Historische Nachricht (Harz-Berg-Kalender)

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Titel: Historische Nachricht
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aus: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1929 S. 54–56
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Originalherkunft: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1780
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Historische Nachricht.


     Wir bringen nachstehend eine Erzählung aus dem Harzbergkalender vom Jahre 1780, die manchem eine ergötzliche Stunde bereiten wird.

      Die Geschichte liefert uns zwar ganze Verzeichnisse von Menschen, die nicht nur eine unglaubliche Menge von Speise und Trank, sondern auch Glas, Eisen, Steine und andere harte Körper ohne Schaden der Gesundheit haben zu sich nehmen können. Ailein unter so vielen werden immer nur sehr wenige sein, welche dem bekannten Wittenbergischen Vielfresser, Jacob Kahle, seiner Profession ein Gärtner, gleich kommen. Es verlohnt sich wohl der Mühe, das Andenken dieses Mannes zu erneuern, der in seinem Leben nicht sowohl durch seine außerordentliche Leibesstärke und sein vieles Fressen, als vielmehr dadurch, daß er die härtesten Körper, als Glas, Eisen, Steine und allerhand lebendige Tiere mit seinen mehr als eisernen Zähnen zermalmen können, aller Verwunderung nach sich gezogen. Er verdient es daher auch nach seinem Tode, daß er in der Geschichte der Vielfresser eine vorzügliche Stelle erhält, und daß man ihm einige Aufmerksamkeit gönnet. Wir wollen hier unsern Lesern aus dem Leben dieses Mannes einige merkwürdige Umstände aufzeichnen, welche sattsam beweisen werden, daß man nicht zu viel von ihm gesagt habe.

      Es ist ganz was Bekanntes von ihm, daß er auf einmal 8 Schock Pflaumen mit den Kernen, und zu einer anderen Zeit 4 Metzen Kirschen mit Kernen und Stielen, blos aus Vergnügen, und um ein Trinkgeld damit zu verdienen, in seinen Magen geschickt habe. Man hat in gerichtlichen Acten Nachrichten von ihm, daß er ganze Dachziegeln, steinerne Krüge, irdene Schüsseln und Teller zermalmet und einen ganzen Ofen von Kacheln aufzufressen, und er hat auch, da man an der Erfüllung seines Versprechens zweifeln wollte, ein ziemlich großes Stück herausgebissen, zerkaut, das ihm der schwarze Staub aus dem Halse gekommen, und endlich heruntergeschluckt, Glas und Eisen hat er mit seinen Zähnen in den feinsten Staub verwandeln können, und die härtesten Stiefelsteine hat er in solche Stücke voneinandergebissen, daß man die Zähne darin wie im Wachs abgedruckt gesehen. Zu einer anderen Zeit hat er, um sich damit sehen zu lassen, und was zu gewinnen, einen ganzen Dudelsack aufgefressen, und den Kerl desselben, der sich nichts gutes von ihm vermuthen war, und durch das Fenster die Flucht nahm, vermuthlich aus Spaß, als ob er ihn auch fressen wollte, eine Zeitlang verfolgt. Auch hat er öfters Vögel, Mäuse und andere kleine Tiere lebendig niedergeschluckt, daß die Umstehenden glaubten, das Geräusch derselben in seinen Magen zu hören. Einmal hat er eine ganze Menge Raupen, und ein andermal ein Dintefaß von Eisenblech mit der Dinte, Sandbüchse, Federn und Federmesser aufgefressen. Alle diese unglaublichen Dinge hat er allezeit mit dem größten Appetit und Vergnügen zu sich genommen, ohne jemals den – geringsten Schaden seiner Gesundheit, oder nur Beschwerden des Magens davon zu empfinden. Alles was er, soviel bekannt ist, zur Verdauung auf dem Genuß solcher harten Körper genommen, ist ein guter Schluck Brandwein gewesen, welchen er außerdem sehr geliebt und auch öfters einen Trunk über den Durst gethan. Ohnerachtet dieser widernatürlichen und wüsten Lebensart hat der Mann dennoch sein Leben auf 79 Jahre gebracht, bis in sein 60stes Jahr aber ist er nur im Stande gewesen, so viele und so ungewöhnliche Dinge zu sich zu nehmen, da wegen des herannahenden Alters seine Nerven schwächer wurden, [55] seine starken und derben Muskeln zusammentrockneten, seine Zähne nach und nach ausfielen, und die Verdauungswerkzeuge ihm ihren vorigen Dienst versagten.

      So unglaublich auch diese wenigen angeführten Beyspiele seines Vielfraßes scheinen mögten; 10 wahr sind sie doch. Gerichtliche Zeugnisse verdienen desafalls allen Glauben. In den Acten des Magistrats zu Wittenberg vom Jahre 1723 finden sich Zeugenverhöre von 7 glaubwürdigen Leuten, welche Augenzeugen seines Vielfraßes gewesen sind, und man kann daher für Wahrheit der angeführten Exempel Gewähr leisten. Ein Student hat, da der Mensch wenige Jahre vorher, ehe er in Wittenberg studierte, gestorben ist, noch viele Leute gesprochen, die ihn gekannt, und ihm nicht allein mehrere Beyspiele seines Vielfraßes, sondern auch seiner außerordentlichen Leibesstärke erzählt haben. Von letzterer wollen wir unsern Lesern noch einige Beweise geben.

      In einer Schmiede zu Wittenberg hat er einen großen Ambos vermittelst eines vierdoppelten Stricks aus dem Hause in die Stube getragen, welchen hernach zwey starke Schmiedegesellen nicht wieder von der Stelle zurückbringen können. Aus einem Wagenrade hat er alle Nägel mit den Zähnen herausgezogen. Von dem nahe bey Wittenberg liegenden Dorfe Pratau hat er einsmals 4 starke Leute, nemlich auf jedem Arm einen, auf dem Rücken einen, und einen zwischen den Zähnen haltend, nach Wittenberg getragen. Zu einer anderen Zeit soll er sein Pferd, das ihm ohnweit Zerbst umgefallen war, auf die Karre geworfen, sich selbst hineingespannt, und es so nach Wittenberg gebracht haben. Auch hat er den Zerbst einen Schlösser mit seinem Felleisen und Gerätschaften gegen eine Belohnung auf seine Schultern genommen, und nach Wittenberg zu tragen versprochen. Wie aber der gedungene Kahle zu stark rannte, und jener das heftige Schlagen seines Felleisens in die Länge nicht mehr aushalten konnte, so war er genöthigt, nach zurückgelegten 2 Meilen von seinem Pferde abzusigen, und das versprochene Lohn gern zu bezahlen.

      Es frägt sich nun, woher dieser Mensch eine so außerordentliche Leibesstärke erhalten, und eine so ungeheure Menge harter Körper verschlucken und auch verbauen können? Ist er durch die Natur allein in ben Stand gelegt worden, oder hat er sich nach und nach dazu gewöhnt. Das Sprüchwort sagt zwar, wers weiß, wirds wissen, und daß kein Fresser gebohren, sondern erst erzogen wird. Allein dieser Mann kann es unmöglich durch die bloße Gewohnheit dahin gebracht haben. Sein sehr festes Gebiss, sein scharfer Magensaft, seine starken Verdauungswerkzeuge, überhaupt der ganze Bau seiner Maschine muß ihm heirbey zu Hülfe gekommen seyn. Es ist schon vorhin gezeiget, daß er in seiner Jugend ein starkes Nervengebäude, ungemein starke und derbe Muskeln, mit einem Worte, einen dauerhaften Körper gehabt. Seine arbeitssame Lebensart in Wind und Wetter, in Hitze und Kälte, hat überdies nicht wenig dazu beygetragen, seinen Körper abzuhärten. Die anatomische Zergliederung seines Körpers hat auch gezeigt, daß sein Magen aus weit dickern Häuten, als sie natürlich seyn müßten, bestanden habe. Jedoch die ganze Zergliederung aller einzelnen Theile seines Körpers umständlich zu beschreiben, ist hier der Ort nicht. Wir wollen nur noch hinzufügen, daß aus dem Bau seiner Verdauungswerkzeuge allein nicht erkläret worden, wie der Mensch eine so ungewöhnliche Menge harter Körper verdauen, und in die Natur seines Körpers verwandeln können, sondern daß man auch annehmen müsse, die Gewohnheit habe nach und nach demselben alles unschädlich gemacht. Finden wir doch in den Schriften der Ärzte häufige Beyspiele, daß es Menschen gegeben, welche sich allmählich angewöhnt haben, verschiedene Gifte, Schierling, Opium und dergleichen in Menge ohne Schaden zu genießen. Die tägliche Erfahrung lehret z. B. daß bloße Gewohnheit an sich schädliche Dinge unschädlich machen könne. Welche Üblichkeit, Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerzen und Dummheit emfindet nicht der, welcher die erste Pfeife Toback in seinem Leben raucht. Bloß die Gewohnheit macht uns in der Folge dagegen so unempfindlich, daß wir denselben täglich in Menge gebrauchen können. Eine Prise Schnupftoback reizet den Menschen, der nicht daran gewöhnt ist, zum niesen. Man sehe aber Leute an, die ihn beständig gebrauchen; sie werden ganze Dosen voll ausschnupfen, um das einmal angewöhnte kützelnde Vergnügen ihrer Nase zu empfinden, aber man wird sie nur sehr selten niesen hören, zuletzt wird sich der Kützel auch verliehren, und sie werden bloß aus Gewohnheit schnupfen. Was macht es? die kützelnden Theile reizen die Nerven nicht mehr, und ihr öfterer Eindruck macht sie zuletzt unempfindlich. Man wende diese einleuchtenden Exempel auf unsern beschriebenen Vielfresser an; so wird man einigermaßen begreifen, wie der Mensch, mit Beyhülfe seines starken Gebisses und seiner guten Verdauungswerkzeuge sich nach und nach zu solcher außerordentlichen Lebensart gewöhnen können.

     Zum Beschluß dieser Nachricht wollen wir unsere Leser noch mit der Geschichte einiger Vielfresser, und solche, die ganz ungewöhnliche und ungereimte Dinge haben genießen können, auf einige Augenblicke unterhalten. In den Schriften der Ärzte findet man hin und wieder Beyspiele dieser Art, Menschen, welche in einer Mahlzeit 8 Pfund Fleisch ohne Zugemüse und Brod verzehren konnten. Die Talglichte und lebendige Krebse mit ihren äußeren Schaalen [56] gegessen. Die Eidexen und Spinnen gefressen, Steine, Sand, Kohlen, Stroh, Heu, und allerhand faule Materien verschlucken können. Die Kröten ohne Gefahr ihrer Gesundheit verzehrt haben. Glasfresser haben sich gar öfters gefunden. Von Leuten, welche eine große Menge rohes Fleisch lebendige Thiere mit Haut und Haare oder den Federn, desgleichen Leber, eiserne Nägel, Erde, Kreide, Kalk, Tobacksasche, Pfeifen und dergleichen mehr zu sich genommen haben, findet man viele Wahrnehmungen.