Haenel Kostbare Waffen/Tafel 11

Tafel 10 Kostbare Waffen aus der Dresdner Rüstkammer (1923) von Erich Haenel
Tafel 11
Tafel 12
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TAFEL 11
PRUNKHARNISCH DES
KURFÜRST CHRISTIAN I. VON SACHSEN
(1560–1591)
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[22] Blank und vergoldet, früher bunt emailliert. – Kragen 2mal geschoben, Brust nach unten gratig mit tiefsitzendem Gansbauch, Rücken leicht in der Mitte eingezogen, statt der Bauch- und Gesäßreifen Reihen fast rechtwinklig abstehender, eckiger Lappen, Beintaschen in Haken eingehängt, 8mal geschoben. Ganzes Armzeug, Vorderflüge 4mal, Hinterflüge 9mal geschoben, ganze Muscheln, Handschuhe mit spitzem Stulp und geschobenen Fingern. Geschlossener Helm mit steilem Kamm, Stirnstulp, spitz vorgetriebenem Visier, breitem Hals- und Nackenreifen.

Der Harnisch durchaus getrieben, ziseliert und matt vergoldet, nur die figürlichen Teile von blank geriebenem Eisen. Dekoration aus Ranken, Blumen, Ähren, Vasen, Tieren, Masken, Putten, antikisierenden Männer- und Frauengestalten, die auf und zwischen den Ranken sitzen und lagern, während die Putten Tücher, Bänder, Festons, Vasen, Kränze, Musikinstrumente halten oder mit den Tieren, phantastisch geformten Steinböcken, Hirschen, Jagdhunden spielen. Im Mittelpunkte der Brust Diana mit Jagdhorn, einen Hirsch beschützend; rechts Apoll, weiter 5 Musen. Auf dem Rücken Minerva (links), weitere Musen und Göttinnen[ER 1], im ganzen auf Brust und Rücken je 7 Gestalten, andere auf den Flügen, den Muscheln und den Stulpen. Jede Figur ist von einem Kranz verschlungener Seilknoten umgeben. Diese sind das Sinnbild des italienischen Annunziatenordens, die sogenannten „Liebesknoten“ (nodi d’amore), die hier, mit Rosen durchsetzt, das Kleinod, die Verkündigung Mariae, umgeben. Dieser Orden ist 1362 von Herzog Amadeus VI. von Savoyen gestiftet worden und heute der vornehmste Orden des Königreichs Italien. Die Dekoration der Schöße zeigt eine festere, durch mehr geometrisch geschwungene Ranken und Bänder getragene Einteilung und weniger figürliche Motive, auch die Bordüre deutet auf eine stilistische Veränderung hin. – Der Harnisch hat einen Vorstoß von gelapptem[ER 2], mit Goldtresse eingefaßtem, blauem Samt. Ein Ergänzungsstück, Brust, deren figürliche Dekoration etwas anders gestaltet ist, zeigt die gleiche Hand.

Inventar der Ballienkammer, 1615/16, Nachtrag, S. 82. „Ein schöner vorguldter Küris von getriebener arbeit mit allerhandt schönen erhobenen farbichten bildern und früchten, darzu gehoret eine Haube, … Kragen, zwey brust, rucken, kurze beindaschen, und zween Handtschuch, item Spangerol, armzeug alles … mit blauen sammeten schupen vorgeschoßenen und guldenen gallonen eingebörtelt, … ist aus der Cammer neben der Jegerey anhero kommen, und ist dieser Kuris von Hertzog von Sophoy verehret, und aus der Kunstcammer hierher gegeben d. 6 January ao. 1619.“

Im Inventar der Kunstkammer 1595 (S. 530) steht: Vorguldter getriebener Kiruss zum Ballien- und Fußturnier, ist Churfürst Christian zu Sachsen von dem Herzog von Sophoy verehret worden 1588. – Dieser Herzog war Carl Emanuel I. (1562–1630[WS 1]), der Große; die sächsischen Kurfürsten standen mit ihm in freundschaftlichen politischen Beziehungen, die mehrfach durch den Tausch von Geschenken Ausdruck fanden. Überbringer der Gabe wird, wie oft im Verkehr mit den italienischen Höfen, der Hofmarschall Heinrich von Hagen gewesen sein.

Über den Meister dieses ungewöhnlich reichen Stückes ist nichts bekannt; Ehrenthal nennt Giovanni Paolo Nigroli, ohne jeden Grund, denn der ganze Harnisch Emanuel Philiberts von Savoyen in Turin (Katalog von Angelucci, Bd. 4, Tafelwerk von Avogadro di Quaregna I, 19), den Angelucci vermutungsweise diesem sonst unbekannten Mitgliede der berühmten Mailander Plattnerfamilie zuschreibt, ist unserm Harnisch völlig fremd. Dagegen zeigt die Harnischbrust C 73 (Tafel I, 66) derselben Sammlung ausgesprochne Verwandtschaft; Angelucci sieht in der dekorativen Durchbildung mit Ranken und Grotesken den Stil der Zuccari. Noch näher steht der sogen. Prunkharnisch des Kaisers Mathias in Wien (Führer 846, Album I, 37 [1]): auch hier treten die Figuren blank, sogar versilbert, aus dem reichgetriebenen goldnen Grund hervor. Boeheim setzt den Harnisch in das Ende des 16. Jahrhunderts, und hält ihn für deutsche Arbeit. Der im Gesamtcharakter verwandte Prunkharnisch im Berliner Zeughaus (Schr. 122), dessen Dekoration Schlachtszenen zeigt, soll „aus dem Lothringischen“ stammen. – Nach Herkunft und Stil ist unser Harnisch zweifellos italienisch und als seine künstlerische Heimat kann nur Mailand in Frage kommen. Für die stilistische Verwilderung der Dekoration nach dem Barock hin, die Form und Farbe gleichmäßig zu stärkster Wirkung häuft, ist er das vollendetste und eindrucksvollste Dokument. – (FHM. D 1.)

Errata

  1. statt „Göttinen“ lies „Göttinnen“ (siehe Druckfehlerberichtigung)
  2. statt „gelappten“ lies „gelapptem“ (siehe Druckfehlerberichtigung)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1530