Königs Weinberg und das letzte Wild im dortigen Thiergarten

Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Königs Weinberg und das letzte Wild im dortigen Thiergarten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24–25, S. 378–379; 388–391
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.

Von Guido Hammer.
Nr. 17. Königs Weinberg und das letzte Wild im dortigen Thiergarten.


Früher, als König Friedrich August II. von Sachsen noch lebte, der seine höchsten Freuden in Gottes schöner Natur suchte und fand, indem er nicht nur die Schönheit derselben mit voller Macht auf sein Herz einwirken ließ, sondern auch einem Zweige der herrlichen Schöpfung unseres Erdballes – dem Pflanzenreiche – mit ernstem Studium oblag, befand sich auf seinem Weinberge ein kleiner, aber gut bestandener und gepflegter Wildpark, dessen ich mit besonderer Vorliebe gedenke. Hier war es, wo mir der Sinn für meinen späteren Beruf, die Thiermalerei, so recht eigentlich geweckt wurde, und das öftere, tagelange Verweilen an diesem Lieblingsplätze gehört zu meinen seligsten Erinnerungen.

„Königs Weinberg“, wie die Besitzung der jetzigen Königin Wittwe noch immer genannt wird, ist eine anspruchslose, aber reizende Villa auf den Höhenzügen des rechten Elbufers, die sich von Pillnitz bis nach Dresden erstrecken, ungefähr in der Mitte zwischen beiden, oberhalb des malerischen Dorfes Wachwitz gelegen. Umgeben von Park und Weingehängen bietet dieser herrliche Landsitz dem Auge eine wundervolle Aussicht dar. Unter sich hat man den üppig grünenden Vorgrund der Parkanlagen, welche die am Fuße des Berges liegenden Ortschaften traulich einrahmen; darüber hin den reizend schönen Blick auf das Elbthal, sowohl stromauf- als abwärts; nach jener Richtung auf die blauduftig und in phantastischen Formen emporsteigende sächsische Schweiz mit fernen Böhmergebirgen, nach diesen hin über freundliche Dörfer, geschmackvolle Villen und prächtige Schlösser auf die gethürmte Residenz; mitten hindurch aber der liebliche Fluß, die Elbe. Strebt aber der Blick gerad’ aus, so gleitet er über die Fläche des herrlichen Stromes nach sanft ansteigenden Fluren und waldigem Hügelland, bis er endlich von den feinen Linien des Erzgebirges und einzelner dahinter hervorragender böhmischer Bergriesen gefesselt bleibt. In noch vollkommenerem Maße genießt man diese bezaubernde Umschau, wenn man durch den den königlichen Ruhesitz umgebenden Park, der auch noch eine kleine gothische Capelle mit großem gemaltem Fenster birgt, einem Meisterwerk der modernen Glasmalerei, dessen Urheber Julius Hübner und Scheinert in Meißen sind, weiter hinauf auf das Plateau des Bergrückens steigt. Hier oben erwartete einst den Besucher auch noch ein anderer Genuß, indem daselbst, die höchste Fläche einnehmend, der Thiergarten lag. Er umschloß nicht nur ein Stück mit Kiefernhochwald bestandener Hochebene, sondern auch einen kleinen reizenden, nach Norden abfallenden Waldgrund, in dessen Tiefe ein rauschendes, silberklares Büchlein dahinschießt. Auf der Fläche, unter den goldstämmigen Kiefern, standen die Wildraufen und Schuppen, weshalb das Wild – Hoch- und Damwild – zumeist an dieser Stelle sich aufzuhalten pflegte, und hier war es denn auch, wohin mich – da damals die königliche Besitzung für Jedermann geöffnet war – meine Sehnsucht immer und immer wieder hintrieb; denn mit meinem Schicksal, Maler werden zu sollen, oft hadernd, da ich viel lieber die grüne Piquesche, Hirschfänger und Gewehr getragen hätte und als Jäger durch Wald und Flur gestreift wäre, fand ich hier Ersatz, wo ich das Wild, das ich von Kindheit an vorzugsweise geliebt, nach Herzenslust beobachten konnte. Natürlich zeichnete ich, da ich diese Fähigkeit nun einmal besaß, mit Vorliebe meine Lieblinge und ließ deshalb um so mehr die trockenen Gypsköpfe auf der Akademie Gypsköpfe sein. Dennoch überfiel mich oft, wenn ich in dieser Weise wochen-, ja monatelang die Akademie „geschwänzt“ halte, ob meiner Faulheit der moralische Katzenjammer; denn ich hielt, offen gestanden, meine Ausflüge selbst für müßige Lungerei; wahrscheinlich nur darum, weil ich Lust und Freude dabei empfand und glaubte, das gediegene, pflichtgemäße Studium müsse absolut anstrengend und von peinigender Langeweile sein; gerade wie überfromme Leute, die die irdische Freude au Gottes schönen Gaben für Sünde halten und nur in der Kasteiung und Entsagung selbst der harmlosesten Genüsse das Heil des Himmels erblicken.

Aus diesem Grunde ließ ich mich von Zeit zu Zeit wieder einmal in der Akademie blicken, mit dem besten Vorsatze, auf mein ruheloses Waldlaufen zu verzichten und ein fleißiger Mensch zu werden. Ach, und trotzdem, wie manches strafende Wort aus Meistersmund mußte ich vernehmen, wenn ich mein langes Ausbleiben mit dem Studium meiner Thierwelt zu entschuldigen suchte und zum Beleg meine Skizzenbücher vorzeigte. „Das sind faule Fische,“ hieß es, „damit wollen Sie nur Ihr Gewissen beschwichtigen, wenn Sie draußen müßig umherstreifen.“ Obwohl ich aber dergleichen Vorwürfe für vollkommen begründet hielt, siegte doch mein angeborener Trieb, und es litt mich nicht lange in den Räumen des Lehrgebäudes, aus dessen Fenstern man mein Asyl in sonnigem Glanze liegen sehen konnte. Ich war deshalb bald wieder einmal auf eine Weile den Herren Professoren aus den Augen. Konnt’ ich’s doch nicht lassen – ich mußte wieder hinaus in’s Freie, und am liebsten war ich entweder in Moritzburg oder auf „Königs Weinberg“. Mit welcher Wonne ich dann hier am Wildzaune stand oder oben aufsaß – denn in den Thiergarten hineinzugehen, war mir verwehrt, da mir das Trinkgeld dafür zu jener Zeit in höchst seltenen Fällen zu Gebote stand – läßt sich kaum beschreiben. Wie wunderbar erquicklich waren solche Tage, an denen das Herz, von Frühlingsahnungen geschwellt, dem Auge die Gabe verlieh, den feinen, unnennbaren Farbenton, der das lebendige Regen der noch unverschlossenen Knospen bekundet, zu erkennen.

Brach dann der wirkliche wildlustige, sonnendurchwobene, wonnevolle Lenz herein, und ich schritt durch die Berggassen der obst- und weinreichen Anhöhen meinem Eldorado zu und schaute hinab auf den rosigen Frühlingsschmuck der Pfirsichbäume, der sich mit dem blendenden Blüthenschnee der Kirsche mengte, während von den Fluren die gelben Rübsenfelder, wenn auch nicht harmonisch schön, doch herzerfreuend in ihrer goldenen Keckheit herüber leuchteten, so vergaß ich alle trüben Erinnerungen und lauschte frohgemuth dem Rufe des Kuckucks im nahen Walde oder dem melodischen Accord des Pirols und den Hunderten von andern Vogelstimmen; oder ich betrachtete das geschäftige Treiben der Insectenwelt auf blumiger Halde, wo die fleißigen Bienchen den frischen Nektar aus Tausenden von Kelchen nippten, die bisweilen auch von einer brummenden Hummel in Anspruch genommen wurden.

Auch der hohe Sommer, der mit sengender Gluth über den Bergen lag, fand mich hier oben; manchen lieben langen Tag lag ich im Haidekraute und erfreute mich, da zu dieser Tageszeit das Wild das schattenreiche Gründchen aufsuchte, ich also bis Abends warten mußte, um es herausziehen zu sehen, einstweilen an dem kleinen krabbelnden Gethier, das am Boden der Haide geschäftig hin und her lief. Wie oft habe ich da den nimmerrastenden Ameisen zugeschaut, wenn sie auf ihren Stegen Baumaterial oder Fraß zur gemeinsamen Häuslichkeit schafften, oder das banditenhafte Gebahren des Ameisenlöwen beobachtet, der in seinem sichern Versteck, der Tiefe des von ihm verfertigten Sandtrichters, saß und lauernd auf eine Ameise, Spinne, Käferchen oder sonst ein kleines Geschöpf wartete, das sich unvorsichtiger Weise seiner Grube näherte und hinabrutschte. Wollte es nun, die Gefahr erkennend, den unheimlichen Rand fliehen, so warf das beutegierige, zangenbewaffnete kleine Ungeheuer mit Sandkörnern aus seiner Tiefe hervor, daß die losen Wände des Trichters in’s Rollen kamen und das ausersehene Opfer unfehlbar in sein furchtbares Grab hinabrissen. Dann kamen wohl auch, lag ich recht still, perläugige flinke Eidechsen dicht an mich heran und schlüpften eilig über das Haidekraut hin.

Nicht mindern Reiz bot der Herbst, der die Knospen der Eriken erschloß und sie früh mit Thau und seinen Spinnenfäden umwob, um diese dann von der Tageswärme emporheben und in langen Strähnen von der Luft tragen zu lassen. Abends stiegen die weißen Nebel auf, und mit ihnen verbreitete sich das eigenthümliche [379] Aroma, das Wald-und Feld entströmte. Nun lauschte man nicht mehr dem Vogelgesang, denn dieser war längst verstummt, sondern dem hellen Lockruf der Rebhübner, die in Feldern und Weinbergen ihre Familien sammelten; manches Mitglied mochte fehlen, wenn den Tag über das mörderische Blei des Jägers unter ihnen gewüthet hatte. Später kamen die rauhen, stürmischen Tage, die die Natur fahl machten und entlaubten. Der Sturm heulte hohl durch die Kiefernwipfel und jagte die Wolken vom Norden her über die Elbe hin, bis die bewegte Luft Ruhe fand und der Himmel sich mit monotonem Grau überzog, das sich wohl, zur Freude aller Jäger, als flockiger Schnee zur Erde ließ und so die erste „Neue“ bildete.

Auch dann, nachdem der Winter gekommen, unterließ ich nicht, meinen Lieblingsort zu besuchen, um mich an dem Reiz des Spürens auf schneeiger Fläche zu ergötzen. Doch zu jeder Jahreszeit blieb mir die Beobachtung des Wildes selbst die Hauptsache. Im zeitigen Frühjahr z. B. verfolgte ich den Verlauf des Abwerfens der Geweihe der Hirsche, später das Verfärben derselben und des Wildes, das Setzen der Kälbchen und das Gebahren dieser lieblichen Geschöpfe. Kam die Brunstzeit, so erfreute ich mich an dem stolzen, mannhaften Auftreten der Hirsche, an ihren gegenseitigen Kämpfen und machtvollem Schrei. Der Winter bot zugleich manches malerische Interesse, da zu dieser Zeit das Wild in seiner nüancirten Färbung im schneebelasteten Walde eine wahre Augenweide war. Wie schon erwähnt, mußten sich meine Anschauungen zumeist mit dem Blick durch den Zaun oder von ihm herab begnügen. Ausnahmsweise war ich jedoch mitunter in der Lage, ein Zweigroschenstück daran wenden und Einlaß fordern zu können. Dann rief ich, im Gefühle meiner Zahlungsfähigkeit, mit lauter Stimme des Wildwärters Namen: „Menzel!“ Dieser Lockton ließ denn auch sehr bald die Thüre des Wildschuppens, wo der Mann gewöhnlich beschäftigt war, erknarren und die lange, markige Gestalt des Gerufenen sichtbar werden. Mit Ruhe erschloß er nun auch eine innere Thür des Wildparks und kam schlürfenden Schrittes einen Fichtengang herauf, um das äußere Thor zu öffnen und dem Bezahlenden den Eintritt zu gewähren.

Im Innern kam man dem Hochwilde näher, das, scheuer als das Damwild, selten bis an den Zaun herantrat und, wenn es geschah, bei Annäherung eines Menschen sich zurückzog, hier aber, an den Besuch von Menschen gewöhnt, ihnen weniger auswich. Zur Brunstzeit jedoch mußte man in besonders angebrachte Verzäunungen treten, da dann die Hirsche gewöhnlich so bös wurden, daß sie auf jeden Menschen losgingen. War es doch hier vorgekommen, daß ein starker Hirsch den damaligen Leibschützen Petzold angenommen und denselben bereits mit den Augensprossen unter dem Hirschfängergurt gefaßt und empor gehoben hatte, um ihn gegen eine steinerne Säule der Wildfütterung zu drücken, was jedenfalls seinen Tod zur Folge gehabt haben würde, wenn nicht sein elfjähriges Söhnchen, das außen am Zaune gestanden, wohin auch der Vater seine Büchse gestellt gehabt, das Gewehr mit wahrhaft männlicher Entschlossenheit ergriffen und damit den Hirsch unter seines Vaters Leibe todtgeschossen hätte.

So hatte ich manches Jahr die mir lieb und heimisch gewordene Oertlichkeit besucht, als durch den traurigen Tod des Königs Friedrich August eine Aenderung eintreten sollte. Ein halbes Jahr darauf wurde der Beschluß gefaßt, den Thiergarten eingehen zu lassen. Zu diesem Behufe war sämmtliches Wild – Roth- und Damwild – mit Ausnahme des stärksten Edelhirsches, der nach Moritzburg in den dortigen königlichen Thiergarten versetzt werden sollte, lebend verkauft und einzufangen befohlen worden. Rechtzeitig hatte ich Nachricht davon erhalten und versäumte nicht, dabei gegenwärtig zu sein. Mit Wehmuth gedenke ich dieses Tages, einmal weil mein Lieblingsaufenthalt seines Zaubers beraubt wurde, dann aber auch, weil das Einfangen mir noch immer betrübende Vorstellungen erweckt.

Es war am 1. März 1855, einem Tage, der eher dem Januar, als einem frühlingverheißenden Monat anzugehören schien. Die volle weiße Winterdecke hüllte die Natur ein, und eisiger Nordwind strich über dieselbe hin, als wir, ich und der königliche Fasanenjäger K., uns am frühen Morgen auf den Weg machten. Mit Lust schritt ich neben meinem Begleiter her, der, ein leidenschaftlicher Jäger, keine Fährte außer Acht ließ, da der Schnee frisch war, also eine Neue bildete. Mit Verwunderung nahm ich jedoch auf diesem Wege wahr, daß mein Gesellschafter, der sonst von nichts Anderem als vom Waidwerke sprach, heute mit Exaltation nur für seine „Kleine“ Worte fand. Er redete von ihr mit einer Zärtlichkeit, die ich seinem rauhen Jägerherzen nie zugetraut hätte; nun sah ich, daß dasselbe auch Raum für das schöne Geschlecht habe, und bekam doppelten Respect vor ihm, da ich ihn von so menschlicher Seite kennen lernte; ich blieb aber deshalb auch discret und fragte nicht nach der Angebeteten Namen, deren Tugend und Liebenswürdigkeit ich still im Geiste verehrte. Im Verlauf der weiteren Mittheilungen reimte ich mir zusammen, daß sie wohl eine reizende junge Wittwe sein möge, da der wackere Waidmann von ihrem „göttlichen Mädel, der Liddi,“ sprach, und zollte ihm meine lebhafte Bewunderung, daß er an einer vaterlosen Waise so innigen Antheil nehme. Indem ich meine Freude über sein Glück äußerte, gab er mir die Versicherung, daß er dieses auch lebhaft fühle, und ehe er sie, Mutter und Kind, anderen Händen überließe, würde er lieber Beide todtschießen. Ich hielt diesen Ausspruch für einen Kernausdruck seiner Jägernatur und erwiderte einfach: das glaubte ich denn doch nicht. Hitzig entgegnete er mir, er habe für seine „Kleine“ von einem reichen Rittergutsbesitzer bereits 80 Thaler in Gold geboten bekommen, aber er habe sie nicht hingegeben, denn Niemand sollte „seine Race“ haben. Jetzt ging mir ein Licht auf – er hatte von keiner Braut, sondern von seinen Hunden gesprochen. Seitdem ist er längst verheirathet, und hoffentlich haben es Frau und Kinder bei dem vortrefflichen Menschen so gut, wie seine vierbeinigen Jagdgefährten. Mit nicht minderem Enthusiasmus sprach er von seinen Gewehren, so daß man fast hätte vermuthen sollen, er finde es eigentlich beklagenswerth, daß man eine Flinte nicht heirathen könne. In reger Unterhaltung kamen wir spielend an unser Ziel, wo bereits der Zeugwagenmeister, die Zeugdiener und die Stallleute, sowie das betheiligte Jagdpersonal versammelt waren.

[388] In einem kleinen traulichen Häuschen, das früher als Vogelheerd dem Prinzen Max, der leidenschaftlicher Vogelsteller war, gedient hatte, wurde so lange um den warmen Ofen herum bei Erzählung lustiger Jägerschnaken – denn wo Genossen der grünen Farbe zusammenkommen, geht es immer heiter zu – gewartet, bis die bestellten Treibeleute eintrafen. Da das Terrain des Thiergartens [389] nicht groß war und zum größten Theil aus dem schon erwähnten, ziemlich steil abfallenden Grunde bestand, den kleineren Theil dagegen das hochwaldbestandene Plateau ausmachte, wo sämmtliches Wild seinen Hauptstand hatte, so hatte man den Theil am Grunde hin quer durchgestellt, während die drei anderen Seiten die Thiergartenvermachung bildete. Auf der den gestellten Netzen gegenüberliegenden Seite befand sich überdies außer dem Zaune noch ein Stück Ackerland, das, für den Futterbedarf des Wildes bestimmt, ebenfalls Vermachung hatte. An dieses Ackerstück, natürlich innerhalb des Wildparkes, wurden nun die Leute angelegt, und das erste möglichst ruhig gehaltene Treiben begann. Das Wild war schon ziemlich rege, da es, das sonst so ungestörte, ängstlich die ihm fremden Anstalten betrachtete. Während sich das meiste Damwild bei diesem ersten Anlaß schlau durch die Treiberlinie an den Seiten drückte, wurde der Trupp Hochwild, irre ich nicht, achtundzwanzig Stück, flüchtig und zwar gerade auf die Netze zu.

Das Einfangen des Wildes.

Doch hier angekommen, prallten sie zurück, machten Kehrt und durchbrachen in stürmendem, unaufhaltsamem Lauf die Treiberlinie, ihrem gewohnten Stande zufliehend. Hier Halt machend, äugten sie in nun schon höchst erregtem Zustande auf die jetzt am Zaune hinschreitenden Menschen, die, um sie abermals zu treiben, sich von Neuem anlegen mußten. Diesmal ließ sich der Trupp, dem sich nun auch Damwild beigesellte, nicht lange nöthigen, und donnernden Laufes stürzten die Massen abermals auf gewohntem Wechsel dem Grunde zu, den heute die hemmenden Netze versperrten. Jetzt unternahm es ein Hirsch, in rasendem Anlauf die Netze zu überfallen. Doch da dieselben so hoch gestellt waren, daß dies Wagniß selbst einem Hirsch nicht so leicht gelingen konnte, so flog er in die Banden hinein, die ihn, indem er sie herabriß, nebst zwei ihm auf den Fersen gefolgten Stück Wild deckten. Wie Sturmwind ging der Troß über die Gefallenen dahin, und in ungeheueren Bogensätzen die Cameraden und die sie fesselnden Garne überfliegend, drängte sich Hoch- und Damwild dicht zusammen und floh in tollster Hast, manche sich dabei überstürzend, hinab in den Grund, um sofort die andere Höhenseite emporzuhetzen, wo ihnen die jenseitige Planke des Thiergartens Stillstand gebot.

Unterdessen warf sich, was Hände hatte, auf die Gefangenen, um sie aus ihren Banden zu befreien und dafür in die schon bereit stehenden Transportkästen zu stecken. Dem Hirsch wurde nun erst das Geweih, welches er noch trug, abgesägt, weil er sonst in seinem engen Gefängniß nicht Raum genug gehabt haben würde. Man stelle sich nur vor, wie einem Hirsche, den niemals eine [390] Menschenhand berührte, zu Muthe sein muß, wenn er, durch die umstrickenden Fesseln fest gebannt und seine Glieder von Fäusten juchzender Bauern gepackt fühlend, seines Hauptschmuckes durch die unheimlich schnarchende Säge beraubt wird! Das gehetzte, seinen Feinden erliegende herrliche Geschöpf erwartet mit weitaufstehenden Nasenlöchern und heraushängender Lecke, die Lichter in schmerzvoller Pein verdrehend, sein Schicksal – in solchen und ähnlichen Zuständen mag wohl das feuchte Weiß im angsterfüllten Auge zu der Sage Veranlassung gegeben haben, daß der edle Hirsch in der Stunde des Todes helle Thränen weine.

Rasch waren diese ersten Gefangenen in die bereit stehenden Behälter gebracht, worin sie sich, wie alles Wild, vom Augenblick der engen Gefangenschaft an, vollkommen ruhig benahmen. Nun war die nächste Aufgabe, das Wild von der andern Seite des Grundes, wo der ganze Trupp jetzt stand, auf das Plateau zurück zu bringen, um dann die Netze hinter ihnen wieder zu heben und das Treiben von Neuem zu beginnen. In zitternder Hast floh der geängstigte Haufe bei Annäherung der Treiber seinem alten Stand zu, und schnell erhob sich hinter ihnen die verhängnißvolle Netzwand, gegen die die Verfolgten nun abermals getrieben wurden. Während ein Theil derselben den Netzen zuprallte, durchbrach ein anderer die Treiberlinie, wobei ein altes Thier versuchte, den Zaun, der das Ackerland vom Wildpark trennte, zu überfallen. Er war jedoch zu hoch, so daß es zu kurz sprang und dadurch mit der vollen Wucht seines Körpers die oberste, etwa vierzöllige Stange zerbrach. Die Splitter flogen weit umher, aber das Thier entkam wirklich auf den Acker. Da es dort nicht entfliehen konnte, so ließ man es vor der Hand ruhig gehen. Mich interessirte der Fall zu sehr, als daß ich nicht die Wirkung des kühnen Sprunges hätte näher betrachten sollen, besonders da der Haupttrupp diesmal, bis auf ein Schmalthier, das sich fing, über die das letztere deckenden Netze hinwegfloh. Ich fand, daß jenes Thier sich nicht unbedeutend verletzt, nämlich beim Durchbruch sich ein Stück Haut aus der Seite gerissen, das, von der Größe eines Handtellers, auf dem Schnee lag; auch bezeichnete die fortgehende Schweißfährte die erhebliche Verwundung. Beim abermaligen Herumholen des wieder über den Grund geflohenen Truppes entdeckte ich auch noch, daß ein weißer Damhirsch sich, schlau wie ein Fuchs, unter ein das Thalbächlein überspannendes steinernes Brückchen gedrückt hatte und hier ruhig allen Lärm an sich vorüber gehen ließ. Man gestattete ihm vor der Hand diesen Zufluchtsort, bis er zuletzt herausgestöbert und ebenfalls gefangen genommen wurde. In fiebernder Aufgeregtheit folgte der gehetzte Trupp nun abermals, da ihm kein anderer Ausweg blieb, dem Dränge der Nothwendigkeit und stürzte dem Fangplatz zu. Wieder stiegen die Netze empor, und wieder flogen die Massen darüber hin. Es ist mir heute noch unbegreiflich, wie es möglich war, daß nicht sämmtliches Wild Hals und Läufte brach, wenn es, da die Netze unmittelbar am Hange, statt ein Stück herein nach der Ebene zu, gestellt waren, mit ungeheuern Sätzen über dieselben hinflog und den jähen Hang hinunter stürmte, wo der steinröllige Boden vom frischgefallenen Schnee noch außerdem schlüpfrig geworden war. Schweiß von geschundenen Gliedern fand man allerdings überall. Mir galt es, möglichst viel und Interessantes zu beobachten, und so postirte ich mich jetzt dicht an die Netze hinter eine starke Kiefer, um den wie anbrandende Wogen herandonnernden Trupp in seiner höchsten Action vor mir zu haben. Hier sah ich denn auch, wie einem Stück Wild, das über seine gefangenen Geschwister mit weitschießendem Sprunge hinwegsetzte, der gefährliche Abhang verderbenbringend wurde; beim Aufsetzen auf die schroff abfallende Fläche kam es zum Stürzen, und indem es radschlagend hinabschoß, hörte ich des in die Tiefe rollenden Thieres klatschenden Schlag in’s Wasser. Beim abermaligen Herumholen des noch freien Wildes ging ich mit hinunter zur Stelle und sah nun hier den jammervollsten Anblick. Das schwerverwundete Geschöpf stand im Bache und zwar vorn auffallend niedrig; das bedauernswürdige Thier hatte beide Vorderläufte oberhalb des Knies (anatomisch richtiger: über dem Handgelenk) gebrochen. Mit diesen Stumpfen stand es, während die abgeknickten Vordertheile nach außen lagen, auf dem spitzsteinigen Geröll des Flußbettes und äugte nach mir zu. Das Herz ging mir über, und ich beschloß sofort, da sämmtliche Jäger ziemlich fern von mir mit dem Trupp beschäftigt waren, und ich ohne Zeitverlust die Qualen des Thieres zu enden wünschte, dasselbe abzunicken. Doch so wie ich mich ihm näherte, floh es, nachdem es mir zuvor einen wahrhaft herzzerreißenden vorwurfsvollen Blick zugeworfen, auf seinen entsetzlich verstümmelten Läuften den Bach entlang, so daß ich, um ihm die größere Pein zu ersparen, von meiner wohlgemeinten Verfolgung absah und den Vorfall einem der Jagdbeamten meldete, damit er das Stück Wild todtschießen möchte. Im Dränge seiner augenblicklichen Geschäfte leistete er jedoch erst später Folge und versagte mir meine Bitte, mir auf einen Augenblick sein Doppelzeug zu überlassen. Wahrscheinlich hielt er mein Anliegen nur für den Ausdruck einer unangebrachten Schießlust. Freilich, als er nach längerer Zeit sich von dem hülflosen Zustand der gequälten Creatur durch den Augenschein überzeugte, bedauerte der Mann aufrichtig, nicht eher haben einschreiten zu können, und mitleidig schoß er dem Stück Wild eine Kugel auf den Kopf. Als sollte aber dieses Thier die höchste Pein ausstehen, kam der Schuß etwas zu hoch, und die Kugel faßte die Hirnschale nur so, daß quer über derselben ein Riß entstand. Ein zweiter Schuß erst endete die jammervolle Lage. Ein anderes Stück Wild saß noch in einer Ecke und schien unfähig, an der Hetze Theil zu nehmen, obgleich man ihm äußerlich nichts ansah; daß es aber krank war, bewies seine Trennung vom Trupp. Da es sich im Thale befand, konnte man sich augenblicklich auf seinen Fang, obgleich es mit Händen zu greifen war, nicht einlassen; man hätte es sonst empor tragen müssen, um es in einem der Kasten zu bergen, die natürlich bei den Netzen standen. So ließ man es ruhig sitzen, und erst Nachmittags, als sämmtliches andere Wild eingegangen war, wurde es in sein ihm bestimmtes Behältniß gebracht. Wie ich später erfahren, ist es auf dem Transport seinen Leiden erlegen; es hatte sich das Netz gesprengt gehabt. Das zuletzt noch übrige Wild war durch die häufigen Hetzen endlich im höchsten Grade aufgeregt und erhitzt worden. Gewann es nach dem immer wieder stattfindenden Ueberfallen über die Netze am jenseitigen Hange einmal einen Moment Ruhe, so stand es, Hirsche, Mutter- und Schmalwild, mit offenen Geäßen und mit fliegenden Nasenlöchern keuchend und mühsam Athem schöpfend. Dabei stieg über dem so haltenden Trupp der heißen Thiere, denen die Flanken vor Anstrengung und Erschöpfung zitterten, eine Dampfsäule auf, die den blauduftigen Waldhintergrund wie mit einem Nebelschleier umhüllte. Doch keine Rast ward ihnen gegönnt, und immer mehr schmolz die Zahl der Freien zusammen.

Unter ihnen war noch der Altvater des Trupps, der starke Hirsch, der nach Moritzburg bestimmt war. Er, der am Morgen noch eine Stange seines mächtigen Geweihes trug, hatte nun auch noch diese verloren und führte den Rest seiner Getreuen barhäuptig an. Endlich schlug auch seine Stunde; kraftlos, wie er mehr und mehr geworden, vermochte er das Hinderniß nicht ferner zu überwinden und fiel in die ihm gestellten Fallstricke. Alles stürzte sich auf ihn, und mein Gesellschafter vom Morgen, der ihn zum Weitertransport zu übernehmen hatte, bohrte dem Ueberwundenen in Eile einen mächtig großen eisernen Ring durch das Gehör, um ihn, wie er sich aussprach, „für spätere Zeiten zu markiren“. Es war dies nicht nöthig, denn der Aermste verendete binnen vierzehn Tagen in seinem neuen Asyl, wo ihn weder Hafergarben noch sonstige Leckerbissen am Leben zu erhalten vermochten – er ging ein in Folge der ausgestandenen Strapazen und wohl auch aus Heimweh; denn, getrennt von seinem ihm gewohnten Trupp, war er in dem leeren sogenannten „weißen Hirschgarten“ in Moritzburg vereinsamt. Jetzt steht er ausgestopft im königlichen Naturaliencabinet zu Dresden, seinen einstigen Schmuck wiederum auf dem Kopfe tragend. Er war zur Zeit des Fanges ein Vierzehnender, früher aber schon Achtzehn- oder gar Zwanzigender gewesen, ein Beweis, daß er schon sehr alt war, da er bei vollkommen gleich bleibender Aeßung und sonstiger Lage dennoch zurückgesetzt hatte. Daß es schließlich mit dem Einfangen des Wildes verhältnißmäßig schneller ging, lag in der Natur der Sache ; denn es wurde zuletzt so entkräftet und resignirt, daß es leicht ward, sämmtliches Hoch- und Damwild in die bergenden Transportkästen zu bringen. Nur das durchgebrochene Stück Hochwild, der Damhirsch unter dem Brückchen und das kranke Thier im Grunde waren noch zu berücken. Nachdem auch sie ohne bemerkenswerthe Umstände der Gefangenschaft verfallen waren, war der Tag beinahe zur Neige gegangen.

Nach dieser harten Arbeit für Menschen und Thiere kamen diese zur Ruhe und jene zum Lohn, beides wohlverdient. Und somit schloß denn diesen Tag besonders für „Treiber“ und „Lärmmacher“ ein freudiger Jubel, den das sämmtliche Jagd- und [391] Forstpersonal, sowie die Zeug- und Stellleute, mit Recht theilen konnten, denn auch ihnen wurden ihre Mühen in wahrhaft nobler Art vergütet. Der glückliche Wohlthäter des Tags war ein Herr v. F., der den größten Theil des Wilds gekauft und für seine Güter im Mecklenburgischen bestimmt hatte.

Späteren Erkundigungen zufolge sind von diesem gefangenen Wilde nur wenige Stück eingegangen, was um so mehr zu bewundern ist, da der Fang im März geschah, also zu einer Zeit, wo das Mutterwild hochtragend war. Man sieht hieraus, was die Natur eines solchen freigeborenen Thieres auszuhalten im Stande ist; das Wild hat nicht nur nichts gelitten, sondern auch rechtzeitig gesetzt, und die Kälbchen sind alle frisch und munter gewesen.