Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 28
Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder | |
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[270] Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken,
Und Welt und ich, wir schwelgten in Entzücken;
So duftig war, belebend, immer frisch,
Wie Fels, wie Strom, so Bergwald und Gebüsch.
Vieles, unendlich Vieles lag bei dieser gänzlichen Umwandlung meiner gewohnten Existenz mir nun ob zu lernen, an manches mir bis dahin ganz fremd Gebliebenes mich zu gewöhnen; es ward mir eben nicht immer ganz leicht, doch guter Wille, Jugendmuth, und jene nicht genug zu preisende Eigenschaft meines Geschlechts, die man im gemeinen Leben Mutterwitz nennt, haben wohl noch weit Schwereres vollbracht, als mir zu vollbringen auferlegt war. Ich fand bei meinem Manne die nachsichtigste Anerkennung meines ernstlichen Bestrebens, sogar wenn dieses sich nicht ganz zureichend zeigte, und stand mit mir selbst und meinen Umgebungen auf dem besten Fuße von der Welt, wie es eine so blutjunge Frau sich nur wünschen konnte.
[271] Die elegante, mit allen englischen Comforts ausgestattete Einrichtung unsers nicht großen, aber freundlichen und bequemen Hauses trug nicht wenig zu meinem Wohlbehagen bei, aber auch noch andere höhere Genüsse, als ein zierliches Ameublement sie gewähren kann, standen in demselben mir zu Gebot. Eine mit Kunstsinn und Geschmack gewählte Sammlung von Kupferstichen schmückte zum Theil in schönen vergoldeten Rahmen die Wände unserer Zimmer, zum Theil war sie in großen Mappen zum seltneren Kunstgenusse aufbewahrt. Gelungene Abgüsse antiker Büsten und zur Verzierung eines Wohnhauses sich eignender Statuen waren an dazu passenden Orten aufgestellt, und machten auch mit dem mir bis dahin fast unbekannt gebliebenen Zweige plastischer Kunst mich bekannt. Eine nicht sehr bändereiche, aber gewählte und mit großer Eleganz aufgestellte Handbibliothek, die mir aber immer groß vorkam, bot mir einen unerschöpflichen Quell der Belehrung und Unterhaltung.
Es währte einige Zeit, ehe ich, die in zwar nicht ängstlicher, aber doch mir erst jetzt fühlbar werdender Beschränkung Aufgewachsene, mich gewöhnen konnte, Alles dieses als mein, mir völlig zu Gebote stehendes Eigenthum zu betrachten; schüchtern wagte ich [272] es kaum, aus den großen, mit Spiegelgläsern verschlossenen Bücherschränken von Mahagoni ein Buch oder eine Mappe zum Durchblättern zu nehmen, ohne vorher die Erlaubniß meines Mannes mir einzuholen, die er, über meine Zaghaftigkeit mich auslachend, mir immer bereitwillig gewährte. Auch unternahm er es zuweilen, meine Lektüre leiten zu wollen, ich folgte auch in dieser Hinsicht gern und willig seinem Rathe, doch seine Bildung in der großen, mir noch fremden Welt, seine Vorliebe für die damalige französische Literatur, besonders für Voltaire, dessen Ruhm damals den höchsten Gipfel erreicht hatte, machten es mir schwer, bei der von ihm getroffenen Wahl meiner Bücher mich seiner Ansicht zu bequemen; es währte lange, ehe es mir gelang, sowohl ihn selbst, als seine Autoren zu verstehen, wie sie verstanden werden mußten, um nicht in Ungerechtigkeit gegen Beide zu verfallen. Auch hier war Jameson mein Trost und mein Berather; der treue Freund hatte das Kind seiner Wahl noch nicht aufgegeben. Selten ließ er einen Tag vergehen, ohne mich zu besuchen, zu ihm durfte ich noch wie sonst mit allen meinen kleinen Sorgen und Unsicherheiten mich flüchten, er wußte mich immer auf den rechten [273] Gesichtspunkt zu stellen, von welchem aus jede trübende Verworrenheit in Lichthelle sich auflös’te.
Der erste recht warme Frühlingshauch, die ersten Veilchen, die ersten Frühlingsknospen, riefen alljährlich mich hinaus nach unserm Landhause bei Oliva, wo ich bis zum Spätherbst verweilte und in der Zwischenzeit nur höchst selten in die Stadt kam. Die Einrichtung meines dortigen Hauswesens erforderte den Sommer über meine Gegenwart nicht. Unter der Leitung einer alten treuen Dienerin ging dort Alles auf gewohnte Weise fort, während ich meine ebenfalls vollkommen eingerichtete Haushaltung auf dem Lande so gut führte, als es bei meiner wenigen Erfahrung in diesem Fache mir möglich war. Doch auch hier half mir mein ernstes Wollen, und gleich nach den ersten Monaten wußte ich auch in dieser Aufgabe, der ich anfangs mich kaum gewachsen glaubte, mit kaum zu erwartender Leichtigkeit mich zu finden.
In stetem Wechsel zwischen tiefer Waldeinsamkeit, geräuschvollem Treiben, wie die Nähe einer großen Seestadt es herbeiführt, und dem stillern Genuß ruhiger Geselligkeit in der Mitte einiger vertrauten Freunde meines Mannes, vergingen mir in Oliva die Tage. Bei seinen sehr ausgedehnten Geschäftsverbindungen, [274] als Chef seines Hauses, durfte Schopenhauer die Stadt fast nie auf längere Zeit als höchstens ein paar Tage verlassen, während ich auf dem Lande zurückblieb. Meine Schwester Lotte, oder eine meiner Jugendfreundinnen brachten zwar zuweilen einige Tage bei mir zu, oft aber blieb ich die ganze Woche in ununterbrochener Einsamkeit, nur mir selbst gegenüber ganz allein, bis der Sonnabend meinen Mann, von ein paar Freunden begleitet, zu mir hinausführte. Mit diesen verlebten wir den Tag in friedlichster, ruhigster Häuslichkeit, an dem ihm folgenden Sonntage aber schien unser Speisezimmer für die Zahl geladener und ungeladener fremder und einheimischer Gäste kaum Raum genug zu bieten. Alle waren willkommen, und schieden in heiterer Zufriedenheit mit dem bei uns zugebrachten Tage. Montag Abend aber trat die gewohnte Stille um mich her wieder ein.
Bald nach meiner Vermählung feierte ich meinen neunzehnten Geburtstag; vorbei war es nun mit Miss in her teens, auf ewig und immer, aber ich fand mich heiteren Muthes in diesen Verlust, der mich durchaus nicht schmerzlich berührte. Mein Leben, so einförmig es dahin zu schleichen schien, war dennoch von dem anderer Frauen in meinen Verhältnissen [275] hauptsächlich nur dadurch verschieden, daß diese Familienmütter waren, während ich allein stand.
Dafür aber blühete auch noch so manche Blume aus meinem Lebensfrühling zu mir herüber, an der ich mit echt kindlich gebliebenem Sinn mich freuete. Was besaß ich nicht Alles! Den großen, schönen Garten voll Blumen und Früchte! Den Wald, mit seinen herrlichen Anhöhen und seinem hohen Laubgewölbe, den großen Gartenteich mit seiner bunt bemalten Gondel, die mein Mann mir aus Archangel hatte kommen lassen, und die so leicht zu regieren war, daß ein sechsjähriges Kind damit hätte fertig werden können!
Auch Thiere hatte ich zu meiner Lust, ein paar Pferde, mit denen ich nach Belieben spazieren fahren konnte, rechnete ich kaum dazu; denn damals mochte ich noch lieber gehen als fahren; aber zwei schöne, winzig kleine, spanische Hündchen, acht Lämmer, deren Toilette die Gärtnerfrau besorgte, so daß sie nie anders, als wohlgebürstet und schneeweiß vor mir erschienen. Jedes von diesen trug am Hals eine Glocke, von neuer in England gemachter Erfindung, und alle achte bildeten zusammen eine wie Silber tönende, sehr rein gestimmte Octave. Auch meinen, mit schönem, zum Theil sehr seltenem, Federvieh wohl [276] versehenen Hühnerhof muß ich hier erwähnen, und die zahlreichen uralten Karpfen in unserm Teiche, die eilig herbeischwammen, sobald sie meine Stimme hörten, und mit aufgerissenen Mäulern die Brocken, die ich von meiner Gondel ihnen zuwarf, einander abzujagen sich bemüheten.
Das Plätschern der Fische, der Vögelgesang, das Säuseln des Windes im Walde, das sanfte, unbeschreiblich liebliche Glockenkonzert meiner auf den Rasenplätzen weidender Lämmer boten, nachdem ich einige Stunde lang auf gewohnte Weise im Hause mich beschäftigt hatte, mir Erholung genug; ein zuweilen auf Wochen ausgedehnter Besuch meiner Schwester Lotte, Jamesons, oder meines Onkels unerwartete Erscheinung an einem schönen Sommermorgen, war mehr als hinlänglich, um jedes Sehnen nach einem bewegteren, an mannichfaltigeren Freuden reicheren Leben von mir fern zu halten.
Nie legte ich in Abwesenheit meines Mannes in der Nachbarschaft Besuche ab, bediente mich des mir zu Gebote stehenden Fuhrwerks nur zu kurzen Spazierfahrten, von denen ich, ohne irgendwo anzuhalten, zurückkehrte, wählte außerhalb dem weitläufigen Bezirk meines Gartens nur von der Landstraße entlegene Wege, durch Wiese, Feld und Wald, zu meinen [277] größeren Spaziergängen; also rieth es zu meinem Heil mir eine gewisse innere Stimme, der zu folgen ich Zeitlebens bereit gewesen bin, weil ich in seltenen Fällen, wo ich ihr widerstrebte, immer Ursache gefunden, dieses bitterlich zu bereuen.
Mein Mann war unfähig, durch direkte Aeußerung von Eifersüchteleien mir das Leben zu verbittern; wie wenig er bei einem Wesen meiner Art dadurch gewinnen könne, wurde ihm immer deutlicher, je näher er mich kennen lernte, aber er konnte doch seine Zufriedenheit mit meinem Betragen mir nicht verbergen, und diese mir zu erhalten, konnte und mußte vernünftiger Weise das einzige Ziel sein, das ich nie aus den Augen verlor.
Nie erwähnte er die große Verschiedenheit unseres Alters, doch wenn er in jugendlichen Umgebungen mit Andern meines Gleichen mich fröhlich umherflattern sah, bemerkte ich wohl, wie diese Erinnerung sich wenig erfreulich ihm aufdrängte. Die französischen Romane, die er selbst mir in die Hände gegeben, hatten mich belehrt, daß bei seinem vieljährigen Aufenthalte in jenem Lande manche Erfahrung ihm zu Theil geworden sein müsse, die sich wenig dazu eigne, mein Geschlecht in seinen Augen zu erheben. Ich fühlte, wenn ich gleich nicht in deutlichen [278] Worten mir es sagte, daß unser Beider jetziges und künftiges Glück nur von seiner fortgesetzten Zufriedenheit mit mir abhängig sei, und ehrte und liebte ihn genug, um Alles daran zu setzen, mir diese zu erhalten und mit der Zeit sein festes Vertrauen zu gewinnen, ohne deshalb zur Heuchelei und sogenannten kleinen Weiberkünsten mich zu erniedrigen. Ich blieb gegen ihn wahr und offen, wie er es stets mir gegenüber gewesen, und befand mich wohl dabei.
Und wollte auch zuweilen ein leises Gefühl von Unbehagen oder Mißmuth auf mich eindringen, ein Blick auf die wundervolle Scenerie um mich her, und es war verklungen.
In der Abend- wie in der Morgenbeleuchtung, vom Sturm in seinen tiefsten Tiefen aufgeregt, erglänzend im hellen Sonnenschein, oder von darüber hinfliegenden Schatten der »Segler der Lüfte,« momentan verdunkelt, bot im Wechsel der Tageszeit das ewig bewegte Meer mir ein nie mich ermüdendes Schauspiel; und wenn ich Abends die Jalousien vor meinem Fenster nicht schloß, weckte mich der erste Strahl der mir gegenüber aus der Ostsee glorreich sich erhebenden Sonne. Mitternacht kam oft heran, die unaussprechliche Herrlichkeit der lauen nordischen Sommernacht, während welcher die Sonne nur wie [279] zum Scherz auf wenige Stunden sich verbirgt, hielt lange noch am offenen Fenster mich fest. Der purpurrothe Streif, der am Horizont die Stelle des Unterganges der Sonne bezeichnet, war noch nicht erloschen, die zweite Morgenstunde hatte noch nicht geschlagen und schon erglühete der östliche Himmel in immer steigender Pracht. Ich sah beide Leuchtthürme, den auf der Insel Hela, und den am Danziger Strande, Meteoren gleich, durch die Dämmerung blinken, lauschte noch eine Weile dem Geflüster der Bäume im nahen Walde, dem wunderlichen Gezwitscher der träumenden Vögel in meinem Garten, bis endlich das Geriesel des nie rastenden Springbrunnens unter meinem Fenster mich unwiderstehlich einlullte.