Textdaten
Autor: Hans Baluschek
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Titel: Im Kampf um meine Kunst
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 447–450
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Erscheinungsdatum: 1920
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Scan des Originals
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Im Kampf um meine Kunst · Von Hans Baluschek.

[448] „Bilde, Künstler, rede nicht.“ Das gilt doch wohl nur für Leute, die durch ein zu großes – Selbstbewußtsein noch nicht vorhandene Werte ersetzen wollen. Ist durch einen Künstler auch nur irgendwann mal wirklich Kunst geschaffen worden, so kann er schon über sich reden, meinetwegen auch stottern. Er wird dem Aufhorchenden recht viel zu sagen haben. Der Schaffende kennt sich recht genau, so genau, daß ihm meistens die Verzweiflung näher ist als das Hemd. Er fühlt in sich die geheimnisvollen Gesetze seines Schaffens, erkennt sie zum großen Teil am allerbesten und arbeitet unter dem kategorischen Imperativ zum Werk. Der sich selbst gegenüber ehrliche Künstler – jeder wirkliche Künstler ist in diesem Sinne ehrlich – weiß auch, was er kann und was ihm geglückt und nicht geglückt ist. Nur braucht er nicht der Öffentlichkeit auf die Nase zu binden, daß er hier und da entgleiste. Selbst ein Angeklagter erfreut nur selten durch ein Geständnis seine Richter.

Jeder Künstler sollte sich sein Recht, das Werk, das ihm gelungen erscheint, hartnäckig gegen Unverstand und Böswilligkeit zu verteidigen, auch in der Öffentlichkeit nicht nehmen lassen, wenn er die Lust dazu verspürt. Zum mindesten darf er über sein Wollen sprechen und schreiben. Sein Wollen ist sein Schicksal und seine Persönlichkeit im ethischen und ästhetischen Sinn. Und wenn er gar darüber schreibt, so zwingt ihn seine künstlerische Ehrlichkeit, das Wort zu wägen. Niedergeschriebene Gedanken haben ihr eigenes Leben. Nicht nur Taten folgen dem Menschen nach, auch gedruckte Worte.

Also:
Ich habe um meine Kunst viel zu kämpfen gehabt und kämpfe noch. Darauf bin ich stolz. Da ich mir nicht denken kann, daß ich tatenlos bin, so muß doch etwas Eigenes in meinem Opus stecken. Was verletze ich eigentlich in dem Mitbürger, der mich gezwungen oder freiwillig genießen sollte oder wollte? Man hat mir meine „Motive“ vorgeworfen, man klagte mich an, ich verstieße gegen die Gesetze der Schönheit! Man nannte mich trocken, spröde, unmalerisch, einen Registrator, einen Übertreiber und Fälscher. Der Akademiker konnte mich nicht verknusen, weil ich ihm als Maler zu wild war! Der Impressionist rügte, meine Malerei sei keine „Malerei“. Der Symbolist und Phantast wurde ob meiner Phantasielosigkeit vom Ekel gepackt; wie sich Dadaisten und Expressionisten zu mir stellen, habe ich mich noch nicht bemüht, herauszubekommen – man verachtet mich sicher. Im allgemeinen nennt man mich einen Naturalisten, der sich vom Photographen nur durch malende Prätension trennt, – und da der Naturalismus doch nun mal schon Anfang 1900 „überwunden“ ist, bin ich ein „altes Spiel“. Alle diese Urteile haben mir körperlich nicht geschadet, auch sonst nicht.

Recht wertvolle Menschen haben sich in stets wachsender Zahl weit über Berlin hinaus – sogar bis ins Ausland – freudig zu meiner Kunst gestellt. Na – da kann ich schon weiter so verbohrt sein, meine eigene Kunst zu machen.

Was bin ich nun eigentlich, uns was will ich? Zunächst bin ich kein Anhänger eines „ismus“. Mir ist die malende Masse, die an demselben Karren zieht und schiebt, ein Greuel. Für mich ist Kunst der Künstler, der Eigenmensch. Kunst die in sich geschlossene persönliche Welt eines Menschen, der diese mit individuellen Mitteln mitteilen soll, kann und muß. Hätte ich je einen Schüler gehabt, der in meine Fußstapfen als Nachahmer treten wollte, so hätte ich ihn wegen Talentlosigkeit entfernt. Ich bin eben Ich; meine Kunst könnte naturalistisch scheinen. Sie soll so wirken – das gebe ich zu – allerdings nur, um die Suggestion meiner Welt recht stark zu gestalten.

Was mich um mich herum irgendwie berührt, ergreift, packt, erschüttert, gibt mir die Impulse zu meinen Bildern. Dann formt sich die Komposition, und aus meinen reichlichen, in meinem Gehirn aufgespeicherten Typenmaterial stellen sich die Figuren ein. Auch vierstöckige Mietskasernen mit ihren Hinterhäusern haben ihren Typ, ebenso wie Straßenlaternen, Trottoirbäume, Eisenbahnsignale und Lokomotiven. Ich habe sie durch Beobachtung in ihrem Wesen erkannt und hebe mit Leichtigkeit das zwingend Charakteristische hervor. Daher gebe ich für meinen jeweiligen künstlerischen Zweck ihre Porträte. So bemühe ich mich, meine Stoffe in das Geistige der Dinge an sich und meine Tendenz ins Persönliche zu heben. Schon bin ich demnach kein Photograph.

Vielleicht bin ich demnach mehr Expressionist. – Zwar behaupten viele vor meinen Bildern, die Gegend, die Menschen darauf [449] genau so irgendwo gesehen zu haben! – Trotzdem werden Studien und Skizzenblätter zu meinen Bildern und ähnlicher Krimskrams in meinem einstigen Nachlaß von Sammlern schmerzlich vermißt werden.

Ich gehe gleich unter dem Impuls aufs Ganze, sofort an die Leinwand oder an das Papier. Und ist mir die Sache mißglückt oder nicht mehr diskutabel, so verschwindet manche mühevolle Arbeit. –

Als ich ein zehnjähriger Junge war, verpflanzte mich unser Dienstmädchen in die Hasenheide, wenn sie an manchem Sonntagnachmittag mit mir spazieren gehen sollte. Dann tanzte sie schnell auf dem „Bal champêtre“ einmal rum, und ich saß gehorsam an einem von Bierflecken klebrigen Tisch im Gewühl der lärmenden Menschen, umbrüllt von der Karussellmusik und dem Ausrufer der Schaubuden, erschreckt von dem Knallen in den Schießbuden und den Hammerschlägen auf den Holzblock am Fuß der Kraftmesser, jener langen Stangen, an denen auf einer Schiene ein Klötzchen je nach der Kraft des Schlagers verschieden hoch hinaufgleitet, um vielleicht endlich oben an der Zahl 1000 die Glocke sieghaft anzuschlagen. Und über allem Lärm Staub, Staub, sonnendurchglänzter Staub.

Nie habe ich mich bedrückter gefühlt als an jenen Sonntagen.

Und da fing es an.

Das menschliche Leid trat immer näher an mich heran, das Elend und der Jammer quollen nur so auf mich zu und fraßen sich in mich herein. Hinter den Freuden des Sonntags lauerte [450] es. Und so lächerlich manches war, so frei wurde ich niemals, daß ich späterhin einen anderen als „bitteren“ Humor aufbringen konnte.

Medizinische, philosophische und volkswirtschaftliche Studien beschäftigten mich neben dem Erleben im Osten, Südosten und Norden Berlins und in seinen Vororten. Arbeiter, Kleinbürger, Spießer, Dirnen, Zuhälter entstanden in meiner Kunst zu dem neuen Leben, das ich wollte. Armut, Beschränktheit, Not, Verkommenheit, Laster materialisierte ich – wenn auch nur zweidimensional. Ich fühle mich als das Instrument des Gottes, der den bedürftigen Menschen, die ich erleben muß, wohlwill. Ich weiß, was Schönheit ist, zeige, wo sie nicht ist, und suche sie. Ich sehe das Böse und Schlimme, konzentriere es auf einem Rechteck von Papier oder Leinwand und suche das Gute. Ich bin nicht sentimental und liebe sanfte Form des Protestes nicht. Meine Waffen: Pinsel, Kohle, Feder, Bleistift, sollen hauen und stechen. Mit Vergnügen und voller künstlerischer Selbstverantwortung scheide ich mich von den „Nur-Malern“, den Leuten, die alle Bedingungen der Kunst erfüllt zu haben glauben, wenn ihnen der malerisch gute Fleck gelingt. Derartige Resultate halte ich für nur selbstverständliches Handwerk. Ich glaube, daß mir nebenbei manche gute Malerei geglückt ist. –

Da sich der Ausdruck, die Technik dem Motiv der beabsichtigten Wirkung anpassen muß, so habe ich mir eine farbige Form ausgedacht, die für meine kleineren Bilder, die ich unter Glas präsentiere, charakteristisch ist. Es kommt mir so sehr auf die in meinem Sinn zwingende Zeichnung an, daß ich viel aquarelliere. Um nun nicht dem Malerischen zuliebe zu flockig und fleckig malen zu müssen, gebe ich die Farben hart an in der Form der Zeichnung, die ich absolut halten will. Und jetzt nach diesem Stadium gehe ich mit Ölkreidestiften über die Konturen, Vorder- und Hintergründe. Der Stift läßt die Zeichnung, Fläche und Fleck in seiner Form, läßt sie aber durch seine Striche vibrieren und verschwimmen – so wie ich es zur Stimmung des Bildes brauche.

Die Ordnung, die ich in meinem Denkapparat halte, gab mir die Möglichkeit, an der Maschine nicht verständnislos vorüberzugehen. „Wir stehen im Zeichen der Maschine“, sagt man so schön. „Triumph des Menschengeistes“ wird sie liebevoll genannt. Na ja! Für mich ist sie außerdem positive Schönheit – und da werde ich auch positiv, wenn ich sie darstelle. Zweckmäßigkeit, Rhythmus des Baues, Rhythmus der Musik des Ganges – das sind ihre Eigenheiten, die ich liebe wie einen vollendeten menschlichen Körper.

Ich vertiefe mich in ihre Einzelheiten, wie in eine gelungene Architektur. Ich höre auf ihren Gesang mit dem empfindlichen Ohr des Ingenieurs. Sie ist die Seele der Industrie, deren Feuer- und Flammenspiele mich entzücken, wie den Sonntagsgast die Feuerwerke in den Sommerlokalen. Die Menschen haben sie zur Königin geschaffen und halten ihr die Treue der Sklaven bis zur eigenen Opferung.

Und da, wo sie nicht an den Boden gefesselt ist, wo sie ihr individuelles Lebewesen mit verschiedenster Physiognomie als Lokomotive auf eiserner Bahn ihre Pflichten erfüllt, wo sie umgeben ist von dem bunten Zauber der Signallaternen, die sie leiten und warnen, wo pompöse Empfangshallen ihrer warten, Telegraphen und Glocken sie melden, da bin ich – Romantiker von heute.

Man mag sich also an dieser Seite meines Schaffens schadlos halten, wenn es mir nicht gelingt, von der anderen her dem Mitmenschen so nahezukommen, wie ich es möchte.

Ich will meine Betrachtungen über mich mit einigen Worten Rodins schließen, weil es sich so gut macht und ich in meiner Verteidigung vor dem Richterstuhl der Zeit jede Chance für mich wahrnehmen will. Er sagt: „In der Kunst ist tatsächlich einzig und allein das schön, was ‚Charakter‘ hat.

‚Charakter‘ heißt die große innere Wahrheit eines jeden schönen oder häßlichen Naturschauspiels. Ja, man könnte hier sogar von einer ‚doppelten Wahrheit‘ sprechen denn es handelt sich um eine innere, die durch eine äußere zum Ausdruck gebracht wird.

Seele, Gefühl, Ideen gelangen durch die Gesichtszüge, Gebärden und Handlungen eines Menschen, durch die Färbungen eines Himmels, die Linie eines Horizontes zum Ausdruck.

Für den, der den Namen Künstler verdient, ist in der Natur alles schön, weil seine jede äußere Wahrheit unerschrocken aufnehmenden Augen dann, wie in einem offenen Buch, mühelos jede innere Wahrheit zu lesen vermögen.“

Und damit halte ich mich der Kunstgeschichte bestens empfohlen!

Anmerkungen (Wikisource)

Der Text erschien erstmals in der Zeitschrift Die Gartenlaube Nr. 27, 1920; Seiten 447–450, und wird durch eine Vorbemerkung der Schriftführung [447] eingeleitet, die leider keiner konkreten Person zugeordnet werden kann und entsprechend auch noch nicht gemeinfrei ist. Illustriert ist der Artikel (wie auch die gesamte Zeitschrift) mit Bildern von Baluschek. Eine handschriftliche Fassung des Textes befindet sich im Archiv der Stiftung Preussischer Kulturbesitz.

In mehreren Monographien und Ausstellungskatalogen über den Künstler wurde dieser Text in teilweise unterschiedlichem Drucksatz abgedruckt.