Kalewala, das National-Epos der Finnen/Vierzehnte Rune
Lemminkäinen voller Frohsinn
Dachte nach und überlegte,
Welchen Weg er einzuschlagen,
Welche Bahn zu gehen hätte:
Sollt’ er Hiisi’s Elenn lassen,
Selber heim nach Hause kehren,
Oder noch einmal versuchen,
Nochmals nach dem Elenn jagen
Zu der Waldfrau rechter Wonne,
Redet selber diese Worte,
Ließ auf solche Art sich hören:
„Ukko, du, o Gott dort oben,
Lieber Vater in dem Himmel,
Mache mir zurecht die Schneeschuh
Und verleihe ihnen Schnelle,
Daß ich damit gleiten könne
Über Sümpfe, über Länder,
Grade nach dem Lande Hiisi’s
Zu des Hiisi-Elenns Pfaden,
Zu des wilden Rennthiers Tritten.“
„Von den Männern geh’ zum Walde,
Von den Helden ich zur Arbeit
Auf dem Wege Tapiola’s
Längs des Hauses von Tapio;
Grüß’ euch Berge, grüß’ euch Höhen,
Grüß’ euch, schöne Fichtenwälder,
Grüß’ euch, weiße Espenhaine,
„Wald sei günstig, gütig, Öde,
Gnädig, Tapio, beständig;
Laß den Mann nun zu den Hügeln,
Zu der Sumpfes Höhen schreiten,
Wo die Beute zu erhaschen,
Wo man zu dem Lohn gelanget!
„Nyyrikki, o Sohn Tapio’s,
Reiner Mann mit rother Mütze!
Mache Kerben längs des Weges,
Daß ich Dummer richtig gehe,
Wildfremd hier die Wege finde,
Während ich die Beute suche,
Um die Gabe mich bemühe.“
„Mielikki, des Waldes Wirthin,
Hehre Mutter, schöngestaltet!
Laß dein Gold nun vorwärts wandern,
Laß das Silber sich bewegen
Vor dem Manne, der da suchet,
„Hol’ hervor die goldnen Schlüssel
Von den Ringe an dem Schenkel,
Öffne Tapio’s Vorrathskammer,
Und beweg’ die Burg der Waldes,
Während ich auf Beute laure,
Ich den Jagdgewinn hier suche!“
„Willst du’s selber nicht verrichten,
O, so schicke deine Mägde,
Sende deine Dienerinnen
Wirst mir nimmer Wirthin scheinen,
Hast du in dem Dienst nicht Mägde,
Hast du nicht ein Hundert Mägde,
Tausend, die dein Wort erfüllen,
Um die Heerde ganz zu hüten
Um das Wild mit Sorg’ zu pflegen.“
„Schlankgewachsne Waldesjungfrau,
Honigmund’ge Tapiotochter!
Blase auf der Honigflöte,
Vor der gnäg’gen Wirthin Ohren,
Vor der holden Waldeswirthin,
Daß sie bald die Töne höre,
Von dem Schlafe sich erhebe;
Da sie ganz und gar nicht höret,
Von dem Schlafe nicht erwachet,
Bitte ich gar unabläßlich
Und beweg’ die goldne Zunge!“
Lemminkäinen voller Frohsinn
Eilt durch Sümpfe, eilt durch Felder,
Eilt durch überwilde Wälder
Zu dem Kohlenberg des Höchsten,
Hin zu Hiisi’s Gluthgefilden.
Gleitet einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Kommt er zu dem großen Berge,
Steigt er auf den großen Felsen,
Wendet seinen Blick nach Nordwest,
Es erscheinen Tapio’s Höfe,
Golden strahlen alle Thüren
Durch die Sümpfe her von Norden,
Durch das Buschwerk an dem Berge.
Lemminkäinen voller Frohsinn
Eilt sogleich nun von der Stelle,
Nahet nach und nach dem Orte,
Naht den Fenstern von Tapio;
Macht verborgen sich ans Lauern,
Geberinnen saßen drinnen,
Ausgestreckt des Waldes Mütter,
Alle in der Werktagskleidung,
In den starkgeschmutzten Lumpen.
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Weshalb sitzst du, Waldeswirthin,
In der schlichten Werktagskleidung,
Wälzst du dich in Arbeitslumpen,
Bist gar schmutzig anzuschauen,
Bist gar unschön anzublicken
Mit dem überplumpen Leibe?“
„Als ich sonst im Walde weilte,
Waren drei der Burge dorten,
Eine hölzern, eine beinern,
Steinern war der Burge dritte,
Sechs der schönsten, goldnen Fenster
Waren dort an allen Wänden,
Blickte rasch durch sie nach innen
Sah des Tapiohofes Wirthen,
Sah des Tapiohofes Wirthin,
Tellerwo, die Tapiojungfrau,
Mit den andern Tapioleuten
Sämmtlich in dem Golde rauschen,
In dem Silber sich bewegen;
Selbst des Waldes schöne Wirthin,
Sie, die wonnevolle Wirthin,
Hatt’ am Arme goldne Spangen,
Ihren Kopf in goldnem Schmucke,
Hatt’ ihr Haar in goldner Binde,
Goldne Ringe an den Ohren,
Schöne Perlen an dem Halse.“
„Holde Wirthin in dem Walde,
Honigmutter von Metsola,
Fort wirf du die schlechten Strohschuh,
Fort die Schuh von Birkenrinde
Ziehe aus die schlechten Lumpen,
Ziehe an die Wonnekleidung,
Thue an das Hemd des Festes,
Während ich im Walde weile,
Dorten meine Beute suche!
Habe große Langeweile,
Bin gewiß gar sehr verdrießlich,
Ganz umsonst hieselbst zu weilen
Ohne Fang zu allen Zeiten,
Wenn nicht du ihn mir gewährest,
Lang ist freudenleer der Abend,
Lang der Tag stets ohne Beute.“
„Dunkelbärt’ger Greis des Waldes
Mit dem Strauchhut, mit dem Moospelz!
Kleid’ die Wälder nun in Leinwand,
In Gewänder du die Haine,
Gieb den Espen warme Hüllen,
Gieb den Erlen weiche Kleider,
Leih den Tannen schönes Silber,
Tannen mit dem Kupfergürtel,
Fichten mit dem Silbergurte,
Birken mit den goldnen Blumen,
Ihren Stamm mit goldnem Rauschwerk,
Mach es wie in frühern Zeiten,
Als die Tage besser waren,
Als dem Monde gleich die Föhren,
Sonnengleich die Tannen strahlten,
Honigduft den Wald durchströmte,
Würze an den Flurenrändern,
Öl an Sumpfes Rändern strömte!“
„Waldes Tochter, holde Jungfrau,
Tuulikki, Tapio’s Tochter!
Treib das Wild her zu den Rändern,
Zu den weitgedehnten Fluren;
Ist es nicht bereit zum Laufen,
Oder faul dahin zu eilen;
O, so nimm vom Busch die Gerte,
Auf die Hüften sie zu schwingen,
An die Seiten sie zu schlagen,
Treibe eilends sie zur Stelle,
Voller Schnelligkeit die Beute
Vor dem Manne, der da suchet,
Auf des Jägers fleiß’gen Schritten.“
„Kommt das Wildpret auf den Fußsteig,
Laß’ es auf dem Fußsteig laufen,
Halte vor die beiden Hände,
Daß das Wildpret nicht entrinne,
Nach der Seite nicht entweiche,
Sollte es davon sich machen,
Nach der Seite hin entweichen,
Führ’ es an dem Ohr zum Wege,
An dem Horne auf den Fußsteig!“
„Lieget Reisig auf dem Wege,
Stoß ihn fort zum Wege Rande,
Liegen Bäume auf der Erde,
Sollt’ ein Zaun dazwischen kommen,
Stoß ihn um in schiefer Richtung
Zwischen fünf der Bindegerten,
Zwischen sieben Zaunstaketen!“
„Kommt ein Fluß nun auf dem Wege,
Kommt ein Bächlein auf dem Pfade,
Mach aus Seide eine Brücke,
Einen Steg aus rothem Tuche,
Schaffe rasch sie durch die Enge,
Durch den Fluß des weiten Nordlands,
Durch den Schaum des Wasserfalles!“
„Du, der Wirth vom Hof Tapio’s,
Wirthin von dem Hof Tapio’s,
Dunkelbärt’ger Greis des Waldes,
Goldner König in dem Walde,
Mimerkki, des Waldes Wirthin,
Gabenmutter in dem Walde,
Alte in dem blauen Anzug,
Komme nun das Gold zu tauschen,
Komm das Silber umzuwechseln,
Gold hab’ ich von Mondes Alter,
Silber von der Sonne Alter,
Aus dem Kriege ist’s gewonnen,
In der Schlacht mit Müh’ errungen,
Nützet ab im Beutel liegend,
Schwindet hin im Zundersacke,
Wird das Gold nicht ausgetauschet,
War der muntre Lemminkäinen
Nun gar lange hingeglitten,
Sang am Waldesende Lieder,
In dem Innern dreier Haine,
Macht geneigt des Waldes Wirthin,
Selber auch des Waldes Wirthen,
Günstig sich die Jungfraun alle,
Stimmt für sich die Tapiotöchter.
Scheuchen auf und treiben weiter
Jenseits von dem Tapioberge,
An dem Saum von Hiisi’s Schlosse
Zu dem Manne, der da suchet,
Daß die Beute er erreichte.
Ließ der muntre Lemminkäinen
Selber seinen Fangstrick fallen
Auf des Hiisi-Elenn’s Schultern,
Auf den Hals des großen Füllens,
Daß es nicht mit Füßen schlage,
Lemminkäinen voller Frohsinn
Redet selber diese Worte:
„Herr des Waldes, Wirth des Landes,
Schönes Wesen auf den Fluren,
Mielikki, des Waldes Mutter,
Gabenmutter in dem Walde!
Komm herbei das Gold zu nehmen,
Komm das Silber auszuwählen,
Lege auf die Erd’ dein Leintuch,
Unter diesem hellen Golde,
Unter diesem schönen Silber,
Daß es nicht zur Erde falle,
Nicht in Schmutz verstreuet werde!“
Darauf ging er nach dem Nordland,
Sprach als er dorthin gekommen:
„Hab’ das Hiisi-Elenn endlich
Von dem Hiisifeld gefangen,
Gieb, o Alte, deine Tochter,
Louhi, Nordlands alte Wirthin,
Gab zur Antwort solche Worte:
„Dann erst geb’ ich meine Tochter,
Dir zur Gattin dann die Jungfrau,
Wenn du Zügel hast dem Rosse,
Angelegt dem rothen Renner,
Hiisi’s schaumbedecktem Füllen
Auf des Hiisifeldes Gränzen.“
Nahm der muntre Lemminkäinen
Nahm die Halfter, die aus Silber,
Gehet hin das Roß zu suchen,
Aufzuspüren das Bemähnte
Von des Hiisifeldes Gränzen.
Schreitet hastig fort des Weges,
Geht behende von der Stelle
Zu den grünen Ackerfluren,
Zu des heil’gen Feldes Gränzen,
Suchet dorten nach dem Rosse,
Hat im Gurt des Rosses Zügel,
Auf der Schulter seine Riemen.
Suchte einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Stieg er hin zum großen Berge,
Klettert auf des Steines Rücken,
Wirft die Blicke hin nach Osten,
Wendet seinen Kopf zur Sonne,
Sieht das Roß dort auf der Heide,
Feuer sprühet aus den Haaren,
Rauch erhebt sich von den Mähnen.
Also redet Lemminkäinen
„Ukko, du, o Gott dort oben,
Ukko, der die Wolken lenket,
Der die Lämmerwolken leitet!
Öffne du des Himmels Wölbung,
Du die ganze Luft wie Fenster,
Lasse Eisenhagel fallen,
Auf des guten Rosses Mähnen,
Auf des Hiisi-Weißstirns Rücken!“
Ukko, er, der Schöpfer oben,
Er, der auf der Wolke wohnet,
Riß die Luft nun von einander,
Brach entzwei des Himmels Wölbung,
Regnet Reif und Eisesschollen,
Regnet Schlossen, die von Eisen,
Kleiner als der Kopf des Rosses,
Auf des guten Rosses Mähnen,
Auf des Hiisi-Weißstirns Rücken.
Ging der muntre Lemminkäinen
In die Nähe um zu sehen
Um genau es zu betrachten,
Sprach dann selber diese Worte:
„Gutes Roß des Hiisilandes,
Schäumend Pferd des großen Berges,
Bringe deine goldne Schnauze,
In die schönen goldnen Ringe,
In die silberreichen Zügel!
Werde nimmer schlimm dich halten,
Nicht zu scharf dich vorwärts treiben
Auf des Weges kleiner Strecke,
Auf der Bahn von kurzer Dauer
Zu des Nordlands hohen Stuben,
Zu der bösen Schwiegermutter,
Werd’ dich nicht mit Riemen streichen,
Werde dich mit Seide streichen,
Mit der Decke Kante führen.“
Hiisi’s Roß, das rothbehaarte,
Hiisi’s schaumbedecktges Füllen
Steckte seine goldne Schnauze,
Steckt’ sein Haupt von schönem Silber
In die schönen goldnen Ringe,
In die silberreichen Riemen.
Also zäumte Lemminkäinen
That die Zügel an die Schnauze,
An das Silberhaupt die Halfter,
Setzt sich auf der Rosses Rücken,
Auf das Kreuz von Hiisi’s Weißstirn.
Schlägt das Roß mit seiner Peitsche,
Schwinget rasch die Weidengerte,
Eilet eine Strecke Weges,
Wiegt sich auf des Landes Höhen,
Zu den Bergen hin nach Norden,
Kommt dann zu des Nordlands Stuben,
Tritt dort aus dem Hof ins Zimmer,
Sprach als er dort angekommen,
Als zum Nordland er gelanget:
„Hab’ das große Roß gezäumet,
Hiisi’s Füllen schon geschirret
Von den grünen Ackerfluren,
Von des heil’gen Feldes Gränzen,
Hab’ das Hiisi-Elenn dorten
Gieb, o Alte, deine Tochter,
Gieb die Jungfrau mir zur Gattin!“
Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Redet selber diese Worte:
„Dann erst geb’ ich meine Tochter,
Geb’ ich dir zur Braut die Jungfrau,
Wenn den Schwan im Fluß du schießest,
In dem Strom den starken Vogel,
In des Tuoni schwarzem Flusse,
Darfst es einmal nur versuchen,
Einen Pfeil darfst du nur senden.“
Selbst der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli,
Ging den Schwan nun aufzusuchen,
Ging den Langhals zu entdecken
In dem schwarzen Flusse Tuoni’s,
In dem untern Raum Manala’s.
Machte sich nun rasch von dannen,
Hin zum Fluß des Todtenlandes,
Zu des heil’gen Stromes Wirbeln,
Mit dem Bogen auf der Schulter,
Mit dem Köcher auf dem Rücken.
Naßhut, jener Heerdenhüter,
Nordlands Greis mit blinden Augen,
Stand dort an dem Fluß Tuonela’s,
An des heil’gen Stromes Wirbeln;
Schauet um sich in die Runde,
Dann an einem Tage endlich
Sah den muntern Lemminkäinen
Er herbei und näher schreiten
Zu dem Flusse von Tuonela,
An den Rand des Wasserfalles,
Zu des heil’gen Stromes Wirbeln.
Sendet rohrgleich aus dem Meere,
Aus dem Wogen eine Schlange,
Stößt sie durch das Herz des Mannes,
Durch die linke Achselhöhle
Hin zum rechten Schulterblatte.
Fühlt der muntre Lemminkäinen
Schon gar heftig sich getroffen,
Redet selber solche Worte:
„Schlimm hab’ ich daran gehandelt,
Daß ich nicht verstand zu fragen
Von der Mutter, meiner Alten,
Nicht noch zwei so kleine Worte,
Wie zu sein und wie zu leben
In den Tagen voller Unheil:
Kenne nicht der Schlange Schmerzen,
Nicht des Wasserrohres Qualen.“
„Mutter, die du mich getragen,
Die mit Mühsal mich erzogen!
Mögst du wissen und erfahren,
Wo dein Sohn, der Arme, weilet,
Kämest dann herbeigeeilet,
Um den Armen zu befreien
Von dem Tod an dieser Stelle,
So als Jüngling einzuschlafen,
Lebensfrisch noch fortzugehen.“
Nordlands Greis mit blinden Augen,
Naßhut, dieser Heerdenhüter,
Stürzt den muntern Lemminkäinen,
Senket ihn, den Sohn Kalewa’s,
In den schwarzen Fluß Tuonela’s,
Lemminkäinen voller Frohsinn
Fällt mit Lärmen durch die Strömung,
Rauschen mit dem Wasserfalle
In des Todtenlandes Räume.
Tuoni’s blutbefleckter Knabe
Haut den Mann mit seinem Schwerte,
Schlägt drauf los mit scharfer Klinge,
Hauet einmal, daß es funkelt,
Schlägt den Mann in fünf der Stücke,
Wirft sie in den Fluß Tuonela’s
In die untre Fluth Manala’s:
„Strecke dich nun ewig dorten,
Mit dem Bogen, mit den Pfeilen,
Schieße Schwäne in dem Flusse,
Wasservögel in den Fluthen.“
Also endet Lemminkäinen,
Starb der unverdrossne Freier
In dem schwarzen Strome Tuoni’s,