltlich der Sonderbestimmungen für Kriegsgefangene (§ 75 Abs. 3) – unverzüglich nach Bestätigung des Urteils vollziehen zu lassen; Ort und Zeit werden nur den Stellen mitgeteilt, die mitzuwirken haben.
(4) Zum Vollzug wird eine Abteilung von mindestens Zugstärke gestellt. Ob noch weitere Truppen teilnehmen sollen, bestimmt der Gerichtsherr.
(5) Ein Offizier, wenn möglich ein Stabsoffizier, leitet das Verfahren. Er bestimmt, wie der Verurteilte zum Richtplatz gebracht werden soll, ob er zu fesseln ist und ob ihm demnächst die Augen verbunden werden sollen. Er sorgt auch dafür, daß ihn, wenn dies möglich ist, ein Geistlicher seines Bekenntnisses begleitet. Auf dem Richtplatz liest, während die Abteilung mit „Gewehr über“ stillsteht, ein richterlicher Militärjustizbeamter oder ein Offizier dem Verurteilten Urteilsformel und Bestätigungsverfügung, notfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers, vor.
(6) Nachdem der Geistliche ein letztes Mal Gelegenheit zum Zuspruch erhalten hat, führen zehn Mannschaften, die in zwei Gliedern fünf Schritte vom Verurteilten entfernt aufzustellen sind, das Urteil auf Kommando oder Wink aus. Ein Sanitätsoffizier stellt den Tod fest. Der richterliche Militärjustizbeamte oder sein Stellvertreter nimmt über den Vorgang eine Niederschrift auf.
(7) Soweit möglich, werden die Angehörigen des Verurteilten unverzüglich vom Vollzug benachrichtigt; auf Verlangen kann ihnen die Leiche zum Beerdigen freigegeben werden.
(8) An Bord eines Kriegsschiffes leitet der Kommandant oder ein von ihm bestimmter Offizier das Verfahren. Er beachtet dabei, soweit die Verhältnisse es gestatten, die vorstehenden Bestimmungen über den Vollzug an Land. Die Leiche ist sofort ins Meer zu versenken.
§ 104 Aussetzung des Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen
(1) Der Vollzug von Freiheitsstrafen an Wehrmachtangehörigen und deutschen Zivilpersonen im wehrpflichtigen Alter wird bis nach Beendigung des Kriegszustandes ausgesetzt.
(2) Der Gerichtsherr kann jedoch jederzeit den sofortigen Strafvollzug anordnen, wenn ein wichtiger Grund die sofortige Verbüßung der Strafe erfordert.
§ 105 Sonderabteilungen und Lagerverbände
(1) Der Gerichtsherr kann anordnen, daß Verurteilte, bei denen es aus Gründen der Sicherheit oder Erziehung erforderlich erscheint, für die Dauer der Aussetzung des Strafvollzugs in Sonderabteilungen oder Lagerverbänden zu verwahren sind.
(2) Es sind zu überweisen
1. einer Sonderabteilung:
Wehrmachtangehörige, die zu Gefängnisstrafen von mehr als einem Monat verurteilt sind;
2. einem Lagerverband:
im wehrpflichtigen Alter stehende deutsche Zivilpersonen.
(3) Sonderabteilungen und Lagerverbände werden nach Bedarf gebildet. Die näheren Anordnungen für ihre Errichtung und Verwendung zur Förderung des Kriegszwecks erlassen die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile.
§ 106 Anrechnung auf die Strafzeit
Hat ein Verurteilter während seiner Zugehörigkeit zu einer Sonderabteilung oder einem Lagerverband hervorragende Beweise von Mut abgelegt oder sich in anderer Weise hervorragend bewährt oder sich ausgezeichnet geführt, so kann der Oberbefehlshaber anordnen, daß die Zeit der Verwendung ganz oder teilweise auf die zu verbüßende Freiheitsstrafe angerechnet wird.
§ 107 Strafzeitberechnung
(1) Beim Einstellen in die Strafanstalt ist dem Verurteilten die berechnete Strafzeit mitzuteilen. Der Tag wird zu vierundzwanzig Stunden, die Woche zu sieben Tagen, Monat und Jahr nach der Kalenderzeit berechnet.
(2) Die Strafzeit rechnet in der Regel vom Zeitpunkt des Einstellens in die Strafanstalt. Diesen Zeitpunkt und das berechnete Strafende teilt der Anstaltsvorgesetzte dem Gerichtsherrn mit der Nachricht vom Einstellen mit. Der richterliche Militärjustizbeamte bleibt für richtiges Berechnen gerichtlicher Strafen verantwortlich.
(3) Bei verhafteten oder festgenommenen Verurteilten rechnet die Strafzeit vom Tag der Rechtskraft des Urteils. Jedoch bestimmt der Befehlshaber bei der Bestätigung, inwieweit die nach der Urteilsverkündung verbüßte Freiheitsentziehung auf die Strafzeit anzurechnen ist.
(4) Werden Verurteilte erst nach Rechtskraft verhaftet, so rechnet die Strafe vom Tage der Verhaftung. [1474]
§ 108 Zusammentreffen von verschiedenen Strafen und Untersuchungshaft
(1) Haben Verurteilte, die eine gerichtliche Strafe verbüßen, noch ältere Freiheitsstrafen zu verbüßen oder erleiden sie neue Freiheitsstrafen oder in einem neuen Verfahren Untersuchungshaft, so ist wie folgt zu verfahren:
1. Sind die Strafen gleichartig oder treffen Gefängnis, Festungshaft oder Haft zusammen, so entscheidet die Reihenfolge der Anordnung des Vollzugs.
2. Untersuchungshaft unterbricht den Vollzug nur, wenn der Gerichtsherr es aus besonderen Gründen anordnet.
3. Disziplinarstrafen dürfen nicht auf gerichtliche Strafen angerechnet werden; Arreststrafen sind, wenn dies angemessen ist, unter Aussetzen des Vollzugs gerichtlicher Strafen vorab zu vollziehen. Der Gerichtsherr ist von ihrem Vollzug zu benachrichtigen.
(2) Während einer Untersuchungshaft dürfen gerichtliche oder disziplinare Freiheitsstrafen vollzogen werden mit Zustimmung des Gerichtsherrn, der den Haftbefehl erlassen hat; ihm ist der Vollzug mitzuteilen.
(3) Wird ein erkrankter Strafgefangener in eine von der Strafanstalt gesonderte Krankenanstalt gebracht, so ist, falls nicht der Gerichtsherr den Vollzug unterbricht, die Dauer des Aufenthalts dort auf die Strafzeit anzurechnen, es sei denn, daß der Strafgefangene die Krankheit herbeigeführt oder verlängert hat, um eine Unterbrechung des Strafvollzugs zu erwirken.
(4) Die in eine militärische Strafanstalt Einzustellenden werden dem Anstaltsvorgesetzten überwiesen, bei gerichtlichen Strafen mit einem Einstellschein, der eine möglichst genaue Personenbeschreibung und die zu vollziehende Strafe nach Strafart, Strafdauer und Strafgrund, die Bezeichnung des Gerichts, den Tag des Urteils und der Bestätigungsverfügung sowie Beginn und Ende der Strafzeit enthalten soll.
§ 109 Behelfsvollzug
(1) Freiheitsstrafen können an Wehrmachtangehörigen auch in der Weise vollzogen werden, daß die Verurteilten für die Dauer der Strafzeit außerhalb des Dienstes:
1. Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit unterworfen,
2. zu besonderen Dienstleistungen herangezogen werden.
(2) Der Vollzug von Freiheitsstrafen durch Anbinden ist unzulässig.
(3) Für die Berechnung der Strafzeit gilt § 107 entsprechend.
§ 110 Beitreibung von Geld- und Vermögensstrafen und von Bußen
(1) Geld- und Vermögensstrafen treiben die militärischen Verwaltungsbehörden im Verwaltungszwangsverfahren bei.
(2) Bußen werden nach den Vorschriften über die Vollstreckung der Urteile in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten beigetrieben.
(3) Der Gerichtsherr kann einem Verurteilten eine Frist zur Zahlung einer Geldstrafe gewähren oder ihm gestatten, sie in Teilen abzuzahlen. Die Bewilligung kann er jederzeit widerrufen oder ändern.
(4) Kann eine verhängte Geldstrafe nicht beigetrieben werden und ist die Freisetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe unterlassen worden, so hat sie der Gerichtsherr in die entsprechende Freiheitsstrafe umzuwandeln.
§ 111 Nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe
(1) Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 79 des Strafgesetzbuchs, § 54 des Militärstrafgesetzbuchs) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen.
(2) Die Entscheidung steht dem Gerichtsherrn zu, dessen Gerichtsbarkeit der Verurteilte zur Zeit untersteht.

VI. Abschnitt Das Gnadenrecht

§ 112 Inhalt des Gnadenrechts
Das Gnadenrecht umfaßt die Befugnis:
1. einen Bestraften zu begnadigen, d. h. nach Strafverhängung:
a) die erkannte Hauptstrafe ganz oder teilweise zu erlassen, umzuwandeln, auszusetzen oder zu unterbrechen,
b) Nebenstrafen aufzuheben oder zu mildern,
c) Nebenfolgen, auf die durch Strafurteil erkannt ist oder die sich als Folgen der Verurteilung von Rechts wegen ergeben, ganz oder teilweise zu beseitigen,
d) Sicherungsmaßnahmen, die im Urteil angeordnet sind oder sich als Folgen der Verurteilung von Rechts wegen ergeben, aufzuheben oder zu mildern,
e) Ordnungsstrafen aufzuheben oder zu mildern; [1475]
2. ein Strafverfahren niederzuschlagen, d. h. vor rechtskräftiger Entscheidung einer Sache anzuordnen, daß von einer Strafverfolgung abgesehen werde.
§ 113 Wirkung der Begnadigung
(1) Die Begnadigung schließt in dem von ihr festgesetzten Umfang nur für die Zukunft weitere Rechtsnachteile für den Verurteilten aus.
(2) Soll eine bereits eingetretene Rechtswirkung wieder rückgängig gemacht werden, so wird es durch die Gnadenentscheidung besonders bestimmt.
§ 114 Zuständigkeit
(1) Das Gnadenrecht üben aus der Führer und Reichskanzler und die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile.
(2) Dem Führer und Reichskanzler sind vorbehalten:
1. die Ausübung des Gnadenrechts in den Fällen,
a) in denen ihm oder dem Präsidenten des Reichskriegsgerichts das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht zusteht (§ 79 Abs. 1, § 80)
b) in denen ein Offizier wegen eines Verbrechens oder Vergehens des Mißbrauchs der Dienstgewalt verurteilt worden ist(§§ 114 bis 125 des Militärstrafgesetzbuchs),
c) in denen er einen Vorbehalt allgemein oder im Einzelfall ausgesprochen hat;
2. die Niederschlagung von Strafverfahren.
(3) In allen übrigen Fällen üben die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile das Gnadenrecht aus. Sie haben ferner die Befugnis zu ablehnenden Entschließungen in den Fällen, in denen der Führer und Reichskanzler bereits eine ablehnende Entscheidung getroffen hat oder in denen Niederschlagung eines Strafverfahrens begehrt wird.
(4) Die Oberbefehlshaber können ihre Rechte nach Abs. 3 auf die Befehlshaber, denen Befehlshaber mit eigener Gerichtsbarkeit unterstellt sind, und den Generalquartiermeister übertragen, soweit es sich um bestätigte Freiheitsstrafen unter zwei Jahren und um Geldstrafen handelt. Jedoch kann der Befehlshaber, der das Urteil schon bei der Bestätigung gemildert hat, das Gnadengesuch nur ablehnend bescheiden; sonst hat er es dem nächsthöheren Befehlshaber vorzulegen.
(5) Sind mehrere selbständige Strafen, die zu verschiedenen Zuständigkeiten gehören, Gegenstand eines Gnadenverfahrens, so entscheidet diejenige Stelle, der die Gnadenentscheidung über die höchste Strafe zusteht.
§ 115 Ausübung des Gnadenrechts
Das Gnadenrecht wird von Amts wegen oder auf Antrag ausgeübt.
§ 116 Gnadengesuche
(1) Gnadengesuche sind dem Gerichtsherrn vorzulegen, dessen Gerichtsbarkeit der Verurteilte bei Einreichen des Gnadengesuchs untersteht. Er hat sich zu ihnen zu äußern. Seinem Ermessen bleibt es überlassen, ob er andere Stellen hören will. Die Gesuche sind mit den Akten, seiner Stellungnahme und den Äußerungen an den zuständigen Befehlshaber weiterzuleiten, bei Vorlagen zur Entscheidung durch den Führer und Reichskanzler an den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht über den Oberbefehlshaber des Wehrmachtteils.
(2) Der Gerichtsherr soll den Strafvollzug nur dann aussetzen, wenn er das Gesuch befürwortet und nach seinem pflichtgemäßen Ermessen mit Wahrscheinlichkeit ein Gnadenerweis solchen Umfangs zu erwarten ist, daß der sofortige oder weitere Vollzug der Strafe den erwarteten Gnadenerweis ganz oder teilweise gegenstandslos machen würde.

VII. Abschnitt Kosten

§ 117
(1) Das Kriegsverfahren ist für die ihm unterworfenen Personen kostenfrei.
(2) Rechtsanwälte, die als solche von Amts wegen zum Verteidiger bestellt werden, erhalten für jeden Verhandlungstag eine Gebühr von 30 Reichsmark und Ersatz ihrer Reisekosten.

Dritter Teil Schlußbestimmungen

§ 118 Änderungsbefugnis
Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht ist zu Erläuterungen dieser Verordnung, zum Erlaß von Durchführungsvorschriften, zu ihrer Anpassung an das jeweils geltende Recht und, soweit ein Bedürfnis der Kriegsführung es gebietet, auch zu Änderungen und Ergänzungen befugt.
§ 119 Inkrafttreten der Verordnung
(1) Diese Verordnung tritt mit der Mobilmachung für die gesamte Wehrmacht in Kraft, wenn der Führer und Reichskanzler nicht etwas anderes befiehlt.
(2) In anderen Fällen befiehlt der Führer, wann diese Verordnung in Kraft tritt und für welche Teile der Wehrmacht sie anwendbar ist. [1476]
(3) Die Kaiserlichen Verordnungen über die Strafrechtspflege in Kriegszeiten bei dem Heer und der Marine vom 18. Dezember 1899 und 21. August 1900 und über das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren gegen Ausländer und die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gegen Kriegsgefangene vom 28. Dezember 1899 und alle zu diesen Verordnungen ergangenen Ausführungsbestimmungen werden aufgehoben.
§ 120 Überleitungsvorschriften
(1) Die bei Eintritt des Kriegszustandes anhängigen Strafsachen gegen Personen, die der Militärgerichtsbarkeit unterworfen sind, gehen in der Lage, in der sie sich befinden, in das Kriegsverfahren über.
(2) Eingelegte Rechtsmittel gelten als zurückgenommen; noch nicht rechtskräftige Urteile sind ohne Rücksicht darauf, welche Gerichte oder welche Instanzen sie erlassen haben, dem zuständigen Befehlshaber zur Bestätigung vorzulegen.
(3) Die Vollstreckung der von den Militärgerichten und den allgemeinen Gerichten rechtskräftig erkannten Strafen geht auf den Gerichtsherrn über, dessen Gerichtsbarkeit der Verurteilte bei oder nach Eintritt des Kriegszustandes unterstellt wird. Er entscheidet auch gemäß § 101 Abs. 2. Der Gerichtsherr kann den Oberstaatsanwalt eines Landgerichts um Übernahme einer Strafvollstreckung oder des Strafvollzugs ersuchen; über Einwendungen gegen dessen Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen als Vollstreckungsbehörde entscheidet, unbeschadet des Satzes 2, der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht.
(4) Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens werden im Kriegsverfahren auch dann erledigt, wenn sie sich gegen ein militärgerichtliches Urteil richten, das vor Eintritt des Kriegszustandes rechtskräftig geworden ist, und wenn der Verurteilte im übrigen der Kriegsgerichtsbarkeit nicht mehr unterliegt.
(5) Die Gerichtsherrn können Verfahren, die bisher bei den allgemeinen Gerichten oder Behörden anhängig waren, an diese Gerichte oder Behörden wieder abgeben.
§ 121 Verfahren nach Beendigung des Kriegszustandes
(1) Nach Beendigung des Kriegszustandes sind die Strafsachen, in denen bereits das Ermittlungsverfahren angeordnet ist, nach den Bestimmungen dieser Verordnung zu Ende zu führen, soweit sie nicht der Aburteilung im ordentlichen Verfahren vorbehalten sind (§ 20, § 90 Abs. 2 Nr. 2).
(2) Die Vollstreckung von Freiheitsstrafen an Zivilpersonen geht auf die allgemeinen Behörden über.
Berlin, den 17. August 1938.
Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler

Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht
Keitel