Kalewala, das National-Epos der Finnen/Siebenundvierzigste Rune

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aus: Kalewala, das National-Epos der Finnen
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[274]
Siebenundvierzigste Rune.


     Wäinämoinen alt und wahrhaft
Spielte lange auf der Harfe,
Spielte lange, sang gar lange,
War auch sonst noch voller Freude.
     Zu des Mondes Stube drangen,
Zu der Sonne Fenster Töne,
Kam der Mond aus seiner Stube,
Schritt zum Stamme einer Birke,
Aus der Burg kommt auch die Sonne,

10
Setzt sich in der Tanne Wipfel,

Um das Harfenspiel zu hören,
Um die Freude anzustaunen.
     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Nordlands Alte, arm an Zähnen,
Nimmt daselbst die Sonn’ gefangen,
Greift den Mond mit ihren Händen,
Nimmt den Mond vom Stamm der Birke,
Aus der Tanne Kron’ die Sonne,
Führet sie sogleich nach Hause,

20
Nach dem nimmerhellen Nordland.

     Birgt den Mond, daß er nicht scheine,
In den Fels mit bunter Rinde,
Bannt die Sonn’, daß sie nicht leuchte,
Zu dem stahlgefüllten Berge,
Redet selber diese Worte:
„Nimmer soll von hier in Freiheit,
Daß er scheint, der Mond gelangen,
Nicht die Sonne, daß sie leuchte,
Wenn ich selbst nicht lösen komme,

30
Ich sie selber nicht befreie,

Neun der Hengste mich begleiten,
Die getragen eine Stute!“
     Als der Mond nun fortgeschaffet,
Als die Sonne war geborgen
In dem Steinberg von Pohjola,
In dem eisenfesten Felsen,
Raubet sie darauf die Flamme,
Aus Wäinölä’s Stub’ das Feuer,
Daß die Stube ohne Feuer,

40
Ohne Licht die Häuser waren.

     Nacht war nun ohn’ Unterbrechung,
Dichte Finsterniß ohn’ Ende,
Dunkle Nacht in Kalewala,
In den Stuben von Wäinölä,
Aber auch im Himmel oben,
In dem Sitz von Ukko selber.
     Schwer war’s ohne Licht zu leben,
Gar beschwerlich ohne Feuer,
Langeweile hatten Menschen,

50
Langeweile Ukko selber.

     Ukko nun, der Gott im Himmel,
Selbst der Lüfte großer Schöpfer,
Fing nun an sich zu verwundern,
Dachte nach und überlegte,
Welches Wunder vor dem Monde,
Auf der Sonne Bahn wohl wäre,
Daß der Mond nicht scheinen wollte,
Nicht das Sonnenlicht erstrahlen.
     Schritt dann auf dem Saum der Wolke,

60
An dem Rande von dem Himmel,

In den blaugefärbten Strümpfen,
In den buntgeschmückten Schuhen,
Um das Mondlicht aufzusuchen,
Um die Sonne anzutreffen,
Konnte doch den Mond nicht finden,
Nicht die Sonne irgend treffen.
     Feuer schlug nun an der Alte,
Ließ die Flammen munter sprühen
Aus des Schwertes Feuerschneide,

70
Aus der flammenreichen Klinge;

Schlug das Feuer in die Nägel,
Ließ es in die Glieder rauschen
In des Himmels oberm Raume,
Auf der Sternenhürde Ebne.
     Hat das Feuer angeschlagen,
Birgt darauf den Feuerfunken
In dem goldgeschmückten Beutel,
In der silberreichen Lade,
Giebt zum Wiegen es der Jungfrau,

80
Giebt’s der Jungfrau in den Lüften,
[275]

Daß ein neuer Mond entstehe,
Eine neue Sonne wachse.
     Wiegte auf der langen Wolke,
Auf dem Saum der Luft die Jungfrau
Fleißig darauf wohl das Feuer,
Schaukelt hin und her die Flamme
In der goldgeschmückten Wiege,
An den silberreichen Riemen.
     Bogen sich die Silberstangen,

90
Lärmend rauscht’ die goldne Wiege,

Wolken und der Himmel krachten,
Schräg neigt sich des Himmels Deckel
Bei dem Wiegen von dem Feuer,
Bei dem Schaukeln von der Flamme.
     Wiegt das Feuer so die Jungfrau,
Schaukelt hin und her die Flamme,
Streicht das Feuer mit den Fingern,
Wartet es mit ihren Händen,
Es entfällt darauf der Dummen,

100
Dieser Jungfrau ohne Vorsicht,

Aus den Händen, die es wenden,
Aus den Fingern, die es streicheln.
     Spaltend berstet da der Himmel,
Öffnet sich der ganze Luftraum;
Nieder fällt der Feuerfunken,
Rauscht herab der rothe Tropfen,
Gleitet durch des Himmels Decke,
Zischet durch der Wolken Hülle,
Eilet durch der Himmel Neunzahl,

110
Durch der Sternenzelte Sechszahl.

     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Bruder, du Schmied Ilmarinen!
Laß uns gehen zuzuschauen,
Laß uns gehen zu erfahren,
Was für Feuer nun gekommen,
Welche Flammen nun geleuchtet
Aus dem obern Raum des Himmels
Auf den untern Raum der Erde;
Sollt’ es sein des Mondes Scheibe

120
Oder auch der Sonne Kugel?“

     Gingen darauf beide Helden,
Schritten vorwärts, überlegten,
Wie sie wohl gelangen könnten,
Wie sie wohl zurecht sich fänden
Zu dem Ort, woselbst das Feuer,
Wo die Flamme hingestürzet.
     Rauscht ein Fluß vor ihnen beiden,
Wie ein stattlich Meer gestaltet;
Fing der alte Wäinämöinen

130
Nun ein Boot an sich zu zimmern,

Bei dem Walde sich zu hämmern;
Mit ihm macht Schmied Ilmarinen
Aus der Fichte sich ein Steuer,
Aus der Tanne Ruderstangen.
Fertig war das Boot gezimmert,
Mit den Haken, mit den Rudern,
Führte nun das Boot ins Wasser,
Ruderte und eilte vorwärts
Ringsum auf dem Newastrome,

140
An des Newaflusses Spitzen.

     Ilmatar, der Lüfte Tochter,
Sie, der Schöpfungstochter erste,
Kommet ihnen dort entgegen,
Redet also, spricht die Worte:
„Wer wohl seid ihr von den Männern,
Wie wohl nennen euch die Leute?“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Beide sind wir Meeresmänner,
Ich der alte Wäinämöinen,

150
Ilmarinen ist der andre;

Aber sag’ uns deine Herkunft,
Wie man dich zu nennen pfleget?“
     Sprach das Weib nun solche Worte:
„Bin die älteste der Frauen,
Bin der Lüftetöchter erste,
Bin die früheste der Mütter,
Fünfmal war ich schon vermählet,
Sechsmal schon als Braut verlobet;
Wohin gehet ihr, o Männer,

160
Ziehet ihr, o braven Helden?“

     Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
„Ausgegangen ist das Feuer,
Uns die Flamme fortgekommen;

[276]

Haben lange ohne Feuer
In der Finsterniß gestecket;
Jetzo haben wir die Absicht,
Daß das Feuer wir erspähen,
Welches von dem Himmel stürzte,

170
Von dem Wolkensaum gefallen.“

     Diese Antwort gab die Jungfrau,
Redet’ selber diese Worte:
„Mühvoll ist es aufzufinden,
Schwer die Flamme zu erspähen,
Hat schon Thaten ausgeführet,
Frevel schon die Flamm’ geübet;
Hastig eilt des Feuers Funken,
Fiel herab der rothe Tropfen
Aus des Schöpfers großen Fluren,

180
Wo es Ukko angeschlagen,

Durch den flachgebahnten Himmel,
Durch der Lüfte schöne Räume,
Durch das rußbedeckte Rauchloch,
Längs den trocknen Dachessparren
In die neue Stube Tuuri’s,
In Palwonen’s unbedeckte.“
     „Als er daselbst angekommen,
In der neuen Stube Tuuri’s,
Macht er sich an schlechte Thaten

190
Und beginnet bösen Frevel,

Wüthet gegen Mädchenbusen,
Zehret an der Jungfrau Brüsten,
Tobet an dem Knie der Knaben,
Senget ab den Bart des Wirthen.“
     „Säugt daselbst ihr Kind die Mutter
In der Wiege voller Elend,
Dahin eilet selbst das Feuer,
Übet bösen Frevel dorten,
Brennt das Kind dort in der Wiege,

200
Sengt die Brüste von der Mutter,

Daß das Kind nun nach Manala,
In Tuoni’s Reich gelangte,
Da zum Sterben es geschaffen,
Zu dem Untergang bestimmet,
In der Qual durch rothes Feuer,
In den Schmerzen durch die Flamme.“
     „Größ’res Wissen hatt’ die Mutter,
Eilte nicht mit nach Manala,
Wußte, wie man Feuer bannen,

210
Wie die Flamme treiben könnte

Durch der Nadel kleines Auge,
Durch die Öffnung an dem Beile,
Durch das heiße Loch der Haue,
An dem Saume von dem Felde.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Fragte darauf recht geschwinde:
„Wohin ging von hier das Feuer,
Wohin eilte rasch der Funke
Von dem Saum des Tuurifeldes,

220
Zu dem Walde oder Meere?“

     Gab das Weib ihm diese Antwort,
Redet selber diese Worte:
„Als von hier das Feuer eilte,
Als die Flamme weiter schlüpfte,
Brannte sie zuerst viel Felder,
Viele Felder, viele Sümpfe,
Stürzte endlich in das Wasser,
In die Fluth des Sees Alue;
Dieser wallet auf vom Feuer,

230
Feurig glänzet sein Gewässer.“

     „Dreimal in der Nacht des Sommers,
Neunmal in der Nacht des Herbstes
Schäumt er zu der Fichten Ebne,
Hebt er sich zum jähen Ufer
Durch die Kraft des wilden Feuers,
Durch Gewalt der heißen Flamme.“
     „Schäumt aufs Trockne seine Fische,
Seine Barsche auf die Klippen,
Dorten schau’n sich um die Fische,

240
Überlegen dort die Barsche,

Wie zu sein und wie zu leben;
Barsche weinen nach dem Wohnsitz,
Fische nach dem lieben Hofe,
Nach der Felsenburg der Kaulbarsch.“
     „Ging der Barsch mit krummem Nacken,
Haschte nach des Feuers Funken,
Nicht konnt’ ihn der Barsch erhaschen,
Ging darauf der blaue Schnäpel,

[277]

Dieser schluckt den Feuerfunken

250
Und verschlingt die böse Flamme.“

     „Voll wird nun der See Alue,
Sinkt herab von allen Rändern
Zu den längstgewohnten Sitzen
Während einer Nacht des Sommers.“
     „Wenig Zeit war hingegangen,
Angst befiel den Feuerschlinger,
Heft’ger Schmerz den Flammenschlucker,
Große Qual den Funkenfresser.“
     „Schwimmt und lärmt nach allen Seiten,

260
Schwimmet einen Tag, den zweiten

An des Schnäpeleilands Seite,
An der Lachsesklippen Höhlen,
Zu der Spitz’ von tausend Zungen,
Zu der Bucht von hundert Inseln;
Jede Spitze muß ihm rathen,
Jedes Eiland also sprechen:
„Nimmer ist im stillen Wasser,
In dem engen See Alue
Wer den Unglücksfisch verschlingen,

270
Wer den Armen tödten könnte

In der Drangsal durch das Feuer,
Bei den Qualen durch die Flammen.“
     „Dieses hört die Lachsforelle,
Schlinget da den blauen Schnäpel;
Wenig Zeit war hingegangen,
Angst befällt den Fischverschlinger,
Heft’ger Schmerz den Schnäpelschlucker,
Große Qual den gier’gen Fresser.“
     „Schwimmt und lärmt nach allen Seiten,

280
Schwimmet einen Tag, den zweiten,

An der Lachsesklippen Höhlung,
An dem Raum der Fischesgrotten,
Zu der Spitz’ von tausend Zungen,
Zu der Bucht von hundert Inseln;
Jede Spitze muß ihm rathen,
Jedes Eiland also sprechen:
„Nicht ist in dem stillen Wasser,
In dem engen See Alue
Wer den Unglücksfisch verschlingen,

290
Wer den Armen tödten könnte

In der Drangsal durch das Feuer,
Bei den Qualen durch die Flamme.“
     „Kam der graue Hecht gegangen,
Schlinget da die Lachsforelle;
War nur wenig Zeit vergangen,
Angst befällt den Lachsesschlucker,
Heftger Schmerz den Fischesschlinger,
Große Qual den gier’gen Fresser.“
     „Schwimmt und lärmt nach allen Seiten,

300
Schwimmet einen Tag, den zweiten,

An der Seekrähklippen Höhlung,
An der Möven Steinesklippen,
Zu der Spitz’ von tausend Zungen,
Zu der Bucht von hundert Inseln,
Jede Spitze muß ihm rathen,
Jedes Eiland also sprechen:
„Nicht ist in dem stillen Wasser,
In dem engen See Alue
Wer den Unglücksfisch verschlingen,

310
Wer den Armen tödten könnte

In der Drangsal durch das Feuer,
Bei den Qualen durch die Flamme.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Sammt dem Schmieder Ilmarinen
Stricket nun ein Netz von Bastschnur,
Macht es lärmend von Wachholder,
Färbte es mit Weidenwasser,
Macht’s zurecht mit Weidenrinde.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft

320
Trieb die Weiber zu dem Netze;

Weiber kamen zu dem Netze,
Um das Netz zu zieh’n die Schwestern,
Rudern vorwärts mit dem Netze
An den Spitzen, an den Inseln,
An der Lachsesklippen Grotten,
Zu der Schnäpelinseln Seite,
Zu dem braungefärbten Röhricht,
Zu dem schlankgewachs’nen Schilfe.
     Eilen vorwärts, wollen fangen,

330
Zieh’n das Netz und senken’s fleißig,

Kehren schräg des Netzes Masse,
Zieh’n das Garn in schiefer Richtung,

[278]

Können so den Fisch nicht fangen,
Auch mit Eifer ihn nicht haschen.
     Gingen zu der Fluth die Brüder,
Männer gingen zu dem Netze,
Stoßen es und drängen’s vorwärts,
Ziehen es und schleppen’s weiter
An den Busen, an den Klippen,

340
An Kalewa’s Steinesfelsen,

Können jenen Fisch nicht fangen,
Den so sehr sie nöthig haben,
Nicht erschien der Hecht, der graue,
Aus des Busens stillem Wasser,
Auch nicht aus dem großen Meere:
Kleine Fische, weite Netze.
     Darauf klagten schon die Fische,
Sprach der Hecht schon zu dem Hechte,
Fragt’ der Schnäpel von dem Kühling,

350
Fragt’ der Lachs so von dem Lachse:

„Sind schon todt die braven Männer,
Kalew’s Söhne schon gestorben,
Die von Lein die Netze stricken,
Sie aus Flachsesfäden fügen,
Sie, die Scheucher mit dem Stabe,
Die den langen Stock bewegen?“
     Hört’s der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
„Nicht gestorben sind die Helden,

360
Nicht ist todt das Volk Kalewa’s;

Einer starb, zwei sind geboren,
Die da bessre Stangen haben,
Die mit längerm Stabe scheuchen,
Mit dem Netze doppelt schrecklich.“