« [[Hamlet/|]] Hamlet Zweiter Aufzug »
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Erste Scene.

[416]

Helsingör. Eine Terrasse vor dem Schlosse. (Francisco auf dem Posten. Bernardo tritt auf.)
Bernardo. Wer da?

Francisco. Nein, mir antwortet: steht und gebt euch kund.

Bernardo. Lang lebe der König!

Francisco. Bernardo?

Bernardo. Er selbst.

Francisco. Ihr kommt gewissenhaft auf eure Stunde.

Bernardo. Es schlug schon zwölf; mach dich zu Bett, Francisco.

Francisco. Dank für die Ablösung! ’s ist bitter kalt,
Und mir ist schlimm zu Mut.

Bernardo. War eure Wache ruhig?

Francisco.   Alles mausestill.

Bernardo. Nun, gute Nacht!
Wenn ihr auf meine Wachtgefährten stoßt,
Horatio und Marcellus, heißt sie eilen.
     (Horatio und Marcellus treten auf.)

Francisco. Ich denk’, ich höre sie. – He! halt! wer da?

Horatio. Freund dieses Bodens.

Marcellus.   Und Vasall des Dänen.

Francisco. Habt gute Nacht.

Marcellus.   O grüß dich, wackrer Krieger,
Wer hat dich abgelöst?

Francisco.   Bernardo hat den Posten.
Habt gute Nacht.

Marcellus.      Holla, Bernardo! sprecht!

Bernardo. He, ist Horatio da?

Horatio.   Ein Stück von ihm.

Bernardo. Willkommen euch! Willkommen, Freund Marcellus.

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Horatio. Nun, ist das Ding heut wiederum erschienen?


Bernardo. Ich habe nichts gesehn.

Marcellus. Horatio sagt, es sei nur Einbildung,
Und will dem Glauben keinen Raum gestatten
An dieses Schreckbild, das wir zweimal sahn.
Deswegen hab’ ich ihn hieher geladen,
Mit uns die Stunden dieser Nacht zu wachen,
Damit, wenn wieder die Erscheinung kommt,
Er unsern Augen zeug’ und mit ihr spreche.

Horatio. Pah, pah! Sie wird nicht kommen.

Bernardo.  Setzt euch denn,
Und laßt uns nochmals euer Ohr bestürmen,
Das so verschanzt ist gegen den Bericht,
Was wir zwei Nächte sahn.

Horatio.   Gut, sitzen wir,
Und laßt Bernardo uns hievon erzählen.

Bernardo. Die allerletzte Nacht,
Als eben jener Stern, vom Pol gen Westen,
In seinem Lauf den Teil des Himmels hellte,
Wo jetzt er glüht, da sah’n Marcell und ich,
Indem die Glocke eins schlug –

Marcellus. O still! Halt ein! Sieh, wie’s da wieder kommt.
     (Der Geist kommt in voller Rüstung.)

Bernardo. Ganz die Gestalt wie der verstorbne König.

Marcellus. Du bist gelehrt, sprich du mit ihm, Horatio.

Bernardo. Sieht’s nicht dem König gleich? Schau’s an, Horatio.

Horatio. Ganz gleich; es macht mich starr vor Furcht und Staunen.

Bernardo. Es möchte angeredet sein.

Marcellus. Horatio, sprich mit ihm.

Horatio. Wer bist du, der sich dieser Nachtzeit anmaßt,
Und dieser edlen, kriegrischen Gestalt,
Worin die Hoheit des begrabnen Dänmark
Weiland einherging? Ich beschwöre dich
Beim Himmel, sprich.

Marcellus. Es ist beleidigt.

Bernardo.   Seht, es schreitet weg.

Horatio. Bleib, sprich! Sprich, ich beschwör’ dich, sprich!
     (Geist ab.)

Marcellus. Fort ist’s und will nicht reden.

Bernardo. Wie nun, Horatio? Ihr zittert und seht bleich;
Ist dies nicht etwas mehr als Einbildung?
Was haltet ihr davon?

Horatio. Bei meinem Gott, ich dürfte dies nicht glauben,
Hätt’ ich die sichre, fühlbare Gewähr
Der eignen Augen nicht.

Marcellus. Sieht’s nicht dem König gleich?

Horatio.   Wie du dir selbst.
Genau so war die Rüstung, die er trug,
Als er sich mit dem stolzen Norweg maß;
So dräut’ er einst, als er in hartem Zweisprach
Aufs Eis warf den beschlitteten Polacken.
’s ist seltsam.

Marcellus. So schritt er, grad um diese dumpfe Stunde
Schon zweimal kriegrisch unsre Wacht vorbei.

Horatio. Wie dies bestimmt zu deuten, weiß ich nicht;
Allein so viel ich insgesamt erachte,
Verkündet’s unserm Staat besondre Gährung.

Marcellus. Nun, setzt euch, Freunde, sagt mir, wer es weiß,
Warum dies aufmerksame strenge Wachen
Den Unterthan des Landes nächtlich plagt?
Warum wird Tag für Tag Geschütz gegossen,
Und in der Fremde Kriegsgerät gekauft?
Warum gepreßt für Werfte, wo das Volk
Den Sonntag nicht vom sauren Werktag trennt?
Was gibt’s, daß diese schweißbetriefte Eil
Die Nacht dem Tage zur Gehilfin macht?
Kann jemand mich belehren?

Horatio.   Ja, ich kann’s;
Zum mind’sten heißt es so. Der letzte König
Ward, wie ihr wißt, durch Fortinbras von Norweg,
Den eifersücht’ger Stolz dazu gespornt,
Zum Kampf gefordert; unser tapfrer Hamlet
(Denn diese Seite der bekannten Welt
Hält ihn dafür) schlug diesen Fortinbras,
Der laut dem untersiegelten Vertrag,
Bekräftiget durch Recht und Rittersitte,
Mit seinem Leben alle Länderein,
So er besaß, verwirkte an den Sieger;
Wogegen auch ein angemess’nes Teil
Von unserm König ward zum Pfand gesetzt,
Das Fortinbras anheimgefallen wäre,
Hätt’ er gesiegt; wie durch denselben Handel
Und Inhalt der besprochnen Punkte sein’s
An Hamlet fiel. Der junge Fortinbras
Hat nun, von wildem Feuer heiß und voll,
An Norwegs Ecken hier und da ein Heer
Landflücht’ger Abenteurer aufgerafft,
Für Brot und Kost, zu einem Unternehmen
Das Herz hat; welches denn kein andres ist
(Wie unser Staat das auch gar wohl erkennt)
Als durch die starke Hand und Zwang der Waffen
Die vorbesagten Land’ uns abzunehmen,
Die so sein Vater eingebüßt: und dies
Scheint mir der Antrieb unsrer Zurüstungen,
Die Quelle unsrer Wachen, und der Grund
Von diesem Treiben und Gewühl im Lande.

Bernardo. Nichts anders, denk’ ich, ist’s, als eben dies.
Wohl trifft es zu, daß diese Schreckgestalt
In Waffen unsre Wacht besucht, so ähnlich
Dem König, der der Anlaß dieses Kriegs.

Horatio. Ein Stäubchen ist’s, des Geistes Aug’ zu trüben.
Im höchsten palmenreichsten Stande Roms,
Kurz vor dem Fall des großen Julius, standen
Die Gräber leer, verhüllte Tote schrien
Und wimmerten die Röm’schen Gassen durch.
Dann feu’rgeschweifte Sterne, blut’ger Tau,
Die Sonne fleckig; und der feuchte Stern,
Dess’ Einfluß waltet in Neptunus Reich,
Krankt’ an Verfinstrung wie zum jüngsten Tag.
Und eben solche Zeichen grauser Dinge
(Als Boten, die dem Schicksal stets vorangehn,
Und Vorspiel der Entscheidung, die sich naht)
Hat Erd’ und Himmel insgemein gesandt
An unsern Himmelsstrich und Landsgenossen.
     (Der Geist kommt wieder.)
Doch still! Schaut, wie’s da wieder kommt. Ich kreuz’ es
Und sollt’ es mich verderben. – Steh, Phantom!
Hast du Gebrauch der Stimm’ und einen Laut:
Sprich zu mir!
Ist irgend eine gute That zu thun,
Die Ruh dir bringen kann und Ehre mir:
Sprich zu mir!
Bist du vertraut mit deines Landes Schicksal,
Das etwa noch Voraussicht wenden kann:
O sprich!
Und hast du aufgehäuft in deinem Leben
Erpreßte Schätze in der Erde Schoß,
Wofür ihr Geister, sagt man, oft im Tode

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Umhergeht: sprich davon! Verweil’ und sprich!

     (Der Hahn kräht.)
Halt’ es doch auf, Marcellus!

Marcellus. Soll ich nach ihm mit der Hellbarde schlagen?

Horatio. Thu’s, wenn’s nicht stehen will.

Bernardo. ’s ist hier.

Horatio. ’s ist hier.

Marcellus. ’s ist fort.
     (Geist ab.)
Wir thun ihm Schmach, da es so majestätisch,
Wenn wir den Anschein der Gewalt ihm bieten.
Denn es ist unverwundbar wie die Luft,
Und unsre Streiche nur boshafter Hohn.

Bernardo. Es war am Reden, als der Hahn just krähte.

Horatio. Und da fuhr’s auf, gleich einem sünd’gen Wesen
Auf einen Schreckensruf. Ich hab’ gehört,
Der Hahn, der als Trompete dient dem Morgen,
Erweckt mit schmetternder und heller Kehle
Den Gott des Tages, und auf seine Mahnung,
Sei’s in der See, im Feu’r, Erd’ oder Luft,
Eilt jeder schweifende und irre Geist
In sein Revier; und von der Wahrheit dessen
Gab dieser Gegenstand uns den Beweis.

Marcellus. Es schwand erblassend mit des Hahnes Krähn.
Sie sagen, immer wann die Jahrszeit naht,
Wo man des Heilands Ankunft feiert, singe
Die ganze Nacht durch dieser frühe Vogel.
Dann darf kein Geist umhergehn, sagen sie,
Die Nächte sind gesund, dann trifft kein Stern.
Kein Elfe faht, noch mögen Hexen zaubern:
So gnadenvoll und heilig ist die Zeit.

Horatio. So hört’ auch ich und glaube dran zum Teil.
Doch seht, der Morgen, angethan mit Purpur,
Betritt den Tau des hohen Hügels dort:
Laßt uns die Wacht aufbrechen, und ich rate,
Vertraun wir, was wir diese Nacht gesehn,
Dem jungen Hamlet; denn bei meinem Leben,
Der Geist, so stumm für uns, ihm wird er reden.
Ihr willigt drein, daß wir ihm dieses melden,
Wie Lieb’ uns nötigt und der Pflicht geziemt?

Marcellus. Ich bitt’ euch, thun wir das; ich weiß, wo wir
Ihn am bequemsten heute finden werden.
     (Ab.)

Zweite Scene.

Ein Staatszimmer im Schlosse. (Der König, die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes, Voltimand, Cornelius, Herren vom Hofe und Gefolge.)
König. Wiewohl von Hamlets Tod, des werten Bruders,
Noch das Gedächtnis frisch; und ob es unserm Herzen
Zu trauren ziemte, und dem ganzen Reich,
In eine Stirn des Grames sich zu falten:
So weit hat Urteil die Natur bekämpft,
Daß wir mit weisem Kummer sein gedenken,
Zugleich mit der Erinnrung an uns selbst.
Wir haben also unsre weiland Schwester,
Jetzt unsre Königin, die hohe Witwe
Und Erbin dieses kriegerischen Staats,
Mit unterdrückter Freude, so zu sagen,
Mit einem heitern, einem nassen Aug’,
Mit Leichenjubel und mit Hochzeitklage,
In gleichen Schalen wägend Leid und Lust,
Zur Eh’ genommen; haben auch hierin
Nicht eurer bessern Weisheit widerstrebt,
Die frei uns beigestimmt. – Für alles, Dank!
Nun wißt ihr, hat der junge Fortinbras
Aus Minderschätzung unsers Werts, und denkend,
Durch unsers teuren sel’gen Bruders Tod
Sei unser Staat verrenkt und aus den Fugen:
Gestützt auf diesen Traum von seinem Vorteil,
Mit Botschaft uns zu plagen nicht ermangelt
Um Wiedergabe jener Länderein,
Rechtskräftig eingebüßt von seinem Vater
An unsern tapfern Bruder. – So viel von ihm;
Nun von uns selbst und eurer Herberufung,
So lautet das Geschäft: wir schreiben hier
An Norweg, Ohm des jungen Fortinbras,
Der schwach, bettlägrig, kaum von diesem Anschlag
Des Neffen hört, desselben fernern Gang
Hierin zu hemmen; sintemal die Werbung,
Bestand und Zahl der Truppen, alles doch
Aus seinem Volk geschieht; und senden nun,
Euch, wackrer Voltimand, und euch, Cornelius,
Mit diesem Gruß zum alten Norweg hin;
Euch keine weitre Vollmacht übergebend,
Zu handeln mit dem König, als das Maß
Der hier erörterten Artikel zuläßt.
Lebt wohl, und Eil empfehle euren Eifer.

Cornelius und Voltimand. Hier, wie in allem, wollen wir ihn zeigen.

König. Wir zweifeln nicht daran. – Lebt herzlich wohl.
     (Voltimand und Cornelius ab.)
Und nun, Laertes, sagt, was bringt ihr uns?
Ihr nanntet ein Gesuch: was ist’s, Laertes?
Ihr könnt nicht von Vernunft dem Dänen reden,
Und euer Wort verlieren. Kannst du bitten,
Was ich nicht gern gewährt’, eh du’s verlangt?
Der Kopf ist nicht dem Herzen mehr verwandt,
Die Hand dem Munde dienstgefäll’ger nicht,
Als Dänmarks Thron es deinem Vater ist.
Was wünschest du, Laertes?

Laertes.  Hoher Herr,
Vergünstigung nach Frankreich rückzukehren,
Woher ich zwar nach Dänmark willig kam,
Bei eurer Krönung meine Pflicht zu leisten;
Doch nun gesteh’ ich, da die Pflicht erfüllt,
Strebt mein Gedank’ und Wunsch nach Frankreich hin,
Und neigt sich eurer gnädigen Erlaubnis.

König. Erlaubt’s der Vater euch? Was sagt Polonius?

Polonius. Er hat, mein Fürst, die zögernde Erlaubnis
Mir durch beharrlich Bitten abgedrungen,
Daß ich zuletzt auf seinen Wunsch das Siegel
Der schwierigen Bewilligung gedrückt.
Ich bitt’ euch, gebt Erlaubnis ihm zu gehn.

König. Nimm deine günst’ge Stunde: Zeit sei dein,
Und eigne Zierde: nutze sie nach Lust. -
Doch nun, mein Vetter Hamlet und mein Sohn -

Hamlet. (beiseite.) Mehr als befreundet, weniger als Freund.

König. Wie, hängen stets noch Wolken über euch?

Hamlet. Nicht doch, mein Fürst, ich habe zuviel Sonne.

Königin. Wirf, guter Hamlet, ab die nächt’ge Farbe,
Und laß dein Aug’ als Freund auf Dänmark sehn.
Such nicht beständig mit gesenkten Wimpern
Nach deinem edlen Vater in dem Staub.
Du weißt, es ist gemein: was lebt, muß sterben,
Und Ew’ges nach der Zeitlichkeit erwerben.

Hamlet. Ja, gnäd’ge Frau, es ist gemein.

Königin.   Nun wohl,
Weswegen scheint es so besonders dir?

Hamlet. Scheint, gnäd’ge Frau? Nein, ist; mir gilt kein scheint.
Nicht bloß mein düstrer Mantel, gute Mutter,

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Noch die gewohnte Tracht von ernstem Schwarz,

Noch stürmisches Geseufz beklemmten Odems,
Noch auch im Auge der ergieb’ge Strom,
Noch die gebeugte Haltung des Gesichts,
Samt aller Sitte, Art, Gestalt des Grames
Ist das, was wahr mich kund gibt; dies scheint wirklich:
Es sind Geberden, die man spielen könnte.
Was über allen Schein, trag’ ich in mir;
All dies ist nur des Kummers Kleid und Zier.

König. Es ist gar lieb und eurem Herzen rühmlich, Hamlet.
Dem Vater diese Trauerpflicht zu leisten.
Doch wißt, auch eurem Vater starb ein Vater;
Dem seiner, und der Nachgelass’ne soll,
Nach kindlicher Verpflichtung ein’ge Zeit
Die Leichentrauer halten. Doch zu beharren
In eigenwill’gen Klagen, ist das Thun
Gottlosen Starrsinns; ist unmännlich Leid;
Zeigt einen Willen, der dem Himmel trotzt,
Ein unverschanztes Herz und wild Gemüt;
Zeigt blöden ungelehrigen Verstand.
Wovon man weiß, es muß sein; was gewöhnlich
Wie das Gemeinste, das die Sinne rührt:
Weswegen das in mürr’schem Widerstande
Zu Herzen nehmen? Pfui! Es ist Vergehn
Am Himmel; ist Vergehn an dem Toten,
Vergehn an der Natur; vor der Vernunft
Höchst thöricht, deren allgemeine Predigt
Der Väter Tod ist, und die immer rief
Vom ersten Leichnam bis zum heut verstorbnen:
„Dies muß so sein.“ Wir bitten, werft zu Boden
Dies unfruchtbare Leid, und denkt von uns
Als einem Vater; denn wissen soll die Welt,
Daß Ihr an unserm Thron der nächste seid,
Und mit nicht minder Ueberschwang der Liebe,
Als seinem Sohn der liebste Vater widmet,
Bin ich euch zugethan. Was eure Rückkehr
Zur hohen Schul’ in Wittenberg betrifft,
So widerspricht sie höchlich unserm Wunsch,
Und wir ersuchen euch, beliebt zu bleiben,
Hier in dem milden Scheine unsers Augs,
Als unser erster Hofmann, Vetter, Sohn.

Königin. Laß deine Mutter fehl nicht bitten, Hamlet:
Ich bitte, bleib bei uns, geh nicht nach Wittenberg.

Hamlet. Ich will euch gern gehorchen, gnäd’ge Frau.

König. Wohl, das ist eine liebe, schöne Antwort.
Seid wie wir selbst in Dänmark. – Kommt, Gemahlin!
Dies will’ge, freundliche Nachgeben Hamlets
Sitzt lächelnd um mein Herz; und dem zu Ehren
Soll das Geschütz heut jeden frohen Trunk,
Den Dänmark ausbringt, an die Wolken tragen,
Und wenn der König anklingt, soll der Himmel
Nachdröhnen ird’schem Donner. – Kommt mit mir.
     (König, Königin, Laertes und Gefolge ab.)

Hamlet. O schmölze doch dies allzu feste Fleisch,
Zerging’, und löst’ in einen Tau sich auf!
Oder hätte nicht der Ew’ge sein Gebot
Gerichtet gegen Selbstmord! O Gott! o Gott!
Wie ekel, schal und flach und unersprießlich
Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!
Pfui, pfui darüber! ’s ist ein wüster Garten,
Der auf in Samen schießt; verworfnes Unkraut
Erfüllt ihn gänzlich. Dazu mußt’ es kommen!
Zwei Mond’ erst tot! – Nein, nicht so viel, nicht zwei;
Solch trefflicher Monarch! der neben diesem
Apoll bei einem Satyr; so meine Mutter liebend,
Daß er des Himmels Winde nicht zu rauh
Ihr Antlitz ließ berühren. Himmel und Erde!
Muß ich gedenken? Hing sie doch an ihm,
Als stieg’ das Wachstum ihrer Lust mit dem,
Was ihre Kost war. Und doch, in einem Mond –
Laßt mich’s nicht denken! – Schwachheit, dein Nam’ ist Weib! –
Ein kurzer Mond; bevor die Schuh verbraucht,
Womit sie meines Vaters Leiche folgte,
Wie Niobe, ganz Thränen – sie, ja sie;
O Himmel! würd’ ein Tier, das nicht Vernunft hat,
Doch länger trauern. – Meinem Ohm vermählt,
Dem Bruder meines Vaters, doch ihm ähnlich
Wie ich dem Herkules; in einem Mond!
Bevor das Salz höchst frevelhafter Thränen
Der wunden Augen Röte noch verließ,
War sie vermählt! – O schnöde Hast, so rasch
In ein blutschänderisches Bett zu stürzen!
Es ist nicht, und es wird auch nimmer gut.
Doch brich, mein Herz! denn schweigen muß mein Mund.
     (Horatio, Bernardo und Marcellus treten auf.)

Horatio. Heil Eurer Hoheit!

Hamlet. Ich bin erfreut, euch wohl zu sehn.
Horatio - wenn ich nicht mich selbst vergesse?

Horatio. Ja, Prinz, und euer armer Diener stets.

Hamlet. Mein guter Freund; vertauscht mir jenen Namen.
Was macht ihr hier von Wittenberg, Horatio?
Marcellus?

Marcellus. Gnäd’ger Herr –

Hamlet. Es freut mich, euch zu sehn. Habt guten Abend.
Im Ernst, was führt euch weg von Wittenberg?

Horatio. Ein müßiggängerischer Hang, mein Prinz.

Hamlet. Das möcht’ ich euren Feind nicht sagen hören,
Noch sollt Ihr meinem Ohr den Zwang anthun,
Daß euer eignes Zeugnis gegen euch
Ihm giltig wär’. Ich weiß, ihr geht nicht müßig.
Doch was ist eu’r Geschäft in Helsingör?
Ihr sollt noch trinken lernen, eh’ ihr reist.

Horatio. Ich kam zu eures Vaters Leichenfeier.

Hamlet. Ich bitte, spottet meiner nicht, mein Schulfreund;
Du kamst gewiß zu meiner Mutter Hochzeit.

Horatio. Fürwahr, mein Prinz, sie folgte schnell darauf.

Hamlet. Wirtschaft, Horatio! Wirtschaft! Das Gebackne
Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitschüsseln.
Hätt’ ich den ärgsten Feind im Himmel lieber
Getroffen, als den Tag erlebt, Horatio!
Mein Vater – mich dünkt, ich sehe meinen Vater.

Horatio. Wo, mein Prinz?

Hamlet. In meines Geistes Aug’, Horatio.

Horatio. Ich sah ihn einst, er war ein wackrer König.

Hamlet. Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem,
Ich werde nimmer seinesgleichen sehn.

Horatio. Mein Prinz, ich denk’, ich sah ihn vor’ge Nacht.

Hamlet. Sah? wen?

Horatio. Mein Prinz, den König, euren Vater.

Hamlet. Den König, meinen Vater?

Horatio. Beruhigt das Erstaunen eine Weil’
Durch ein aufmerksam Ohr; bis ich dies Wunder,
Auf die Bekräftigung der Männer hier,
Euch kann berichten.

Hamlet. Um Gottes willen, laßt mich hören.

Horatio. Zwei Nächte nach einander war’s den beiden,
Marcellus und Bernardo, auf der Wache
In toter Stille tiefer Mitternacht
So widerfahren. Ein Schatten, wie eu’r Vater,
Erscheint vor ihnen, geht mit ernstem Tritt

[420]
Langsam vorbei und stattlich; schreitet dreimal

Vor ihren starren, furchtergriffnen Augen,
So daß sein Stab sie abreicht; während sie,
Zerronnen fast zu Gallert durch die Furcht,
Stumm stehn, und reden nicht mit ihm. Dies nun
In banger Heimlichkeit vertraun sie mir.
Ich hielt die dritte Nacht mit ihnen Wache;
Und da, wie sie berichtet, nach der Zeit,
Gestalt des Dings, buchstäblich alles wahr,
Kommt das Gespenst. Ich kannte euren Vater:
Hier, diese Hände gleichen sich nicht mehr.

Hamlet. Wo ging dies aber vor?

Marcellus. Auf der Terrasse, wo wir Wache hielten.

Hamlet. Ihr sprachet nicht mit ihm?

Horatio.   Ich that’s, mein Prinz,
Doch Antwort gab es nicht; nur einmal schien’s,
Es höb’ sein Haupt empor, und schickte sich
Zu der Bewegung an, als wollt es sprechen.
Doch eben krähte laut der Morgenhahn,
Und bei dem Tone schlüpft’ es eilig weg
Und schwand aus unserm Blick.

Hamlet.   Sehr sonderbar.

Horatio. Bei meinem Leben, edler Prinz, ’s ist wahr;
Wir hielten’s durch die Pflicht uns vorgeschrieben,
Die Sach’ euch kund zu thun.

Hamlet. Im Ernst, im Ernst, ihr Herrn, dies ängstigt mich.
Habt ihr die Wache heut?

Alle.   Ja, gnäd’ger Herr.

Hamlet. Geharnischt, sagt ihr?

Alle. Geharnischt, gnäd’ger Herr.

Hamlet. Vom Wirbel bis zur Zeh’?

Alle.  Von Kopf zu Fuß.

Hamlet. So saht ihr sein Gesicht nicht.

Horatio. O ja doch, sein Visir war aufgezogen.

Hamlet. Nun, blickt’ er finster?

Horatio.   Eine Miene, mehr
Des Leidens als des Zorns.

Hamlet.  Blaß oder rot?

Horatio. Nein, äußerst blaß.

Hamlet.  Sein Aug’ auf euch geheftet?

Horatio. Ganz fest.

Hamlet.  Ich wollt, ich wär’ dabei gewesen.

Horatio. Ihr hättet euch gewiß entsetzt.

Hamlet.  Sehr glaublich,
Sehr glaublich. Blieb es lang?

Horatio.  Derweil mit mäß’ger Eil
Man hundert zählen konnte.

Marcellus.. Bernardo. Länger, länger.

Horatio. Nicht, da ich’s sah.

Hamlet.  Sein Bart war greis, nicht wahr?

Horatio. Wie ich’s an ihm bei seinem Leben sah,
Ein schwärzlich silbergrau.

Hamlet.  Ich will heut wachen.
Vielleicht wird’s wieder kommen.

Horatio.  Zuverlässig.

Hamlet. Erscheint’s in meines edlen Vaters Bildung,
So red’ ich’s an, gähnt’ auch die Hölle selbst,
Und hieß’ mich ruhig sein. Ich bitt’ euch alle:
Habt ihr bis jetzt verheimlicht dies Gesicht,
So haltet’s ferner fest in eurem Schweigen;
Und was sich sonst zu Nacht ereignen mag,
Gebt allem einen Sinn, doch keine Zunge.
Ich will die Lieb’ euch lohnen; lebt denn wohl!
Auf der Terrasse zwischen elf und zwölf
Besuch ich euch.

Alle.  Eu’r Gnaden unsre Dienste.

Hamlet. Nein, eure Liebe, so wie meine euch.
Lebt wohl nun.
(Horatio, Marcellus und Bernardo ab.)
 Meines Vaters Geist in Waffen!
Es taugt nicht alles: ich vermute was
Von argen Ränken. Wär’ die Nacht erst da!
Bis dahin ruhig, Seele! Schnöde Thaten,
Birgt sie die Erd’ auch, müssen sich verraten.
     (Ab.)

Dritte Scene.

Ein Zimmer in Polonius’ Hause. (Laertes und Ophelia treten auf.)
Laertes. Mein Reisegut ist eingeschifft. Leb wohl,
Und Schwester, wenn die Winde günstig sind
Und Schiffsgeleit sich findet, schlaf nicht, laß
Von dir mich hören.

Ophelia.      Zweifelst du daran?

Laertes. Was Hamlet angeht und sein Liebsgetändel,
So nimm’s als Sitte, als ein Spiel des Bluts;
Ein Veilchen in der Jugend der Natur,
Frühzeitig, nicht beständig – süß, nicht dauernd,
Nur Duft und Labsal eines Augenblicks:
Nichts weiter.

Ophelia.      Weiter nichts?

Laertes.  Nur dafür halt’ es.
Denn die Natur, aufstrebend, nimmt nicht bloß
An Größ’ und Sehnen zu; wie dieser Tempel wächst,
So wird der innre Dienst von Seel’ und Geist
Auch weit mit ihm. Er liebt euch jetzt vielleicht:
Kein Arg und kein Betrug befleckt bis jetzt
Die Tugend seines Willens: doch befürchte,
Bei seinem Rang gehört sein Will’ ihm nicht.
Er selbst ist der Geburt ja unterthan.
Er kann nicht wie geringe Leute thun
Für sich auslesen; denn an seiner Wahl
Hängt Sicherheit und Heil des ganzen Staats.
Deshalb muß seine Wahl beschränket sein
Vom Beifall und der Stimme jenes Körpers,
Von welchem er das Haupt. Wenn er nun sagt, er liebt dich,
Geziemt es deiner Klugheit ihm zu glauben,
So weit er nach besonderm Recht und Stand
That geben kann dem Wort; das heißt, nicht weiter
Als Dänemarks gesamte Stimme geht.
Bedenk, was deine Ehre leiden kann,
Wenn du zu gläubig seinem Liede lauschest,
Dein Herz verlierst, und deinen keuschen Schatz
Vor seinem ungestümen Dringen öffnest.
Fürcht’ es, Ophelia! fürcht’ es, liebe Schwester,
Und halte dich im Hintergrund der Neigung,
Fern von dem Schuß und Anfall der Begier.
Das scheu’ste Mädchen ist verschwendrisch noch,
Wenn sie dem Monde ihren Reiz enthüllt.
Selbst Tugend nicht entgeht Verleumdertücken,
Es nagt der Wurm des Frühlings Kinder an,
Zu oft noch eh’ die Knospe sich erschließt,
Und in der Früh’ und frischem Tau der Jugend
Ist gift’ger Anhauch am gefährlichsten.
Sei denn behutsam! Furcht gibt Sicherheit,
Auch ohne Feind hat Jugend innern Streit.

Ophelia. Ich will den Sinn so guter Lehr’ bewahren,
Als Wächter meiner Brust; doch, lieber Bruder,
Zeigt nicht, wie heilvergess’ne Pred’ger thun,
Den steilen Dornenweg zum Himmel andern,
Derweil als frecher, lockrer Wollüstling
Er selbst den Blumenpfad der Lust betritt,
Und spottet seines Rats.

Laertes.  O fürchtet nichts!
Zu lange weil’ ich – doch, da kommt mein Vater.
     (Polonius kommt.)
Zwiefacher Segen ist ein zwiefach Heil:
Der Zufall lächelt einem zweiten Abschied.

[421]
Polonius. Noch hier, Laertes? Ei, ei! an Bord, an Bord,

Der Wind sitzt in dem Nacken eures Segels,
Und man verlangt euch. Hier, mein Segen mit dir -
     (Indem er dem Laertes die Hand aufs Haupt legt.)
Und diese Regeln präg’ in dein Gedächtnis:
Gib den Gedanken, die du hegst, nicht Zunge,
Noch einem ungebührlichen die That.
Leutselig sei, doch keineswegs gemein.
Dem Freund, der dein, und dessen Wahl erprobt,
Mit ehrnen Haken klammr’ ihn an dein Herz.
Doch härte deine Hand nicht durch Begrüßung
Von jedem neugeheckten Bruder. Hüte dich
In Händel zu geraten; bist du drin:
Führ’ sie, daß sich dein Feind vor dir mag hüten.
Dein Ohr leih jedem, wen’gen deine Stimme;
Nimm Rat von allen, aber spar dein Urteil.
Die Kleidung kostbar, wie’s dein Beutel kann,
Doch nicht ins Grillenhafte; reich, nicht bunt:
Denn es verkündigt oft die Tracht den Mann,
Und die vom ersten Rang und Stand in Frankreich
Sind drin von edelster und feinster Wahl.
Kein Borger sei und auch Verleiher nicht;
Sich und den Freund verliert das Darlehn oft,
Und borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.
Dies über alles: sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgend wen.
Leb wohl! Mein Segen fördre dies an dir!

Laertes. In Ehrerbietung nehm’ ich Abschied, Herr.

Polonius. Euch ruft die Zeit; geht, eure Diener warten.

Laertes. Leb wohl, Ophelia, und gedenk an das,
Was ich dir sagte.

Ophelia. Es ist in mein Gedächtnis fest verschlossen,
Und ihr sollt selbst dazu den Schlüssel führen.

Laertes. Lebt wohl.
     (Ab.)

Polonius. Was ist’s, Ophelia, das er euch gesagt?

Ophelia. Wenn ihr erlaubt, vom Prinzen Hamlet war’s.

Polonius. Ha, wohl bedacht!
Ich höre, daß er euch seit kurzem oft
Vertraute Zeit geschenkt; und daß ihr selbst
Mit eurem Zutritt sehr bereit und frei wart.
Wenn dem so ist – und so erzählt man mir’s,
Und das als Warnung zwar – muß ich euch sagen,
Daß ihr euch selber nicht so klar versteht,
Als meiner Tochter ziemt und eurer Ehre.
Was gibt es zwischen euch? sagt mir die Wahrheit.

Ophelia. Er hat seither Anträge mir gethan
Von seiner Zuneigung.

Polonius. Pah, Zuneigung! Ihr sprecht wie junges Blut,
In solchen Fährlichkeiten unbewandert.
Und glaubt ihr den Anträgen, wie ihr’s nennt?

Ophelia. Ich weiß nicht, Vater, was ich denken soll?

Polonius. So hört’s denn: denkt, ihr seid ein dummes Ding,
Daß ihr für bar Anträge habt genommen,
Die ohn’ Ertrag sind. Nein, betragt euch klüger,
Sonst (um das arme Wort nicht tot zu hetzen)
Trägt eure Narrheit noch euch Schaden ein.

Ophelia. Er hat mit seiner Lieb’ in mich gedrungen,
In aller Ehr’ und Sitte.

Polonius. Ja, Sitte mögt ihr’s nennen; geht mir, geht!

Ophelia. Und hat sein Wort beglaubigt, lieber Herr,
Beinah durch jeden heil’gen Schwur des Himmels.

Polonius. Ja, Sprenkel für die Drosseln. Weiß ich doch,
Wenn das Blut kocht, wie das Gemüt der Zunge
Freigebig Schwüre leiht. Dies Lodern, Tochter,
Mehr leuchtend als erwärmend, und erloschen
Selbst im Versprechen, während es geschieht,
Nehmt keineswegs für Feuer. Kargt von nun an
Mit eurer jungfräulichen Gegenwart
Ein wenig mehr; schätzt eure Unterhaltung
Zu hoch, um auf Befehl bereit zu sein.
Und was Prinz Hamlet angeht, traut ihm so:
Er sei noch jung, und habe freiern Spielraum,
Als euch vergönnt mag werden. Kurz, Ophelia,
Traut seinen Schwüren nicht: denn sie sind Kuppler,
Nicht von der Farbe ihrer äußern Tracht,
Fürsprecher sündlicher Gesuche bloß,
Gleich frommen, heiligen Gelübden atmend,
Um besser zu berücken. Eins für alles:
Ihr sollt mir, grad’ heraus, von heute an
Die Muße keines Augenblicks so schmähn,
Daß ihr Gespräche mit Prinz Hamlet pflöget.
Seht zu, ich sag’s euch; geht nun eures Weges.

Ophelia. Ich will gehorchen, Herr.
     (Ab.)

Vierte Scene.

Die Terrasse. (Hamlet, Horatio und Marcellus treten auf.)
Hamlet. Die Luft geht scharf, es ist entsetzlich kalt.

Horatio. ’s ist eine schneidende und strenge Luft.

Hamlet. Was ist die Uhr?

Horatio.  Ich denke, nah an zwölf.

Marcellus. Nicht doch, es hat geschlagen.

Horatio.  Wirklich schon?
Ich hört’ es nicht; so rückt heran die Stunde,
Worin der Geist gewohnt ist, umzugehn.
     (Trompetenstoß und Geschütz abgefeuert hinter der Scene.)
Was stellt das vor, mein Prinz?

Hamlet. Der König wacht die Nacht durch, zecht vollauf,
Hält Schmaus und taumelt den geräusch’gen Walzer;
Und wie er Züge Rheinweins niedergießt,
Verkünden schmetternd Pauken und Trompeten
Den ausgebrachten Trunk.

Horatio.  Ist das Gebrauch?

Hamlet. Nun freilich wohl:
Doch meines Dünkens (bin ich eingeboren
Und drin erzogen schon) ist’s ein Gebrauch,
Wovon der Bruch mehr ehrt als die Befolgung.
Dies schwindelköpf’ge Zechen macht verrufen
Bei andern Völkern uns in Ost und West;
Man heißt uns Säufer, hängt an unsre Namen
Ein schmutzig Beiwort; und fürwahr, es nimmt
Von unsern Thaten, noch so groß verrichtet,
Den Kern und Ausbund unsers Wertes weg.
So geht es oft mit einzeln Menschen auch,
Daß sie durch ein Naturmal, das sie schändet,
Als etwa von Geburt (worin sie schuldlos,
Weil die Natur nicht ihren Ursprung wählt)
Ein Uebermaß in ihres Blutes Mischung,
Das Dämm’ und Schanzen der Vernunft oft einbricht,
Auch wohl durch Angewöhnung, die zu sehr
Den Schein gefäll’ger Sitten überrostet –
Daß diese Menschen, sag’ ich, welche so
Von einem Fehler das Gepräge tragen,
(Sei’s Farbe der Natur, sei’s Fleck des Zufalls)
Und wären ihre Tugenden so rein
Wie Gnade sonst, so zahllos wie ein Mensch
Sie tragen mag: in dem gemeinen Tadel
Steckt der besondre Fehl sie doch mit an;
Der Gran von Schlechtem zieht des edlen Wertes
Gehalt herab in seine eigne Schmach.
     (Der Geist kommt gerüstet wie vorhin.)

[422]
Horatio. O seht, mein Prinz, es kommt!


Hamlet. Engel und Boten Gottes, steht uns bei! – –
Sei du ein Geist des Segens, sei ein Kobold,
Bring Himmelslüfte oder Dampf der Hölle,
Sei dein Beginnen boshaft oder liebreich,
Du kommst in so fragwürdiger Gestalt,
Ich rede doch mit dir; ich nenn’ dich, Hamlet,
Fürst, Vater, Dänenkönig: o, gib Antwort!
Laß mich in Blindheit nicht vergehn! Nein, sag:
Warum dein fromm Gebein, verwahrt im Tode,
Die Leinen hat gesprengt? warum die Gruft,
Worin wir ruhig eingeurnt dich sahn,
Geöffnet ihre schweren Marmorkiefern,
Dich wieder auszuwerfen? Was bedeutet’s,
Daß, toter Leichnam, du, in vollem Stahl
Aufs neu des Mondes Dämmerschein besuchst,
Die Nacht entstellend; daß wir Narren der Natur
So furchtbarlich uns schütteln mit Gedanken,
Die unsre Seele nicht erreichen kann?

Horatio. Es winket euch, mit ihm hinwegzugehn,
Als ob es eine Mitteilung verlangte
Mit euch allein.

Marcellus. Seht, wie es euch mit freundlicher Geberde
Hinweist an einen mehr entlegnen Ort.
Geht aber nicht mit ihm.

Horatio.  Nein, keineswegs.

Hamlet. Es will nicht sprechen: wohl, so folg’ ich ihm.

Horatio. Thut’s nicht, mein Prinz.

Hamlet.  Was wäre da zu fürchten?
Mein Leben acht’ ich keine Nadel wert;
Und meine Seele, kann es der was thun,
Die ein unsterblich Ding ist, wie es selbst?
Es winkt mir wieder fort, ich folg’ ihm nach.

Horatio. Wie, wenn es hin zur Flut euch lockt, mein Prinz,
Vielleicht zum grausen Wipfel jenes Felsen,
Der in die See nickt über seinen Fuß?
Und dort in andre Schreckgestalt sich kleidet,
Die der Vernunft die Herrschaft rauben könnte,
Und euch zum Wahnsinn treiben? O, bedenkt!
Der Ort an sich bringt Grillen der Verzweiflung
Auch ohne weitern Grund in jedes Hirn,
Der so viel Klafter niederschaut zur See,
Und hört sie unten brüllen.

Hamlet.  Immer winkt es:
Geh nur! ich folge dir.

Marcellus. Ihr dürft nicht gehn, mein Prinz.

Hamlet.  Die Hände weg!

Horatio. Hört uns, Ihr dürft nicht gehen.

Hamlet.  Mein Schicksal ruft,
Und macht die kleinste Ader dieses Leibes
So fest als Sehnen des Nemeer Löwen.
     (Der Geist winkt.)
Es winkt mir immerfort: laßt los! Beim Himmel,
     (Reißt sich los.)
Den mach’ ich zum Gespenst, der mich zurückhält! –
Ich sage, fort! – Voran! ich folge dir.
     (Der Geist und Hamlet ab.)

Horatio. Er kömmt ganz außer sich vor Einbildung.

Marcellus. Ihm nach! Wir dürfen ihm nicht so gehorchen.

Horatio. Kommt, folgen wir! Welch Ende wird dies nehmen?

Marcellus. Etwas ist faul im Staate Dänemarks.

Horatio. Der Himmel wird es lenken.

Marcellus.  Laßt uns gehn.
     (Ab.)

Fünfte Scene.

Ein abgelegenerer Teil der Terrasse. (Der Geist und Hamlet kommen.)
Hamlet. Wo führst du hin mich? Red’, ich geh nicht weiter.

Geist. Hör an!

Hamlet. Ich will’s.

Geist.  Schon naht sich meine Stunde,
Wann ich den schweflichten, qualvollen Flammen
Mich übergeben muß.

Hamlet.  Ach, armer Geist!

Geist. Beklag mich nicht, doch leih dein ernst Gehör
Dem, was ich kund will thun.

Hamlet.  Sprich! mir ist’s Pflicht zu hören.

Geist. Zu rächen auch, sobald du hören wirst.

Hamlet. Was?

Geist.  Ich bin deines Vaters Geist:
Verdammt auf eine Zeit lang, nachts zu wandern,
Und tags gebannt in ew’ge Feuerglut,
Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit
Hinweggeläutert sind. Wär’ mir’s nicht untersagt,
Das Innre meines Kerkers zu enthüllen,
So höb’ ich eine Kunde an, von der
Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte,
Dein junges Blut erstarrte, deine Augen
Wie Stern’ aus ihren Kreisen schießen machte,
Dir die verworrnen krausen Locken trennte,
Und sträubte jedes einzle Haar empor,
Wie Nadeln an dem zorn’gen Stacheltier:
Doch diese ew’ge Offenbarung faßt
Kein Ohr von Fleisch und Blut. – Horch, horch! o horch!
Wenn du je deinen teuren Vater liebtest –

Hamlet. O Himmel!

Geist. Räch’ seinen schnöden unerhörten Mord.

Hamlet. Mord?

Geist. Ja, schnöder Mord, wie er aufs beste ist,
Doch dieser unerhört und unnatürlich.

Hamlet. Eil ihn zu melden: daß ich auf Schwingen, rasch
Wie Andacht und des Liebenden Gedanken,
Zur Rache stürmen mag.

Geist.  Du scheinst mir willig:
Auch wärst du träger, als das feiste Kraut,
Das ruhig Wurzel treibt an Lethes Bord,
Erwachtest du nicht hier. Nun, Hamlet, höre:
Es heißt, daß, weil ich schlief in meinem Garten,
Mich eine Schlange stach; so wird das Ohr des Reichs
Durch den erlognen Hergang meines Todes
Schmählich getäuscht; doch wisse, edler Jüngling,
Die Schlang’, die deines Vaters Leben stach,
Trägt seine Krone jetzt.

Hamlet. O mein prophetisches Gemüt! Mein Oheim?

Geist. Ja, der blutschänderische Ehebrecher
Durch Witzes Zauber, durch Verrätergaben,
(O, arger Witz und Gaben, die im stand
So zu verführen sind!) gewann den Willen
Der scheinbar tugendsamen Königin
Zu schnöder Lust. O Hamlet, welch ein Abfall
Von mir, dess’ Liebe von der Echtheit war,
Daß Hand in Hand sie mit dem Schwure ging,
Den ich bei der Vermählung that; erniedert
Zu einem Sünder, von Natur durchaus
Armselig gegen mich!
Allein wie Tugend nie sich reizen läßt,
Buhlt Unzucht auch um sie in Himmelsbildung;
So Lust, gepaart mit einem lichten Engel,
Wird dennoch eines Götterbettes satt
Und hascht nach Wegwurf. –
Doch still! mich dünkt, ich wittre Morgenluft:

[423]
Kurz laß mich sein. – Da ich im Garten schlief,

Wie immer meine Sitte nachmittags,
Beschlich dein Oheim meine sichre Stunde,
Mit Saft verfluchten Bilsenkrauts im Fläschchen,
Und träufelt’ in den Eingang meines Ohrs
Das schwärende Getränk; wovon die Wirkung
So mit des Menschen Blut in Feindschaft steht,
Daß es durch die natürlichen Kanäle
Des Körpers hurtig, wie Quecksilber, läuft;
Und wie ein saures Laab, in Milch getropft,
Mit plötzlicher Gewalt gerinnen macht
Das leichte, reine Blut. So that es meinem,
Und Aussatz schuppte sich mir augenblicklich,
Wie einem Lazarus, mit ekler Rinde
Ganz um den glatten Leib.
So ward ich schlafend und durch Bruderhand,
Beschnellt um Leben, Krone und Gemahl,
In meiner Sünden Blüte hingerafft,
Ohne Nachtmahl, ungebeichtet, ohne Oelung;
Die Rechnung nicht geschlossen, ins Gericht
Mit aller Schuld auf meinem Haupt gesandt.
O schaudervoll! o schaudervoll! höchst schaudervoll!
Hast du Natur in dir, so leid es nicht;
Laß Dänmarks königliches Bett kein Lager
Für Blutschand’ und verruchte Wollust sein.
Doch, wie du immer diese That betreibst,
Befleck dein Herz nicht; dein Gemüt ersinne
Nichts gegen deine Mutter; überlaß sie
Dem Himmel und den Dornen, die im Busen
Ihr stechend wohnen. Lebe wohl mit eins!
Der Glühwurm zeigt, daß sich die Frühe naht,
Und sein unwirksam Feu’r beginnt zu blassen.
Ade! Ade! Ade! Gedenke mein.
     (Ab.)

Hamlet. O, Herr des Himmels! Erde! – Was noch sonst?
Nenn’ ich die Hölle mit? O pfui! Halt, halt, mein Herz!
Ihr meine Sehnen, altert nicht sogleich,
Tragt fest mich aufrecht! Dein gedenken? Ja,
Du armer Geist, solang Gedächtnis haust
In dem zerstörten Ball hier. Dein gedenken?
Ja, von der Tafel der Erinnrung will ich
Weglöschen alle thörichten Geschichten,
Aus Büchern alle Sprüche, alle Bilder,
Die Spuren des Vergangnen, welche da
Die Jugend einschrieb und Beobachtung;
Und dein Gebot soll leben ganz allein
Im Buche meines Hirnes, unvermischt
Mit minder würd’gen Dingen. – Ja, beim Himmel.
O höchst verderblich Weib!
O Schurke! lächelnder, verdammter Schurke!
Schreibtafel her! ich muß mir’s niederschreiben,
Daß einer lächeln kann, und immer lächeln,
Und doch ein Schurke sein; zum wenigsten
Weiß ich gewiß, in Dänmark kann’s so sein.
Da steht ihr, Oheim. Jetzt zu meiner Losung!
Sie heißt: „Ade, ade! Gedenke mein.“
Ich hab’s geschworen.

Horatio (hinter der Scene). Mein Prinz! mein Prinz!

Marcellus (hinter der Scene).  Prinz Hamlet!

Horatio (hinter der Scene).  Gott beschütz’ ihn!

Hamlet. So sei es!

Marcellus (hinter der Scene). Heda! ho! mein Prinz!

Hamlet. Ha! heisa, Junge! Komm, Vögelchen, komm!
     (Horatio und Marcellus kommen.)

Marcellus. Wie steht’s, mein gnäd’ger Herr?

Horatio.  Was gibt’s, mein Prinz?

Hamlet. O, wunderbar!

Horatio. Sagt, bester, gnäd’ger Herr!

Hamlet.  Nein, ihr verratet’s.

Horatio. Ich nicht, beim Himmel, Prinz.

Marcellus.  Ich gleichfalls nicht.

Hamlet. Was sagt ihr? Sollt’s ’ne Menschenseele denken? –
Doch ihr wollt schweigen? –

Horatio.. Marcellus. Ja, beim Himmel, Prinz.

Hamlet. Es lebt kein Schurk im ganzen Dänemark,
Der nicht ein ausgemachter Bube wär’.

Horatio. Es braucht kein Geist vom Grabe herzukommen,
Um das zu sagen.

Hamlet.  Richtig; ihr habt recht.
Und so, ohn’ alle weitre Förmlichkeit,
Denk’ ich, wir schütteln uns die Händ’ und scheiden;
Ihr thut, was euch Beruf und Neigung heißt –
Denn jeder Mensch hat Neigung und Beruf,
Wie sie denn sind – ich, für mein armes Teil,
Seht ihr, will beten gehn.

Horatio. Dies sind nur wirblichte und irre Worte, Herr.

Hamlet. Es thut mir leid, daß sie euch ärgern, herzlich;
Ja, mein Treu, herzlich.

Horatio. Kein Aergernis, mein Prinz.

Hamlet. Doch, bei Sankt Patrick, gibt es eins, Horatio,
Groß Aergernis. Was die Erscheinung angeht,
Ich sag’ euch, ’s ist ein ehrliches Gespenst.
Die Neugier, was es zwischen uns doch gibt,
Bemeistert, wie ihr könnt. Und nun, Ihr Lieben,
Wofern ihr Freunde seid, Mitschüler, Krieger,
Gewährt ein Kleines mir.

Horatio.  Was ist’s? wir sind bereit.

Hamlet. Macht nie bekannt, was ihr die Nacht gesehn.

Horatio.. Marcellus. Wir wollen’s nicht, mein Prinz.

Hamlet.  Gut, aber schwört.

Horatio. Auf Ehre, Prinz, ich nicht.

Marcellus. Ich gleichfalls nicht, auf Ehre.

Hamlet.  Auf mein Schwert.

Marcellus. Wir haben schon geschworen, gnäd’ger Herr.

Hamlet. Im Ernste, auf mein Schwert, im Ernste.

Geist. (unter der Erde). Schwört.

Hamlet. Ha, ha, Bursch! sagst du das? Bist du da, Grundehrlich?
Wohlan – ihr hört im Keller den Gesellen –
Bequemet euch zu schwören.

Horatio.  Sagt den Eid.

Hamlet. Niemals von dem, was ihr gesehn, zu sprechen,
Schwört auf mein Schwert.

Geist. (unter der Erde). Schwört.

Hamlet. Hic et ubique? Wechseln wir die Stelle. –
Hieher, ihr Herren, kommt,
Und legt die Hände wieder auf mein Schwert;
Schwört auf mein Schwert
Niemals von dem, was ihr gehört, zu sprechen.

Geist. (unter der Erde). Schwört auf sein Schwert.

Hamlet. Brav, alter Maulwurf! Wühlst so hurtig fort?
O, trefflicher Minierer! – Nochmals weiter, Freunde.

Horatio. Beim Sonnenlicht, dies ist erstaunlich fremd.

Hamlet. So heiß’ als einen Fremden es willkommen.
Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden,
Als eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.
Doch kommt!
Hier, wie vorhin, schwört mir, so Gott euch helfe,
Wie fremd und seltsam ich mich nehmen mag,
Da mir’s vielleicht in Zukunft dienlich scheint,
Ein wunderliches Wesen anzulegen:
Ihr wollet nie, wenn ihr alsdann mich seht,
Die Arme so verschlingend, noch die Köpfe
So schüttelnd, noch durch zweifelhafte Reden,
Als: „Nun, nun, wir wissen“ – oder: „Wir könnten,

[424]
wenn wir wollten“ – oder: „Ja, wenn wir reden möchten;“

oder: „Es gibt ihrer, wenn sie nur dürften“ –
Und solch verstohlnes Deuten mehr, verraten,
Daß ihr von mir was wisset: dieses schwört,
So Gott in Nöten und sein Heil euch helfe!

Geist. (unter der Erde). Schwört.

Hamlet. Ruh, ruh, verstörter Geist! – Nun, liebe Herrn,
Empfehl’ ich euch mit aller Liebe mich,
Und was ein armer Mann, wie Hamlet ist,
Vermag, euch Lieb’ und Freundschaft zu bezeugen,
So Gott will, soll nicht fehlen. Laßt uns gehn,
Und, bitt’ ich, stets die Finger auf den Mund.
Die Zeit ist aus den Fugen: Schmach und Gram,
Daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam!
Nun kommt, laßt uns zusammen gehn.
     (Alle ab.)

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