Hausfriedensbruch
Wenn das Rechtsgefühl – einer der edelsten und besten Hebel des gesunden, tüchtigen Volkslebens – nicht blos ein dunkeles Gefühl bleiben soll, so muß es unterstützt und gefördert werden durch die Rechtskenntniß, d. h. die Kenntniß wenigstens derjenigen allgemeinen gesetzlichen Vorschriften und ihrer Motive, welche im praktischen Leben am häufigsten Anwendung finden und deren Bekanntschaft [328] vor Schaden an Person und Eigenthum schützt; denn Unkenntniß des Strafgesetzes schützt nicht vor der Strafe, und das Bedauern darüber, daß man einen Vermögensverlust durch Unbekanntschaft mit der bezüglichen Rechtsnorm erlitten hat, füllt den geleerten Geldbeutel nicht wieder.
Je mehr Gelegenheit Jedem geboten wird, in das Recht und seine Institutionen auch ohne tieferes Studium der eigentlichen Wissenschaft einzudringen und sich einen Ueberblick zu verschaffen über die Rechtsverhältnisse, in denen der Staat und der Einzelne selbst in diesem besteht, um so mehr wird das Rechtsbewußtsein im Volke Wurzel schlagen, um so vertrauensvoller wird es auf die rechtsprechenden Behörden blicken, in denen es nicht mehr die Gewalthaber, sondern die Vertreter seiner selbst, seiner eigenen Rechte erblickt.
Freier erhebt sich unser Haupt, wenn wir im richtenden Gesetze das rechtlich und sittlich Nothwendige erkennen, und gern unterwerfen wir uns seiner Macht, wenn wir dies aus eigener Erkenntniß vermögen.
Die Zeiten des Gellert’schen Amtmanns, der seine Bauern nur dadurch zur Ordnung bringen konnte, daß er ihnen sagte:
„Hört zu, ich will mein Amt verwalten:
Ihr Ochsen, die Ihr alle seid,
Euch Flegeln geb’ ich den Bescheid etc.“
sind glücklicher Weise vorüber, die deutschen Bauern sind einsichtsvolle Oekonomen geworden, die Amtmänner sind keine unumschränkten Dictatoren mehr. Die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit hat das morsche Mauerwerk der alten Amtsstuben durchbrochen, und in lebhaftem Bilde kann man die Handhabung des Strafrechts dramatisch an sich vorübergehen sehen. In vielen Ländern ist das Volk selbst schon durch die Geschworenen Richter der Vergehungen seiner einzelnen Glieder geworden, während die einzelnen Gesetzgebungen in Folge des deutschen Handelsgesetzbuches fast schon im gesammten Vaterlande dem rechtsgelehrten Richter den Richter aus dem Handelsstande zur Entscheidung der betreffenden Rechtsstreitigkeiten zur Seite gestellt haben.
Darum ist es jetzt doppelt nöthig, die Gesetze zu kennen, unter deren Herrschaft man lebt, und aus diesem Gesichtspunkte werden sich die nachfolgenden Aufsätze rechtfertigen, welche möglichst allgemein in Deutschland Gültiges umfassen sollen. Daß von der Darstellung und Ausführung irgend eines Systemes für unseren Zweck abgesehen werden muß, versteht sich der Natur der Sache nach Wohl von selbst, ebenso daß diese Zeilen nicht den Zweck haben sollen, eine Rechtslehre zu geben, welche die Beiziehung von tüchtigen Fachmännern bei Abschließung schwieriger Rechtsgeschäfte überflüssig machen könnte. – Wir verweisen in Bezug hierauf auf das, was bereits in der Gartenlaube, Jahrgang 1861, S. 411 richtig gesagt ist. – Wir wollen heute mit einem Criminalvergehen beginnen, welches man eben so leicht selbst begehen kann, als es gegen uns begangen werden kann, und das Mancher, wie in dem nachfolgenden, dem Leben entnommenen Beispiele gezeigt wird, aus Unkenntniß gar nicht als solches zu betrachten geneigt ist.
Der eigene Heerd ist uns das Werthvollste, und deshalb erörtern wir zunächst eine Rechtsvorschrift, die uns seine Unverletzbarkeit wahren hilft. Eine Störung des häuslichen Friedens, wenn sie von außen, d. h. von einem unberechtigten Dritten kommt, heißt Hausfriedensbruch, und folgender Fall stellt den Thatbestand dieses Verbrechens dar.
Vor nicht langer Zeit kam ein meiner Familie seit längerer Zeit bekannter Handwerker, ein durchaus ehrenwerther, braver Mann, der mit Gott und aller Welt im Frieden lebt, athemlos zu mir, einen Bestellzettel des Amts „zur Vernehmung“ in der Hand haltend. Nachdem er Athem geschöpft und sich einigermaßen erholt hatte, erzählte er mir, daß er zum Verhör vor Gericht beschieden sei. Er sei sich aber durchaus nichts bewußt, außer daß er vor einigen Tagen einen kleinen Wortwechsel mit seiner Saalnachbarin gehabt habe.
Auf meine Frage: „Sie haben sich dabei wohl eines oder mehrerer Schimpfwort bedient und sind deshalb wegen Beleidigung verklagt worden?“ folgte die Antwort: “
„I bewahre, durchaus nicht. Die Frau hatte hinter dem Rücken meiner Frau schlecht über diese gesprochen. Ich hatte dies erfahren und ging zu ihr in die Küche, um Rechenschaft zu fordern.“
„Gab sie Ihnen diese?“
„Nein, sie zankte, daß ich in ihre Küche gekommen sei, und hieß mir, ich solle mich entfernen, mich packen.“
„Gingen Sie?“
„Nicht gleich, ich wollte doch erst meine verlangte Rechtfertigung haben.“
„Nun ist mir die Sache klar,“ entgegnete ich lächelnd; „lieber Meister, Sie haben ein Criminalverbrechen begangen.“
Der Mann ward todtenblaß, zitterte am ganzen Leibe und sagte: „Ich ein Verbrechen? Wie meinen Sie das? Ich habe ja gar nichts gethan, keine Hand angerührt, nicht geschimpft!“
„Das ist auch gar nicht nöthig; das Verbrechen, welches Sie begangen haben, besteht einfach darin, daß Sie sich nicht sofort aus der Küche Ihrer Nachbarin entfernt haben, als diese es Ihnen befahl.“
Es dauerte lange, ehe mein Freund durch meine Auseinandersetzungen dahin gelangt war, zu begreifen, daß er wirklich gegen das Strafgesetz gesündigt habe. Als er endlich zu dieser Einsicht gelangt war, eilte er auf meinen Rath zu seiner Feindin, die auch ein menschliches Herz hatte, verglich sich mit derselben, so daß diese ihren Strafantrag zurückzog und mein Verbrecher zu seiner großen Freude – denn es wäre zum ersten Male in seinem Leben gewesen – nicht auf das Criminalgericht zu gehen, sondern blos die bis dahin erwachsenen wenigen Gerichtskosten an die Sportelcasse einzuschicken brauchte, was er denn auch herzlich gern that.
Da es nun vielen rechtschaffenen Leuten so gehen könnte, wie meinem Freunde, so daß sie auf einmal zu ihrem Entsetzen vor das Strafgericht gefordert würden, andererseits aber auch wissenswert ist, was man zum Schutze seines Hausrechts vorzunehmen habe, weil das einfache „Hausrechtbrauchen“, d. i. den Störer die Treppe hinunterwerfen, vorausgesetzt daß es physisch möglich ist, doch immer sein Bedenken hat, so wollen wir das fragliche, sehr häufig vorkommende Verbrechen näher in’s Auge fassen.
Der Hausfriedensbruch (Störung des Hausfriedens) besteht nach den neueren deutschen Criminallegislationen darin, daß man entweder in eines Anderen Wohnung, Geschäftslocal oder einen dazu gehörigen geschlossenen Bezirk widerrechtlich, also ohne gesetzliche Befugniß eindringt oder wider den erklärten Willen des Besitzers oder seines Stellvertreters darin verweilt. Das Haus, der Heerd, ist geheiligt bei allen civilisirten und uncivilisirten Nationen, der Friede darin ist das kostbarste Gut, welches der Naturmensch mit den Waffen, der Culturmensch aber mit der Strenge des Gesetzes schützt und vertheidigt. „Jeden Mannes Haus ist seine Burg“, sagt der Engländer und bezeichnet mit dem Ausdrucke castle (Burg, Schloß), daß auch eine Abwehr der Friedensstörung mit Gewalt an sich nicht unerlaubt sei.
Burg in diesem Sinne ist jede Wohnung, und sei sie so klein und so ärmlich als sie wolle. In seinen vier Pfählen ist Jeder Herr, sei er Besitzer, Miether oder Pachter. Unter Burgfrieden im engeren Sinne verstand man früher den besonderen Schutz, dessen die Wohnung des Regenten (die Burg) und die Gerichtsstätte genossen. Schon das bloße Zücken eines Schwertes darin ward als Bruch des Burgfriedens bestraft.
Also die einfache Erklärung des Besitzers, Miethers oder Pachters eines Wohn- oder Geschäftslocales, so wie auch seines Vertreters, gegen einen Dritten: „Entfernen Sie sich,“ und die nicht sofortige Folgeleistung Seiten des Letzteren begründet den Bruch des Hausfriedens und wird, jedoch nur auf Antrag des Gestörten, nach den verschiedenen Gesetzgebungen mit Gefängniß in der Dauer von mehreren Wochen oder mit Geld bis mehr als 100 Thaler bestraft. Wenn Gewalt bei der Störung des Hausfriedens verübt wird, so kann die Strafe bis zu mehrjährigem Arbeitshaus (resp. entsprechender Strafart) ansteigen.
Nach Obigem kann der Hausfriedensbruch auch in einem Geschäftslocale begangen werden. Viele und gebildete Leute glauben nicht, daß es möglich sei, ein Restaurateur z. B. könne jeden, mithin auch sie selbst, aus der Restauration wegweisen, da diese doch ein öffentlicher Ort sei. Dies ist aber wirklich der Fall. Wenn wir uns auch noch so ruhig und anständig in einem Restaurationslocale aufhalten, unser Glas Bier mit der größten Gemüthlichkeit trinken, so ist doch der Wirth berechtigt, ohne irgendwelche Angabe eines Grundes uns hinauszuweisen, und – wir müssen gehorchen, wenn wir uns nicht als Hausfriedensbrecher bestrafen lassen wollen. Freilich wird wohl nur selten ein Wirth sich soweit im Lichte stehen, daß er seine besten Gäste gehen heißt, und wir werden ihn [329] natürlich bestrafen lassen können, wenn er uns in beleidigender Weise, z. B. laut in Gegenwart anderer Gäste und mit ungebührlichen Worten, die Thüre wies.
Selbstverständlich begeht auch der Eigenthümer eines Hauses Hausfriedensbruch, wenn er in die Wohnung seines Abmiethers eindringt oder wider dessen erklärten Willen darin verbleibt, denn durch das Miethverhältniß ist der Miether in Bezug auf das ermiethete Local während der Dauer des Contractes Herr. Mit gesetzlicher Befugniß können nur Diener einer Behörde in eines Andern Wohnung eindringen oder wider dessen Willen darin verweilen, und zwar nur bei Ausübung ihres Amtes, z. B. der Executor bei einer Auspfändung, der Gerichtsdiener bei einer Arretur u. s. f. Haben aber derartige Diener die ihnen aufgetragenen amtlichen Functionen verrichtet, so müssen auch sie der Aufforderung des Inhabers der Wohnung, dieselbe zu verlassen, sofort nachkommen, sonst begehen auch sie Hausfriedensbruch und werden auf Antrag bestraft.