Textdaten
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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin III
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland – Erster Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin.

Erster Band. Tübingen 1797; S. 12–16

Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: J. G. Cotta'sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: www.hoelderlin.de
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[12-13]

HYPERION AN BELLARMIN.


      Ich danke Dir, dass Du mich bittest, Dir von mir zu erzählen, dass Du die vorigen Zeiten mir in’s Gedächtniss bringst.

      Das trieb mich auch nach Griechenland zurük, dass ich den Spielen meiner Jugend näher leben wollte.

     Wie der Arbeiter in den erquikenden Schlaf, sinkt oft mein angefochtenes Wesen in die Arme der unschuldigen Vergangenheit.

     Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh’ ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! Aber wir haben ja nur Begriffe von dem, was einmal schlecht gewesen und wieder gut gemacht ist; von Kindheit, Unschuld haben wir keine Begriffe.

     Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem, was uns umgiebt, nichts wusste, war ich da nicht mehr, als jezt, nach all den Mühen des Herzens und all dem Sinnen und Ringen?

     Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist.

     Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön.

     Der Zwang des Gesezes und des Schiksaals betastet es nicht; im Kind’ ist Freiheit allein.

     In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichthum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiss vom Tode nichts.

     Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muss werden, wie ihrer einer, muss erfahren, dass sie auch da sind, und eh’ es die Natur aus seinem Paradiese treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, [14-15] auf das Feld des Fluchs, dass es, wie sie, im Schweisse des Angesichts sich abarbeite.

     Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht wekt.

     O es sind heilige Tage, wo unser Herz zum erstenmale die Schwingen übt, wo wir, voll schnellen feurigen Wachsthums dastehn in der herrlichen Welt, wie die junge Pflanze, wenn sie der Morgensonne sich aufschliesst, und die kleinen Arme dem unendlichen Himmel entgegenstrekt.

     Wie es mich umhertrieb an den Bergen und am Meeresufer! ach wie ich oft da sass mit klopfendem Herzen, auf den Höhen von Tina, und den Falken und Kranichen nachsah, und den kühnen fröhlichen Schiffen, wenn sie hinunterschwanden am Horizont! Dort hinunter! dacht’ ich, dort wanderst du auch einmal hinunter, und mir war, wie einem Schmachtenden, der in’s kühlende Bad sich stürzt und die schäumenden Wasser über die Stirne sich schüttet.

     Seufzend kehrt’ ich dann nach meinem Hause wieder um. Wenn nur die Schülerjahre erst vorüber wären, dacht’ ich oft.

     Guter Junge! sie sind noch lange nicht vorüber.

     Dass der Mensch in seiner Jugend das Ziel so nahe glaubt! Es ist die schönste aller Täuschungen, womit die Natur der Schwachheit unsers Wesens aufhilft.

     Und wenn ich oft dalag unter den Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich sonnte, und hinaufsah in’s heitre Blau, das die warme Erde umfieng, wenn ich unter den Ulmen und Weiden, im Schoose des Berges sass, nach einem erquikenden Regen, wenn die Zweige noch bebten von den Berührungen des Himmels, und über dem tröpfelnden Walde sich goldne Wolken bewegten, oder wenn der Abendstern voll friedlichen Geistes heraufkam mit den alten Jünglingen, den übrigen Helden des Himmels, und ich so sah, wie das Leben in ihnen in ewiger müheloser Ordnung durch den Aether sich fortbewegte, und die Ruhe der Welt mich umgab und erfreute, dass ich aufmerkte und lauschte, ohne zu wissen, wie mir geschah - hast du mich lieb, guter Vater im Himmel! fragt’ ich dann leise, und fühlte seine Antwort so sicher und seelig am Herzen.

     O du, zu dem ich rief, als wärst du über den Sternen, den ich Schöpfer des Himmels [16] nannte und der Erde, freundlich Idol meiner Kindheit, du wirst nicht zürnen, dass ich deiner vergass! – Warum ist die Welt nicht dürftig genug, um ausser ihr noch Einen zu suchen?[1]

     O wenn sie eines Vaters Tochter ist, die herrliche Natur, ist das Herz der Tochter nicht sein Herz? Ihr Innerstes, ist’s nicht Er? Aber hab’ ich’s denn? kenn’ ich es denn?

     Es ist, als säh’ ich, aber dann erschrek’ ich wieder, als wär’ es meine eigne Gestalt, was ich gesehn, es ist, als fühlt’ ich ihn, den Geist der Welt, aber ich erwache und meine, ich habe meine eignen Finger gehalten.

  1. Es ist wohl nicht nöthig, zu erinnern, dass derlei Aeusserungen als blosse Phänomene des menschlichen Gemüths von Rechts wegen niemand scandalisiren sollten.