Kettenschifffahrt auf der sächsischen Elbe

Textdaten
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Titel: Kettenschifffahrt auf der sächsischen Elbe
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aus: Austria, Archiv für Consularwesen, volkswirthschaftliche Gesetzgebung und Statistik, Jahrgang XXII, Nr. 34, Wien 1870, Seite 638–639
Herausgeber: Ministerium für auswertige Angelgenheiten
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Kaiserl.-Königl. Hof- und Staatsdruckerei
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Erscheinungsort: Wien
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siehe auch: Tauerei
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[638] Wittenberge, Mitte Juni 1870. (Kettenschifffahrt auf der sächsischen Elbe.) Seitdem die Eisenbahnen angefangen haben, auch in Bezug auf den Transport der Massengüter der Schifffahrt eine höchst empfindliche Concurrenz zu bereiten, hat die Dampfkraft zwar auch auf dem Elbestrome zur Beförderung von Gütern insoferne Anwendung gefunden, als man Dampfschiffe einführte, welche theils zum Schleppen der Lastkähne, theils zur Aufnahme der Güter selbst bestimmt waren. Gegenwärtig mögen an 36 solcher Raddampfer auf der Elbe in Thätigkeit sein. Der Erfolg dieser Remorqueure[WS 1] hat sich zwar durch eine ziemlich bedeutende Herabminderung der Frachtsätze geltend gemacht, dennoch ist der Nutzen, welchen die Schifffahrt und der Handelsstand davon gezogen haben, kein sehr grosser. Die Concurrenz der Eisenbahnen ist mittelst dreifach und mehr geringerer Frachtsätze nicht gebrochen, die Beförderung ist nur theilweise eine gleich schnelle und bleibt vor Allem in peinlicher Abhängigkeit von dem Wasserstande, so dass der Befrachter nie mit Gewissheit auf prompte Besorgung seines Gutes rechnen kann. Die Klagen des Handelsstandes über langsame und unsichere Beförderung und die des Schifferstandes über die geringeren und unzuverlässigen Dienste der Remorqueure dauern fort. Zur Beseitigung der mit dem jetzigen Betriebe verbundenen Uebelstände scheint die sog. Kettenschlepp- oder Drahtseil-Schleppschifffahrt besonders geeignet. Dieses System, das vorzugsweise in Frankreich seine Ausbildung gefunden und seitdem zu vielfachen Nachahmungen Veranlassung gegeben hat, ist seit dritthalb Jahren bereits bei Magdeburg zur versuchsweisen Anwendung gelangt und hat die besten und aufmunterndsten Resultate gegeben. Das Verdienst der ersten practischen Einführung des Kettenschiffes auf einem deutschen Flusse gebührt dem Director der Hamburg-Magdeburger Dampfschifffahrts-Gesellschaft, Hrn. Graff. Für die Brahe von Bromberg bis zur Weichsel sind Lieferungscontracte für diese Einrichtung schon abgeschlossen[WS 2], und für den Rhein wird die Concession, wenn nicht schon ertheilt, täglich erwartet[WS 3]. Für den lebhaften Schifffahrtsverkehr auf der sächsischen Elbe, der in 1869 bei Schandau 13 1/10 Mill. Ctr. Güter die sächsisch-böhmische[WS 4] Grenze passiren liess, und in Dresden allein einen Umschlag von ca. 6 Mill. Ctr. erreichte, konnten die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen kaum unversucht bleiben und bildete sich im Mai vorigen Jahres eine Actiengesellschaft, um deren Gründung die Herren Director Bellingrath, Moriz Sasse und Ingenieur Müller (sämmtlich in Dresden) sich besondere Verdienste erworben haben. Die „Kettenschlepp-Schifffahrt der Oberelbe“ beabsichtiget die Strecke von der sächsisch-böhmischen Grenze (Schandau-Schmilka) bis Magdeburg, [639] also in einer Länge von 45 Meilen, mit der Kette zu befahren, und ist dazu ein Capital von 800.000 Thlr. vorgesehen, wovon im vorigen Herbste, jedoch nur für die Belegung der sächsischen Elbestrecke, Actien für einen Betrag von 350.000 Thlr. aufgelegt wurden. Die günstige Meinung, welche in Handelskreisen, sowie seitens der Capitalisten für das Unternehmen vorhanden war, zeigte sich ganz deutlich in einer sofortigen und ziemlich namhaften Ueberzeichnung, und in Folge dessen gelang es der Gesellschaft, bereits im Herbst 1869 auf der Strecke zwischen Dresden und Meissen ihren Betrieb zu eröffnen, worauf 3 Monate später die Kettenschifffahrt von Meissen bis zur preussischen Grenze und vom Juni d. J. ab von Dresden bis zur böhmischen Grenze eröffnet ward, so dass von jetz ab die ganze 15,62 Meilen lange sächsische Elbe mittelst Kettenschiff befahren wird. Noch vor Ende dieses Jahres sollen die noch unbegebenen Actien im Belaufe von 450.000 Thlr. aufgelegt und mit der Kettenlegung von der sächsisch-preussischen Grenze bis Magdeburg (27,72 Meilen) begonnen werden. Da bei Magdeburg bereits über 7 Meilen der Elbe mit der Kette befahren werden und die Weiterführung bis Hamburg als gesichert betrachtet werden darf, so wird bis zum Frühjahre 1871 darauf zu rechnen sein, dass die Kettenschifffahrt auf der ganzen Elbestrecke von der böhmischen Grenze bis Hamburg zur Durchführung gelangt ist. Was die Vortheile der Kettenschifffahrt betrifft, so ist es längst kein Geheimniss mehr, dass die Leistungen der Remorqueure denen der Segelschifffahrt überlegen sind, und dass letztere unterliegen müsste, wenn die Betriebsmittel der bisherigen Dampfschifffahrt angemessen vermehrt würden. Für die Würdigung der Kettenschifffahrt wird es darum genügen, nur die Räderdampfschifffahrt mit derselben in Vergleich zu stellen. Der hauptsächlichste Nachtheil der Raddampfer besteht darin, dass von denselben eine grössere Kraft aufgewandt werden muss, als zur Ueberwindung des Widerstandes nöthig ist. Die Schaufeln der Raddampfer suchen ihren Stützpunkt in dem Wasser, welches indessen vermöge der Beweglichkeit seiner Theile dem auf dasselbe ausgeübten Drucke ausweicht und den gesuchten Widerstand nur dadurch leistet, dass die Masse des Wassers der Verdrängung durch die Schaufeln widerstrebt. Für die Kette dagegen ist der Angriffspunkt weit günstiger, die effective Kraftleistung weit wirksamer, in Folge dessen können die Toueurs[WS 5] leichter gebaut und selbst bei sehr niedrigem Wasserstande noch verwendet werden. Selbstverständlich steht dem geringeren Kraftaufwande eine ansehnliche Ersparniss an Brennmaterial zur Seite. Im nächsten Zusammenhange mit diesen Betriebsverbesserungen steht dann weiter eine raschere Beförderung, die Einhaltung einer sicheren Lieferfrist und, sobald der billigere Transport den Schiffer überzeugt haben wird, dass sein eigener Vortheil ihm empfiehlt, sich und sein Schiff schleppen zu lassen, der Wegfall der Leinpfade, deren Erhaltung dem Staate bisher meist unverhältnissmässig hohe Kosten verursacht hat. Für den Schiffer ergeben sich, wie namentlich in Sachsen der Schifferstand rasch zu begreifen scheint, folgende bedeutende Vortheile: 1. Die Bedienung eines Kahnes wird nur 2 Mann erfordern. 2. Masten und Takelage, welche ihm jährlich an 80—100 Thaler Unterhaltungskosten auflegen, werden überflüssig. 3. Die Kähne können um das Gewicht dieser Gegenstände mehr beladen werden. 4. Das zeitraubende Niederlegen der Masten fällt fort. 5. Der Schiffer ist ungünstigen Witterungsverhältnissen und dem Aufenthalte durch Hochwasser weniger ausgesetzt. 6. Jedes Fahrzeug kann eine grössere Anzahl Fahrten machen. 7. Der Schiffer braucht darum weniger Fahrzeuge, um jährlich ein bestimmtes Güterquantum zu befördern. 8. Bei Beginn der Fahrt kann genau berechnet werden, wann der Kahn zu einer neuen Verladung bereit ist und welchen Gewinn eine bevorstehende Fahrt erzielen wird. Ueber die Resultate der sächsischen Kettenschifffahrt liegen, nachdem ein Theil der Strecke erst vor wenigen Monaten, die ganze Tour erst vor wenig Tagen dem Betriebe übergeben worden ist, ausreichende statistische Daten noch nicht vor. Dass das junge Unternehmen jedoch trotz mancherlei Lehrgeld, das von jeder neuen Gesellschaft zu zahlen ist, prosperirt[WS 6] und noch; mehr prosperiren wird, ist ganz unzweifelhaft und documentirt sich wohl auch in dem steigenden Course der Actien eine ähnliche Ansicht der öffentlichen Meinung. Der Tarif der Gesellschaft beruht auf folgenden allgemeinen Grundzügen: Ein leerer Kahn zahlt pr. Meile bergabwärts bei einer Ladungsfähigkeit bis zu: 1. Classe 600 Ctr. 1 Thlr., 2. Classe 1000 Ctr. 1,4 Thlr., 3. Cl. bis 1500 Ctr. 1,8 Thlr., 4. Cl. 2000 Ctr. 1,12 Thlr., 5. Cl. 2500 Ctr. 1,16 Thlr., 6. Cl. 3000 Ctr. 1,20 Thlr., 7. Cl. 3500 Ctr. 1,24 Thlr., 8. Cl. 4000 Ctr. 1,28 Thlr., 9. Cl. 5000 Ctr. 2,2 Thlr., 10. Cl. 6000 Ctr. 2,6 Thlr., 11. Cl. 7000 Ctr. 2,10 Thlr., 12. Cl. 8000 Ctr. 2,14 Thlr. Für die Ladung sind tarifmässig für je 100 Ctr. pr. Meile 2 3/4 Ellen[WS 7] zu zahlen, und wird hiebei das Gewicht der Ladung so abgerundet, dass eine Menge unter 50 Ctr. nicht, 50 Ctr. und darüber als 100 Ctr. berechnet werden. Beträgt die Fahrt weniger als 4 Meilen, so wird zu den Normalsätzen ein Zuschlag bezahlt, und zwar bis zu 3 Meilen 25 pCt., für 4 Meilen 15 pCt. Diese Tarifsätze gelten für alle Wasserstände bis zu 1 Elle über Null am Dresdner Pegel. Bei einem höheren Wasserstande erfolgt ein Zuschlag zu dem Gesammtsatze, und zwar: bei 1–2 Ellen über Null 10 pCt, bei 2–3 Ellen über Null 20 pCt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Remorqueur ist der französische Ausdruck für Radschleppdampfer, der auch in der deutschen Literatur übernommen wurde.
  2. Auf der Brahe wurde die Kettenschifffahrt allerdings nur zum Transport von Floßholz und nicht zum Ziehen von Schiffen eingesetzt.
  3. Die Konzession für den Rhein wurde zwar erteilt, jedoch wurde auf dem Rhein nicht die Kettenschifffahrt, sondern die Seilschifffahrt eingerichtet.
  4. Vorlage: sächsich-böhmische
  5. Toueur ist der französische Ausdruck für Kettenschleppdampfer, der auch in der deutschen Literatur übernommen wurde.
  6. Prosperieren bedeutet so viel wie gedeihen, es zu Wohlstand bringen.
  7. Vorlage: Ellen! Hier müsste eine Währungsangabe stehen.


In der obenstehenden Beschreibung werden auch veraltete Einheiten und Zeichen verwendet, genannt seien hier:

  • pCt. für Prozent
  • Thlr. für Thaler, eine alte Währungseinheit
  • Ctr. für den Zentner, eine alte Gewichtseinheit, 1 Zentner = 50 kg
  • das Längenmaß Elle, 1 Elle = 0,566 38 m
  • das Längenmaß Meile, 1 preuss. Meile = 7,532484 km