Kleine Ursachen – große Wirkungen
Kleine Ursachen – große Wirkungen.
Kein Mensch ist wohl, was den guten Erfolg seiner Thätigkeit und seiner Mühen anbelangt, so abhängig von den winzigsten Zufälligkeiten wie der arme Schauspieler. Der Mime, welchem ja bekanntlich die Nachwelt keine Kränze flicht, muß den Erfolg des Augenblicks haben; die Stimmung des Publikums, die Illusionen der Zuhörer während der kurzen Spanne eines Abends bedingen seinen Ruhm, und wehe, wenn nur das kleinste Sandkorn oder das unbedeutendste Insektchen sich gegen ihn verschworen hat! Ein kaum sichtbares Eintagsmückchen, welches z. B. dem Wallenstein-Darsteller während des großen Monologes: „Es giebt im Menschenleben Augenblicke“ in die Nase fliegt und den unglücklichen Heldenvater zu einem kräftigen Niesen reizt gerade inmitten des Verses: „Und Roß und Reiter sah ich niemals wieder!“ – verursacht doch gewiß mehr Schaden, als zwanzig der blutdürstigsten Recensenten zuwege bringen könnten.
Ich will die kleinen Neckereien eines boshaften Geschickes, welche mich mit infernalischer Schadenfreude ganz aus dem Koncepte und um allen Erfolg brachten, als ich an der Weimarer Hofbühne zum ersten Male in der „Räuber“-Vorstellung die Amalie spielte, treu nach dem Leben schildern, zugleich als Beweisführung, daß unser Ruhm von recht jämmerlichen Dingen abhängt!
Meine erste Scene mit Franz-Lehfeld ging eine Zeit lang recht gut; das Publikum blieb in der gehobensten Stimmung; was Wunder! Lehfeld war damals noch auf der Höhe seiner Kunst! Wir waren bereits glücklich durch manchen Bombast des Dialogs bis zum Scblusse des ersten Aktes gelangt, und mit den Worten: „Du hast mir eine kostbare Stunde gestohlen – sie werde Dir an Deinem Leben abgezogen!“ hatte ich Franz von der Scene gejagt, den darauf folgenden Schlußmonolog beginnend: „Karl ein Bettler, sagt er?! Bettler sind jetzt Könige, und Könige – Bettler! In den Staub mit Dir, prangendes Geschmeide!“ Damit wollte ich mich, in edelmüthiger Entsagung, meines Halsschmuckes entäußern und denselben zur Erde schleudern, wie vorgeschrieben war. Aber – was ist das? Das Schloß der einreihigen langen Perlenkette, welches sonst jeder leisen Berührung nachgab und sich beqnem öffnen ließ, war plötzlich ganz rebellisch geworden – die Kette wankte und wich nicht vom Halse! „In den Staub mit Dir!“ rief ich noch eimnal mit erhöhtem Pathos und zerrte krampfhaft an der Perlenschnnr. Umsonst; das Schloß sprang nicht auf, die Kette gab nicht nach; es schien, als wollte sie meinen Hals für alle Ewigkeiten umschlingen!
Durch die Reihen des Publikums ging bereits eine sehr bedenkliche Unruhe, das für den Schauspieler so beängstigende Geräusch von Räuspern – etlichen Ah’s und Oh’s – unterdrücktem Kichern – Vorboten einer nahenden „Heiterkeit“. Was beginnen? ich war rathlos!
Solche Niederlagen des Schauspielers spotten jeder Beschreibung! Mein Blut stockte und halb weinend, mit bebenden Lippen und schlotternden Knieen, mit derselben Kraftäußernng, als gelte es einen Backzahn von acht Wurzeln aus dem eigenen Oberkiefer zu reißen, riß ich – riß ich an dem Geschmeide so lange mit Berserkerwuth, bis endlich – endlich das Schloß aufsprang!
Leider hakte sich nun die eine Hälfte desselben mit dem Schnapper ganz fest oben in die Halskrause des Spitzenkleides, und die Perlenschnur baumelte jetzt wieder der Länge nach vom Halse herunter, auch in dieser pendelnden Weise nicht die mindeste Absicht verrathend, meiner Aufforderung: „In den Staub!“ nachzugeben.
Das war zu viel! Ein Taubengemüth hätte nun der gerechte Zorn übermannt! „Biegen oder brechen“ – rief es in mir. „Hinab!“ knirschte ich heimlich – ein letzter wüthender Ruck an der Kette – dann ritsch! ratsch! – und indem ich jetzt die ganze Halskrause des Kleides mit losriß, hatte ich zwar endlich das elende Geschmeide, aber auch – ein an dem Schlosse desselben fest eingeklammertes Stück weißer Spitze, mindestens eine Elle lang, frei in der Hand. „In den Staub!“ Endlich! Gott sei Dank!
Ich schleuderte Kette und Spitze – mit imposanter Gebärde – weit von mir! Sei es jedoch, daß die fürchterliche Aufregung, in welche ich ob des Ungeheuerlichen gerathen war, mich die Distanz nicht recht abmessen ließ, sei es, daß Kobolde des Freitags spukten – genug! ich warf Beides, Kette und Spitze, anstatt in die Mitte der Bühne, einige Schritte weiter – Himmel! welch ein unglücklicher Wurf! – – gerade auf den Souffleurkasten! –
Da lag es nun, das verwünschte Geschmeide, in voller Beleuchtung des Gaslichtes, ganz oben auf der kleinen Behausung unseres unsichtbaren Schutzgeistes. Die losgerissene Spitze der Halskrause hing an beiden Seiten des eisernen Kastens recht malerisch herunter, und dazwischen schlängelte sich die Perlenschnur wie eine kleine giftige weiße Viper. Ich überschaute im Augenblicke Alles; ich fühlte die ganze Schwere meines Mißgeschickes – der Aktschluß war verloren! Nicht allein, daß ich in den Logen Gelächter vernahm, ich sah noch, wie alle Blicke nur neugierig dem corpus delicti auf dem Souffleurkasten zugewendet waren, und mit ganz erbärmlicher Miene schloß ich kläglichen Tones Monolog und Akt mit den vorgeschriebenen Worten: „Karl – Karl! so – bin ich Deiner werth!“ – Armer Karl, du hattest keine Ursache, heute Abend stolz auf deine Amalie zu sein! Der Vorhang senkte sich lautlos, aber das Publikum war in der heitersten Stimmung.
Als der General-Intendant Dingelstedt in dem darauffolgenden Zwischenakte auf der Bühne erschien und mich mit niedergeschlagener Miene in der ersten Koulisse stehen sah, schlug er eine helle Lache auf und rief mir in seiner sarkastischen Weise zu: „Bravo, liebes Kind! Sie haben mit dieser Rolle – einen sehr guten Wurf gemacht!“
Der Abend war – Dank der von mir erwähnten Unfallsteufelchen – einer der schlimmsten Freitage meiner Bühnenlaufbahn; beim Nachhausegehen klangen mir fortwährend die Worte Karl Moor’s in den Ohren; „Darum Räuber und Mörder?!“