1. Im Winterrefektorium zu Maulbronn in dem Kloster, da geht
was um den Tisch herum, klingt nicht wie Paternoster. Die Martins=
gans hat wohlgethan, Eilfinger blinkt im Kruge, nun hebt die nasse
Andacht an, und alles singt die Fuge: All Voll, Keiner Leer, Wein
Her! |: Complete pocula! :|
2. Der Abt Johannes Entenfuß kam unwirsch hergewatschelt:
„Was wird so spät als Festtagschluß bei Geigenschall gefratschelt?
Laßt ab, ihr stört den Doktor Faust im Gartenturm dahinten; wenn
solch ein Singsang zu ihm braust, kann er kein Gold nicht finden!
All Voll, Keiner Leer, Wein Her! Cavete scandala!“
3. Derweilen bracht der Zellerar, Herr Godefrit von Niefern, den
Sankt Martinuszuspitz dar vom Keller mit den Küfern. Der rief:
„Herr Abbas, was Ihr sagt, soll man in Züchten ehren; doch wenn
[635] kein andrer Schmerz Euch plagt, so mögt Ihr uns nicht wehren! All
Voll, Keiner Leer, Wein Her! Der Faust sitzt selbst schon da!“
4. Der Faust saß rückwärts an der Wand und trank vergnügt im
Dunkeln, nun ließ der blasse Nekromant sein Glas am Licht karfunkeln
und sprach: „Ich brüt schon Tag und Jahr am schwarzen Zauberbuche
und merk erst heut, ich bin ein Narr, daß ich das Gold dort suche:
All Voll, Keiner Leer, Wein Her! Das echte Gold ist da!
5. Mit Hermes Trismegistos List wird keins erlaborieret, die
Sonne ist der Alchymist, der’s flüssig destillieret: Wenn’s durch die
Adern glüht und rollt mit des Eilfingers Wonnen, dann habt Ihr
Gold, habt echtes Gold und ehrlich selbst gewonnen: All Voll, Keiner
Leer, Wein Her! Haec vera practica!“
6. Da lacht der Abt: „Mit solcher Lehr zwingt Ihr auch mich
zum Kruge, denn: ‚All Voll, Keiner Leer, Wein Her‘ ist eine feuchte
Fuge. Als Fausti Goldspruch laß ich sie jetzt in den Kreuzgang
malen, man kennt die ganze Melodie schon an den Initialen: A.
V. K. L. W. H. Sit vino gloria!“
J. V. Scheffel.