Heimat (Louise Otto)
Viel tausend Menschen hat es sonst gegeben,
Die nie hinaus aus Stadt und Dorf gekommen,
Im selben Haus da sie erwacht zum Leben,
Ist ihnen auch sein letzter Strahl verglommen.
Und reichte niemals über weite Grenzen,
Doch eine Welt von Leiden und von Wonnen
Fand darin Raum in bunten Wechseltänzen.
Das enge Haus hielt selbst den Sinn gebunden,
Man fürchtete des Heimweh’s tiefe Wunden,
Wenn man verließ des trauten Herdes Feuer. –
Das war vordem – da gab’s noch weite Fernen –
Da gab’s noch enge festgeschlossne Kreise,
Und jeder Gau bewahrte seine Weise.
Jetzt aber drängt’s die Heimat zu verlassen
So jung als alt und zieht sie weit und weiter,
Es wird der Dampf für ganze Völkermassen
Wo immer neue Wunder sich erschließen
Im Schauen und im Staunen sich zu wiegen,
Natur und Kunst begeistert zu genießen.
Das Edle auch im fremden Volk erkennen.
Mit ihm das Streben nach dem Höchsten teilen
Im Dienst der Menschheit sich verbunden nennen
Doch dreimal schöner wenn Erinnerungen,
Und wenn der Boden, den wir selbst entsprungen
Uns noch vermag wie einstens zu beglücken
Wohl ist’s ein Glück, das Wen’gen, ist beschieden
Wenn uns die Stätte wo wir einst geboren,
Im Alter noch als Heimat unverloren.
Wenn wir, was da wir strebten und empfunden,
Auch in der Ferne weiter groß gezogen
Wenn, was wir hier gelobt in heilgen Stunden
Wenn wir die Heimat so bewußt betreten,
Gedenkend gern so alt als neuer Zeiten,
Dann kommt es über uns wie stilles Beten,
Wie mildes Abendrot vor’m letzten Scheiden.