Textdaten
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Autor: Heinrich Noë
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Titel: Im Kampf mit den Wildbächen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 602–604
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: zur Hochwasserkatastrophe 1882
Wiederherstellung des Ortes nach Sturzregen und Murenabgang
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Im Kampf mit den Wildbächen.

Von Heinrich Noé.

Das war ein wässeriger Herbst, der von 1882! Alle Ueberlieferungen von der regelmäßigen Schönheit dieser Jahreszeit schienen, wenigstens am Südabhang der Centralalpen, über den Haufen geworfen, wenn man nicht vielleicht ein unablässiges Regnen auch als ständige Witterung gelten lassen will. Die Wettergelehrten, welche sich eben so wenig die außerordentliche Hitze wie die ungewöhnliche Kälte des einen oder des anderen Jahrganges zu erklären wissen, stehen nicht minder rathlos vor einer derartigen Erscheinung. Man hat an alle möglichen Ursachen gedacht, auch kosmische Einwirkungen in Erwägung gezogen; aber kein Erklärer läßt die Weisheit des anderen gelten. Genug, nachdem im Pusterthale bis zum 12. September der betreffende Monat sieben Regentage gezählt hatte, öffneten sich an diesem Tage die Schleusen des Himmels und die Fluthen begannen ihr verheerendes Werk.

Die Eisenbahnreisenden konnten über allerlei Abenteuer berichten, aus den Tagen, in welchen dieses Werk begann, bis es schließlich mit jeglichem Verkehr zu Ende war. Mancher Bach, sonst ein klares, bescheidenes Rinnsal, war ein breiter, gelbschlammiger Breistrom geworden, der hier und dort über die [603] Schieferblöcke seines Bettes in klafterhohen Wellen hinausflog. Von den Berghalden wallten Wasserfälle herab, die vordem Niemand, der jemals in der Gegend reiste, gesehen hatte. Dort, wo ihre schaumigen Wellen, auf der Thalsohle angekommen, sich dem Bahndamme näherten, standen Arbeiter mit langen Stangen, welche Felsblöcke, die ins Rollen gerathen, oder Baumstämme, die herabgeflößt worden waren, auf die Seite zu schieben trachteten, damit sie nicht gegen den Schienenweg angerollt kämen.

Ueber all’ diesem trieb, vom Südwestwind gejagt, ein wildes Heer von zerfetzten Wolken, hinter deren gespensterhaftem Zug die Kirchthürme des Mittelgebirges zeitweilig verschwanden.

Wie oft kam es da vor, daß der Zug plötzlich stille hielt! Die nächste Station lag noch weit ab. In jedem Wagen rasselten die Fenster, die man des Fluthregens wegen geschlossen gehalten hatte, herab, und zu beiden Seiten erschienen die Köpfe der Reisenden.

Es dauerte alsdann immer geraume Zeit, bis man die Ursache des Anhaltens erfuhr. Der Bahnwächter hatte das Zeichen hierzu gegeben. In geringer Entfernung hatte sich, vom andrängenden Wasser unterwaschen, der Bahndamm gesenkt. Bei der Vorsicht, mit der hier allenthalben vorgegangen wird, konnte das niemals unbemerkt bleiben. Wenn man Monate später zu dieser Station kam, sah man die Lokomotive noch dort stehen, über und über mit gelbbraunem Rost bedeckt. Es war damals ihre letzte Fahrt auf ein halbes Jahr und darüber hinaus gewesen. Am 16. September gab es keine Eisenbahn, am 17. keinen Telegraphen mehr. Zugleich waren an zahllosen Stellen nicht nur Wege und Stege, sondern auch die große Reichsstraße vernichtet.

Am schlimmsten waren jene Orte dran, welche an der Mündung eines Seitenbaches in ein größeres Gewässer liegen. Diese Seitenbäche, welche aus steilen, schluchtartigen Thälern hervorbrechen, sind mit einer Wassergewalt ausgestattet, die mit ihrem kurzen Lebenslaufe unheilvoller Weise in gerade umgekehrtem Verhältniß steht. Der Ursprung solcher Bäche, welcher von ihrer Mündung in der Luftlinie oft nur drei Kilometer entfernt liegt, ist gleichwohl tausend Meter und mehr über dieselbe erhaben. Zudem sind viele dieser Wasser eben der genannten Eigenschaft wegen früher zum Hinabschwemmen von Holz benützt worden, welches oben an den steilen Böschungen des betreffenden Grabens geschlagen wurde. Die Betriebsamkeit des Menschen hat demnach ihr Möglichstes gethan, um die verhängnißvolle Wirksamkeit eines solchen Wassers zu steigern, denn es ist augenscheinlich, daß jede Holzabwurfstelle, von welcher die herabrollenden Stämme nicht nur jede Pflanzendecke weggeschürft, sondern in deren Grund hinein sie im Stürzen auch noch tiefe Furchen gerissen haben, unter der Einwirkung von Regengüssen leicht zu einer Rinne wird, in welcher trübes Wasser, Erde und Steine mit großer Schnelligkeit zu Thal fahren.

Nun kommt aber auch noch Folgendes hinzu: die Holzschläger, welche zum Theil schon vor vielen Jahren in solchen Schluchten wirthschafteten, hatten dort an manchen Stellen Klausen gebaut, in welchen der mitunter spärliche Thalbach aufgestaut wurde, um zur Zeit der Trift die Stämme mit künstlich verstärkter Gewalt hinauszuwälzen. Nachdem aber die Arbeit vorüber war, haben sie diese Klausen stehen gelassen. Deren Gefüge lockerte sich alsdann im Laufe der Zeiten; die Balken, aus denen sie aufgebaut waren, wurden mitunter morsch. Solche alte Klausen gaben nun den schlimmen Wassergeistern, welche auf Zerstörung sannen, die furchtbarsten Waffen. Nach geringem Widerstande wurden sie von den herabjagenden Gießbächen gepackt und Alles zusammen, Balken, hinter ihnen aufgehäufter Schotter und Felsblöcke, so weit gegen die Mündung der Schlucht hinausgewälzt, als eben die vorhandene Kraft reichte. Dort bildeten sie nun vorläufig eine Barrikade. Diese blieb so lange stehen, bis die Wasser, die sich mit ihr selbst ein Hinderniß geschaffen hatten und sich einstweilen seeartig ausbreiteten, so viel Kraft gewannen, um sie zu durchbrechen und sie mit sich in das Hauptthal hinauszureißen. Befand sich dort, ihrem Laufe ausgesetzt, eine Ortschaft, so wurde in derselben Alles, was die Wellen nicht sofort mitrissen, entweder unter dem Anprall der herangeflößten Stämme, Baumwurzeln und Felsen zertrümmert oder von ihnen zugedeckt und begraben. Ein Eisenbahndamm verschwand vor einem solchen Ansturm, als ob er den Geschossen der schwersten Festungsartillerie ausgesetzt gewesen wäre. Wo eine Straße war, erkennt man alsdann nur noch an den Wipfeln rothbeeriger Ebereschen, die aus einer Mengung von Wasser, Kalk- und Schieferblöcken, Brennholz, Lehm und Brettern herausragen.

Gleichwohl aber verlangt es die Pflicht der Wahrhaftigkeit, einzugestehen, daß es an vielen Orten auch ohne die verderbliche Thätigkeit der Holzfäller nicht anders gegangen wäre, als es leider in jenem Herbst gegangen ist. Wenn solche Regenmengen so lange Zeit hindurch herunterstürzen, so sehen sich auch solche Grundstücke in Bewegung, welche mit tiefer Dammerde und Graswuchs, ja selbst von einem schönen Waldstand, bedeckt sind. Der Boden saugt sich eben so mit Wasser an, daß er sich von seiner felsigen Unterlage loshebt und zu Thal fährt. Mögen es nun die wandelnden Wälder sein oder die aus den Seitengräben herangewälzten Schlamm- und Steinberge – genug, die Verheerung muß sich dort am wirkungsvollsten gestalten, wo eine derartige Zufuhr rechtwinkelig auf den Hauptfluß des Thales auftrifft.

Der schmucke Ort Welsberg, mit dessen Zerstörung und Wiederaufrichtung wir uns hier besonders beschäftigen, war für die Aufführung eines derartigen Dramas eine vorzüglich geeignete Bühne. Hier vereinigte sich Alles, um das Werk der Vernichtung zu begünstigen. Derjenige, der im Bahnhofe ausstieg, erblickte alsbald, wenn er gegen Norden schaute, in geringer Entfernung den Berg Rudel, von welchem der Gsieser Bach herabkommt. Auf diesem ungemein steilen Berge nahm man ungefähr sechs Rinnen wahr, welche, durch schmale Waldstreifen unterbrochen, sehr tief in das mürbe Gestein eingeschnitten sind und koncentrisch fast lothrecht in die Tiefe züngeln. Man kann nicht sagen, hier liegt, sondern man muß sich ausdrücken, hier hängt alles das Zerstörungsmaterial, welches bei einem Sturm auf Welsberg zur Verwendung kommen muß. So war es damals. Wie man dem für immer abgeholfen hat, werden wir weiter unten sehen.

Dieselbe Bemerkung gilt für den Gsieser Bach. Damals, in den Tagen des Unglücks, gelang es ihm, seine Einmündung in den Hauptfluß des Thales, die Rienz, rechtwinkelig, also gerade im schlimmsten Verhältniß, zu bewerkstelligen. Dadurch wurde dieser letztere Fluß aufgehalten und betheiligte sich nun seinerseits am Werke der Zerstörung, indem er sich zu einem See ausbreitete.

Man würde indessen irren, wenn man das Dasein eines solchen Sees als ein erstmaliges bezeichnete.

Ein See, vermuthlich unter ähnlichen Umständen entstanden, bedeckte schon im vierzehnten Jahrhundert den Grund von Welsberg und wurde erst 1359 von wälschen Baumeistern glücklich abgelassen. Auch dieser Umstand führt uns zur Schlußfolgerung, daß es nicht ausschließlich die moderne Waldverwüstung sein kann, welcher wir derartige Katastrophen zuzuschreiben haben.

Wenn man wissen will, wie eine solche aussieht, so braucht man sich nur eine einzige Scene aus der Geschichte Welsbergs in jenen Tagen zu betrachten.

Es ist Nacht. Allenthalben dröhnender Donner der Wasser. Die Finsterniß ist so groß, daß man die Hand vor Augen nicht erkennt. Der Regen strömt ununterbrochen, wie bei einem sommerlichen Hochgewitter. Welsberg liegt finster da, alle seine Insassen haben sich in die hochgelegene Kirche Maria Rain geflüchtet, wo sie beim Scheine von Laternen schreckliche Stunden verleben. Doch von irgend woher glänzt es hell über die unsichtbaren Wasser. Dafür ist aber dort, von wo die Helle ausgeht, das Elend noch größer als in der vom Felsen aufragenden Kirche. Denn dort in dem Hause, welches ringsum von den brandenden Wassern umgeben ist, haben die Leute an jedes Fenster brennende Kerzen gestellt, damit sie von den Geretteten nicht vergessen würden. Und sie wurden nicht vergessen, denn als der Tag graute, wagten sich die Helfer vom sicheren Berge herab und brachten die Eingeschlossenen, jeden Augenblick mit dem Tode ringend, über die Wasser.

Ich habe schon oben die Thätigkeit des Wildbaches mit einem Artillerie-Angriff verglichen. Denjenigen, welche damals ihre Häuser anschauten, mußte an vielen Stellen die Aehnlichkeit noch deutlicher vor die Augen treten. Statt der Bomben und Sprenggeschosse waren die sogenannten „Bachkugeln“ in die Häuser eingedrungen. Es sind dies Gneißblöcke, welche durch die Thätigkeit der Wasser, vielleicht auch alter Gletscher in der Eiszeit, abgerundet wurden und nunmehr von jedem Hochwasser mobil gemacht werden. Was diese Bachkugeln nicht eingeschlagen hatten, das war von Schotter und Schlamm ausgefüllt worden. Aus dem ersten Stockwerk derjenigen Häuser, welche noch standen, konnte [604] man ohne Weiteres auf die Schuttflächen hinausgehen, welche nunmehr Alles bedeckten, was früher Platz, Straße, Garten gewesen war.

Der mehrfach erwähnte Wildbach hatte aber sein Bett verlassen und seine Wasser über die Felsenmassen hinweg, die von ihm mitgebracht worden waren, strahlenförmig zwischen, durch und über die Häuser hinweg ergossen.

Man muß sich das nicht so vorstellen, als ob das Unheil, welches da hereingebracht wird, etwa in der Form eines Theaterkoups aufträte, so wie ein Erdbeben oder ein Schiffsuntergang in einer Spektakeloper. Letztere Dinge kommen, sind aber rasch vorüber.

Hier dagegen verhält sich die Sache ganz anders. Die Wasser fließen fort und fort über den Schutt herein. Und wenn sich auch die Wasser nach und nach verlieren, so bleibt doch der Schutt da. Es giebt kein Brot, kein Fleisch, keinen Wein, denn die Keller sind Behälter von Schlamm und Felsblöcken. Es giebt keine Mühle, keine Backstube. Herbeischaffen ist unmöglich, denn es giebt auch keinen Weg, keinen Steg, keine Eisenbahn, keine Landstraße, keinen Telegraphen. Zudem befinden sich andere Orte in ähnlicher Lage. Nichts desto weniger aber stehe ich nicht an zu behaupten, daß die Leute im Hochgebirge bei Wasserunglück immer noch nicht so schlecht dran sind, wie in Tiefebenen, wie etwa in Holland oder in den Po-Niederungen. Denn das Leben wenigstens scheint im Gebirge nicht so gefährdet. Die Fluth mag steigen wie sie will, irgendwo giebt es an den Berghalden hin doch eine Zuflucht, während der arme Mensch auf flachem Boden hilflos weggeschwemmt und ersäuft wird.

Wenn einem Gebirgsorte Derartiges zustößt, so ist es ein ganz besonderes Glück für ihn, wenn er an einer Eisenbahn liegt. Mehr als Staat und Provinz, schneller als alle Wohlthätigkeitsvereine muß die Eisenbahn Hilfe bringen, weil die Wiederherstellung dessen, was zu Grunde ging, für sie selbst zur Lebensfrage wird. Ich will nicht davon erzählen, daß sechs Wochen später sich das Unglück wiederholte, sondern zunächst auf die Art und Weise der Hilfe hindeuten.

Zu allernächst mußte der Schotter aus der Ortschaft und den Häusern entfernt werden. Die Eisenbahn, welche Tausende von Arbeitern hatte aufnehmen müssen, um ihre Linien, die von Kärnten an durch das ganze Pusterthal und das Etschland hinab an zahllosen Stellen zerstört waren, wieder herzustellen, schickte unentgeltlich hundert Arbeiter mit allen nothwendigen Werkzeugen nach Welsberg, welche sich alsbald an die Wegräumung der Geröllberge machten. Um dies zu ermöglichen, wurde eine Rollbahn erbaut. Welche Massen hier zu bewältigen waren, ersieht man aus der Angabe, daß zwischen den Häusern allein ungefähr zwölftausend Kubikmeter Geröll ausgehoben und fortgeschafft wurden. Solche Massen erscheinen begreiflich, wenn man beispielsweise erfahren hat, daß der Schmied vom Rande seines Schornsteins hinabschauen mußte, wenn er seine Feueresse sehen wollte.

Es sei hier der Untergang einer anderen Schmiede unweit Welsberg eingeschaltet. Ein Augenzeuge erzählte mir, wie ihm aus ansehnlicher Entfernung durch die offene Thür hindurch der Hintergrund der weißroth auflodernden Flamme, welche der durch ein Wasserrad in Bewegung gesetzte Blasbalg anfachte, die Umrisse des Schmiedes gezeigt habe. Er nahm wahr, wie der kräftige Mann eben den Hammer erhob, um auf ein vor ihm liegendes Stück Glüheisen zu schlagen. Urplötzlich erfaßte den Beschauer, welcher fuhr, ein Schrecken, daß er schier von seinem Karren gefallen wäre, denn jetzt sah er gar nichts mehr. Der Bach war von hinten in die Schmiede gebrochen und hatte Alles fortgerissen. Der erhobene Hammer fiel nicht mehr auf die Eisenstange herab. Schmied und Amboß, Zaun und Haus waren und blieben verschwunden. –

Nächst der Wegräumung des Schotters galt als eine nicht minder wichtige Arbeit die Sicherung des Ortes gegen den Gsieser Bach und die Anlegung eines neuen Bettes für den Wildling. Es wurde also zunächst eine ungeheure Mauer aufgeführt und aus gemauerten Steinen eine breite, ziemlich jäh geneigte Rinne hergestellt, in welcher der Wildbach rasch, eine Strecke weit fast parallel mit ihr, zur Rienz hinabfließen muß. Der Boden dieses Bettes ist mit ungeheuren Steinblöcken gepflastert, deren flache Seiten nach oben schauen. Eine solche Pflasterung war nothwendig; denn ohne sie würde das Wasser sich bald weiter in den Grund eingewühlt, sein Bett vertieft haben. Dann hätten die geneigten, aus gemauerten Steinen bestehenden Böschungen sich gesenkt und die Gefahr eines Durchbruches herbeigeführt. Das cyklopische Pflaster verhindert eine weitere Sohlenvertiefung des Wildbaches. Es ist ein gewaltiges Werk, welchem man es wohl ansieht, daß sich Welsberg sicher fühlen kann in seinem Schutze.

Wenn man in den Jahren der Verheerung durch Welsberg ging, sah man in manchem Hause, von welchem eine ganze Mauerseite weggerissen war, im ersten Stockwerk noch den Hausrath in den Zimmern stehen und die Bilder an den Wänden hängen. Auf den Tischen und Bänken aber, wie auf dem Boden lagen Felsblöcke, darunter manche viele Centner schwer. Hier und dort war noch ein Dachstuhl vorhanden, der mit seinem festvernieteten Gefüge dem Anprall der Wellen widerstanden hatte, während das zu ihm gehörige Mauerwerk verschwunden war. Konnte man doch Aehnliches auch bei der Eisenbahn wahrnehmen, bei welcher man an vielen Stellen von Dämmen und Unterbau keine Spur mehr erblickte, während die Schwellen, fest mit den Schienen zusammenhängend, in einem weiten, nach abwärts gerichteten Bogen in der Luft hingen, so daß die Eisenbahn einer jener Taubrücken glich, auf welchen die Indianer Südamerikas über die Abgründe der Kordilleren oder die Hindns über die Gebirgsschluchten der Ganga setzen.

Die Fortschaffung des Schotters hatte zur Folge, daß die Straßen wieder so sind wie früher, daß die Wiesen und Gärten wieder grünen und blühen. Die Ausbesserung und der Wiederaufbau der Häuser aber machte aus Welsberg einen viel schöneren Ort, obwohl er schon früher zu den behäbigsten des Pusterthales gehört hatte. Inschriften schmücken die wieder erstandenen Häuser; sie weisen auf die Katastrophe und den Wiederaufbau des Ortes hin. Wir lesen beispielsweise:

„Der Wildbach bahnte den Weg sich durch mich.
Gar Manches fiel in Trümmer,
Doch hoffnungsfreudig erhebe ich wieder mein Haupt.“

Nicht nur die Gebäude stehen schöner da als früher, sondern auch der freie Grund und Boden hat gewonnen. Wo früher eine wüste Strecke sich ausdehnte und wilde Wasser rannen, dort grünen jetzt die Prenninger-Anlagen, nach jenem Meister so genannt, welcher sich nicht nur um die Wiedererstehung Welsbergs, sondern auch um die anderer Orte, insbesondere aber um die Herstellung der Eisenbahn, die höchsten Verdienste erworben hat. Wo ungeregelt einst die Rienz floß, dort erheben sich jetzt Bäume, und die gewaltigen Dolomite spiegeln sich im stillen Becken eines Springbrunnens.

Während amerikanische Hilfsbahnen den zerstörten Schienenweg herstellen halfen, während die Rollbahn, auf die Höhe der Dachstühle hingelegt, den Schotter aus dem Orte führte, um ihn an anderer Stelle zur Aufschüttung eines Eisenbahndammes zu verwenden, während alle Handwerke und Gewerbe sich in Bewegung setzten, um Welsberg wieder zu dem zu machen, was es, schon der Herrlichkeit seiner Gebirge wegen, zu sein verdient, nämlich zum behaglichsten und schönsten Orte des oberen Pusterthales, waren auch diejenigen nicht lässig, welche den Feind auf seinem Rückzuge für immer unschädlich zu machen berufen waren. Ich möchte diese die Strategen, jene andern aber, welche den Ort aufrichteten und schützten, die Taktiker nennen.

Es handelte sich darum, dem Wildbach ein- für allemal die Möglichkeit zu nehmen, wieder mit gleicher Gewalt gegen das schöne Welsberg anzustürmen. Zu diesem Zwecke hat man auf dem oben erwähnten Berge Rudel nach dem Muster der Arbeiten in den französischen Alpen im Sammelgebiete des Wildbaches Abstaffelungen und Thalsperren angebracht. Um das Abrutschen des Bodens und das Herabgleiten des Gerölles aufzuhalten und das Gefälle des Wassers zu brechen, wurden hinter einander Mauerabsätze, Staffeln, Stränge von Flechtwerk angebracht, welche allen diesen Zwecken genügen werden.

Auf diese Weise also ist Welsberg versichert, und der Bach wird es bleiben lassen, die ihm entgegengestellten Hindernisse zu überwinden. Eine Denksäule, welche in Gegenwart des Kaisers enthüllt wurde, erinnert an all die Arbeit und den Opfermuth, wodurch die Häuser und Straßen aus der Verheerung wiedererstanden. Dort, wo man in jenen Tagen eine Cigarre vor der Feuchtigkeit, welche die Wohnräume erfüllte, um den Finger wickeln konnte, dort, wo die Leute sich das nasse Getreide mit Lauge anmachten, um einen Brei daraus zu bereiten, herrscht jetzt wieder das gastlichste Leben.