Grete Beier, Tochter des Bürgermeisters Beier zu Brand, wegen Ermordung ihres Bräutigams vor dem Schwurgericht zu Freiberg i. Sa.
Wer länger als ein Menschenalter fast täglich genötigt ist, sich in beruflicher Eigenschaft in den Gerichtssälen zu bewegen und auch die Stätten zu betreten, auf denen der Scharfrichter seines grauenvollen Amtes waltet, der wird naturgemäß etwas abgestumpft. Allein wenn eine junge Dame, die zu den gebildeten Kreisen gehört, eine Dame der Gesellschaft, die jugendliche Tochter eines Bürgermeisters auf die Anklagebank geführt wird, unter der Beschuldigung, ein Verbrechen begangen zu haben, wie es entsetzlicher nicht gedacht werden kann, dann ergreift auch den abgestumpftesten und gleichgültigsten Gerichtsberichterstatter ein heftiges Schaudern. Der Fall „Grete Beier“ wirft auf die Sittenzustände im Anfange des zwanzigsten Jahrhunderts ein um so traurigeres Schlaglicht, da nicht nur das Töchterlein eines Bürgermeisters, sondern auch der Bürgermeister selbst, der durch das Vertrauen seiner Mitbürger zum Oberhaupt der Stadt berufen worden war, der eidlich gelobt hatte, das Wohl der Stadt zu fördern und für die öffentliche Sicherheit Sorge zu tragen, sich nebst seiner Gattin der ärgsten Verbrechen schuldig gemacht hatte. Eine Bürgermeistersfamilie im Herzen Deutschlands, eine Verbrecherfamilie, fürwahr ein Kulturbild, das Abscheu und Entsetzen erregen muß. An einem Knotenpunkt der sächsischen Staatsbahn, in der Nähe der sächsischen Kreisstadt Freiberg, liegt die kleine Bergstadt Brand. Der Bürgermeister dieses Städtchens erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. Er hatte viel für die Stadt getan. Unter seiner Amtsführung wurde eine Anzahl Einrichtungen geschaffen, die für die gesundheitlichen und Sauberkeitsverhältnisse ungemein fördersam waren. Die wirtschaftlichen Verhältnisse nahmen während der Amtsführung Beiers einen großen Aufschwung. Allein eines Tages verbreitete sich das Gerücht: Der Bürgermeister und Chef der Polizei stehe mit mehreren Frauen in ehebrecherischem Verkehr. Der Bürgermeister konnte diese Beschuldigung nicht auf sich sitzen lassen. Er stellte gegen die Verbreiterin dieses Gerüchts Strafantrag wegen Beleidigung. Da er in der Verhandlung vor dem Schöffengericht die Beschuldigung unter seinem Eide in Abrede stellte, so wurde die Angeklagte verurteilt. In der Berufungsverhandlung äußerte der Staatsanwalt: Er habe auf Grund von Erhebungen die Überzeugung gewonnen, daß Bürgermeister Beier in der ersten Instanz einen Meineid geschworen habe, er beantrage daher die Freisprechung der Angeklagten. Der Gerichtshof erkannte dementsprechend und schloß sich in der Urteilsbegründung der Auffassung des Staatsanwalts an. Bürgermeister Beier war eine Woche vor der Berufungsverhandlung gestorben. Er wäre andernfalls verhaftet und die Anklage wegen wissentlichen Meineids gegen ihn erhoben worden. Beier hinterließ ein Vermögen von 60000 Mark. Es entstand sogleich der Verdacht, Beier habe den früheren Armenhausverwalter Kröner, einen entfernten alten Verwandten, der seine letzten Lebensjahre bei ihm zugebracht hatte, arg bestohlen, zumal bekannt war, daß die Vermögensverhältnisse des Bürgermeisters nicht günstig waren. Es tauchte auch der Verdacht auf, Beier habe zugunsten seiner Tochter eine Testamentsfälschung begangen. Frau Bürgermeister Beier wurde im Februar 1908 wegen versuchter Verleitung zum Meineid zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. – Die Bürgermeisterstochter Grete Beier war eine auffallende Schönheit. „Bürgermeisters“ zählten naturgemäß zu den Honoratioren der Stadt. Es war daher erklärlich, daß das liebreizende Mädchen zahlreiche Anbeter hatte. Daß bei allen Festlichkeiten der Bürgermeisterstochter von den Söhnen der besseren Bürgerschaft der Hof gemacht wurde, war selbstverständlich. Die träumerischen Augen des entzückend schönen, dunkelblonden, mittelgroßen, körperlich sehr entwickelten Mädchens ließen es nicht ahnen, daß diese junge Dame eine geradezu grausame Verbrecherin werden könnte, die ihr jugendliches Leben auf dem Schafott beenden werde. Sie hatte in sehr jungen Jahren intimen Verkehr mit ihren zahlreichen Verehrern unterhalten. Eine ganz besondere Zuneigung schien sie zu dem Handlungsgehilfen Hans Merker gehabt zu haben. Um die Folgen dieses Verkehrs zu beseitigen, hatte sie sich wiederholt gegen die Bestimmungen des § 218 des StGB. vergangen. Inzwischen hatte sie in Chemnitz einen hübschen, äußerst stattlichen Mann von vierunddreißig Jahren, den Oberingenieur Kurt Preßler, kennen gelernt. Preßler war verheiratet, lebte aber von seiner Frau getrennt. Er betrieb die Scheidungsklage. Die schöne Bürgermeisterstochter, die er in Chemnitz auf einer Festlichkeit kennen gelernt, hatte es ihm angetan. Er näherte sich ihr und erklärte: Er sei bereit, sich mit ihr zu verloben. Sobald er von seiner Frau geschieden sein werde – das dürfte in wenigen Monaten bestimmt der Fall sein – werde er sie heiraten. Grete Beier erklärte sich damit einverstanden, zumal sie in Erfahrung gebracht hatte, daß Preßler ein großes Vermögen besitze. Die Liebe zu Preßler schien aber nicht groß gewesen zu sein, denn während ihrer Verlobungszeit stand sie mit Merker fortgesetzt in intimstem Verkehr. Sie brachte viele Nächte bei ihm zu. Gleichzeitig versicherte sie ihren Bräutigam Preßler, daß er allein ihr Herz besitze. Am 13. Mai 1907 kam Grete Beier zu ihrem Bräutigam Preßler, der in Chemnitz bereits eine Wohnung gemietet hatte, um seine angebetete Braut heimführen zu können, aufs Zimmer. Preßler lag gerade auf der Chaiselongue und war in heiterster Laune. Er freute sich, als er das anmutige Mädchen sah. Grete trat an die Chaiselongue und bedeckte den Mund Preßlers mit einer Flut heißester Küsse. „Nur dich allein liebe ich, nur dir allein will ich angehören“, beteuerte die schöne Grete. Preßler zog „Gretchen“ zu sich hinüber. „Wie gern küsse ich dies Rosenmündchen“, seufzte er. Grete Beier: „Damit du, heißgeliebter Kurt, auch siehst, daß ich dir von ganzem Herzen zugetan bin, habe ich dir etwas Schönes vom Jahrmarkt mitgebracht. Erst wollen wir aber Kaffee trinken.“ Nach dem Kaffee lud Preßler „sein herziges Gretchen“ ein, mit ihm ein Gläschen Eierkognak zu trinken. „Gretchen“ lehnte ab. „Dann gieße mir wenigstens ein Gläschen ein, es wird mir um so besser schmecken,“ sagte Preßler. Das will ich gern tun, versetzte „Gretchen“ mit süßem Lächeln. „Gretchen“ goß den Eierkognak in ein Gläschen und ließ unbemerkt ein Stückchen Zyankali in das Glas gleiten. Preßler sagte: „Auf dein Wohl, mein herziges, heißgeliebtes Kind“, und leerte das Glas mit einem Zuge. In demselben Augenblick sank Preßler um, er gab keinen Laut mehr von sich. Grete Beier wollte aber „ganze“ Arbeit machen. Sie zog daher eiligst einen geladenen Revolver aus ihrem Busen. Der Augenblick war günstig. Preßler lag, heftig röchelnd, mit geöffnetem Munde auf der Chaiselongue. Das dämonische Weib steckte ihrem Opfer den Revolver in den Mund und drückte ab. Das Gehirn spritzte weit im Zimmer umher, ein heftiger Blutstrom ergoß sich aus dem zerschmetterten Kopfe Preßlers. Die verruchte Mörderin war reichlich mit Blut besudelt. Sie vermied es aber, sich vom Blut zu reinigen. Eiligst verließ sie die Stätte ihres infamen Verbrechens. Die gebrochenen Augen ihres ermordeten Bräutigams grinsten unheimlich, als wollten sie sie anklagen. Der Abend begann bereits zu dämmern, das Mordzimmer lag im Halbdunkel. Von einer benachbarten Kirche ertönte das Abendgeläut. Ein heftiger Schauer überfiel sie. Die Mörderin lief, so schnell sie es vermochte, zum Bahnhof, um mit dem nächsten Zuge nach Freiberg zu fahren. Die Menschen, die ihr auf der Straße begegneten, ahnten selbstverständlich nicht, daß die feingekleidete, hübsche, junge Dame eine grausame Mörderin war. Mit Blut besudelt‚ langte des Bürgermeisters Töchterlein in Freiberg an. Sie begab sich in eine Gesellschaft, wo viel gelacht, gegessen und getrunken, musiziert und getanzt wurde. Niemand merkte der liebreizenden Bürgermeisterstochter auch nur das geringste an. Gretchen war ungemein heiter und seelenvergnügt. Sie erzählte ihren Freundinnen: Ihr Bräutigam freue sich, daß er sie sehr bald werde als Gattin heimführen können, er habe bereits eine sehr hübsche Wohnung gemietet. „Ich bin alsdann Frau Oberingenieur“, rief sie freudig aus. – Kehren wir nun an die Stätte des Verbrechens zurück. Etwa eine Stunde nach der grausigen Tat trat der Bruder des so jäh Ermordeten‚ Gerichtsreferendar Karl Preßler, in das Mordzimmer. Entsetzt wich er zurück, als er seinen Bruder als Leiche auf der Chaiselongue liegen sah. Referendar Preßler war sofort der Überzeugung, sein Bruder habe Selbstmord begangen. Der Revolver lag neben der Leiche. Einen Schuß hatte er sich in den Mund gegeben. So handelt nur ein Selbstmörder. Auf dem Tisch lag ein Brief, der zweifellos von seinem Bruder geschrieben war. In diesem Briefe bat er den Bruder um Verzeihung, daß er ihm das Schreckliche angetan habe, er war aber genötigt, aus dem Leben zu scheiden. Er bitte ihn, seine Braut und alle Angehörigen zu trösten. Auch die polizeiärztliche Untersuchungskommission gewann nach eingehender Prüfung die Überzeugung, daß Preßler Hand an sich gelegt habe. Die Leiche wurde deshalb in das Krematorium für Selbstmörder geschafft und dort eingeäschert. Inzwischen fand man im Nachlaß des Entseelten ein Testament, in dem Grete Beier zur Universalerbin eingesetzt war. Diese Entdeckung, sowie das Verhalten der Grete machte den Referendar Preßler etwas stutzig. Er ließ den erwähnten Brief und das Testament durch Schreibsachverständige prüfen. Letztere gelangten zu der Überzeugung, daß beides gefälscht war. Referendar Preßler erstattete sogleich Anzeige. Grete Beier, die sich bereits seit einiger Zeit wegen Unterschlagung eines Sparkassenbuchs in Untersuchungshaft befand, gestand nach anfänglichem Leugnen, daß sie den Brief und das Testament gefälscht und alsdann Preßler ermordet habe. Sie gestand auch, daß sie lange vor dem Morde eine Brander Botenfrau beauftragt hatte, ihr in einer Freiberger Waffenhandlung einen Revolver mit scharfen Patronen zu kaufen. Der Waffenhändler hatte aber die Verabfolgung des Revolvers abgelehnt, weil die Botenfrau keine Bescheinigung hatte. Am folgenden Tage kam die Botenfrau mit einer von Grete Beier ausgestellten Bescheinigung, darauf erhielt sie den Revolver. Der Waffenhändler gab aber nur Platzpatronen und machte dem Bürgermeister Beier von dem Waffenkauf seiner Tochter telephonische Mitteilung. Der Bürgermeister nahm darauf seiner Tochter den Revolver ab und brachte ihn nach einigen Tagen dem Waffenhändler zurück. Es gelang alsdann der Bürgermeisterstochter, sich einen Revolver mit scharfen Patronen zu beschaffen, den die Brander Polizeibehörde mit Beschlag belegt hatte, da der Besitzer des Revolvers den Versuch gemacht hatte, sich zu erschießen. Mit diesem Revolver hatte Grete Beier ihren Bräutigam, den Oberingenieur Preßler, erschossen. – Am 4. Juni 1908 wurden Grete Beier und Hebamme Kunze von der Strafkammer zu Freiberg in nichtöffentlicher Sitzung wegen Abtreibung, im Sinne des § 218 des StGB., unter Zubilligung mildernder Umstände, zu je einem Jahre Gefängnis, verurteilt. Am folgenden Tage, den 5. Juni 1908, hatte sich Grete Beier vor demselben Gerichtshof in öffentlicher Sitzung wegen versuchter Anstiftung zum Morde, Testamentsfälschung, schweren Diebstahls und schwerer Urkundenfälschung zu verantworten. Mit ihr waren angeklagt Hebamme Kunze wegen Beihilfe zum Diebstahl und Begünstigung und Handlungsgehilfe Hans Merker wegen Hehlerei. Letzterer, damals 27 Jahre alt, machte einen sehr unsympathischen Eindruck. Er verbüßte zurzeit wegen Unterschlagung eine zweijährige Gefängnisstrafe. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Dr. Rudert. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Mannel. Die Verteidigung hatten die Rechtsanwälte Dr. Knoll (Dresden) und Vollhering (Freiberg) übernommen. Grete Beier wurde beschuldigt, aus einer verschlossenen Kassette, die dem Armenhausverwalter Kröner gehörte, 300 Mark bares Geld und ein Sparkassenbuch über 4234 Mark genommen zu haben. Mit diesem Sparkassenbuch war sie auf die Freiberger Bank gegangen, hatte sich als Erna geborene Kröner ausgegeben und das Geld abgehoben. Sie hatte außerdem aus der Untersuchungshaft heraus an Merker einen Brief geschrieben, in dem sie ihn aufforderte, eine Frau Schlegel, die von ihrem Diebstahl wußte, zu ermorden. – Grete Beier bestritt nur die Testamentsfälschung, alles andere gab sie zu. – Vors.: Wissen Sie, wer das Testament gefälscht hat? – Angekl.: Jawohl, ich weiß es, ich kann aber die Person nicht nennen. – Die Angeklagte Kunze gab die ihr zur Last gelegten Straftaten zu. – Angeklagter Merker: Ich habe nicht gewußt, daß das Geld, das ich von Grete erhielt, auf unrechtmäßige Weise erworben war. – Vors.: Was machten Sie mit dem vielen Gelde? Es wird behauptet, Sie haben es in Gesellschaft lüderlicher Frauenzimmer durchgebracht? – Angekl.: Das ist eine Lüge. – Vors.: Sie scheinen einen ungünstigen Einfluß auf Grete Beier ausgeübt zu haben. Sie haben sie in ihrem Lügengewebe aufs tatkräftigste unterstützt. Wissen Sie, woher Grete das viele Geld hatte. – Angekl.: Sie sagte immer, sie hätte einen ihrer Onkels einen Tag vor dessen Tode besucht und da habe dieser ihr das Sparkassenbuch und eine größere Summe geschenkt. – Vors.: Sie mußten doch aber aus allen Umständen entnehmen, daß das Geld unrechtmäßig erworben war. Die Beier schrieb Ihnen wiederholt, Sie sollten niemandem sagen, daß Sie Geld erhalten haben. – Angekl.: Ich verstand darunter, daß wir Konflikte mit den Eltern vermeiden sollten. Die Beier schrieb mir eines Tages, sie hätte jeden Muskel und jeden Nerv angespannt, daher das Geld. Ich wußte nicht, was ich mir darunter vorstellen sollte. Später erfuhr ich, daß sie den Brief geschrieben, nachdem sie ihren Bräutigam Preßler erschossen hatte. – Vors.: Hat Grete Beier aus der Untersuchungshaft viele Kassiber an Sie geschrieben? – Angekl.: Nur den einen, in dem sie mich zum Morde anstiften wollte. Der Brief begann mit den Worten: „Hans, ich habe Dich von Preßler befreit. Ich habe Dich gerächt. Er hat es gewagt, Dich zu schmähen. Jetzt mußt Du mir aber noch helfen. Das kannst Du nur dadurch tun, daß Du Frau Schlegel und ihre Tochter umbringst. Das geht am besten auf folgende Weise: Du nimmst sie in Narkose und erschießt sie dann. Aber Du mußt schlau zu Werke gehen. Du mußt Dir das Haar schwarz färben lassen und einen Anzug anziehen, daß Du von niemandem erkannt wirst. Wenn Du das tust, bin ich gerettet, wenn nicht, sehen wir uns nicht wieder. Bis Freitag möchte ich Bescheid haben.“ Ich sollte dann, wenn ich zu der Tat bereit sei, einen Brief an sie schreiben mit den Schlußworten: „Dein Dich liebender Hans.“ Wenn ich die Tat nicht begehen würde, sollte ich den Brief schließen nur mit den Worten: „Dein Hans.“ Sie schrieb in dem Briefe auch noch: Wenn ich es nicht tun sollte, dann solle ich mir am Sonntag den schwarzen Rock vorsuchen und wenn die Kirchenglocken läuten, solle ich an sie denken; denn sie würde dann nicht mehr unter den Lebenden weilen. – Vors.: Wer hat Ihnen den Zettel gegeben? – Angekl.: Frau Beier. Sie sagte, das ist ja verrückt. – Vors. (zur Angekl. Beier): Haben Sie den Brief geschrieben? – Angekl. Beier: Ja, ich war damals furchtbar aufgeregt. Es war kurz nach der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter. Der Untersuchungsrichter schien meinen Angaben nicht zu glauben. Die Tat hatte ich noch nicht gestanden. Da mein Vater noch lebte, wollte ich ihm diesen Schmerz nicht antun. Deshalb schrieb ich den Brief. Ich habe aber nicht geschrieben, daß Merker die Tochter der Frau Schlegel umbringen sollte. Ich habe lediglich geschrieben, er solle sehr vorsichtig zu Werke gehen und die Sache so machen, daß er die Tochter nicht treffe. Von Erschießen habe ich nichts geschrieben. Ich habe allerdings den Brief sehr phantastisch angelegt. Ich muß verrückt gewesen sein, als ich das geschrieben habe. – Vors.: Der Zettel war in eine Bluse eingenäht, Sie sind also sehr vorsichtig zu Werke gegangen. Sie bleiben dabei, daß Merker vollständig im klaren war, daß Sie das Geld auf unrechtmäßige Weise erworben hatten? – Angekl.: Natürlich, ich gab ihm doch das Geld heimlich und riet ihm dringend, vorsichtig zu sein, damit niemand etwas merke. – Vors.: Weshalb gaben Sie ihm überhaupt Geld? – Angekl.: Ich mußte es ja tun, ich mußte sein Schweigen erkaufen. Er drohte fortwährend, daß er die Abtreibung Preßler mitteilen würde. – Es gelangte alsdann eine Reihe Briefe, die Grete Beier an Merker geschrieben hatte, zur Verlesung. – Vors.: Es ist auffällig, Merker, daß Sie niemandem sagten, von wem Sie das Geld hatten. Wenn Sie damals mit der Beier verlobt waren, konnten Sie doch ruhig sagen, Sie haben von Ihrer Verlobten Geld bekommen? – Angekl.: Das wäre mir peinlich gewesen. – Vors.: Statt dessen machten Sie bei der ersten Vernehmung vor dem Kriminalkommissar Fegenbrecht allerlei falsche Angaben. – Angekl.: Ich werde doch das Mädchen, das ich so sehr liebte, nicht gleich hineinreiten. Ich sagte deshalb zunächst die Unwahrheit. – Grete Beier: Merker wußte alles ganz genau. Wir hatten vereinbart, er solle sagen, er habe das Geld durch Grundstücksspekulationen erworben. – Vors.: Merker gab früher einmal an, der Vater Beier habe ihn zum Morde verleiten wollen. – Angekl. Merker: Als ich den Vater Beier einmal in Dresden im Krankenhause kurz vor seinem Ende besuchte, forderte er mich mit lallenden Worten auf, eine Frau Flade aus dem Wege zu räumen. Weshalb, sagte er mir nicht. Er sagte, ich solle sie ins Freie locken und dann töten. – Vert. R.-A. Dr. Knoll: Vielleicht war der Alte im Fieber? – Angekl.: Das ist möglich. Ich möchte übrigens hierbei betonen, daß der Kassiber, in dem Grete Beier mich zum Morde aufforderte, mit zitternder Hand geschrieben war. – Vors.: Ich komme nochmals auf das gefälschte Testament zu sprechen. (Zur Angekl. Beier): Den Fälscher kennen wir nicht, er muß aber im engen Kreise Ihrer Familie gesucht werden. Auf Ihre Aussage hin würde niemand verurteilt werden. Ihr Vater ist tot, wenn er es gewesen ist, können Sie es also sagen. – Angekl. Beier: Ich gebe darüber keine Auskunft. – Vors.: Wer hat das gefälschte Testament in die Kassette getan? –[WS 1] Angekl.: Ich habe es nicht getan. – Vors.: War es der Fälscher? – Angekl.: Ja, der Fälscher und der, der es in die Kassette getan hat, sind ein und dieselbe Person. – Vert. R.-A. Dr. Knoll: Ich habe mit der Angeklagten alles eingehend erwogen und ihr vorgehalten, daß diese Antwortverweigerung ihr zum Nachteil ausschlagen könnte. Sie hat mir daraufhin die Person des Fälschers genannt. Ich kann nur versichern, daß ich die Gründe, die die Angeklagte bewegen, den Namen nicht zu nennen, billige. Ja, es freut mich, daß die Angeklagte diesen Namen nicht nennt. Das spricht für eine gute Seite der Angeklagten. – Vors.: Sie hat doch aber früher ein Geständnis abgelegt. – Angekl. Beier: Ich habe das getan, um Ruhe zu haben und weil der Schein doch nun einmal gegen mich sprach. – Vors.: Wenn Sie nun auch das Testament nicht gefälscht haben, so haben Sie doch eine ganze Reihe Fälschungen begangen. Sie haben eine Anzahl Briefe, die Preßler niemals geschrieben hat, geschrieben, um den Schein zu erwecken, daß Preßler mit Ihrem Vorgehen einverstanden war. – Angekl. Beier: Jawohl. Teils habe ich Briefe erfunden, teils aber habe ich auch alte Briefe neu abgeschrieben und die Preßlerschen Briefe so viel mit diesen Briefen vermischt, damit die Handschrift der erfundenen Briefe möglichst mit der Handschrift der anderen Briefe übereinstimme. – Angekl. Merker bestritt auch bezüglich dieses Punktes jede Mitschuld. – Angekl. Beier: Ich kann nur wiederholen, daß Merker von allem gewußt hat. Er sagte sogar: Das Geld, das wir in Händen haben, geben wir auf keinen Fall her. – Merker: Das ist nicht wahr. Ich sagte nur, es wird uns wohl schwer werden, das Geld zurückzugeben, da wir keins haben. – Vert. R.-A. Knoll: Also, nachdem Sie erst kurz vorher von Grete Beier einen größeren Betrag erhalten, hatten Sie das ganze Geld schon wieder verwichst? – Vors. (zu Merker): Auch ich kann nur sagen, daß Sie in dieser Sache eine schlimme Rolle spielen. Sie haben das Geld der Angeklagten Beier in frivolster Weise ausgegeben. 600 Mark bekommt die Angeklagte Kunze heute noch von Ihnen. – Merker: Ich bin bereit, ihr einen Schuldschein auszustellen und will das Geld gern zurückzahlen, heute kann ich es aber nicht. (Heiterkeit) – Vors. (zur Beier): Zur Charakteristik dessen, in welch gefährlicher Weise in Ihrer Familie vorgegangen wurde, möchte ich noch ein paar Worte sagen. Nachdem Sie, Angeklagte Beier, den Mord begangen hatten, scheuten Sie sich nicht, über Leichen zu gehen. Ihre Mutter scheute sich nicht, auf Ihre Veranlassung falsche Zeugen zu stellen, um Sie aus der Haft herauszubringen. Sie hat deshalb eine Strafe von zwei Jahren Zuchthaus erhalten. Das sind alles Sachen, die auf eine ziemliche Bosheit schließen lassen. Über die Leichen anderer Leute hinweg wollten Sie Frauen und Männer bewegen, falsch zu schwören, nur um einen Freispruch oder eine mildere Strafe zu erzielen. Und alles das zu einer Zeit, wo Sie einen Mord auf dem Gewissen hatten, wo man annehmen mußte, daß Sie windelweich seien, und daß Ihr Gewissen Sie schwer belastete. – Es gelangten alsdann wiederum zahlreiche, von der Angeklagten Beier gefälschte Briefe und Quittungen zur Verlesung, mit denen sie ebenfalls ihre Straftaten zu verdecken gesucht hatte. Das Testament, das die Angeklagte Beier selbst nicht gefälscht haben, dessen Fälscher sie aber nicht angeben wollte, setzte ihre Mutter zur alleinigen Erbin des Besitztums des Armenhausverwalters Kröner, Grete Beier selbst als Erbin der von Frau Kröner vorhandenen Wäsche ein. – Polizeiwachtmeister Fähndrich, Freiberg, bekundete als Zeuge: Nach dem ersten Verhör habe er von der Mutter Beier mehrere Briefe erhalten, in denen er inständigst gebeten wurde, die Sache möglichst niederzuschlagen, damit der alte Beier, der damals im Dresdener Krankenhause lag, von dem Schmerz verschont werde. Frau Beier schrieb in einem Briefe, daß er schon dafür belohnt werden würde. Weiter hatte Frau Beier, wie der Vorsitzende feststellte, sich auch brieflich an den Vorgesetzten des Zeugen Fähndrich, einen Stadtrat in Freiberg gewandt. In diesen Briefen gab sie ihrem großen Bedauern Ausdruck, daß ihrer Tochter Grete, die sich bei ihren angenehmen Charaktereigenschaften bei der ganzen Einwohnerschaft Brands einer außerordentlichen Beliebtheit erfreue, diese Schande gemacht werde. An allem sei nur der gewissenlose Betrüger Preßler schuld. Er habe es 14 Monate lang unter falschen Vorspiegelungen verstanden, bei der Familie Beier zu verkehren. Er habe auch seine eigene Mutter getäuscht; allen Leuten habe er verheimlicht, daß er bereits ein Jahr lang in Italien mit einer gewissen Vroni verheiratet war, daß er auf seinen Reisen ein ausschweifendes Leben geführt habe, so daß seine Gesundheit dem Zusammenbruch nahe gewesen sei. In einem anderen Briefe schilderte Frau Beier dem Stadtrat, welche große Betrübnis die Aufdeckung dieser Affäre ihrem Manne bereiten würde, wenn er gesund aus dem Krankenhaus käme. Ihr Mann würde dann ganz unverdienterweise mit Schimpf und Schande aus dem Dienste gejagt werden. „Im Interesse der Zukunft ihres geliebten Kindes und um drei Menschenleben zu retten“, bitte sie daher den Stadtrat, die Sache möglichst geheim zu halten. Ferner brachte der Vorsitzende einige Briefe zur Verlesung, die Grete Beier an Frau Schlegel gerichtet hatte. Frau Schlegel war nämlich die rechtmäßige Erbin der Hinterlassenschaft des Armenhausverwalters Kröner. Sie war durch die Manipulation der Grete Beier geschädigt worden. Als nun die Fälschungen und Betrügereien Grete Beiers herauskamen, wandte letztere sich brieflich an Frau Schlegel mit dem Ersuchen, sie möge sich mit der Zession der Erbschaft an sie (Grete Beier), einverstanden erklären. Ihr könne doch nichts daran liegen, daß ihr junges Leben vernichtet und daß sie wie eine Diebin und Verbrecherin bestraft werde. Wenn sie sich mit den Maßnahmen einverstanden erkläre, die sie (Grete Beier), in den gefälschten Briefen niedergelegt habe, dann sei es möglich, die ganze Affäre aus der Welt zu schaffen. In dem Briefe drohte jedoch Grete Beier der Frau Schlegel, sie werde sie, wenn sie darauf nicht eingehe, der Fälschung bezichtigen. – Vors.: Herr Wachtmeister, können Sie sich über den Leumund des Angeklagten Merker äußern? – Zeuge Fähndrich: Ich muß den Angeklagten Merker als schroffen und zurückhaltenden Charakter bezeichnen. Preßler dagegen war ein Ehrenmann in jeder Beziehung. Was die Familie Beier anlangt, so erfreute sie sich in Brand nicht des besten Ansehens. Rat und Stadtverordnete sahen dem alten Beier viel nach. Die Mutter galt direkt als schlecht, die Tochter Grete als hochmütig. Übrigens haben Merker und Grete Beier in der Untersuchungshaft bestimmte Punkte gehabt, an denen sie Gegenstände niederlegten und sich so miteinander verständigten. – Untersuchungsrichter Landrichter Dr. Mangler-Freiberg machte eingehende Bekundung über seine Wahrnehmungen in der Voruntersuchung. Die Angeklagte Kunze machte auf ihn zunächst einen sehr günstigen Eindruck. Später erfuhr er, daß sie sehr hinterhältig war und sehr viel log. Der Angeklagte Merker machte zunächst gleichfalls einen äußerst günstigen Eindruck. Er rückte frei mit der Sprache heraus. Wenn er nicht offen und ehrlich aufgetreten wäre, würde noch weniger Licht in die dunke Affäre gekommen sein. Er hat allerdings gelogen, aber meist nur, um Grete Beier zu schonen. Die Sache bekam aber ein anderes Bild, als die Kassiber entdeckt wurden. Da änderte sich sowohl die Taktik der Angeklagten Beier, als auch die Taktik Merkers. – Angekl. Merker: Meine Taktik änderte sich in dem Augenblick, als ich erfuhr, daß Grete Beier auch mit anderen Männern intimen Umgang gehabt hat. – Dr. Mangler: Ich kann dies bestätigen. Als Merker von mir erfuhr, daß die Angeklagte Beier auch mit anderen Männern Umgang hatte, sagte er sich von ihr los. – Vors.: Wodurch ist das Geständnis der Angeklagten Beier zustande gekommen, daß sie den Mord begangen hat? – Zeuge: Auf Grund des vorhandenen Überführungsmaterials. – Vert. R.-A. Knoll: Ich möchte bitten, die Sache hier nicht zu erörtern. Das kommt dann in die Presse und kann Eindruck auf die Geschworenen machen, die demnächst über Grete Beier wegen Mordes zu befinden haben. Ich möchte eine andere Frage an den Herrn Untersuchungsrichter richten: Hat Merker vielleicht nur deshalb falsche Angaben gemacht, um sich herauszureißen? – Zeuge: Ich war zuerst der Ansicht, daß Merker der Mörder, oder wenigstens an der Tat beteiligt sei. Das hat er wohl aus meinen Worten herausgemerkt und daher seine Angaben geändert. Ich kann mein Urteil über ihn nur dahin zusammenfassen, daß ich sage, Merker ist ein sehr leichtsinniger Mensch, der damals zweifellos sehr verliebt war und die Beier durchaus heiraten wollte. (Heiterkeit, in die auch die Angeklagte Beier einstimmte.) An dem Tage, an dem er von Grete Beier den Tod Preßlers erfuhr, hatte er die Einladung zu einem Stelldichein mit einem anderen jungen Mädchen. Er hat überhaupt sehr viel mit Mädchen verkehrt. Zu seiner Entschuldigung muß ich aber sagen, daß die Mädchen gerade ihm sehr großes Entgegenkommen gezeigt zu haben scheinen. – Vert. R.-A. Dr. Vollhering: Die Angeklagte Beier hat heute erklärt, sie habe in der Voruntersuchung das Geständnis, das Testament gefälscht zu haben, nur gemacht, um vor Ihnen Ruhe zu haben. – Landrichter Dr. Mangler: Wenn sie das sagt, so ist das eine Unwahrheit. Sie hat freiwillig aus sich heraus mir gestanden, das Testament gefälscht zu haben. Ich hatte ihr vorher gesagt, wir würden nachforschen, wer es gewesen sei, wenn sie es nicht gewesen ist. Da kam sie dann mit dem Geständnis heraus. – Vors.: Die Angeklagte Kunze soll wiederholt gesagt haben, der Vater Beier habe von den Manipulationen seiner Frau und Tochter Kenntnis gehabt. So soll er ihr gegenüber sein Bedauern ausgesprochen haben, daß die Kassette verschlossen sei. Wenn die Kassette offen wäre, dann hätte man Geld. – Angekl. Kunze: Ja, so etwas hat mir Herr Beier gesagt. – Angekl. Beier: Ich möchte zunächst Frau Kunze recht dringend ersuchen, diese unerhörten Beschuldigungen gegen meinen verstorbenen Vater zurückzunehmen. Er hat nichts von unserem Vorhaben gewußt. (Mit erhobener Stimme.) Ich dulde nicht, daß mein Vater hier verdächtigt wird. Ich ersuche Frau Kunze dringend, ihre Angaben zu berichtigen. – Angekl. Kunze: Ich kann doch nicht die Unwahrheit sagen. Es tut mir ja leid, daß ich so etwas sagen muß. – Angekl. Beier: Mir tut es leid, daß Sie meinen Vater jetzt mit Schmutz bewerfen. Ich kann nur wiederholen, Frau Kunze hat mir wiederholt den Gedanken nahegelegt, mir etwas von der Erbschaft anzueignen. Sie hatte ja ein Interesse daran, daß ich Geld bekam. Sie kannte mein Verhältnis zu Merker, der immer Geld brauchte und mir drohte, wenn ich ihm kein Geld gab. – Angekl. Merker (erregt aufspringend): Ich verbitte mir, Fräulein Beier, zu sagen, daß ich Sie bedroht habe. Ich habe Sie niemals bedroht. Ich habe höchstens damit gedroht, daß ich mich von Ihnen lossagen werde, wenn Sie sich nicht mit Preßler entloben. – Angekl. Beier: Die Kunze sagte mir, sie bekäme Geld von Merker, und sie wollte das möglichst bald haben. Sie sagte mir, ich sei doch so schlau, daß ich mir leicht Geld beschaffen könnte. Ich sträubte mich zuerst, dann aber beauftragte ich Frau Kunze, zu einem Schlosser zu gehen, um einen Schlüssel zu der Kassette anfertigen zu lassen. – Auf die weitere Beweisaufnahme wurde verzichtet. – Staatsanwalt Dr. Mannel beantragte die Verurteilung aller drei Angeklagten in vollem Umfange, unter Versagung mildernder Umstände. – Vert. R.-A. Dr. Knoll beantragte die Freisprechung der Beier im Falle der Testamentsfälschung. Im übrigen bat er, der Angeklagten mildernde Umstände zuzubilligen. – Angekl. Merker versicherte wiederholt, daß er von dem unrechtmäßigen Ursprung des Geldes, das er von Grete Beier bekommen habe, nichts gewußt habe. Er erklärte sich bereit, diese Aussage zu beeidigen (Heiterkeit). Für seine Glaubwürdigkeit und für seinen Charakter berief er sich auf die Aussage des Landrichters Dr. Mangler. Er verstehe nicht, weshalb man der Beier so viel glaube. Er kenne die Beier besser, wie vielleicht alle Herren im Saale. (Heiterkeit.) Grete Beier habe ihre eigene Mutter als Scheusal bezeichnet. Heute sei er der Ansicht, daß nicht die Mutter die Tochter, sondern die Tochter die Mutter verleitet habe. Auf weitere Ausführungen wolle er verzichten. Er hebe es sich auf, später noch mehr über Fräulein Grete Beier zu sagen (Heiterkeit). – Nach eineinhalbstündiger Beratung verurteilte der Gerichtshof die Angeklagte Grete Beier, unter Freisprechung von der Anklage der Testamentsfälschung, wegen schweren Diebstahls, einer schweren, einer einfachen Urkundenfälschung, sowie wegen erfolgloser Aufforderung zur Begehung des Mordes zu fünf Jahren Zuchthaus und acht Jahren Ehrverlust, die Angeklagte Kunze wegen Beihilfe zum schweren Diebstahl und Begünstigung in zwei Fällen zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis, den Angeklagten Merker wegen Hehlerei zusätzlich zu vier Monaten Gefängnis. Der Angeklagten Beier wurden sechs Monate durch die Untersuchungshaft als verbüßt angerechnet. Außerdem wurde die Zulässigkeit der Polizeiaufsicht gegen Grete Beier ausgesprochen. – In der Urteilsbegründung wies der Vorsitzende auf das höchst verwerfliche, mit großem Raffinement ausgeführte Schreiben der Angeklagten Beier hin, die keinerlei Reue gezeigt, sondern noch in weitgehendstem Maße bestrebt war, Unschuldige in die Sache hineinzuziehen. Straferschwerend fiel auch die Mißachtung ihrem Bräutigam Preßler gegenüber ins Gewicht, dem sie das Leben genommen hat. Die Aufforderung zur Begehung des Mordes war nach Ansicht des Gerichts ernst gemeint. Die Straftat hat eine um so schwerere Ahndung verdient, da sie aus der Untersuchungshaft heraus, kurze Zeit, nachdem die Angeklagte einen Mord begangen hatte, geschehen war.
Am 29. Juni 1908 hatte sich Grete Beier wegen Ermordung[WS 2] ihres Bräutigams, des Oberingenieurs Preßler und wegen schwerer Urkundenfälschung vor dem Schwurgericht zu Freiberg in Sachsen zu verantworten. Das an der Promenade gelegene Gerichtsgebäude war von einer nach Tausenden zählenden Menschenmenge belagert; der Zuhörerraum des Schwurgerichtssaales wurde fast gestürmt. Den Vorsitz des Schwurgerichtshofs führte Landgerichtsdirektor Rudert. Die Anklage vertrat auch hier Staatsanwalt Dr. Mannel, die Verteidigung führte Rechtsanwalt Dr. Knoll (Dresden). Auf Aufforderung des Vorsitzenden erzählte die Angeklagte in tadellosem, fließendem Deutsch: Ich bin am 25. September 1885 in Brand, als Tochter des dortigen Bürgermeisters geboren und evangelischer Konfession. Nach meiner Konfirmation kam ich in die Tanzstunde. Dort lernte ich einen Herrn Öhlsner kennen, zu dem ich mich um so mehr hingezogen fühlte, als meine Mutter sehr schroff und lieblos zu mir war. Mein Vater und meine Großmutter waren zwar sehr gut, aber meine Mutter wies meine Zärtlichkeiten zurück. Als ich sie einmal umarmen wollte, stieß sie mich von sich. Bettelarm kam ich mir immer vor, wenn ich sah, wie andere Mädchen mit ihren Müttern verkehrten. Unter diesen Umständen hatte ich mehr wie Andere Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit. Ich fühlte mich allein auf der Welt und freute mich daher, in Öhlsner einen Menschen gefunden zu haben, dem ich mich anschließen konnte. Es war ein schönes, rein ideales Verhältnis; jedoch die Mutter war dagegen, denn ihr genügte der junge Mensch nicht. Ich aber fand ihn sehr lieb und konnte nicht von ihm lassen. Wir setzten daher unsern Verkehr heimlich fort. Im Laufe der Zeit nahm das Verhältnis einen intimeren Charakter an, ich konnte ihn nicht abweisen. Durch Mißverständnisse kamen wir auseinander. Am 25. Februar 1905 lernte ich auf einem Maskenball des kaufmännischen Vereins in Freiberg Merker kennen. Es war sozusagen eine Liebe auf den ersten Blick, denn wir fanden sofort Gefallen aneinander. Schon am 9. März desselben Jahres verlobten wir uns heimlich. Er wußte so schön zu erzählen. Neben der Liebe zog mich Mitleid zu diesem Mann, der allein auf der Welt stand. Es war eine sehr glückliche Zeit, die ich mit ihm verlebte, auch ein schönes ideales Verhältnis. Da erfuhr ich von Unterschlagungen, die er im Geschäft begangen hatte. Kniefällig bat er meinen Vater, ihn zu retten, aber ich war dagegen. An einem Sonntag Morgen kam er wieder: „Nur Sie können mir helfen!“ sagte er zu meinem Vater. Ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern ging in die Kirche. Ich bin überhaupt – wenigstens war es früher so – sehr religiös veranlagt, ich bin nicht so ruchlos, wie ich jetzt erscheinen mag. In der Kirche sprach der Pfarrer über das Thema vom verlorenen Sohn. Er legte nahe, daß wir nicht das Recht hätten, über die Menschen zu richten, und daß wir einem, der gestrauchelt sei, helfen müßten. Die Rede machte tiefen Eindruck auf mich. Ich faßte den Entschluß, aus Merker einen tüchtigen Menschen zu machen. Ich glaubte nicht, daß er ein unverbesserlich leichtsinniger Mensch war. Er bekam also von uns das Geld, und von jetzt ab wurde der Verkehr intimer, ich nahm ihn wiederholt mit auf mein Zimmer. Um diese Zeit hörte ich, daß Merker auch andere Verhältnisse hatte. Es gab Szenen und Auftritte, in deren Verlauf Merker hartnäckig leugnete. Aber ich blieb mißtrauisch. Am 15. Februar 1906 lernte ich auf dem Ingenieurball in Chemnitz Preßler kennen. Er war mein Tischherr, und wenn ich mich auch nicht gleich zu ihm hingezogen fühlte, so interessierte er mich doch. Es folgte ein längerer Briefwechsel, schließlich lud er mich ein, ihn in Chemnitz zu besuchen. Wir gingen ins Theater. Für den andern Tag war Preßler zu Mittag geladen, er sagte, daß er durchaus ernstliche Absichten habe, ich wollte mich aber nicht gleich binden. Als er mir vor dem Essen auf dem Flur das Jackett hielt, versuchte er, mich an sich zu ziehen. „So schnell auf keinen Fall!“ sagte ich. Beim Essen faßte er plötzlich meine Hand mit den Worten: „Wir beide müssen zusammenbleiben.“ Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Dieser Händedruck war eigentlich die ganze Liebeserklärung Preßlers. Ich mochte ihn auch ganz gern leiden, wenn ich ihn auch noch nicht lieben konnte. Ich empfand es gewissermaßen als eine Genugtuung, daß ein Mann von der Stellung Preßlers sich für mich interessierte. Dann aber glaubte ich auch im Sinne meiner Mutter zu handeln, der Merker nicht genügt hatte und der Preßler genügen mußte. Schließlich sagte ich mir, daß ich durch die Verlobung mit Preßler dem Merker einen empfindlichen Schlag versetzen könnte. Ich konnte ihm beweisen, daß ich nicht auf ihn angewiesen war. Deshalb habe ich mich mit ihm verlobt. Ich war zwar nicht sehr glücklich, aber ich dachte, daß sich das schon geben würde. Preßler hatte sogar schon den Tag der Hochzeit festgesetzt, er hatte die Ringe gekauft. Je näher aber ich ihn kennen lernte, desto mehr erfuhr ich, daß er doch ein ganz anderer war, als wie ich ihn zuerst kennen gelernt hatte. Er war unfreundlich und grob zu mir, ich kann wohl sagen, daß ich Furcht vor ihm hatte. Das konnte ich nicht vertragen, ich wurde unglücklich. Auf den Spaziergängen mit Preßler sah ich häufig Merker. Auch hatte ich gehört, daß Merker gesagt hat, er könne mich nicht vergessen, und daß er bei der Nachricht von meiner Verlobung sich wie rasend benommen hätte. An einem Tage, an dem ich Preßler besonders schlecht behandelt hatte, faßte ich den Entschluß, mit Merker zusammenzutreffen. Ich mußte von Preßler los, sonst sah ich ein Unglück voraus. Zitternd betrat ich das Zimmer Merkers und warf mich dem Geliebten in die Arme. „Ich wußte ja, Gretel, daß du wiederkommen würdest, denn du fühlst dich unglücklich,“ sagte Merker. „Ja,“ sagte ich, „ich fühle mich sehr unglücklich.“ „Dann löse doch die Verlobung,“ sagte Merker. Er tröstete mich, doch bei diesem Zusammensein ist zwischen uns beiden nichts passiert. Von diesem Moment ab war ich aber eine ganz andere geworden. Ich hatte Mut und Energie bekommen, vor allem war ich auf Preßler mehr wie ärgerlich. Ich behandelte ihn absichtlich niederträchtig, denn er sollte mich satt bekommen. Es gab schließlich einen lebhaften Auftritt mit Preßler, der zum vollständigen Bruche führte. Da sah meine Mutter ein, daß der Rücktritt von der Verlobung die beste Lösung des Verhältnisses sein würde, und wir fuhren am nächsten Morgen nach Hause. Ich atmete auf, wie von einer schweren Last befreit. Nun schien die Sonne auch wieder für mich. Kaum waren wir zu Hause angekommen, da traf auch schon ein eingeschriebener Brief von der Mutter Preßlers ein, in dem sie mich dringend bat, den zurückgegebenen Verlobungsring wiederzunehmen. Sie schrieb: „Seien Sie sicher, mein liebes Kind, Karl wird Sie glücklich machen.“ Meine Mutter redete mir zu und ich gab nach. – Vors.: Aber Ihr Verhältnis mit Merker ging weiter? – Angekl.: Ja, ich betrachtete mich ja gar nicht als Braut des Preßler. – Vors.: Durch Zufall erfuhr nun Ihre Mutter von Ihrer Schwangerschaft und veranlaßte Sie, sich Preßler preiszugeben? – Angekl.: Ja, ich ging scheinbar darauf ein und schrieb Preßler liebenswürdige Briefe. – Vors.: Was hat Sie dann zu der Abtreibung, die Sie durch die Hebamme Kunze vornehmen ließen, veranlaßt? – Angekl.: Darüber möchte ich nichts sagen. – Vors.: Was haben Sie denn zu Merker gesagt? – Angekl.: Ich sagte, ich sei gefallen. – Vors.: Glaubte er das? – Angekl.: Nein, er war mißtrauisch. Mein Vater hatte daher Angst, daß er uns anzeigen könnte. – Vors.: Ihr Vater wußte also von der Abtreibung? – Angeklagte: Nein, daran ist er ganz unschuldig. Am 5. Dezember schrieb Preßler einen zwölf Seiten langen Brief, worin er in die Entlobung willigte. Ich sagte Merker, daß ich die Verlobung mit Preßler aufgelöst hätte. Mit Preßler hatte ich dagegen ausgemacht, daß wir trotz der Entlobung miteinander verkehren und uns gegenseitig die vollste Freiheit garantieren wollten. Am Weihnachtsheiligenabend kam Preßler zu uns. – Vors.: Merker war auch da? – Angeklagte: Ja, ihm war es natürlich gar nicht recht, daß Preßler ebenfalls da war. Es kam sogar zu einer heftigen Szene zwischen ihm und mir, am Abend söhnten wir uns jedoch aus. – Vors.: Sie blieben die Nacht bei ihm? – Angekl.: Ja. Nach gar nicht langer Zeit erhielt mein Vater von Merker einen Brief, in dem ihm Wortbruch vorgeworfen wurde. Es wäre gar nicht wahr, daß die Verlobung mit Preßler aufgehoben sei, denn Preßler sei ja zu Weihnachten dagewesen. Damit war die Situation für mich kritisch geworden. Wenn Merker etwas von der Abtreibung verriet, war ich verloren. Ich faßte daher den Plan, mich zu töten. – Vors.: Sie ließen sich einen Revolver besorgen, und zwar brauchte es nach Ihren Worten kein eleganter Revolver zu sein, sondern einer, der gut trifft? – Angekl. Vor allem lag mir daran, einen Revolver zu bekommen, der möglichst wenig Geräusch machte. – Vors.: Woher nahmen Sie das Geld zu dem Revolver? – Angekl.: Von meinem Taschengeld. – Vors.: Was kostete er? – Angekl.: Sechs Mark. – Vors.: Sie sollen früher, zur Zeit Ihrer Liebschaft mit Öhlsner, schon einmal mit einem Revolver zu tun gehabt haben? – Angekl.: Öhlsner fand in meinem Zimmer einmal einen Revolver und war darüber ganz entsetzt. – Vors.: Sie scheinen eine gewisse Vorliebe für Waffen zu haben? – Angekl.: Der Revolver gefiel mir damals sehr gut. – Vors.: Ich verstehe nicht, weshalb gerade damals Ihre Lage so unerträglich gewesen sein soll. Wenn Sie vor der Abtreibung den Gedanken gehabt hätten, sich zu töten, so wäre es begreiflich gewesen. Mit der erfolgten Abtreibung war doch aber das schlimmste vorbei. – Angekl.: Meine Situation war damals die schlechteste, denn ich befand mich durch meine kolossale Unvorsichtigkeit ganz in den Händen Merkers. – Vors.: Sie nahmen sich schließlich nicht das Leben, sondern brachten Merker mit Geld zum Schweigen. – Angekl.: Ja, er brauchte immer Geld. Mit der Zeit wurde mir das zu viel. Ich sagte mir, wenn Preßler käme und das Jawort verlangte, würde ich es ihm geben. Als er dann kam, sagte ich wirklich die Heirat zu. – Vors.: Wie kamen Sie dazu, auf einmal das abgeflaute Feuer wieder zu schüren? – Angekl.: Kaum hatte ich das Jawort ausgesprochen, da tat es mir auch wieder leid. – Vors.: Früher sagten Sie, Sie hätten Preßler nur heiraten wollen, um zu Gelde zu kommen, das Sie Merker geben konnten. – Angekl.: Ich glaubte allerdings auch dadurch Merker befriedigen zu können. – Vors.: Es wurde nun der 14. Mai 1907 als Hochzeitstag mit Preßler festgesetzt. Im Februar tauchten die Veronibriefe auf. Was wollten Sie mit diesen Veronibriefen, wen wollten Sie täuschen? – Angekl.: An dem Wesen Preßlers war mir manches aufgefallen. Unsre Verlobung sollte möglichst geheimgehalten, das Aufgebot sollte in der Kirche nicht verkündet werden und anderes mehr. Dadurch entstand in mir der Verdacht, daß Preßler Grund hatte, vor irgend Jemandem etwas zu verschweigen. Durch diese Umstände kam ich darauf, unter dem Namen einer gewissen Leonore Veroni zunächst zwei Briefe an mich selbst zu schreiben. In dem einen lasse ich die Schreiberin mich um eine Unterredung bitten. – Vors.: Nach meiner Auffassung kann die Erfindung nur unter dem Gesichtspunkte verstanden werden, daß Sie Preßler vor der Öffentlichkeit bloßstellen und dadurch den Eindruck hervorrufen wollten, er habe die Waffe gegen sich selbst gerichtet. – Angekl.: Ich sagte Merker, Preßler sei bereits verheiratet, und ich hätte mit Frau Veroni selbst gesprochen. Diese habe den Plan, am Hochzeitstage aufzutreten, und dann würde ich frei sein. – Vors.: Dachten Sie zur Zeit der Abfassung der Briefe noch nicht an die Tötung Preßlers? – Angekl.: Nein, ich wollte nur Merker täuschen. – Vors.: Am 9. März 1907 soll Merker nach Chemnitz gefahren sein, um sich nach Frau Veroni zu erkundigen, aber er fand sie natürlich nicht. – Angekl.: Das ist richtig. – Vors.: Am Abend soll er dann ärgerlich zu Ihnen nach Freiberg gekommen sein. – Angekl.: Ja, wir versöhnten uns aber. – Vors.: Sie blieben die Nacht zusammen? Angekl.: Ja. – Vors.: Die Hochzeit wurde nun wegen der Erkrankung Ihres Vaters wiederholt verschoben? – Angekl.: Ja. – Vors.: In diesen Tagen fuhren Sie mit Preßler nach Leipzig, um Silberzeug zu kaufen? – Angekl.: Ja. – Vors.: Aber damals hegten Sie doch schon Mordgedanken? – Angekl.: Ja. Ich wußte nur noch nicht, wie ich es anfangen sollte. – Vors.: Also Sie kauften mit dem Bräutigam Silberzeug für die Wohnung, im geheimen sannen Sie aber darauf, wie Sie ihn um die Ecke bringen könnten? – Angekl.: Ja. – Die Angeklagte erzählte alsdann, daß sie einen Moment, als sie allein im Bureau ihres Vaters war, benutzte, um den Tischkasten herauszuziehen und den darin liegenden Revolver an sich zu nehmen. Sie trug ihn dann in der Aktenmappe nach Hause. – Vors.: Es soll ein Revolver gewesen sein, den man einem Selbstmörder abgenommen hatte. – Angekl.: Ja. Ob ich den Revolver jemals benutzen würde, wußte ich damals noch nicht. – Vors.: Aber den unbestimmten Gedanken, daß Sie ihn eventuell benutzen könnten, hatten Sie doch? – Angekl.: Ja. Es war in der Karwoche. Preßler kam zu uns, zu Ostern, Merker war nicht da. Letzterer hatte mir geschrieben, er würde nicht eher wieder nach Brand kommen, als bis ich mich von Preßler definitiv losgesagt haben würde. Am dritten Osterfeiertag fuhr ich mit Preßler nach Chemnitz. Bei diesem Besuch setzte ich mich in den Besitz von Cyankali. Preßler wollte seine Spieldose aufziehen und suchte den Schlüssel. Dabei mußte er den Kasten seines Schreibtisches herausziehen, und ich sah ein Fläschchen darin liegen. In dem Augenblick, als Preßler am andern Ende des Zimmers die Spieldose aufzog, nahm ich das Fläschchen an mich. Ich wußte nicht, was es enthielt, aber ich nahm aus dessen Etikett an, daß es Gift war. Zu Hause schlug ich das Lexikon nach und sah, daß Cyankali ein starkes Gift sei. – Vors.: In einem Briefe aus dieser Zeit an Merker befindet sich folgende Stelle: „Nach langem, hartnäckigem Kampfe winkt uns ein süßer Frieden, der Traum des lange ersehnten Glückes nähert sich seiner Erfüllung.“ Der Frieden sollte natürlich mit der Ermordung Preßlers eintreten? – Angekl.: Ja, nach zahllosen Kämpfen winkte die Ruhe. – Vors.: Daneben korrespondierten Sie aber immer noch mit Preßler? – Angeklagte: Selbstverständlich. Er glaubte doch, ich würde ihn heiraten. – Vors.: Sie hatten doch aber schon längst den Plan zu seiner Ermordung gefaßt? – Angekl.: Ich schwankte immer noch, ob ich es tun sollte. – Vors.: Sie schrieben zwar an Merker hoffnungsvoller und liebenswürdiger als an Preßler, aber es finden sich doch auch in den Briefen an Preßler Stellen, die von großer Zuneigung zeigen. – Angekl.: Ja. – Vors.: Sie trieben also ein Doppelspiel in des Wortes vollster Bedeutung? – Angekl.: Ich mußte das tun, damit nichts herauskam. – Vors.: Nun kam der Entschluß, daß Sie möglichst bald handeln mußten? – Angekl.: Ja, bald mußte es geschehen. Merker hatte mir das Versprechen abgenommen, daß ich zu Pfingsten frei sein müßte. Als er am 2. Mai wegen seiner Schulden 4300 Mark von mir erhalten hatte, war er zunächst zufrieden. Ich fürchtete aber, es würde wieder anders werden, und suchte daher den Mord bald auszuführen. – Vors.: Dann wollten Sie also bei Gelegenheit der Ermordung Preßlers auch dessen Vermögen an sich bringen? – Angekl.: Ja. – Vors.: Im Interesse Merkers? – Angekl.: Ja. – Vors.: Sie setzten zu diesem Zweck ein Testament auf, das Sie zur Universalerbin einsetzte? – Angekl.: Ja. – Vors.: Da Sie aber nicht wußten, ob ein Bräutigam unter Umgehung aller seiner Verwandten seine Braut zur Erbin einsetzen könne, fragten Sie im Briefkasten des Freiberger Anzeigers an? – Angekl.: Ja. – Vors.: Vor allem hatten Sie doch das Interesse, nach außen den Schein hervorzurufen, als ob Preßler einen Selbstmord begangen habe? – Angekl.: Ja, zu diesem Zwecke schrieb ich auch die Veronibriefe. – Vors.: Wann war Preßler zum letzten Male in Brand? – Angekl.: Am 6. Mai 1907. – Vors.: Wann haben Sie den letzten Veronibrief geschrieben und wann haben Sie das falsche Testament fertig gemacht? – Angekl.: Am 12. Mai. – Vors.: Und am Tage darauf fuhren Sie nach Chemnitz und führten den Mord aus? – Angekl: Ja. – Vors.: Wie verbrachten Sie die letzte Nacht vor dem Mordtage? – Angekl.: Ich schlief nicht besonders gut, denn ich wußte ja nicht, ob ich den Mord am andern Tage ausführen würde. – Vors.: Nun kam der 13. Mai, der große Tag, an dem Sie den Schlußstein zu Ihren ganzen Taten legen wollten. Unter dem Vorwande, Sie fahren zu einer Freundin nach Freiberg, fuhren Sie in Wirklichkeit nach Chemnitz zu Preßler? – Angekl.: Ja. – Vors.: Revolver und Cyankali hatten Sie bei sich? – Angekl.: Ja. In Chemnitz holte mich Preßler von der Bahn ab. Er hatte Kaffeegebäck gekauft, wir gingen sofort zu ihm, und er bat mich, Kaffee zu kochen. Während dessen holte er Sahne‚ da er wußte, daß ich sie gern aß. Dann tranken wir gemeinschaftlich Kaffee. In den Kaffee konnte ich das Gift nicht tun, da ich ihn auch trank. Preßler war sehr zärtlich, nach dem Kaffee lud er mich zu einem Gläschen Eierkognak ein. Ich lehnte ab, worauf er sagte, ich solle ihm dann wenigstens ein Glas einschenken. Ich tat dies und ließ schnell das Gift hineinfallen. Dann rührte ich mit dem Löffel mehrere Male herum und hätte beinahe in der Erregung den Löffel an meine Lippen geführt. Ich besann mich aber noch rechtzeitig. Preßler saß währenddem abseits auf der Chaiselongue. Ich trat vor ihn hin, er wurde zudringlich und suchte mich auf den Schoß zu ziehen, wobei er sagte: „Da wir doch bald heiraten, könnten wir doch einmal glücklich sein!“ Er war sehr leidenschaftlich, und seine Gesichtszüge waren derart verzerrt, daß mich Ekel und Abscheu ergriff. Meiner Sinne nicht ganz mächtig, reichte ich ihm den Kognak und sagte: „Hier, trink!“ Er nahm das Glas und trank es auf einen Zug aus. Kaum hatte er es aus der Hand gesetzt, als er auch schon umsank. Was nun geschah, habe ich nur noch dunkel in der Erinnerung. Alles folgende tat ich nur rein mechanisch. Ich glaubte nicht, daß Preßler tot war, ich dachte, er könnte wieder zu sich kommen und würde dann furchtbare Schmerzen haben. Da nahm ich eine Serviette, band sie ihm um den Kopf – weshalb, weiß ich nicht, denn seine Augen waren geschlossen –. Ich hielt den Revolver ihm weit in den offenstehenden Mund hinein und drückte ab. Dann legte ich das Testament aus dem Schreibtisch heraus, die zwei Veronibriefe daneben und schlich davon. Um sieben Uhr kam ich in Freiberg an und begab mich in eine Gesellschaft, wo es allerdings sehr lustig zuging. – Vors.: Und Ihnen soll man auch nichts angemerkt haben? – Angekl.: Nein, meine Erregung hatte sich inzwischen gelegt. Ich telephonierte nach Brand an meine Eltern, daß ich mich in angenehmer Gesellschaft befände und erst mit dem letzten Zuge kommen werde. Unser Mädchen holte mich von der Bahn ab und fragte mich, ob ich mich gut amüsiert hätte, was ich bejahte. – Vors.: Wie war es denn mit dem Schlaf? – Angekl.: Zuerst schlief ich sehr schlecht, dann aber fiel ich infolge allgemeiner Abspannung in einen tiefen Schlaf. – Vors.: Was geschah am Morgen des 14. Mai? – Angekl.: Da kam ein langer Veronibrief an, den ich am Tage vorher in Chemnitz zur Post gegeben hatte. Die Mutter las ihn und ersuchte mich, sofort an Preßler zu schreiben. – Vors.: Das taten Sie natürlich? – Angekl.: Ja. Am 15. Mai kam ein Brief mit der Mitteilung, daß Preßler sich erschossen hätte. Ich fuhr noch am Vormittag desselben Tages nach Chemnitz. Am folgenden Tage fand die Einäscherung statt, Mutter und ich wohnten ihr bei. – Vors.: Wurde bei all diesen Vorgängen niemals Ihr Gewissen lebendig? – Angekl.: Nein, es war mir so, als ob Preßler wirklich Selbstmord begangen hätte. Alle Welt brachte den Selbstmord mit dem in letzter Zeit besonders verschlossenen Wesen Preßlers in Zusammenhang. – Vors.: Am 15. Mai schrieben Sie an Merker: „Nun bin ich gänzlich frei, mein Schatz, aber nicht durch eine Entlobung, sondern Gott hat selbst gerichtet!“ – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Früher sagten Sie, Sie hätten Preßler aufgefordert, er solle mal den Mund aufmachen, Sie hätten ihm etwas mitgebracht. – Angekl.: Ich hatte mir das so ausgedacht. – Vors.: Schließlich sagten Sie Preßler nach, er habe in Zwickau zwei uneheliche Kinder abgeschworen. – Angekl.: Gesagt habe ich es, es ist aber nicht wahr. – Vors.: Weshalb verleumdeten Sie nun noch den Mann, den Sie ermordet hatten? – Angekl.: Weil es Merker gefiel, wenn ich Preßler recht schlecht machte. – Am zweiten Tage der Verhandlung wurden Briefe verlesen, die Grete Beier an Preßler und Merker und diese an Grete Beier gerichtet hatten. In einem Briefe vom Anfang Dezember 1906 schrieb Grete Beier an Merker: „Weißt Du, Schatz, der Gedanke, meinem Vater – meine Mutter kommt nicht in Betracht, denn sie steht meinem Herzen ziemlich fern – einen Kummer zu bereiten, kann mich förmlich wahnsinnig machen, wenn er erfahren würde, was sein einziges Kind für ein verworfenes Geschöpf ist. Er wird denken: wäre sie doch lieber gestorben, denn dann könnte ich sie doch wenigstens noch achten. Auch Du, Hans, kannst mich nicht mehr achten. Ich habe es selbst schon gefühlt, daß ich ein leichtsinniges, gewissenloses und gewöhnliches Mädchen bin, nicht besser als die erste beste. Aber eine Entschuldigung gibt es für mich: was ich tat, geschah aus Liebe zu Dir. Ich bin sehr verzweifelt, da meine eigene Mutter mir drohte, mich auf die Straße zu setzen.“ – In einem zwölf Seiten langen Briefe vom 5. Dezember 1906 an Grete Beier löste Preßler die Verlobung. Er zeichnete darin in kurzen Umrissen sein Ideal einer Frau und eines Familienlebens, das Grete Beier in keiner Weise erreiche. Er rechne es ihrer Jugend und ihrer geringen Weltkenntnis zugute, wenn sie kein Verständnis für das besitze, was sie ihm angetan habe. Am Schlusse des Briefes brach er in die verzweifelten Worte aus: „Hätte ich Dich nicht geliebt, so hätte ich nicht den Glauben an die Menschheit verloren!“ – Vors.: Der Brief gewährt einen interessanten Blick in die Seele Preßlers. Er gab Sie vollständig frei, in vollständiger Harmonie sollten Sie auseinandergehen. – Angekl.: Ich war auch sehr damit einverstanden. – Vors.: Preßler malt in dem Briefe aus, wie er sich ein Familienleben vorstellt. Ich muß sagen, eine idealere Auffassung kann man vom Familienleben nicht haben, und Sie sagten, er sei barsch und schroff gewesen. – Angekl.: Preßler gab sich in seinen Briefen immer rührend, in Wirklichkeit war er schroff. Ich muß sagen, daß dieser Brief mich sehr angenehm berührt hat. Ich war auch gerührt; durch meine Mutter wurde ich jedoch darauf gebracht, daß Preßler den Brief aus Berechnung geschrieben hätte. Ich sollte gerührt werden, um in dieser Rührung mich wieder zu ihm zu schlagen. – In einem Briefe an Merker schrieb Grete Beier, daß sie den Verkehr mit Preßler jetzt anfange von der humoristischen Seite zu nehmen. – In einem anderen Briefe fanden sich Wendungen wie: „Sein Ehrenwort soll man zwar halten, aber in Liebessachen ist das etwas anderes,“ und weiter: „Die Gesetze sind dazu da, um umgangen zu werden, Liebe macht erfinderisch.“ – Von dem Abschiedsbriefe Preßlers an Grete Beier sagte die Angeklagte, daß sogar die Mutter davon gerührt war, sie habe damals wirklich geweint. – Von besonderem Interesse waren die mit „Veroni“ gezeichneten gefälschten Briefe der Beier an Preßler. – Vors.: Die Veronibriefe lassen sich nicht anders erklären, als daß Sie schon bei der Abfassung den Gedanken gehabt haben, Preßler aus dem Wege zu räumen. Wenn die Briefe einen Sinn haben sollten, dann kann es nur der gewesen sein, einen Grund für einen Selbstmord Preßlers zu haben. – Angekl.: Ich hatte bei der Abfassung des ersten Veronibriefes im Februar noch nicht den festen Plan gefaßt, Preßler umzubringen, ich schwankte noch hin und her. – Der Veronibrief, den Grete Beier am Tage vor dem Morde geschrieben und nach vollbrachter Tat auf dem Schreibtische Preßlers niedergelegt hatte, lautete: „Chemnitz, den 12. Mai. Hierdurch teile ich mit, daß ich wieder in Chemnitz eingetroffen bin. Ich habe Deiner armen Braut alles geschrieben, denn ich kann den Betrug nicht länger ansehen. Es ist eine reine Schande, die Frau eines solchen Mannes zu sein. Ein Glück nur, daß es niemand weiß. Du bist doch ein ganz erbärmlicher, feiger Schuft. Wenn Du nicht nach Brand fährst und die Wahrheit sagst, fahre ich hin und erzähle allen Deine Schlechtigkeiten. Ich kenne Deine Braut noch nicht, aber ich habe gehört, daß sie ein Engel voller Liebe und Güte ist. Du hast geglaubt, ich bin so dumm und bleibe immer in Italien. Aber ich habe Dich von Anfang an beobachtet und nur jetzt auf die Hochzeit gewartet. Deine ‚Ehegattin‘ Leonore Preßler geb. Veroni.“ – Vors.: Dieser Brief ist doch geradezu etwas Unerhörtes. Um einen Selbstmord glaubhaft zu machen, legten Sie diesen Schwindelbrief auf den Schreibtisch des Mannes, den Sie wenige Minuten vorher erschossen hatten. Können Sie irgend etwas dazu angeben? – Die Angeklagte schwieg. – Der zweite Veroni-Brief, den Grete Beier an sich selbst adressierte und nach der Ermordung Preßlers in Chemnitz zur Post gegeben hatte, lautete: „Sehr geehrtes Fräulein! Als rechtmäßige Gattin Preßlers fühle ich mich verpflichtet, Ihnen die volle Wahrheit zu schildern, da ich der elenden Schurkerei endlich ein Ziel setzen will. Ich war die Tochter eines kleinen italienischen Staatsbeamten. Meine Mutter war eine Deutsche und wohnte in Riva am schönen Gardasee, wo sie sich mit meiner bildhübschen Schwester aufhielt. Dort lernten wir Preßler kennen. Er ging meiner Schwester nach und knüpfte Beziehungen mit ihr an, die nicht ohne Folgen blieben. Da Preßler meine Schwester von sich stieß, nahm sie sich das so zu Herzen, daß sie an einem Morgen mit durchschossenem Munde und Kopfe am Ufer des Sees gefunden wurde. Nur ich wußte, was vorgegangen war, nur ich kannte den erbärmlichen Kerl. Lediglich das Gefühl der Rache beseelte mich. Nachdem ich die Zustimmung meiner Eltern erlangt hatte, gelang es mir, Preßler durch Drohungen zur Heirat zu bewegen. Er wurde mir nach katholischem Ritus angetraut, d. h. die Ehe wurde unlöslich geschlossen. Ich hatte niemals Gemeinschaft mit ihm, er sollte nur an mich gebunden sein. Er schickte mir alljährlich Geld, wofür ich ihm das Versprechen geben mußte, nicht nach Chemnitz zu kommen. Ich besorgte mir aber einen Detektiv, der ihn beobachtete. Mein „Gatte“ lebt in Chemnitz mit seiner Wirtin und deren Tochter in ungestörter wilder Ehe. Er hat in Zwickau zwei Kinder abgeschworen. Dann verlobte er sich mit Ihnen. Er weiß jetzt, daß ich in Chemnitz bin und ist daher der Verzweiflung nahe. Nur ein Weg bleibt ihm: denselben Tod zu suchen, den meine arme Schwester gefunden hat. Danken Sie Gott, daß Sie diesen Mann loswerden! Er ist durch seinen leichtfertigen Lebenswandel auch gefährlich krank. Es ist überhaupt eine außerordentliche Frechheit von ihm, sich mit Ihnen zu verloben, da ihm das Zuchthaus sicher ist. Sie werden mich nicht mehr sehen, denn wenn diese Zeilen in Ihre Hände gelangen, bin ich wieder im Auslande. Meine Mission in Deutschland ist erfüllt, vielleicht sehen wir uns einmal in Italien. Ihre ergebene Leonore Preßler.“ – Vors.: Dieser Brief ist nun der Gipfel alles Schwindels und aller Lüge. Können Sie für diese maßlosen Entstellungen irgendeine Entschuldigung angeben? – Die Angeklagte schwieg. – Das gefälschte Testament, das Grete Beier nach der Ermordung Preßlers ebenfalls auf den Schreibtisch legte, hatte folgenden Wortlaut: „Nach meinem Tode zu öffnen! An Fräulein Grete Beier, Brand in Sachsen. Testament. Zur Universalerbin meines gesamten Vermögens, sowie sämtlicher Möbel, Wäsche, Kleidungsstücke und Wertsachen ernenne ich meine Braut, Fräulein Grete Beier, des Bürgermeisters Beier in Brand Tochter. An meine Angehörigen richte ich die Bitte, auch auf den Pflichtteil zu verzichten. Ich bereue nicht, was ich getan habe. ‚Lustig gelebt und selig gestorben, heißt dem Teufel das Handwerk verdorben.‘ Die Angaben meiner ersten Frau sind richtig, sie hat ihren Pflichtteil schon ausgezahlt erhalten. Ich habe angenommen, es kommt niemals heraus. Dieses Testament ist von mir eigenhändig geschrieben und unterschrieben und somit rechtskräftig. Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Lebt wohl und lebt weiter gut auf dieser Welt, ich habe sie reichlich genossen. Heinrich Moritz Kurt Preßler. Meine Braut mag mit den Sachen machen was sie will. Es soll ihr niemand Vorschriften machen. Die Brillantnadel soll sie selbst tragen. Bar Geld wird sie etwa 15 000 Mark ausgezahlt bekommen. In die Lebensversicherung hätte man mich doch nicht aufgenommen, weil ich ein häßliches Leiden habe, das unheilbar ist.“ – Alsdann gelangte der Brief zur Verlesung, den Grete Beier an den Briefkasten des „Freiberger Anzeiger“ gerichtet hatte und in dem sie anfragte, wie ein Bräutigam seine Braut im Testament bedenken könne. Die Anfrage war unterzeichnet „Alexander Hermsdorf“. – In einem Briefe an Merker schrieb Grete Beier: „Mein über alles geliebter, bester, teuerster Hans! Vernichtet und zertreten werde ich durch Preßler, der mich fast in den Tod getrieben hat. Aufdecken will ich seine Schande, unerbittlich seinen Wahlspruch befolgen ‚Auge um Auge!‘ Er mag meinetwegen in die Hölle fahren, ich bin härter wie der härteste Stein ihm gegenüber. Wenn ich den Sieg errungen habe, dann werde ich Dir wieder gegenübertreten. Sein Maß aber ist voll, so mag auch die wohlverdiente Strafe ihn treffen. Noch wiegt er sich in Sicherheit, aber das Schicksal wird seinen Weg gehen. Mag er dann als Lohn Schande und Verachtung genießen. Ich will das so. Du wirst in den Augen meiner Eltern steigen, das wünsche ich. Gerechtigkeit muß sein.“ In einem anderen Briefe schrieb die Angeklagte an Merker: „Gedulde Dich nur, Deine Grete wird noch alles gut machen. Unangetastet wirst Du mich bekommen, wie Du mich immer besessen. Mit keinem Hauch wird er mich je berühren. Ich bin fest. Mit größerer Treue und Festigkeit, als ich Dich, hat noch niemals ein Weib einen Mann geliebt. Meine Liebe kennt keine Grenzen. Ich werde erst ruhig sein, wenn ich mir sagen kann, daß mein ‚Hans‘ auch wirklich ganz ‚mein‘ ist. Ich habe Dich dem Schicksal abgerungen. Das ist mein letztes Wort, das weitere wirst Du hören. Pfingsten gehen wir zusammen spazieren als Brautleute vor aller Welt. Ich bin heute schon stolz auf meinen schönen, schmucken Schatz.“ – Ähnliche Worte glühender Liebe für Merker und Verachtung für Preßler zeigten sich in vielen anderen Briefen. Von Interesse war noch ein Brief der Angeklagten vom 15. Mai, in dem sie Merker den Tod Preßlers mitteilte: „Mein unendlich geliebter, teuerster Hans! Nun bin ich endlich frei, mein Schatz, gelöst sind die drückenden Fesseln, aber nicht durch eine Entlobung, sondern Gott hat selbst gerichtet! Preßler hat sich Montag nachmittag drei Uhr erschossen wegen seiner bereits bestehenden ersten Ehe. Seine Frau Leonore hat ihn selbst in der Wohnung aufgesucht, sie ist von den Hausbewohnern gesehen worden und nach ungefähr einer Stunde weggegangen. Kurz darauf ist ein Schuß gefallen, man ist aber nicht darauf gekommen, daß es Preßler sein könnte. Erst Dienstag nachmittag fünf Uhr hat ihn seine Aufwärterin gefunden. Auf dem Schreibtisch fand man einen Brief seiner Frau, worin sie den Aufenthalt in Chemnitz anzeigt. Mich hat Preßler zur Universalerbin eingesetzt. Du siehst, ich habe nun doch rechtbehalten. Komme recht bald zu Deiner Dich über alles liebenden Grete.“ – Vors.: Ich möchte der Angeklagten nun nur noch vorhalten, daß sie sich selbst im Gefängnis hat Durchstechereien zuschulden kommen lassen. Zunächst haben Sie auch noch nach dem Geständnis der Abtreibung glühende Liebesbriefe mit Merker gewechselt und ihn angestiftet, Ihre Tante, Frau Schlegel, zu ermorden. Das spricht doch für ein geradezu felsenfestes Vertrauen zu Merker, nicht aber, daß Sie Furcht vor Merker hatten. Außerdem haben Sie sich auch auf den Spaziergängen und in der Zelle auffällig benommen. Ferner haben Sie einen Brief geschrieben, obgleich Sie gar kein Schreibzeug haben konnten. Wo hatten Sie denn das Material her? – Angekl. Beier: Von meiner Mutter. – In dem Kassiber machte Grete Beier dem Merker Vorwürfe, daß er ihre Briefe ausgeliefert habe, was nicht notwendig gewesen sei. Auf Grund dieser Briefe habe man sie des Mordes überführt. Sie sei es aber nicht gewesen, Preßler habe sich infolge eines amerikanischen Duells selbst erschießen müssen. – Vert. R.-A. Dr. Knoll: Dieser Kassiber ist datiert vom 5. Oktober 1907. Bis zu diesem Tage hat die Angeklagte auf Merker gebaut. Am 17. Oktober 1907 kam ich nach Freiberg und sagte der Angeklagten, welcher Schuft Merker sei. Er hatte, um sich beim Untersuchungsrichter lieb Kind zu machen, alle Kassiber und Briefe der Angeklagten ausgeliefert. Damit war dem Verkehr mit Merker natürlich ein Ende gemacht. – Vors.: Angekl. Beier, es ist im Gefängnishof ein Zettel mit einem Gedicht von Ihrer Hand gefunden worden:
„Nun blüht in meinem Herzen wieder,
Was frevelhaft gebrochen,
Die Lippen plaudern, lächeln, scherzen,
jedoch die Seele schreit nach dir!“
– Angekl.: Das Gedicht habe ich nicht selbst gemacht. – Vors.: Das Testament Preßlers haben Sie so fein gefälscht, daß Sie sogar seinen Bruder und seine Mutter getäuscht haben. – Angekl.: Allerdings. – Alsdann wurde in die Zeugenvernehmung eingetreten. – Ingenieur Herzog (Chemnitz) bekundete als Zeuge: Er war der intimste Freund des ermordeten Preßler. Preßler hatte eine wirklich tiefe Neigung zu Grete Beier, er war ein anständiger, nobler Charakter. An die Wahrheit der Geschichte von der Leonore Veroni habe er (Zeuge) niemals geglaubt, und auch sogleich die ganze Sache als Schwindel bezeichnet. – Vors.: Hat Ihnen Preßler einmal gesagt, er wünsche für den Fall seines Ablebens verbrannt zu werden? – Zeuge: Nein. Als ich am 14. Mai 1907 im Sterbezimmer war, wurde mir gesagt, seiner Braut gegenüber habe er diesen Wunsch geäußert. – Vors.: Wer hat Ihnen das gesagt? – Zeuge: Die Mutter der Angeklagten. – Ein Geschworener: Die Angeklagte sagt, sie hätte eine unüberwindliche Abneigung gegen Preßler gehabt. Haben Sie etwas davon gemerkt? – Zeuge: Niemals. – Angekl.: Es war aber so. Als meine Mutter nach dem Bekanntwerden meiner Schwangerschaft in mich drang, mich Preßler hinzugeben, damit er als der Vater des Kindes bezeichnet werden könnte, ging ich nur scheinbar darauf ein. Lieber wäre ich gestorben, als daß ich das wirklich getan hätte. – Zeuge Ingenieur Lippe (Chemnitz) schilderte Preßler als einen verschlossenen und komplizierten Charakter, der aber von glühender Liebe für seine Braut erfüllt war. Im letzten halben Jahre schien es so, als ob er an Gelbsucht leide. – Oberwachtmeister Schirks (Chemnitz): Er wurde als erster Polizeibeamter an die Leiche Preßlers gerufen. Preßler hatte eine Binde um die Augen, der Mund stand offen, hinten waren zwei Schußwunden zu sehen. Auf dem Tisch lag ein verschlossener Brief an Fräulein Grete Beier, und ein offener Brief von der angeblichen Italienerin Veroni. Mir kam die Sache romanhaft vor, aber alle Umstände sprachen für einen Selbstmord. – Frau Robel‚ die Aufwärterin Preßlers, kam am 14. Mai in dessen Wohnung. – Vors.: Sie haben früher bekundet, es sei Ihnen aufgefallen, daß es beim Fortschaffen der Sachen durch Grete Beier „happig“ zugegangen sei. – Zeugin: Ja, sie nahm alles mit, was sie wegschaffen konnte. – Vors.: Auch die Chaiselongue, auf der Preßler getötet wurde? – Zeugin: Ja. – Frau Möser (Chemnitz) und Frau Pauscher (Chemnitz) hatten den Schuß gehört, sie nahmen aber an, daß er auf der Straße gefallen sei. – Ein Beisitzer (zur Angekl.): Rechneten Sie nicht damit, daß alle Leute die Schüsse hören mußten? – Angekl.: Ich habe keinerlei Vorsichtsmaßregeln gebraucht. – Vors.: Sie hielten wohl den Revolver ziemlich weit in den Mund hinein? — Angekl.: Ja, sehr weit. – Vors.: Haben Sie sich nach dem Abfeuern der Schüsse noch lange bei Preßler aufgehalten? – Angekl.: Nein, nur wenige Minuten. Ich horchte, ob alles ruhig sei und schlich alsdann fort. – Witwe Kleinbeckes geb. Preßler, die Schwester des Ermordeten, bekundete: Sie habe sofort an der Echtheit des Testaments gezweifelt. – Assessor Karl Preßler machte Bekundungen über die Vermittlungstätigkeit bei den wiederholten Zwistigkeiten zwischen seinem Bruder und Grete Beier. – Vors.: Sie und Ihre Mutter haben das Testament anstandslos anerkannt? – Zeuge: Ja. – Vors.: Haben Sie an die Geschichte mit den Veroni-Briefen geglaubt? – Zeuge: Ja. – Damenschneiderin Tuerk (Chemnitz) war vom Jahre 1899 bis 1907 die Wirtin Preßlers. Eines Tages, als Preßler verreist war, kam Merker zu ihr und sagte, die Grete würde nie und nimmer Preßler heiraten; die Aussteuer sei auch nicht für Preßler, sondern für ihn bestimmt. Sie habe Preßler davon Mitteilung gemacht. Dieser wollte es nicht glauben, sie habe aber gesagt, die Grete scheint eine Dirne zu sein. Die Geschichte mit der Veroni bezeichnete Preßler als Blödsinn. – Vors.: Hat Preßler sich nicht für Ihre Nichte interessiert? – Zeugin: Er hatte ihr früher einmal die Ehe versprochen, aber ich habe gesagt, das geht nicht, wir sind aus einfachem Stande. – Vert. R.-A. Dr. Knoll: Sie sind nach Brand gefahren und haben dort erzählt, Preßler habe mit einer Frau in Dresden ein Verhältnis. Weshalb haben Sie das getan? – Zeugin: Es war zur Zeit der Rheinreise. Ich wollte endlich Gewißheit haben, wann die Hochzeit sein sollte, damit ich über die Wohnung verfügen konnte. Ich bereue, daß ich das getan habe. – Kriminalwachtmeister Fähndrich schilderte das Ergebnis der ersten polizeilichen Ermittelungen. Grete Beier habe immer das Bestreben gehabt, sich zu entlasten und andere zu belasten. Das gleiche Verhalten beobachtete die Mutter der Angeklagten. Vor allem sei Frau Schlegel beschuldigt worden. Merker habe schon ungefähr vierzehn Tage vor dem Morde die Äußerung getan: Wenn geheiratet werde, dann tue er es. Preßler würde nichts weiter übrigbleiben, als sich zu erschießen. Er sagte also den Tod zwei Wochen vorher voraus. Dies habe ihn (Zeugen) zuerst auf den Gedanken gebracht habe, daß mit dem Selbstmord Preßlers doch nicht alles so stimme. – Unter allgemeiner Spannung wurde hierauf Kaufmann Hans Merker als Zeuge aufgerufen. Er verbüßte zurzeit eine zweijährige Gefängnisstrafe. Bei seinem Eintritt in den Gerichtssaal warf er der Angeklagten einen flüchtigen Blick zu, die Angeklagte schlug die Augen zu Boden. – Merker bekundete: Ich lernte Grete Beier auf einem Maskenball des Kaufmännischen Vereins in Freiberg im Jahre 1905 kennen. Ich glaubte, sie sei ein gebildetes Mädchen aus guter Familie, das, was wir eine „Kronleuchterpartie“ nennen. (Heiterkeit.) Ich wußte nicht, daß sie schon vorher mit anderen Männern Verkehr gehabt hatte. Nach einiger Zeit bestellte sie mich des Nachts zu sich nach Brand, ohne daß ich wußte, weshalb das geschah. (Heiterkeit.) Diese nächtlichen Zusammenkünfte wurden immer häufiger und um sie zu rechtfertigen, sagte mir Grete Beier, ihre Eltern sähen unseren Verkehr nicht gern. Zu einem intimen Verkehr zwischen uns war es aber noch nicht gekommen. Das geschah erst, nachdem mir Grete einen Brief geschrieben hatte, in dem es hieß: „Hans, Du mußt mich viel, viel lieber haben!“ Später kam es zwischen uns zu Zwistigkeiten. Eines Abends wurde mir von einem Bekannten in einem Restaurant in Brand eine Verlobungskarte „Grete Beier – Preßler“ gezeigt. Ich war einfach baff. (Heiterkeit.) Ich gratulierte formell der Beierschen Familie und verhielt mich streng passiv. Nach vier bis sechs Wochen erhielt ich von Grete einen Brief, in dem sie mich um eine Unterredung bat. Ich lehnte aber ab. Wenige Tage darauf, es war neun Uhr abends, kam Grete selbst. An der Tür sank sie um. Ich glaube, daß dieser Ohnmachtsanfall geheuchelt war. Ich hob sie auf und trug sie auf die Chaiselongue. Ich fragte sie, warum sie sich verlobt habe. Sie antwortete, es sei so schnell gegangen, daß sie es nicht verhüten konnte. „Wenn du mir versprichst‚ daß du dich sobald wie möglich entloben willst, können wir uns wieder gut sein,“ sagte ich. „Ich verspreche dir,“ antwortete sie, „daß ich das in allernächster Zeit tun werde.“ In der Folgezeit kam es wieder zu nächtlichen Zusammenkünften. Den Preßler schilderte sie mir als einen ganz ehrlosen Menschen. Um so strenger mußte ich natürlich auf der Entlobung bestehen. Da machte mir Grete Beier eines Tages die Mitteilung, daß sie sich „in anderen Umständen“ befinde. „Jetzt müssen wir uns rasch verloben,“ sagte ich. „Gern,“ erwiderte sie, „aber er läßt mich nicht frei. Ich kann ihn noch so grob behandeln, es nützt nichts.“ Nun kam die Rheinreise, an der Grete Beier trotz aller meiner Proteste teilnahm. (Heiterkeit.) Aus Eisenach schrieb sie mir, daß sie nun glücklich entlobt sei. Weiter habe ich nichts von der Reise gehört. Nach ihrer Rückkehr wurde Grete Beier dabei ertappt, als sie einmal zu mir wollte. Dabei kam auch heraus, daß sie sich „in anderen Umständen“ befand. Vater Beier bestellte mich aufs Rathaus und machte mir heftige Vorwürfe. Während dieses Gesprächs kam Frau Beier hereingestürzt und beschimpfte mich. Sie sagte: „Das beste wäre, Sie schießen ihr eine Kugel durch den Kopf, dann wäre sie weg.“ Sie fügte noch hinzu, sie werde alles aufbieten, um zu verhindern, daß wir ein Paar würden. Am 21. Oktober 1906 wurde ich auf Veranlassung des Bürgermeisters meine Stellung los und mußte nach Dresden gehen. Ich war längere Zeit dort, als ich einen Brief bekam, daß Grete geboren habe. Ich fragte telephonisch bei ihrem Vater an, der mir sagte, es ginge Grete recht gut. Ich erwiderte: „Machen Sie mir doch nichts vor, ich habe einen Brief in Händen, daß Grete geboren hat. Wenn ich etwas von einer Abtreibung erfahren sollte, gehe ich energisch gegen Sie vor.“ Kurze Zeit darauf schrieb mir Grete, sie sei jetzt dahinter gekommen, was man mit ihr vorhabe. Sie habe einen Brief gefunden, aus dem klar hervorgehe, daß Preßler und ihre Mutter unter einer Decke stecken. Preßler habe sich ein außerordentlich gutes Abtreibungsmittel aus Mailand kommen lassen, das ihm viel Geld gekostet habe. – Vors.: Das ist doch aber alles nicht wahr. – Zeuge: Damals habe ich es aber geglaubt. Grete hat mir gesagt, sie werde an Preßler schon Rache nehmen. Preßler müsse vor Scham vor ihr noch in die Erde sinken. Sie wolle dafür sorgen, daß wir beide zusammenkämen, aber ihr Vater solle nichts davon wissen, daß ihre Mutter und Preßler Hand in Hand arbeiteten. Später bestellte mich der Vater Beier nach Brand und dort mußte Grete mir in seiner Gegenwart sagen, daß die Sache mit dem Preßlerschen Abtreibungsmittel nicht wahr sei. Um dem Vater zu Gefallen zu sein, sagte sie es auch, aber als ich nachher mit ihr allein war, sagte sie mir, es sei doch wahr. Inzwischen drängte ich immer energischer auf die Entlobung, weil ich von meinen Gläubigern auch gedrängt wurde. Der Bürgermeister war bereit, mir Geld zu geben, das offenbar dazu benutzt werden sollte, um mich zum Schweigen zu veranlassen. Im März 1907 kam ich nach Klingenthal in eine andere Stellung. Dorthin schrieb mir Grete, daß sie mir eine Mitteilung zu machen habe, die mich sehr überraschen und uns beide bald zusammenführen würde. Ich fuhr nach Brand, und dort zeigte mir Grete zwei Briefe von Frau Preßler, geb. Veroni, in denen diese schrieb, daß sie Grete von Preßler loshelfen könne. Ich glaubte den Angaben der Grete natürlich; sie hielt mich aber immer davon ab, die angebliche Veroni in Chemnitz aufzusuchen. Der Zeuge schilderte darauf eingehend, wie Grete die Geschichte mit der Veroni weiter ausgesponnen und er Schritte unternommen habe, um diese ausfindig zu machen; Grete habe es aber stets vereitelt. – Vors.: Sie haben von Grete rund 4000 Mark erhalten? – Zeuge: Ja, vorher hatte sie mir aber geradezu geschworen, daß sie das Geld rechtmäßig erworben habe. – Vors.: Als Sie von Preßlers Tode erfuhren, haben Sie da Mitleid empfunden? – Zeuge: Gewiß, ganz selbstverständlich. Nach Gretes Verhaftung wegen des Krönerschen Kassettendiebstahls kam ich allmählich hinter all ihre Schwindeleien. – Vors.: Haben Sie an den Selbstmord Preßlers geglaubt? – Zeuge: Nein, ich war von vornherein der Ansicht, daß er ermordet sein mußte, ich konnte nur nicht an Gretes Täterschaft glauben. Später erfuhr ich, daß Grete am 13. Mai in Chemnitz gewesen sei. Ich stellte sie zur Rede, weshalb sie mir nichts davon gesagt habe, sie erklärte mir aber nur, daß sie mich nicht habe aufregen wollen. Damit begnügte ich mich, denn ich war froh, daß sie nicht erschossen war. (Heiterkeit.) – Vors.: Ist es richtig, daß die Angeklagte Sie durch einen Kassiber zur Ermordung der Schlegel anstiften wollte? – Zeuge: Ja, ich kann meinen früheren Mitteilungen in dieser Sache noch hinzufügen, daß auf einem Kassiber auch die Worte standen: „Wenn ich draußen wäre, würde es gehen.“ – Vors.: Das ist allerdings neu. – Vert.: Wenn Grete draußen gewesen wäre, so brauchte sie Sie natürlich nicht. Ich glaube nicht, daß sie ein so törichtes Zeug an Sie geschrieben hat. – Vors.: Die Angeklagte sagt, sie hätte wegen der Abtreibung in ständiger Angst und Furcht vor Ihnen gelebt, da Sie sie jeden Tag hätten anzeigen können? – Zeuge: Ich würde Grete nie angezeigt haben, ich glaube, jetzt den Schlüssel zu allen ihren Handlungen gefunden zu haben. Sie ist von einer kolossalen Sinnlichkeit und hat auch unseren Verkehr wohl nur als einen solchen niedrigster Art aufgefaßt. Ich habe immer auf Verlobung oder Trennung gedrängt. Hätte Grete mich rechtzeitig mit Preßler zusammenkommen lassen, so wäre alles anders gekommen. Sie wäre nicht hier, ich wäre nicht im Gefängnis, und Preßler wäre heute ein glücklicher Mensch. – Vert.: Ich will mich so wenig wie möglich mit dieser Aussage beschäftigen, weil ich sonst glaubte, ihr einen zu großen Wert beizulegen. Sie sagen, Grete Beier habe Sie verführt. Halten Sie das aufrecht? – Zeuge: Ja. – Vert.: Das mag glauben, wer will. Wenn Sie weiter an dem Kassiberverkehr Anstoß nahmen, so daß Sie die Kassiber der Gefängnisverwaltung zur Verfügung stellten, wer in aller Welt zwang Sie denn, diese Kassiber zu beantworten? – Zeuge: Ich hatte immer noch Zuneigung zu Grete und es wurde mir schwer, gegen sie auszusagen. Noch als ich hierher transportiert wurde, schwankte ich. – Es folgte die Vernehmung der Sachverständigen. – Sachverst. Oberarzt Dr. med. Nerlich (Hochweitzschen): Die Angeklagte hat während der Beobachtungszeit in der Landesirrenanstalt Waldheim nicht den geringsten Versuch gemacht, irgendeine Krankheitserscheinung auf geistigem oder körperlichem Gebiet vorzutäuschen. Es finden sich keinerlei Degenerationszeichen am Schädel, sie zeigt keinerlei Zeichen von Hysterie oder Neurasthenie und ist körperlich vollkommen gesund. Was ihre geistige Beschaffenheit anlangt, so war sie immer natürlich, bescheiden, höflich, geschickt, fleißig, immer bereit zur Hilfe. In Handarbeiten war sie außerordentlich geschickt und hatte ein treffendes Urteil über die Vorgänge in ihrer Umgebung. Ihre Gemütsstimmung war gleichmäßig ruhig. Wenn man von ihrem Vater sprach, traten ihr die Tränen in die Augen. Wenn die Frage aufgeworfen wird, ob sie die Tat in einem epileptischen Dämmerzustand begangen haben kann, so halte ich das für ausgeschlossen, da keinerlei Zeichen von Epilepsie bei ihr beobachtet worden sind. Sie hat großes musikalisches Verständnis und entwickelt am Klavier außergewöhnliche Fähigkeiten. Im schriftlichen Ausdruck ist sie außerordentlich gewandt. Ihre Schulverhältnisse waren ausgezeichnet, ihre Allgemeinbildung desgleichen. Nur in religiöser Beziehung ist sie oberflächlich. Sie war der Überzeugung, daß ihr Vater aus Kummer um sie gestorben sei. Was ihre Liebe zu Merker auf der einen und zu Preßler auf der andern Seite anlangt, so bin ich der Meinung, daß sie Merker wirklich geliebt hat. Wie dieser ihr das vergolten hat, darüber möchte ich schweigen. Er hat ihre Briefe an die Gefängnisverwaltung ausgeliefert und dadurch die Mordsache erst in Fluß gebracht, während sie ihn bis zum letzten Moment zu schützen gesucht hat. Preßler wäre vielleicht der Mann gewesen, Grete Beier einen moralischen Halt zu geben. Das hat er nicht getan. Er handelte um so schlimmer, als er ihr auch noch den religiösen Glauben nahm. – Vors.: Dafür, daß Preßler der Angeklagten den Glauben genommen hat, hat die Verhandlung keinerlei Beweis erbracht. – Sachverständiger: Ich weiß es von Grete Beier selbst. Ihre Mutter hat sich nie um sie gekümmert. Sie war in Brand eine übelbeleumundete Person, ränkisch, zänkisch und hinterlistig. Aber auch der Vater stand in einem sehr schlechten Ruf. Es war niemand da, an den die Angeklagte Anschluß finden konnte. Oberarzt Dr. Nerlich faßte schließlich sein Gutachten in folgenden Sätzen zusammen: 1. Grete Beier ist moralisch minderwertig; 2. sie ist nicht geisteskrank, auch nicht im Sinne des § 51 Str.-G.-B.; 3. sie hat sich auch zur Zeit der ihr zur Last gelegten Straftaten nicht in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden, durch welchen ihre freie Willensbestimmung ausgeschlossen sein würde. – Sachverst. Sanitätsrat Dr. Nittolz schloß sich diesem Gutachten im großen und ganzen an und gelangte ebenfalls zu dem Schluß, daß die Angeklagte nicht erblich belastet und geistig gesund sei. Darauf wurde von allen Prozeßbeteiligten auf weitere Zeugen verzichtet und die Beweisaufnahme geschlossen. Den Geschworenen wurden folgende Schuldfragen vorgelegt: 1. Ist die Angeklagte Margarete Beier schuldig: a) am 13. Mai 1907 zu Chemnitz vorsätzlich ihren Bräutigam Kurt Preßler getötet und b) diese Tötung mit Überlegung ausgeführt zu haben? 2. Ist die Angeklagte Margarete Beier schuldig: a) im Mai zu Chemnitz und Brand eine Privaturkunde, die zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen erheblich ist, nämlich das Testament ihres Bräutigams fälschlich angefertigt und zum Zwecke der Fälschung gebraucht zu haben, b) durch diese Urkundenfälschung sich oder einem andern einen rechtswidrigen Vermögensvorteil hat verschaffen wollen? – Staatsanwalt Dr. Mannel beschränkte sich in seinem Plädoyer auf eine Schilderung der Tat und beantragte zum Schluß die Bejahung beider Schuldfragen in vollem Umfange. – Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Knoll (Dresden) stellte keine bestimmten Anträge, sondern überließ die Entscheidung dem freien Ermessen der Geschworenen. – Die Angeklagte, der der Vorsitzende zum letzten Male Gelegenheit gab, sich zu äußem‚ erklärte mit leiser Stimme: Ich habe nichts mehr zu sagen. – Nach nur kurzer Beratung bejahten die Geschworenen beide Schuldfragen. – Der Gerichtshof verurteilte darauf die Angeklagte zum Tode und, unter Einrechnung der bereits erkannten Strafe von fünf Jahren Zuchthaus, zu acht Jahren Zuchthaus und zu dauerndem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. – Grete Beier nahm das Urteil ruhig und gefaßt entgegen. Sie sprach noch einige Worte mit ihrem Verteidiger und verabschiedete sich von ihm durch Händedruck. Sie ließ sich darauf widerstandslos zurückführen. – Die Geschworenen unterstützten einstimmig das Begnadigungsgesuch des Verteidigers. Der Schwurgerichtsverhandlung hatten im Auftrage des Sächsischen Justizministeriums ein Geheimer Regierungsrat beigewohnt. Nach dessen zweimaligem Vortrage entschied der König von Sachsen: Er fühle sich nicht veranlaßt, von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen. Infolgedessen erfolgte am 23. Juli 1908 im Hofe des Freiberger Gerichtsgefängnisses durch den sächsischen Landesscharfrichter Brandt (Hohenlinde bei Oederau) die Hinrichtung der Grete Beier mittels Guillotine. Die Guillotine wurde zwei Tage vor der Hinrichtung von Dresden nach Freiberg geschafft. Grete Beier betrat, geführt von ihrem Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Knoll (Dresden) und dem Gefängnisgeistlichen, Pastor Schmidt (Freiberg), ruhig und gefaßt das Schafott. Sie rief mit lauter Stimme: „Vater, Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, da sauste das haarscharfe Messer hernieder‚ das glatt den Kopf vom Rumpfe trennte. – Scharfrichter Brandt rief: „Herr Staatsanwalt, das Urteil ist vollstreckt.“ Das Gerichtsgebäude war trotz der frühen Morgenstunde während der Hinrichtung von einer ungeheuern Menschenmenge umlagert. – Zwei Tage vor der Hinrichtung traf die Mutter der Mörderin, Frau Bürgermeister Beier, die eine zweijährige Zuchthausstrafe in Waldheim verbüßte, in später Nachmittagsstunde in Begleitung von zwei Gefängnisbeamten im Freiberger Gerichtsgebäude ein. Sie wurde zu ihrer Tochter in die Zelle geführt. Der Abschied zwischen Mutter und Tochter war herzzerreißend. – Durch die Güte des Herrn Staatsanwalts Dr. jur. Ernst Rosenfeld am Landgericht Berlin I bin ich in der Lage, aus dem „Archiv für Kriminalanthropologie“ folgendes über den Gemütszustand der Grete Beier kurz vor ihrer Hinrichtung aus der Feder ihres Verteidigers, des Herrn Rechtsanwalts Dr. Knoll (Dresden), mitzuteilen: „Grete Beier ging ruhig und gefaßt zur Richtstätte. Ebenso ruhig hatte sie zwei Tage vorher die Mitteilung des Staatsanwalts von der bevorstehenden Hinrichtung entgegengenommen. Man hat hie und da diese Ruhe eine unnatürliche, eine unheimliche, auf Verstocktheit des Charakters hindeutende Ruhe genannt. Wer das sagt, der irrt. Grete Beier hat eine ähnliche Ruhe bereits in der Hauptverhandlung zur Schau getragen. Sie hatte mir vorher in mehrtägigen und vielstündigen Unterredungen in ihrer Zelle aus eigener Entschließung ihr unumwundenes Geständnis in die Feder diktiert. Sie wußte weiter aus meinen Aufklärungen, daß die Gnade in der freien Hand des Staatsoberhauptes liegt und daß ihr diese niemand verbürgen konnte. Gleichwohl hatte das Bewußtsein, durch das Geständnis die Last von ihrem Gewissen abgewälzt zu haben, eine geradezu herzerhebende Ruhe und einen wahren Seelenfrieden über sie gebracht. Naturgemäß hoffte sie auf ein milderes Urteil oder wenigstens auf Gnade, aber gleichzeitig faßte sie doch den ungünstigsten Ausgang ins Auge. Und je näher die Todesstunde kam, desto ruhiger und gefaßter wurde die Verurteilte. Sie hatte, wie ich behaupten kann, ihr geschwundenes Gottvertrauen und ihren Glauben an Vergebung ihrer Schuld durch den höchsten Richter wiedergefunden. In ihrer Seele erwachte in der Einsamkeit des Gefängnisses immer mehr und mehr die Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit ihrem über alles geliebten Vater. Der Geistliche fand für seine warmen Trostesworte ein offenes Ohr und Herz. Ihre letzten Abschiedsworte an mich waren nach heißen Dankesbezeugungen nicht ein Lebewohl, sondern sie sagte wörtlich: ‚Auf Wiedersehen dereinst.‘ Dieses große Gottvertrauen und diese Seelenruhe befähigten sie auch, an der dichtgedrängten Menge der Zuschauer vorüber, ruhigen, festen Schrittes die Richtstätte zu betreten.“