Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Peter Panter
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Titel: Katzenmutter in Paris
Untertitel:
aus: Vossische Zeitung. 1926; Beilage: Das Unterhaltungsblatt, Nr. 285 S. 2
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 5. Dezember 1926
Verlag: Ullstein
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Katzenmutter in Paris
Von
Peter Panter

Es war … Wo es nicht war, weiß ich ziemlich genau. Es war nicht im Viertel des Palais Bourbon, wo die französischen Abgeordneten an versetzten Reden elend zugrunde gehen, wo Poincaré zur Zeit das Budget nach der Melodie berät: „Wir beraten nunmehr das Budget – wenn jemand was zu sagen hat, gehe ich!“, keiner sagt was, und es steigt das nächste Kapitel – da war es nicht. Es war auch nicht am Fort Monjol, wo sie neulich die Mieter der elenden Baracken hinausgeworfen haben, denn ihre Wohnungen wären sonst über ihnen zusammengestürzt. Das ist oben bei La Villette: aus elenden Stumpfen von Häusern stehen abends, beim Schein einer Petroleumlampe, schlampige Weiber vor den Türen, wie im Schaufenster, und stieren stumpf auf die Straße, hinter ihnen ein schmieriges Zimmer mit einem Bett … da war es auch nicht. Es war …

Wenn ich mich recht erinnere, war es irgendwo auf Montmartre, der ja am Tage eine Kleine-Leute-Gegend ist, mit grünem Gewimmel von Marktbuden und schwatzenden Hausfrauen, die so gar nichts von dem wissen, was man da nachts den weinseligen Amerikanerinnen und andern Nationen, die es glauben wollen, vorspielt. Paris hat damit nichts zu tun. Da war es.

Ich hatte vor, eine Katze zu kaufen, womöglich eine, die noch vom seligen Angora persönlich abstammen sollte – und da hatte man mir die Adresse gegeben. Diese Frau, hieß es, leitet so eine Art Tierschutzverein, und die hat Katzen. Und weil in Frankreich alles, aber auch alles: Heirat, Möbeleinkauf und Präsidentenwahl – auf streng persönlichem Wege vor sich geht, so hörte ich auf die Stimme der Vernunft und nicht auf Ladenschilder und kletterte das Quergebäude hoch. Schon, als ich nach meiner Adresse fragte, gaben mir die Leute so sonderbaren Bescheid. Guten Tag.

Da stand eine Dame mit einem Bombenbusen, zwei Kanonenkugeln groß, und fragte nach meinem Begehr. Bitte, ob ich nicht eintreten wollte? Das hat die Welt noch nicht gesehen, was ich da sah.

In einem hohen Atelierraum lagen, liefen, schliefen, räkelten und wälzten sich Katzen aller Größen, Arten und Rassen. Sie rochen alle zusammen mehr, als gut war. Auch ein kleines Hündchen war da, das kroch unentwegt und beharrlich einer Katze nach. Die Kanonendame erklärte: „Ja, also das ist mein kleiner Joujou – die Katze hat ihm neulich ein Auge ausgekratzt, weil er ihr an ihre Wunde gekommen ist – sehen Sie?“ Ich sah, es war nicht sehr heiter. „Aber er läuft ihr trotzdem nach?“ – „Ja, das tut er so. Und diese da habe ich halb verhungert aufgelesen, und die da auch – diese ist schon zwölf Jahre bei mir und diese dreizehn.“ Die mit den dreizehn Dienstjahren saß alt und still in einer Ecke und tat, offenbar vor Alter, etwas, das ich noch nie an einer Katze gesehen habe: sie ließ die Zunge heraushängen wie ein Hund im Hochsommer. Sie döste so vor sich hin.

Und Sie behalten alle diese Tiere?“ – „Oh, wo denken Sie hin!“ sagte die Katzenmama. „Die meisten töte ich. Sie bekommen eine kleine Spritze – es ist ganz schmerzlos … ja.“ – Nun wurde eine Frau gerufen, die sollte die Katze vorführen, die mir vielleicht gefallen könnte. Die Frau zögerte. „Sie schläft!“ sagte sie ehrfürchtig. „Holen Sie sie trotzdem,“ entschied die dicke Dame. Inzwischen hatte sich ein Nachtfalter in den Fenstervorhängen verfangen, und eine Katze sprang nach ihm, auf und ab, auf und ab. Der Falter wurde sorgfältig gefangen, das Fenster geöffnet, das Tier an die frische Luft gesetzt … die Katze trottete enttäuscht zurück.

Es herrschte eine ganz leise, kaum wahrnehmbare Atmosphäre von Verrücktheit im Raum. Es lag nicht daran, daß die Dame alle diese kleinen, verhungerten und verkommenen Tiere aufbewahrte und pflegte, hätschelte und hier und da mit Zyankali behandelte – es lag einfach in der Luft. Hier war etwas nicht in Ordnung – draußen war die Straße, Leute, die ihren Geschäften nachgingen, und eine Religion, die dem Tier keine Seele zusprach … weit davon abgerückt, ver–rückt saß die Katzenmutter da und betreute ihre Tiere mit einer Liebe, deren Farbe ganz leicht nach Anilin roch. Bete für sie, heiliger Freud.

Dann wurde meine Katze gereicht, ich mochte meine Katze nicht, es war ein kleiner ruppiger Tintenwischer ohne Rasse und Grazie. Die Katzen mauten und dufteten leise vor sich hin, ich hatte das nicht sehr gern. Sie sprach mit den Tieren, jedesmal, wenn sie gesprochen hatte, machte sie eine kleine Pause, und dann antworteten die wohl irgend etwas, das nur sie verstand. Dann gab sie mir die Hand und rollte zur Tür. Grüß Gott, alle zusammen.

Es ist gar kein Zweifel, daß sich die Katzenmutter eines Nachts leise vom Ehebett erheben wird – denn sie ist verheiratet! – ihre Augen werden im Dunkel leuchten, und ganz leicht, wie eine Feder so leicht, wird sie auf Stühle und Tische klettern und einem Falter am Fenster nachjagen, der sich in der Gardine verfangen hat. Aber wer wird sich denn vor Zauberei und Hexen fürchten! Dergleichen gibt es, miau, höchstens in der Politik.