Johann Gottfried Pahl: Thomas Vogt und Wenzel Aloys Stütz aus Gmünd

Textdaten
Autor: Johann Gottfried Pahl
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Titel: Thomas Vogt und Wenzel Aloys Stütz aus Gmünd
Untertitel:
aus: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben und aus meiner Zeit. S. 147–149
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1840
Verlag: Ludwig Friedrich Fues
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Digitalisat der Uni Göttingen und
Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Persönlichkeiten aus Schwäbisch Gmünd: Thomas Vogt und Wenzel Aloys Stütz
Siehe auch Schwäbisch Gmünd
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[147] Wie im Fürstenthum Ellwangen, so begann auch in der durch ihre romantischen Umgebungen, ihre alterthümlichen Denkmale und die rüstige Gewerbsthätigkeit ihrer Bewohner anziehenden, durch den Verfall ihrer öffentlichen Verwaltung aber ein trauriges Bild reichsstädtischer Verderbnisse darbietenden Nachbarstadt Gmünd und in ihrem Gebiete, eine in der Dillinger Schule gebildete Generation junger Priester, in der dichten Nacht, die daselbst den kirchlichen Himmel umhüllte, die beginnende Dämmerung hervorzurufen, dem Widerstande, mit dem der finstere Mönchsgeist ihnen in den Weg trat, mit fester und stiller Thätigkeit und der Macht, welche in Kämpfen dieser Art der würdige und reine Wandel gewährt, entgegen wirkend. Unter ihnen stand Thomas Vogt, durch Talent und erfolgreichen Eifer, auf erster Linie, wie er denn nicht nur, mit einer seltenen Gabe kräftiger und rührender Beredsamkeit ausgerüstet, auf der Kanzel der Hauptkirche der Stadt seine immer in gedrängten Massen um ihn versammelten Zuhörer an eine bessere geistige Nahrung gewöhnte, als die war, die ihnen bisher gereicht worden, die Gemüther bewegend und erbauend, sondern auch dem Kreis seines Wirkens einen neuen und großen Umfang gab, in dem er, als er besonders durch meine Ermunterung die erste Scheu überwunden hatte, mehrere Sammlungen seiner Predigten, so wie sein in wiederholten Auflagen erschienenes Gebetbuch, dem Drucke überließ. Diese Arbeiten konnten zwar weder an tiefer Auffassung und scharfsinniger Behandlung des Stoffs, noch an Vollendung der Form mit den Werken der besten teutschen Erbauungsschriftsteller in Vergleichung gesezt werden; aber da sie bei reiner und lichtvoller Auffassung der christlichen Religionslehren, die sich auf gleiche Weise über die Nebel des Mysticismus und die Finsternisse des starren Kirchenglaubens erhob, diese Lehren klar und folgerecht entwickelten und mit sichtbarer Selbstüberzeugung und Wärme und in einer einfachen, edeln, oft rührend erhebenden Sprache darstellten, so gehören sie zu den bessern Erzeugnissen, welche damals auf diesem auf diesem Felde der katholisch-theologischen Literatur zum Vorschein kamen, und wurden, auch abgesehen von der reinern und fruchtbarern Erkenntniß, die sie ihren Lesern gewähren, [148] schon dadurch sehr verdienstlich, daß sie in sehr vielen Familien den alten asketischen Unrath verdrangen, und dem reinern Lichte den Eingang in sie aufschlossen. Die verdiente Achtung, die sich Vogt als Prediger, und dann noch besonders durch zweckmäßiges und eifriges Wirken in der speciellen Seelsorge erworben hatte, veranlaßte später die Kirchenbehörde, ihm die Direction des Priesterseminars an dem bischöflichen Sitze in Rottenburg zu übertragen, indem man, nach einer sehr richtigen Ansicht, die Erfolge des empfangenen akademischen Unterrichts durch die Darstellung eines musterhaften Vorbilds in der Anwendung bei den Zöglingen des Seminars verstärken wollte. Nur wenige Jahre aber hatte er dies Amt bekleidet, als ihn in seinem besten Alter der Tod hinwegnahm (1825), der, wenn er in den bisherigen, seinem Herzen theuern Verhältnissen in seiner Vaterstadt geblieben wäre, wahrscheinlich seine rüstige Lebenskraft viel später überwunden haben würde.

In einem andern Felde geistiger Thätigkeit, aber bewegt durch denselben regen Sinn für die höhern Interessen der Menschheit, wirkte damals in der Reichsstadt Gmünd ein junger Arzt und Naturforscher Wilhelm Aloys Stütz, und es bedurfte unter uns beiden nur der ersten Bekanntschaft, als gleiche Liebe zur Literatur und Wissenschaft und ein glückliches Zusammentreffen der beiderseitigen Grundsätze, Bestrebungen und Gesinnungen die Herzen aufs innigste verbanden. In der That ward er mir einer der liebsten Menschen unter denen, die mir im Leben begegnet sind, und nur wenige fanden sich unter den leztern, die ich an fester Richtung des Geistes auf das Ideale, an Gleichgültigkeit gegen das Gemeine, an Reinheit des Gemüths und an unvermüdetem Fleiße im Dienste der Menschheit, mit ihm auf gleicher Höhe hätte setzen können. Durch die Entdeckung seines Heilmittels gegen den Wundstarrkrampf, seine Abhandlung über die Zellgewebsverhärtung, die Alkalien und die Zeitkrankheiten, und durch seine Physiologische Schriften zeigte er sich in einem Alter, das andere gewöhnlich noch zu ihrer Selbstbildung verwenden, als einen genialen und scharfsinnigen, die interessantesten Resultate darbietenden Arzt, der auf gleiche Weise [149] in dem frühern Zeitalter der Erfahrung und in dem spätern der Speculation lebte, und die Schätze beider, auf dem Wege eigener Beobachtung, zu vermehren und glücklich zu benützen wußte. Aber nicht einseitig auf seine Berufsstudien beschränkt, zog er die gesammte Literatur und ihre Geschichte in sein geistiges Gebiet, und verfolgte mit gespanntem Blicke den Gang und die Gestaltung der Wissenschaft und der Aufklärung, zumal in Teutschland, gab seine Stimme über wichtige Zeitmaterien in den gelesensten Journalen, hatte den Antheil an mehrern kritischen Blättern und unterhielt einen ausgebreiteten Briefwechsel mit den ausgezeichnetsten Gelehrten der Nation und selbst des Auslandes. Vorzugsweise beschäftigte ihn aber das Studium der Philosophie, in welchem er sich, nachdem er mit planmäßigem Fleiße die Systeme der ältern und neuern Schulen durchgegangen, in der Hauptsache den Ansichten Schelling’s [1] zugewandt hatte, in welchen er hohe Aufklärungen für die Naturwissenschaft zu entdecken glaubte. Diese ausschließend scheinende Richtung seiner geistigen Kraft auf theoretisches Wissen und Speculation war aber für seine Thätigkeit im Leben nichts weniger als beschränkend. Er betrieb seine ausgebreitete und glückliche Praxis mit aufopferndem Eifer, und mit gleicher Sorgfalt für den Armen, wie für den Reichen, und immer war er in freudiger Thätigkeit, wo er sich eine Veranlassung geboten sah, zur Linderung des menschlichen Elends, zur Beförderung nüzlicher Anstalten, zur Ermunterung vernachläßigter Talente und zur Rettung der unterdrückten gerechten Sache. Aber schon in seinem vierunddreißigsten Lebensjahre ward der treffliche Mann ein Opfer seiner edeln Anstrengungen. Sein überraschender Tod hat mein Herz tief verwundet. Aber wie der Engel der Menschheit, so trauerte auch der Genius der Wissenschaft an seinem Grabe. Hätte ihm das Schicksal vergönnt, sein Leben bis in das höhere Alter fortzusetzen, er würde unter den Aerzten und Naturforschern Teutschlands zu einem europäischen Ruhm gelangt sein.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling