Herr von Papen
[4] Herr von Papen
Die erste Begegnung mit dem Reichskanzler spielte sich so ab. Papen kam in das Hotel Lausanne-Palace angefahren, wurde von der Hotelleitung empfangen und stattete dem Hause, in dem die französische Delegation wohnt, einen Besuch ab. Es war am Vorabend der Konferenz. Lausanne wußte noch gar nicht, daß der Reichskanzler in der Stadt war. Im Arbeitszimmer der Presse saßen ein paar Dutzend Journalisten und klapperten auf den Maschinen. Sie beachteten nicht die vielen Menschen, die ununterbrochen ein- und ausgehen; sie beachteten auch den kleinen schlanken Herrn nicht im grauen Anzug, der schon zehn Minuten im Pressesaal stand und sich den Betrieb ansah. Es waren offenbar alles ganz neue Sachen für den kleinen schlanken Herrn. Er fällt so wenig auf, er ist so unscheinbar, daß trotz den vielen Photographien, die man von ihm in den letzten Wochen in den Zeitungen gesehen hat, niemand darauf kam, daß es der deutsche Reichskanzler in eigener Person war, der hier stand. Man wurde auf ihn erst aufmerksam, als ein Herr seiner Umgebung an die Journalisten aus allen Ländern herantrat und sie einzeln dem Reichskanzler vorstellte. Herr von Papen spricht ausgezeichnet französisch, ein glänzendes Englisch, rein und mit kaum merkbarem Akzent; seine Formen sind konziliant und liebenswürdig; er ist stets sichtlich bemüht, einen guten Eindruck zu machen. Von einer ganz auffallenden Zuvorkommenheit ist er zu den Franzosen. Als man ihm die französischen Journalisten vorführte, schüttelte er jedem minutenlang die Hand, hatte für jeden ein paar freundliche Worte, fragte nach diesem und nach jenem französischen Freund und [5] ganz besonders erkundigte er sich nach dem Wohlergehen seines Freundes Graf Wladimir d’Ormesson, des bekannten politischen Publizisten. Das ist ja alles sehr hübsch und nett; aber immer wieder drängt sich einem die Frage auf: was wäre mit dem armen Stresemann und dem gehetzten Brüning in Deutschland geschehen, wenn sie solche „Anbiederungsversuche“ unternommen hätten? Ein hervorragender Schweizer gab mir die Antwort: „In kleine Stückchen hätte man sie zerhackt!“
Herr von Papen gehört zu den Menschen, über die man sich schon nach kurzer Bekanntschaft ein Urteil anmaßen darf. Er ist eine Mittelmäßigkeit, Durchschnitt, vielleicht unter Durchschnitt. Stresemann war ein Staatsmann; Brüning war eine Persönlichkeit – er ist ein Militärattaché. Aber er wird es sehr bald heraus haben, wie man sich auf diesem Parkett benimmt; er ist ein Salonmensch, ein Weltmann. Einer, der Konversation machen kann; er hat nicht die Steife des deutschen Aristokraten, ist im Gegenteil sehr natürlich, temperamentvoll; er spricht mit viel Gesten, verneigt sich, wo es gar nicht nötig ist, küßt mit Grandezza den Damen die Hand, kommt den Menschen freundlich entgegen und wird sie ganz gewiß auch gewinnen. Er ist ein smarter Mann, der im Herrenklub sehr beliebt sein muß. Sofort merkt man, daß er viel im Auslande war und viel mit feinen Leuten verkehrt hat. Hitler und Breitscheid müssen sich darin einig sein, daß er nichts für die Proletarier ist. Wenn man ihm Zeit ließe, könnte aus ihm ein kleiner Bülow werden! Kaiser Wilhelm hätte ihn wahrscheinlich auch eines Tages zum Reichskanzler gemacht.