In einem liefländischen Edelhofe

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: In einem liefländischen Edelhofe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 469–472
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Erlebnisse mit Wölfen in Livland
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Aus den liefländischen Wäldern.

[470]
In einem liefländischen Edelhofe.
(Mit Abbildung.)

…Ich hatte bereits mehrere genußreiche Tage in einer mir innig befreundeten, liebenswürdigen deutschen Familie in L. in Liefland verlebt, als wir eines Morgens heiter an dem Frühstücktische beisammen saßen. Die beiden blondlockigen, blühenden Kinder meines Freundes spielten vor uns mit einem zottigen großen Hunde, Hinko genannt, der sich, vielleicht in Folge treuer Dienstleistungen, manche Freiheit herausnehmen durfte und allein in dem Familienzimmer geduldet wurde. Plötzlich hörten wir einen gellenden Schrei draußen nach dem Backhause zu; Hinko vergaß sofort das Spielen, sprang auf und durch das offene Fenster des Parterrezimmers hinaus. Wir selbst traten erschreckt an das Fenster. Ueber den Hof liefen mehrere Arbeitsleute, und aus dem Backhause sprang ein – Wolf, der in den nicht fernen Wald zu entkommen suchte. Hinko aber hatte ihn bald eingeholt und griff ihn ohne Zögern an. Der Wolf drehete sich um und der Kampf begann, ein schreckliches Schauspiel. Die beiden starken wüthenden Thiere hatten sich bald fest in einander verbissen, und es ließ sich nicht errathen, nach welcher Seite sich der Sieg neigen würde, als einer der Leute, ein Mann schon über die Mitte der Jahre hinaus, hinzu kam, und mit einem Beile dem Wolfe mächtige Hiebe versetzte, so daß er bald leblos zu seinen Füßen lag.

Wir Alle gingen hin. Hinko war übel zugerichtet. Der alte Mann, der den Wolf erschlagen hatte, streichelte den treuen Hund liebkosend, und nahm den Blutenden mit sich, um ihm die Wunden mit einem Balsam zu waschen. Aus dem Backhause kam ein junger Bursch, der erzählte, er habe sich über die Kohlen gebückt gehabt, um seine Pfeife anzuzünden, als er den Wolf dicht neben sich gesehen. Da es dunkel gewesen, habe er ihn für Hinko gehalten, und die Hand nach ihm ausgestreckt, der Wolf aber sich emporgerichtet, um ihn zu packen und da sei er so erschrocken, daß er so laut als möglich um Hülfe geschrieen, der Wolf aber davon gelaufen.

Der Vorgang war die natürliche Ursache, daß fast den ganzen Tag über von ihm und von andern ähnlichen gesprochen wurde. Ich äußerte zunächst meine Verwunderung darüber, daß der Wolf vor allem das Backhaus aufgesucht habe und man erzählte mir, der Wolf scheine wie der Bär das Brot sehr zu lieben, denn nichts locke so sicher ihn an, als der Geruch von frischem Brote. „Eine Bauerfrau, die eben frische Brote aus dem Backofen genommen, mußte das Haus auf einige Minuten verlassen. Ihre beiden kleinen Kinder standen an der Bank, auf welcher die noch heißen Brote lagen. Kaum hatte sie den Rücken gewandt, so sprang ein Wolf in die Stube herein. Die schreienden Kinder ließ er unbeachtet, aber ein Brot nahm er von der Bank. Die Mutter, die ihre Kinder ängstlich schreien hörte, eilte zurück, und in der Thür jagte der Wolf, mit dem heißen Brot in der Schnauze, an ihr vorüber. Die alte Frau, setzt die Erzählerin hinzu, hat mir die Geschichte oft erzählt, und sie bemerkte am Schlusse jedesmal: so kam ich um das allergrößte Brot, aber wie gern ließ ich es dem Wolfe, da er meinen Kindern nichts zu leid gethan!“ – Hier bei uns selbst ist schon früher einmal ein ähnlicher Fall vorgekommen. Eine Magd trug gegen Abend zwei noch warme Brote aus dem Backhause über den Hof, wo ihr ein großes Thier entgegen kam. Auch sie hielt es für Hinko. Aber das Thier sprang an ihr auf, und sie fühlte die scharfen Klauen auf ihren nackten Armen. In ihrer Verzweiflung schob sie ihm eines der Brote in den aufgesperrten Rachen und der Wolf lief, wie es schien, vergnügt damit davon.

Abends kamen Gäste und nun wurden Wolfsgeschichten in Menge, theils komische, meist aber gräßliche, haarsträubende erzählt. Zwei davon ergriffen mich tief. Die eine war erst im Sommer des vorigen Jahres auf einem benachbarten Gute vorgekommen, und die bejahrte Frau des Besitzers desselben theilte sie uns selbst mit. „Die junge Frau eines nach den dortigen Verhältnissen ziemlich wohlhabenden Bauers wusch eines Tages vor der Thür ihres Hauses und ihr vierjähriges Töchterchen spielte neben ihr. Das Haus steht allein auf einer Art Insel in sumpfigem Boden. Die Frau arbeitete emsig, und hatte sich tief über die Waschwanne gebeugt, als ein lauter Schrei des Entsetzens sie nöthigte, sich umzusehen. Eine große Wölfin hatte das Kind, das den einen Arm nach der Mutter ausstreckte, an der Schulter gepackt. Man denke sich, was die arme Mutter bei diesem Anblicke und dem Angst- und Schmerzesgeschrei ihres Kindes empfand. Sie stand indeß so nahe, daß sie mit dem ersten Griffe nach dem Kinde dessen Kleidchen erfaßte und mit der andern mit aller Kraft den Wolf auf die Schnauze schlug, während sie halb wahnsinnig um Hülfe schrie. Ihr Schreien aber rief Niemanden herbei und erschreckte auch den Wolf nicht, der eben so wenig die Faustschläge der Frau beachtete, die er vielleicht kaum fühlte. Er blieb natürlich auch nicht stehen, sondern lief mit seiner Beute rasch davon und zog die Mutter mit sich fort, die krampfhaft festhielt. So ging es zwei, drei schreckliche Minuten lang, und die Frau konnte nichts thun, als ihr Kind wenigstens nicht loslassen. Der Wolf nahm seinen Weg nach einer bewaldeten, sehr unebenen Stelle hin, und hier fiel die Frau in dem raschen Laufe über einen Baumstumpf. Dabei zerriß sie das Kleidchen ihres Kindes und es blieb ihr nur das Stück davon, das sie so fest gehalten hatte, in der Hand. Das Kind war, verhältnißmäßig, selbst im Rachen des Wolfes ruhig gewesen, so lange es sich von der Mutter festgehalten wußte, jetzt aber erfüllte sein Jammergeschrei den Wald weit und breit. Die Mutter raffte sich schnell wieder auf, lief dem Räuber, der ihr Kind fortschleppte, über Stock und Stein, durch Dornen und Gestrüpp nach und fühlte nicht, wie sie sich blutig ritzte. Der Wolf beschleunigte indeß seinen Lauf, das Gebüsch wurde dichter, der Boden unwegsamer; bald verschwand das Thier der Mutter aus den Augen und das Geschrei ihres Kindes allein bestimmte noch die Richtung, der sie zu folgen hatte. Und unermüdet eilte sie dieser Stimme nach, während sie hier einen Schuh aufhob, den ihr Kind verloren hatte, dort einen Fetzen seines Kleides mit nahm, den ein Dornbusch abgerissen hatte. Sie strengte sich zum schnellsten Laufe an, und was eine Mutter in der Verzweiflung vermag, ist unberechenbar, aber sie vermochte den Räuber nicht einzuholen, und die Stimme des Kindes wurde schwächer und schwächer, bis gar nichts mehr von ihr zu hören war.

„Die arme Mutter sah allerdings endlich wiederum etwas von ihrem Kinde, aber ich vermag es nicht zu nennen,“ setzte die Erzählerin hinzu, der die Thränen in die Augen traten und die kaum noch zu sprechen vermochte. Wir, die wir zuhörten, wollten [471] auch nicht wissen, was die Frau gesehen, denn wir hatten bereits genug des Grauens. „Denken Sie sich,“ fuhr die Erzählerin fort, „den Jammer der Armen, als ihr Mann Abends nach Hause kam und nach dem Töchterchen fragte, nach dessen Liebkosungen er sich sehnte! Sie sagte mir, sie habe das Stückchen von dem Kleide, das sie in der Hand behalten und den kleinen Schuh vor ihn hingelegt, wie sie ihm aber das Entsetzliche berichtet, das sie betroffen, wisse Gott allein, sie habe keine Erinnerung daran.“

Die beiden Kinder des Herrn vom Hause hatten in athemloser Spannung zugehört, die Aermchen dabei fester und fester um die Mutter geschlungen und sich dichter und dichter an dieselbe geschmiegt. Die Mutter aber schloß, als die Erzählerin endigte, beide fest an ihr Herz, und die Thränen stürzten ihr stromweise über die Wangen, Thränen der Freude, daß sie ihre Kinder sicher bei sich habe, Thränen des Mitleids über eine Mutter, die so viel gelitten!

Die Rührung hatte uns Alle übermannt; es herrschte tiefe Stille und ich freute mich fast, als einer der Anwesenden begann:

„Ich kenne auch eine Wolfsgeschichte von einer Mutter und einem Kinde, aber sie ist ganz anderer Art, wahrscheinlich auch schon bekannt, und ich weiß nicht, ob ich sie erzählen, und damit einen schneidenden Mißton in die jetzige Stimmung bringen darf.“

„Erzählen Sie! Erzählen Sie!“ rief man von verschiedenen Seiten, vielleicht um aus der Rührung herauszukommen. Schämen sich doch Manche der Thränen, die verrathen, daß auch sie ein mitleidendes, ein sogenanntes weiches Herz haben, während sie dafür gelten wollen, als könne nichts ihre kalte Gleichgültigkeit erschüttern; denn es gibt gar wunderliche männliche Koketten.

„Die Gräfin von Z… im Gouvernement … hatte – es werden nun acht bis zehn Jahre her sein – mit zwei ihrer Kinder zu Schlitten einen Besuch bei ihrer Schwester in deren nahe gelegenem Schlosse gemacht. Nachmittags, als sie nach Hause zurückkehren wollte, änderte sich das Wetter und es begann zu schneien; trotz aller Bitten aber ließ sich die Gräfin nicht bewegen, zu bleiben, sondern fuhr ab. Der Kutscher trieb die Pferde zu rasender Eile an, aber das Schneegestöber wurde immer heftiger und – kurz man kam vom Wege ab und der Kutscher, den der Schnee blendete, wußte bald nicht mehr, wo er war. Um den Schrecken zu mehren, bemerkte die Gräfin dicht neben ihr an der Seite ein eigenthümliches Schnauben, und als sie sich scheu umsah, erkannte sie zwei mächtige Wölfe, die sie mit den gräßlichen Augen gierig anstierten und so nahe waren, daß sie jeden Augenblick fürchten mußte, von ihnen gepackt zu werden. Ihr jüngstes Kind hatte sie, um es zu beruhigen, auf ihren Schooß in ihren Pelzmantel genommen, und es war da eingeschlafen. Sie schrie dem Kutscher wiederholt den Befehl zu, rascher zu fahren, damit sie aus dem Walde hinauskämen, aber der Sturm heulte so stark, daß ihr Befehl nicht gehört wurde. Auch war es nicht nöthig, denn die Pferde konnten nicht schneller laufen. Trotzdem hielten die Wölfe Schritt, ja sie schienen näher zu kommen; die Gräfin glaubte den heißen Athem der gierigen Thiere an ihrer Schulter zu fühlen. Ja, jetzt berührte sie der eine bereits mit der Schnauze; sie schielte athemlos über die Achsel; sie sah den blutrothen Rachen; sie glaubte schon die scharfen weißen Zähne in ihrem Fleische zu fühlen. Da packte sie in der Verzweiflung mit beiden Händen ihr Kind, das ahnungslos in ihrem Schooße schlief und – warf es den Wölfen hin, um ihr eigenes Leben zu retten. Die Wölfe stürzten über die Beute her, sie blieben zurück, die unnatürliche Mutter hörte einen Schrei ihres Kindes und – in diesem Augenblicke erreichte der Schlitten das Ende des Waldes, in dessen Nähe das heimathliche Schloß lag. Die Frau Gräfin war gerettet, wie aber sie ihrem Gatten berichtet hat, wo sein Töchterchen geblieben, „nach dessen Liebkosungen er sich sehnte,“ weiß ich nicht und mag es auch nicht wissen.“

Diese Erzählung erregte allgemeinen Unwillen, namentlich unter den anwesenden Frauen und der Herr vom Hause äußerte: „da lobe ich meinen Hinko, der mir viel lieber ist als solch’ ein Weib. Er hat heute sich brav bewiesen, aber seine Hauptheldenthat ist wahrscheinlich den meisten meiner freundlichen Gäste unbekannt und da so viel schon von Wölfen die Rede gewesen ist, will ich noch die Geschichte von dem Kampfe erzählen, den mein Barthel – der heute den Wolf niederhieb – und Hinko vor mehren Jahren mit Wölfen zu bestehen hatten, dann mag es genug sein von den häßlichen Bestien. – Es war ein harter, schneereicher Winter und Barthel ritt eines Tages in meinem Aufträge wegen eines wichtigen Geschäftes nach –, das bekanntlich über zehn Werste von hier liegt. Die Geschäfte wurden besorgt, und Barthel machte sich auf den Heimweg, der eine lange, lange Strecke weit zwischen hohen Schneewänden hinführte und so schmal war, daß zwei Schlitten kaum einander ausweichen konnten. Mit einem Male bemerkte Barthel, daß das Pferd von selbst rascher zu laufen anfing; auch ließ es einen leisen ängstlich wiehernden Ton hören. Es sah vor sich hin; Alles war da wie gewöhnlich: eine weite Schneefläche mit einzelnen beschneiten Bäumen, darüber der Himmel hell und klar, aber kein lebendes Wesen weit und breit. Er sah hinter sich: eine weite Schneefläche, einzelne Bäume, aber auf dem schmalen Wege im Schnee ziemlich nahe hinter dem Pferde drei oder vier Wölfe. Hielt das Pferd aus, blieb es auf dem gebahnten Wege, so war allerdings nicht viel zu fürchten, zumal er die Heimath bald erreichen mußte; prallte aber das Pferd scheu bei Seite und gerieth in den Schnee, so war es verloren und er wahrscheinlich mit ihm. Barthel klopfte liebkosend das Pferd, das darauf die Ohren emporrichtete, die es in Angst zurückgelegt hatte und es suchte seinen Lauf zu beschleunigen. Er drehte sich dann in dem Sattel um und schrie die Wölfe gewaltig an, aber sie fürchteten sich nicht. Außer einem Beile, das er immer bei sich führt, hatte er keine Waffe. Das Beil nahm er zur Hand und er hatte besonders einen auffallend großen Wolf in den Augen, der den andern voraus war. Das Pferd war von Schweiß bedeckt, denn es jagte im angestrengtesten Galopp. Trotzdem kam der große Wolf näher und näher, bald so nahe, daß er Barthel am Beine fassen oder das Pferd packen konnte. Es wurde also die höchste Zeit, zu handeln. Barthel führte denn auch einen mächtigen Beilhieb von dem kleinen Pferde herunter nach dem Wolf, den er zwar nicht traf, der aber in den Schnee stolperte und also bald weit überholt war.

Noch lag eine Werst zwischen dem Hause Barthel’s und dem Walde, dessen Ende er eben erreicht hatte. Der Weg wurde hier breiter; die Wölfe konnten sich freier bewegen und sie schienen vor das Pferd kommen zu wollen, um dasselbe von vorn zu packen. Da prallte dies plötzlich bei Seite und Barthel, der die Augen von den Wölfen nicht abgewendet, flog hinunter in den Schnee. Im nächsten Augenblicke fühlte er die scharfen Klauen eines Wolfes auf der Brust, aber er schüttelte die wüthende Bestie ab, sprang auf und hieb den Wolf mit dem Beile nieder, das er zum Glück in der Hand behalten hatte.

Das Pferd war in Schnee gerathen und konnte da nicht schnell laufen. Es war von hungrigen heulenden Wölfen umringt, die es zu packen versuchten. Es schlug heftig nach hinten aus und schmetterte so allerdings einen der blutgierigen Verfolger nieder, aber während es sich in dieser Weise von einem seiner Feinde freimachte, wurde es von mehreren gleichzeitig von vorn und an der Seite gepackt und trotz aller Anstrengungen niedergerissen. Es schrie laut auf vor Schmerz unter den Zähnen der Wölfe und den Klauen, die lange, blutige Furchen in seine Haut zogen. Es schüttelte den Hals verzweifelnd, die an ihm fest verbissenen Bestien abzuwerfen. Es bot seine ganze Kraft auf, sich wieder empor zu arbeiten, aber kaum hatte es sich halb aufgerichtet, als es die Wölfe von Neuem niederzogen. Endlich brach es zusammen, denn Einer hatte ihm die Kehle zerbissen, und nun lag es zuckend da in einem See von Blut, während die Bestien Stücke des noch warmen Fleisches ihm abrissen und in gieriger Hast verschlangen. Barthel war zu weit entfernt, als daß er dem Pferde hätte beistehen können, wenn es auch räthlich gewesen wäre, den Kampf mit der Meute hungriger Wölfe aufzunehmen. Und während er eine Minute vielleicht dastand und von fern das Pferd zerreißen sah, stürzten zwei andere Wölfe aus dem Walde dicht hinter ihm heraus. Er bückte sich eben, das Beil aufzuheben, das ihm entfallen war, als ihn die Wölfe packten, niederrissen und am Boden festhielten. Von Wölfen zerrissen zu werden, ist ein gräßlicher Tod und Barthel erhielt durch die Verzweiflung so ungeheuere Kraft, daß er sich noch einmal, auf wenige Sekunden, von den Bestien frei machen konnte; aber sein Blut hatte den Schnee gefärbt und der Anblick desselben stachelte die Gier der Wölfe auf’s Aeußerste an.

Hier aber muß ich von dem braven Hinko sprechen. Er [472] hatte still in der Stube neben der Frau Barthel gelegen und geschlafen. Mit einem Mal – wahrscheinlich als das Pferd den Schmerzensschrei ausstieß – spitzte er die Ohren, horchte und stand auf. Dann ging er an die Thür, schnoberte und winselte. Da die Thür sich nicht öffnete, ging Hinko zur Frau, wedelte mit dem Schwanze, lief wieder an die Thür, kratzte an derselben und winselte. Der Hund deutete in ähnlicher, wenn auch nicht so dringender Weise, jedesmal die Ankunft Barthel’s an; die Frau glaubte also, ihr Mann sei in der Nähe und machte die Thür auf. Der Hund jagte sofort nach dem Walde hin, obgleich auf dem Wege dahin weder Barthel noch sonst Jemand zu sehen war.

Barthel seinerseits rang noch immer mit den Wölfen. Man sagt, die, welche in Todesgefahr wären, hätten keine Zeit an etwas Anderes, als an die Abwehr zu denken. Es ist nicht wahr; Barthel hat mir gestanden, daß er in jenen Augenblicken, als die grünen Augen der Wölfe ihn anstierten, als er die scharfen Zähne und Klauen an seinem Leibe fühlte, an seine Frau, an sein Kind gedacht und wie sie jammern würden, wenn man seine verstümmelten Ueberreste finde. Gerade diese Gedanken, sagt er, hätten ihm noch einmal Kraft gegeben, ihn veranlaßt noch einmal Alles aufzubieten, um den Arm frei zu machen. Er verzweifelte aber an dem Gelingen; die Besinnung wollte ihm bereits schwinden, da hörte er ein wüthendes Knurren und mitten hinein in den Knäuel, den er mit den beiden Wölfen bildete, stürzte ein anderes Thier. Die Wölfe ließen ab von dem Manne; Barthel konnte aufspringen und er erkannte den getreuen Hinko, über den nun die Bestien herfielen. Ihn konnte er unmöglich zerreißen lassen und er wankte hinzu, ihm beizustehen. Da sah er das Beil, das er früher verloren. Er raffte es auf und nun war er des Sieges gewiß. Zwar floß das Blut ihm an den Gliedern herunter, aber er konnte die Arme noch brauchen und mächtige Hiebe führte er mit dem Beile nach den Wölfen. Bald lag der Eine todt vor ihm und im nächsten Augenblick grub sich das Beil tief auch in den Hals der großen Bestie, die den treuen Hinko gepackt hatte.

Blutend wankte Barthel mit dem blutenden Hinko seinem nicht mehr fernen Hause zu. Die Frau schrie entsetzt laut auf als sie ihn eintreten sah. Sein Anblick war freilich grauenvoll genug. Sein Rock von Schaffell hing in Fetzen um ihn her, denn die Klauen der Wölfe hatten ihn wie Messer zerschnitten; die rechte Achsel war ganz bloßgelegt, nicht nur bis auf das Fleisch, sondern bis auf den Knochen und das lange Haar in blutige Stränge zusammengeklebt. Fast noch schlimmer war Hinko zugerichtet, aber in liebender Pflege erholten Beide sich bald wieder.“ –

Der alte Hinko, welcher während der Erzählung mehrmals mit dem Schweife gewedelt hatte, als verstehe er, daß von ihm die Rede fei und freue sich, daß man seinen Muth anerkenne, wurde von mancher schönen Hand gestreichelt, als die Erzählung geendigt war. Bald darauf brachen die Gäste auf, ich aber nahm mir vor, die Wolfsgeschichten niederzuschreiben für die Leser der Gartenlaube, zumal mein Freund mir als Andenken eine Skizze überließ, in welcher er, nach der Schilderung Barthel’s, den Kampf des Pferdes mit den Wölfen so getreu als möglich darzustellen versucht hatte.