Haar-Messen und Zopfabschneider

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Haar-Messen und Zopfabschneider
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 487–489
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[487]

Haar - Messen und Zopfabschneider.

„Mit der – Mode kämpfen Götter selbst vergebens“, so ließe sich das bekannte Dichterwort variiren, um eine Wahrheit auszudrücken die man geradezu als absolute bezeichnen könnte, wenn uns endlichen Menschen überhaupt eine solche vergönnt wäre. Was ist in den letzten drei, vier Jahren nicht Alles gesprochen und geschrieben, gepredigt, gewitzelt und gespottet worden, um die abscheulichen Anhänge zu beseitigen, welche jetzt bald als ungeheuere Knäuel und Klumpen, bald in Form von Zotteln und Roßschweifen die Köpfe unserer modischen Damen entstellen! Aesthetiker und Moralisten, Aerzte und Pädagogen sind mit schwerem und leichtem Geschütz dagegen zu Felde gezogen man hat grauenhafte Geschichten erzählt von Zöpfen, die, um dem Begehr zu genügen, unsere Friseure den Leichen abschneiden; man hat das Ungeziefer der Gregarinen entdeckt und losgelassen; ein Oberhirt der Kirche hat erst unlängst erklärt, daß er seine Hand nicht segnend auf die Scheitel junger Damen legen werde, welche in dem geborgten Hauptüberschwange vor ihm erschienen – doch was hat dies Alles gefruchtet? Ist darum nur ein einziger Chignon, eine einzige falsche Locke á la repentir, cachefolie, tête-et-pointe, Alexandria und wie man die Unholde sonst noch hochtrabend getauft hat, weniger getragen worden? Im Gegentheil, der Haarhandel florirt mehr denn je, und seine feineren Waarensorten werden mit immer enormeren Preisen bezahlt. Einer der ersten Pariser Haarhändler findet Abnehmerinnen, die ihm seine berühmten hochblonden Chignons – blonde ardente nennt sie die Mode – mit Freuden für fünfzehnhundert Franken abkaufen, obschon Nachahmungen derselben in Seide in allen Posamentierläden um neunzig Centimes zu erhalten sind.

Bekanntlich ist Frankreich der Hauptstapelplatz des falschen Haares, nach England allein geht jährlich für nahe an siebenzigtausend Pfund Sterling, und die Ausfuhr nach Deutschland wird kaum eine geringere sein. In Frankreich aber ist es wiederum die Bretagne, welche dem Pariser Markt das größte Quantum an Menschenhaaren liefert. „Seit der römischen Invasion,“ schreibt Chateaubriand in seinen Memoiren, „haben die gallischen Weiber ihre Locken verkauft, um andere minder bevorzugte Scheitel damit zu schmücken, und noch heut zu Tage entäußern sich meine bretonischen Landsmänninnen dieser Zier, um an gewissen Markttagen buntseidene Tücher dafür einzutauschen.“

Eine solche weit und breit berühmte Haarmesse findet alljährlich am vierten September unweit des durch den erwähnten Schriftsteller und Staatsmann dem Dunkel entrissenen Schlosses Combourg auf einer großen Wiese statt. Es ist dies ein Volksfest für die ganze Gegend, eine Art Zigeunerleben mit allen möglichen Habseligkeiten, Trödeleien und Ergötzlichkeiten, wie sie bei derlei Gelegenheiten wohl auch bei uns in Deutschland an der Tagesordnung sind. Umsonst aber – erzählt der Gewährsmann, dem wir die nachfolgenden Einzelheiten verdanken – umsonst sah ich mich nach den indischen Foulards um, gegen welche, nach Chateaubriand’s Aufzeichnungen, die jungen Bretoninnen den Reichthum opfern sollten, den ihnen eine gütige Natur verliehen, ebenso vergeblich nach den Anstalten, das Opfer in’s Werk zu richten. Endlich ganz draußen am Saume der Zelte und Buden bemerkte ich unter. einer Gruppe alter, weitschattender Walnußbäume, gewissermaßen im Verborgenen, als handele es sich um heimlich abzuthuende Verrichtungen, einige mit Planen bedeckte Karren. Sie waren voller kleiner Pakete und Bündel, ihre Gabeldeichseln zur Erde gekehrt, und ihre mageren Gäule, an die Radspeichen gebunden, ließen sich das Gras umher wohl schmecken. Ich ging auf einen der Karren zu; sein Eigenthümer, ein untersetzter, kräftiger kleiner Mann von etwa vierzig Jahren, halb Bauer, halb Roßtäuscher, wie es schien, saß auf der Deichsel mit einem Pack buntbedruckter Kattuntücher vor sich. Etwas vom Schelm lag in dem Zwinkern seiner frechen Augen, als er eines der Bündel aufschnürte und ein halb Dutzend grellfarbige Tücher eines nach dem andern langsam herauszog, um sie, unter höchst beredter Anpreisung jeder einzelnen Schönheit seiner Waaren, einer alten Bauerfrau zu zeigen, welche ein ungefähr zwölfjähriges baarfüßiges Mädchen an der Hand hatte. Die Haube oder Catiole war dem Kinde abgenommen, damit man das prachtvolle Haar besser sehen konnte, das in üppigen Wellen ihm bis auf die Brust herabfloß. Wie ich an die Leute herangekommen war, hörte der Mann mit einmal in seinen Demonstrationen auf; die Worte der Frau aber konnte ich noch vernehmen.

„Ein Tuch ist nicht genug für eine solche Menge Haar,“ sagte sie.

Das Mädchen selbst schien in der Sache keine Stimme zu haben; es begnügte sich, die vor ihm entfalteten glänzenden Schätze mit lüsternen Augen zu betrachten.

„Wahrhaftig in Gott,“ erwiderte nach einer Pause der Händler in sanften, schmeichelndem Tone, „ich kann nicht mehr geben, sonst muß ich einbüßen bei dem Geschäft; ich habe schon mehr schwarzes Haar, als ich brauche. Heut zu Tage zieht nur blondes Haar, aber ich habe Euch nun einmal ein Tuch versprochen, und Ihr sollt’s haben. Ich halte mein Gebot, und Ihr wißt mich zu finden, wenn Ihr’s Euch überlegt habt.“

Die Alte entgegnete nichts mehr, sondern half der Kleinen das Haar wieder aufbinden und unter der weiten Catiole verbergen. Darauf gingen Beide hinweg, kamen jedoch nach wenigen Augenblicken wieder, um die Bedingungen des Händlers zu acceptiren, welcher ohne weitere Umschweife zum Werke schritt. Er setzte sich auf einen dreibeinigen Stuhl und klemmte sein Opfer, dem das Haar lang herunter hing, fest zwischen seine Kniee. In seiner Hand befand sich eine riesige offene Scheere, welche er dem Kinde dicht auf den Kopf preßte.

„Monsieur,“ jammerte es, „Sie thun mir weh, und bitte, bitte, schneiden Sie mir nicht Alles ab, lassen Sie mir wenigstens eine einzige Locke, daß ich meinen Kamm feststecken kann.“

Der Mann blieb indeß taub gegen derlei Anliegens mit wenigen Schnitten seines grausamen Instrumentes war der Kopf des armen Mädchens fast ganz kahl geschoren. Dann rollte er die Haarsträhne zusammen, band sie mit einem Knoten zu und steckte sie in einen Sack, während die Beraubte sich einen Augenblick instinctiv nach dem Kopfe griff und hierauf die von dem Händler angerichtete Verwüstung schleunigst unter der Haube versteckte. Sobald dies geschehen, suchte sich das alte Weib das [488] bunteste aus dem ausgebreiteten halben Dutzend Tüchern aus und verschwand mit ihrer Enkelin im Marktgedränge.

Man hat behaupten wollen, die jungen Mädchen der Bretagne und Auvergne gäben blos in Fällen äußerster Noth und Bedrängniß ihr Kopfhaar preis, das ist aber vollkommen unwahr. In der Bretagne besteht dieser Handel schon seit dem Alterthum und ist so zu sagen der Bevölkerung in’s Blut übergegangen. Die dort landesübliche Coiffüre der Mädchen und Frauen läßt das Fehlen der Flechten nicht bemerken, allein selbst wenn dem so wäre, so würde deshalb doch kein Mensch das unglückliche geschorene Lamm für geringer oder minder schön halten. In Mont-Lucon hinwider verkaufen die Bräute ihr Haar, mit Zustimmung ihrer künftigen Gatten, um sich aus dem Erlös ein Ausstattungsstück beschaffen zu können, und selbst vermögliche Pächters- und Gutsbesitzersfrauen entäußern sich gelegentlich ihrer Haare, wenn sie sich anders nicht irgend ein erwünschtes Kleidungs- oder Putzstück erzeugen können.

Das Haar der Bretoninnen ist seiner Weichheit und Schönheit wegen ganz besonders geschätzt, deswegen entfalten die Händler ihre verführerischen Waaren dort nicht blos auf Märkten und bei sonstigen allgemeinen Festen; Jahr aus Jahr ein vielmehr ziehen Hausirer mit bunten Baumwoll- und Seidentüchern von Dorf zu Dorf und verlocken Hunderte von Bauernmädchen, die sie unterwegs treffen, gegen ein paar elende rothe oder gelbe Lappen, welche manchmal keinen Franken werth sind, ihr schönes blondes oder schwarzes Haar zu opfern. In den Städten wissen die Friseure den jungen Mädchen zu Gemüthe zu führen, daß sie das Pfund langer Nackenhaare mit zwanzig Franken bezahlen – das ist der Marktpreis durch die ganze nördliche Bretagne – allein da hier weibliche Arbeit sich schon besser verwerthet als auf dem Lande, so machen sie mit ihren Offerten kein erhebliches Geschäft und dies in der Regel blos mit Mädchen, denen aus Krankheitsursachen das Haar auszugehen beginnt und die, einmal zu dem Verluste verdammt, lieber ihre fünfzehn Franken noch dafür mitnehmen. Der durchschnittliche Werth eines Kopfs voller Haare ist zehn Franken, denn der reichste Haarwuchs mit Strähnen, welche bis über die Taille hinabreichen, wiegt selten das Pfund, das den ersehnten Napoleon einträgt. Vor Jahren, ehe das heutige Eisenbahnnetz existirte, konnte der Haarhausirer auch in den französischen Städten seine Herrlichkeiten, Tücher, Bänder, Mützen, Ohrringe und andern wohlfeilen Tand an den Mann oder vielmehr an das Weib bringen, heut zu Tage aber wissen die jungen Mädchen und deren Angehörige besser, welcher Reichthum ihnen in den Locken ihres Kopfes wächst, so daß der Händler mit baarem Gelde bei der Hand sein muß, wenn er eine erkleckliche Ernte halten will.

In der Auvergne treibt der Haarkäufer sein Geschäft noch öffentlicher. Auf jedem Jahrmarkte, bei jedem ländlichen Feste, namentlich auf den Märkten von Ambert, St. Anthème, Arlant, Olliargues und Riom, erscheint er mit seinem Cabriolet und schlägt seine Bude auf, von der eine stattliche tricolore Flagge weht, nicht wie in der Bretagne abseit des eigentlichen Marktgewühls, sondern mitten in der Reihe von Butter- und Eier-, von Gemüse- und Obstständen. In Issingeaux präsentirt er sich überaus malerisch; er steht auf einem niedrigen Gerüste vor seiner aus Segeltuch und ein paar Bretern erbauten Bude und ladet, die Hemdärmel bis zu den Schultern aufgestreift, mit der Stentorstimme eines Meßrecommandeurs Mädchen und Frauen ein, heraufzukommen und ihr Haar sehen zu lassen. Um ihn herum ist ein buntes Gedränge von Männern und Weibern in Holzschuhen die Frauen in kurzen Röcken und grellfarbigen Hauben oder breitrandigen Strohhüten, die Männer in apfelgrünen Tuchjacken und ungeheuren Filzhüten.

Eines nach dem anderen steigen nun die Mädchen auf die Bühne, setzen ihre Mützen ab, binden ihre Flechten auf und stellen ihren Reichthum vor Aller Augen zur Schau. Der Haarkäufer unterwirft denselben einer sehr genauen handgreiflichen Untersuchung und thut sein Gebot, und sobald man handelseinig geworden, schlüpft das Mädchen in die Bude hinein. In Zeit von fünf Minuten hat der Gehülfe des Händlers die Dirne rattenkahl geschnitten, und unter dem Jauchzen und Gelächter des umstehenden Publicums rennt sie davon. Diese Demonstration hindert indeß nicht im Mindesten, daß nicht nach und nach fast alle die versammelten Schönen ihrem Beispiel folgen. Ab und zu geschieht es jedoch, daß die anwesenden jungen Männer, welche den Haarkäufer nicht eben mit freundlichem Auge ansehen, über ihn herfallen, wenn er sich mit den eroberten Schätzen entfernen will. Zwar rettet ihn meistens die Schnelligkeit seines Pferdes vor der drohenden Plünderung, Schmutz, Steine, faule Eier und aller mögliche Unrath aber, dessen man habhaft werden kann, regnet auf das Dach seines Cabriolets nieder, bis er aus dem Bereiche der aufgeregten Jünglinge ist und nun ruhig einem anderen Dorfe zufährt, wo er morgen seine Rolle von Neuem und in der Regel mit dem gleichen Erfolge spielt.

Hat der Händler seine Tour in den Provinzen beendet, so schafft er seine Waare nach Paris oder einer anderen großen Stadt Frankreichs, wo er sie, je nach der Qualität zum Preise von zwanzig bis hundert Franken das Pfund, an die großen Coiffeurs und Haargeschäfte verkauft, die sie, nach gehöriger Zubereitung, zu Chignons, Locken, Flechten, Zöpfen und dergleichen verarbeiten. Bei dem neulichen Besuche eines dieser Etablissements fand ich die vier Wände des Verkaufslocals von der Diele bis zur Decke rundum mit Regalen versehen, auf denen Chignon über Chignon aufgestapelt waren, Chignons von allen Sorten und Farben, vom tiefsten Blauschwarz bis zum zartesten Blond. Immer je sechs waren zu einem Paket vereinigt, da ein halbes Dutzend die kleinste Quantität ist, welche das Haus, das sich mit dem Detailgeschäft nicht befaßt, abgiebt. Eine Anzahl von Gehülfen führten die Aufträge aus, welche von den Kunden entweder persönlich ertheilt wurden oder diesen Morgen mit der Post von den verschiedenen Reisenden der Firma eingelaufen waren. In dem anstoßenden Magazine lag das Rohmaterial in großen Haufen auf dem Fußboden daneben saßen wohl einige dreißig junge Mädchen, welche die Chignons der Zukunft fortirten und abwogen; je nach der Beschaffenheit wurden mehr oder weniger Grammes auf den Chignon gerechnet. Der ganze Ort duftete nach Haar. in allen Kästen, in Cartonschachteln und Schubladen lag Haar, Haar hing von der Decke herab und Haar klebte an den Wänden, Haar war auf Tischen und Stühlen, ja selbst im Tintenfaße, und Haar wirbelte in der Luft umher, so daß man bei jeder Bewegung, die man machte, die Gegenwart desselben sehr empfindlich inne ward.

Die gewöhnlichste Sorte Haar, so erfuhr ich, geht in großen Säcken ein, von denen jeder ungefähr zweihundert Pfund schwer ist. Zunächst kommt es nun zur gründlichen Wäsche in siedendes Wasser, um alles Fett und andere Unreinigkeiten los zu werden, darnach bringt man es in ein Sodabad und läßt es sorgfältig trocknen. Hierauf werden die verschiedenen Flechten nach Länge und Nuancen oberflächlich sortirt, wonach die Operation beginnt, die mit dem technischen Ausdruck „éveinage“ bezeichnet wird. Diese Procedur besteht darin, daß man aus jeder einzelnen Flechte die größeren Locken ausscheidet, die in der Farbenschattirung nicht ganz genau mit einander übereinstimmen. Weiter folgt die recarrage, das heißt die Egalisirung der oberen Enden jeder Flechte, und dann eine zweite und scrupulösere Sortirung. Nunmehr wird es zu Bündeln von je zehn bis zwölf Pfund arrangirt, nun in dieser Form eine neue Reihe von Manipulationen zu durchlaufen.

Zuvörderst nehmen die Arbeiter Hände voll davon heraus und bepudern es durch und durch mit Mehl; darauf wird es auf eisernen Krämpeln energisch durchgekämmt, die sich zu immer größerer Feinheit abstufen, bis endlich mit einem nochmaligen Durchkämmen auf einer Hechel von höchster Zartheit die Vorbereitung des Haares vollendet ist. Jetzt erst beginnt die Herstellung der Chignons und falschen Locken, und zwar derart, daß man Haare von der gleichen Nuance und möglichst der nämlichen Länge in gewissen Proportionen zusammen macht. Um einen großen Chignon herzustellen, braucht man oftmals das Product von nicht weniger als dreißig Frauenköpfen.

Der Chef des Etablissements versicherte mir übrigens – und zur Beruhigung meiner Leserinnen säume ich nicht dies mitzutheilen – daß alle Erzählungen von aus Leichenhaaren verfertigten Chignons in das Bereich der Fabel gehörten. „Das auf diesem Wege erlangte Haar wäre viel zu spröde, um in die geeignete Form gelockt oder geflochten werden zu können, und von Gregarinen, die in russischen Chignons vorkommen mögen, habe ich in Frankreich auch kein einziges beglaubigtes Beispiel gehört. Nicht eine Locke russischen Haares geht nach Frankreich – außer aus [489] den Köpfen moskowitischer Damen. Dagegen erhalten wir über Marseille eine ansehnliche Menge Haar aus Italien, hauptsächlich aus Sizilien, Neapel und dem Kirchenstaate – Sie wissen jedenfalls die Geschichte von der jungen Römerin, die ihr Haar verkaufte, um dem Papste einen Zuaven zu stellen – und ein mäßiges Ouantum aus Oesterreich, Belgien und Spanien, das Gros unserer Zufuhr aber liefert uns immer Frankreich selbst, insbesondere die Bretagne, Auvergne, Artois und Normandie, auch, doch in geringerer Masse, Languedoc, Limousin, Poiton und Bourbonnais. Das bretagnische Haar schätzen wir als das werthvollste von allem wegen seiner unvergleichlichen Feinheit, sodann weil die Bauernmädchen es gerade während der wichtigsten Periode seines Wachsthums beständig mit einer Haube schützen, weil es niemals gekräuselt, sondern einfach aufgebunden wird und weil es kaum je mit dem Kamm Bekanntschaft macht. Noch über diesem bretonischen Haar aber, freilich kommt es in seiner ganzen Schönheit nur selten vor, steht das echte blonde deutsche Haar. Aus ihm machen wir die Chignons von jener Schattirung, die man ,Engelsblond' nennt und mit den höchsten Preisen bezahlt.“

Die langen Haare, welche sich die Pariser Damen tagtäglich auskämmen und die allmorgentlich auf die Kehrichthaufen in den Straßen geworfen werden, haken die Chissonniers sorgsam aus dem Unrathchaos heraus und verkaufen sie an die Friseurs zur Anfertigung der têtes-et-pointes d. h. jenes billigen Gelocks oder Büschels, zu dem man nicht Haare von gleicher Länge und Sorte braucht. Nichts, was in dies Haardepartement schlägt, scheint sonach verloren zu gehen; das Haar von schlechter Nuance wird gefärbt, meistens schwarz, und selbst die kleinen Scheerenabfälle finden zu Puppenperrücken und puppenchignons ihre gute Verwendung.

Der obenangeführte Preis von fünfzehnhundert Franken für einen Chignon ist übrigens, wie man sich denken kann, nur ein Ausnahmepreis, welchen die ganz besondere Farbe des Haars, nämlich ein heller Goldschein, sodann seine ungewöhnliche Länge von nahezu drei und einem halben Fuß und seine Masse und Feinheit bedingte. Um diesen Wunderchignon zu erzeugen, mußte das Haar aus einem ungeheuern Vorrath von mehreren hundert Pfund Schwere mit der peinlichsten Sorgfalt ausgelesen werden. Im Allgemeinen kostet augenblicklich ein Chignon besserer Art und von nicht ungewöhnlicher Farbe etwa zweihundertundfünfzig Franken – also noch immer ein kleines Capital für eine widerliche Verhunzung des menschlichen Körpers! – während gewöhnlichere Qualitäten um zwölf bis siebenzig Franken zu haben sind.

Wir Alle wissen, daß das Tragen von falschem Haar schon lange vor unserer christlichen Zeitrechnung im Gebrauche war, mit dem Chignon als solchem, d. h. unter diesem Namen, aber wurde die Welt erst beglückt, als die Coiffeure selbst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Aufnahme kamen und bald in Paris allein zu dem stattlichen Heere von zwölfhundert Mann anwuchsen. Die Coiffeure sind auch die unseligen Erfinder der heutigen gräulichen Kopfauswüchse unserer Damen, sie und ihre salbenduftenden Herren Collegen in und außer Frankreich haben einzig und allein ein Interesse an dem Fortbestehen der unsinnigen und unappetitlichen Mode, von der zu emancipiren jede saubere deutsche Frau und jedes saubere deutsche Mädchen sich zur Ehrensache machen sollte. Die Gründung eines „Antichignon-Vereins“ wäre wahrhaftig kein unwürdiges Thema für den nächsten deutschen Frauentag, und wir wollen es hiermit ihm nachdrücklich an’s Herz gelegt haben.