Hohenschwangau und Neu-Schwanstein

Textdaten
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Titel: Hohenschwangau und Neu-Schwanstein
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 513, 515
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[513]

Hohenschwangau und Neu-Schwanstein von der „Jugend“ aus. 0 Originalzeichnung von R. Püttner.

[515] Hohenschwangau und Neu-Schwanstein. (Mit Illustrationen S. 513 und 515.) Unfern von jenem Felsenthor, durch welches der Lechstrom aus Tirol nach Bayern sich Bahn gebrochen hat, erschließt sich ein kurzes, aber prachtvolles Alpenthal[.] Kühngeschwungene schroffe Bergriesen in einer Höhe von 6000 Fuß schauen in dieses Thal herein und grüßen weit in die schwäbisch-bayerische Hochebene hinaus. In der Thaltiefe liegen waldumrauscht zwei smaragdgrüne Seespiegel. Zauberhaft schön ist die Landschaft; uralt und ehrwürdig ihre Geschichte. Am Eingang dieses Thals, auf waldumbuschten Hügeln und Felsvorsprüngen standen feste Burgen schon zu jener Zeit, als noch die Römer und Ostgothen nebenan durch den Paß am Lechstrome zogen. Nach großen Zeitläufen wurden die Burgen zu Ruinen. Zwei von ihnen erstanden wieder auf das Machtgebot zweier bayerischer Könige: die Schlösser von Hohenschwangau und Neu-Schwanstein.

Hohenschwangau ist das kleinere. Und dennoch glänzt sein Name zu wiederholten Malen auf romantischen Blättern deutscher Geschichte. Zu Hohenschwangau empfing ein deutscher König eine Gesandtschaft des ungarischen Königs Stephan; hier hauste der minnefrohe Sänger Hiltebold von Schwangau. Von hier entließ den Hohenstaufen Konradin, als er die Todesfahrt nach Italien antrat, ein sehnsuchtsvolles Mutterherz. Und später rasteten hier, nach der Jagd in den Bergwäldern, Kaiser Ludwig der Bayer und Kaiser Maximilian der Erste. Aber das Geschlecht der Ritter von Schwangau erlosch, und die Burg zerfiel. In Trümmern fand sie Kronprinz Maximilian und ließ sie unter den Händen bewährter Künstler wieder auferstehen. Und von so ergreifender Schönheit ist die Landschaft, daß es nur bescheidener Mittel bedurfte, um aus der Ruine ein Märchenschloß romantischer Zeit werden zu lassen. Ueppiges Grün und duftende Rosen wuchern um die wappengeschmückten Thore; hinter dem stäubenden Schaum des Springbrunnens sieht man tiefen Waldesschatten und geisterhafte Bergwände; zwischen ihnen in der Tiefe die Spiegel des Alpsees und des Schwansees. Die Einrichtung des Schlosses ist von edler Einfachheit; aber die Wände sind von Künstlerhand mit den edelsten Gestalten deutscher Sage und Geschichte geschmückt, und Niemand kann das Schloß verlassen, ohne jenen Zauber zu verspüren, der hier einst den Minnesänger zu seinem Liede begeisterte.

Neu-Schwanstein. Vom Süden aus gesehen.
Nach einer Photographie im Verlag von Ludwig Schradler in Füssen.

Wie ein Bau von Riesenhand steht gegenüber, kaum eine Stunde entfernt, auf unzugänglichem Fels die Burg von Neu-Schwanstein, das Werk Ludwig’s II. Es ist eine mächtige gethürmte Veste in rein romanischem Stil. Bis jetzt sind nur der Thorbau und der Hauptbau vollendet. Den Hauptbau, dessen Dach von kupfernen und vergoldeten Platten leuchtet, überragt zu schwindelnder Höhe ansteigend ein War[t]thurm, von dessen Zinnen aus man in eine grausenhafte Tiefe hinunterblickt. Der Palast selbst enthält fünf Stockwerke über einander. Die untersten beiden, welche für die Hofhaltung bestimmt waren, sind noch unfertig; das dritte, vom König selbst bewohnte Stockwerk, ist mit verschwenderischer Pracht ausgestattet. Hier, sowie in den beiden oberen Stockwerken, welche Festräume und Empfangssäle enthalten, sind die Wände mit zum Theile ganz meisterhaften Freskobildern geschmückt, unter welchen insbesondere die Bilder zum „Ring des Nibelungen“ und zur Parsifalsage gerühmt zu werden verdienen. Auch die bayerische Geschichte des gegenwärtigen Jahrhunderts bis herab zu den Kämpfen des deutsch-französischen Krieges ist in diesen Freskobildern vertreten. Musterhaft sind aber auch die Steinmetzarbeiten an dem reichen Hauptportale wie an den unzähligen Steinsäulen der Thor- und Fensterbogen, sowie die kunstgewerblichen Arbeiten an den Gegenständen des Hausrathes. Unter den Letzteren finden sich wahre Kleinodien.

Ob der unvergleichliche Prachtbau vollendet werden, wann und durch wen dies geschehen wird, kann heute noch Niemand sagen. Gewiß ist, daß das Schloß Neu-Schwanstein die vollendetste Schöpfung Ludwig’s II. ist. Die Pläne dazu stammen noch aus der besten Zeit des Königs; die Phantasie der Künstler hatte freien Spielraum und war nicht, wie beim Bau des Schlosses Herrenchiemsee, an sklavische Nachahmung französischer Vorbilder gefesselt. Jetzt wird wohl dieser Bau, der so lange in märchenhafter Verschlossenheit lag, dem Fremdenbesuch zugänglich werden, nachdem der unglückliche Bauherr, der in diesen Prachträumen Thron und Freiheit verloren, zu den Todten gegangen ist.