Kalewala, das National-Epos der Finnen/Sechsundzwanzigste Rune
Ahti weilte auf der Insel,
An der Bucht der Kaukospitze,
Ackerte auf seinem Felde
Und durchfurchte seine Fluren,
War gar fein mit seinen Ohren,
Hatte ein Gehör voll Schärfe.
Hörte Lärmen her vom Dorfe,
Hört’ Geräusch vom Seegestade,
Von dem glatten Eise Tritte,
Durch den Sinn fährt ihm der Einfall,
In den Kopf ihm der Gedanke:
Hochzeit hält das Volk Pohjola’s,
Hält gar heimlich ein Gelage.
Mund und Kopf gar schief gezogen,
Schief gesenkt die schwarzen Haare,
Ließ sein Blut gar bös er sinken
Von der armen Wangen Fläche;
Ließ zur Stund’ das Pflügen liegen,
Steiget von der Erd’ zu Pferde,
Gehet grade nun nach Hause
Zu der vielgeliebten Mutter,
In die Nähe dieser Alten.
Sprach, als er dorthin gekommen,
Giebt der Alten solche Weisung:
„Liebe Mutter, theure Alte,
Schaffe Speise gar geschwinde
Für den Mann, der sehr voll Hunger,
Laß zugleich die Badstub’ heizen,
Laß mir schnell ein Bad bereiten,
Wo der Mann den Leib sich wasche
Und mit Heldenzier sich schmücke!“
Schafft die Mutter Lemminkäinen’s
Darauf Speise gar geschwinde
Für den Mann, der voller Hunger,
Das der Gier’ge sie verschlinge,
Während man das Bad bereitet,
Nahm der muntre Lemminkäinen
Drauf in Eile ein die Speise,
Eilends ging er nach dem Bade,
Schritt er zu der Badestube;
Dorten wusch sich nun das Finklein,
Reinigte den Leib die Ammer,
Wusch den Kopf zu Flachses Weiße
Und den Hals zu schönerm Glanze.
Kam zur Stube aus dem Bade,
„Liebe Mutter, theure Alte,
Geh zur Kammer auf dem Berge,
Bringe mir mein Hemd, das schöne,
Bringe mir den Rock, den festen,
Daß ich mich mit ihm bekleide,
Ihn an meine Glieder lege!“
Früher fragte ihn die Mutter,
Forscht’ ihn aus die alte Hausfrau:
„Wohin gehest du, mein Söhnchen,
Gehst ein Elenn einzuholen
Oder du ein Eichhorn schießen?“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Mutter, die du mich getragen,
Gehe keinen Luchs zu jagen,
Geh’ kein Elenn einzuholen,
Auch kein Eichhorn mir zu schießen;
Gehe zu dem Schmaus Pohjola’s,
Bringe mir mein Hemd, das schöne,
Hole mir den Rock, den festen,
Daß zur Hochzeit ich ihn anzieh’,
Beim Gelage ihn gebrauche!“
Ihrem Sohn verbot’s die Mutter,
Ihrem Manne auch die Gattin,
Zwei der allerbesten Menschen,
Auch der Schöpfungstöchter Dreischaar,
Daß nicht Lemminkäinen ginge
Sprach die Mutter zu dem Sohne,
So die Alte zu dem Kinde:
„Gehe nicht, mein liebes Söhnchen,
Du, mein Söhnchen, lieber Kauko,
Zu dem Schmause von Pohjola,
Zum Gelag des großen Haufens,
Nicht gebeten bist du dorthin,
Keineswegs auch hingewünschet!
Sprach der muntre Lemminkäinen
„Eingeladen kommen Schlechte,
Ungebeten eilt der Gute;
Darin liegt beständ’ge Ladung,
Ist fortwährend eine Mahnung:
In dem Schwert mit Feuerschneide,
In der funkenreichen Klinge.“
Sucht die Mutter Lemminkäinen’s
Immer noch ihn abzuhalten:
„Gehe doch nicht, liebes Söhnchen,
Reich an Schrecken ist die Straße,
Große Wunder auf dem Wege,
Dreimal droht der Tod dem Manne,
Dreimal drohet ihm Verderben.“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Immer sehn den Tod die Alten,
Überall sie nur Verderben,
Niemals wird der Mann sich fürchten,
Aber sei dem wie ihm wolle,
Sage mir, damit ich’s höre,
Was ist der Verderben erstes,
Was das erste, was das letzte?“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s,
Gab zur Antwort so die Alte:
„Nach der Wahrheit werd’ ich sagen
Das Verderben, nicht nach Wunsche,
Sage der Verderben erstes,
Bist ein wenig du gewandert,
Einen Tag du schon gereiset,
Kommet dir ein Strom voll Feuer
Auf des Weges Mitt’ entgegen,
In dem Strom ein Feuersprudel,
In der Mitt’ ein Feuerfelsen,
Auf dem Fels ein Feuerhügel,
Auf dem Holm ein Feueradler:
Wetzt die Nächte seine Zähne,
Für die Fremden, die da kommen,
Für die Leute, die ihm nahen.“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Davon mögen Weiber sterben,
Nimmer ist’s ein Tod den Helden;
Weiß dagegen schon ein Mittel,
Einen guten Rath zu finden:
Zaubre mir ein Roß aus Erlen,
Daß er mir zur Seite wandre,
Daß er vor mir kräftig schreite;
Selber tauche ich als Ente
In die Wogen rasch hinunter,
Unter jenes Adlers Klauen,
Unter dieses Vogels Krallen,
Mutter, die du mich getragen,
Sag’ das mittelste Verderben!“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
Bist ein wenig du gewandert
In dem Lauf des zweiten Tages,
Kommet eine Feuergrube,
Lieget mitten dir im Wege,
Strecket weit sich hin nach Osten,
Ohne Ende hin nach Westen,
Vollgefüllt mit heißen Steinen,
Voll mit Blöcken, die da glühen;
Hundert sind dorthin gekommen,
Hunderte mit ihren Schwertern,
Tausend eisenfeste Rosse.“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Davon wird der Mann nicht sterben,
Nimmer auch ein Held verderben;
Kenne schon ein Ding dagegen,
Einen Rath und einen Ausweg;
Zaubre aus dem Schnee den Helden,
Dräng’ ihn in der Feuers Masse,
Treib’ ihn in die Gluth der Flammen
Zu dem gluthenreichen Bade
Mit dem kupferreichen Besen,
Selber schlüpf’ ich von der Seite,
Dränge ich mich durch das Feuer,
Daß der Bart mir nicht versenget,
Nicht verbrannt die Locken werden;
Mutter, die du mich getragen,
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Das ist der Verderben drittes,
Bist du noch ein Stück gegangen,
Einen Tag darauf gewandert
Zu der Pforte von Pohjola,
Zu der allerengsten Stelle,
Kommt ein Wolf herangedämmert,
Kommt ein Bär herangeschimmert
An der Pforte von Pohjola,
Hunderte sind schon gefressen,
Dort zerrissen tausend Helden,
Weßhalb sollt’ man dich nicht fressen,
Fressen dich, den Schutzberaubten?“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Mag das Schaaf man jung verzehren,
Es gar frisch in Stücke reißen,
Nimmer einen Mann, der schlechter,
Bin umgürtet mit dem Gurte,
Mit der Schnalle eines Mannes,
Trag’ die Spangen eines Helden,
Damit ich nicht mög’ enteilen
In das Maul des Wolfs Untamo’s,
In des bösen Unthiers Rachen.“
„Weiß, wie ich dem Wolfe komme,
Hab’ ein Mittel für den Bären:
Zaubre Zügel an das Wolfsmaul,
Oder stoße ihn zu Häcksel,
Siebe ihn in kleine Stücke;
Komme darauf in das Freie,
Bringe meinen Weg zu Ende.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Bist dann nimmer noch zu Ende;
Dieses hast du auf dem Wege,
Auf der Reise große Wunder,
Hast noch drei gewalt’ge Grausen,
Hast noch, bist du hingekommen,
An dem Orte schlimmre Wunder:
Bist ein wenig du gewandert,
Kommst du zu dem Hof Pohjola’s,
Eisern ist der Zaun geschmiedet
Und von Stahl die Umfangsmauer,
Von der Erde bis zum Himmel,
Von dem Himmel bis zur Erde,
Speere sind die Zaunstaketen,
Nur mit Nattern statt der Gerten,
Sind mit Eidechsen bekleidet,
Lassen ihre Schwänze spielen,
Lassen ihre Köpfe zischen,
Heiser in den Lüften rauschen,
Kehren ihren Kopf nach außen.“
„Auf der Erde liegen Schlangen,
Nattern ausgestreckt am Boden,
Zischen oben mit den Zungen,
Eine, die des Grausens voller,
Lieget vor dem Thor gerade,
Länger als des Daches Balken,
Dicker als des Ganges Stützen,
Zischet mit der Zunge oben,
Hebet drohend ihren Rachen,
Hebt ihn gegen keinen andern,
Hebt ihn gegen dich, den Armen.“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
„Davon mögen Kinder sterben,
Nicht ist das ein Tod dem Helden;
Weiß das Feuer zu bezaubern
Und die Flammen zu ermüden,
Weiß die Schlangen wegzubannen,
Und die Nattern fortzutreiben;
Pflügte noch am vor’gen Tage
Einen Acker voll von Schlangen,
Ackerte ein Feld voll Nattern
Hielt die Schlangen mit den Fingern,
In den Händen ich die Nattern,
Tödtet’ Schlangen wohl ein Zehend,
Hunderte von schwarzen Nattern,
Schlangenblut ist an den Nägeln,
Natternfett noch an den Händen;
Werde nicht sobald gerathen,
Keineswegs sobald ich stürzen
In der Schlange Schlund als Bissen,
Selbst zerdrücke ich die Schlechten,
Press’ die Garstigen zusammen,
Bann’ die Schlangen auf die Seite,
Aus dem Wege fort die Nattern,
Schreite aus dem Hof Pohjola’s,
Dringe in der Stube Innres.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Gehe nimmer du, mein Söhnchen,
Nach der Stube von Pohjola,
Schwertumgürtet sind dort Männer,
Helden dort in Kriegesrüstung,
Von dem Hopfentrank berauschet,
Durch das Trinken gar erbittert,
Bannen dich, den armen Schlucker,
An des Schwertes Feuerspitze;
Bess’re sind schon so gebannet,
Stärkre also überwunden.“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
„Habe früher schon gelebet
In den Stuben von Pohjola,
Mich bezaubert nicht ein Lappe,
Stößt nicht fort ein Turjaländer,
Selbst bezaubre ich den Lappen,
Stoße fort den Turjaländer,
Sing’ entzwei ihm seine Schultern,
In das Kinn ihm eine Öffnung,
Sing’ entzwei des Hemdes Kragen,
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„O mein Sohn, der Männer ärmster,
Denkst du noch an früh’re Dinge,
Prahlst du mit dem frühern Gange:
Freilich hast du schon gelebet
In den Stuben von Pohjola,
Hast dort in dem See geschwommen,
Hast versucht die Hundszung-Seeen,
Bist den Strom hinabgefahren,
Hast Tuoni’s Fluß gesehen
Und gemessen Mana’s Fluthen;
Wärest dort noch heut’gen Tages
Ohne deine schlimme Mutter.“
„Merke dir, was ich nun sage:
Kommst du nach Pohjola’s Stuben,
Ist der Holm gefüllt mit Pfählen
Und der Hof mit lauter Stangen,
Diese voll von Menschenköpfen;
Daß auf dieses Pfahles Spitze
Dort dein Haupt gepflanzet werde.“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Narren mögen das beachten,
Taugenichtse das bedenken,
Fünf, ja sechs der Kriegesjahre
Gegen sieben Kampfessommer,
Helden können das nicht achten,
Bringe mir mein Kriegeshemde,
Meine alte Kampfesrüstung,
Selbst hol’ ich das Schwert des Vaters,
Schaue selbst des Alten Klinge,
Hat gar lange kalt gelegen,
Lange an geheimer Stelle,
Hat beständig dort geweinet,
Nach dem Träger dort verlanget!“
Nahm nun so das Kriegeshemde,
Seines Vaters treue Klinge,
Nahm die Streitaxt seines Alten;
Stützt die Spitze auf den Boden,
Stößt die Schneide auf die Diele,
In der Hand biegt sich die Klinge
Wie des Faulbaums frischer Wipfel
Oder wachsender Wachholder;
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Schwerlich ist in Nordlands Stuben,
Wer mit diesem Schwert sich messen,
Diese Klinge schauen möchte.“
Von der Wand nimmt er den Bogen,
Nimmt den festen von dem Pflocke,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Werde einen Mann den nennen,
Den als Helden anerkennen,
Der mir meinen Bogen krümmen,
In den Stuben von Pohjola,
In den Räumen Sariola’s.“
Lemminkäinen voller Frohsinn,
Er, der schöne Kaukomieli,
Ziehet an das Kriegeshemde,
Leget an die Kampfesrüstung,
Redet selbst zu seinem Knechte,
Läßt auf diese Art sich hören:
„O du Knecht, den ich gekaufet,
Rüste eilends mir mein Streitpferd,
Schirre an das edle Kampfroß,
Daß ich zu dem Schmause ziehe,
Zum Gelag des Lempohaufens!“
Gar gehorsam, wohlberathen,
Geht geschwind der Knecht zum Hofe,
Schirret an das muth’ge Streitroß,
Rüstete das feuerrothe,
Redet, als er dann gekommen:
Hab’ dein Roß schön ausgerüstet,
Hab’ das Pferd schon angeschirret.“
Darauf kam dem Lemminkäinen
Schon die Zeit um fortzugehen,
Treibt die Rechte, schweigt die Linke,
Seine Fingersehnen schmerzen;
Ging drauf, wie er es gewollet,
Ging gar kräftig, ohne Bangen.“
Ihrem Sohne rieth die Mutter,
An der Thüre bei dem Sparren,
An dem Ruheplatz des Kessels:
„O mein einz’ges, liebes Söhnchen,
Du, mein Kind mit größer Stärke!
Eilst du zu dem Trinkgelage,
Kommest du wohin du wolltest,
Trink zur Hälfte nur die Kanne,
Nur zur Mitte du die Schaale,
Gieb die andre Hälfte weiter,
Schlangen ruhen in der Schaale,
Würmer auf der Kanne Boden!“
Ferner rathet sie dem Sohne,
Giebt dem Kinde feste Weisung
An dem letzten Feldesende,
Bei der allerletzten Pforte:
„Eilst du zu dem Trinkgelage,
Kommest du wohin du wolltest,
Sitze halb nur auf dem Sitze,
Gieb die andre Hälfte weiter,
Sie, die schlechtre, einem Schlechtern,
So nur kannst ein Mann du werden,
Kannst ein wahrer Held du werden,
Daß du durch die Schaaren schreitest,
Durch die Reden offen gehest
In dem Haufen kräft’ger Helden,
In den Schaaren muth’ger Männer!“
Drauf beeilt sich Lemminkäinen
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Schlug es mit der perlenreichen,
Munter flog das Roß von dannen,
Rauscht das Pferd mit ihm in’s Weite.
War ein wenig nur gefahren,
Nur ein Stündchen weit gereiset,
Sieht da eine Birkhahnheerde,
In die Höhe fliegt die Heerde,
Hastig rauschen fort die Vögel
Liegen bleiben ein’ge Federn
Auf dem Weg von Birkhahnflügeln,
Diese sammelt Lemminkäinen,
Stecket sie in seine Tasche,
Wußte nicht, was kommen könnte,
Was geschehen auf der Strecke;
Alles kann im Haus man brauchen,
Kann in Noth zu Statten kommen.
Fuhr ein wenig nur noch weiter,
Da begann das Roß zu wiehern,
Blieb das Breitgeöhrte stehen.
Selbst der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli,
Hebet sich auf seinem Sitze,
Bückte sich um zuzuschauen;
Sieht, wie’s seine Mutter sagte,
Wie die Alte ihm bekräftigt:
Stehet grad ein Fluß voll Feuer
In dem Fluß ein Sturz voll Feuer,
In dem Sturz ein Fels voll Feuer,
Auf dem Fels ein Feuerhügel,
Auf dem Holm ein Feueradler,
Seine Kehle schäumet Feuer,
In dem Schlunde fließen Flammen,
Feurig flammen seine Federn,
Funkeln von dem Glanz des Feuers.
Lange sah er schon den Kauko,
„Wohin willst du, Kauko, gehen,
Wohin Lemminkäinen reisen?“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Gehe zu dem Schmaus Pohjola’s,
Zum Gelag des stillen Haufens;
Wende dich zur Seit’ ein wenig,
Geh’ ein wenig aus dem Wege,
Laß den Wandersmann nach vorne
Seitwärts laß ihn weiter reisen,
An der Kante vorwärts ziehen!“
Solche Antwort gab der Adler,
Kreischend mit der Feuerkehle:
„Lasse wohl den Wandrer vorwärts
Und zumal den Lemminkäinen,
Lass’ durch meinen Schlund ihn schreiten,
Ihn durch meine Kehle wandern,
Dorthin soll dein Weg dich führen,
Zu dem langen Gastgebote
Zu dem Sitze ohne Ende.“
Wenig achtet’s Lemminkäinen,
War darum nicht sehr in Sorgen,
Greifet rasch in seine Tasche,
Fährt behend in seinen Beutel,
Nimmt die Federn von dem Birkhahn,
Reibt dieselben rasch in Flocken
Zwischen seinen beiden Händen,
Da entstand ein Birkhuhnhaufen,
Eine Schaar von Haselhühnern,
Stößt sie in den Schlund des Adlers,
In den Rachen ihm als Nahrung,
In die Kehle voller Feuer,
In des Flammenvogels Zähne;
Selber kam er so von dannen,
Macht sich frei am ersten Tage.
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Grade eilt sein Roß von dannen,
Rennt mit Lärm sein Füllen weiter.
Fuhr ein wenig auf dem Wege,
Schritt ein kleines Stückchen vorwärts,
Voll Entsetzen ist sein Rößlein,
Fängt da wieder an zu wiehern.
Hebet sich von seinem Sitze,
Macht sich auf um zuzuschauen,
Sieht, wie’s seine Mutter sagte,
Vor ihm steht ein Schlund voll Feuer,
Lieget quer ihm auf dem Wege,
Breitet weit sich aus nach Osten,
Ist nach Westen ohne Ende,
Angefüllt mit heißen Steinen,
Voll von Blöcken, die da glühen.
Wenig achtet’s Lemminkäinen,
Bittend wandt’ er sich an Ukko:
„Ukko, du, o Gott dort oben,
Send’ aus Nordwest eine Wolke,
Eine zweite du aus Westen,
Eine dritte aus dem Osten,
Laß sie steigen aus dem Nordost,
Stoß die Ränder an einander,
Laß den Zwischenraum sich füllen,
Sende klafterhohen Schneefall,
Laß ihn von des Speerschafts Höhe
Auf den heißen Steinen sieden,
Ukko, er, der Gott dort oben,
Er, der Vater in dem Himmel,
Ließ aus Nordwest eine Wolke,
Eine zweite dann aus Westen,
Eine dritte aus dem Osten
Ließ sie steigen aus dem Nordost,
Stößt die Wolken an einander,
Läßt die Zwischenräume schwinden;
Sendet Schnee von Stabes Höhe,
Auf den heißen Steinen sieden,
Auf den feuerreichen Blöcken,
Aus dem Schnee entsteht ein Weiher,
Dort ein See mit starken Wogen.
Darauf zaubert Lemminkäinen
Dorthin eine Eisesbrücke
Über diesen schnee’gen Weiher
Von dem einen Rand zum andern,
Kommet so aus dieser Drangsal,
Schlug das Roß mit seiner Peitsche,
Rauschte mit der perlenreichen,
Hastig blitzt sein Roß von dannen,
Eilet weiter auf dem Wege.
Lief nun eine Meil’, die zweite,
Eilet noch ein kleines Stückchen,
Bleibt dann plötzlich dorten stehen,
Rührt sich nicht von seiner Stelle.
Selbst der muntre Lemminkäinen
Steht ein Wolf dort an der Pforte,
In dem Gang ein Bär gerade,
An der Pforte von Pohjola,
An der langen Gänge Ende.
Darauf greifet Lemminkäinen,
Selbst der schöne Kaukomieli
Gar behende in die Tasche,
Suchet rasch in seinem Beutel,
Holt des Mutterschafes Wolle,
In der Mitte seiner Hände,
Zwischen seinen starken Fingern.
Bläst dann einmal auf die Hände,
Schafe läßt er rasch enteilen,
Eine ganze Lämmerheerde,
Eine Heerde lust’ger Böcklein;
Auf dieselben macht der Wolf sich,
Stürzt der Bär sich ihm zur Seite,
Selbst der muntre Lemminkäinen
Wandert noch ein Stücklein Weges
Kam zum Hofe von Pohjola;
Ganz aus Eisen war der Umkreis,
Und aus Stahl der Zaun bereitet,
Hundert Klafter in der Erde,
Tausend Klafter hin zum Himmel,
Speere waren die Staketen,
Ganz mit Schlangen sie durchflochten
Und mit Nattern festgebunden,
Ließen ihre Schwänze hängen,
Rauschend ihre Köpfe zischen,
Ihre starken Schädel schweben,
Ihre Schwänze blieben drinnen.
Selbst der muntre Lemminkäinen
Fing nun selbst an nachzudenken:
„Ist wie’s meine Mutter sagte,
Wie die Alte wiederholte:
Ist hieselbst ein Zaun gar stattlich
Tief zwar kriechen unten Schlangen,
Tiefer ist der Zaun gezogen,
Hoch zwar fliegen oben Vögel,
Höher ist der Zaun gezogen.“
Dennoch war nicht Lemminkäinen
Da in Noth und in Bedrängniß,
Holt sein Messer aus der Scheide,
Holt hervor das wilde Eisen,
Hauet auf den Zaun mit Hitze,
Macht ein Loch im Eisenzaune,
Stürzt die starke Natterhürde
Zwischen fünf der Zaunstaketen,
Zwischen sieben hohen Stangen;
Selber fährt er darauf weiter
Zu dem Thore von Pohjola.
Auf dem Wege lagen Schlangen
Quergelagert an dem Eingang,
Länger als die Stubenbalken,
Hundert Augen an den Schlangen,
Tausend Zungen an den Nattern,
Augen von des Siebes Größe,
Zungen dick wie Speeresschafte,
Zähne wie der Stiel der Harke,
Rücken breit wie sieben Böte.
Nicht getraut sich Lemminkäinen
Graden Weges loszugehen
Auf die hundertäug’gen Schlangen,
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er’ der schöne Kaukomieli:
„Schwarze Schlange, Erdensclavin,
Natter mit Tuoni’s Farbe,
Die du in den Stoppeln schleichest,
An der Lempoblume Wurzel,
Durch den Rasen dich bewegest,
An der Bäume Wurzel kriechest!
Wer wohl sandt’ dich aus den Stoppeln,
Auf dem Boden hier zu kriechen,
Auf dem Wege hier zu schleichen?
Wer entsandte deinen Rachen,
Wer befahl dir und verlangte,
Daß den Kopf empor du höbest,
Daß du mit dem Schwanz dich regtest,
War’s dein Vater, deine Mutter,
War’s der älteste der Brüder,
War’s die jüngste deiner Schwestern,
„Schließ den Schlund, den Kopf verstecke,
Und verbirg die leichte Zunge,
Wickle dich nun ganz zusammen
Rolle dich zu einer Rolle,
Gieb den Weg mir, gieb den halben,
Laß den Wandrer weiter ziehen,
Oder gehe fort vom Wege,
Gehe, Böse, in’s Gestrüppe,
Weiche fort in Heidekräuter,
Ziehe fort, wie Flachs gewickelt,
Wie ein leichter Scheit der Espe!
Stecke deinen Kopf in Rasen,
Wirf ihn hastig auf die Hügel,
In dem Torf ist deine Wohnung,
Unter Rasen deine Stätte;
Hebest du den Kopf von dorten,
Wird ihn Ukko dir zerschlagen
Mit den stahlbeschlagnen Pfeilen,
Also redet Lemminkäinen,
Nicht beachtet es die Schlange,
Zischet stets mit ihrer Zunge
Lässet sie nach oben rauschen,
Stürzet mit dem bösen Rachen
Auf den Kopf von Lemminkäinen.
Da nun wußte Lemminkäinen
Worte, die von hohem Alter,
Die gehört er von der Alten,
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Wenn du dieses nicht beachtest,
Wenn du gar nicht von hier weichest,
Wirst durch eignen Schmerz du schwellen,
Aufgebläht in eigner Drangsal,
Wirst, o Böse, du zerbersten,
Schlechte, du in drei der Stücke,
Wenn ich deine Mutter suche,
Kenne, Runde, deinen Ursprung,
Weiß, wie, Scheusal, du entstanden,
Syöjätär ist deine Mutter,
Dieses Scheusal deine Alte.“
„Syöjätär, sie spie in’s Wasser,
Ließ den Speichel in die Wogen,
Dieser ward gewiegt vom Winde,
Von dem Wasserzug geschaukelt,
Dort geschaukelt sechs der Jahre,
Auf dem klaren Meeresrücken,
Auf den hochgethürmten Wogen,
Länglich zog ihn dort das Wasser,
Sonnenschein verlieh ihm Weichheit,
An das Land trug ihn die Brandung,
Zu dem Strande ihn die Fluthen.“
„Kamen drei der Schöpfungstöchter
Zu dem Strand des wilden Meeres,
Zu dem Rand des lauten Meeres,
Sprachen Worte solcher Weise:
„Was wohl sollte daraus werden,
Wenn der Schöpfer es beseelte,
Augen ihm verleihen würde.“
„Diese Rede hört der Schöpfer,
Redet selber diese Worte:
„„Schlechtes kommet nur vom Schlechten,
Böses von der Schlechten Auswurf,
Wenn ich ihn beseelen würde,
„Diese Worte hörte Hiisi,
Der zu schlechter That bereite,
Machte selber sich zum Schöpfer,
Giebt dem Speichel eine Seele,
Diesem Geifer einer Garst’gen,
Den Syöjätär ausgeworfen;
Daraus wurde eine Schlange,
Wurde eine schwarze Natter.“
„Woher ward zu Theil ihr Leben?
Woraus ward das Herz geschaffen?
Aus dem Herz der Syöjätär;
Woher kam das Hirn der Schlechten?
Aus dem Schaum des heft’gen Stromes;
Wie Bewußtsein diesem Scheusal?
Aus dem Gischt des Wasserfalles;
Woher kam der Kopf der Schlimmen?
Aus dem Samen einer Bohne.“
„Woher kamen denn die Augen?
Woher denn des Scheusals Ohren?
Aus dem Laub der Lempobirke;
Woraus ward der Mund geschaffen?
Aus der Spange von Syöjätär;
Woraus ward der Schlechten Zunge?
Aus dem Speere Keitolainen’s;
Woraus denn der Argen Zähne?
Aus der Tuonigerste Acheln;
Woraus denn der Garst’gen Zahnfleisch?
„Woraus ist gebaut der Rücken?
Aus des Hiisi Kohlenpfosten;
Woraus ist der Schwanz gebildet?
Aus des bösen Kobolds Flechte;
Woraus sind die Eingeweide?
Aus des Todesgottes Gürtel.“
„Dieses war dein Stamm, o Schlange,
Dieses deine große Zierde;
Schwarze Schlange, Erdensclavin,
Mit der Erd’- und Heidefarbe,
Mit der Farb’ des Luftgewölbes!
Geh dem Wandrer aus dem Wege,
Vor dem Helden, der da reiset,
Lasse du den Lemminkäinen
Zu dem Schmause von Pohjola,
Zu dem wohlbestellten Mahle!“
Jetzo krümmte sich die Schlange,
Macht’ sich fort die hundertäug’ge,
Wandte sich auf andre Wege,
Ließ den Wandrer weiter ziehen,
Lemminkäinen weiter gehen
Zu dem Schmause von Pohjola,
Zum Gelag des dumpfen Haufens.