Könige von Gottes Gnaden (Rotweinskizze)

Textdaten
Autor: Paul Wendt
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Titel: Könige von Gottes Gnaden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5–6, S. 67–71, 87–88
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Weinbau im Medoc
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Château Lafite. Leuchtth. v. Cordua. Château Yquem.
La grosse doche. BORDEAUX & SEINE WEINE. Porte Cailtou.
Château Margaux[WS 1]. St. Emilion. Château Latour.

[68]

Könige von Gottes Gnaden.

Eine Rothweinskizze von Paul Wendt.

Château Lafite ist verkauft; das berühmte Château Lafite, auf dessen Gebiete der edelste, der hinreißendste, der unwiderstehlichste aller Girondisten, das Kleinod der Bordeauxweine, das echte Medocvollblut zu seinem weltbegeisternden und weltentzückenden Dasein erwächst, hat einen neuen Herrn gefunden – das haben vor wenigen Monaten alle Zeitungen berichtet, indem sie mittheilten, daß am 8. August dieses Jahres die Domäne des Schlosses Lafite aus den Händen der Erben des verstorbenen Ministers Duchâtel in die des Barons James von Rothschild, der freilich des Besitzes nicht lange genießen sollte, um das hübsche Sümmchen von vier Millionen einhundertundvierzigtausend Franken übergegangen ist.

Wo ist der Böotier, welcher solche Kunde gleichgültig hingenommen? Wer ist Stoiker genug, um den glücklichen Millionär nicht zu beneiden, der sich dies Cabinetsgärtchen zu seinen übrigen „Gütern“ zulegen konnte? Und dennoch sind es unter den Hunderttausenden von Lesern der Gartenlaube wohl nur wenige, welchen dieses gesegnete Fleckchen Erde mehr ist als ein Name. Wir geben uns darum der Hoffnung hin, daß sie einen deutschen Landsmann, der seit Jahren an den Ufern der Garonne sich eine zweite Heimath gegründet, jetzt, wo jener verheißungsvolle Name auch seine tagesgeschichtliche Bedeutung in Anspruch nehmen darf, mit um so größerem Interesse auf einer kleinen Herbstwanderung nach dem gelobten Lande begleiten werden, das da Medoc heißt und als dessen unbestrittene Krone Château Lafite nah und fern bekannt ist.

Es war ein herrlicher Septemberabend, als wir – ein paar Freunde hatten sich mir angeschlossen – am Quai de Bacalan von Bordeaux zu Schiffe gingen, um einem deutschen Capitän, der nach Buenos Ayres segelte, bis Pouillac das Geleite zu geben. Hier, an dem eigentlichen Haupt- und Stapelplatz des Medoc, wollten wir nächtigen, um andern Tages bei Zeiten zu Fuße unsern eigentlichen Marsch in’s Weinland zu beginnen. Der Morgen war prachtvoll wie der gestrige Abend und so recht zu einem tüchtigen Spaziergange geschaffen. Am Himmel war kein Wölkchen zu erblicken, und die Wirkung der Sonne, welche mittlerweile höher heraufgekommen war und eine tüchtige Hitze versprach, wurde durch eine frische Brise gemildert, die von der weiten Wasserfläche der Gironde herüberwehte.

Seit unserem letzten Besuche des Medoc hatte sich der äußere Charakter der Landschaft nicht unwesentlich verändert. Damals – es war Pfingsten – stand der Weinstock in voller Frühlingspracht, die Blätter erglänzten im frischen Grün, und das feine Aroma der Blüthen zog wie der Odem Gottes durch [70] das Land. Jetzt war das Weinlaub dunkel gefärbt, sonnenverbrannt und hart am Wege seine Farbe sogar durch den dick darauf liegenden, feinen Staub beinahe unkenntlich gemacht. Unter dem Blätterdache aber, dicht über dem steinigen Boden lugten die schwarzen, saftschweren Trauben hervor, in deren Beeren es geheimnißvoll kochte und gährte, als wollten die darin eingesperrten Kobolde die leichten Wände ihres Gefängnisses zersprengen. Die sonst wenig belebte Landstraße zeigte trotz des Sonntages ein reges Bild. In den unabsehbaren Weinfeldern zu beiden Seiten des Weges waren die Winzer in einzelnen Gruppen bei der Lese beschäftigt, und verschiedene mit Ochsen bespannte Wagen, welche mit geschnittenen Trauben beladen langsam daherkamen, zeigten an, daß ihr Tagewerk mindestens mit dem der lieben Sonne zugleich begonnen haben müsse.

Hier und da eine Traube prüfend, welche hart am Wege stand, oder einen Augenblick verweilend und dem Werke der Winzer zuschauend, schritten wir gemächlich weiter, bis wir auf eine Anhöhe gelangt waren, von welcher wir das liebe Château Lafite in seiner bescheidenen Anmuth, umrahmt von dem Dunkel seines Parks, in geringer Entfernung vor uns liegen sahen.

„Guten Morgen, meine Herren, herzlich willkommen!“ rief uns plötzlich eine frische jugendliche Stimme entgegen. Es war der Freund, dem wir unsern Besuch zugedacht hatten und der uns soweit entgegengegangen war, Jules, der Sohn des Inspectors von Château Lafite. „Nochmals schönstens willkommen!“ wiederholte er, uns die Hände schüttelnd. „Wenn Sie noch etwas von der Weinlese sehen wollen, so hätten Sie kaum einen günstigeren Zeitpunkt treffen können, abgesehen davon, daß Sie mir durch ihre Anwesenheit ein wirkliches Vergnügen bereiten. Mein Vater ist drüben auf den Grundstücken des Schlosses beschäftigt, ich führe hier auf unserem eigenen Gute die Oberaufsicht. Kommen Sie jetzt mit mir in’s Haus, erfrischen Sie sich und schütteln Sie den Staub von den Kleidern, wir wollen nachher sofort eine kleine Runde bis zum Frühstück machen.“

Wir leisteten der freundlichen Einladung willfährig Folge und begannen unsere Wanderung wieder, nachdem wir im kühlen Zimmer unseres Freundes ein halbes Stündchen in gemächlichem Geplauder zugebracht hatten.

„Lassen Sie uns zuerst hier eintreten,“ sagte Jules, als wir uns einem der zum Gute gehörigen Wirtschaftsgebäude näherten, „und sehen, wie der edle Wein aus den Trauben bereitet wird.“

Wir traten in einen ziemlich großen Raum ein, welcher fast ganz durch vielleicht ein Dutzend großer hölzerner Bottiche ausgefüllt wurde, die auf starken Untergestellen ruhten. In einem Theile des Raumes befand sich eine Art Tenne, aus starken Hölzern gezimmert, und etwa zwei Fuß über dem Erdboden angebracht. Verschiedene Arbeiter waren damit beschäftigt, die von einem Fuhrwerke herangebrachten Behälter mit geschnittenen Trauben auf diese Tenne zu entleeren; die etwas erhabenen Ränder der letzteren sorgten dafür, daß von dem ausströmenden Safte nichts verloren ging, sondern derselbe gezwungen wurde, sich durch die dazu bestimmte Rinne seinen Abfluß nach dem Bottiche zu suchen, welcher vor der Tenne in Bereitschaft stand.

„Sie sehen dort jenes flache Drahtsieb?“ begann unser Freund seine Erläuterung. „Wohl, auf jenes Sieb, welches wir Délâpoir oder Egrappoir nennen, werden die Trauben geschüttet und die Beeren durch fortgesetztes Reiben mit den Händen von den Stielen befreit, die im Siebe zurückbleiben. Die auf die Tenne fallenden Beeren werden in jene Kufen geschaufelt und es bleibt nun der Natur überlassen, den Saft aus den Häuten zu gähren. Ist der Gährungsproceß vorüber und der Most hinlänglich geklärt, was bald längere, bald kürzere Zeit dauert, so wird er auf Fässer gebracht und empfängt nun die gehörige Behandlung, welche in fortgesetztem Klären, Wechseln der Fässer und Auffüllen derselben besteht.

Der so gewonnene Wein giebt die erste, bessere Sorte und erzielt den höheren Preis. Damit die Beeren- und Saftrückstände, welche in ziemlich reichem Maße an den Stielen und in den Häuten haften geblieben sind, nun aber nicht verloren gehen, nimmt man die letzteren und bringt sie unter die Presse, um daraus die zweite, geringere Sorte, oder vin de presse, auch vin de queue genannt, zu gewinnen.“

„Entschuldigen Sie,“ unterbrach ich Jules, „ich habe bisher immer geglaubt, daß der Wein durch Treten der Trauben mit den Füßen bereitet würde.“

„In der That war dies früher das allgemeine Verfahren,“ erwiderte unser Begleiter, „doch hat sich die neue Methode, der Natur die Hauptsache zu überlassen, bereits immer mehr und mehr Bahn gebrochen, wenngleich verschiedene Winzer noch immer halsstarrig bei der alten verharren, so daß Sie noch heute, wenn Sie wollen, manches lustige Völklein nach dem Klange der Fiedel auf der mit Trauben bedeckten Tenne umhertanzen sehen können. Auf jeden Fall scheint mir die neuere Art der Weingewinnung, die auch wir adoptirt haben, mit keinen Nachtheilen gegen die frühere verbunden zu sein.“

„Sicherlich,“ bemerkte Adolph, einer meiner Reisegenossen, auf die nicht sehr sauberen Füße eines Arbeiters weisend, „hat die neue Methode den Vortheil voraus, daß sie bedeutend appetitlicher ist.“

„Allerdings,“ erwiderte Jules lächelnd; „doch hören Sie, wie es in den Kufen hier rumort. Der heurige Wein“ – er sprach von einem der letzten Jahrgänge – „hat ungewöhnliches Feuer in sich, die Gährung beginnt so zu sagen schon auf dem Felde, und wenn so ein Weinchen behandelt wird, wie es sich gehört, so giebt’s einen wahren Göttertrank. Jedenfalls ist das heurige Jahr ein großes Weinjahr, und vollauf giebt es auch davon, den jede dieser Kufen hier enthält ihre zwanzig bis dreißig Oxhofte; ich fürchte, der Raum wird uns knapp werden, um den Gast gebührend zu logiren. – Jetzt kommen Sie aber mit zum Chai“ (allgemeine Bezeichnung in Bordeaux für Lagerräume, von Weinen namentlich) „und lassen Sie uns ein paar ältere Faßweine probiren; vor dem Frühstück ist der geeignetste Zeitpunkt dazu.“ Jeder von uns nahm ein angezündetes, an einem etwa zwei Fuß langen Stabe befestigtes Talglicht in die Hand und in feierlicher Procession begaben wir uns nach den gegen das Eindringen der Sonnenstrahlen und der Wärme wohlverwahrten Lagerräumen der Faßweine. Verschiedene Oxhofte wurden angebohrt und mußten uns von ihrem Blute spenden.

„Haben Sie keine älteren Jahrgänge als den 1862er hier?“ fragte Adolph, sein Glas gegen das Licht haltend, daß es darin zu funkeln begann wie eitel Gold und Rubinen.

„Gefällt Ihnen der Wein nicht?“

„O, im Gegentheil! Sein Bouquet ist herrlich. Ein Veilchenstrauß, gemischt mit Mandelblüthe, duftet nicht schöner, und die Kehle gleitet der edle Saft hinab, als wäre er das reinste Oel; indeß probirte ich gern einmal ein älteres Gewächs.“

„Diese 1862er,“ erwiderte Jules, „sind unsere ältesten Faßweine, alle vorhergehenden Jahrgänge befinden sich bereits auf der Flasche. Man befolgt nämlich hinsichtlich der Behandlung der Bordeauxweine schon seit Jahren eine den früheren Principien widersprechende Methode. Anstatt den Wein wie früher auf dem Fasse altern zu lassen, wo er nach und nach einen Theil seiner guten Eigenschaften verliert, sperrt man ihn in die Flasche ein, sowie er auf der höchsten Stufe seiner jugendlichen Entwickelung steht, was, je nach Umständen, im vierten bis sechsten Jahre der Fall ist. Der Bursche ist dann wohl noch eine Zeit lang unbändig und wird in seinem eigenen Gefängniß sogar auf Monate lang förmlich krank, d. h. er verliert scheinbar seine guten Eigenschaften, um sie später, wenn sein Trotz gebändigt ist, in einem desto helleren Lichte leuchten zu lassen. Das Alter in der Flasche ist es, was unseren Weinen die rechte Würze giebt, doch ist dabei zu bedenken, daß selbst in der wohlverschlossenen Flasche der Wein am Ende stumpf wird, wie ein hochbetagter Greis, und wenn ich mittheile, daß sich auf dem Château Lafite eine Sammlung von Flaschenweinen sämmtlicher Jahrgänge seit dem Jahre 1797 befindet, nebenbei die einzige Sammlung dieser Art in Frankreich, so müssen Sie die Sache mehr als ein Curiosum ansehen, als den überalten Weinen besonderen Wohlgeschmack und Güte zumuthen.“

Wir verließen den Chai und lenkten unsere Schritte den nahen Weinfeldern zu.

„Lassen Sie uns nur lieber wieder umkehren,“ sagte Jules, stehenbleibend und einen Blick auf seine Uhr werfend, „es ist schon ziemlich spät, und die Weinlese läuft uns nicht davon. [71] Frühstücken wir lieber erst, dann haben wir nachher desto längere Zeit zum Umherstreifen.“

„Wir kommen doch ihrer Frau Mutter nicht ungelegen?“

„Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Es sind heute über dreihundert Menschen dort auf dem Schlosse satt zu machen, und da wird denn doch wohl auch etwas für uns abfallen.“

Unser Freund hatte Recht. Trotz der dreihundert durstigen Kehlen und hungrigen Magen fanden wir ein vortreffliches Frühstück auf dem Schlosse, und was noch mehr werth war, eine warme und freundliche Aufnahme von den Eltern unseres Freundes.

Der Vater unseres Freundes, der alte Herr Mondon, war eben vom Felde zurückgekommen und glühte wie eine dunkele Rose.

„Harte Arbeit das, in diesem Jahre!“ sagte er. „Aber ich bin stolz darauf, daß ich mich mit solchen Ehren aus einer Stellung zurückziehen kann, welche meine Familie mehr als ein halbes Jahrhundert getreulich verwaltet hat. – Frisch auf, meine Herren!“ fuhr er fort, auf die dastehende Flasche deutend, „schenken Sie sich brav ein, das ist 1859er meines eigenen Gewächses, dessen Veredelung ich fortan meine paar Lebensjahre ausschließlich weihen werde. Heute Abend trinken wir noch zusammen ein Fläschchen vom König der Weine, kommen Sie, damit Sie es selbst aus dem Keller herauf holen können.“

Wir folgten nach beendetem Frühstück unserem wackeren Wirth über den Hof und stiegen, jeder mit einer Leuchte ausgerüstet, in die geräumigen, aus vier aneinanderstoßenden Gewölben bestehenden Kellereien des Schlosses herab.

„In diesen Räumen,“ begann der alte Mann, die düsteren Wände beleuchtend, von denen hie und da die Nässe herabtropfte, während sie theilweise dem Blicke durch die davor aufgespeicherten Fässer und Flaschen entzogen wurden, „haben Reichthümer gelagert, für deren Gesammtwerth ein Königreich feil sein würde.“

„So steht der Ruf des Weines von Lafite schon seit langer Zeit fest?“

„Allerdings, wenngleich seine Berühmtheit erst aus einer späteren Periode datirt, als diejenige mancher anderer Gewächse unseres Weinlandes.“

„Bitte, erzählen Sie uns, was Sie über die Geschichte des Schlosses und seines Gewächses wissen.“

„Sehr gern, doch lassen Sie uns erst diese Flasche 1858er für unsere Abendtafel bereit stellen. Wie Sie sehen, werden die Flaschenweine im Keller in horizontaler Lage aufbewahrt und müssen, bevor sie in Angriff genommen werden, mindestens ein paar Stunden aufrecht stehen, damit der Satz zu Boden fällt und sich beim Einschenken nicht mit dem Wein vermischt, was demselben einen Theil seines Bouquets rauben und auch den Geschmack wesentlich beeinträchtigen würde.“

„Führen alle Bordeaux-Weine Satz mit sich?“

„Fast immer mehr oder minder, besonders die älteren Flaschenweine. Dieser Satz, welcher sich aus kleinen, unlösbaren Körpertheilchen bildet, ist indessen weit entfernt davon, schädlich oder ein schlechtes Zeichen für die Güte des Weins zu sein, wie manche Leute zu glauben geneigt sind; er ist im Gegentheil gewissermaßen ein Beweis der Echtheit des Ursprunges, da er nur den Bordeaux-Weinen eigenthümlich ist. Die vorerwähnten Nachtheile vermeidet man dadurch, daß man den Satz von der Flüssigkeit zu scheiden sucht und beim Eingießen in die Gläser möglichst behutsam verfährt.“

Die merkwürdige Sammlung alter Flaschenweine, wie wir sie noch in den Kellereien lagern sahen, die einzige, welche vielleicht auf der ganzen Erde existirte, ist, um dies gleich hier einzuschalten, leider dem Untergange geweiht worden. Bei dem Verkauf des hochberühmten Weinschlosses „Château Lafite“, welches, wie gemeldet, dem Baron James von Rothschild in öffentlicher Auction für vier Millionen einhundertvierzigtausend Franken zugeschlagen wurde, hatten sich die Erben (die Familie des früheren Ministers Duchâtel) das Recht vorbehalten, die in den Kellereien des Schlosses noch vorhandenen Bestände von Weinen, sowie das Mobiliar des Schlosses für ihre Rechnung verkaufen zu dürfen. Am 26. October vorigen Jahres fand darum auf dem Schlosse selbst die Auction dieser Weine statt, welche als ein Curiosum erster Größe bezeichnet zu werden verdient. Das ganze Sortiment bestand aus 5252 Flaschen in den Jahrgängen 1797 bis 1864. Hiervon wurden u. A. bezahlt – die Feder sträubt sich die Thatsache niederzuschreiben: 21 Flaschen des Jahrgangs 1811 (des Jahres des großen Kometen) zu je 121 Franken, schreibe: „hunderteinundzwanzig Franken“ oder zweiunddreißig Thaler acht Silbergroschen die Flasche! Der glückliche Käufer ist Herr Grémailly, der Besitzer des Hotels Des Princes et de la Paix in Bordeaux.

Von den übrigen Weinen gingen einige Flaschen 1823er zu sechszig Franken, eine größere Quantität 1848er zu fünfundsechszig und mehrere Flaschen 1834er zu siebenzig Franken die Flasche weg. Ein Oxhoft des berühmten Kometen-Weines von 1811 würde, zu dem obigen Preise von 121 Franken, mithin 34,925 Franken kosten, das Stückfaß von vier Oxhoften aber 139,700 Franken! Der erzielte Durchschnittspreis überschreitet zwanzig Franken für eine Flasche Wein, der Gesammterlös der Auction aber betrug gegen 127,000 Franken. –

Wir schlugen jetzt den Weg nach dem hinter dem Schlosse gelegenen Gehölz ein, wo im Gegensatze zu der Mittagshitze eine recht angenehme Kühle unter den schattigen Eichenbäumen herrschte.

„Ich wollte Ihnen Einiges über unser Schloß erzählen,“ begann der alte Mondon, als wir uns auf einer weichen Moosbank niedergelassen hatten. – „Wohl! Das Schloß verdankt seinen Namen seiner Lage auf einer Anhöhe, das heißt sein Name rührt von dem nicht mehr gebräuchlichem Worte ‚la hite‘ her, was so viel wie Hügel bedeutet. Lafite ist schon um das Jahr 1355 in alten Annalen als Herrensitz erwähnt, und der Name seiner Besitzer spielt in der Geschichte der Guyenne, namentlich während der Periode der Occupation des Landes durch die Engländer, eine ziemliche Rolle. Einigermaßen befremdend ist es daher, daß sein Wein von den englischen Königen, welche in dieser Beziehung feine Zungen hatten, unbeachtet blieb und erst bedeutend später zur Geltung gelangte, um dann aber freilich seinen Ruf um so glänzender zu behaupten. Erwähnt ist er in der Geschichte zuerst im Jahre 1641, also am Ende der Regierung Ludwig des Dreizehnten, zu welcher Zeit er den Preis von sechszig bis hundert Franken für das Faß von vier Oxhoften erzielte. Mehr geschätzt wurde der Wein schon gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, nachdem sich ein regelmäßiger Verkehr Bordeaux’s mit dem Auslande gebildet hatte. Seit 1745 war der Wein von Lafite überall geschätzt und wurde schon mit 1500, selbst 1800 Franken bezahlt. Seine wirkliche Berühmtheit verdankt er indessen hauptsächlich dem Marschall von Richelieu, welchem während seines Aufenthaltes in Bordeaux als Gouverneur der Guyenne von seinem Arzte der Château Lafite als angenehmes, tonisches Heilmittel verschrieben wurde. Der Wein soll denn auch so große Wunder an dem Marschall ausgeübt haben, daß nach seiner Rückkehr nach Paris König Ludwig der Fünfzehnte seine Verwunderung über das frische Aussehen des Marschalls offen aussprach. Richelieu gab dem Könige nicht allein die Quelle an, aus welcher er Heilung geschöpft hatte, sondern beschenkte ihn auch gleichzeitig mit mehreren Flaschen des Göttertrankes, welcher nunmehr Modeartikel wurde, da er bei den Favoritinnen des Königs, der Pompadour und später der Du Barry, große Gnade fand. – Trotz der Revolution stieg der Wein im Jahre 1790 auf den hohen Preis von 2200 Franken für das Stückfaß, welcher seitdem, von Mißernten abgesehen, in stetem Wachsen geblieben ist. Im Jahre 1792 erklärte der Convent Château Lafite zum Nationaleigenthum. Bald darauf wurde die Besitzung durch eine holländische Gesellschaft erworben und gelangte dann in die Hände des Herrn Van der Berghe, des bedeutenden Lieferanten des ersten Kaiserreichs. Nach dessen Tode verwaltete es nachmals eine Reihe von Jahren hindurch der Londoner Bankier Sir Samuel Scott als Fideicommissar der Erben, um es diesen, der Familie des früheren Ministers Duchâtel, zu sichern, bis es die letztere endlich vor Kurzem selbst in Besitz nehmen konnte.“

[87] „Welchen Preis, meinen Sie, werden die heurigen Weine wohl erzielen?“ fragte ich, als der Inspector schwieg.

„Hm,“ versetzte er – „fünftausend Franken für das Faß haben die 1864er eingebracht, und da denke ich, daß wir mindestens auf den gleichen Preis werden rechnen dürfen.“

Der Mann täuschte sich nicht; die in Frage stehende Ernte wurde im vorigen Jahre mit fünftausendsechshundert Franken pro Faß verkauft und Tags darauf im Bordeauxer Weinhandel mit sechstausendsechshundert Franken bezahlt, so daß, wenn man die kostspieligen Unterhaltungskosten bis zur Reife des Weines in der Flasche veranschlagt, die Flasche vom echten Lafite des betreffenden Jahrgangs später sicher zwölf bis fünfzehn Franken kosten wird – eine Warnung für Leser, die ihren Château Lafite mit einem preußischen Thaler zu bezahlen gewohnt sind!

„Und wie viel Wein hoffen Sie in diesem Jahre zu gewinnen?“ fragte ich weiter.

„Für gewöhnlich werden’s hundertzwanzig bis hundertdreißig Faß oder vierhundertachtzig bis fünfhundertzwanzig Oxhoft von der ersten Sorte, in diesem Jahre rechne ich aber bestimmt auf mindestens sechshundert Oxhoft.“

„Ich hätte mir Ihren Bericht über die Geschichte dieses Schlosses offen gesagt, etwas romantischer vorgestellt,“ bemerkte Freund Adolph. „Knüpft sich denn kein Stück interessanter geschichtlicher Erinnerung an dieses Gemäuer, das in seiner wohlthuenden, aber anspruchslosen Einfachheit keineswegs unseren deutschen Begriffen von dem Worte Schloß entspricht?“

„Nicht daß ich wüßte,“ entgegnete der Inspector lächelnd, „doch sind in dieser Hinsicht unsere hauptsächlichsten Rivalen, das ‚Château Latour‘, welches Sie dicht bei Pouillac, hart am Strom werden liegen gesehen haben, sowie das weiter stromaufwärts gelegene ‚Château Margaux‘, in der Gemeinde Margaux, mehr bevorzugt. Der uralte Thurm vom Château Latour, das einzige Ueberbleibsel der ehemaligen starken Befestigungen, könnte Ihnen z. B. manche Geschichte von harten Kämpfen und Schlachten erzählen, welche dort im fünfzehnten Jahrhundert zwischen Engländern und Franzosen ausgefochten wurden. Château Margaux war ebenfalls stark befestigt. Die Soldaten Königs Eduard des Vierten unternahmen einst zur Zeit der Weinlese von Bordeaux aus einen Streifzug gegen die Weingärten des Schlosses und richteten arge Verwüstungen darin an. Im Uebrigen gebe ich zu, daß die Bezeichnung ‚Château‘, welche den Namen so vieler unserer Weingüter beigelegt ist, genau genommen oft nur eine grobe Gasconade ist, aber am Platze ist sie gewissermaßen, wenn sie, wie z. B. auf unser Lafite oder Latour angewandt, den Herrschersitz so königlicher Weine andeutet. Ja, das ist ein wirkliches Fürstenschloß,“ fuhr der alte Mann ganz begeistert fort, auf das durch das Grün der Bäume herleuchtende weißliche Gemäuer von Lafite hindeutend, „keine Zwingburg eines despotischen Herrschers, sondern ein schönes, mächtiges, segenbringendes Friedensschloß eines Königs von Gottes Gnaden!“

„Ein gutes Wort!“ riefen wir aus, dem alten Manne warm die Hand drückend.

„Kommen Sie jetzt,“ sprach der junge Moudon sich erhebend, „und lassen Sie uns einen Gang durch das Reich dieses Königs machen.“

Nach wenigen Minuten befanden wir uns mitten auf einem der nächstgelegenen Weinfelder, wo eine ansehnliche Schaar von Winzern bei fröhlichem Gesang und Gespräch mit der Lese beschäftigt war.

„Bei unserer Arbeit hier,“ begann unser liebenswürdiger Führer, „geht Alles gewissermaßen militärisch her. Der Commandant, welcher das Ganze leitet, theilt seine Schaar von männlichen und weiblichen Arbeitern in Sectionen von sechs bis acht Traubenschneidern oder Traubenschneiderinnen ein, welche wieder unter der Aufsicht eines sogenannten Brigadiers stehen, der seiner Abtheilung folgt und darauf Acht giebt, daß nur völlig reife Trauben geschnitten werden. Etwa vergessene Trauben zeigt er mit der Stange, welche er bei sich führt, dem Korbentleerer oder vide de paniers an, dessen Aufgabe es ist, die Körbchen der Traubenschneider, wenn sie gefüllt sind, in eine sogenannte Baste, einen viereckigen Holzkorb, zu entleeren, worauf er die gefüllten Basten dem faiseur de bastes überbringt. Dieser unterwirft die geschnittenen Trauben einer genauen Untersuchung, wobei er alle unreifen, kranken und verfaulten Beeren sorgfältig zu entfernen hat, und läßt sie dann durch zwei Bastenträger nach dem harrenden Wagen bringen. Der hier stationirte Belader oder faiseur de charge schüttet die Trauben in die beiden auf dem Wagen befindlichen Behälter (douils genannt) und hat ebenfalls Acht darauf zu geben, daß schlechte Trauben ausgesondert werden. Bei Regenwetter bedeckt er die Oeffnung der Douils sorgfältig mit einem Stück Wachsleinwand, damit jede wässerige Beimischung so viel wie möglich vermieden werde. Die Gewinnung des Weines aus den Trauben haben Sie heute Morgen selbst beobachtet.“

„Wodurch,“ fragte ich, „erklärt sich eigentlich der enorme Unterschied in der Güte der Weine? Rührt derselbe lediglich von der Bodenbeschaffenheit her?“

„Keineswegs,“ versetzte unser Freund, „wenngleich die Art des Grund und Bodens, so wie seine Bearbeitung eine Hauptrolle in der Weincultur spielen. Wenn es Sie interessirt, auf Ihre Frage eine genügendere Auskunft zu erhalten, so gestatten Sie mir etwas weiter auszuholen, obwohl Sie eigentlich fast Alles, was ich Ihnen zu sagen vermag, viel besser aus der Abhandlung Ihres Landsmannes W. Frank über die Weine des Medoc ersehen können; zu unserer Beschämung sei es gesagt, das trefflichste Werk, welches diesen Gegenstand behandelt, wofür sein Erscheinen in bereits fünfter Auflage bürgt. Lassen Sie uns indeß nach der Besitzung meines Vaters hinübergehen. Von der Plattform des Hauses aus haben wir einen herrlichen Rundblick auf die ganze Umgegend; auch weht dort ein angenehmer, kühlender Wind von der Gironde herüber, während Einem hier der glühende Steinboden fast die Füße versengt.“

Nach wenigen Minuten hatten wir uns auf der erwähnten Plattform, von welcher wir uns allerdings eines schönen Panorama auf Strom und Land erfreuten, installirt. Erfrischungen und Cigarren standen uns zur Seite, gegen die Sonnenstrahlen schützten uns unsere Sonnenschirme.

„Das liebe Frankreich,“ begann unser Freund – „besonders aber das Departement der Gironde, in welchem wir uns befinden, scheint von der Natur von Hause aus so recht zum Weinbau bestimmt gewesen zu sein. Die tertiären Felsformationen, welche die Basis dieses Landstriches bilden, wenngleich sie nicht immer nackt zu Tage treten, sonderm vielfach von Sand-, Kies- und Erdschichten fruchtbarerer Art bedeckt sind, begünstigen gerade die Weincultur ungemein, indem die Wurzeln des Weinstockes vorzugsweise lieben, sich in die Felsspalten einzuklemmen und da Nahrung zu finden, wo jede andere Pflanze elendiglich verkümmern müßte.

Für den Weinbauer kommt es nun hauptsächlich darauf an, daß er bei Bestellung seines Landes mit Kenntniß und Umsicht eine geschickte Auswahl derjenigen Rebenarten (cepages) trifft, welche dem Boden am meisten zusagen und deren vereinigtes Product einen Wein liefert, der gerade diejenigen Eigenschaften besitzt, welche feine Nasen und Zungen so hoch zu schätzen wissen. Wenn Weine, wie die von Lafite, Latour, Margaux und andere, einen so großen Ruf von Alters her hatten und sich desselben noch erfreuen, so ist das kein bloßer Zufall, sondern ein Beweis für die Ausdauer, mit welcher man beständig auf Verbesserung des Productes durch Anschaffung anerkannt vortrefflicher, feiner Cepagen bedacht war, ein Unternehmen, welches ebensoviel genaue Sachkenntniß erfordert, wie es kostspielig ist. – Wollen Sie einen Beweis? Sehen Sie, dort unten an Grunde stößt eine Bodenstrecke, welche zu Lafite gehört, mit einem Stücke Land meines Vaters nachbarlich aneinander. Der Boden ist genau derselbe, die Weingattung ebenfalls, und dennoch wird der Wein vom Château mit fünftausend Franken bezahlt, während der unserige vielleicht ein Drittel dieses Preises erzielt. Und woher kommt das? [88] Einzig und allein daher, daß dem Château Lafite noch andere, kostbarere Gattungen von Weinreben zu Gebote stehen, deren Erlangung unserem Geldbeutel versagt ist.

Allerdings kommt auch viel auf die Bodenbeschaffenheit an, denn mit den besten Gewächsen würden Sie auf dem fast nackten Felsgestein von Blaye z. B., das Sie dort in der Ferne am rechten Ufer der Gironde liegen sehen, keine glänzenden Resultate erzielen. Die dort und auf dem Bordeaux gegenüberliegenden Höhenzuge, oder den Côtes, gedeihenden Weine werden immer geringerer Art bleiben und nie mit den Weinen des Medoc rivalisiren können. Indessen ist damit nicht gesagt, daß der Weinbau unseres Departements nicht noch an vielen Orten der Verbesserung fähig wäre; es gehört dazu nur Arbeit, Zeit und Geld. Wenn gewisse Gegenden des Medoc auch im Allgemeinen den Ruf der größeren Vorzüglichkeit ihrer Weine behaupten werden, so giebt es doch noch manche andere Orte, welche recht erfreuliche Resultate zu Tage gefördert haben; ich erinnere Sie nur an die Weine von St. Emilion, sowie an diejenigen von Haut Brion, welche letztere in unmittelbarer Nähe von Bordeaux gedeihen und mit den ersten Gewächsen des Medoc auf gleiche Stufe gestellt werden. Namen wie: Pape Clement und La Mission, gleichfalls Weingüter in der Nähe von Bordeaux haben ebenfalls keinen schlechten Klang. Die liebe Geistlichkeit hat sich eben in der Wahl der Plätze für ihre Anpflanzungen nie getäuscht.“

„Ich muß gestehen,“ sagte ich, „daß ich früher nur eine sehr oberflächliche Vorstellung von dem, was man Medoc nennt, gehabt habe. Im lieben Deutschland bezeichnet man häufig irgend eine beliebige Flasche Rothspohn mit dem Namen Medoc, und die Eingeweihten ausgenommen, giebt sich das große Publicum völlig damit zufrieden. Woher kommt der Name Medoc?“

„Unter Medoc,“ versetzte unser Freund, „begreifen wir den aus sanftem Hügelland bestehenden, nordöstlichen Streifen eines Landstriches, welcher wie ein Dreieck geformt ist, dessen nach Norden gerichteter, kleinster Winkel im Westen vom Ocean, im Nordosten von der Gironde und später von der Garonne gebildet wird, eine geographische Lage, welcher früher wahrscheinlich die ganze Landschaft die Bezeichnung ‚Medoc‘ verdankte, die vom lateinischen medio aquae, d. h. von Wasser umgeben, abzuleiten ist. Die Grenzen des Medoc sind im Süden das Bordeauxer Stadtgebiet und im Südwesten die traurigen Sand- und Haideflächen der sogenannten ‚Landes‘, auf welchen nichts als die Fichte und das Haidekraut fortkommen. Der die Weincultur hauptsächlich interessirende Theil des Medoc erstreckt sich von dem Flecken Blanquefort stromabwärts bis zum Flecken St. Seurin de Cadourne und wird auch Haut Medoc genannt; der Bas Medoc, welcher von dem letztgenannten Orte beginnt, endigt in der sogenannten Pointe de Grave, welche den Scheitelpunkt des erwähnten, vom Meer und der Gironde hervorgerufenen spitzen Winkels bildet.

Die Weine des Bas Medoc sind nur von geringerer Güte. Alle renommirten Gewächse des Haut Medoc werden dagegen in folgenden, von Bordeaux aus der Reihenfolge nach nordwestlich gelegenen sechs Gemeinden: Cantenac, Margaux, St. Julien, St. Laurent, Pouillac und St. Estèphe gezogen. Um einige Ordnung in dieses Chaos mehr oder minder berühmter Gewächse und Namen zu bringen, hat die Bordeauxer Handelskammer eine Classeneintheilung bewerkstelligt, welche der Güte der Weine möglichst entspricht, wenngleich sich diesem Systeme nicht immer Unfehlbarkeit nachsagen läßt, da man dem geheimnißvollen Walten der Naturkräfte keine Fesseln anzulegen vermag. – Diese Eintheilung unterscheidet zunächst fünf Classen gleichsam geadelter Gewächse (crûs classés), an deren Spitze Lafite, Latour und Margaux stehen. Hieran schließt sich eine Reihe mehr oder minder vortrefflicher Gewächse, welche man Bourgeois (Bürger) nennt, und das Gros bilden die Vins de Paysans oder Bauernweine.“

Der Weincultur sind im Departement der Gironde ungefähr 15000 Hectaren, das heißt, ein Siebentel der ganzen Bodenfläche gewidmet, welche einen jährlichen Durchschnittsertrag von über drei Millionen Hectolitern Wein liefern. Von diesem Quantum verbraucht der inländische Bedarf ungefähr ein Drittel, während zwei Drittel der Ausfuhr nach dem Auslande verbleiben. Die jährliche Durchschnittsernte des Medoc speciell beträgt ungefähr 50,000 Faß oder 200,000 Oxhoft, das Faß zu je vier Oxhoft, von je 225 Litres Inhalt gerechnet. Von dieser großen Quantität liefern indessen die erwähnten fünf Classen feiner Weine nur 5000 Faß oder 20,000 Oxhoft, und eine gleiche Masse die classificirten Bürgerweine. Auf die Feinschmecker des ganzen Erdenrundes vertheilt, ist diese Masse immerhin nur sehr beschränkt, und es liegt auf der Hand, daß der Inhalt so mancher Flasche mit hochtrabender Etiquette die Kehle des gläubigen Trinkers hinabgleitet, ohne auch nur das Geringste mit dem Göttertranke gemein zu haben, dessen Namen er sich anmaßt.“ –

Nur allzurasch war uns der Tag bei den lieben Leuten verstrichen. Am Abend leerten wir noch die versprochene 1858er, mit der Morgensonne des nächsten Tages aber traten wir, von den Grüßen unserer freundlichen Wirthe begleitet, den Rückweg an.

Wieder in Bordeaux angelangt, könnte ich mich eigentlich vom Leser verabschieden, aber da ich es einmal unternommen habe, ihm ein Führer durch das Bordeauxer Weinland zu sein, so möge er noch einen Augenblick Geduld haben und mir nach jenem Wunderschlosse, dem „Château Yquem“, folgen, dessen getreuem Abbild mein Freund Rudolph Sprenger aus Rostock, ein hier ansässiger junger Lithograph, einen Ehrenplatz auf seiner in der vorigen Nummer beigefügten Zeichnung einräumen zu müssen glaubt. Wir nehmen daher die Eisenbahn, welche parallel mit dem linken Stromufer läuft, verlassen in Preignac den Zug und befinden uns jetzt so zu sagen in „dem Medoc der Bordeauxer Weißweine“. Wiederum ist’s die Zeit der Weinlese, leider aber sind sämmtliche Rebpflanzungen, bei welchen uns der Weg vorüberführt, mit dicken, hohen Steinmauern umgeben, so daß uns nur selten ein Einblick in den reichen Segen gestattet ist. Nach einer stundenlangen langweiligen Fahrt öffnet sich endlich die Gegend. Zu beiden Seiten des Weges liegen jetzt die Weingärten offen und unabsehbar da, und wir können die gelblichen, saftreichen und zuckersüßen Trauben prüfen, wonach wir in der brennenden Hitze so lange geschmachtet.

Unfern von uns sind Winzer mit einer eigenthümlichem Arbeit beschäftigt. Anstatt die schönen, goldenen Trauben, nach welchen uns der Sinn stand, zu schneiden und zu sammeln, suchen sie mühsam nach den einzelnen, röthlichen, eingeschrumpft und selbst verschimmelt aussehenden Beeren, welche sie mit der Scheere lösen. Dies Verfahren ist zu auffällig, als daß wir uns nicht nach seinem Zweck erkundigen sollten, und da erfahren wir denn eine befremdende Thatsache. Aus diesen von uns verschmähten Beeren, der ersten Auslese, wird der köstlichste, feinste und theuerste Weißwein, die crême (Sahne) gewonnen, eine zweite Auslese liefert die tête (Kopf), eine dritte das centre (Mitte), und endlich eine vierte die queue (Ende). Die Ernte wird durch dies Verfahren auf höchstens zwei Drittel des eigentlichen Ertrages zurückgeführt, und dieser Umstand, sowie die Langwierigkeit der Weinlese, welche auf diese Art betrieben Monate lang währen kann, erklären uns die hohen Preise der feinen Bordeauxer Weißweine.

Von den vier berühmten Weißwein-Districten, welche eine bedeutend beschränktere Bodenfläche, als die der Rothweine einnehmen, liegen Preignac und Barsac, von der Garonne begrenzt, hinter uns. Rechts vom Wege befindet sich die Gemeinde Bommes, links Sauternes. Noch wenige Minuten dann, und Château Yquem, der stattliche Herrschersitz des Königs der Weißweine, liegt links auf einer sanft ansteigenden Anhöhe vor uns. Die Weinfelder der Besitzung sind alle in der vortrefflichsten Ordnung, die Trauben vorzüglich, und es lüstet uns nicht wenig, in den Schloßkeller hinabzusteigen und uns ein Gläschen von dem köstlichen Jahrgange zu erbitten, von welchem einst der Großfürst Constantin, der Bruder des Kaisers Nikolaus von Rußland, ein Faß oder neunhundert Litres zu dem enormen Preise von zwanzigtausend Franken oder fünftausend dreihundertdreiunddreißig preußischen Thalern erstand. Leider haben wir jedoch vergessen, uns bei dem Marquis von Lur-Saluces, dem Besitzer dieser wahren Goldgrube, einführen zu lassen, und die Stunde ist bereits vorgerückt. Es gilt nicht zu säumen, unten im Städtchen Langon den Bahnzug zu erreichen, der uns bei dunkler Nacht in zwei Stunden nach Bordeaux heimführt.

Also gute Nacht und Lebewohl, aber hoffentlich auf Wiedersehen! Und wenn dem freundlichen Leser einmal eine Flasche echten Château Lafite’s oder gar ein Gläschen herrlichen 1847er Château Yquem’s, des Götterlabsals, unter die Hände kommt, so genieße er sein Glück mit Bedacht und gedenke dabei freundlich seiner Landsleute am Garonnestrande, die sich ja auch zum Besten seiner Kehle mühen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Chateau Margeux; überall Château statt Chateau.