Jugendleben und Wanderbilder/Band 2 Ueber das Leben Gerhards von Kügelgen
Niemals noch ergriff ich die Feder, um mein Urtheil über irgend ein Erzeugniß unserer Literatur öffentlich auszusprechen. Das große Feld der Kritik ist meiner Ansicht nach eins von denen, zu welchen Frauen nur in sehr seltenen Ausnahmen berufen sein können, und ich fühlte diesen Beruf nie in mir.
Doch hier ist diesmal die Rede von einem Werke, das in jeder fühlenden Brust die schmerzlichsten und heiligsten Gefühle anregen muß, es ist die Rede von einem Denkmal, welches von Freundeshand den Manen eines auf schauerliche Weise[WS 1] uns früh entrissenen bedeutenden Künstlers gestiftet ward, dessen unersetzlicher [317] Verlust neben denen, die ihm persönlich sehr nahe standen, auch ganz Deutschland in Trauer und Schrecken versetzte. Die unerbittlichste, schärfste Kritik muß hier verstummend die Waffen senken, wenngleich es ihrem Scharfsinn, wie bei allem Menschenwerk, nicht unmöglich sein möchte, in dem Buche selbst, nur als Buch betrachtet, hie und dort kleine Mängel aufzufinden. Wer aber den früh Entschlafenen im Leben kannte und liebte, der wird mit Rührung und schmerzlicher Freude dieses Buch aufnehmen, wie eine Blume am Grabe des geliebten Freundes entsprossen. Er wird gern Andre, denen er zutraut, daß sie mit ihm gleich empfinden, darauf aufmerksam machen wollen, und ich glaube, daß ich in diesem Sinne mir auch erlauben darf, meine Stimme laut werden zu lassen.
Diese Beschreibung des Lebens Gerhards von Kügelgen gehört zu jenen, die in der Art, wie sie ausgeführt sind, den Selbstbiographien am nächsten kommen, deren wir, besonders in den letzten Jahren, einige von unschätzbarem Werthe erhalten haben. Aus jeder Zeile desselben spricht die reinste Wahrheit, es ist mit einem Reichthum kleiner individueller Züge ausgestattet, die zusammengenommen, das Bild des Verstorbenen athmend und lebend vor uns hinstellen [318] und uns ihn selbst immer lieber gewinnen lassen. Mit sorgsamer Auswahl wußte der Verfasser aus Briefen, aus einzelnen Aufsätzen und mündlichen Erzählungen seines Freundes ein Ganzes zu bilden; Kügelgen selbst ist es, der in diesen Blättern zu uns spricht, während die Worte seines Biographen nur dahin streben, alle diese Bruchstücke an einander zu reihen, und wo es nöthig wird, sie auszufüllen, um nirgend eine Lücke bemerkbar werden zu lassen.
Die Umsicht und Bescheidenheit, mit welcher der Verfasser bei der Auswahl dieser Bruchstücke zu Werke ging, verdient das höchste Lob. Er gab uns gerade nur das Nöthige, was dazu dienen konnte, die Eigenthümlichkeit und den Lebensgang des allgemein verehrten Meisters in das Licht zu stellen, er gab uns nur das, was dieser im Leben oft und gern den Freunden selbst mittheilte. Alles Andre ist weggelassen, nie und nirgend verletzt der Verfasser die Schonung und Ehrfurcht, die man für den Druck nicht geschriebener Briefe, auch von Verstorbenen, und an diese, schuldig ist, und wir stoßen hier keineswegs auf den nach seinem Tode geplünderten Schreibtisch eines im Leben geehrten und geachteten Mannes.
So wie hier Kügelgens Lebensgeschichte zusammengestellt [319] erscheint, möchte man in einiger Hinsicht sie sogar einer Selbstbiographie vorziehen dürfen. Denn auch dem edelsten, reinsten Gemüthe wird es schwer, in allen Eigenthümlichkeiten des Charakters, in allen Ereignissen des Lebens, der Welt sich zu zeigen und ihr ganz aufrichtig von allen seinen Verhältnissen und Handlungen Rechenschaft abzulegen. Wahrheit und Dichtung vereinigen sich wider Wissen und Willen des Verfassers nur zu oft in einem solchen Werke, wenngleich der Titel dieses nicht immer kund thut, weil Jener selbst sich dessen nicht bewußt ist. In vielen Fällen ist man sich selbst nicht klar, in andern hemmen Berücksichtigungen oder Bescheidenheit den freien Erguß des Gemüths. Doch im Gespräch, einem bewährten Freunde gegenüber, wäre es auch nur mit der Feder in der Hand, da geht das Herz auf und ergießt sich ohne Rückhalt und Bedenklichkeit. Kügelgen war in solchen Stunden der offenste aller Menschen und durfte es sein, denn in seinem reinen, echt kindlichen Wesen lag nichts, was er wünschen konnte, Denen, die ihn liebten, zu verbergen, und das thaten Alle die ihn kannten.
Was hier von der Jugendgeschichte Gerhards von Kügelgen bis zu dessen Verheirathung erzählt wird, habe auch ich selbst aus seinem Munde vernommen; [320] vieles Spätere habe ich gewissermaßen mit ihm erlebt, denn seit Fernows Tode, der uns Beide gleich schmerzlich traf, stand ich mit ihm fortwährend in der freundschaftlichsten Verbindung und kann daher für die Wahrheit auch des kleinsten in diesem Buche uns aufbewahrten Zuges aus seinem Leben mich verbürgen. Keiner davon war mir fremd, und oft glaubte ich die uns leider auf immer verklungene Stimme wieder zu hören, indem ich das Buch las, so treu sind die Worte des Verstorbenen und seine ihm eigenthümliche Weise sich auszudrücken, in demselben uns aufbewahrt.
Vor Allem anziehend ist die Darstellung der in Bacharach verlebten Kindheit der Zwillinge. Noch immer lebt in jener Stadt die Sage von der Liebenswürdigkeit und Schönheit der beiden Kinder, die wegen ihrer großen Aehnlichkeit mit einander als etwas Wunderbares, fast Heiliges betrachtet wurden. Ein heftiges Gewitter zwang mich im Jahre achtzehnhundert sechszehn in Bacharach einzukehren, und dort zu übernachten. Ich fragte nach Kügelgens Verwandten und hoffte Nachrichten von ihnen einzuziehen, mit denen ich ihn selbst später erfreuen könne, und sogleich eilte eine freundliche alte Jungfer Base meiner Wirthsleute herbei, die vor Zeiten in dem [321] Hause von Kügelgens Eltern sehr bekannt gewesen war. Nichts konnte rührender sein, als die Freude der guten Alten, eine Freundin ihres Lieblings zu sehen; sie erzählte viel von dem häuslichen Glücke der Eltern der Zwillinge, besonders von der trefflichen schönen und stattlichen Mutter und dem anmuthigen Wesen der beiden Kinder. Alle Nachbarn, sagte sie, traten heraus, um ihnen nachzusehen, wenn sie Hand in Hand über die Straße gingen; es war unmöglich sie zu unterscheiden, mit ihren schönen langen Locken sah eines genau aus wie das andre, und als sie fortzogen aus Bacharach, betrübten sich alle Leute, daß sie die lieben freundlichen Engelskinder nicht mehr sehen sollten, an denen Alle ihre herzliche Freude hatten.
Kügelgens heranreifende Jugend, seine Wanderjahre im Süden wie im Norden, sein Fortschreiten auf der Bahn der Kunst, alle erfreulichen wie alle traurigen Ereignisse, die ihn später betrafen, finden wie hier treu und lebendig dargestellt, wahr und anspruchlos, wie er selbst sein ganzes Leben hindurch sich gezeigt hat. Wir erleben mit ihm, was er erlebte, wir freuen und betrüben uns mit ihm. Selbst Denen, die nie ihn sahen, wird seine Persönlichkeit durch die überall eingestreuten Bruchstücke aus seinen [322] Briefen vergegenwärtigt, und so besitzt dies Buch den seltenen Vorzug, daß der Gegenstand desselben die Liebe Aller erwirbt, die es lesen, ohne daß es, umgeben von der Theaterglorie übermenschlicher Vollkommenheit, ihn gleichsam in einem academischen Act zur öffentlichen Bewunderung ausstellt. Es ist keine Eloge nach französischer Art, es ist das treue Bild eines edeln bescheidenen Mannes, der in der Kunst, wie in der höheren Bedeutung des Lebens, mit frommem Ernst und hellem Auge dem höchsten Ziele zustrebte. Widerwärtigkeiten, die vielfach in mancherlei Gestalt ihm entgegentraten, konnten zwar schmerzlich ihn beugen, doch nie seinen festen Muth niederdrücken, denn der Grund, auf den dieser beruhete, war nicht von dieser Welt.
Vom frühen Morgenroth seiner glücklichen Kindheit an, bis zu der fürchterlichen Katastrophe, welche Denen, so ihn liebten, eine schmerzliche Wunde schlug, als ihm die vielleicht kaum empfundene es war, an der sein schönes Leben schnell verbluten mußte, gingen Liebe und Kunst stets Hand in Hand ihm zur Seite. Und auch in dieser Beschreibung seines Lebens finden wir dieses durchweg mit seinem künstlerischen Streben auf das engste verflochten, wir sehen die Gebilde seiner kunstreichen Hand erst in [323] der Idee, dann in der Ausführung, gleichsam unter unsern Augen, entstehen. Wir theilen seinen Schmerz, daß er Portraite malen muß, weil er ihn empfand.
Die Nachwelt wird einst über seine Kunstwerke ein bestimmteres Urtheil fällen als wir es können, denen er in jedem Bezuge so nahe stand. Sie wird darüber entscheiden, ob er nicht ganz besonders zur Darstellung des innenwohnenden Geistes berufen war, wie dieser in der äußern individuellen Form des Menschen sich abspiegelt, und mehrere seiner Portraite, die er mit Geist und Liebe auffaßte und festhielt, wie die von Wieland[WS 2], Fernow[WS 3], Seume[WS 4], werden vielleicht später von Künstlern und Kennern gewürdigt und bewundert, in fürstlichen Gallerien neben ähnlichen Werken der berühmtesten Meister einen würdigen Platz finden.
Die Beilagen, mit denen der Verfasser dieses an sich so anziehende Werk noch ausstattete, gewähren zum Theil dem Ganzen einen beruhigenden, tröstlichen Schluß, der auf die durch das fürchterliche Ende eines so schönen Lebens erschütterten Gemüther höchst wohlthätig wirken muß; besonders Böttigers[WS 5] treffliche Worte am Grabe des vielgeliebten Freundes. Von der den Mörder betreffenden Beilage werden wohl mit mir die Mehrsten sich schaudernd abwenden. [324] Obgleich diese aus den Untersuchungs-Acten gezogene Darstellung seiner dunkeln That und Persönlichkeit zum Ganzen nothwendig gehören mochte, so findet man doch nicht ohne Widerwillen sie mit dem Leben des edlen reinen Opfers seiner Unthat hier in einem Bande vereint.
Den innigsten Dank aber verdient der Verfasser für die Mittheilungen von dem Leben und den Kunstwerken des geliebten Bruders unsers Freundes, der hoffentlich noch lange die eine Hälfte des so grausam getrennten Daseins der Zwillinge fortsetzen wird, wenn wir gleich dabei es schmerzlich bedauern müssen, daß dieser ausgezeichnete Künstler für unser Vaterland wahrscheinlich auf immer verloren ist.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Gerhard von Kügelgen wurde Opfer eines Raubmords.
- ↑ Christoph Martin Wieland (* 5. September 1733; † 20. Januar 1813)
- ↑ Carl Ludwig Fernow (* 19. November 1763; † 4. Dezember 1808)
- ↑ Johann Gottfried Seume (* 29. Januar 1763; † 13. Juni 1810)
- ↑ Karl August Böttiger (* 8. Juni 1760; † 17. November 1835)