Kaiser Friedrich – ein Freund des Turnens

Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Euler
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Kaiser Friedrich – ein Freund des Turnens
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 124–127
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[124]

Kaiser Friedrich – ein Freund des Turnens.

Erinnerungen von Dr. C. Euler.

Die zahlreichen Jubelfeste, in welchen unsere Nation die Tage des großen Kriegs bis zu dem herrlichen Sieg und höchstem Lohn, der Gründung des Deutschen Reiches, im Geiste noch einmal erlebte und nachfühlte, haben in allen Gauen des Vaterlandes auch das Gedächtnis an den Helden neubelebt, der in hervorragendster Weise mit dem Schwert auf dem Schlachtfelde und mit weitem Scharfblicke im Rate der Fürsten die Einheit Deutschlands schaffen half, dessen Name für ewige Zeiten ruhmvoll unter den Begründern des neuen Reiches genannt werden wird. Kaiser Friedrich – er verstand nicht nur den Feind zu besiegen, sondern auch die Herzen zu bezwingen! Wie er das Vertrauen und die Liebe des Volkes zu gewinnen gewußt hatte, das bezeugt ja einer seiner volkstümlichsten Beinamen: „unser Fritz“. So nannte das greise kaiserliche Elternpaar seinen Sohn, und „unsern Fritz“ nannten ihn auch mit stolzer Freude deutsche Bürger in Nord und Süd. Was aber dem damaligen Kronprinzen so große Sympathien sicherte, war, außer dem Ruhme, der seine ritterliche Gestalt umgab, vor allem die lebhafte Teilnahme, die er an allen Regungen des nationalen Lebens bezeigte, sein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse des Bürgerstandes, sein Bestreben, die Entwicklung des deutschen Volkes auf der festen Grundlage besonnener Freiheit zu fördern. Die harmonische Erziehung des heranwachsenden Geschlechtes bildete den Gegenstand seiner steten Fürsorge. Neben der freien Entfaltung des Geistes wollte er auch den Leib gekräftigt wissen. Er befolgte damit einen Grundsatz, der im Hause Hohenzollern seit jeher geübt wurde. Für unsere Zeit, die sich ernstlich bemüht, der drohenden Entnervung weiter Volksschichten durch Pflege zweckmäßiger Leibesübungen bei Jung und Alt zu begegnen, kann darum die leibliche Erziehung, die Kaiser [125] Friedrich zu teil wurde und die er später als Vater seinen Söhnen geben ließ, in mancher Hinsicht als Vorbild dienen.

In diesem Sinne mögen die Erinnerungen an die Beziehungen Kaiser Friedrichs zur Turnkunst und der Turnerschaft aufgenommen werden; als ein eifriger Anhänger desselben hat er sich ja selbst bekannt. Bei Gelegenheit der Turnvorstellung der königl. Turnlehrerbildungsanstalt in Berlin am 19. März 1886 bemerkte der damalige Kronprinz in einer Ansprache an die Zöglinge, von jeher sei er ein großer Freund des Turnens gewesen, schon 1838, „als man das Turnen noch von einer anderen Seite angesehen.“

Welche Verdienste Kaiser Wilhelm I. um die Förderung des Turnwesens sich erworben, ist schon in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“ geschildert worden (vgl. u. a. Jahrg. 1888, S. 319). Kein Wunder also, daß er auch seinem Sohne von dessen frühester Jugend an eine sorgfältige körperliche Ausbildung geben ließ. Als Turnlehrer des Prinzen wurde Philipp Feddern berufen; er war ein einfacher Mann, ursprünglich Tischler, der dann dem Turnen, das er als Knabe auf dem Jahnschen Turnplatz in der Hasenheide liebgewonnen hatte, sich zuwandte. Allgemein beliebt und geachtet wegen seiner Biederkeit und mit Bescheidenheit gepaarten Tüchtigkeit, wegen seines sittlichen Ernstes, den er aber mit heiterem Sinn und froher Sangeslust sehr wohl zu vereinen wußte, ein aufopfernd treuer Freund, wahrhaft verehrt von der Jugend, steht Feddern noch heute, lange nach seinem Tode, in einem liebevollen Andenken bei seinen ehemaligen Schülern, die nunmehr ergraute Männer geworden sind.

Dieser Mann war wie geschaffen für den jungen Prinzen Fritz! Im Winter fanden die mit größter Regelmäßigkeit erteilten Turnstunden in Berlin statt, in einem Saale des von den Eltern bewohnten Palais. Dieser Saal war mit einfachem Turngerät, wie man solches damals auf dem Turnplatze gebrauchte, versehen. Im Sommer war’s freilich viel schöner. Da lebte man in Babelsberg, dem herrlichen Sitz an der Havel. Der Prinz bewohnte mit seinem Erzieher ein besonderes am Wasser gelegenes Häuschen. Unmittelbar daneben war das Badehaus, aus welchem man sofort in die freie Havel schwimmen konnte. Auch ein kleines Segelboot besaß der Prinz. So erlangte er schon in früher Jugend Fertigkeit im Schwimmen, worin er bekanntlich ein Meister war.

In der Nähe des Schlosses war in einem Eichenhain der Turnplatz angelegt. Hier wurde bei günstigem Wetter geturnt, bei ungünstigem ging man in einen Saal und trieb Hantel- und Stabübungen, auch Fechten, obwohl dieses von dem Fechtmeister am Kadettenkorps, Beneke, besonders gelehrt wurde. Zweimal in der Woche fuhr Feddern hinaus nach Babelsberg, sehr selten fiel eine Stunde aus. Am Turnen beteiligten sich noch einige Altersgenossen des Prinzen. Ein regelmäßiger und sehr eifriger Mitturner war der Erzieher, Ernst Curtius, der seitdem so berühmt gewordene Gelehrte, welcher, ein früherer Schüler Fedderns, es an Gewandtheit allen zuvor that, auch noch später als Professor in Göttingen das Turnen fortsetzte.

Prinz Fritz bewies bei dem Turnen dieselbe Treue und Gewissenhaftigkeit wie in allen übrigen Dingen, und so leistete er auch gleichmäßig Gutes.

Oft sahen die Eltern des Prinzen dem Turnen zu; auch der Prinzessin Luise gab Feddern Turnunterricht; sie entwickelte große Gewandtheit und Anmut in ihren Bewegungen.

Ein überaus schönes, ja herzliches Verhältnis bestand zwischen dem Prinzen und seinen Lehrern. Oefter wurden dieselben zu gemeinschaftlichem Essen eingeladen. Feddern, der stets im sogenannten altdeutschen Rock mit einer Reihe Knöpfe und bis oben zugeknöpfter Weste zur Turnstunde kam, fühlte sich anfangs unbehaglich, er versuchte, der Ehre der Teilnahme am Essen auszuweichen. Aber in liebenswürdigster Weise wurde er bedeutet, daß er als einer der Lehrer nicht fehlen dürfe, und so erschien er, ohne Anstoß zu erregen, in der gewohnten Tracht. Nur einmal mußte er sich zum Frack bequemen; das war 1848 in Charlottenburg bei der Konfirmation des Prinzen, zu der und dem darauf folgenden Galadiner König Friedrich Wilhelm IV. auch die Lehrer des Prinzen befohlen hatte. „Ja,“ hieß es, „Feddern, da mußt Du im Frack erscheinen.“ Er war in großer Verlegenheit, denn er besaß gar keinen Frack. „Frackverleihanstalten“ kannte man noch nicht. Es wurde ihm nun bedeutet, er möge nur kommen wie sonst. Das that er. In Charlottenburg aber nahm ihn ein Kammerdiener in Empfang, bekleidete ihn mit dem bereit gehaltenen Frack, band ihm eine weiße Binde um und machte ihn so salonfähig. Nach dem Diner legte er beide Kleidungsstücke wieder ab; das war das einzige Mal in Fedderns Leben, daß er einen Frack getragen.

Wie Prinz Fritz, so erhielten auch Prinz Friedrich Karl und der junge Prinz Albrecht von Feddern Turnunterricht, bis er – in der Nacht des 4. Juni 1849 – plötzlich an der Cholera erkrankte. Es war gerade Turntag. Ueberaus peinlich war es ihm, daß er nicht nach Potsdam fahren konnte. Sein Sohn mußte nach dem Bahnhof gehen, um nach Babelsberg die Nachricht zu besorgen, daß der Vater wegen Krankheit heute nicht kommen könne. Als er zurückkehrte, war dieser bereits verschieden. Elf Tage darauf starb auch die Mutter; für die verwaisten und vermögenslosen Kinder sorgten zunächst gute Freunde. Aber auch die Prinzen vergaßen ihren Lehrer nicht; sie ließen den Sohn Fedderns später auf ihre Kosten studieren.

Nach Fedderns schmerzlich beklagtem Tode übernahm Turnlehrer [126] Ballot den Turnunterricht, aber nur auf wenige Monate, da der Prinz inzwischen mündig wurde.

Ein weiter Schritt vom Jahre 1849 bis zum Jahre 1866! Wer Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre das „Neue Palais“ in Potsdam besuchte, dem fiel in den den kronprinzlichen Herrschaften zu ausschließlicher Benutzung vorbehaltenen Gartenanlagen ein hochragender Mast mit allem Zubehör auf. Derselbe diente nicht etwa als Schmuck, sondern turnerischem Zweck.

Eine Reihe von Jahren ist dahin geschwunden. Der schlanke Jüngling ist zum herrlichen Manne von leuchtender männlicher Schönheit herangereift. Er hat die englische Königstochter aus innigster Neigung heimgeführt. Sie hat ihn mit heranblühenden Kindern beschenkt. Das älteste Kind, ein junger Prinz, Wilhelm wie der königliche Großvater geheißen, dessen Liebling er auch wurde, war am 27. Januar 1866 sieben Jahre alt geworden. Nun sollte er die gymnastischen Uebungen beginnen, wie einst der Vater in demselben Alter. Premierlieutenant von Dresky, ein unübertroffener Meister in allen Leibeskünsten, erhielt den Auftrag, die körperliche Ausbildung des kleinen Prinzen zu leiten. 1868 kam der sechsjährige Prinz Heinrich hinzu.

Besonders für letzteren, den künftigen Seemann, wurde jener oben erwähnte Schiffsmast aufgerichtet. Er war ein Abbild des Fockmastes des königlichen Schiffes „Hela“, genau in derselben Höhe, mit derselben vollen Takelage auf der Werft in Danzig gearbeitet. Der Mutter des Prinzen, der Kronprinzessin Viktoria Wunsch war es gewesen, daß ein solcher Mast beschafft werde.

Derselbe kam an, er erhielt die geeignete Stelle; ringsum wurde genau in der Größe und dem Umfang des Schiffes der Rasen aufgestochen, so daß der Mast dastand, wo er in dem Schiff gestanden hätte. Zur Befestigung der Strickleitern dienten zu beiden Seiten am Rande des angedeuteten Schiffes angebrachte Schiffsborde. So waren dieselben Uebungen ermöglicht, welche von den Kadetten auf dem Schiff selbst auszuführen sind. Zum Schutz gegen etwaigen Sturz war unter dem Mast ein Netz über die Breite des Schiffes ausgespannt, es hatte aber, wie gleich bemerkt werde, kein einziges Mal seine Bestimmung zu erfüllen, trotzdem Schüler und Lehrer oft genug bis zur äußersten Spitze geklettert sind. Dieser Mast nun war für den Prinzen Heinrich bald ein Lieblingstummelplatz. Nichts Schöneres kannte er, als da hinaufzuklettern, sich oben im Mastkorb aufzuhalten. So gewann er in zartester Jugend schon den künftigen Beruf lieb. Anfangs leitete Herr von Dresky selbst die Uebungen, später wurde ein Matrose von der Matrosenstation im Jungfernsee bei Potsdam mit dem besonderen praktischen Schiffsunterricht beauftragt; Herr von Dresky behielt aber das eigentliche Turnen und das Fechten.

In der Nähe des Schiffes richtete der Lehrer auch einen Turnplatz ein und versah ihn mit den nötigen Turngeräten: mit Klettergerüst, Reck, Barren, Schwebebaum, Springvorrichtung.

An den Turnplatz schloß sich eine Hindernisbahn an, mit zwei Springgräben zum Hoch- und Weitsprung, einer Traverse (Erdwall), einer Barriere, einem Balanciergraben, einem Erdwall mit Pallisadierung. Auch ein Scheibenstand wurde hergerichtet. Im Winter stand im sog. Prinzessinnenpalais in Berlin ein Saal mit entsprechenden Einrichtungen zum Turnen bereit. Später diente dazu die ehemalige Aula des von dem Kronprinzen erworbenen Grundstückes des Französischen Gymnasiums.

So wurde von den Prinzen unter der Leitung des Lehrers aufs eifrigste geturnt, mit Stoß- und Hiebwaffen und Bajonettgewehr gefochten und geschwommen. Prinz Wilhelm war schon im zweiten Sommer ein rüstiger Schwimmer, er wurde ein trefflicher Schütze, ein passionierter Hiebfechter. Prinz Heinrich trieb mit besonderer Vorliebe alle die körperlichen Uebungen, die dem künftigen Seemann zu statten kommen. Der Unterricht des Herrn von Dresky erstreckte sich aber noch auf weiteres.

Der mittlere freie Raum, um den die Hindernisbahn herumführte, wurde benutzt, um den Prinzen Unterweisung in der Herstellung fortifikatorischer Arbeiten zu geben. Auf einer Tafel war zuvor der Grundriß aufgezeichnet, die technischen Bezeichnungen wurden angeschrieben und dann die Arbeiten ausgeführt. Eine kleine Lünette wurde von beiden Prinzen selbst aufgeschüttet; sie wurde mit Zugbrücke, Blockhaus und Geschützen versehen. Das zugehörige Material: Schanzkörbe u. s. w., wurde in einer besonderen Hütte aufbewahrt. Diese Lünette wurde in jedem Sommer einmal regelrecht belagert, durch Laufgräben angegriffen und erobert.

Dank einer solchen Erziehung wurden die beiden Prinzen ungemein kräftige, auch körperlich leistungsfähige und ausdauernde Knaben und Jünglinge. So ging’s bis zum Jahre 1874, bis zur Uebersiedlung der beiden Prinzen nach Kassel.

Auch den Prinzessinnen ließ der Vater von Herrn von Dresky Turnunterricht erteilen, der Prinzessin Charlotte vom 8. Jahre bis kurz vor ihrer Verheiratung, den anderen Prinzessinnen bis zu deren Einsegnung.

Es waren Frei-, Stab- und Hantelübungen und mannigfache Uebungen im Schwingen und Springen. Auch mit den Schwimmbewegungen, soweit dies auf dem Lande möglich ist, machte der Lehrer die Prinzessinnen vertraut; im Wasser schwammen sie unter Anleitung ihrer Mutter, welche des Schwimmens kundig war und großen Wert auf dasselbe als eine überaus kräftigende und gesundheitfördernde Uebung legte. Aber auch das Turnen schätzte dieselbe, und zwar in seinem vollen Umfang, auch das Turnen an Turngeräten.

Es ist ein schönes Bild, das sich uns zeigt, dieses frische, fröhliche Jugendleben unter den Augen der kronprinzlichen Eltern, welche kein größeres Glück kannten als den Verkehr mit ihren Kindern.

Wie sehr Kaiser Friedrich das Turnen schätzte, habe ich eine lange Reihe von Jahren hindurch zu beobachten Gelegenheit gehabt. Nicht allein war er mit seltenen Ausnahmen, die stets durch ganz besondere Abhaltungen veranlaßt waren, bei den Turnvorstellungen der königl. Central-Turnanstalt und späteren Militär- und Turnlehrer-Bildungsanstalt anwesend, sondern er ließ auch anderweit sich gern das Turnen vorführen. Er war ein besonderer Freund der Reigen und oft war seine erste Frage, wenn er in den Turnsaal eintrat: „Was werden Sie uns denn heute für einen Reigen vorführen?“

Unvergeßlich sind solche Vorstellungen für alle geblieben, welche das Glück hatten, daran teilnehmen zu dürfen. Wenn die Thüre geöffnet wurde und die hohe Gestalt des Kronprinzen hereintrat, wenn er mit leichtem Kopfnicken und bezauberndem Lächeln die Anwesenden begrüßte, so war es, als wenn ein Sonnenblick durch den Saal ging. Zunächst begrüßte er die ihn an der Thür empfangenden Herren mit Handschlag, ließ sich die Hilfslehrer vorstellen und wandte sich dann zu den in Reih’ und Glied aufgestellten Eleven. Den Flügelmann maß er mit den Augen, dessen Größe mit der seinigen vergleichend; er stellte sich wohl auch neben ihn, Schulter an Schulter, und es gab nicht viele, die dem Kronprinzen an Größe gleichkamen. Er ging, geleitet von dem Minister, dem Direktor und dem Unterrichtsdirigenten, die Reihe entlang, sich von den Einzelnen den Namen, die Stellung und den Wohnort nennen lassend. Es war erstaunlich, wie er bei jedem eine passende Anknüpfung fand. Er sprach mit jedem, wußte bei jedem Beziehungen zu finden. Dabei verging aber die Zeit, und es kam wohl vor, daß der Adjutant an den Aufbruch erinnerte, bevor das vorbereitete Turnen beendet war. Wenn möglich, gab er dann noch eine Viertelstunde zu; wenn der Adjutant aber bemerkte, daß der Kronprinz zu einer bestimmten Zeit zu Hause erwartet werde, dann mußte die Vorstelluug beschleunigt werden, aber den Reigen wollte er noch jedenfalls sehen. Derselbe war stets so eingerichtet, daß bei der Schlußstrophe ein Halbkreis gebildet wurde. Dann sagte wohl der Kronprinz: „Ich soll wohl wieder eine Rede halten?“ Und wenn dann bemerkt wurde, daß die Eleven sich glücklich schätzen würden, wenn Kaiserliche Hoheit sie einer kurzen Ansprache würdigen wollte, so ging er in den Halbkreis und sprach mit lauter und sonorer Stimme Worte der Anerkennung für ihre wackeren Leistungen. Einmal gab er auch eine Kraftprobe. Die Eleven stemmten schwere Gewichte in die Höhe. Da bückte er sich, nahm einen sechzigpfündigen Hantel und hob ihn ohne jegliche Anstrengung in die Höhe.

So hielt es Kronprinz Friedrich Wilhelm Jahre lang, noch bis zum Jahre 1887. Am 24. Februar hatte die Militär-Turnanstalt dem Kronprinzen ihre Uebungen vorgeführt. Damals war derselbe ganz heiser, so daß er kaum sprechen konnte und uns, die wir dastanden, aufforderte, ihn zu unterhalten, was wir auch nach Kräften thaten. Dann kam er zur Turnvorstellung der Turnlehrer-Bildungsanstalt am 18. März. Da war es mit der Stimme bedeutend besser. Sie erschien nur etwas belegt, aber wie sonst laut und verständlich. Niemals habe ich den Kronprinzen so frisch und munter gesehen.

Ueber anderthalb Stunden blieb er in der Anstalt und hielt [127] dann an die Eleven folgende Ansprache: „Meine Herren! Sie haben Vorzügliches geleistet. Wenden Sie das Gelernte in derselben Weise auch in Ihrer Schulpraxis an! Ich freue mich, daß die Jugend so bewährten Händen anvertraut wird, und hoffe, daß Sie in Ihrem Beruf dieselbe Disziplin handhaben werden, wie Sie sie hier gezeigt haben. Ich sage Ihnen hiermit Lebewohl! Mögen wir uns einmal wiedersehen, wo das Schicksal nur immer uns zusammenführt, sei es im Frieden, sei es im Kriege. Gott sei Dank, daß die Aussichten jetzt so friedlich sind!“ Das war das letzte Mal, daß ich den Kronprinzen in der Nähe gesehen, daß es mir vergönnt war, seine Stimme zu hören, daß ich einen Händedruck von ihm erhalten. Es kamen traurige Zeiten. Endlich kehrte er als todkranker Kaiser zurück. Da sah ich ihn noch einmal unter den Linden mit der Gemahlin im geschlossenen Wagen. Auf meinen ehrerbietigen Gruß neigte er in gewohnter Huld dankend das Haupt. Es war seine letzte Ausfahrt nach Berlin.