[74]

ERSTE SZENE

Luise sitzt stumm und ohne sich zu rühren in dem finstersten Winkel des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken. Nach einer großen und tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet ängstlich im Zimmer herum, ohne Luisen zu bemerken, dann legt er den Hut auf den Tisch und setzt die Laterne nieder.

MILLER: Hier ist sie auch nicht. Hier wieder nicht – Durch alle Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf allen Toren hab ich gefragt – Mein Kind hat man nirgends gesehen. (Nach einigem Stillschweigen.) Geduld, armer, unglücklicher Vater. Warte ab, bis es Morgen wird. Vielleicht kommt deine Einzige dann ans Ufer geschwommen – – Gott! Gott! Wenn ich mein Herz zu abgöttisch an diese Tochter hing? – Die Strafe ist hart. Himmlischer Vater, hart! Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart. (Er wirft sich gramvoll in einen Stuhl.)

LUISE (spricht aus dem Winkel): Du tust recht, armer alter Mann! Lerne bei Zeit noch verlieren.

MILLER (springt auf): Bist du da, mein Kind? Bist du? – Aber warum denn so einsam und ohne Licht?

LUISE: Ich bin darum doch nicht einsam. Wenn’s so recht schwarz wird um mich herum, hab ich meine besten Besuche.

MILLER: Gott bewahre dich! Nur der Gewissenswurm schwärmt mit der Eule. Sünden und böse Geister scheuen das Licht.

LUISE: Auch die Ewigkeit, Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen redet.

MILLER: Kind! Kind! Was für Reden sind das?

LUISE (steht auf und kommt vorwärts): Ich hab einen harten Kampf gekämpft. Er weiß es, Vater. Gott gab mir Kraft. Der Kampf ist entschieden. Vater! man pflegt unser Geschlecht zart und zerbrechlich zu nennen. Glaub Er das nicht mehr. Vor einer Spinne schütteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung drücken wir im Spaß in die Arme. Dieses zur Nachricht, Vater. Seine Luise ist lustig.

MILLER: Höre, Tochter! ich wollte, du heultest. Du gefielst mir so besser. [75]

LUISE: Wie ich ihn überlisten will, Vater! Wie ich den Tyrannen betrügen will! – Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und kühner – das hat er nicht gewusst, der Mann mit dem traurigen Stern – Oh! sie sind pfiffig, so lang sie es nur mit dem Kopf zu tun haben, aber sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Böswichter dumm – – Mit einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln? Eide, Vater, binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sakramente eisernes Band. Ferdinand wird seine Luise kennen – Will Er mir dies Billet besorgen, Vater? Will Er so gut sein?

MILLER: An wen, meine Tochter?

LUISE: Seltsame Frage! Die Unendlichkeit und mein Herz haben miteinander nicht Raum genug für einen einzigen Gedanken an ihn – Wenn hätt ich denn wohl an sonst jemand schreiben sollen?

MILLER: (unruhig): Höre, Luise! Ich erbreche den Brief.

LUISE: Wie Er will, Vater – aber Er wird nicht klug daraus werden. Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da und leben nur dem Auge der Liebe.

MILLER: (liest): »Du bist verraten, Ferdinand – Ein Bubenstück ohne Beispiel zerriss den Bund unsrer Herzen, aber ein schröcklicher Schwur hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat überall seine Horcher gestellt. Doch wenn du Mut hast, Geliebter – ich weiß einen dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet und wohin ihm kein Horcher geht.« (Miller hält inne und sieht ihr ernsthaft ins Gesicht.)

LUISE: Warum sieht Er mich so an? Les Er doch ganz aus, Vater.

MILLER: »Aber Mut genug musst du haben, eine finstre Straße zu wandeln, wo dir nichts leuchtet als deine Luise und Gott – Ganz zur Liebe musst du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen und all deine brausenden Wünsche; nichts kannst du brauchen als dein Herz. Willst du – so brich auf, wenn die Glocke den zwölften Streich tut auf dem Karmeliterturm. Bangt dir – so durchstreiche das Wort stark vor deinem Geschlechte, denn ein Mädchen hat dich zuschanden gemacht.« (Miller legt das Billet nieder, schaut lange mit einem schmerzlichen starren Blick vor sich hinaus, endlich kehrt er sich gegen sie und sagt mit leiser, gebrochener Stimme.) Und dieser dritte Ort, meine Tochter?

LUISE: Er kennt ihn nicht, Er kennt ihn wirklich nicht, Vater? – Sonderbar! Der Ort ist zum Finden gemalt. Ferdinand wird ihn finden.

MILLER: Hum! rede deutlicher. [76]

LUISE: Ich weiß soeben kein liebliches Wort dafür – Er muss nicht erschrecken, Vater, wenn ich Ihm ein hässliches nenne. Dieser Ort – O warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! Den schönsten hätte sie diesem gegeben. Der dritte Ort, guter Vater – aber Er muss mich ausreden lassen – der dritte Ort ist das Grab.

MILLER (zu einem Sessel hinwankend): O mein Gott!

LUISE (geht auf ihn zu und hält ihn): Nicht doch, mein Vater! Das sind nur Schauer, die sich um das Wort herumlagern – Weg mit diesem, und es liegt ein Brautbette da, worüber der Morgen seinen goldenen Teppich breitet und die Frühlinge ihre bunten Girlanden streun. Nur ein heulender Sünder konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein holder niedlicher Knabe, blühend, wie sie den Liebesgott malen, aber so tückisch nicht – ein stiller dienstbarer Genius, der der erschöpften Pilgerin Seele den Arm bietet über den Graben der Zeit, das Feenschloss der ewigen Herrlichkeit aufschließt, freundlich nickt und verschwindet.

MILLER: Was hast du vor, meine Tochter? – Du willst eigenmächtig Hand an dich legen.

LUISE: Nenn Er es nicht so, mein Vater. Eine Gesellschaft räumen, wo ich nicht wohlgelitten bin – An einen Ort vorausspringen, den ich nicht länger missen kann – Ist denn das Sünde?

MILLER: Selbstmord ist die abscheulichste, mein Kind – die einzige, die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missetat zusammenfallen.

LUISE (bleibt erstarrt stehn): Entsetzlich! – Aber so rasch wird es doch nicht gehn. Ich will in den Fluss springen, Vater, und im Hinuntersinken Gott den Allmächtigen um Erbarmen bitten.

MILLER: Das heißt, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das Gestohlene in Sicherheit weißt – Tochter! Tochter! Gib Acht, dass du Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnöten hast. Oh! es ist weit! weit mit dir gekommen! – Du hast dein Gebet aufgegeben, und der Barmherzige zog seine Hand von dir.

LUISE: Ist lieben denn Frevel, mein Vater?

MILLER: Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben – – Du hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur Grube gebeugt. – Doch! ich will dir dein Herz nicht noch schwerer machen – Tochter! ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein zu sein. Du hast mich behorcht, und warum sollt ich’s noch länger geheim halten? Du warst mein Abgott. Höre, [77] Luise, wenn du noch Platz für das Gefühl eines Vaters hast – Du warst mein Alles. Jetzt vertust du nichts mehr von deinem Eigentum. Auch ich hab alles zu verlieren. Du siehst, mein Haar fängt an grau zu werden. Die Zeit meldet sich allgemach bei mir, wo uns Vätern die Kapitale zustatten kommen, die wir im Herzen unsrer Kinder anlegten – Wirst du mich darum betrügen, Luise? Wirst du dich mit dem Hab und Gut deines Vaters auf und davon machen?

LUISE (küsst seine Hand mit der heftigsten Rührung): Nein, mein Vater. Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt und werde in der Ewigkeit mit Wucher bezahlen.

MILLER: Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind? (Sehr ernst und feierlich.) Werden wir uns dort wohl noch finden? – – Sieh! wie du blass wirst! – Meine Luise begreift es von selbst, dass ich sie in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so früh dahin eile wie sie – (Luise stürzt ihm in den Arm, von Schauern ergriffen – Er drückt sie mit Feuer an seine Brust und fährt fort mit beschwörender Stimme) O Tochter! Tochter! Gefallene, vielleicht schon verlorene Tochter! Beherzige das ernsthafte Vaterwort! Ich kann nicht über dich wachen. Ich kann dir die Messer nehmen, du kannst dich mit einer Stricknadel töten. Für Gift kann ich dich bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwürgen. – Luise – Luise – nur warnen kann ich dich noch – Willst du es darauf ankommen lassen, dass dein treuloses Gaukelbild auf der schröcklichen Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche? Willst du dich vor des Allwissenden Thron mit der Lüge wagen: Deinetwegen, Schöpfer, bin ich da! – wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe suchen? – Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt Wurm wie du, zu den Füßen deines Richters sich windet, deine gottlose Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Lügen straft und deine betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende für sich selbst kaum erflehen kann – Wie dann? (Nachdrücklicher, lauter.) Wie dann, Unglückselige? (Er hält sie fester, blickt sie eine Weile starr und durchdringend an, dann verlässt er sie schnell.) Jetzt weiß ich nichts mehr – (mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott Richter! für diese Seele nicht mehr. Tu, was du willst. Bring deinem schlanken Jüngling ein Opfer, dass deine Teufel jauchzen und deine guten Engel zurücktreten – Zieh hin! Lade alle deine Sünden auf, lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht vollkommen – Hier ist ein Messer [78] – durchstich dein Herz und (indem er laut weinend fortstürzen will) das Vaterherz!

LUISE (springt auf und eilt ihm nach): Halt! Halt! O mein Vater! – Dass die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt als Tyrannenwut! – Was soll ich? Ich kann nicht! Was muss ich tun?

MILLER: Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Tränen deines Vaters – stirb!

LUISE (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit): Vater! Hier ist meine Hand! Ich will – Gott! Gott! Was tu ich? was will ich? – Vater, ich schwöre – Wehe mir, wehe! Verbrecherin, wohin ich mich neige! – Vater, es sei! – Ferdinand – Gott sieht herab! – So zernicht ich sein letztes Gedächtnis. (Sie zerreißt den Brief.)

MILLER (stürzt ihr freudetrunken an den Hals): Das ist meine Tochter! – Blick auf! Um einen Liebhaber bist du leichter, dafür hast du einen glücklichen Vater gemacht. (Unter Lachen und Weinen sie umarmend.) Kind! Kind, das ich den Tag meines Lebens nicht wert war! Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin! – Mein Luise, mein Himmelreich! – O Gott! ich verstehe ja wenig vom Lieben, aber dass es eine Qual sein muss, aufzuhören – so was begreif ich noch.

LUISE: Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater – Weg von der Stadt, wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist auf immerdar – Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren der verlorenen Seligkeit anreden. Weg, wenn es möglich ist –

MILLER. Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brod unsers Herrgotts wächst überall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! lass auch alles dahingehn – Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute, singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriss – wir betteln mit der Ballade von Türe zu Türe, und das Almosen wird köstlich schmecken von den Händen der Weinenden –

ZWEITE SZENE

Ferdinand zu den Vorigen.

LUISE (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend um den Hals): Gott! Da ist er! Ich bin verloren.

MILLER: Wo? Wer?

LUISE (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und [79] drückt sich fester an ihren Vater): Er! Er selbst – Seh Er nur um sich, Vater – Mich zu ermorden ist er da!

MILLER (erblickt ihn, fährt zurück): Was? Sie hier, Baron?

FERDINAND (kommt langsam näher, bleibt Luisen gegenüber stehen und lässt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause): Überraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntnis ist schrecklich, aber schnell und gewiss, und erspart mir die Folterung. – Guten Abend, Miller.

MILLER: Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was führt Sie her? Was soll dieser Überfall?

FERDINAND: Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Sekunden zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen sollte – Wie kommt’s, dass ich jetzt überrasche?

MILLER: Gehen Sie, gehen Sie, Baron – Wenn noch ein Funke von Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb – Wenn Sie die nicht erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblick länger. Der Segen war fort aus meiner Hütte, sobald Sie einen Fuß darein setzten – Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wühlen, die Ihre unglückliche Bekanntschaft meinem einzigen Kinde schlug?

FERDINAND: Wunderlicher Vater, jetzt komm ich ja, deiner Tochter etwas Erfreuliches zu sagen.

MILLER: Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung? – Geh, Unglücksbote! Dein Gesicht schimpft deine Ware.

FERDINAND: Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen! Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das Schicksal lässt nach, uns zu verfolgen. Unsere glücklichen Sterne gehen auf – Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulösen und meine Braut zum Altar abzuholen.

MILLER: Hörst du ihn, meine Tochter? Hörst du ihn sein Gespötte mit deinen getäuschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! es steht dem Verführer so schön, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu kützeln.

FERDINAND: Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie halten, wie sie ihre Eide – Ich kenne nichts Heiligeres – Noch zweifelst du? noch kein freudiges Erröten auf den Wangen meiner schönen Gemahlin? Sonderbar! Die Lüge [80] muss hier gangbare Münze sein, wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr misstraut meinen Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugnis. (Er wirft Luisen den Brief an den Marschall zu.)

LUISE (schlägt ihn auseinander und sinkt leichenblass nieder).

MILLER (ohne das zu bemerken, zum Major): Was soll das bedeuten, Baron? Ich verstehe Sie nicht.

FERDINAND (führt ihn zu Luisen hin): Desto besser hat mich diese verstanden!

MILLER (fällt an ihr nieder): O Gott! meine Tochter!

FERDINAND: Bleich wie der Tod! – Jetzt erst gefällt sie mir, deine Tochter! So schön war sie nie, die fromme, rechtschaffene Tochter – Mit diesem Leichengesicht – – Der Odem des Weltgerichts, der den Firnis von jeder Lüge streift, hat jetzt die Schminke verblasen, womit die Tausendkünstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen hat – Es ist ihr schönstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht! Lass mich es küssen. (Er will auf sie zugehen.)

MILLER: Zurück! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor deinen Liebkosungen konnt’ ich sie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen Misshandlungen.

FERDINAND: Was willst du, Graukopf? Mit dir hab ich nichts zu schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren ist – oder bist du auch vielleicht klüger, als ich dir zugetraut habe? Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner Tochter geborgt und dies ehrwürdige Haar mit dem Gewerb eines Kupplers geschändet? – Oh! wenn das nicht ist, unglücklicher alter Mann, lege dich nieder und stirb – Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem süßen Taumel entschlafen: Ich war ein glücklicher Vater! – Einen Augenblick später, und du schleuderst die giftige Natter ihrer höllischen Heimat zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und fährst mit der Gotteslästerung in die Grube. (Zu Luisen.) Sprich, Unglückselige! Schriebst du diesen Brief?

MILLER (warnend zu Luisen): Um Gottes Willen, Tochter! Vergiss nicht! Vergiss nicht!

LUISE: O dieser Brief, mein Vater –

FERDINAND: Dass er in die unrechten Hände fiel? – Gepriesen sei mir der Zufall, er hat größere Taten getan als die klügelnde Vernunft und wird besser bestehn an jenem Tag als der Witz aller Weisen – Zufall, sage ich? – O die Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein Teufel entlarvt werden soll? – Antwort will ich! – Schriebst du diesen Brief? [81]

MILLER (seitwärts zu ihr mit Beschwörung): Standhaft! Standhaft, meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und alles ist überwunden.

FERDINAND: Lustig! Lustig! Auch der Vater betrogen. Alles betrogen! Nun sieh, wie sie dasteht, die Schändliche, und selbst ihre Zunge nun ihrer letzten Lüge den Gehorsam aufkündigt! Schwöre bei Gott! bei dem fürchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?

LUISE (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem Vater gesprochen hat, fest und entscheidend): Ich schrieb ihn.

FERDINAND (bleibt erschrocken stehen): Luise! – Nein! So wahr meine Seele lebt! du lügst – Auch die Unschuld bekennt sich auf der Folterbank zu Freveln, die sie nie beging – Ich fragte zu heftig – Nicht wahr, Luise – Du bekanntest nur, weil ich zu heftig fragte?

LUISE: Ich bekannte, was wahr ist.

FERDINAND: Nein sag ich! nein! nein! Du schriebst nicht. Es ist deine Hand gar nicht – Und wäre sie’s, warum sollten Handschriften schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr, Luise – oder nein, nein, tu es nicht, du könntest Ja sagen, und ich wär verloren – Eine Lüge, Luise – eine Lüge – O wenn du jetzt eine wüsstest, mir hinwärfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Aug überredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich täuschtest – O Luise! Alle Wahrheit möchte dann mit diesem Hauch aus der Schöpfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun an zu einem höfischen Bückling beugen! (Mit scheuem bebendem Ton.) Schriebst du diesen Brief?

LUISE: Bei Gott! bei dem fürchterlich wahren! Ja!

FERDINAND (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes): Weib! Weib! – Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst! – Teile mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der Verdammnis keinen Käufer finden – Wusstest du, was du mir warst, Luise? Ohnmöglich! Nein! Du wusstest nicht, dass du mir alles warst! Alles! – Es ist ein armes verächtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Mühe, es zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin – Alles! und so frevelhaft damit zu spielen – O es ist schrecklich –

LUISE: Sie haben mein Geständnis, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt. Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglücklich waren.

FERDINAND: Gut! Gut! Ich bin ja ruhig – ruhig, sagt man ja, ist [82] auch der schaudernde Strich Landes, worüber die Pest ging – ich bin’s. (Nach einigem Nachdenken.) Noch eine Bitte, Luise – die letzte! Mein Kopf brennt so fieberisch. Ich brauche Kühlung – Willst du mir ein Glas Limonade zurecht machen? (Luise geht ab.)

DRITTE SZENE

Ferdinand und Miller.
(Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige Pausen lang auf den entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab).

MILLER (bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger Miene): Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich Sie herzlich bedaure?

FERDINAND: Lass Er es gut sein, Miller. (Wieder einige Schritte.) Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam – Was war die Veranlassung?

MILLER: Wie, Herr Major? Sie wollten ja Lektion auf der Flöte bei mir nehmen. Das wissen Sie nicht mehr?

FERDINAND (rasch): Ich sah Seine Tochter. (Wiederum einige Pausen.) Er hat nicht Wort gehalten, Freund. Wir akkordierten Ruhe für meine einsamen Stunden. Er betrog mich und verkaufte mir Skorpionen. (Da er Millers Bewegung sieht.) Nein! erschrick nur nicht, alter Mann. (Gerührt an seinem Hals.) Du bist nicht schuldig.

MILLER (die Augen wischend): Das weiß der allwissende Gott!

FERDINAND (aufs neue hin und her, in düstres Grübeln versunken): Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns. An dünnen unmerkbaren Seilen hängen oft fürchterliche Gewichte – Wüsste der Mensch, dass er an diesem Apfel den Tod essen sollte – Hum! – Wüsste er das? (Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker Bewegung fassend.) Mann! Ich bezahle dir dein bisschen Flöte zu teuer – – und du gewinnst nicht einmal – auch du verlierst – verlierst vielleicht alles. (Gepresst von ihm weggehend.) Unglückseliges Flötenspiel, das mir nie hätte einfallen sollen.

MILLER (sucht seine Rührung zu verbergen): Die Limonade bleibt auch gar zu lang außen. Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir’s nicht für übel nehmen –

FERDINAND: Es eilt nicht, lieber Miller. (Vor sich hinmurmelnd.) [83] Zumal für den Vater nicht – Bleib Er nur – Was hatt’ ich doch fragen wollen? – Ja! – Ist Luise Seine einzige Tochter? Sonst hat Er keine Kinder mehr?

MILLER (warm): Habe sonst keins mehr, Baron – wünsch mir auch keins mehr. Das Mädel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz einzustecken – hab meine ganze Barschaft von Liebe an der Tochter schon zugesetzt.

FERDINAND (heftig erschüttert): Ha! – – Seh Er doch lieber nach dem Trank, guter Miller. (Miller ab.)

VIERTE SZENE

Ferdinand allein.

Das einzige Kind! – Fühlst du das, Mörder? Das einzige! Mörder! hörst du, das einzige? – Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes nichts als sein Instrument und das einzige – Du willst’s ihm rauben?

Rauben? – Rauben den letzten Notpfenning einem Bettler? Die Krücke zerbrochen vor die Füße werfen dem Lahmen? Wie? Hab ich auch Brust für das? – – Und wenn er nun heimeilt und nicht erwarten kann, die ganze Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunter zu zählen, und hereintritt, und sie da liegt, die Blume – welk – tot – zertreten, mutwillig, die letzte, einzige, unüberschwängliche Hoffnung – Ha! und er dasteht, vor ihr, und dasteht und ihm die ganze Natur den lebendigen Odem anhält, und sein erstarrter Blick die entvölkerte Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr finden kann, und leerer zurückkommt – – Gott! Gott! aber auch mein Vater hat diesen einzigen Sohn – den einzigen Sohn, doch nicht den einzigen Reichtum – (Nach einer Pause.) Doch wie? was verliert er denn? Das Mädchen, dem die heiligsten Gefühle der Liebe nur Puppen waren, wird es den Vater glücklich machen können? – Es wird nicht! Es wird nicht! Und ich verdiene noch Dank, dass ich die Natter zertrete, ehe sie auch noch den Vater verwundet. [84]

FÜNFTE SZENE

Miller, der zurückkommt, und Ferdinand.

MILLER: Gleich sollen Sie bedient sein, Baron. Draußen sitzt das arme Ding und will sich zu Tode weinen. Sie wird Ihnen mit der Limonade auch Tränen zu trinken geben.

FERDINAND: Und wohl, wenn’s nur Tränen wären! – – Weil wir vorhin von der Musik sprachen, Miller – (Eine Börse ziehend.) Ich bin noch Sein Schuldner.

MILLER: Wie? Was? Gehen Sie mir, Baron! Wofür halten Sie mich? Das steht ja in guter Hand, tun Sie mir doch den Schimpf nicht an, und sind wir ja, will’s Gott, nicht das letzte Mal beieinander.

FERDINAND: Wer kann das wissen? Nehm Er nur. Es ist für Leben und Sterben.

MILLER (lachend): O deswegen, Baron! Auf den Fall, denk ich, kann man’s wagen bei Ihnen.

FERDINAND: Man wagte wirklich – Hat Er nie gehört, dass Jünglinge gefallen sind – Mädchen und Jünglinge, die Kinder der Hoffnung, die Luftschlösser betrogener Väter – Was Wurm und Alter nicht tun, kann oft ein Donnerschlag ausrichten – Auch Seine Luise ist nicht unsterblich.

MILLER: Ich hab sie von Gott.

FERDINAND: Hör Er – Ich sag Ihm, sie ist nicht unsterblich. Diese Tochter ist Sein Augapfel. Er hat sich mit Herz und Seel an diese Tochter gehängt. Sei Er vorsichtig, Miller. Nur ein verzweifelter Spieler setzt alles auf einen einzigen Wurf. Einen Waghals nennt man den Kaufmann, der auf ein Schiff sein ganzes Vermögen ladet – Hör Er, denk Er der Warnung nach – – Aber warum nimmt Er Sein Geld nicht?

MILLER: Was, Herr? die ganze allmächtige Börse? Wohin denken Eure Gnaden?

FERDINAND: Auf meine Schuldigkeit – Da! (Er wirft den Beutel auf den Tisch, dass Goldstücke herausfallen.) Ich kann den Quark nicht eine Ewigkeit so halten.

MILLER (bestürzt): Was beim großen Gott? Der klang nicht wie Silbergeld! (Er tritt zum Tisch und ruft mit Entsetzen.) Wie, um aller Himmel willen, Baron? Baron? Wo sind Sie? Was treiben Sie, Baron? Das nenn ich mir Zerstreuung! (Mit zusammengeschlagenen Händen.) Hier liegt ja – oder bin ich verhext, – oder – Gott verdamm mich! Da greif ich ja das bare, gelbe, leibhaftige Gottesgold – – Nein, Satanas! Du sollst mich nicht darankriegen! [85]

FERDINAND: Hat Er Alten oder Neuen getrunken, Miller?

MILLER (grob): Donner und Wetter! Da schauen Sie nur hin! – Gold!

FERDINAND: Und was nun weiter?

MILLER: Ins Henkers Namen – ich sage – ich bitte Sie um Gottes Christi willen – Gold!

FERDINAND: Das ist nun freilich etwas Merkwürdiges.

MILLER (nach einigem Stillschweigen zu ihm gehend, mit Empfindung): Gnädiger Herr, ich bin ein schlichter, gerader Mann, wenn Sie mich etwa zu einem Bubenstück anspannen wollen – denn so viel Geld lässt sich, weiß Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.

FERDINAND (bewegt): Sei Er ganz getrost, lieber Miller. Das Geld hat Er längst verdient, und Gott bewahre mich, dass ich mich mit Seinem guten Gewissen dafür bezahlt machen sollte.

MILLER (wie ein Halbnarr in die Höhe springend): Mein also! Mein! Mit des guten Gottes Wissen und Willen, mein! (Nach der Tür laufend, schreiend.) Weib! Tochter! Victoria! Herbei! (Zurückkommend.) Aber du lieber Himmel! wie komm ich denn so auf einmal zu dem ganzen grausamen Reichtum? Wie verdien ich ihn? lohn ich ihn? Heh?

FERDINAND: Nicht mit Seinen Musikstunden, Miller – Mit dem Geld hier bezahl ich Ihm, (von Schauern ergriffen hält er inne) bezahl ich Ihm (nach einer Pause mit Wehmut) den drei Monat langen glücklichen Traum von Seiner Tochter.

MILLER (fasst seine Hand, die er stark drückt): Gnädiger Herr! Wären Sie ein schlechter, geringer Bürgersmann – (rasch) und mein Mädel liebte Sie nicht – Erstechen wollt ich’s, das Mädel. (Wieder beim Geld, darauf niedergeschlagen.) Aber da hab ich ja nun alles und Sie nichts, und da werd ich nun das ganze Gaudium wieder herausblechen müssen? Heh?

FERDINAND: Lass Er sich das nicht anfechten, Freund – – Ich reise ab, und in dem Land, wo ich mich zu setzen gedenke, gelten die Stempel nicht.

MILLER (unterdessen mit unverwandten Augen auf das Gold hingeheftet, voll Entzückung): Bleibt’s also mein? Bleibt’s? – Aber das tut mir nur Leid, dass Sie verreisen – Und wart, was ich jetzt auftreten will! Wie ich die Backen jetzt vollnehmen will! (Er setzt den Hut auf und schießt durch das Zimmer.) Und auf den Markt will ich und meine Musikstunden geben und Numero fünfe Dreikönig rauchen, und wenn ich wieder auf dem Dreibatzenplatz sitze, soll mich der Teufel holen. (Will fort.)

FERDINAND: Bleib Er! Schweig Er! und streich Er sein Geld [86] ein. (Nachdrücklich.) Nur diesen Abend noch schweig Er und geb Er, mir zu Gefallen, von nun an keine Musikstunden mehr.

MILLER (noch hitziger und ihn hart an der Weste fassend, voll inniger Freude): Und Herr! meine Tochter! (Ihn werden loslassend.) Geld macht den Mann nicht – Geld nicht – Ich habe Kartoffeln gegessen oder ein wildes Huhn; satt ist satt, und dieser Rock da ist ewig gut, wenn Gottes liebe Sonne nicht durch den Ärmel scheint – Für mich ist das Plunder – Aber dem Mädel soll der Segen bekommen; was ich ihr nur an den Augen absehen kann, soll sie haben –

FERDINAND (fällt rasch ein): Stille, o stille –

MILLER (immer feuriger): Und soll mir Französisch lernen aus dem Fundament und Menuett–Tanzen und Singen, dass man’s in den Zeitungen lesen soll; und eine Haube soll sie tragen wie die Hofratstöchter und einen Kidebarri, wie sie’s heißen, und von der Geigerstochter soll man reden auf vier Meilen weit –

FERDINAND (ergreift seine Hand mit der schrecklichsten Bewegung): Nichts mehr! Nichts mehr! Um Gotteswillen, schweig Er still! Nur noch heute schweig Er still, das sei der einzige Dank, den ich von Ihm fordre.

SECHSTE SZENE

Luise mit der Limonade, und die Vorigen.

LUISE (mit rotgeweinten Augen und zitternder Stimme, indem sie dem Major das Glas auf einem Teller bringt): Sie befehlen, wenn sie nicht stark genug ist?

FERDINAND (nimmt das Glas, setzt es nieder und dreht sich rasch gegen Millern): O beinahe hätt ich das vergessen! – Darf ich Ihn um etwas bitten, lieber Miller? Will Er mir einen kleinen Gefallen tun?

MILLER: Tausend für einen! Was befehlen – –

FERDINAND: Man wird mich bei der Tafel erwarten. Zum Unglück hab ich eine sehr böse Laune. Es ist mir ganz unmöglich, unter Menschen zu gehn – Will Er einen Gang tun zu meinem Vater und mich entschuldigen?

LUISE (erschrickt und fällt schnell ein): Den Gang kann ja ich tun.

MILLER: Zum Präsidenten?

FERDINAND: Nicht zu ihm selbst. Er übergibt Seinen Auftrag in der Garderobe einem Kammerdiener – Zu Seiner Legitimation [87] ist hier meine Uhr – Ich bin noch da, wenn Er wiederkommt. – Er wartet auf Antwort.

LUISE (sehr ängstlich): Kann denn ich das nicht auch besorgen?

FERDINAND (zu Millern, der eben fort will): Halt, und noch etwas! Hier ist ein Brief an meinen Vater, der diesen Abend an mich eingeschlossen kam – Vielleicht dringende Geschäfte – Es geht in einer Bestellung hin –

MILLER: Schon gut, Baron!

LUISE (hängt sich an ihn, in der entsetzlichsten Bangigkeit): Aber, mein Vater, Dies alles könnt ich ja recht gut besorgen.

MILLER: Du bist allein, und es ist finstre Nacht, meine Tochter. (Ab.)

FERDINAND: Leuchte deinem Vater, Luise: (Währenddem, dass sie Millern mit dem Licht begleitet, tritt er zum Tisch und wirft Gift in ein Glas Limonade.) Ja! sie soll dran! Sie soll! Die obern Mächte nicken mir ihr schreckliches Ja herunter, die Rache des Himmels unterschreibt, ihr guter Engel lässt sie fahren –

SIEBENTE SZENE

Ferdinand und Luise.

Sie kommt langsam mit dem Lichte zurück, setzt es nieder und stellt sich auf die entgegengesetzte Seite vom Major, das Gesicht auf den Boden geschlagen und nur zuweilen furchtsam und verstohlen nach ihm hinüberschielend. Er steht auf der andern Seite und sieht starr vor sich hinaus.

(Großes Stillschweigen, das diesen Auftritt ankündigen muss.)

LUISE: Wollen Sie mich akkompagnieren, Herr von Walter, so mach ich einen Gang auf dem Fortepiano. (Sie öffnet den Pantalon.)

(Ferdinand gibt keine Antwort. Pause.)

LUISE: Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig. Wollen wir eine Partie, Herr von Walter?

(Eine neue Pause.)

LUISE: Herr von Walter, die Brieftasche, die ich Ihnen einmal zu sticken versprochen – Ich habe sie angefangen – Wollen Sie das Dessin nicht besehen?

(Wieder eine Pause.)

LUISE: O ich bin sehr elend! [88]

FERDINAND (in der bisherigen Stellung): Das könnte wahr sein.

LUISE: Meine Schuld ist es nicht, Herr von Walter, dass Sie so schlecht unterhalten werden.

FERDINAND (lacht beleidigend vor sich hin): Denn was kannst du für meine blöde Bescheidenheit?

LUISE: Ich hab es ja wohl gewusst, dass wir jetzt nicht zusammen taugen. Ich erschrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen Vater verschickten – Herr von Walter, ich vermute, dieser Augenblick wird uns beiden gleich unerträglich sein – Wenn Sie mir’s erlauben wollen, so geh ich und bitte einige von meinen Bekannten her.

FERDINAND: O ja doch, das tu. Ich will auch gleich gehn und von den meinigen bitten.

LUISE (sieht ihn stutzend an): Herr von Walter?

FERDINAND (sehr hämisch): Bei meiner Ehre! der gescheiteste Einfall, den ein Mensch in dieser Lage nur haben kann. Wir machen aus diesem verdrüsslichen Duett eine Lustbarkeit und rächen uns mit Hilfe gewisser Galanterieen an den Grillen der Liebe.

LUISE: Sie sind aufgeräumt, Herr von Walter?

FERDINAND: Ganz außerordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter mir her zu jagen! Nein! In Wahrheit, Luise. dein Beispiel bekehrt mich – du sollst meine Lehrerin sein. Toren sind’s, die von ewiger Liebe schwatzen, ewiges Einerlei widersteht, Veränderung nur ist das Salz des Vergnügens – Topp, Luise! Ich bin dabei – Wir hüpfen von Roman zu Romane, wälzen uns von Schlamme zu Schlamm – Du dahin – ich dorthin – Vielleicht, dass meine verlorene Ruhe sich in einem Bordell wieder finden lässt – Vielleicht, dass wir dann nach dem lustigen Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmsten Überraschung von der Welt zum zweiten Mal aufeinander stoßen, dass wir uns da an dem gemeinschaftlichen Familienzug, den kein Kind dieser Mutter verleugnet, wie in Komödien wieder erkennen, dass Ekel und Scham noch eine Harmonie veranstalten, die der zärtlichsten Liebe unmöglich gewesen ist.

LUISE: O Jüngling! Jüngling! Unglücklich bist du schon; willst du es auch noch verdienen?

FERDINAND (ergrimmt durch die Zähne murmelnd): Unglücklich bin ich? Wer hat dir das gesagt? Weib, du bist zu schlecht, und selbst zu empfinden – womit kannst du eines andern Empfindungen wägen? – Unglücklich, sagte sie? – Ha! dieses Wort könnte meine Wut aus dem Grabe rufen! Unglücklich musst’ ich werden, das wusste sie. Tod und Verdammnis! [89] das wusste sie und hat mich dennoch verraten – Siehe, Schlange! Das war der einzige Fleck der Vergebung – Deine Aussage bricht dir den Hals – Bis jetzt konnt’ ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beschönigen, in meiner Verachtung wärst du beinahe meiner Rache entsprungen. (Indem er hastig das Glas ergreift.) Also leichtsinnig warst du nicht – dumm warst du nicht – du warst nur ein Teufel. (Er trinkt.) Die Limonade ist matt wie deine Seele – Versuche!

LUISE: O Himmel! Nicht umsonst hab ich diesen Auftritt gefürchtet.

FERDINAND (gebieterisch): Versuche!

LUISE (nimmt das Glas etwas unwillig und trinkt).

FERDINAND (wendet sich, sobald sie das Glas an den Mund setzt, mit einer plötzlichen Erblassung weg und eilt nach dem hintersten Winkel des Zimmers).

LUISE: Die Limonade ist gut.

FERDINAND (ohne sich umzukehren, von Schauer geschüttelt): Wohl bekomm’s!

LUISE (nachdem sie es niedergesetzt): O wenn Sie wüssten, Walter, wie ungeheuer Sie meine Seele beleidigen.

FERDINAND: Hum!

LUISE: Es wird eine Zeit kommen, Walter –

FERDINAND (wieder vorwärts kommend): Oh! mit der Zeit wären wir fertig.

LUISE: Wo der heutige Abend schwer auf Ihr Herz fallen dürfte –

FERDINAND (fängt an stärker zu gehen und beunruhigter zu werden, indem er Schärpe und Degen von sich wirft): Gute Nacht, Herrendienst!

LUISE: Mein Gott! Wie wird Ihnen?

FERDINAND: Heiß und enge – Will mir’s bequemer machen.

LUISE: Trinken Sie! Trinken Sie! Der Trank wird Sie kühlen.

FERDINAND: Das wird er auch ganz gewiss – Die Metze ist gutherzig, doch! das sind alle!

LUISE (mit dem vollen Ausdruck der Liebe ihm in die Arme eilend): Das deiner Luise, Ferdinand?

FERDINAND (drückt sie von sich): Fort! Fort! Diese sanften schmelzenden Augen weg! Ich erliege. Komm in deiner ungeheuern Furchtbarkeit, Schlange spring an mir auf, Wurm – krame vor mir deine grässlichen Knoten aus, bäume deine Wirbel zum Himmel – so abscheulich, als dich jemals der Abgrund sah – Nur keinen Engel mehr – nur jetzt keinen Engel mehr – es ist zu spät – Ich muss dich zertreten wie eine Natter, oder verzweifeln – Erbarme dich! [90]

LUISE: Oh! dass es so weit kommen musste!

FERDINAND (sie von der Seite betrachtend): Dieses schöne Werk des himmlischen Bildners – Wer kann das glauben? – Wer sollte das glauben? (Ihre Hand fassend und emporhaltend.) Ich will dich nicht zur Rede stellen, Gott Schöpfer – aber warum denn dein Gift in so schönen Gefäßen? – – Kann das Laster in diesem milden Himmelstrich fortkommen? – O es ist seltsam.

LUISE: Das anzuhören und schweigen zu müssen!

FERDINAND: Und die süße melodische Stimme – Wie kann so viel Wohlklang kommen aus zerrissenen Saiten? (Mit trunkenem Aug auf ihrem Anblick verweilend.) Alles so schön – so voll Ebenmaß – so göttlich vollkommen! – Überall das Werk seiner himmlischen Schäferstunde! Bei Gott! als wäre die große Welt nur entstanden, den Schöpfer für dieses Meisterstück in Laune zu setzen! – – Und nur in der Seele sollte Gott sich vergriffen haben? Ist es möglich, dass diese empörende Missgeburt in die Natur ohne Tadel kam? (Indem er sie schnell verlässt.) Oder sah er einen Engel unter dem Meißel hervorgehen und half diesem Irrtum in der Eile mit einem desto schlechteren Herzen ab?

LUISE: O des frevelhaften Eigensinns! Ehe er sich eine Übereilung gestände, greift er lieber den Himmel an.

FERDINAND (stürzt ihr heftig weinend an den Hals): Noch einmal, Luise – Noch einmal, wie am Tag unsers ersten Kusses, da du Ferdinand stammeltest und das erste Du auf deine brennenden Lippen trat – O eine Saat unendlicher, unaussprechlicher Freuden schien in dem Augenblick wie in der Knospe zu liegen – Da lag die Ewigkeit wie ein schöner Maitag vor unsern Augen; goldne Jahrtausende hüpften wie Bräute vor unsrer Seele vorbei – – Da war ich der Glückliche! – O Luise! Luise! Luise! Warum hat du mir das getan?

LUISE: Weinen Sie, weinen Sie, Walter. Ihre Wehmut wird gerechter gegen mich sein als Ihre Entrüstung.

FERDINAND: Du betrügst dich. Das sind ihre Tränen nicht – Nicht jener warme wollüstige Tau, der in die Wunde der Seele balsamisch fließt und das starre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt. Es sind einzelne – kalte Tropfen – das schauerliche ewige Lebewohl meiner Liebe. (Furchtbar feierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf sinken lässt.) Tränen um deine Seele, Luise – Tränen um die Gottheit, die ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die so mutwillig um das herrlichste ihrer Werke kommt – O mich deucht, die ganze Schöpfung sollte den Flor anlegen und über das Beispiel betreten sein, das in ihrer [91] Mitte geschieht – Es ist was Gemeines, dass Menschen fallen und Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engel wütet, so rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.

LUISE: Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Walter. Ich habe Seelenstärke, so gut wie eine – aber sie muss auf eine menschliche Probe kommen. Walter, das Wort noch und dann geschieden – – Ein entsetzliches Schicksal hat die Sprache unsrer Herzen verwirrt. Dürft ich den Mund auftun, Walter, ich könnte dir Dinge sagen – ich könnte – – aber das harte Verhängnis band meine Zunge wie meine Liebe, und dulden muss ich’s, wenn du mich wie eine gemeine Metze misshandelst.

FERDINAND: Fühlst du dich wohl, Luise?

LUISE: Wozu diese Frage?

FERDINAND: Sonst sollte mir’s leid um dich tun, wenn du mit einer Lüge von hinnen müsstest.

LUISE: Ich beschwöre Sie, Walter –

FERDINAND (unter heftigen Bewegungen): Nein! Nein! Zu satanisch wäre diese Rache! Nein, Gott bewahre mich! In jene Welt hinaus will ich’s nicht treiben – Luise! Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen.

LUISE: Fragen Sie, was Sie wollen. Ich antworte nichts mehr. (Sie setzt sich nieder.)

FERDINAND (ernster): Sorge für deine unsterbliche Seele, Luise! – Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen.

LUISE: Ich antworte nichts mehr.

FERDINAND (fällt in fürchterlicher Bewegung vor ihr nieder): Luise! Hast du den Marschall geliebt? Ehe dieses Licht noch ausbrennt – stehst du – vor Gott!

LUISE (fährt erschrocken in die Höhe): Jesus! Was ist das? – – – und mir wird sehr übel. (Sie sinkt auf den Sessel zurück.)

FERDINAND: Schon? – Über euch Weiber und das ewige Rätsel! Die zärtliche Nerve hält Freveln fest, die die Menschheit an ihren Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arsenik wirft sie um –

LUISE: Gift! Gift! O mein Herrgott!

FERDINAND: So fürcht ich. Deine Limonade war in der Hölle gewürzt. Du hast sie dem Tod zugetrunken.

LUISE: Sterben! Sterben! Gott allbarmherziger! Gift in der Limonade und sterben! – O meiner Seele erbarme dich, Gott der Erbarmer!

FERDINAND: Das ist die Hauptsache. Ich bitt ihn auch darum.

LUISE: Und meine Mutter – mein Vater – Heiland der Welt! mein [92] armer, verlorener Vater! Ist keine Rettung mehr? Mein junges Leben und keine Rettung! und muss ich jetzt schon dahin?

FERDINAND: Keine Rettung, musst jetzt schon dahin – aber sei ruhig. Wir machen die Reise zusammen.

LUISE: Ferdinand, auch du! Gift, Ferdinand! Von dir? O Gott, vergiss es ihm – Gott der Gnade, nimm die Sünde von ihm –

FERDINAND: Sieh du nach deinen Rechnungen – Ich fürchte, sie stehen übel.

LUISE: Ferdinand! Ferdinand! – Oh – Nun kann ich nicht mehr schweigen – Der Tod – der Tod hebt alle Eide auf – Ferdinand – Himmel und Erde hat nichts Unglückseligeres als dich! – Ich sterbe unschuldig, Ferdinand.

FERDINAND (erschrocken): Was sagt sie da? – Eine Lüge pflegt man doch sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?

LUISE: Ich lüge nicht – lüge nicht – hab nur einmal gelogen mein Leben lang – Hu! wie das eiskalt durch meine Adern schauert – – als ich den Brief schrieb an den Hofmarschall –

FERDINAND: Ha! Dieser Brief! – Gottlob! Jetzt hab ich all meine Mannheit wieder.

LUISE (ihre Zunge wird schwerer, ihre Finger fangen an gichterisch zu zucken): Dieser Brief – Fasse dich, ein entsetzliches Wort zu hören – Meine Hand schrieb, was mein Herz verdammte – dein Vater hat ihn diktiert.

FERDINAND (starr und einer Bildsäule gleich, in langer toter Pause hingewurzelt, fällt endlich wie von einem Donnerschlag nieder).

LUISE: O des kläglichen Missverstands – Ferdinand – man zwang mich – vergib – deine Luise hätte den Tod vorgezogen – aber mein Vater – die Gefahr – sie machten es listig.

FERDINAND (schrecklich emporgeworfen): Gelobet sei Gott! Noch spür und das Gift nicht. (Er reißt den Degen heraus.)

LUISE (von Schwäche zu Schwäche sinkend): Weh! Was beginnst du? Es ist dein Vater –

FERDINAND (im Ausdruck der unbändigsten Wut): Mörder und Mördervater! – Mit muss er, dass der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase. (Will hinaus.)

LUISE: Sterbend vergab mein Erlöser – Heil über dich und ihn (Sie stirbt.)

FERDINAND (kehrt schnell um, wird ihre letzte sterbende Bewegung gewahr und fällt in Schmerz aufgelöst vor der Toten nieder): Halt! Halt! Entspringe mir nicht, Engel des Himmels! (Er fasst ihre Hand an und lässt sie schnell wie fallen.) Kalt, kalt und feucht! Ihre Seele ist dahin. (Er springt wieder auf.) [93] Gott meiner Luise! Gnade! Gnade dem verruchtesten der Mörder! Es war ihr letztes Gebet! – – Wie reizend und schön auch ihr Leichnam! Der gerührte Würger ging schonend über diese freundlichen Wangen hin – Diese Sanftmut war keine Larve, sie hat auch dem Tod standgehalten. (Nach einer Pause.) Aber wie? Warum fühl ich nichts? Will die Kraft meiner Jugend mich retten? Undankbare Mühe! Das ist meine Meinung nicht. (Er greift nach dem Glase.)

LETZTE SZENE

Ferdinand: Der Präsident. Wurm und Bediente, welche alle voll Schrecken ins Zimmer stürzen; darauf Miller mit Volk und Gerichtsdienern, welche sich im Hintergrund sammeln.

PRÄSIDENT (den Brief in der Hand): Sohn, was ist das? – Ich will doch nimmermehr glauben –

FERDINAND (wirft ihm das Glas vor die Füße): So sieh, Mörder!

PRÄSIDENT (taumelt hinter sich. Alle erstarren. Eine schröckhafte Pause.): Mein Sohn! warum hast du mir das getan?

FERDINAND (ohne ihn anzusehen): O ja freilich! Ich hätte den Staatsmann erst hören sollen, ob der Streich auch zu seinen Karten passe? – Fein und bewundernswert, ich gesteh’s, war die Finte, den Bund unsrer Herzen zu zerreißen durch Eifersucht – Die Rechnung hatte ein Meister gemacht, aber schade nur, dass die zürnende Liebe dem Draht nicht so gehorsam blieb wie deine hölzerne Puppe.

PRÄSIDENT (sucht mit verdrehten Augen im ganzen Kreise herum): Ist hier niemand, der um einen trostlosen Vater weinte?

MILLER (hinter der Szene rufend): Lasst mich hinein! Um Gottes willen! Lasst mich!

FERDINAND: Das Mädchen ist eine Heilige – für sie muss ein anderer rechten. (Er öffnet Millern die Türe, der mit Volk und Gerichtsdienern hineinstürzt.)

MILLER (in der fürchterlichsten Angst): Mein Kind! Mein Kind! – Gift – Gift, schreit man, sei hier genommen worden – Meine Tochter! Wo bist du?

FERDINAND (führt ihn zwischen den Präsident und Luisens Leiche): Ich bin unschuldig – Danke Diesem hier.

MILLER (fällt an ihr zu Boden): O Jesus!

FERDINAND: In wenig Worten, Vater – Sie fangen an mir kostbar [94] zu werden – Ich bin bübisch um mein Leben bestohlen, bestohlen durch Sie. Wie ich mit Gott stehe, zittre ich – doch ein Bösewicht bin ich niemals gewesen. Mein ewiges Los falle, wie es will – auf Sie fall es nicht – Aber ich hab einen Mord begangen, (mit furchtbar erhobener Stimme) einen Mord, den du mir nicht zumuten wirst, allein vor den Richter der Welt hinzuschleppen; feierlich wälz ich dir hier die größte grässlichste Hälfte zu, wie du damit zurecht kommen magst, siehe du selber! (Ihn zu Luisen hinführend.) Hier, Barbar! Weide dich an der entsetzlichen Frucht deines Witzes, auf dieses Gesicht ist mit Verzerrungen dein Name geschrieben, und die Würgengel werden ihn lesen – Eine Gestalt wie diese ziehe den Vorhang von deinem Bette, wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand – Eine Gestalt wie diese stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein letztes Gebet weg – Eine Gestalt wie diese stehe auf deinem Grabe, wenn du auferstehst – und neben Gott, wenn er dich richtet. (Er wird ohnmächtig. Bediente halten ihn.)

PRÄSIDENT (eine schreckliche Bewegung des Arms gegen den Himmel): Von mir nicht, von mir nicht, Richter der Welt, fordre diese Seelen von diesem! (Er geht auf Wurm zu.)

WURM (auffahrend): Von mir?

PRÄSIDENT: Verfluchter, von dir! Von dir, Satan! – Du, du gabst den Schlangenrat – Über dich die Verantwortung – ich wasche die Hände.

WURM: Über mich? (Er fängt grässlich an zu lachen.) Lustig! Lustig! So weiß ich doch nun auch, auf was Art sich die Teufel danken. – Über mich, dummer Bösewicht? War es mein Sohn? War ich dein Gebieter? – Über mich die Verantwortung? Ha! bei diesem Anblick, der alles Mark in meinen Gebeinen erkältet! Über mich soll sie kommen! – Jetzt will ich verloren sein, aber du sollst es mit mir sein – Auf! Auf! Ruft Mord durch die Gassen! Weckt die Justiz auf! Gerichtsdiener, bindet mich! Führt mich von hinnen! Ich will Geheimnisse aufdecken, dass denen, die sie hören, die Haut schauern soll. (Will gehen.)

PRÄSIDENT (hält ihn): Du wirst doch nicht, Rasender?

WURM (klopft ihn auf die Schulter): Ich werde, Kamerad! Ich werde – Rasend bin ich, das ist wahr – das ist dein Werk – so will ich auch jetzt handeln wie ein Rasender – Arm in Arm mit dir zum Blutgerüst! Arm in Arm mit dir zur Hölle! Es soll mich kitzeln, Bube, mit dir verdammt zu sein! (Er wird abgeführt.)

MILLER (der die ganze Zeit über, den Kopf in Luisens Schoß gesunken, in stummem Schmerz gelegen hat, steht schnell auf [95] und wirft dem Major die Börse vor die Füße): Giftmischer! Behalt dein verfluchtes Gold! – wolltest du mir mein Kind damit abkaufen? (Er stürzt aus dem Zimmer.)

FERDINAND (mit brechender Stimme): Geht ihm nach! Er verzweifelt – Das Geld hier soll man ihm retten – Es ist meine fürchterliche Erkenntlichkeit. Luise – Luise – Ich komme – – Lebt wohl – – Lasst mich an diesem Altar verscheiden –

PRÄSIDENT (aus einer dumpfen Betäubung, zu seinem Sohn): Sohn Ferdinand! Soll kein Blick mehr auf einen zerschmetterten Vater fallen?

(Der Major wird neben Luisen niedergelassen.)

FERDINAND: Gott dem Erbarmenden gehört dieser letzte.

PRÄSIDENT (in der schrecklichsten Qual vor ihm niederfallend): Geschöpf und Schöpfer verlassen mich – Soll kein Blick mehr zu meiner letzten Erquickung fallen?

FERDINAND (reicht ihm seine sterbende Hand).

PRÄSIDENT (steht schnell auf): Er vergab mir! (Zu den Andern.) Jetzt euer Gefangener! (Er geht ab, Gerichtsdiener folgen ihm, der Vorhang fällt.)

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