Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 25

Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder
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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

[243] Komm mit, o Schönste! komm mit mir zum Tanze,
Tanzen verherrlicht den festlichen Tag.
Bist Du mein Schatz nicht, so kannst Du es werden,
Wirst Du es nimmer, so tanzen wir doch!

Göthe.

Alles, im häuslichen wie im geselligen Leben, gestaltete sich weit abweichend von dem jetzt Ueblichen, auch die höchste Jugendfreude, der Tanz; schwerlich würde eine unsrer jetzigen eleganten Tänzerinnen den langweiligen Vandalismus eines damaligen Balles länger als eine Stunde ertragen, und gewiß schenken Alle dem Andenken ihrer längst im Grabe ruhenden Großmütter noch jetzt ihr innigstes Mitleid, wenn sie erfahren, daß damals keine tanzende Seele bei uns, weder an Walzer noch Dreher, noch Galopade dachte. Diese Tänze gehören dem südlichen Deutschland an, und hatten bis zu dem eisigen Gestade der Ostsee und der Weichsel noch nicht den Weg gefunden. Unsre nordischen Volkstänze, [244] waren die Polonaise und der Masureck, und sind es noch bis auf den heutigen Tag.

Wie jetzt eben auch noch, eröffnete die Polonaise damals den Ball. Doch welch ein Unterschied zwischen jenem großartig edlen, jeden Vorzug einer schönen Gestalt, im anmuthigsten Fortschreiten entwickelnden Tanz, und dem jetzigen nachlässig-bequemen Einherschlendern, das man sehr unverdienter Weise mit seinem Namen beehrt! Damals wurde die Polonaise mit einem ihr eigenthümlichen pas wirklich getanzt, nicht bloß gegangen; um recht zu verstehen, wie ich dies meine, muß man von Polinnen sie tanzen, von Polen ihre mannichfaltigen Wendungen anführen gesehen haben, die dem eben vorhandenen Raum anzupassen, dem Vortänzer allemal überlassen blieb.

Der Polonaise folgte die Anglaise; die Schleppen, die bei jenem feierlichen Nationaltanz am Boden hinrauschten, wurden von den sorgsamen Mama’s zierlich aufgeschürzt, und Alles eilte dem ersten Paare so nahe als möglich in Reihe und Glied sich zu stellen. Durch eine Kolonne von zwanzig bis dreißig Paaren, sechs, acht, sogar zwölf Touren mit jedem einzelnen derselben durchzutanzen, dann stehen zu bleiben, bis auch das letzte der Paare das erste [245] geworden, und wieder bis an’s Ende der Kolonne auf die nämliche Weise sich hindurchgewunden hatte, war freilich ein großes Unternehmen.

Masurecks, Anglaisen, Deutsche, Quadrillen, zuweilen von einer Polonaise unterbrochen, folgten nun schnell auf einander, bis Menuets die große Pause vorbereiteten, welche das sehr reichliche warme Abendessen herbeiführte, das weder Alt noch Jung verschmähte; denn kalte Küche war nicht die Sache jener Generation, die überall dem Soliden den Vorzug gab, und eben so wenig ihrer Gesundheit, als ihres guten Appetits sich schämte.

Nach Tisch wurde der Tanz mit erneuerten Kräften auf die nämliche Weise fortgesetzt, gewöhnlich bis der grauende Morgen durch die Fenster hineinleuchtete.

Kein Walzer, kein Galop, und was beinahe noch mehr sagen will, kein Cotillon! Denn diese große Geduldsprüfung der Mütter tanzfähiger Töchter war damals ebenfalls noch nicht erfunden. »Ach was war die alte Welt für eine dumme Welt!« ruft hier gewiß die jetzige junge, und doch erhob damals ein solcher Ball uns Alle auf den Gipfel irdischer Seligkeit, die wenigen Bedauernswerthen ausgenommen, [246] denen das harte Loos fiel, in unerwünschter Ruhe Zuschauerinnen bleiben zu müssen.



So tanzte und flatterte ich denn eine Weile zwischen Scherz und Ernst durch’s Leben, ehe dieses nur zu bald mit seinen bedeutenderen Anforderungen auf mich eindrang. Nicht immer habe ich gelacht, ich habe auch Thränen gekannt, damals, als das Herz auch in meiner Brust erwachte, wie es im Frühling des Lebens in der Brust der Bauerntochter wie in der der Fürstentochter erwacht. Die unbedeutend einfache Geschichte desselben liegt aber dem eigentlichen Zweck dieser Blätter zu fern, und ich habe versprochen, meine Leser mit derselben zu verschonen. Es sei genug, wenn ich gestehe, daß ich gerade unglücklich genug gewesen bin, um auch den süßen Schmerz, der allmälig in Wehmuth sich auflösenden herben Pein kennen zu lernen.

Der ersten Liebe zarte Götterblume zertrat ja stets des Lebens rauher Gang, hat, ich weiß nicht mehr wer, einst gesungen oder gesagt; belehrt durch vieljährige Lebensbeobachtungen möchte ich diesem Ausspruch »glücklicher Weise!« hinzufügen, denn dem im ersten entzückendsten Morgentraum der Jugend [247] auf ewig geschlossenen Bunde muß, wie die Welt einmal steht, jeder kommende Tag etwas von seinem Zauber rauben. Wir erwachen allmälig, die kalte Wirklichkeit tritt ein, mit ihren Plagen und Sorgen, der Himmelsglanz erbleicht, der das hohe Ideal unsrer Phantasie zur Göttergestalt verklärte, es steht am Ende rein menschlich vor uns da, und wir wähnen uns berechtigt, unser hart beraubtes Leben für verloren zu halten, während doch nur zu hoch gespannte Erwartung die Feindin war, die uns täuschte. Und doch!

Leben muß man, und lieben; es endet Leben und Liebe,
Schnittest du, Parze, doch nur beiden die Fäden zugleich.