Kalewala, das National-Epos der Finnen/Sechste Rune

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aus: Kalewala, das National-Epos der Finnen
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Sechste Rune.


     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schickt sich an um aufzubrechen
Nach dem Dorfe voller Kälte,
Nach dem nimmerhellen Nordland.
     Nahm sein Roß, das strohhalmleichte,
Dieß sein erbsenstengelgleiches,
Thut ihm an die goldnen Zügel,
Legt ihm Riemen um voll Schönheit,
Setzt sich selber auf den Rücken

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Und beginnt davonzureiten;

Jaget hastig auf dem Wege
Und durchmißt die Bahn geschwinde
Mit dem Roß, dem strohhalmleichten,
Mit dem erbsenstengelgleichen.
     Jagte durch Wäinölä’s Fluren,
Durch die Flächen Kalewala’s,
Ritt gar rasch mit seinem Rosse,
Immer weiter von der Heimath,
Kam schon an des Meeres Rücken,

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An die weitgedehnte Öde,

Trocken blieb der Huf des Rosses,
Unbefeuchtet seine Füße.
     Doch der junge Joukahainen,
Dieser schwache Lappenjüngling,
Hatte Groll seit langer Zeit her,
War schon lange, lange neidisch
Auf den alten Wäinämöinen,
Auf den ew’gen Zaubersprecher.
     Macht zurecht den Feuerbogen,

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Schmückt die wunderschöne Wölbung,

Bildet sie aus bestem Eisen,
Gießt das Rückenstück aus Kupfer,
Legt es aus mit gutem Golde,
Läßt’s an Silber auch nicht fehlen.
     Woher nimmt er wohl die Sehne,
Woher mag den Strang er schaffen?
Aus des Hiisi-Elenn’s Sehnen,
Aus des Lempo-Flachses Fäden.
     Fertig war des Bogens Krümmung,

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Fertig waren seine Enden,

Schön von Anblick war der Bogen,
Mußte wohl nicht wenig kosten;
Auf dem Rücken stand ein Rößlein,
An den Ecken lief ein Füllen,
Auf der Wölbung schlief ein Bärlein,
Und ein Hase an der Kerbe.
     Schnitzt’ sich dann genug der Pfeile,
Dreifach waren sie befiedert,
Drechselte den Schaft aus Eisen,

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Macht’ die Spitz’ aus harz’gem Holze;

War er mit dem Schnitzen fertig,
So befiedert er die Pfeile
Mit der Schwalbe schmalen Federn,
Mit des Sperlings feinen Flügeln.
     Härtet dann die fert’gen Pfeile
Und verleihet ihnen Schärfe
In dem schwarzen Saft der Schlange,
In dem Blute gift’ger Nattern.
     Fertig hatte er die Pfeile,

60
Wohl bespannet seinen Bogen,

Wartete auf Wäinämöinen,
Daß den Wogenfreund er fasse,
Spähet Morgens, spähet Abends,
Spähet selbst zur Mittagsstunde.
     Wartet lang’ auf Wäinämöinen,
Wartet lange, wird nicht müde,
Sitzet fleißig an dem Fenster,
Wachet an des Zaunes Ecke,
Horchet an des Weges Ende,

70
Spähet an dem Ackersaume,

Auf dem Rücken hängt der Köcher,
In dem Arm der schöne Bogen.
Spähet dann noch weiter draußen,
Drüben an dem andern Hause,
An der Feuerspitze Ende,
An der langen Landzung’ Biegung,
Dicht am Wasserfall voll Feuer,
An des heil’gen Stromes Strudel.
     Einst an einem Tage endlich

80
Warf er um die Morgenstunde
[29]

Gegen Nordwest seine Blicke,
Wandte seinen Kopf zur Sonne,
Sah was Schwarzes auf dem Meere,
Auf den Fluthen etwas Blaues:
„Ist das ein Gewölk im Osten,
Ist es etwa Morgendämmrung?“
     Nicht war es Gewölk im Osten,
Keineswegs die Morgendämmrung,
Wäinämöinen war’s der alte,

90
Dieser ew’ge Zaubersänger,

Zog dort seinen Weg zum Nordland,
Ritt drauf los zum Düsterlande,
Auf dem Roß, dem strohhalmleichten,
Auf dem erbsenstengelgleichen.
Hastig faßte Joukahainen,
Dieser schwache Lappenjüngling,
Seinen Bogen voller Feuer,
Wendete den wunderschönen
Zum Verderben Wäinämöinen’s,

100
Um den Wogenfreund zu tödten.

     Vorher fragte ihn die Mutter,
Forscht ihn aus die greise Alte:
„Gegen wen schufst du den Bogen
Und beschlugst du ihn mit Eisen?“
     Joukahainen gab zur Antwort,
Redet Worte solcher Weise:
„Schuf den Bogen gegen diesen,
Hab’ mit Eisen ihn beschlagen
Zum Verderben Wäinämöinen’s,

110
Um den Wogenfreund zu tödten,

Wäinämöinen will ich treffen,
Ihn, den ew’gen Zaubersänger,
Durch das Herz und durch die Leber,
Durch das Schulterfleisch ihm schießen.“
     Sie verbietet ihm zu schießen,
Nicht erlaubte es die Mutter:
„Schieße nicht auf Wäinämöinen,
Auf den Heldensohn Kalewa’s,
Wäinö ist von großem Stamme,

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Meiner Schwester Sohn, mein Neffe.“

     „Tödtest du den Wäinämöinen,
Ihn, den Helden von Kalewa,
Dann ach! schwindet alle Freude,
Schwindet der Gesang von hinnen,
Besser ist die Freud’ auf Erden,
Schöner der Gesang hier oben,
Als in Unterweltsgefilden,
In des Todtenreiches Stuben.“
     Doch der junge Joukahainen

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Dachte nach ein kleines Bißchen,

Hielt zurück sich nur ein wenig;
Trieb die eine Hand zum Schießen,
Schien die andre es zu hindern,
An die Sehne dringt der Finger.
     Redet endlich noch die Worte,
Läßt sich selber also hören:
„Möge immerhin verschwinden
Alle Freude von der Erde,
Mögen alle Lieder schwinden,

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Schießen werd’ ich, nichts beachtend.“

     Spannte seinen Feuerbogen,
Stützt die kupferreiche Waffe
Auf dem linken seiner Kniee,
Stemmt den rechten seiner Füße,
Nimmt den Pfeil dann aus dem Köcher,
Holt hervor den federreichen,
Wählte wohl den allergradsten,
Mit dem allerbesten Schafte,
Diesen that er auf den Bogen,

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Fügt’ er an die Flachsessehne.

     Richtet dann den Feuerbogen
An der rechten seiner Schultern,
Stellt sich hin um loszuschießen
Auf den alten Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
„Geh nun los, du Birkenspitze,
Strecke dich, du Tannenrücken,
Gleite ab, du Flachsessehne;
Wenn die Hand zu niedrig zielet,

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Mag der Pfeil sich höher richten,

Zielt die Hand zu sehr nach oben,
Mag der Pfeil nach unten gehen!“
     Rasch bewegt er nun den Drücker,
Schoß den ersten Pfeil behende,

[30]

Viel zu hoch enteilet dieser,
Über seinen Kopf zum Himmel,
Daß die Wolken schier zerbersten,
Er die Lämmerwolken sprenget.
     Schoß dann weiter unbekümmert,

170
Schoß den zweiten seiner Pfeile,

Viel zu niedrig eilte dieser,
Tief hinein in unsre Erde,
Wollt’ zur Unterwelt selbst dringen,
Um den Sandberg zu zerspalten.
     Grade schoß er ab den dritten,
Grade ging der Pfeile dritter
In die Milz des blauen Elenns,
Traf des alten Wäinämöinen’s
Roß mit strohhalmleichtem Körper,

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Traf das erbsenstengelgleiche

Durch das Fleisch, am Kummet-Knochen
Durch die linke seiner Schultern.
     Darauf stürzte Wäinämöinen
Rasch ins Naß mit seinen Fingern,
Mit den Händen in die Wogen,
Stürzte mit der Faust zum Schaume
Von des blauen Elenns Rücken,
Von dem Roß, dem überleichten.
     Es entstand ein großer Sturmwind,

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Mächt’ge Wallung in dem Meere,

Trug den alten Wäinämöinen,
Schwemmt ihn weiter fort vom Lande
Auf den weiten Wasserstrecken
Auf den ausgedehnten Fluthen.
     Darauf prahlte Joukahainen
Selber laut auf diese Weise:
„Wirst, o alter Wäinämöinen,
Nimmermehr in deinen Leben
Nimmermehr mit deinen Augen,

200
Nie solang das Mondlicht leuchtet,

Seh’n die Fluren von Wäinölä,
Nie die Flächen Kalewala’s!“
     „Schwimm im Meere sechs der Jahre,
Folg’ den Wogen sieben Sommer,
Rausche jetzo acht der Jahre
In den weiten Wasserstrecken,
In den ausgedehnten Fluthen,
Wie die Fichte sechs der Jahre,
Wie die Tanne sieben Jahre,

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Acht der Jahre wie ein Baumstumpf!“

     Ging dann wieder in die Stube,
Wo die Mutter also fragte:
„Hast den Wäinö du getroffen,
Ihn, den Helden von Kalewa?“
     Gab der junge Joukahainen
Ihr zur Antwort diese Worte:
„Hab den Wäinö schon getroffen,
Ihn, den Helden von Kalewa,
Daß er nun das Meer durchfege,

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Er die Fluthen munter kehre,

In den schlummerreichen Wellen;
In der Fluthen weiten Spiegel
Fiel der Alte mit den Fingern,
Stürzt’ er mit dem Handgelenke,
Krümmte sich auf eine Seite,
Blieb dann auf dem Rücken liegen,
Um so durch die Fluth zu treiben,
Durch die Wellen hinzusteuern.“
     Doch die Mutter sprach die Worte:

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„Schlecht hast du gethan, o Ärmster,

Daß auf Wäinö du geschossen,
Auf den Helden von Kalewa,
Auf den Helden Suwantola’s
Auf die Zierde Kalewala’s.“