Johann Körner’s Schuld und Sühne

Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Johann Körner’s Schuld und Sühne
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 301–307
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[301]
103. Johann Körner’s Schuld und Sühne.
(1639.)

Im Sommer 1638 zog aus der Fremde ein mühselig und beladen Hamburger Kind wieder in die Vaterstadt ein, um hier, wo es geboren und wo es gesündigt, auch zu büßen und freiwillig zu begehren, was des Verbrechers Recht ist: die Strafe.

Sieben Jahre früher war dies Hamburger Kind, Johann Körner, ein ehrsamer langer Schuhmachergesell, fröhlich und guten Muths nach Hamburg gekommen, um während seiner Wanderzeit einmal bei den Eltern und der Freundschaft vorzusprechen. Da hatte er aber Trauer genug vorgefunden. Sein Vater, der vormals als Steuermann auf einem Islandsfahrer zu einigem Wohlstande gekommen war, hatte inzwischen das Zeitliche gesegnet, das war betrübt; aber seine Schwester hatte seinen Widersacher von Jugend auf geheirathet, den Niclas Dannemann, und was daraus entstand, war noch viel schlimmer. Denn Niclas Dannemann hatte des alten Körner’s Vermögen zu sich genommen, und als er nun mit dem Schwager theilen sollte, da sah dieser sich aufs Schmählichste übervortheilt und betrogen. Und mehr als das Geld, das er verlieren sollte, wurmte den guten Gesellen des [302] Gegners höhnisch Wesen; darum als sie am Abend des 13. März 1632 auf der Zöllenbrücke sich trafen und mit bösen Worten hart aneinander kamen, da läßt Johann sich bemeistern vom Zorn und thut, was nicht Recht ist vor Gott und Menschen, zieht in der Hitze sein Messer, und da Dannemann sich just wendet, um zu entlaufen, so stößt er es ihm durch den Rücken in die Brust, daß er hinstürzt und alsobald Todes verfährt.

Johann Körner war damals sogleich weichhaft geworden, hatte sich Nachts versteckt und war mit Thor-Oeffnung aus der Vaterstadt gegangen, um nimmer heimzukehren, wie er gedachte. Und des Dannemann’s Leiche war beschrien im öffentlichen Gassenrecht, und darnach bestattet; nach dem Mörder war geforscht, aber da er nirgends gefunden wurde, so ward allmählig die Sache vergessen. Und die in des Thäters Freundschaft, die sein plötzlich Verschwinden wohl mit dem Zwiespalt der Schwäger und der Erdolchung des Dannemann reimen mochten, schwiegen stille dazu, denn Johann war Allen lieb und werth, er war allezeit ein frommes ehrliches Blut und ein treues Herz gewesen; auch ausnehmend schön von Gestalt und lieblich von Angesicht, dem die langen blonden Haare trefflich standen, wie er sich denn auch immer gar sauber und ansehnlich in der Kleidung hielt.

Als er damals von Hamburg entwich, Hab’ und Gut verlassend und nur das Bewußtsein einer bösen That mit sich nehmend, da trieb er sich lange Zeit in der Welt umher, reiste auf seinem Handwerk durchs ganze Reich, war in mancher Stadt in Arbeit gewesen, denn er verstand seine Sache und hielt sich still und fleißig; er hätte auch oftmals dort sein Glück machen können, denn manche hübsche Meisterstochter hätte den schönen Gesellen gern zum Schatz genommen, und der Vater hätte sich gefreut, den geschickten Gehilfen zum Eidam [303] zu bekommen. Aber der hatte nirgends Rast, es trieb ihn fort und fort eine innere Unruhe, und kaum war er irgendwo warm geworden und gedachte sich der heimlichen Grillen zu entschlagen und froh zu leben, so fühlte er sich wieder aufgetrieben, weiter zu wandern, als könnte er entfliehen dem, was ihn so jagte und peinigte: dem Gewissen. Und wie bitterlich er auch seine Unthat längst bereuet hatte, wie brünstig er auch Gott um Vergebung gebeten hatte, wie ehrbar und makellos auch sein Wandel war, dennoch konnte er keinen Frieden finden; seine Reue war noch ohne Buße, ohne Sühne, darum fand er keine Versöhnung mit Gott, mit der Welt, mit sich selber.

Als sieben Jahre so vergangen waren, da traf es sich, daß er auf der Wanderschaft fern im Reiche in ein Dorf komme, wo die Kirche offen steht und der Pfarrer predigt darinnen. Unwillkürlich tritt er hinein und steht im Eingange und vernimmt des Pfarrers Rede, wie er grade aus dem 1. Buch Mosis, Cap. 4, V. 10, die Worte erklärt, die der Herr zu dem ersten Mörder Kain gesagt: „das Blut deines Bruders schreiet zu mir!

Und diese Worte Gottes, die der fremde Pfarrer wohl auf höhere Fügung gesprochen, haben des Johann Körner’s Herz dergestalt getroffen, daß er von Stund’ an gewußt, was er zu thun habe, um Ruhe und Frieden wiederzufinden. Darum machte er sich auf, um den Weg der Buße und Sühne, – den Weg des Gerichts – zu gehen, und zog als mühseliger und beladener Pilgrim heim in die Vaterstadt, wo er unerkannt anlangte.

Hier ging er sogleich in die Büttelei am Berge, und bat den Scharfrichter, Meister Valentin Matz, daß er ihn schließe als einen Mörder, der er wäre, und es Einem Ehrbaren Rathe sofort hinterbringe, damit er vor Gericht gestellt würde, [304] und seinen Lohn empfinge. Meister Valten aber, der genug Maleficanten in der Frohnerei haben mochte, hieß ihn gehen, und wollte nichts damit zu schaffen haben. Früh andern Morgens aber kam Johann Körner wieder, und bat flehentlich, der Büttel möge doch thun nach seinem Begehr, erzählte ihm Alles genau, was sich mit ihm und Niclas Dannemann vor sieben Jahren begeben, und bestand darauf, geschlossen zu werden, weil er nur durch die Buße und Sühne einer wohlverdienten Strafe, die sein Recht sei, Frieden erlangen und das ewige Heil seiner Seele erretten könne. Und Meister Valten, dem solch ein Mensch noch nicht vorgekommen war, also daß er vermeinte, der Gesell sei nicht bei Sinnen, fühlte sich dennoch gedrungen, ihm zu willfahren, und ging zu den beiden Gerichtsherren und meldete ihnen den seltsamen Vorfall. Und so ungern auch diese die längst verschollene Missethat wieder aufrühren wollten, und so gern sie den Gesellen auf andere Gedanken gebracht hätten, so konnten sie doch nicht umhin, ihm zu willfahren, als er auf seinem Willen bestand. Mit E. E. Raths Consens wurde er sodann geschlossen und nach untersuchtem Thatbestande, jenes Mordes wie seiner gesunden Sinne, vors Gericht gebracht, wo man denn die Sachen also befand, daß sein Begehr konnte erfüllt und ihm die Strafe des Schwertes zuerkannt werden. Darum wurde er in E. E. Raths Audienzsaal geführt. Da war die große Luke im Dach abgehoben, weil nach altem Sächsischen Recht der Verbrecher sein Urtheil unter Gottes freiem Himmel (wo vordem auch die Gerichte seibst gehegt wurden) empfangen muß. Und daselbst saßen unbedeckten Hauptes sämmtliche Bürgermeister und Rathmannen, und wie der Protonotarius das Bluturtheil vorlas, setzten sie ihre Hüte auf. Johann Körner aber, als er sein Recht vernommen, ward froh, und gab jedem der Herrn nach Alter und Rang, mit gebührlicher Reverenz [305] die Hand und dankte für gnädigen Spruch inbrünstig, und sprach gar beweglich, wie Gott es Jedem der Herren vergelten möge, was sie durch dies Todesurtheil zum Heil seiner Seele gethan; es sei ihm nun ein Stein vom Herzen gefallen, und Gott möge jeden Verbrecher, der in seinen Sünden dahin ginge, auch also erwecken, wie er ihn erweckt habe, – also, daß es die Ehrbaren Herren gar sehr gerührt und erbaut hat, weil sie solch einem bußfertigen und schier freudigen Delinquenten noch nie vom Leben zum Tode geholfen hatten.

Und am 4. Februar, während E. E. Rath nach alter Sitte sich versammelte, und mit dem Glockenschlag der Execution der worthaltende Bürgermeister stehenden Fußes, im Namen Aller ein fromm Gebet sprach, daß Gott möge ihr Urtheil für gerecht erkennen und dem armen Sünder barmherzig und gnädig sein, – während dieser Zeit wurde Johann Körner hinausgeführt zur Gerichtsstätte. Er hatte einen langen Mantel an und eine Trauerbinde, und betete unterwegs mit dem geistlichen Herrn, der ihn geleitete; er sah so hell und lieblich von Angesicht aus, daß man schier glaubte, eines Engels Antlitz zu sehen. Als er oben stand, war alles Volk still, und es regte sich nichts; und er redete mit lauter fester Stimme das Volk an, bat um Verzeihung wegen des bösen Beispiels, das er gegeben, wünschte Allen Heil, Glück und Segen und ein gute Nacht. Dann fiel er dem Scharfrichter Meister Valten um den Hals und dankte ihm für das, was er nun an ihm verrichten werde, und bat ihn, sein Amt rechtschaffen zu vollführen. Und Meister Valten, im Grunde ein gutherziger Mann, und durch dieses armen Sünders wundersames Benehmen schon längst aus der zu seinem Amte nöthigen Kaltsinnigkeit gekommen, fühlte sich weichmüthig werden, und stieß ihn deshalb heftig zurück, konnte sich aber des Weinens fast nicht erwehren, weil er ihm das Herz so sehr eingenommen [306] hatte. Wie sich nun Johann Körner auf das Stühlchen gesetzet, die schönen blonden Haare selbst aufgesteckt hatte und nun laut betend des Todesstreiches gewärtig war, da holte Meister Valten aus, aber ganz verwirrt, wie er war und die Augen voller Thränen, hieb er unrecht und traf ihn in den Kopf, daß er vom Stuhl zur Erde fiel, wo der Meister ihm geschwind den Kopf vom Rumpf trennte, worauf er sich eiligst durch die Fallthüre vom Köppelberg in den Keller unter demselben begab, um sich zu salviren. Denn die Leute im Volk rund umher hatten Erbarmen mit dem armen Sünder gehabt, und da sie ihn nicht auf den ersten Streich getödtet sahen, wollten sie das Hochgericht stürmen, um Meister Valten in Stücke zu zerhauen, und kamen mit Beilen und Aexten und zertrümmerten schon die kleine Brücke, die zum Köppelberg führt. Die Reitendiener und das Commando der Garnison vertheidigten ihn mit schwerer Mühe, und erst als der Stadt-Commandant, der Oberst Enno Wilhelm von Kniphausen, mit einigen 100 Mann zu Hülfe kam, konnten die Reitendiener den geängsteten und ganz zerknirschten Meister Valten in ihre Mitte nehmen und in Sicherheit bringen, während draußen das rasende Volk die Soldaten mit Steinwürfen übel tractirte und selbst durch scharfe Schüsse nicht zur Raison gebracht werden konnte, sondern die Miliz in die Flucht trieb, die Gott dankte, als sie Hals über Kopf zur Stadt hereingekommen war. Auch vom Volk waren Mehrere geblieben und schwer verwundet. Das war ein schlimmer Tag gewesen.

Und schon des Volks wegen mußte der weichmüthige Meister Valten von E. E. Rath abgesetzt und cassirt werden. Er wäre aber auch selber nicht länger Büttel geblieben, hat er gesagt, weil er hätte mehr denn ein Haar darin gefunden. Kaufte sich darnach in der Neustadt in der Schlachterstraße ein Haus; darin wohnte er noch lange Jahre, und trieb ein [307] besseres Gewerbe: heilte, statt zu tödten; denn er verstand sich auf Kräuter und Wurzeln und auf Sympathia besser, denn mancher gelernte Doctor und Balbierer, und that feine Curen, und hatte viel Respect, selbst beim Volke.


Das ist die nachdenkliche Geschichte von Johann Körner, der ein guter Mensch gewesen und doch ein Mörder geworden; darnach aber, durch Gottes Wort in seinem Gewissen zu rechter Reue und Buße geweckt, sein menschlich Fehlen gesühnt, und gewiß vor dem Richterstuhle Gottes Barmherzigkeit gefunden hat.

Anmerkungen

[386] Aus verschiedenen handschriftl. Chroniken und Steltzner III. 355.