Textdaten
Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Klage der Ceres
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1797, S. 34 - 41
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
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Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[34]
Klage der Ceres.

Ist der holde Lenz erschienen?
Hat die Erde sich verjüngt?
Die besonnten Hügel grünen,
Und des Eises Rinde springt.

5
Aus der Ströme blauem Spiegel

Lacht der unbewölkte Zeus,
Milder wehen Zephyrs Flügel,
Augen treibt das junge Reis.
In dem Hayn erwachen Lieder,

10
Und die Oreade spricht:

Deine Blumen kehren wieder,
Deine Tochter kehret nicht.

Ach! wie lang ists, daß ich walle
Suchend durch der Erde Flur,

15
Titan, deine Strahlen alle

Sandt’ ich nach der theuren Spur,

[35]

Keiner hat mir noch verkündet
Von dem lieben Angesicht,
Und der Tag, der alles findet,

20
Die Verlorne fand er nicht.

Hast du Zeus! sie mir entrissen,
Hat, von ihrem Reiz gerührt,
Zu des Orkus schwarzen Flüßen
Pluto sie hinabgeführt?

25
Wer wird nach dem düstern Strande

Meines Grames Bote seyn?
Ewig stößt der Kahn vom Lande,
Doch nur Schatten nimmt er ein.
Jedem selgen Aug verschlossen

30
Bleibt das nächtliche Gefild’,

Und so lang der Styx geflossen,
Trug er kein lebendig Bild.
Nieder führen tausend Steige,
Keiner führt zum Tag zurück

[36]
35
Ihre Thränen bringt kein Zeuge

Vor der bangen Mutter Blick.

Mütter, die aus Pyrrhas Stamme
Sterbliche gebohren sind,
Dürfen durch des Grabes Flamme

40
Folgen dem geliebten Kind,

Nur was Jovis Haus bewohnet,
Nahet nicht dem dunkeln Strand,
Nur die Seligen verschonet
Parzen, eure strenge Hand.

45
Stürzt mich in die Nacht der Nächte

Aus des Himmels goldnem Saal,
Ehret nicht der Göttinn Rechte,
Ach! sie sind der Mutter Qual!

Wo sie mit dem finstern Gatten

50
Freudlos thronet, stieg ich hin,

Träte mit den leisen Schatten
Leise vor die Herrscherinn.

[37]

Ach ihr Auge, trüb von Zähren,
Sucht umsonst das goldne Licht,

55
Irret nach entfernten Sphären,

Auf die Mutter fällt es nicht,
Bis die Freude sie entdecket,
Bis sich Brust mit Brust vereint,
Und zum Mitgefühl erwecket,

60
Selbst der rauhe Orkus weint.


Eitler Wunsch! Verlorne Klagen!
Ruhig in dem gleichen Pfad
Rollt des Tages sichrer Wagen,
Fest bestehet Jovis Rath.

65
Weg von jenen Finsternissen

Wandt’ er sein beglücktes Haupt,
Einmal in die Nacht gerissen
Bleibt sie ewig mir geraubt,
Bis des dunkeln Stromes Welle

70
Von Aurorens Farben glüht,
[38]

Iris mitten durch die Hölle
Ihren schönen Bogen zieht.

Ist mir nichts von ihr geblieben,
Nicht ein süß erinnernd Pfand,

75
Daß die Fernen sich noch lieben,

Keine Spur der theuren Hand?
Knüpfet sich kein Liebesknoten
Zwischen Kind und Mutter an?
Zwischen Lebenden und Todten

80
Ist kein Bündniß aufgethan?

Nein! Nicht ganz ist sie entflohen,
Nein! Wir sind nicht ganz getrennt!
Haben uns die ewig Hohen
Eine Sprache doch vergönnt!

85
Wenn des Frühlings Kinder sterben,

Von des Nordes kaltem Hauch
Blatt und Blume sich entfärben,
Traurig steht der nakte Strauch,

[39]

Nehm ich mir das höchste Leben

90
Aus Vertumnus reichem Horn,

Opfernd es dem Styx zu geben,
Mir des Saamens goldnes Korn.
Traurend senk’ ichs in die Erde,
Leg es an des Kindes Herz,

95
Daß es eine Sprache werde

Meiner Liebe, meinem Schmerz.

Führt der gleiche Tanz der Horen
Freudig nun den Lenz zurück,
Wird das Todte neu gebohren

100
Von der Sonne Lebensblick,

Keime, die dem Auge starben
In der Erde kaltem Schoß,
In das heitre Reich der Farben
Ringen sie sich freudig los.

105
Wenn der Stamm zum Himmel eilet,

Sucht die Wurzel scheu die Nacht,

[40]

Gleich in ihre Pflege theilet
Sich des Styx, des Aethers Macht.

Halb berühren sie der Todten

110
Halb der Lebenden Gebiet,

Ach sie sind mir theure Boten
Süße Stimmen vom Cozyt,
Hält er gleich sie selbst verschlossen
In dem Schauervollen Schlund,

115
Aus des Frühlings jungen Sprossen

Redet mir der holde Mund,
Daß auch fern vom goldnen Tage,
Wo die Schatten traurig ziehn ,
Liebend noch der Busen schlage,

120
Zärtlich noch die Herzen glühn.


O so laßt euch froh begrüssen
Kinder der verjüngten Au,
Euer Kelch soll überfließen
Von des Nektars reinstem Thau.

[41]
125
Tauchen will ich euch in Strahlen,

Mit der Iris schönstem Licht,
Will ich eure Blätter mahlen,
Gleich Aurorens Angesicht.
In des Lenzes heiterm Glanze

130
Lese jede zarte Brust,

In des Herbstes welkem Kranze
Meinen Schmerz und meine Lust.

Schiller.