Johann Wolfgang Friedrich Boennecken an das Ehepaar Gumprecht 1788

Textdaten
Autor: Johann Wolfgang Friedrich Boennecken
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Titel: Johann Wolfgang Friedrich Boennecken an das Ehepaar Gumprecht 1788
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aus: Gemeindearchiv Eybach Bestand A 24
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1788
Erscheinungsdatum: 1964
Verlag:
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Originalherkunft:
Quelle: Ein Brief schildert Eybach zur Goethezeit, in: Manfred Ackermann/Helmut Schmolz, Fußtapfen der Geschichte im Landkreis Göppingen. Schicksale aus elf Jahrhunderten, Weißenhorn: Konrad 1964, S. 104-106, Scans auf Commons
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[104] Liebe Herr und Frau Gumprecht,

Ich kann mir’s sehr gut vorstellen, daß Sie einen etwas ausführlicheren Brief von mir erwarten, als der letzte war und sein konnte. Es war nur gleichsam der erste Ausbruch meines Herzens, der erste Laut meiner frohen Seele. Und diese ist, gedankt sei es der göttlichen Vorsehung! Auch jetzt noch mein Eigentum, denn ich finde meine Lage hier noch immer so, wie ich glaube, daß sie sein müßte, wenn sie für mich passen sollte. Ich liebe, wie alle Adamssöhne, die Veränderung, doch wie Sie selbst wissen und von mir urteilen werden, nicht zusehr. Nun, für diese mäßige Veränderung ist hier gesorgt. Bald will ich in Gesellschaft, am liebsten aber immer in einer kleinen, nicht lärmenden sein, und dann noch länger mich wieder in die stille Einsamkeit zurückziehen. Ich liebe das freie Feld und den Aufenthalt auf demselben, besonders des Morgens und gegen Abend. Ich mag nicht gerne mit jemanden um die Wette laufen, um Ehre oder Interesse streiten, mag nicht gerne jemands Herr, aber eben so wenig jemands Untergebener sein. Ich mag mich nicht gerne um eitle Ehre oder blinkendes Gold, das ohnehin die wenigsten recht genießen, zu Tode zappeln, aber Arbeit muß ich haben, wenn ich heiter bleiben soll. Ich muß Gott nach meinem besten Wissen und Gewissen verehren können, aber auch die Freiheit haben, dies, soweit es ihnen nützt, meinen Brüdern bekannt zu machen. Ich darf weder zuviel, noch zu wenig Einkommen haben, man darf mir weder ansehen, noch im mindestens den Verdacht schöpfen dürfen, daß ich aus Not, noch viel weniger aus Eigennutz das tue, was ich tue. Und von dieser Art von Bedingung könnte ich Ihnen noch sehr vieles herschreiben. Aber ich fürchte, ich möchte Sie ermüden, und Sie fürchten machen, als könnten die wenigsten erfüllt sein. Ich will also nur die schon erwähnten Punkte sogleich berühren und das Übrige, was mir hier gefehlt, hinzusetzen, ohne zu sagen, daß es für mich so sein mußte. Sie kennen mich ja ohnehin nach meiner Neigung und Empfindung.

Meine gräfliche Herrschaft ist sehr reich. Ein Umstand, der heutiges Tages unter dem Adel sehr selten ist, zumal unter dem hohen, dergleich Grafen sind. Lägen ihre Güter beisammen, so machten sie ein kleines Fürstentum aus. Will sie also in ihren Orten, und auch in den meinigen, dem Aufenthalt nach, versteht sich, Gutes stiften, so fehlt es ihr nicht an Mitteln dazu. Der Herr Graf ist ein überaus tätiger, an größte Ordnung gewöhnter Herr, der alle seine Rechnung selbst führt, viel Welterfahrung hat und Aufklärung besitzt. Seine Gattin ist eine sehr kluge Frau. Beide sind auch sehr wohltätig. Ich teile alle Monate 5 Gulden für hiesige und fremde Arme für sie aus, und sie geben außerdem den Notleidenden noch viel. Gegen 8 Monate halten sie sich in Eybach, die übrigen 4 kalten Monate aber in Stuttgart oder Heilbronn auf. Dabei habe ich bald Gesellschaft, bald wieder Ruhe. Ich kann hier, [105] nach Belieben über Berge steigen, oder im Tale an einer hellen lebhaften Quelle durch schöne Wiesen wallen, kann in einem schönen natürlich, oder in einem mit großer Kunst angelegten Felde zubringen, da arbeiten, Kaffee trinken, und dergleichen. Und jeder Winkel meines großen, hellen und schönen Hauses bietet mir eine angenehme Feldaussicht. Ich habe hier keinen Kollegen, der mich eifersüchtig auf sich, noch den ich es auf mich machte, bin weder einem General-Superintendenten noch einem Rabbi oder Synagogen-Vorsteher und Oberhaupte unterworfen. Mein Dienst trägt sechsthalbhundert Gulden fixes Salar. Sonst ist freilich wenig oder nichts dabei, aber es ist mir schon genug. Ich brauche es nicht erst aus Zehnten zu erzwingen, noch aus andern Abgaben und Beiträgen zu erstreiten. Es wird aus der herrschaftlichen Kasse, und wenn ich will, auch einige Zeit voraus, und in vier Terminen bezahlt. Dafür tue ich wirklich schon mehr, als man dafür fordert, ob ich gleich meinem Gewissen nach nie werde zu viel tun können. Ich habe nur gegen 30 Haushaltungen außer der gräflichen Familie zu versehen. Dabei sind auch zwei Höfe, wovon der eine aber jetzt mit einem Wiedertäufer, also einem von unserer Kirche in etwas getrennten Sonderling, besetzt ist. Er besucht dennoch die hiesige Kirche fleißiger, als manche Einwohner. Im Schloß ist eine ansehnliche Bibliothek. Freilich keine Göttingische, aber die hab’ ich jetzt auch nicht mehr nötig. Ich will gerne und ohne neidisch darüber zu werden, andere dort wühlen lassen. Die hiesige bietet mir dafür einen desto freieren Gebrauch. Selbst der Schlüssel dazu ist mir angeboten worden, und im historischen und ökonomischen Fache besonders hat sie vortreffliche Werke. In der großen Saal- und Gartenstube des Schlosses steht ein großes wohlversehenes Billard und ein hübscher Flügel, und die Herrschaft ist jetzt und öfters abwesend. Auch wenn sie da ist, ist oft Gelegenheit darauf zu spielen.

In meiner Tracht haben Sie sich geirrt. Sie meinten, ich dürfe runden Hut und dergleichen hier zu Lande nicht tragen, und mein Vorgänger ging doch immer in steifen Stiefeln, Sporn und ähnlichen ritterlichen Kleidern einher. Ich behalte also meine Göttingische Tracht fast ganz bei; nur trage ich bisher freiwillig immer schwarze Weste und Beinkleider. Wird mir in sehr heißen Tagen auch dieses lästig, so kann ich nach Belieben und Vermögen auch etwas leichteres und luftigeres wählen. An guten Freunden und an Unterhaltung zur Erholung fehlt mir’s hier auch nicht. Es ist für beständig ein Hofgärtner und ein Gerichtsschreiber hier, beide sind sehr freundschaftlich und haben rechte brave Weiber, wovon ich mit der Hofgärtnerin eben so vertraut zuweilen sprechen kann, als mit Madame Gumprecht. Jene hat zwar nicht soviel Lectüre, ist aber auch eine sehr gute Haushälterin und liebt und übt Ordnung über alles. Ihr Vater war Rector in Stuttgart und sie lange in herrschaftlichen Diensten.

Mein Ort ist für ein Dorf ganz vorzüglich schön und so reinlich auf den Gassen, als es wohl in wenig Dörfern sein mag. Alle Häuser sind mit Ziegeln gedeckt und mit weißem Kalch beworfen. Auch haben wir vortreffliches Wasser, weiß und braunes Bier und Wein. [106] Letzterer ist teuer, aber daran gewöhnt man sich in Göttingen schon, oder vielmehr man entwöhnt den Wein. Nur Frucht oder Brot ist hier sehr teuer. Schön ist aber das Kaufbrot der hiesigen Bäcker und täglich frisch, sonntags auch mürbe, sehr gute Brezeln zu haben. Fleisch ist rar; auch Geflügel und Fische selten zu haben, außer Forellen. Zum Glück gibt’s doch im hiesigen großen herrschaftlichen Garten Gemüs und Salat genug. Die Nahrung der hiesigen Einwohner kommt meist von Wiesen und Viehzucht. Reich sind sie gar nicht. Doch betteln auch die evangelischen nicht, wenn sie gleich arm sind, sondern arbeiten und zappeln lieber. Von fremden Bettlern aber strömt es immer auf unsern Ort zu. Zwölf bis vierundzwanzig reichen oft in einem Tag kaum zu. Doch ist im Ort und Feld große Sicherheit.

Mehr zu schreiben verbietet der Raum. Also noch ein herzliches Lebewohl an Ihre ganze Familie und dann Punktum.

Eybach, den 11. Juli 1788

J. W. Fr. Boennecken

Erläuterungen (Wikisource)

1788 berief der Reichsgraf von Degenfeld einen jungen evangelischen Pfarrer aus Göttingen, Johann Wolfgang Friedrich Boennecken, zum Pfarrer von Eybach (Landkreis Göppingen). Kaum ein Jahr später starb Boennecken. In seinem Nachlassverzeichnis ("Inventur und Teilung") fanden Manfred Ackermann und Helmut Schmolz diesen von der Empfindsamkeit beeinflussten bemerkenswerten Brief, den der junge Geistliche an eine befreundete Göttinger Familie schrieb.