Textdaten
Autor: Anton Birlinger
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Titel: Johann Peter Hebels Leben
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aus: Alemannia, Band III, S. 75–79
Herausgeber: Anton Birlinger
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Adolph Marcus
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Erscheinungsort: Bonn
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung: Rezension zu Georg Längins Johann Peter Hebel. Ein Lebensbild. Karlsruhe: Macklot, 1875
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Johann Peter Hebels Leben.
Johann Peter Hebel. Ein Lebensbild von Georg Längin. Mit Hebels Bildniss. Karlsruhe, Verlag der Macklotschen Buchhandlung 1875 VIII 230 S. 8.

Es lag schon längst in dem Wunsche des deutschen Volkes und besonders in dem aller Hebelverehrer, eine zeitgemässe Lebensbeschreibung zu haben. Man gab sich zufriden mit den Berichten der Augsb. Allg. Zeitung, des Morgenblattes von 1827, der Ersch und Gruber’schen Encyclopädie (Alem. II 179), des neuen Necrologs der Deutschen und der Ausgabe von 1834 (Sonntag). Da kam 1843 die allgemein bekannte Sammlung von Hebels Werken, deren Einleitung von Preuschen und Kölle Lebensgeschichtliches beigegeben ist (I–CXXVI). Mit diesen kostbaren Beiträgen der zwei berufensten Männer begnügte man sich wiederum volle 17 Jahre. 1860, dem hundertjährigen Jubiläum (10. Mai) erschienen erst die wahren Quellen zu einer Hebel’schen Biographie, nämlich die drei Briefsammlungen, die sogen. Basler, Freiburger und Nüsslin’sche. Vorauf ging ihnen 1858 Giehne’s schöner Aufsaz »Ueber Hebel« in der deutschen Vierteljahrschrift. Wie unsere deutschen Dichter erstes Ranges, unsere grossen Feldherrn der Freiheitskriege nur aus ihren Briefen so recht erkannt werden konnten, so auch der an sich so einfache Hebel. Sollten sich auch weitere Briefe aus dem Verstecke irgend eines Familienarchivs, etwa in Strassburg, auftun: was notwendig ist zur Erkenntnis dieses Dichterlebens, das besizen wir vollauf in den genannten drei Sammlungen. Der rechte Mann hat sich an die schöne Aufgabe gemacht, und dazu, was noch höchst erfreulich, gelang es ihm auch noch aus der Tradition ein Bild seines Helden zu schaffen. wie es keiner besser machen konnte. Es musste ein Landsmann und zwar ein engerer sein, dazu wo möglich evangelischer Theologie, Kenner der politisch-kirchlichen, culturgeschichtlich-topographischen Verhältnisse des alten und neuen Landes Baden. Den Zauber der Hebel’schen Sprache und Denkart zu kennen, ist schon in dem Landsmann inbegriffen. Der Lebensbeschreiber musste wie Hebel selbst der Heimat entrückt sein, weil nach allgemeiner Erfahrung das heimische desto schöner und romantischer sich gestaltet, je weiter man, z. B. im Berufe davon entfernt ist. Das trifft alles bei unserm Biographen zu. Seit 10 Jahren in Karlsruhe, wo Hebel 34 Jahre zubrachte, [76] ist es ihm gelungen, die einfachen Lebensverhältnisse desselben gleichsam künstlerisch zu fassen und in einem ganzen Gusse zu geben, wie wir es nur vom Leben unserer Hauptdichter in Händen haben. Es ist ein Glück, dass unser Biograph durch seine Stellung und seinen Aufenthalt in der Lage war, der ersten Gelehrten und Beamten, meist Abkömmlinge altbadenscher Familien sich als Beiträger erfreuen zu dürfen. Vorwort, Seite VII. Die Sprache des schönen Buches ist eine seines Gegenstandes würdige, warm begeisterte. Gleich Cap. I »Heimat und Elternhaus« hebt den Leser in’s schöne Wiesental hinein, einst markgräflich Baden-Durlachisches Gebiet geheissen. Ein patriotisches Stück Topographie und Landesgeschichte unter Karl Friedrich’s gesegneter Regierung! Seite 7 ff. handelt von Hebels Geburt. Der Vater ein geborner Hunsrücker aus Simmern, also Franke, die Mutter von Hausen im Wiesentale, Alemanninn, demnach eine Völkermischung, die sicher auf Hebels Eigenart von Einfluss war. Wenn es Thatsache sein soll, dass die Söhne der Mütter Eigenschaften teilen, wie wir es von Schiller und Göthe zuverlässig wissen, so werden wir auch Hebels eigenartiges Wesen, das ihn zum Liebling des deutschen Volkes machte, ganz besonders dessen Mutter zu danken haben. Hebels Jungendzeit fällt bis zu seinem Abgange ans Gymnasium nach Karlsruhe auf Hausen, Basel, Schopfheim. Dieser Zeit Erinnerung verdanken mehrere Gedichte ihren Ursprung. Die Sensucht nach den Orten der Kindheit tritt bei Hebel wie bei Schiller gleich ausgeprägt hervor; hat ja doch Karl Moor plözlich mitten in seinem Räuberleben sich nach der Heimat Franken zurückgesent und gleich dieser Sensucht praktische Folge gegeben. Es ist nicht die Sensucht, da zu bleiben, sondern nur sein Heim wieder zu sehen. Cap. II begreift Нebel’s Studiengang in sich, zugleich ein echt vaterländisch warmer Gang in Karlsruhes Jugendjare, ein Meisterstück topographisch-historischer, litteraturgeschichtlich-pädagogischer Art. Wir finden hier am Gymnasium Illustre, wohin der Vormünder den jungen Hebel brachte mit einigem Privatvermögen ausgerüstet, die deutsche Sprache bei öffentlichen Feierlichkeiten, wir finden das pädagogisch so unendlich wichtige Element der Landesgeschichte, die schon Geiler von Kaisersberg für die Jugend Strassburgs so angelegentlich empfielt. Der Vater der badenschen Landesgeschichte, Schöpflin, hatte kaum vorher die berühmte Historia Zähringo-Badensis (1763), mit Willen und Kosten des Landesherrn herausgegeben. Sch. war ehedem Schüler desselben Gymnasiums. Man suchte für die Anstalt bedeutende Kräfte aus ganz Deutschland. Denn was Kunst und Wissenschaft betrifft, überschritt damals wie heute die Landesregierung mit Recht und grossem Erfolge die engen Grenzen. Das Gymnasium nahm auch lebhaften Anteil an der wichtigen geistigen Bewegung des vorigen Jarhunderts: merkwürdig ist, dass unter den Dichtern Klopstock, [77] Wieland und Schiller, nicht aber Göthe und Lessing, genannt sind, ob sie die nötige Volkstümlichkeit sich da nicht erwecken konnten? Lessings Feind Klotz dagegen ist offenbar aus orthodoxen Rücksichten sehr bekannt. Hebels Studienzeit in Erlangen – 1778 verliess er das Gymnasium – scheint nicht mit sonderlich vil Erfolg verbracht worden zu sein. Es unterligt keinem Zweifel, sagt der Verfasser, dass Hebel nicht die nötige Zeit auf seine Studien verwendete, sucht ihn aber in Anbetracht der dürftigen Verhältnisse zu retten, so gut es geht. Ich werde in der »Alemannia« Hebels Stammbuch aus Erlangens Zeit veröffentlichen und hoffe dadurch für jene Periode einige Aufschlüsse geben zu können. – Am 5. September 1780, am Schlusse seiner Studentenjare, verteidigte Hebel bei der Prüfung die Thesen mit »merklicher Fertigkeit und hat die schon so oft von ihm bekannten trefflichen Gaben bewiesen, auch sein Specimen ganz wohl ausgearbeitet.« Den 22. und 28. September war Examen rigorosum, worauf er unter die Kandidaten des geistlichen Standes »redigiret«. Glänzend fiel es nicht aus. Aber dass er durchgefallen sei, ist Mythe. Von jezt ab kümmerte man sich wenig um ihn. Drei Jare schien er vergessen, acht Jare in untergeordneter Stellung! Vom Jare 1780–82 weis man gar nichts von ihm. Da bittet ein Pfarrer zu Hertingen wegen Krankheit, seinen Informator domesticus Hebel für ihn pastorieren lassen zu dürfen. Diesen Aufenthalt scheint Hebel so recht gemütlich und poetisch verbracht zu haben. Denn von da scheint er nach Mülheim auf die Post und nach Bürglen auf die Höh’ gewallfartet zu sein. Als er von Karlsruhe später, so schreibt er an die Freundin Gustave, nach Hertingen kam, war er traurig, weil man ihn kaum mehr kannte und vile der alten Freunde nicht mehr waren! Er soll mit grossem Vergnügen stets von H. gesprochen haben. Im März 1783 ward er Präceptorats-Vicar zu Lörrach am Pädagogium. Er war ein guter gründlicher Lehrer, heiter und fröhlich und ein lieber Gesellschafter. Von da datieren seine Freunde Tobias Güntert, Prorector, † 1821; er heisst in der Gesellschaftssprache der Vogt; ferner Friedrich Hitzig, seit 1787 Vicar in Rötteln, 1791 Hebels Nachfolger in Lörrach, gestorben daselbst als Kirchenrat und Dekan 1849. In die Lörracher Zeit fällt die sogen. »Geheimbündelei«, die Ernst und zugleich Satire auf die Zeitrichtung war. Der Verfasser hat ausfürlich S. 47 ff. darüber gehandelt. Ihr Gesammttitel: Proteuser, ihre Geheimsprache ist äusserst drollig. Auch mit der Strassburger Familie Haufe hatte Hebel einen ähnlichen Bund eingegangen mit dem Titel: Kaiserreich; Hebel selbst figurierte als Wild- und Rheinkönig Peter I. von Assmannshausen, die Frau Haufe war sein »lieber geheimer Staatsminister und Intendant der Künste und Wissenschaften.« Den 30. April 1813 ist er Peter I Mitglied der hohen Coalition etc. – Elf Jare im Dienste der Kirche, seine Freunde alle versorgt [78] sehend, stand er da, vergeblich auf feste Anstellung harrend, »gleich dem Baum oben auf einem Berge, und einem Panier oben auf einem Hügel«, der Hoffnung Prorektor zu werden beraubt, – da kam plözlich eine Berufung nach Karlsruhe als Subdiakon mit 463 Thlr. Gehalt. Mit der Umsattelung zur Medicin u. s. w. hatte es jezt sein Ende. Wir dürfen diesem Rufe nach Karlsruhe, wie der Verfasser richtig bemerkt, den Dichter und Volksschriftsteller verdanken, ebenso den Freund und herrlichen Menschen. Denn nur die Sensucht nach dem Oberlande und seinen dortigen Freunden erzeugte den schönen Briefwechsel. Der Schluss dieses Capitels fürt uns noch zwei Frauengestalten vor, von denen die erste Hendel-Schütz bald nebelhaft verduftet, die zweite Gustave Fecht als Freundin Hebels bis zu seinem Tode verbleibt. Sie ist die Schwester von der Frau des genannten Pfarrers Güntert. Hebels häusliches Leben schildert S. 58 ff. Dass er sich nicht zum Heiraten entschloss, war seine frühere kärgliche Stellung Schuld und als er heiraten konnte, da war er schon zu sehr alter Junggeselle und warscheinlich zu bequem, wozu noch kömmt, dass seine Freundin der höheren standesmässigen Bildung für Karlsruhe warscheinlich entberte. – Cap. IV ist betitelt: »In der Residenz.« Da haben wir wieder so recht den Biographen als Kenner vom Land und der Stadt Karlsruhe vor uns. Es ist ein reiches Material hier für Litteratur- und Aufklärungsgeschichte Badens. Nachdem das hervorgezauberte Karlsruhe mit allen Strassen und Gassen geschildert, greift der Verfasser in ein merkwürdiges Stück Geschichte hinein. Während man in Berlin für französische Litteratur schwärmt, treten Weimar, zum teile Wien, Braunschweig, Darmstadt und besonders Karlsruhe als Pflegestätten deutscher Litteratur auf. Klopstock und Herder machen Besuche in Karlsruhe oder verbleiben zeitweilig da u. s. w. S. 84 ff. behandeln Hebels Ankunft, sein Auftreten als Lehrer u. s. w. Er lehrte Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Naturgeschichte: alles unter dem Namen Subdiacon, predigt von Zeit zu Zeit bei Hofe, wo Karl Friedrich sein regelmässiger Zuhörer war. Anno 1798 wird Hebel Professor der Dogmatik und der hebräischen Sprache, was ihn nicht abhielt, seine früheren Fächer weiter beizubehalten. Im Jahre 1808 ward er Director des Kirchenrats und als solcher Prüfungs-Commissär. Der bekannte Geheimrat Dr. Brauer hatte Hebel schon in den 90er Jahren kennen gelernt und ihn in den Pastoralfragen Badens gut gebrauchen können, was sicherlich für den späteren Oberkirchenrat – ich will nicht sagen die Berufung veranlasste – von grossem Nuzen gewesen sein mochte. Hebels gesellschaftliche Stellung in Karlsruhe, seine Ferienreisen ins Oberland sind S. 95 ff. abgehandelt. Die Karlsruher Rätsel- und Charadenzeit erfärt gerechte Würdigung S. 100 ff. Die Beschäftigung mit der Botanik hatte im rheinländischen Hausfreund und in den Gedichten [79] die bekannten Niederschläge zur Folge. Die Beschäftigung mit dem Hebräischen erkennt man in seinen Gedichten, vor allem aber die griechischen Studien des Theocrit u. s. w. Das V Cap. ist überschrieben »die alemannischen Gedichte«. Der Verfasser gibt eine kurze Geschichte des Aufkommens der Alemannen und des Niederganges der Römer, definiert das Wort »alemannisch« und bespricht den Unterschied zwischen »schwäbisch« und »alemannisch.« Ich verweise bei der von ihm vielfach verkannten Sachlage auf die Einleitung zu meiner »Alemannia« Band I 1873 und die in meiner alemannischen Sprache, Berlin 1868, wo ich die allein richtigen Grenzmarken gezogen und in Uebereinstimmung mit Fachleuten zu festen Resultaten gekommen bin. Lezteres Buch kennt der Verf. nicht. Von S. 114 an wird die Stellung des Alemannischen zur Hochdeutschen Sprache erörtert auf Grund von Götzingers Hebel-Ausgabe. S. 116 ff. steht eine Abhandlung von der deutschen Dialect-Poesie überhaupt; S. 127 ff. finden wir die merkwürdige Geschichte der Entstehung und des Druckes der Hebel’schen Gedichte, deren Aufname von Seite Göthes, Jean Pauls, Jakobi’s. S. 138 ff. handelt von den Gattungen der allemannischen Gedichte. Es sind die Landschaftsbilder und Schilderungen des Naturlebens, des Volkslebens in Sagen und Bräuchen, wobei die Volkssage oben an steht, die bekanntlich Hebel so vortrefflich ethisch verwendet hat. Das VI Cap.: »der Rheinländische Hausfreund«, hat die Geschichte des bekannten Kalenders des Namens zum Vorwurfe, der unter Protection der Gymnasiums-Behörden ausgegeben ward. Wie wir alle wissen, hat dieser Kalender, den Hebel selbst längere Zeit redigierte, den alemannischen Dichter so recht zum Volksschriftsteller gemacht. Das weitere Capitel behandelt Hebel als Prediger und Mitglied der ersten Kammer der Landstände, sein Ehrengedächtnis und das Vreneli, die romantische Veronika Rohrer, die warscheinlich aus eigner Einbildung oder durch einen schlechten Wiz ihres Dienstherrn Mylius als Urbild des Gedichtes sich betrachtete und auch andere von dem Wahne beseelte. Dank dem Herausgeber für die schöne Gabe!

A. Birlinger.