Textdaten
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Titel: Griechische Ehen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 603
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[603] Griechische Ehen. Der französische Arzt Weynard macht uns in seiner unterhaltenden Beschreibung einer Fahrt von Marseille nach Sebastopol mit folgendem Original bekannt:

„Einer der Dalmatier oder, genauer, Ragusaner, die auf unserem Dampfschiffe dienten, ein schöner junger Mann von herkulischer Gestalt, erhielt am Piräus, dem Hafen von Athen, Erlaubniß, an das Land zu gehen. Diese Vergünstigung, welche allen seinen, mit dem Ausladen der Güter, Einnehmen von Kohlen u. s. w. beschäftigten Kameraden verweigert wurde, hatte er seiner Eigenschaft als Gatte und Vater zu danken. In der That wäre es auch allzuhart von dem Kapitain gewesen, wenn er diesen armen, von Wind und Wetter umhergetriebenen Ehemann jetzt, wo ein glücklicher Ungefähr ihn in die Nähe seiner Lieben brachte, erbarmungslos hätte am Bord halten wollen. Jubelnd eilte der schmucke Ragusaner einem weißen Häuschen zu, das er uns bereits auf den Höhen als das seine bezeichnet hatte. Vielleicht sollte er Frau und Kind zum letzten Male umarmen! Als ich von meinem kurzen Ausfluge nach Athen zurückkehrte, fand ich ihn am Strande, auf das Boot wartend, das uns auf das Schiff bringen sollte. Er war jedoch nicht mehr allein. In Gesellschaft eines auffallend schönen jungen Weibes lehnte er an der Laffette einer alten Kanone. Ein munterer kleiner brauner Junge saß auf seinem rechten Arme und mit dem linken hielt er seine Frau umschlungen, die bitterlich weinte, während er mit vorgebeugtem Haupte ihr süße Trostesworte zuflüsterte. Es währte nicht lange, so kam unser Boot, und ich setzte mich ein, ohne es zu wagen, den traurigen Abschied des armen Matrosen zu unterbrechen, der in seinem Schmerz nicht nur unser Schiff, sondern die ganze Welt vergessen zu haben schien. Der Bootsmann jedoch, ungeduldig über den Aufenthalt, mahnte ihn etwas rauh an seine Pflicht. Er mußte gehorchen und wir stießen vom Lande, während das junge Weib, vom Schluchzen schier erstickend, rettungslos am Ufer stehen blieb. Das Kind an die Brust gedrückt, verfolgte sie uns mit den Augen, bis wir hinter den Fahrzeugen auf der Rhede verschwanden. Es verletzte mich etwas, als ich aus meiner Runde am selben Abend den Ragusaner mitten unter den Sorglosesten und Lustigsten des Vorderkastells traf. – Ich hatte den Vorfall bereits vergessen, als sich zwei Tage darauf bei unserer Ankunft in Constantinopel derselbe Ragusaner vor dem Offizier der Wache präsentirte, mit der Bitte, landen zu dürfen. – „Und wozu?“ frug der Lieutenant. – „Um meine Frau und Kinder zu umarmen.“ – „Ei, sieh doch! Die Frau Gemahlin sind ja in Piräus.“ – „Verzeihen Sie gütigst, sie ist in Galata.“ – „Nun, dann laß sie nur dort. Unverschämtheit! Ich verbiete dir, das Schiff zu verlassen.“ – Der Matrose ging ohne Murren wieder an seine Arbeit, und ich lachte mit dem Offizier über die plumpe Lüge. Zwei Stunden nach dem mißlungenen Versuche kehrte nichtsdestoweniger der Ragusaner zum Angriff zurück. Er wiederholte seine Bitte. Er wünsche seine Frau und Kinder zu sehen, und zum Beweis der Wahrheit seiner Aussage berief er sich auf das Zeugniß eines Commis unseren Schiffsagenten, der soeben an Bord gekommen war. Der Commis bestätigte auch, daß er eine Frau mit 3 oder 4 Kindern in Galata habe. – „Aber sind Sie auch gewiß,“ frug der Lieutenant, „daß sich dieses Weib und diese Kinder gegenwärtig in Galata befinden? Es sind ja noch nicht 3 Tage her, daß er in Piräus die Pflichten eines Familienvaters erfüllte.“ – „Nun, so hat er eben dieselben Pflichten auch hier zu erfüllen,“ erwiederte der Commis, „denn erst vor 5 Minuten sah ich seine Frau. Sie weiß, daß Ragusaner auf unserem Schiffe dienen und bat mich, wenn ihr Mann am Bord sei, ihm die Erlaubniß zum Landen auszuwirken. Da ist er, ich kenne ihn. Er sprach die Wahrheit, und ich bitte Sie, den armen Teufel gehen zu lassen.“ – „Nun, der Merkwürdigkeit halber will ich es gerne gewähren. Ich wußte wohl, daß hier zu Lande die Vielweiberei üblich sei, aber nicht, daß sie in dieser Weise getrieben wird.“ – Der triumphirende Ragusaner ging, eine zweite Reihe seiner Gatten- und Vaterpflichten zu erfüllen. Der Zufall wollte diesmal nicht, daß ich seine Frau No. 2 zu sehen bekäme, allein ich verlor nichts beim Warten. Wir trafen gegen zwei Uhr nach Mittag vor Varna ein. Unser Bigamist präsentirte sich abermals vor dem Wacht-Offizier mit dem alten Gesuch von Piräus und von Stambul. – „Was! Du bist auch hier verheirathet, zum dritten Male?“ – „Ja, Herr Lieutenant, wenn Sie erlauben.“ – „Na, Glück auf mein hübscher Bursche!“ – Und der Sultan des Vorderkastells zog zum dritten Male mit fliegenden Fahnen aus. Diese Art von Verbindungen sind im Mittelmeere als „Griechische Ehen“ bekannt und nicht ungewöhnlich. Sie gelten zwar nicht als gesetzlich, allein die Religiosität der griechischen Mädchen verlangt es doch von ihren Matrosenliebhabern, daß sie sich bei einer ordnungsmäßigen Trauung mit ihnen hinter dem Brautpaare in die Kirche stehlen, wo sie dann die am Altare vorgehende religiöse Ceremonie auf ihr eigenen Verhältniß beziehen.