Johann Strauß und sein Freiplatz

Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Johann Strauß und sein Freiplatz
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1914, Zwölfter Band, Seite 207–209
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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Quelle: Commons
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[207] Johann Strauß und sein Freiplatz. – Der Hofballmusikdirektor und Walzerkönig Johann Strauß hatte ständig einen [208] bestimmten Freiplatz im Parkett der Wiener Hofoper, den er jedoch sehr selten benützte, da er abends meistenteils mit seiner Kapelle beschäftigt war. Einmal gedachte er sich nun die Erstaufführung von Bizets „Carmen“ anzusehen, nachdem er sich volle sechs Wochen nicht hatte in der Hofoper blicken lassen. Als er nun an dem Billettkontrolleur, einem pensionierten Wachtmeister, der diese Stelle erst vor einem Monat erhalten hatte, vorüber wollte, hielt jener ihn an mit dem Bedeuten, der Herr müsse erst seine Karte vorzeigen.

Der Hofballmusikdirektor war zunächst etwas verdutzt, fragte dann aber mit gemütlichem Lächeln: „Kennen Sie mich nicht?“

„Hm – ja. – Sie haben entschieden Ähnlichkeit mit unserem Strauß. Und wenn ich nicht wüßte, daß der Herr Hofballmusikdirektor bereits wieder auf seinem Platz im Parkett sitzt, so würde ich wahrhaftig denken, Sie wären’s.“

Der Walzerkönig, der aus dieser Antwort nicht recht klug wurde, wollte sich auf weitere Unterhandlungen nicht einlassen und verlangte jetzt etwas barsch, der Kontrolleur solle ihm den Weg freigeben. Doch der Mann weigerte sich energisch. Schließlich wurde der zweite Kassierer herbeigeholt, der sich dann mit vielen Bücklingen bei Strauß entschuldigte. Der Billettkontrolleur sei erst kürzlich angestellt worden und kenne die Inhaber der Freiplätze wohl noch nicht genau.

Diesen Vorwurf ließ jedoch der frühere Wachtmeister nicht auf sich sitzen. „Wie – ich soll unseren Strauß nicht kennen?!“ protestierte er ganz erregt. „Der Herr Hofmusikdirektor ist ja aber schon auf seinem Platz. Das habe ich diesem Herrn schon einmal gesagt!“

Jetzt erst ging dem Kassierer ein Licht auf. Durch einen Logenschließer ließ er schleunigst den Pseudowalzerkönig herausbitten, der sich dann als ein biederer Schneidermeister namens Höninger entpuppte. Höninger sah dem Hofballmusikdirektor allerdings täuschend ähnlich und hatte diesen Umstand benützt, um fast Abend für Abend den Freiplatz seines berühmten Doppelgängers einzunehmen.

Johann Strauß sorgte dafür, daß die Sache für den Schneider keine weiteren Folgen hatte. Nur eines mußte er ihm noch [209] erklären – wie er es so einzurichten verstanden hatte, daß sie beide nie an demselben Abend den Freiplatz benützten.

„Sehr einfach,“ erwiderte Höninger. „Ich hab’ mich halt stets aus der Zeitung darüber informiert, wann Sie abends zu dirigieren hatten. Dann war ich ja sicher, mit Ihnen nicht zusammenzutreffen. Und eigentlich hätten Sie heut auch nicht hier sein dürfen. Sie sollten doch im Palais Schwarzenberg spielen.“

Strauß lachte aus vollem Halse. „Entschuldigen Sie nur – aber das Fest ist noch im letzten Augenblick abgesagt worden. Im übrigen aber wollen wir es so weiter halten wie bisher. Ich werde Ihnen die Erlaubnis erwirken, daß Sie mich vertreten dürfen. – Nur heute müssen Sie mir den Platz einräumen. Da haben Sie zwei Kronen. Im dritten Rang wird noch ein Eckchen für Sie frei sein.“

Und so blieb es auch wirklich. Höninger, der kurz vor Johann Strauß starb, hat bis an sein Lebensende den Parkettsitz des Hofballmusikdirektors mitbenützt.

W. K.