Grundzüge der vom Könige Friedrich den Ständen vorgelegten Verfassungsurkunde

Textdaten
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Autor: Friedrich I. (König von Württemberg)
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Titel: Grundzüge der vom Könige Friedrich den Ständen vorgelegten Verfassungsurkunde
Untertitel:
aus: Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren, Band 2, S. 220–227
Herausgeber: Karl Heinrich Ludwig Pölitz
Auflage:
Entstehungsdatum: 1815
Erscheinungsdatum: 1817
Verlag: F. A. Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig und Altenburg
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[220]
e) Grundzüge der vom Könige Friedrich den Ständen vorgelegten Verfassungsurkunde.

I. Die ständische Repräsentation des Königreiches besteht:

A) in Ansehung der Personen, aus denen sie zusammengesetzt wird:

1. aus Mitgliedern, welche für sich Sitz und Stimme haben:

a. aus den Inhabern der vier Erb-Kron-Aemter;

b. aus den Häuptern der vormals reichsunmittelbaren [221] fürstlichen und gräflichen Familien, auf deren im Reiche gelegenen Besitzungen Reichs- oder Kreistagsstimmen ruhten;

c. denjenigen im Königreiche begüterten Fürsten, Grafen und Edelleuten, welchen der König Sitz und Stimme verleiht;

d. dem Kanzler der Universität Tübingen, und dem ältesten General-Superintendenten;

e. den katholischen Bischöffen des Königreiches und einstweilen aus dem General-Vicar aus Ellwangen, Bischoff von Tempe, Fürsten von Hohenlohe, und dem an Dienstzeit ältesten katholischen Decan.

2. Aus gewählten Mitgliedern:

a. Alle nicht mit eigenen Stimmen begabte Gutsbesitzer im Königreiche, sie mögen aus dem Adel-, Bürger- oder Bauernstande seyn, die aus liegenden Gründen einen reinen Ertrag von 200 fl. beziehen und das 25ste Jahr erreicht haben, sind Wahlmänner, und wählen in jedem Oberamtsbezirke unter dem Präsidio des königlichen Oberamtmanns Einen Repräsentanten.

b. Die Städte, welche das Prädicat: „gute“ haben, ordnen jede Einen Deputirten zur Ständeversammlung ab.

1. Wahlfähig sind Alle, welche Unterthanen sind, und bürgerliche Rechte im Königreiche haben, weß Standes sie auch seyn mögen, und das dreißigste Jahr erreicht haben.

2. Auch königliche Diener, mit Ausnahme der als Geistliche oder Aerzte angestellten Individuen, in so fern ihre Dienstverhältnisse solches gestatten.

3. Die gewählten Mitglieder werden sich vor einer königlichen Commission, unter Zuziehung des Erbmarschalls und zweier Stände, welche Virilstimmen führen, legitimiren.

B) Versammlungen der Stände.

1. Die Stände versammeln sich nicht anders, als auf Einberufung des Königs, welcher an die Fürsten und Grafen unmittelbar ein Berufungsschreiben erläßt; die übrigen Repräsentanten werden durch Circularerlasse des Ministers des Innern einberufen; von diesem werden auch die Wahlen angeordnet.

[222] 2. Die Ständeversammlung wird vom König nothwendig aller drei Jahre, wenn nicht dringende Umstände eine Abänderung nöthig machen, auf den ersten Februar einberufen. Sie wird vom Könige entlassen, vertagt, oder auch ganz aufgelöst, so daß eine ganz neue Wahl der Deputirten Statt findet.

3. Keine Versammlung der Stände dauert über sechs Wochen.

4. Die gewählten Repräsentanten gehen aller drei Jahre zur Hälfte ab, und werden durch neue Wahlen ersetzt. Abgehende können wieder gewählt werden.

5. Jede Zusammenkunft der Stände ohne königliche Einberufung, jedes längere Zusammenseyn nach geschehener Entlassung oder Vertagung ist unerlaubt.

C) Innere Organisation und Geschäftsführung.

1. Präsident der Ständeversammlung ist der Erb-Reichs-Marschall. In seiner Abwesenheit, oder in sonstigen Verhinderungsfällen, vertritt der anwesende Aelteste aus dem fürstl. Hohenlohischen Hause seine Stelle.

2. Dem Präsidenten wird ein von der Ständeversammlung zu wählendes Mitglied, welches ein Rechtsgelehrter seyn muß, zur Assistenz beigegeben. Derselbe ist Vicepräsident, und im Falle des Abgangs wird ein anderer durch die Stände gewählt.

3. Die Secretaire werden durch die Ständeversammlung aus ihrer Mitte gewählt. Bei jeder Sitzung können neue gewählt, oder die vorigen bestätigt werden.

4. Das benöthigte Kanzleipersonal von einem Archivar, einem Registrator und drei Kanzellisten wird von der Ständeversammlung gewählt und aus der Staatscasse besoldet.

5. Die Sitzungskosten der Ständeversammlung, Reisekosten und Taggebühren der Einzelnen werden aus der Staatscasse bestritten.

6. Die ständischen Repräsentanten können, so lange sie als solche beisammen sind, nicht wegen Schulden, und wegen anderer Anschuldigungen, nur mit Wissen und Zustimmung der Ständeversammlung, verhaftet werden. Außer [223] der Zeit ihrer Versammlung sind sie, wie jeder Andere, den allgemeinen Gesetzen unterworfen.

7. Die Stände haben sich zunächst und vor allem mit den ihnen vom Könige mitgetheilten Anträgen zu beschäftigen, darüber sich zu berathen und abzustimmen, und die Resultate dem Könige vorzutragen. Ueber die weitern Gegenstände ihrer Beratschlagungen folgen unten nähere Bestimmungen.

8. Der König verspricht auf jeden Vortrag der Stände eine Entschließung zu geben.

9. Den Ministern ist der Zutritt zu der Ständeversammlung zu jeder Zeit zugestanden. Wenn sie Vorträge an die Versammlung zu machen haben, benachrichtigen sie Tags zuvor den Präsidenten, damit sie, mit Beseitigung anderer Geschäfte, von der Ständeversammlung angehört werden.

10. Den Ministern steht frei, zu ihren Vorträgen einen oder zwei Staatsräthe in die Versammlung mitzunehmen.

11. Der Ständeversammlung steht frei, zu Vorbereitung der Geschäfte Commissionen aus ihrer Mitte zu ernennen, welche über die betreffenden Angelegenheiten mit den Ministern communiciren können.

12. Diejenigen Fürsten und Grafen, welche beständig außer dem Reiche wohnen und Virilstimmen haben, übertragen die Führung derselben einem andern, im Reiche wohnenden Fürsten oder Grafen, der sie sodann, ohne Rücksicht auf Instructionen des Uebertragenden, nach seiner eigenen Ueberzeugung abgiebt.

13. Auch andere Mitglieder vom Adelstande, die Virilstimmen haben, können diese durch ein Mitglied ihrer Familie oder einen andern Ebenbürtigen vertreten lassen.

14. Jedoch kann ein mit einer Virilstimmme begabtes ständisches Mitglied, außer seiner eigenen, nie mehr als zwei Stimmen übernehmen.

15. Die gewählten Mitglieder der Ständeversammlung geben ihre Stimmen nach eigner bester Einsicht und Ueberzeugung.

16. Bei der Abstimmung in der Ständeversammlung macht Stimmenmehrheit den Beschluß.

[224]
D) Ausschußversammlung.

In den Jahren, in welchen keine Ständeversammlung einberufen wird, versammelt sich unter dem Präsidio des Erb-Reichs-Marschalls, oder dessen Stellvertreters, ohne weitere Einberufung am ersten Februar ein, von der Ständeversammlung aus ihrer Mitte auf drei Jahre gewählter, Ausschuß von zwölf Mitgliedern auf vier Wochen zu Erledigung der Angelegenheiten, die keinen Aufschub gestatten. Doch kann dieser Ausschuß weder in eine Erhöhung der Abgaben, noch in eine Umänderung der Gesetzgebung willigen, welche beide Gegenstände ausschließend der allgemeinen Ständeversammlung sind. Beschwerden und Wünsche können aber von demselben, wie weiter unten bestimmt wird, an den König gebracht werden.

II. Die Gerechtsame der ständischen Repräsentation in Ansehung der Gegenstände der Staatsverwaltung beziehen sich

A) Auf die Mitwirkung zu der Besteuerung.

1. Ohne ihre ausdrückliche Bewilligung können die für jetzt bestehenden Steuern, directe und indirecte Staatsabgaben, welche für die Regierungszeit des jetzigen Königs als Grundlagen bleiben, nicht erhöht – und selbst in Kriegszeiten keine neuen Steuern, weder directe noch indirecte Abgaben, eingeführt werden.

2. Wenn eine Erhöhung der Abgaben nothwendig, oder überhaupt eine wesentliche Veränderung derselben räthlich wird; so muß solche durch den Finanzminister in Antrag gebracht und in der Ständeversammlung darüber abgestimmt werden.

3. Jedes Jahr wird der Ständeversammlung oder dem Ausschusse die Berechnung der Einnahmen und die Verwendung der directen und indirecten Steuern vorgelegt.

4. Wegen Bestimmung einer Civilliste für den König werden weitere Verhandlungen Statt finden.

5. Beim Antritt der Regierung eines neuen Königs wird die Ständeversammlung einberufen, und sowohl wegen der Steuern als der [225] Civilliste, wenn eine Statt findet, eine neue Verhandlung gepflogen.

B) Die Mitwirkung der Stände zur Gesetzgebung.

1. Die Initiative zu neuen Gesetzen kommt dem Könige zu. Die Stände haben darüber zu berathschlagen und abzustimmen; ohne ihre Zustimmung erhält kein neues, die persönliche Freiheit und das Eigenthum oder die Verfassung betreffendes, allgemeines Gesetz die königliche Sanction und kann nicht promulgirt werden.

2. Es ist jedoch den Ständen gestattet, Gesetzesvorschläge als Wünsche dem Könige vorzutragen, und solche, im Falle einer abschlägigen Antwort, bis auf dreimal in den künftigen Versammlungen zu wiederhohlen.

3. Nach der dritten abschlägigen Antwort des Königs, welche motivirt seyn muß, können die Stände, in Hinsicht auf die Motive, neue Vorstellungen machen.

C) Die Stände haben das Petitionsrecht, und können in dieser Gemäßheit allgemeine Wünsche, Vorstellungen und Beschwerden dem Könige vorlegen.

Die von einzelnen Unterthanen an sie gebrachten Beschwerden dürfen von ihnen nicht anders angeommen werden, als wenn bescheinigter maßen die königlichen Justizstellen und andere königliche Behörden sich geweigert haben, sie anzunehmen; in welchem Falle sie von den Ständen als Beschwerden bei dem Könige angebracht werden können.

D) Wenn die Stände einen königl. Staatsbeamten anzuklagen im Falle zu seyn glauben; so haben sie dies dem Könige unter Anführung bestimmter Beschuldigungen anzuzeigen, und die Anordnung einer Untersuchung zu verlangen.

1. Auf die von dem Könige nie zu versagende Bewilligung wird im Falle des Hochverraths und der Concussion über den Staatsbeamten von einem eigenen ständischen Gerichte das Urtheil gesprochen; in Ansehung dessen sich der [226] König das Milderungs- und Begnadigungsrecht vorbehält.

2. Das Gericht besteht unter dem Präsidio des Justizministers aus vier ständischen Mitgliedern des Adels, welche Virilstimmen haben, und sechs der Landesdeputirten, welche die Ständeversammlung zum Voraus und auf die Dauer einer Ständeversammlung bleibend ernennt.

3. In andern Fällen wird die Untersuchung und Bestrafung in dem ordentlichen Rechtswege eingeleitet.

III. Bestimmungen in Ansehung allgemeiner Rechte und Verbindlichkeiten der Unterthanen.

A) Alle Unterthanen sind vor dem Gesetze gleich. Sie haben zu allen Stellen Zutritt. Kein Stand oder Geburt, und keines der drei christlichen Religionsbekenntnisse, des Evangelisch-Lutherischen, Reformirten und Katholischen, schließt davon aus.

B) Zu den öffentlichen Lasten und Abgaben haben, nach den bereits bestehenden Gesetzen, Alle verhältnißmäßig beizutragen.

C) Alle Landeseinwohner haben die Verpflichtung, für das Vaterland die Waffen zu tragen. Die Art der Dienstleistung im regulirten Militair oder in der Landmiliz wird durch das Gesetz bestimmt.

Die vormals unmittelbaren Fürsten und Grafen, die auf Reichs- und Kreistagen Stimmen hatten, bleiben im Besitze der ihnen deshalb verwilligten Freiheit. Zu Regulirung dieser Dienstleistungspflicht werden der niedergesetzten Commission zwei Mitglieder vom Militair beigegeben werden.

D) Jeder Unterthan hat, wenn er nicht conscriptionspflichtig, oder, wenn er von der Militairaushebung befreit ist, oder ausgedient hat, das Recht, seinen Wohnsitz außer dem Reiche zu nehmen; nur muß er seinen Vorsatz ein Jahr zuvor anzeigen, und für sich und seine Kinder auf das Unterthanen- und Bürgerrecht Verzicht leisten, auch die gesetzlichen Abzugsgebühren und sonstigen Verbindlichkeiten erfüllen.

[227] E) Kein Unterthan kann verhaftet werden, als in Gemäßheit des Gesetzes. Kein Verhafteter darf länger als drei Tage unverhört bleiben. Die Minister oder Beamten sind für jede von ihnen veranstaltete unbefugte oder ungesetzmäßige Verhaftung verantwortlich.

F) Kein Unterthan kann, ausgenommen in Fällen des Hochverraths gegen die Person des Königs und den Staat, seinem ordentlichen Richter entzogen – und durch eine außergerichtliche Commission gerichtet werden.

G) Von einer Justizstelle kann keiner ohne Urtheil und Recht mit Nachtheil entfernt werden.

IV. Allgemeine Bestimmungen.

1. Beim Antritt der Regierung eines neuen Königs wird obbemeldtermaßen eine Ständeversammlung berufen. Der Huldigungseid wird dem Könige erst dann abgelegt, wenn derselbe die Verfassung, so wie sie durch die Urkunde bestimmt worden, beschworen hat.

2. Alle Staatsschulden sind auf den Staat garantirt, und Interessen und Capital als erste und heiligste Schuldigkeit des Königreiches versichert.

3. Es werden gewisse sichere Einkünfte der Staatskasse zu Abtragung der Interessen und Capitalien bestimmt, und dürfen dieselben unter keinerlei Vorwand zu irgend einer andern Bestimmung verwendet werden.