Kalewala, das National-Epos der Finnen/Sechsunddreißigste Rune
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Er, der Knab’ mit blauen Strümpfen,
Machte Anstalt nun zum Kriege,
Rüstet’ sich zur Fahrt zum Kampfe;
Schleifet eine Weil’ die Klinge,
Schärft die Spitze seines Speeres.
Also spricht zu ihm die Mutter:
„Ziehe nicht, o liebes Söhnchen,
Ziehe nicht zum großen Kriege,
Wer umsonst zum Kriege ziehet,
Voller Lust den Kampf beginnet,
Kommt im Kriege um sein Leben,
Wird im Kampfe bald getödtet,
Findet seinen Tod vom Schwerte,
Durch das Eisen bald sein Ende.“
„Ziehst du aus auf einer Ziege,
Zu dem Kampf auf einem Bocke,
Wird die Ziege bald besieget,
Kommst auf einem Hund nach Hause,
Einem Frosche nach dem Hofe.“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Werde nicht in Sümpfe stürzen,
Auf die Heide niedersinken,
Auf den Heimathsitz der Raben,
Auf das Ackerfeld der Krähen,
Wenn ich auf den Kampfplatz stürze,
Schön doch ist’s im Kampf zu sterben,
Schön gewiß beim Klang der Schwerter,
Herrlich ist des Krieges Krankheit,
Eilend zieht der Knab’ von hinnen,
Ziehet fort, braucht nicht zu kränkeln,
Eilet, ohne abzumagern.“
Sprach die Mutter diese Worte:
„Wirst du in dem Kampfe sterben,
Wer wird dann bei deinem Vater,
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Mag er in dem Gange sterben,
Auf dem Hof sein Leben lassen!“
„Wer wird dann bei deiner Mutter,
Wer zum Schutz der Alten bleiben?“
„Mag sie auf dem Strohbund sterben,
In dem Stalle sie ersticken!“
„Wer bleibt dann bei deinem Bruder,
„Mag im Walde er verschmachten,
Auf dem Feld er niedersinken!“
„Wer bleibt dann bei deiner Schwester,
Wer im Unglück ihr zur Seite?“
„Mag sie auf dem Weg zum Brunnen,
Auf dem Weg zum Waschplatz stürzen!“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Ging nun eilends fort von Hause,
Redet’ also zu dem Vater:
Wirst du nach dem Sohne weinen,
Wenn du hörst, daß ich gestorben,
Aus dem Stamme hingesunken,
Aus dem Hause hingestürzet?“
Sprach der Vater diese Worte:
„Werde nimmer um dich weinen,
Wenn ich hör’, daß du gestorben;
Werd’ mir einen Sohn erzeugen,
Einen Sohn, der vielfach besser,
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Werde auch um dich nicht weinen,
Höre ich, daß du gestorben;
Werd’ mir einen Vater machen,
Mund und Kopf aus Lehm und Steinen,
Augen aus des Sumpfes Beeren,
Seinen Bart aus dürren Stoppeln,
Füße ihm aus Weidenzweigen,
Sprach darauf zu seinem Bruder:
„Lebe wohl, geliebter Bruder!
Wirst du wohl um mich einst weinen,
Hörest du, ich sei gestorben,
Aus dem Stamme hingesunken,
Aus dem Hause fortgestürzet?“
Sprach der Bruder solche Worte:
„Nimmer werd’ ich um dich weinen,
Höre ich, daß du gestorben;
Einen vielfach bessern Bruder,
Einen noch einmal so schönen.“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Werde auch um dich nicht weinen,
Höre ich, daß du gestorben;
Werd’ mir einen Bruder machen,
Mund und Kopf aus Lehm und Steinen,
Augen aus des Sumpfes Beeren,
Füße ihm aus Weidenzweigen,
Fleisch ihm aus verfaulten Bäumen.“
Sprach darauf zu seiner Schwester:
„Lebe wohl, geliebte Schwester!
Wirst du wohl um mich einst weinen,
Hörest du, daß ich gestorben,
Aus dem Stamme hingesunken,
Aus dem Hause fortgestürzet?“
Also redete die Schwester:
Höre ich, daß du gestorben;
Werde einen Bruder suchen,
Einen vielfach bessern Bruder,
Der bei weitem einsichtsvoller.“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Werde auch um dich nicht weinen,
Höre ich, daß du gestorben;
Werd’ mir eine Schwester machen,
Augen aus des Sumpfes Beeren,
Haare ihr aus dürren Stoppeln,
Ohren aus des Teiches Blumen
Und den Leib aus Ahornzweigen.“
Sprach darauf zu seiner Mutter:
„Liebe Mutter, meine Theure,
Schöne, die du mich getragen,
Goldne, die du mich gegängelt!
Wirst du, Mutter, um mich weinen,
Aus dem Stamme hingestürzet,
Aus dem Hause hingesunken?“
Sprach die Mutter diese Worte,
Ließ sich selber also hören:
„Nicht kennst du den Sinn der Alten,
Nicht das Herz der armen Mutter;
Werde bitter um dich weinen,
Höre ich, daß du gestorben,
Aus dem Volke du verschwunden,
Weine, daß die Stube fließet,
Daß der Boden reichlich fluthet,
Werd’ auf jeder Gasse weinen,
Niederkauernd, in dem Stalle,
Weine, daß der Schnee zergehe,
Daß der Boden sich erweiche,
Daß die Erde dann ergrüne,
Durch den Rasen Bäche rieseln.“
„Sollte ich nicht weinen können
Vor den Augen aller Leute,
Wein’ ich in der Badstub’ Stille,
Daß die Sitze, daß die Bretter
Auf den Thränenfluthen schwimmen.“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Er, der Knab’ mit blauen Strümpfen,
Ging nun blasend fort zum Streite,
Zog voll Jubel zu dem Kampfe,
Blasend durch das Feld und Sümpfe,
Rauschet durch die Kräuterfelder,
Raschelt in den dürren Stoppeln.
Folgt’ ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kam die Nachricht:
„Schon gestorben ist dein Vater,
Hingesunken schon der Alte;
Komm’ nach Hause zuzusehen,
Wie den Todten man bestattet!“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
„Ist er todt, so mag er todt sein;
Ist ein Wallach ja zu Hause,
Daß man ihn zu Grabe führe,
Ihn in Kalma’s Schooß versenke!“
Lärmte durch die Sümpfe schreitend,
War voll Toben auf den Feldern;
Folgt’ ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kam die Nachricht:
„Schon gestorben ist dein Bruder,
Komm’ nach Hause zuzusehen,
Wie den Todten man bestattet!“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Gab zur Antwort diese Worte:
„Ist er todt, so mag er todt sein;
Ist ein Hengst ja in dem Hause,
Daß man ihn zu Grabe führe,
Ihn in Kalma’s Schooß versenke!“
Lärmte durch die Sümpfe schreitend,
Folgt’ ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kam die Nachricht:
„Schon gestorben ist die Schwester,
Deiner Eltern Kind gestürzet;
Gehe nun um zuzusehen,
Wie die Todte man bestattet!“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Giebt zur Antwort diese Worte:
„Ist sie todt, so mag sie todt sein;
Daß man sie zu Grabe führe,
Sie in Kalma’s Schooß versenke!“
Jubelnd schritt er durch die Stoppeln,
Lärmte fröhlich durch die Wiesen;
Folgt’ ein Bote seinen Spuren,
Zu den Ohren kam die Nachricht:
„Todt ist deine liebe Mutter,
Todt ist deine gute Alte;
Gehe nun um zuzusehen,
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Wehe mir, dem armen Sohne,
Da die Mutter mir gestorben,
Die das Bett mir eingerichtet,
Die die Decke hat geschmücket,
Die die lange Spuhle führte,
Die die kräft’ge Spindel drehte;
Nicht war ich beim Tod’ zugegen,
Ist vielleicht vor Frost gestorben,
Oder weil das Brot ihr fehlte!“
„Waschet in dem Haus’ die Todte,
Mit dem Wasser feiner Seife,
Bindet sie in seidne Tücher,
Leget sie in Leingewänder,
Führt sie so zu ihrem Grabe,
Senkt sie in den Schooß von Kalma,
Führt sie hin mit Klageliedern,
Kann noch nicht nach Hause gehen,
Ungestraft ist noch Untamo,
Nicht getödtet ist der Böse,
Noch der Garst’ge nicht gestürzet.“
Lärmend zog er nun zum Kampfe,
Jubelnd hin zum Land Untamo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Ukko, du, o Gott dort oben!
Solltest mir ein Schwert jetzt leihen,
Welche einer Schaar gewachsen,
Hunderten selbst trotzen könnte.“
Fand ein Schwert, das ihm nach Sinnen,
Eine Klinge von den besten,
Hauet nieder dort die Schaaren
Und vertilgt das Volk Untamo’s;
Brennt die Stube ganz zu Asche,
Daß sie ganz in Staub zergehet,
Läßt nur nach des Ofens Steine,
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Wendet sich darauf zur Heimath,
Zu des todten Vaters Stube,
Zu den Fluren seines Alten,
Leer muß er die Stube finden,
Öde, als er aufgeschlossen,
Keiner kommt ihn zu umarmen,
Niemand um die Hand zu geben.
Reicht die Hand dem Kohlenhaufen,
Da erkennt er bei dem Kommen,
Daß die Mutter nicht am Leben.
Legt die Hand dann an den Ofen,
Kalt sind selbst des Ofens Steine;
Da erkennt er bei dem Kommen,
Daß der Vater nicht am Leben.
Wirft die Augen auf den Boden,
Ungeordnet ist der Boden,
Da erkennt er bei dem Kommen,
Gehet zu dem Stapelplatze,
Nicht sind Böte auf den Rollen;
Da erkennt er bei dem Kommen,
Daß sein Bruder nicht am Leben.
Fing da bitter an zu weinen,
Weinte einen Tag, den zweiten,
Selber spricht er diese Worte:
„O du Mutter voller Güte,
Was hast du zurückgelassen,
„Doch du hörst mich nicht, o Mutter,
Sprech’ ich gleich mit meinen Augen,
Mit den Augenbrauen jammernd,
Mit dem Scheitel sogar klagend!“
Aus dem Grab erwacht die Mutter,
Aus der Erde giebt sie Antwort:
„Ist der schwarze Hund geblieben,
Daß zum Wald du gehen mögest;
Nimm den Hund an deine Seite,
Jenseits von des Waldes Dickicht,
In die Näh’ der Waldestöchter,
Zu dem Hof der blauen Mädchen,
Zu dem Saume von der Waldburg
Deine Nahrung dir zu suchen,
Eine Gabe zu erbitten!“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Nahm den Hund an seine Seite,
Wanderte den Weg nun vorwärts,
War ein wenig nur gegangen,
Eine kleine Streck’ geschritten.
Kommet da zu jenem Hügel,
Stößt auf jene schlimme Stelle,
Wo das Mädchen er geschändet,
Seiner Mutter Kind geschwächet.
Dorten weint der schöne Rasen,
Klagt voll Mitleid selbst der Laubhain,
Voller Schmerz die jungen Gräser,
Daß das Mädchen dort geschändet,
Dort der Mutter Kind geschwächet,
War kein neues Gras gewachsen,
Auch nicht Blumen auf der Heide,
Nicht auf jenem Platz erwachsen,
Auf der Stelle voller Frevel,
Wo das Mädchen er geschändet,
Er der Mutter Kind geschwächet.
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Wendet es nach allen Seiten,
Frägt und forschet von dem Schwerte,
Forschet nach dem Sinn des Schwertes,
Ob das Schwert wohl Lust empfindet,
Von dem schuld’gen Fleisch zu zehren,
Von dem bösen Blut zu trinken.
Wohl erräth das Schwert die Absicht,
Ahnet wohl den Sinn des Mannes,
Antwortet auf diese Weise:
Ich das schuld’ge Fleisch nicht zehren,
Von dem bösen Blut nicht trinken,
Zehr’ ich doch das Fleisch der Frommen,
Trinke Blut der Schuldentblößten.“
Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Er, der Knab’ mit blauen Strümpfen,
Drückt den Griff fest in den Boden,
Drückt den Knopf tief in die Heide,
Auf die Brust wandt’ er die Spitze,
Eilt dem Tode so entgegen,
Weiß sein Ende so zu finden.
Dieses war der Tod des Jünglings,
War das Ende Kullerwoinen’s,
War der Untergang des Helden,
War der Tod des Unglücksel’gen.
Als der alte Wäinämöinen
Von dem Tode Botschaft hörte,
Daß Kullerwo so gestorben,
„Wolle nicht, o Volk der Zukunft,
Kinder auf verkehrte Weise
Dummen zur Erziehung geben,
Fremden Leuten sie zum Wiegen!
Wird ein Kind nicht recht gewartet
Und gewiegt auf falsche Weise,
Kann es nicht verständig werden,
Mannes Einsicht nicht erlangen,
Wenn es auch an Jahren alt wird,