Kalewala, das National-Epos der Finnen/Achte Rune
Nordlands wunderschöne Jungfrau,
Eine Zier von Land und Wasser,
Saß grad’ auf der Lüfte Bogen,
Glänzte an des Himmels Wölbung
In dem strahlendsten Gewande,
In dem glänzendweißen Kleide;
Webte ein Gewand von Goldstoff,
Sorgsam schmückt sie es mit Silber
Mit dem goldnen Weberschiffchen,
Lustig fliegt das Weberschiffchen,
Fliegt die Spuhle durch die Hände,
Rasch bewegten sich die Schäfte
Und der Silberkamm nicht minder
Am Geweb’ der schönen Jungfrau,
Die mit Silber sorgsam wirkte.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Jagte lärmend auf dem Wege
Aus dem nimmerhellen Nordland,
War gar wenig noch gefahren,
War sehr weit nicht fortgekommen,
Hört des Weberschiffleins Schnurren
Grade über seinem Haupte.
Hob den Kopf da in die Höhe,
Schaute rasch empor zum Himmel:
Steht ein Bogen schön am Himmel,
Eine Jungfrau auf dem Bogen,
Webet ein Gewand von Goldstoff,
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Hält gleich an mit seinem Rosse,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören:
„Komm, o Jungfrau, in den Schlitten,
Setze dich an meine Seite!“
Antwort gab ihm so die Jungfrau,
Redet’ selber so und fragte:
„Was wohl soll ich in dem Schlitten,
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Gab ihr selber diese Antwort:
„Deshalb sollst du in den Schlitten,
Du, o Jungfrau, dich hier setzen,
Daß du Honigbrod mir backest,
Daß das Bier du mir bereitest,
An dem Tische munter singest,
An dem Fenster dich erfreuest
In den Räumen von Wäinölä,
Doch die Jungfrau redet also,
Gab zur Antwort diese Worte:
„Ging zum bunten Blumenfelde,
Schaukelte am gelben Anger
Gestern in der Abendspäte
Nach dem Sonnenuntergange,
Hörte dort ein Vöglein singen,
Hörte eine Drossel zwitschern,
Singen von dem Sinn des Mädchens,
„Fragte da den guten Vogel,
Sprach zu ihm auf diese Weise:
O du liebe Ackerdrossel,
Singe, daß ich’s recht vernehme,
Wie es besser ist zu leben,
Wie zu leben angenehmer:
Als ein Mädchen bei dem Vater
Oder bei dem Mann als Gattin?“
„Auskunft gab der liebe Vogel,
Hell und warm sind Sommertage,
Wärmer doch noch Mädchenfreiheit,
Kalt wohl ist im Frost das Eisen,
Kälter noch der Frauen Freude,
Gleicht das Mädchen, das zu Hause,
Einer Beer’ auf gutem Boden,
Ach! so ist die Frau beim Manne
Wie ein Hund nur an der Kette,
Selten wird dem Knechte Gnade,
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Albern ist des Vogels Singen,
Dummes Zeug der Drossel Zwitschern;
Kind stets bleibt zu Haus’ das Mädchen,
Wird als Frau erst recht geehret;
Komm, o Jungfrau, in den Schlitten,
Setze dich an meine Seite;
Bin als Mann nicht zu verachten,
Klüglich antwortet das Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
„Möchte dann für einen Helden,
Dann für einen Mann dich halten,
Wenn du mir ein Haar gespalten
Mit dem Messer ohne Schneide,
Wenn ein Ei du eingeschlungen,
Ohne daß die Schling’ zu merken.“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Mit dem Messer ohne Spitze,
Das der Schärfe sehr entbehrte,
Bracht’ das Ei dann in die Schlinge,
Ohne daß die Schling’ zu sehen;
Bat das Mädchen in den Schlitten,
Bat sie auf den Sitz zu kommen.
Klüglich antwortet das Mädchen:
„Nimmer komm’ ich in den Schlitten,
Wenn den Stein du mir nicht schälest,
Ohne daß die Splitter springen,
Daß ein Stäubchen weiter flieget.“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ist dabei nicht sehr verlegen,
Schälet rasch des Steines Rinde,
Haut aus Eis ihr eine Gerte,
Ohne daß die Splitter sprangen,
Daß ein Stäubchen sich verirrte;
Rief die Jungfrau in den Schlitten,
Klüglich antwortet das Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
„Möcht’ zu dem mich nur begeben,
Der ein Boot mir zimmern könnte
Aus den Splittern meiner Spindel,
Aus den Trümmern meiner Spuhle,
In das Wasser dann es führte,
In die Fluth das neue Schifflein,
Ohne mit dem Knie zu stoßen,
Mit dem Arme es zu wenden,
Mit der Schulter es zu ziehen.“
Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte dieser Weise:
„Niemand ist wohl auf der Erde,
Niemand unter’m Himmelsdache,
Der gleich mir ein Fahrzeug bauet,
Niemand der gleich mir es zimmert.“
Nahm darauf der Spindel Splitter,
Eilet fort das Boot zu zimmern,
Hundert Bretter zu verbinden
Zu dem stahlgefüllten Berge,
Zu dem eisenreichen Felsen.
Zimmert eifrig an dem Boote,
Baut das Fahrzeug unverdrossen,
Zimmert einen Tag, den zweiten,
Zimmerte am dritten Tage;
Nicht gerieth die Axt an Steine,
Endlich an dem dritten Tage
Lenkte Hiisi rasch den Beilschaft,
Lempo faßte an der Schneide,
Gab dem Schafte kräft’ge Stöße,
Daß die Axt zum Steine schnellte
Und die Schneide hin zum Felsen,
Ab vom Steine prallt’ das Eisen,
In das Fleisch fuhr da die Schneide,
In das Knie des armen Mannes,
Lempo trieb in’s Fleisch das Eisen,
Hiisi fügt’ es in die Adern,
Heftig fluthete der Blutstrom,
Quillt hervor mit allen Kräften.
Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Dieser ew’ge Zaubersänger,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„O du Beil mit scharfem Schnabel,
Solltest in die Bäume beißen,
Solltest in die Tannen hauen,
An die Fichten dich wohl machen,
Birken anzufeinden streben,
Nicht ins Fleisch auf die Art fahren,
Nicht die Adern so zerschneiden!“
Hob dann an mit Zaubersprüchen,
Selbst beginnt er da zu sprechen
Ursprungsworte für die Übel,
Nicht besinnt er sich auf ein’ge
Große Worte von dem Eisen,
Daß er einen Riegel schaffe
Und ein festes Schloß bereite
Jenen Wunden durch das Eisen,
Die der blaue Mund gerissen.
Schon in Bächen floß der Blutstrahl,
Brauste wie ein Strom voll Lärmen,
Er bedeckt der Beeren Stengel,
Gab gewiß dort keinen Rasen,
Der nicht überschwemmet worden
Von dem übermächt’gen Blutstrom,
Der gar rauschend vor sich jagte
Aus dem Knie des braven Helden,
Aus der Zehe Wäinämöinen’s.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Pflückte Flechten von den Steinen,
Sammelt Moos sich aus dem Sumpfe,
Um das große Loch zu stopfen,
Um die Wunde zu verschließen,
Brachte aber nichts zu Stande,
Kann das Blut durchaus nicht stillen.
Wurde von dem Schmerz gedrücket,
Schon empfand er große Mühsal;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Fing gar heftig an zu weinen,
Schirrte dann sein Roß behende,
Setzt sich selber dann mit Mühe
Und erhebet sich im Schlitten.
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Klatschte mit der prächt’gen Peitsche;
Munter lief das Roß von dannen,
Daß der Weg gar bald entschwindet,
Bis er auf ein Dorf gestoßen,
Wo der Weg sich dreifach theilet.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Hin zum untersten der Höfe,
Fragte an der Schwelle stehend:
„Ist wohl in dem Hause jemand,
Der des Eisens Thaten schauen,
Der des Helden Schmerz erkennen,
Der die Wunde heilen könnte?“
Saß ein Knabe auf dem Boden,
An dem Ofen dort ein Kindlein;
Gab zur Antwort diese Worte:
Der des Eisens Thaten schauen,
Der des Helden Schmerz erkennen,
Der dem Leid ein Ende setzen,
Der die Wunde heilen könnte;
Wohnt vielleicht in anderm Hause,
Fahre du zu anderm Hause.“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Rauschte hurtig fort des Weges,
Auf dem mittelsten der Wege
Zu dem mittelsten der Höfe,
Fragte an der Schwelle stehend,
Forschte also an dem Fenster:
„Ist wohl in dem Hause jemand,
Der des Eisens Thaten schauen,
Der den Blutfluß hemmen könnte,
Der den Adern Strömung stillte?“
Lag ein altes Weib bedecket,
Gab sofort zur Antwort dieses,
Klappert mit der Zähne Dreizahl:
„Niemand ist in diesem Hause,
Der des Eisens Thaten schauet,
Der des Blutes Ursprung wüßte,
Der die Schmerzen stillen könnte,
Wohnt vielleicht in anderm Hause,
Fahre du zu anderm Hause.“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Rauschte rasch dahin des Weges,
War gar wenig noch gefahren
Auf dem obersten der Wege
Zu dem obersten der Höfe,
Fragte an der Schwelle stehend,
An des Schirmdachs starker Stütze:
„Ist wohl in dem Hause jemand,
Der des Eisens Thaten schauen,
Der die Blutfluth hemmen könnte
Auf dem Ofen saß ein Alter,
An der Ofenfirst ein Graubart,
Von dem Ofen kreischt der Alte,
Ruft der Greis mit grauem Barte:
„Ist schon Größeres gedämmet,
Ist schon Stärkeres bezwungen
Durch drei Worte nur des Schöpfers,
Durch Erzählung von dem Ursprung,
Bäch’ und Seeen selbst bezähmet,
Buchten an des Landes Spitzen,
Baien an den schmalsten Zungen.“