Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Peter Panter
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Titel: Kabarett zum Hakenkreuz
Untertitel:
aus: Vossische Zeitung. 1930; Beilage: Das Unterhaltungsblatt, Nr. 149. S. 2–3
Herausgeber:
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 29. Juni 1930
Verlag: Ullstein
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Kabarett zum Hakenkreuz
Von Peter Panter

„Na, lach doch mal! Na, lach doch mal! Muh! Miau! Baubau –!“ Fotograf aus den neunziger Jahren.

Der beliebteste Einwand gegen den Mann auf der andern Seite ist: er sei nicht auf der Höhe seiner Zeit. Der Einwand ist nicht sehr kostspielig, wobei nicht einmal untersucht werden soll, was denn eigentlich unsere Zeit und wo denn eigentlich ihre Höhe sei… Die Jahreszahlen des Kalenders zeigen keine klare Aufwärtskurve an, und ich für mein Teil zweifle sehr daran, ob ein alt-ägyptischer Priester „zurück“-geblieben ist und ob wir es ihm gegenüber gar so herrlich weit gebracht…

Aber es gibt Erscheinungen, bei denen sich das Wort „von gestern“ geradezu aufdrängt. Zu diesen Erscheinungen gehören die Satiriker der deutschen Rechten.

Viel gibt es nicht davon. Die Familie der Satiriker (Ehrenmitglied: Jonathan Swift) soll nicht mit dem unsäglichen Rumpelstilzchen gekränkt werden, ein ehemaliger Major, der die Republik mit den Unterröcken der Frau Zietz beschimpft und die Diktatur mit dem Südtiroler Helden Mussolini gefeiert hat… so tief wollen wir denn doch nicht schießen. Was nun die Hakenkreuz-Satiriker angeht, so haben sie es, sollte man denken, gar nicht so schwer: sie predigen uns fortwährend, wie schlecht diese Zeit sei, die Original-Revolution sei nur bei ihnen zu finden, nur sie seien modern, nur sie die deutsche Zukunft… und in der Opposition sind sie auch noch: also scheinen alle Vorbedingungen gegeben zu sein, daß dort peitschende, gute, wirksame Satire gemacht werden könnte. Ja, Kuchen.

So etwas von Witzlosigkeit war noch nicht da. Wenn ich das Zeug so lese, das die nationalsozialistischen, die völkischen, die rechts gerichteten Bünde unter sich lassen, dann juckt es mich in allen Fingern. Nein, so nicht – ich möchte nur hingehen und es besser machen. Ein Jammer, daß man nicht Angriffe gegen sich selbst veröffentlichen kann… Ich weiß doch, wo wir wirklich verletzbar sind. Die wissen es nicht. Ach, wie schießt ihr schlecht –!

Da gibt in Hamburg ein dem alten „Kunstwart“ entlaufener Herr Dr. Stapel ein Blatt heraus: „Deutsches Volkstum.“ Das Blatt hat viel Umhängebart, enthält aber von Zeit zu Zeit lesenswerte, ernste Aufsätze, wie ja gewiß die Intelligenz und die Sauberkeit nicht parteimäßig aufgeteilt sind: hüben alles, drüben nichts. Soweit gut. Aber den Dr. Stapel reitet der Teufel, er hält sich für einen Spaßmacher, er glaubt, daß man über ihn auch dann lache, wenn er das wolle, während man am meisten über ihn lacht, wenn er das nicht will – und nun hat er seine Aufsätze gegen … gesammelt, gegen die Republik, gegen den Pazifismus, gegen mich, gegen uns, gegen was Sie wollen. Das Bändchen heißt „Literatenwäsche“. Es ist typisch für die ganze Gattung.

Zunächst verhaut sich der gute Stapel im Objekt. Journalisten sind in Deutschland leider nicht so populär, daß man eine Satire, die alle angeht, auf ihrem Wirken aufbauen kann; es ist so viel Atelierfest in diesem Buch, aber es ist ein herzlich langweiliges Fest. Publizisten angreifen? Warum sollte man nicht? Wir haben in Deutschland viel zuviel Würde – ich möchte einmal Sonntags das sein, was gewisse im öffentlichen Leben stehende Männer an Wochentagen zu sein glauben. Wenn aber die deutsche Presse einen Fehler hat, so ist es der, zu wenig von sich selbst zu sprechen, von ihren Nöten, ihrer Problematik … Vielleicht ist diese Bescheidenheit löblich, ich weiß es nicht, ich glaube es nicht. Die große Presse ist angreifbar. Das weiß jeder Journalist, der seinen Beruf liebt; jeder von uns kennt die Fehler, die den Zeitungen anhaften: jene, die vermeidbar sind, und jene, die allen Zeitungen immanent bleiben, solange es sie geben wird. Man soll keine Unfehlbarkeit statuieren, die gibt es nicht.

So unbeschwert machen wir uns an die Lektüre. Wäre der Text so hübsch wie die im Stil Heinrich Kleys gehaltenen Streubildchen A. Paul Webers (mich hat er als Laus aufgepielt), dann könnte man 126 Seiten lang lachen. So gähnt man, als seien es dreihundert. Also malt sich in diesem Menschenköpfchen die Welt:

„Der Matrose Stibitzke war während des Krieges mehrfach wegen Dienstvergehens bestraft worden. Auch fand er den Wachtdienst furchtbar anstrengend. Darum wurde er Revolutionär.“ Stapel, einen runter. Dieser Schüler hat offenbar die letzten zehn Jahre geschlafen. Denn sonst wüßte er von den oft unerträglichen Verhältnissen auf den Kriegsschiffen; er wüßte von den durchaus objektiven und ganz und gar parteilosen Berichten der ehemaligen Deckoffiziere, von den Ergebnissen aus den Untersuchungsausschüssen, die ein gerüttelt Maß an Schuld, an Leichtsinn und Mangel an Menschenkenntnis vieler Seeoffiziere einwandfrei festgestellt haben. Von Schlimmerem zu schweigen. Für Stapel ist die Revolution ausgebrochen, weil die Matrosen keinen Wachtdienst mehr machen wollten. Und nun geht’s los.

Packte er die „neuen Herren“ noch da, wo sie wirklich zu packen sind! Er sieht das gar nicht. Er kennt die Leute nicht, er kennt nur ihren Widerschein in den Zeitungen, wie überhaupt [diese gesamte] politische Polemik fatal nach Druckerschwärze riecht, [3] alles ist aus der Presse genommen, aus dem Leben so gut wie nichts.

Er – und fast alle seine Genossen – machen so ziemlich dasselbe:

Zunächst etwas Erlaubtes. Sie halten den Literaten, die im Kriege „Hurra!“ gerufen haben und die heute pazifistisch oder doch zum mindesten republikanisch sind, dieses alte Hurra vor. Das mögen die Herren unter sich abmachen. Eine derartige Polemik hat einen gewissen Sinn, obgleich echte Wandlungen der Beteiligten vorgekommen sind. Immerhin: Konjunkturjobber gibt es in allen Bewegungen, auch in der nationalen. (Harden nannte das: die Leute aus „Immerdabayern“.)

Die Personalunkenntnis Stapels und seiner Freunde aber ist grotesk; was sie da treiben, ist unerlaubt dumm. Arthur Schnitzler ist für ihn der Mann mit der Unsittlichkeit, Eugen Diederichs wird von ihm angepflaumt, von ihm, der doch zu jenem stehen müßte, von den zweifellos vorhandenen Verdiensten des Mannes zu schweigen. Dann nimmt er Sling her. Uns allen ist Sling zu früh dahingegangen; als nebensächlicher Wunsch schwingt in mir mit: Schade, daß er dem nicht noch hatte einen auswischen können! Aber vielleicht hätte er es gar nicht getan. Dabei war Sling zu einer anständigen Polemik immer bereit; aber doch nicht mit einem, der überhaupt nicht fühlt, wie den Zuhörer im Gerichtssaal der Schmerz über das Unrecht im Recht durchzucken kann…

Wie dieser Stapel sich seinen Stoff zurechtbiegt, dafür ein Exemplum. Ich hatte einmal gefragt, warum denn der Verlag Brockhaus das noch nie veröffentlichte Manuskript Casanovas, das er noch in seinen Schränken birgt, nicht herausgibt. Und nicht ich allein hatte so gefragt. Ich sagte: „Die Gründe, die den Verleger bewegen, damit nicht herauszukommen, sind nicht recht ersichtlich. Wenn er etwa glaubt, daß das Werk für seinen Verlag zu frivol sei, dann braucht er es ja nur zu verkaufen.“ Das sperrt Herr Stapel im Druck und setzt als Ueberschrift hinzu: „Dann braucht er ja nur…“ Das heißt für seine Leser: Seht, wie sie schachern! Für diesen Panter ist auch das Werk Casanovas nur eine Ware. Ja, denk mal, Hedda! Das ist es nämlich wirklich, neben seinen anderen Eigenschaften; genau so, wie Brockhaus keine Messen zelebriert, sondern ein dem Irdischen zugewandter Kaufmann ist. Geistige Produkte sind eben unter anderem auch Ware. Zum Beispiel kann man auch auf das „Deutsche Volkstum“ abonnieren.

Da wird man dann allerdings finden, daß dessen Herausgeber kein richtiges Deutsch schreiben kann. „Die Sprache“, sagt er einmal, „ist jiddisch-berlinisch, man merkt an jedem Satz die vor sich gegangene Uebertragung aus dem Jargon.“ Dann schon lieber Jargon; der Herr Doktor Stapel täte gut, einmal das Kapitel „Das Partizipium“ in Wustmanns „Sprachdummheiten“ nachzulesen, er hätte dann diesen vor sich gegangenen Fehler vermieden. Aber so genau kommt das bei den alten Germanen nicht drauf an.

Den Pazifismus tut Stapel – wie fast alle seine Genossen – gern mit dem Hinweis auf die kriegerischen Vorkommnisse im Tierreich ab. „Nie wieder Krieg“, sagte der Frosch zum Storch, als er im Storchschnabel zappelte.“ Ich glaube nicht, daß das Bürgerliche Gesetzbuch, unter dessen Schutz auch Herr Stapel lebt, sich das Tierreich zum Vorbild genommen hat: von Kropotkins „Gegenseitiger Hilfe im Tierreich“ braucht jener nichts zu wissen.

Mit einem „Nationalistischen Ausklang“ schließt das Heft. Gott sei uns vor solcher Lyrik gnädig, an der nicht nur die Gesinnung mäßig ist, sondern auch die Verse nichts taugen:

Hab fürder guten Mut!
In deines Herzens Grund
Wallt dir ein edles Tröpflein Blut,
Uralt und kerngesund.

Diese Lyrik wallte früher durch den Briefkasten des „Kladderadatsch“, und das ist schon lange her.

Das sind die Jonathan Swifts der Rechten, kleine Leute wie aus dem ersten Abschnitt von Gullivers Reisen. Man muß sich nur einmal die Arbeit machen, diese völkischen „Beobachter“ aller Provinzen durchzublättern – ein hartes Unterfangen; man muß diese grenzenlos flache und platte Afterphilosophie der Gebildeteren unter den Nationalisten ansehen, diesen Abfalleimer gebrauchter Ideen, und man wird verstehen, wie alle ihre Bemühungen, daraus eine neue Methode zu machen, fehlschlagen und fehlschlagen müssen.

Wer verurteilt ist, solch einen Kram lesen zu müssen, der schließt resigniert die Akten über die emsigen Bemühungen dieser Satiriker und murmelt ein kleines, zweisilbiges Wörtchen dabei, das mit einer vor sich gegangenen Uebertragung in die Alltagssprache gekommen ist und mit einem N anfängt; es drückt Bedauern aus, ein wenig Schadenfreude, ein wenig Ironie, ein wenig herablassenden Spott und Mitleid, Mitleid, Mitleid.