Textdaten
>>>
Autor: Heinrich Leutemann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gute Nachbarschaft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 745, 748–749
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht Korrektur gelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du bei den Erklärungen über Bearbeitungsstände.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[745]

Gute Nachbarschaft.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

[748]

Gute Nachbarschaft.

(Zu dem Bilde S. 745.)

Als mir im vorigen Jahre beim Besuch des prachtvoll gedeihenden Hamburger Zoologischen Gartens zum ersten Male der sonderbare Anblick wurde, daß der dort gehegte mächtige indische Elefant und sein Nachbar und Landsmann, ein Rhinoceros, sich gegenseitig liebkosten, da fiel mir dies um so mehr auf, als ich die beiden gewaltigen Dickhäuter seit Jahren im Garten gesehen, nie aber bis dahin eine solche Scene beobachtet hatte. Auf meine befremdete Nachfrage erfuhr ich gar, daß dieses freundschaftliche Verhältniß schon lange bestehe und sich öfter bekunde. Wo blieb da das alte und vielgeglaubte Märchen von der angeborenen Feindschaft zwischen Elefant und Nashorn?

Wenn Plinius, der alte Römer, von dieser angeborenen Feindschaft spricht, so kommt es offenbar daher, daß er im römischen Cirkus den Kampf zwischen Elefant und Nashorn gesehen und dabei beobachtet hat, wie das letztere seinem Gegner mit dem Horne den Bauch aufschlitzte. Plinius war wohl auch die Quelle dieser Meinung für die späteren Jahrhunderte. Wenn man aber weiß, wie bei solchen Cirkusvorführungen die Thiere mit aller Gewalt dazu gereizt wurden, sich zu bekämpfen, so verliert der Ausspruch des Plinius jeden Werth.

Eigentliche Thierfeindschaften, d. h. in dem Sinne, daß zwei Thierarten sich gegenseitig in angeborener Feindschaft begegnen, dürfte es kaum geben, denn eine „Feindschaft“ ist es doch nicht, wenn Raubthiere, die von der Natur auf die Ernährung durch das Fleisch anderer Thiere angewiesen sind, diese anfallen, töten und fressen, und wenn die Angefallenen sich dabei nach Kräften wehren. Ebensowenig kann man es angeborene Thierfeindschaft nennen, wenn zwei Thierarten auf gemeinsamem Nahrungsplatz einmal aneinander gerathen. Die als Gegenbeweis naheliegende sogenannte Feindschaft zwischen Hund und Katze beweist auch nichts, denn einerseits sind sie Hausthiere und nicht mehr im natürlichen Zustand, vielmehr meist durch Reizung zu solcher Gegnerschaft erzogen, sodann sind sie ursprünglich Raubthiere, also von Natur jedem anderen Thiere abhold. Dem Eskimohund z. B., der weiter kein Hausthier kennt, ist jedes andere Thier eine willkommene Beute, und als bei Hagenheck einst zwei Eskimohunde aus ihrem Gehege entwischt waren, rissen sie sofort eine Ziege im Hofe nieder. Da ist aber ebensowenig von gegenseitiger Feindschaft die Rede.

Dieses und ähnliches muß dem denkenden Thierbeobachter einfallen, wenn er die in unserem Bilde dargestellte Scene sieht. In der Freiheit sowohl wie in der Gefangenschaft sind sich Nashorn und Elefant in keiner Beziehung im Wege. Denn bei dem üppigen ununterbrochenen Pflanzenwuchs ihrer Heimath wächst ihnen ja sozusagen ihre Nahrung in das Maul und diese besteht bei der großen Verschiedenheit beider Thiere sicher auch aus verschiedenen Pflanzen. Ihre Feindschaft wäre Unsinn, und Unsinn giebt es in der Natur nicht.

Demgemäß verhalten sich denn nun auch die beiden gewaltigen Thiere im Hamburger Zoologischen Garten.

Es ist ein schöner warmer Morgen im Frühling. Schon zeitig sind Elefant und Nashorn aus ihren Ställen in ihr Gehege außerhalb derselben gelassen worden. Das Nashorn, „Begum“ genannt (indischer Name für Prinzessin), springt meist mit einigen wuchtigen Sätzen mitten in sein Gehege, ist aber nun auch für lange Zeit mit dieser großartigen Leistung zufrieden, bleibt halbe Stunden lang auf einer Stelle stehen, kaum daß es dazwischen hinein einige Schritte thut oder sich einmal für einige Zeit hinlegt.

Der Elefant hingegen, auf gut Deutsch „Anton" geheißen, ein Prachtthier seiner Art, mit Stoßzähnen von seltener Länge und gegenwärtig wohl der schönste Elefant in Europa, betritt mit würdigen Schritten sein Reich, überzeugt sich zunächst durch Umblick, daß alles in der gewohnten Ordnung ist, beginnt dann aber bald seinen Umlauf rings der Umzäunung entlang mit so elastischem, wenn auch immerhin wuchtigem Schritte, daß es eine Freude ist, ihm zuzusehen.

Ist nun zur erwähnten Zeit noch kein Publikum da, d. h. kein solches, welches das Interesse Antons durch Füttern in Anspruch nimmt, so setzt er seinen Spaziergang längere Zeit unverdrossen fort. Doch – da bemerkt er auf einmal, daß sein Herr Nachbar, den er natürlich längst im Nebengehege erblickt hat, der trennenden Schranke näher gekommen ist. „Guten Morgen, da bin ich,“ scheint dieser sagen zu wollen, und der herantretende Elefant, den die Stoßzähne und die Enge des Gitters hindern, den Rüssel zwischen den Stäben weit hindurch zu stecken, hebt das gewaltige Haupt über den oberen Gitterrand und streckt den Rüssel nach dem Kopfe des Nashorns aus. Mit würdevollem Ausdruck in Haltung und Augen läßt er sein gewaltiges Riech- und Greifwerkzeug in allen möglichen Windungen um den Kopf und besonders um das Maul des Nashorns spielen, fährt ihm einmal über die Augen oder über die Stelle, wo das Horn sitzen müßte; kurz, es ist ein offenbar freundschaftliches Liebkosen, welches Begum, wenn auch mit mäßigem Eifer, durch Lecken zu erwidern sucht. Der blöde dumme Ausdruck in dessen Augen im Gegensatz zu der Würde des Elefanten steigert dabei außerordentlich das Komische dieses Anblicks, so daß ich mich in der That dabei eines herzlichen Lachens nicht enthalten konnte.

Aber noch ein anderes höchst merkwürdiges Schauspiel führt Anton auf als Beweis seiner großen Klugheit. Es sind inzwischen Besucher gekommen, welche ihm etwas spenden wollen. Da ist natürlich sein Nachbar, das Nashorn, nicht mehr für ihn da. Weit streckt er den Rüssel nach der dargereichten Gabe vor, und ruft dabei ein Kind: „Kompliment!“, so nickt er wohl etwas mit dem Kopfe, aber sehr wenig, als wollte er gleichzeitig seine Geringschätzung solcher Belästigung ausdrücken. Jetzt aber reicht ihm jemand einen Nickelzehner oder -fünfer. Der Elefant erfaßt ihn, denn er weiß, dafür kann er sich etwas kaufen. Da sein Wärter im Stalle beschäftigt ist, so ruft er diesen sofort mit einem brüllenden Tone herbei, und sowie derselbe erscheint, hält er ihm den Nickel hin. Greift aber der Wärter danach, so zieht der Elefant sofort die Münze [749] in den Rüssel hinauf, und der Wärter weiß jetzt: erst die Ware, dann das Geld. So reicht er ihm denn aus den für solche Fälle immer mit Brot gefüllten Taschen einige würfelförmige Brotstücke, und kaum sind dieselben im Elefantenmaul, so hat der Elefant auch schon den Nickel aus dem Rüsselinneren hervorgestoßen und ihn als pünktlicher Zahler dem Wärter gereicht. Die größten Triumphe feiert Antons Schlauheit, wenn er mehrere Nickel, z. B. drei hintereinander erhält; denn dann bezahlt er sie dem Wärter nicht auf einmal für die erste Brotlieferung, sondern giebt erst den einen, dann nach wiederholtem Brotempfang den anderen und ebenso schließlich den dritten hin. Es ist dabei die geschäftliche Klugheit des Thieres ebenso erstaunlich wie die Fähigkeit des gewaltigen Rüssels zu solch willkürlicher „Handhabung“ winziger Geldstücke.

Kunstsinn hat Anton trotz seiner eigenen Schönheit leider nicht, denn als ich im vorigen Jahre in stiller Nachmittagsstunde eine Studie nach ihm fertigte, da bespritzte er mich aus seinem Rüssel so unausgesetzt und sicher treffend mit Geifer, daß eine große Selbstverleugnung dazu gehörte, auszuharren, und die Reinigung von den Flecken zuletzt eine recht mühsame Arbeit war.

Da Anton sich schon seit 1871 im Hamburger Zoologischen Garten befindet, so ist er natürlich in der Stadt allbekannt. Er ist ein Geschenk der Herren Diekmann, Barkhausen u. Comp. in Rangun in Hinterindien, stammt auch von dort, wo die männlichen Elefanten meist schöne Stoßzähne haben. Begum, das erwachsene, trotz seines Namens „Prinzessin“ männliche Nashorn, ist auch bereits 1870 von einem Londoner Thierhändler für 13 380 Mark erworben worden. Die Freundschaft der beiden besteht seit dem Beziehen des 1881 eröffneten neuen Elefantenhauses, wo sie seitdem ununterbrochen nebeneinander wohnen. Zur Entwicklung des Horns ist es leider bei dem sonst tadellosen Rhinoceros nicht gekommen, weil es die Stelle fortgesetzt an Balken, am Gitter u. dgl. reibt. Sonst hätte man an ihm vielleicht auch wie an den Exemplaren des Berliner Zoologischen Gartens die Beobachtung machen können, daß diese Nashornart mitunter das Horn abwirft und daß ihr dann ein neues wächst – eine bisher wohl unbekannte Thatsache. Heinrich Leutemann.